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Document 52013PC0197

Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit

/* COM/2013/0197 final - 2013/0106 (COD) */

52013PC0197

Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit /* COM/2013/0197 final - 2013/0106 (COD) */


BEGRÜNDUNG

1.           HINTERGRUND DES VORSCHLAGS

1.1.        Verfahren und Erlass des Beschlusses 2010/252/EU des Rates[1]

Im Oktober 2009 wurde die Kommission vom Europäischen Rat ersucht, Vorschläge für „klare[r] gemeinsame[r] operative[r] Verfahren mit eindeutigen Einsatzregeln für gemeinsame Operationen auf See“ vorzulegen, „wobei gebührend darauf zu achten ist, dass hilfsbedürftige Personen aus gemischten Migrationsströmen völkerrechtlichen Schutz erhalten“[2]. Im Stockholmer Programm vom Dezember 2009 forderte der Europäische Rat die Kommission erneut auf, spätestens 2010 Vorschläge zur Präzisierung und Erweiterung der Aufgaben der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachfolgend „Agentur“) vorzulegen und „eindeutige[n] Einsatzregeln für gemeinsame Operationen auf See“ auszuarbeiten, „wobei gebührend darauf zu achten ist, dass schutzbedürftige Personen aus gemischten Migrationsströmen Schutz im Einklang mit dem Völkerrecht erhalten“[3].

2010 erließ der Rat den Beschluss 2010/252/EU (nachfolgend „Beschluss“) und kam damit der Forderung des Europäischen Rates nach, die von der Agentur koordinierten Grenzüberwachungseinsätze zu verstärken und klare Einsatzregeln für gemeinsame Patrouillen und die Ausschiffung aufgegriffener oder geretteter Personen festzulegen, um die Sicherheit von Personen, die um internationalen Schutz nachsuchen, zu gewährleisten und einen Verlust von Menschenleben auf See zu verhindern. Da die Kommission den Beschluss als weitere Maßnahme zur Regelung der Grenzüberwachung ansah, legte sie ihren Vorschlag auf der Grundlage von Artikel 12 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex[4] im Ausschussverfahren vor.

Der Beschluss wurde als notwendig und angemessen erachtet, um das Ziel der Grenzüberwachung zu verwirklichen, d. h. unbefugte Grenzübertritte zu verhindern. In diesem Zusammenhang wurde die Auffassung vertreten, dass der Begriff „Überwachung“ nicht nur die Sichtung beinhaltet, sondern darüber hinaus auch Schritte wie das Abfangen von Schiffen, die illegal in die Union einzulaufen versuchen. Die Verknüpfung von Suche und Rettung mit der Grenzüberwachung ergab sich aus der konkreten Praxis ‑ Migranten, die auf seeuntüchtigen Schiffen unterwegs sind, befinden sich bei der Sichtung mitunter in Seenot.

Mit dem Beschluss wurden bestehende EU- und Völkerrechtsbestimmungen in einem einzigen Rechtsinstrument zusammengefasst. Ziel war es, die Unterschiede in der Auslegung und praktischen Anwendung des internationalen Seerechts durch die Mitgliedstaaten zu überwinden, um die Effizienz der von der Agentur koordinierten Seeeinsätze sicherzustellen. Es bestand die Gefahr, dass bei einem Einsatz auf See für ein und dieselbe Situation unterschiedliche, mitunter sogar kollidierende Regelungen gelten würden. Angesichts dieser Rechtsunsicherheit beteiligten sich die Mitgliedstaaten nur in geringem Maße mit Booten, Schiffen und Personal an den von der Agentur koordinierten Einsätzen. Dies wiederum beeinträchtigte die Wirksamkeit der Einsätze und untergrub die Bemühungen um Solidarität innerhalb der EU.

Mit dem Beschluss sollten der Grundrechteschutz gestärkt und die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung bei Seeeinsätzen gewährleistet werden. Von einigen Mitgliedstaaten, Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Menschenrechtsorganisationen und akademischen Kreisen war in Frage gestellt worden, ob bei den von der Agentur koordinierten Einsätzen, insbesondere auf Hoher See, die Grundrechte und die Rechte von Flüchtlingen geachtet würden. Mit dem Beschluss sollten diese Bedenken ausgeräumt werden, indem die Achtung dieser Rechte durch verschiedene Bestimmungen garantiert wurde, zum Beispiel durch die Vorschrift, dass aufgegriffene oder gerettete Personen über den Ausschiffungsort unterrichtet, die Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen besonders berücksichtigt und Grenzschutzbeamte in den einschlägigen Menschen- und Flüchtlingsrechtsbestimmungen geschult werden müssen.

Der Beschluss wurde am 26. April 2010 nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle als Beschluss des Rates erlassen. Das Europäische Parlament vertrat die Auffassung, dass der Beschluss nicht nach dem Ausschussverfahren, sondern nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hätte erlassen werden müssen. Aus diesem Grund erhob es beim Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend „Gerichtshof“) eine gegen den Rat gerichtete Nichtigkeitsklage.

1.2.        C-355/10: Europäisches Parlament / Rat[5]

Das Europäische Parlament vertrat die Auffassung, die mit Artikel 12 Absatz 5 des Schengener Grenzkodex übertragenen Durchführungsbefugnisse würden mit dem Beschluss aus folgenden Gründen überschritten: i) Der Beschluss füge neue wesentliche Aspekte in den Schengener Grenzkodex ein, ii) er ändere wesentliche Aspekte des Schengener Grenzkodex, und iii) er ändere den Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004[6]. Der Rat erhob die Einrede der Unzulässigkeit der Klage und vertrat die Auffassung, dass die Klage im Falle der Zulässigkeit unbegründet sei. Die Kommission unterstützte den Rat als Streithelferin.

Das Urteil des Gerichtshofs erging am 5. September 2012. Der Gerichtshof erklärte den Beschluss aus dem ersten Grund für nichtig, da er der Auffassung war, dass die Bestimmungen über Maßnahmen des Abfangens und Aufgreifens, die Rettung und die Ausschiffung wesentliche Aspekte des Basisrechtsakts, namentlich des Schengener Grenzkodex, darstellen. Ob der Beschluss wesentliche Aspekte des Schengener Grenzkodex oder den Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 ändert, wurde vom Gerichtshof nicht geprüft.

Der Gerichtshof beschloss, die Wirkungen des Beschlusses aufrechtzuerhalten, bis dieser innerhalb einer angemessenen Frist durch eine neue Regelung ersetzt werde.

2.           ERGEBNISSE DER KONSULTATIONEN DER INTERESSIERTEN KREISE UND DER FOLGENABSCHÄTZUNGEN

Bei der Beurteilung der Notwendigkeit einer Folgenabschätzung wurden folgende Aspekte berücksichtigt.

Erstens waren dem Erlass des Beschlusses 2010/252/EU des Rates umfangreiche Vorarbeiten vorausgegangen. 2005 hatte der Rat die Kommission aufgefordert, den Rechtsrahmen für Grenzüberwachungseinsätze auf See zu überprüfen und anschließend Vorschriften auf Unionsebene auszuarbeiten. 2007 legte die Kommission eine Studie vor, in der sie den internationalen Rechtsrahmen für die Überwachung der Seeaußengrenzen und die Hemmfaktoren für seine wirksame Anwendung analysierte.[7] Im selben Jahr setzte die Kommission eine informelle Gruppe von Sachverständigen der Mitgliedstaaten, der Agentur, des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration ein, die Leitlinien für die von der Agentur koordinierten Seeeinsätze ausarbeiten sollte. Die Ergebnisse dieser informellen Gruppe bildeten die Grundlage des Vorschlagsentwurfs, den die Kommission im Ausschussverfahren vorlegte.

Zweitens hat die Kommission im Hinblick auf die Ausarbeitung des vorliegenden Vorschlags über eine Expertengruppe für die Außengrenzen die Mitgliedstaaten und die Agentur konsultiert, um festzustellen, inwieweit der Vorschlag den Inhalt des Beschlusses widerspiegeln sollte. Die Mitgliedstaaten waren generell der Meinung, dass der Vorschlag auf dem Beschluss aufbauen sollte, wobei sein Geltungsbereich auf die von der Agentur koordinierten Seeeinsätze beschränkt, die Bestimmungen zum Schutz der Grundrechte ausgebaut, deutlicher zwischen Maßnahmen des Abfangens und Aufgreifens und der Rettung unterschieden, der Aspekt der Ausschiffung angesprochen und die Übereinstimmung mit internationalen Verpflichtungen sichergestellt werden sollten. Gleichzeitig sollten die Entwicklungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung auf EU- und internationaler Ebene berücksichtigt werden.

Drittens verlangte der Gerichtshof bei der Nichtigerklärung des Beschlusses 2010/252/EU des Rates, dass der Beschluss innerhalb einer angemessenen Frist ersetzt werden soll. Auch wenn diese „angemessene Frist“ im Urteil nicht definiert wird, ist davon auszugehen, dass die Kommission in Anbetracht der möglicherweise schwierigen und langwierigen Verhandlungen zwischen den beiden gesetzgebenden Organen der EU zügig handeln sollte.

Aus diesem Grund wurde beschlossen, bei diesem Vorschlag auf eine Folgenabschätzung zu verzichten.

3.           RECHTLICHE ASPEKTE DES VORSCHLAGS

Rechtsgrundlage des Vorschlags ist Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe d des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Im Hinblick auf die Entwicklung einer Politik im Bereich der Außengrenzen im Sinne des Artikels 77 Absatz 1, die auch die Gewährleistung einer effizienten Überwachung der Außengrenzen umfasst, sieht Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe d vor, dass das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren „alle Maßnahmen [erlassen], die für die schrittweise Einführung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen erforderlich sind“.

Ziel der Unionspolitik im Bereich der EU-Außengrenzen ist es, die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen, auch durch Grenzüberwachung, sicherzustellen. Die Grenzüberwachung dient der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Festnahme von Personen, die die Grenze irregulär überschreiten, beziehungsweise der Veranlassung sonstiger Maßnahmen gegen diese Personen. Eine wirksame Grenzüberwachung sollte Personen daran hindern und davon abhalten, Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen. Die Grenzüberwachung beschränkt sich daher nicht auf die Aufdeckung irregulärer Einreiseversuche, sondern umfasst auch Schritte wie das Abfangen von Schiffen, die mutmaßlich ohne Grenzkontrolle in die Union einzulaufen versuchen, sowie Vorkehrungen für die bei einem Seeeinsatz möglicherweise erforderlich werdenden Such- und Rettungsaktionen und für die erfolgreiche Durchführung entsprechender Einsätze.

Da sich die Ziele der zu treffenden Maßnahme, nämlich die Festlegung spezieller Regelungen für die Überwachung der Seegrenzen durch Grenzschutzbeamte unter Federführung der Agentur auf Ebene der Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Rechtsvorschriften und Praktiken nicht ausreichend verwirklichen lassen und daher wegen des multinationalen Charakters der Einsätze besser auf Unionsebene zu erreichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsatz der Subsidiarität tätig werden.

Entsprechend dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.

In Anbetracht dieser Grundsätze gilt der vorliegende Vorschlag – ebenso wie der Beschluss – nur im Rahmen der von der Agentur koordinierten operativen Zusammenarbeit und betrifft nicht die Überwachungstätigkeiten, die die Mitgliedstaaten allein oder in Zusammenarbeit außerhalb dieses Rahmens durchführen.

4.           AUSWIRKUNGEN AUF DEN HAUSHALT

Dieser Vorschlag beinhaltet keine finanziellen oder administrativen Belastungen für die Union und hat daher keine Auswirkungen auf den Unionshaushalt.

5.           FAKULTATIVE ANGABEN

5.1.        Vergleich des Vorschlags mit dem Ratsbeschluss 2010/252/EU

Geltungsbereich und Inhalt des Vorschlags sind ähnlich wie bei dem Beschluss. Die Änderungen, die der Vorschlag im Vergleich zum Beschluss enthält, ergeben sich durch Entwicklungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung, wie etwa die Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004[8] und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Hirsi Jamaa und andere / Italien[9], durch die Notwendigkeit einer Präzisierung der Begriffe „Abfangen“ und „Rettung“ und aus den praktischen Erfahrungen der Mitgliedstaaten und der Agentur bei der Umsetzung des Beschlusses.

5.1.1.     Form

Unterschiede bestehen bei der Wahl des Rechtsinstruments und dem Beschlussverfahren. Der vorliegende Verordnungsvorschlag richtet sich gemäß den Verträgen an alle Mitgliedstaaten und ist nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu erlassen. Seine Form spiegelt die Wahl des Rechtsinstruments wider und umfasst einen einleitenden Teil (Bezugsvermerke und 18 Erwägungsgründe) sowie elf Artikel, die in vier Kapitel gegliedert sind. Die Verordnung wird in allen ihren Teilen verbindlich sein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Der Beschluss hingegen war als Durchführungsmaßnahme nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen worden. Er besteht aus einer Präambel (Bezugsvermerke und 18 Erwägungsgründe) sowie zwei Artikeln und einem in zwei Teile gegliederten Anhang. Teil I des Anhangs enthält Vorschriften für die von der Agentur koordinierten Maßnahmen an den Seegrenzen, Teil II unverbindliche Leitlinien für Such- und Rettungsmaßnahmen und für die Ausschiffung im Rahmen von durch die Agentur koordinierten Maßnahmen an den Seegrenzen.

5.1.2.     Inhalt

Die vorgeschlagene Verordnung hat denselben Geltungsbereich wie der Beschluss, d. h. sie gilt für Grenzüberwachungsmaßnahmen, die auf See von den Mitgliedstaaten durchgeführt und von der Agentur koordiniert werden (Artikel 1). Obwohl der Begriff der „Grenzüberwachung“ in dem Beschluss so verstanden wurde, dass er auch Maßnahmen des Abfangens sowie Vorkehrungen für Rettungen bei Grenzüberwachungsmaßnahmen einschloss, blieb doch zweifelhaft, ob diese Maßnahmen tatsächlich unter den Begriff der Grenzüberwachung im Sinne des Schengener Grenzkodex fielen. Indem im vorliegenden Vorschlag darauf hingewiesen wird, dass sich die Grenzüberwachung nicht auf die Aufdeckung irregulärer Grenzübertritte beschränkt, sondern auch Schritte wie Maßnahmen des Abfangens und Vorkehrungen für die bei einem Seeeinsatz möglicherweise erforderlich werdenden Such- und Rettungsaktionen sowie die erfolgreiche Durchführung solcher Einsätze umfasst (Erwägungsgrund 1 und Kapitel III), wird der Geltungsbereich ausdrücklich auf diesen erweiterten Begriff der Grenzüberwachung bezogen.

Bei der Überarbeitung des Beschlusses musste den Änderungen an der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 Rechnung getragen werden. Zu den Aufgaben der Agentur zählt nunmehr auch die Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die verstärkte technische Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, wozu auch humanitäre Notsituationen und Seenotrettungen gehören können. Obwohl die Agentur also weder zu einem Such- und Rettungsdienst wird, noch die Aufgaben einer Rettungsleitstelle übernimmt, unterstützt sie die Mitgliedstaaten doch bei der Erfüllung ihrer nach internationalem Seerecht bestehenden Pflicht, in Seenot befindlichen Personen Hilfe zu leisten. Der Vorschlag regelt, wie bei einem von der Agentur koordinierten Seeeinsatz in solchen Fällen zu verfahren ist (Erwägungsgrund 2 und Artikel 9).

Mit der Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 wurde der Einsatzplan bei allen von der Agentur koordinierten Einsätzen, d. h. nicht nur bei Soforteinsätzen, zu einem rechtsverbindlichen Instrument. Der Inhalt des Einsatzplans ist in den Artikeln 3a und 8e der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 geregelt, wo auch speziell auf Seeeinsätze verwiesen wird. Die in diesem Vorschlag festgelegten Regelungen sollen Bestandteil des Einsatzplans sein, der gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 unter Berücksichtigung der für Seeeinsätze geltenden Anforderungen aufgestellt wird.

Außerdem trägt dieser Vorschlag den Entwicklungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung in Bezug auf den Schutz der Grundrechte Rechnung. Mit Artikel 4 zum Schutz der Grundrechte und zum Grundsatz der Nichtzurückweisung bei Seeeinsätzen wird Bedenken Rechnung getragen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil Hirsi Jamaa und andere / Italien hinsichtlich der Ausschiffung aufgegriffener oder geretteter Personen in Drittstaaten ‑ sowohl in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten als auch in Bezug auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber den betroffenen Personen ‑ geäußert hatte. Dieser Artikel betrifft die praktische Anwendung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, wie er in Artikel 19 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben ist. Im Falle der Ausschiffung in einem Drittstaat muss die Identität der aufgegriffenen oder geretteten Personen festgestellt und ihre persönliche Situation vor der Ausschiffung so weit wie möglich bewertet werden. Die Betroffenen müssen außerdem auf geeignete Weise über den Ort der Ausschiffung unterrichtet werden und Gelegenheit erhalten, etwaige Gründe für die Annahme, dass die Ausschiffung an dem vorgeschlagenen Ort gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt, vorzubringen. Damit ist gewährleistet, dass die Migranten über ihre Situation und den vorgeschlagenen Ausschiffungsort informiert werden und Einwände äußern können.

In Kapitel III dieses Vorschlags wird klar unterschieden zwischen Sichtung, Abfangen und Rettung. Was das Abfangen angeht, so sieht der Vorschlag zwar weiterhin dieselben Maßnahmen vor wie der Beschluss, unterscheidet jedoch zwischen Maßnahmen, die im Küstenmeer (Artikel 6), auf Hoher See (Artikel 7) und in der Anschlusszone[10] (Artikel 8) ergriffen werden können, und präzisiert damit sowohl die Bedingungen, unter denen diese Maßnahmen getroffen werden dürfen, als auch die rechtliche Grundlage, auf der insbesondere bei staatenlosen Schiffen Maßnahmen ergriffen werden können. Aufgrund des Protokolls gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg muss beim Abfangen von Schiffen auf Hoher See nunmehr eindeutig der begründete Verdacht bestehen, dass das Schiff für die Schleusung von Migranten benutzt wird. Ebenso wie bei dem Beschluss darf die Hoheitsgewalt auf Hoher See jedoch stets nur mit Genehmigung des Flaggenstaates ausgeübt werden.

Im Hinblick auf Such- und Rettungssituationen ist der Vorschlag ähnlich formuliert wie der Beschluss (Artikel 9). Der Wortlaut wurde allerdings an das Internationale Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See und das IAMSAR-Handbuch (International Aeronautical and Maritime Search and Rescue Manual) angepasst. Unter Zugrundelegung dieser internationalen Instrumente enthält der Vorschlag außerdem die Kriterien für die verschiedenen Situationen, in denen sich ein Schiff befinden kann ‑ Ungewissheitsstufe (Artikel 9 Absatz 3), Bereitschaftsstufe (Artikel 9 Absatz 4) und Notstufe (Artikel 9 Absatz 5), sowie eine Begriffsbestimmung der „Rettungsleitstelle“ (Artikel 2 Absatz 12).

Anders als im Beschluss wird der Aspekt der Ausschiffung im vorliegenden Vorschlag in Bezug auf das Abfangen und die Rettung geregelt (Artikel 10). Bei einem Abfangen im Küstenmeer oder in der Anschlusszone erfolgt die Ausschiffung im betreffenden Küstenmitgliedstaat. Bei einem Abfangen auf Hoher See kann die Ausschiffung ‑ sofern der Schutz der Grundrechte und die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung gewährleistet sind ‑ in dem Drittstaat erfolgen, von dem aus das Schiff ausgelaufen ist. Ist dies nicht möglich, erfolgt die Ausschiffung im Aufnahmemitgliedstaat.

Was Ausschiffungen im Anschluss an eine Rettungsmaßnahme angeht, so nimmt der Vorschlag unter Berücksichtigung grundrechtlicher Aspekte[11] Bezug auf den Begriff des „sicheren Ortes“ im Sinne der IMO-Leitlinien zur Behandlung aus Seenot geretteter Personen[12] (Artikel 2 Absatz 11 und Artikel 10 Absatz 4) und verpflichtet die Mitgliedstaaten, mit der zuständigen Rettungsleitstelle zusammenzuarbeiten, um einen geeigneten Hafen oder sicheren Ort zur Verfügung zu stellen und eine rasche effektive Ausschiffung zu gewährleisten. Damit trägt der Vorschlag der Tatsache Rechnung, dass die See- und Lufteinsatzkräfte zu diesem Zeitpunkt unter der Federführung der Rettungsleitstelle handeln würden, die den geeigneten Hafen oder Ort der Ausschiffung festlegt. Allerdings wird auch die Möglichkeit vorgesehen, dass die Seeeinsatzkräfte im Aufnahmemitgliedstaat ausschiffen, wenn sie nicht von ihrer Pflicht befreit werden, Personen in Seenot so schnell wie nach vernünftigem Ermessen möglich Hilfe zu leisten, wobei die Sicherheit der Geretteten und der Seeeinsatzkräfte stets zu gewährleisten ist.

2013/0106 (COD)

Vorschlag für eine

VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe d,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)       Ziel der Unionspolitik im Bereich der Außengrenzen der Union ist es, die wirksame Überwachung des Grenzübertritts an den Außengrenzen, auch durch Grenzüberwachung, sicherzustellen. Die Grenzüberwachung dient der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Festnahme von Personen, die die Grenze irregulär überschreiten, beziehungsweise der Veranlassung sonstiger Maßnahmen gegen diese Personen. Eine wirksame Grenzüberwachung sollte Personen daran hindern und davon abhalten, Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen. Die Grenzüberwachung beschränkt sich daher nicht auf die Aufdeckung irregulärer Einreiseversuche, sondern umfasst auch Schritte wie das Abfangen von Schiffen, die mutmaßlich ohne Grenzkontrolle in die Union einzulaufen versuchen, sowie Vorkehrungen für die bei einem Grenzüberwachungseinsatz auf See möglicherweise erforderlich werdenden Such- und Rettungsaktionen und für die erfolgreiche Durchführung solcher Einsätze.

(2)       Die mit der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004[13] eingerichtete Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachstehend „Agentur“) ist für die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen, einschließlich der Grenzüberwachung, zuständig. Zu den Aufgaben der Agentur zählt auch die Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die verstärkte technische Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, wozu auch humanitäre Notsituationen und Seenotrettungen gehören können. Um diese Zusammenarbeit weiter zu verstärken, bedarf es spezieller Regelungen für Grenzüberwachungstätigkeiten, die von den See- und Lufteinsatzkräften eines Mitgliedstaats im Rahmen der von der Agentur koordinierten operativen Zusammenarbeit an den Seegrenzen eines anderen Mitgliedstaats oder auf Hoher See durchgeführt werden.

(3)       Das mit der Verordnung (EU) Nr. […/…] des Europäischen Parlaments und des Rates vom […] errichtete Europäische Grenzüberwachungssystem (EUROSUR) dürfte den Informationsaustausch und die operative Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und mit der Agentur verstärken. Dadurch wird sichergestellt, dass sich das Lagebewusstsein und die Reaktionsfähigkeit der Mitgliedstaaten, auch mit Unterstützung der Agentur, beim Aufspüren und Verhindern von irregulärer Migration, bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität sowie beim Schutz und bei der Rettung von Migranten an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten erheblich verbessern. Bei der Koordinierung von Grenzüberwachungseinsätzen sollte die Agentur den Mitgliedstaaten Informationen und Analysen zu diesen Einsätzen zur Verfügung stellen.

(4)       Während Grenzüberwachungseinsätzen sollten die Mitgliedstaaten und die Agentur ihren Verpflichtungen aus dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dem Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und dem dazugehörigen Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg, dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und anderen einschlägigen internationalen Übereinkünften nachkommen.

(5)       Im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)[14] und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts sollten während eines Überwachungseinsatzes getroffene Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen, nicht diskriminierend sein und die Menschenwürde, die Grundrechte sowie die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, uneingeschränkt achten. Die Mitgliedstaaten und die Agentur sind bei Asylanträgen, die in ihrem Hoheitsgebiet einschließlich der Grenze und der Transitzonen gestellt werden, an die Bestimmungen des Asyl-Besitzstands, insbesondere an die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft[15], gebunden.

(6)       Das etwaige Bestehen einer Vereinbarung zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat kann die Mitgliedstaaten nicht von diesen Verpflichtungen entbinden, wenn ihnen bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Drittstaat durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, oder wenn ihnen bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass ein Drittstaat Praktiken anwendet, die gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen.

(7)       Während eines Grenzüberwachungseinsatzes auf See kann sich eine Situation ergeben, in der Personen aus Seenot gerettet werden müssen. Im Einklang mit dem Völkerrecht hat jeder Staat den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffs zu verpflichten, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten und so schnell wie möglich Personen in Seenot zur Hilfe zu eilen, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffs, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist. Diese Hilfe sollte unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Status der zu versorgenden Personen und ungeachtet der Umstände, unter denen diese aufgefunden werden, geleistet werden.

(8)       Dieser Pflicht sollten die Mitgliedstaaten gemäß den einschlägigen Bestimmungen der für Such- und Rettungsmaßnahmen maßgeblichen internationalen Übereinkünfte und unter gebührender Wahrung der Grundrechte nachkommen. Diese Verordnung sollte die Verantwortlichkeiten der für die Suche und Rettung auf See zuständigen Behörden unberührt lassen, einschließlich ihrer Verantwortlichkeit sicherzustellen, dass die Koordinierung und die Zusammenarbeit in der Weise erfolgen, dass die geretteten Personen in einen Hafen oder an einen sicheren Ort gebracht werden können.

(9)       Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 werden die von der Agentur koordinierten Grenzüberwachungseinsätze entsprechend einem Einsatzplan durchgeführt. Daher sollte der Einsatzplan bei Seeeinsätzen spezielle Informationen zur Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung und Rechtsvorschriften in dem räumlichen Gebiet, in dem der gemeinsame Einsatz oder das Pilotprojekt stattfindet, einschließlich Verweise auf Völkerrecht und die Rechtsvorschriften der Union im Zusammenhang mit dem Abfangen von Schiffen, Rettungen auf See und Ausschiffungen, enthalten. In der vorliegenden Verordnung werden das Abfangen von Schiffen, die Rettung auf See und die Ausschiffung im Rahmen der von der Agentur koordinierten Überwachungseinsätze an Seegrenzen geregelt.

(10)     Im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 wird für jeden Seeeinsatz im Aufnahmemitgliedstaat eine Koordinierungsstruktur geschaffen, die aus Beamten aus dem Aufnahmemitgliedstaat, abgestellten Beamten und Vertretern der Agentur, einschließlich des Koordinierungsbeamten der Agentur, besteht. Die in der Regel als internationale Leitstelle bezeichnete Koordinierungsstruktur sollte als Kanal für die Kommunikation zwischen den an dem Seeeinsatz beteiligten Beamten und den betreffenden Behörden genutzt werden.

(11)     Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und achtet die Grundsätze, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich das Recht auf Leben, die Würde des Menschen, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Grundsätze der Nichtzurückweisung und der Nichtdiskriminierung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das Asylrecht und die Rechte des Kindes.

(12)     Da sich die Ziele der zu treffenden Maßnahme, nämlich die Festlegung spezieller Regelungen für die Überwachung der Seegrenzen durch Grenzschutzbeamte unter Federführung der Agentur auf Ebene der Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Rechtsvorschriften und Praktiken nicht ausreichend verwirklichen lassen und daher wegen des multinationalen Charakters der Einsätze besser auf Unionsebene zu erreichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Grundsatz der Subsidiarität tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.

(13)     Nach den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet. Da mit dieser Verordnung der Schengen-Besitzstand gemäß Titel V des dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union weiterentwickelt wird, entscheidet Dänemark gemäß Artikel 4 des genannten Protokolls binnen sechs Monaten nach der Annahme der Verordnung, ob es diese in innerstaatliches Recht umsetzt.

(14)     Für Island und Norwegen stellt diese Verordnung eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Übereinkommens zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands[16] dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG[17] des Rates zum Erlass bestimmter Durchführungsvorschriften zu jenem Übereinkommen genannten Bereich fallen.

(15)     Für die Schweiz stellt diese Verordnung eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands[18] dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG in Verbindung mit Artikel 3 des Beschlusses 2008/146/EG des Rates vom 28. Januar 2008 über den Abschluss — im Namen der Europäischen Gemeinschaft — dieses Abkommens[19] genannten Bereich fallen.

(16)     Für Liechtenstein stellt diese Verordnung eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Protokolls zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG[20] in Verbindung mit Artikel 3 des Beschlusses 2011/350/EU des Rates vom 7. März 2011 über den Abschluss dieses Protokolls im Namen der Europäischen Union[21] genannten Bereich fallen.

(17)     Diese Verordnung stellt eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands dar, die auf das Vereinigte Königreich gemäß dem Beschluss 2000/365/EG des Rates vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden[22], keine Anwendung finden. Das Vereinigte Königreich beteiligt sich daher nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.

(18)     Diese Verordnung stellt eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands dar, die auf Irland gemäß dem Beschluss 2002/192/EG des Rates vom 28. Februar 2002 zum Antrag Irlands auf Anwendung einzelner Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf Irland[23] keine Anwendung finden. Irland beteiligt sich daher nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet –

HABEN FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:

KAPITEL I

ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

Artikel 1

Geltungsbereich

Diese Verordnung gilt für Grenzüberwachungseinsätze, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit an ihren Seeaußengrenzen durchführen.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.           „Agentur“ die mit der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 errichtete Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union;

2.           „Seeeinsatz“ einen gemeinsamen Einsatz, ein Pilotprojekt oder einen Soforteinsatz, den/das die Mitgliedstaaten unter Federführung der Agentur zur Überwachung ihrer Seeaußengrenzen durchführen;

3.           „Aufnahmemitgliedstaat“ einen Mitgliedstaat, in dem ein Seeeinsatz stattfindet oder von dem aus ein Seeeinsatz eingeleitet wird;

4.           „beteiligter Mitgliedstaat“ einen Mitgliedstaat, der sich durch Bereitstellung von Material oder Personal an einem Seeeinsatz beteiligt, aber kein Aufnahmemitgliedstaat ist;

5.           „beteiligte Einsatzkräfte“ die See- oder Lufteinsatzkräfte des Aufnahmemitgliedstaats oder eines beteiligten Mitgliedstaats;

6.           „internationale Leitstelle“ die im Aufnahmemitgliedstaat zur Koordinierung des Seeeinsatzes eingerichtete Koordinierungsstruktur;

7.           „nationale Leitstelle“ das für die Zwecke des Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR) gemäß der Verordnung (EU) Nr. […/…] eingerichtete nationale Koordinierungszentrum;

8.           „Schiff “ ein Boot, Wasserfahrzeug oder sonstiges auf See verwendetes Fahrzeug;

9.           „staatenloses Schiff“ ein Schiff, das keine Staatszugehörigkeit besitzt oder einem Schiff ohne Staatszugehörigkeit gleichzustellen ist, wenn das Schiff von keinem Staat die Berechtigung zur Führung seiner Flagge erhalten hat oder die Flaggen von zwei oder mehr Staaten führt und diese nach Belieben verwendet;

10.         „Protokoll gegen die Schleusung von Migranten“ das Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg zu dem im Dezember 2000 in Palermo, Italien, unterzeichneten Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität;

11.         „sicherer Ort“ einen Ort, an dem Rettungseinsätze als beendet angesehen werden und an dem die Sicherheit des Lebens der Geretteten auch in Bezug auf den Schutz ihrer Grundrechte nicht bedroht ist, an dem ihre menschlichen Grundbedürfnisse erfüllt und von dem aus Vorkehrungen für die Verbringung der Geretteten an den nächsten oder den endgültigen Bestimmungsort getroffen werden können;

12.         „Rettungsleitstelle“, eine Stelle, die dafür verantwortlich ist, die effiziente Organisation von Such- und Rettungsdiensten zu fördern und die Durchführung von Such- und Rettungseinsätzen innerhalb eines Such- und Rettungsbereichs im Sinne des Internationalen Übereinkommens über den Such- und Rettungsdienst auf See von 1979 zu koordinieren.

KAPITEL II

ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN

Artikel 3

Sicherheit auf See

Die zum Zwecke eines Seeeinsatzes getroffenen Maßnahmen werden so durchgeführt, dass die Sicherheit der aufgegriffenen oder geretteten Personen und die Sicherheit der beteiligten Einsatzkräfte nicht gefährdet ist.

Artikel 4

Schutz der Grundrechte und Grundsatz der Nichtzurückweisung

(1)          Niemand wird ausgeschifft oder auf andere Weise den Behörden eines Staates überstellt, in dem der betreffenden Person Todesstrafe, Folter oder eine sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe drohen oder in dem eine ernsthafte Gefahr der Ausweisung, Abschiebung oder Auslieferung in ein anderes Land unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung besteht.

(2)          Vor der Entscheidung über die Ausschiffung in einem Drittstaat berücksichtigen die beteiligten Einsatzkräfte die allgemeine Lage in diesem Drittstaat, und die aufgegriffenen oder geretteten Personen werden nicht in diesem Drittstaat ausgeschifft, wenn dem Aufnahmemitgliedstaat oder den beteiligten Mitgliedstaaten bekannt ist oder bekannt sein müsste, dass dieser Drittstaat die in Absatz 1 genannten Praktiken anwendet.

(3)          Im Falle der Ausschiffung in einem Drittstaat stellen die beteiligten Einsatzkräfte die Identität der aufgegriffenen oder geretteten Personen fest und bewerten ihre persönliche Situation vor der Ausschiffung so weit wie möglich. Sie unterrichten die aufgegriffenen oder geretteten Personen auf geeignete Weise über den Ort der Ausschiffung und geben ihnen Gelegenheit, etwaige Gründe für die Annahme, dass die Ausschiffung an dem vorgeschlagenen Ort gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt, vorzubringen.

(4)          Während des gesamten Seeeinsatzes tragen die beteiligten Einsatzkräfte den besonderen Bedürfnissen von Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen, die dringend medizinischer Hilfe bedürfen, Personen, die internationalen Schutz benötigen, und anderen Personen, die sich in einer besonders schwierigen Situation befinden, Rechnung.

(5)          An einem Seeeinsatz beteiligte Grenzschutzbeamte werden im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen der Grundrechte, des Flüchtlingsrechts und des internationalen Rechtsrahmens für die Suche und Rettung geschult.

KAPITEL III

BESONDERE BESTIMMUNGEN

Artikel 5

Sichtung

(1)          Bei Sichtung eines Schiffs, bei dem der Verdacht besteht, dass es die Grenze irregulär überquert oder zu überqueren beabsichtigt, nähern sich die beteiligten Einsatzkräfte dem Schiff, um seine Identität und seine Staatszugehörigkeit festzustellen, und beobachten es bis auf Weiteres aus sicherer Entfernung. Die beteiligten Einsatzkräfte übermitteln die Informationen über das Schiff umgehend der internationalen Leitstelle.

(2)          Ist das Schiff im Begriff, in das Küstenmeer oder die Anschlusszone eines an dem Seeeinsatz nicht beteiligten Mitgliedstaats einzulaufen, oder ist es bereits eingelaufen, übermitteln die beteiligten Einsatzkräfte die Informationen über das Schiff der internationalen Leitstelle, die diese an die nationale Leitstelle des betreffenden Mitgliedstaats weiterleitet.

(3)          Besteht der Verdacht, dass außerhalb des Seeeinsatzbereichs ein Schiff für illegale Handlungen auf See benutzt wird, übermitteln die beteiligten Einsatzkräfte die entsprechenden Informationen der internationalen Leitstelle, die diese an die nationale Leitstelle des betreffenden Mitgliedstaats beziehungsweise der betreffenden Mitgliedstaaten weiterleitet.

Artikel 6

Abfangen im Küstenmeer

(1)          Im Küstenmeer des Aufnahmemitgliedstaats oder eines beteiligten Mitgliedstaats ergreifen die beteiligten Einsatzkräfte bei begründetem Verdacht, dass ein Schiff Personen befördert, die sich den Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu entziehen beabsichtigen, oder auf dem Seeweg Migranten schleust, eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:

a)      Ersuchen um Information und Vorlage von Dokumenten zum Nachweis der Eigentumsverhältnisse, der Registrierung, des Reiseverlaufs sowie der Identität, Staatsangehörigkeit und anderer einschlägiger Personalien der an Bord befindlichen Personen;

b)      Anhalten und Betreten des Schiffs, Durchsuchen des Schiffs, seiner Ladung und der an Bord befindlichen Personen sowie Befragung der an Bord befindlichen Personen;

c)      Unterrichtung der an Bord befindlichen Personen, dass ihnen der Grenzübertritt nicht gestattet werden kann und dass Schiffsführer durch das Ermöglichen der Fahrt mit Sanktionen belegt werden können;

d)      Beschlagnahme des Schiffs und Festnahme der an Bord befindlichen Personen;

e)      Erteilen der Anweisung an das Schiff, den Kurs zu ändern und entweder einen Bestimmungsort außerhalb des Küstenmeers oder der Anschlusszone anzusteuern beziehungsweise diese zu verlassen, einschließlich Eskortieren oder Geleiten des Schiffs, bis es sich auf diesem Kurs befindet;

f)       Führen des Schiffs beziehungsweise Beförderung der an Bord befindlichen Personen bis zu dem Aufnahmemitgliedstaat, einem anderen am Einsatz beteiligten Mitgliedstaat oder dem Küstenmitgliedstaat.

(2)          Der Aufnahmemitgliedstaat oder der beteiligte Mitgliedstaat, in dessen Küstenmeer das Abfangen erfolgt, genehmigt die in Absatz 1 genannten Maßnahmen und erteilt den beteiligten Einsatzkräften über die internationale Leitstelle geeignete Anweisungen. Die beteiligten Einsatzkräfte unterrichten den Aufnahmemitgliedstaat über die internationale Leitstelle, wenn der Kapitän des Schiffs die Benachrichtigung eines diplomatischen Vertreters oder Konsularbeamten des Flaggenstaates verlangt.

(3)          Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, das keine Staatszugehörigkeit besitzt oder einem Schiff ohne Staatszugehörigkeit gleichzustellen ist, Personen befördert, die sich den Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu entziehen beabsichtigen, oder dass das Schiff für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg benutzt wird, so erteilt der Aufnahmemitgliedstaat oder der beteiligte Mitgliedstaat, in dessen Küstenmeer das staatenlose Schiff abgefangen wird, den beteiligten Einsatzkräften die Genehmigung und die Anweisung, das Schiff anzuhalten und Maßnahmen gemäß Absatz 1 zu ergreifen.

(4)          Jeder Einsatz im Küstenmeer eines am Seeeinsatz nicht beteiligten Mitgliedstaats wird im Einklang mit der Genehmigung dieses Mitgliedstaats durchgeführt. Die internationale Leitstelle wird über den gesamten Nachrichtenverkehr mit diesem Mitgliedstaat und über die von diesem Mitgliedstaat genehmigten weiteren Maßnahmen unterrichtet.

Artikel 7

Abfangen auf Hoher See

(1)          Auf Hoher See ergreifen die beteiligten Einsatzkräfte bei begründetem Verdacht, dass ein Schiff für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg benutzt wird, vorbehaltlich der Genehmigung des Flaggenstaates gemäß dem Protokoll gegen die Schleusung von Migranten eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:

a)      Ersuchen um Information und Vorlage von Dokumenten zum Nachweis der Eigentumsverhältnisse, der Registrierung, des Reiseverlaufs sowie der Identität, Staatsangehörigkeit und anderer einschlägiger Personalien der an Bord befindlichen Personen;

b)      Anhalten und Betreten des Schiffs, Durchsuchen des Schiffs, seiner Ladung und der an Bord befindlichen Personen sowie Befragung der an Bord befindlichen Personen;

c)      Unterrichtung der an Bord befindlichen Personen, dass sie unter Umständen nicht zum Grenzübertritt berechtigt sind und dass Schiffsführer durch das Ermöglichen der Fahrt mit Sanktionen belegt werden können;

d)      Beschlagnahme des Schiffs und Festnahme der an Bord befindlichen Personen;

e)      Erteilen der Anweisung an das Schiff, den Kurs zu ändern und entweder einen Bestimmungsort außerhalb des Küstenmeers oder der Anschlusszone anzusteuern beziehungsweise diese zu verlassen, einschließlich Eskortieren oder Geleiten des Schiffs, bis es sich auf diesem Kurs befindet;

f)       Führen des Schiffs beziehungsweise Beförderung der an Bord befindlichen Personen zu einem Drittstaat oder aber Überstellung des Schiffs beziehungsweise der an Bord befindlichen Personen an die Behörden eines Drittstaats;

g)      Führen des Schiffs beziehungsweise Beförderung der an Bord befindlichen Personen bis zu dem Aufnahmemitgliedstaat oder einem anderen am Einsatz beteiligten Mitgliedstaat.

(2)          Führt das Schiff die Flagge oder das Registrierungszeichen des Aufnahmemitgliedstaats oder eines beteiligten Mitgliedstaats, so genehmigt dieser Mitgliedstaat nach Bestätigung der Staatszugehörigkeit des Schiffs die in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen.

(3)          Führt das Schiff die Flagge oder das Registrierungszeichen eines an dem Seeeinsatz nicht beteiligten Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, so benachrichtigt ‑ je nachdem, wessen beteiligte Einsatzkräfte das Schiff abgefangen haben ‑ entweder der Aufnahmemitgliedstaat oder der beteiligte Mitgliedstaat den Flaggenstaat, fordert eine Bestätigung der Registrierung an und ersucht den Flaggenstaat bei Bestätigung der Staatszugehörigkeit um Genehmigung, die in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Der Aufnahmemitgliedstaat oder der beteiligte Mitgliedstaat unterrichten die internationale Leitstelle über den gesamten Nachrichtenverkehr mit dem Flaggenstaat und über die von diesem genehmigten Maßnahmen.

(4)          Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, obgleich es eine fremde Flagge führt oder sich weigert, seine Flagge zu zeigen, die gleiche Staatszugehörigkeit besitzt wie die beteiligten Einsatzkräfte, so überprüfen diese die Berechtigung des Schiffs zur Flaggenführung. Zu diesem Zweck können sie sich dem verdächtigen Schiff nähern. Bleibt der Verdacht nach Prüfung der Dokumente bestehen, so nehmen sie eine weitere Untersuchung an Bord des Schiffs vor, die so rücksichtsvoll wie möglich durchzuführen ist. Mit dem beteiligten Mitgliedstaat, unter dessen Flagge das Schiff vorgeblich steht, wird über geeignete Kommunikationskanäle Kontakt aufgenommen.

(5)          Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, welches eine fremde Flagge führt oder sich weigert, seine Flagge zu zeigen, in Wirklichkeit die Staatszugehörigkeit zum Aufnahmemitgliedstaat oder zu einem anderen beteiligten Mitgliedstaat besitzt, so überprüfen die beteiligten Einsatzkräfte mit Genehmigung dieses Mitgliedstaats die Berechtigung des Schiffs zur Flaggenführung.

(6)          Bestätigt sich in den in den Absätzen 4 oder 5 genannten Fällen der Verdacht hinsichtlich der Staatszugehörigkeit des Schiffs, genehmigt der Aufnahmemitgliedstaat beziehungsweise der beteiligte Mitgliedstaat die in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen.

(7)          Solange der Flaggenstaat keine Genehmigung für weitere Maßnahmen erteilt hat, wird das Schiff aus sicherer Entfernung beobachtet. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Flaggenstaates werden keine weiteren Maßnahmen getroffen, außer solchen, die erforderlich sind, um eine unmittelbare Gefahr für Menschenleben abzuwenden, beziehungsweise solchen Maßnahmen, die sich aus einschlägigen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften ableiten.

(8)          Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, das keine Staatszugehörigkeit besitzt oder einem Schiff ohne Staatszugehörigkeit gleichzustellen ist, für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg benutzt wird, können die beteiligten Einsatzkräfte das Schiff betreten und anhalten, um seine Staatenlosigkeit zu überprüfen. Bestätigt sich der Verdacht, können im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht und dem Völkerrecht weitere geeignete Maßnahmen nach Absatz 1 ergriffen werden.

(9)          Ein Mitgliedstaat, der eine Maßnahme nach Absatz 1 ergriffen hat, unterrichtet den Flaggenstaat unverzüglich über die Ergebnisse dieser Maßnahme.

(10)        Der den Aufnahmemitgliedstaat beziehungsweise einen beteiligten Mitgliedstaat in der internationalen Leitstelle vertretende nationale Beamte wird nach nationalem Recht ermächtigt, die Überprüfung der Berechtigung eines Schiffs zur Führung der Flagge des betreffenden Mitgliedstaats oder die Ergreifung der in Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen zu genehmigen.

(11)        Wenn sich der Verdacht, dass ein Schiff für die Schleusung von Migranten auf Hoher See benutzt wird, nicht bestätigt oder die beteiligten Einsatzkräfte keine Handlungszuständigkeit besitzen, jedoch weiterhin ein begründeter Verdacht besteht, dass das Schiff Personen befördert, die die Grenze eines Mitgliedstaats zu erreichen und sich den Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu entziehen beabsichtigen, so wird das Schiff weiter beobachtet. Die internationale Leitstelle übermittelt die Informationen über das Schiff der nationalen Leitstelle des Mitgliedstaats, den es ansteuert.

Artikel 8

Abfangen in der Anschlusszone

(1)          In der Anschlusszone des Küstenmeers eines Mitgliedstaats, der ein Aufnahmemitgliedstaat oder ein beteiligter Mitgliedstaat ist, werden im Einklang mit Artikel 6 Absatz 2 die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen ergriffen.

(2)          Die in Artikel 6 Absatz 1 vorgesehenen Maßnahmen werden in der Anschlusszone eines Mitgliedstaats, der nicht an dem Seeeinsatz beteiligt ist, nicht ohne die Genehmigung dieses Mitgliedstaats ergriffen. Die internationale Leitstelle wird über den gesamten Nachrichtenverkehr mit diesem Mitgliedstaat und über die von diesem Mitgliedstaat genehmigten weiteren Maßnahmen unterrichtet.

(3)          Durchquert ein staatenloses Schiff die Anschlusszone, findet Artikel 7 Absatz 8 Anwendung.

Artikel 9

Such- und Rettungssituationen

(1)          Während eines Seeeinsatzes leisten die beteiligten Einsatzkräfte jedem in Seenot befindlichen Schiff und jeder in Seenot befindlichen Person Hilfe. Die Hilfe wird ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den Status einer solchen Person oder die Umstände, unter denen die Person aufgefunden wird, geleistet.

(2)          Wenn im Verlauf eines Seeeinsatzes in Bezug auf ein Schiff oder eine an Bord befindliche Person eine Situation der Ungewissheitsstufe, der Bereitschaftsstufe oder der Notstufe eintritt, übermitteln die beteiligten Einsatzkräfte der für den Such- und Rettungsbereich zuständigen Rettungsleitstelle so schnell wie möglich alle vorhandenen Lageinformationen.

(3)          Ein Schiff beziehungsweise die Personen an Bord dieses Schiffs befinden sich insbesondere dann in einer Situation der Ungewissheitsstufe, wenn

a)      Zweifel an der Sicherheit des Schiffs oder der an Bord befindlichen Personen bestehen oder

b)      Informationen über die Bewegung oder Position des Schiffs fehlen.

(4)          Ein Schiff beziehungsweise die Personen an Bord dieses Schiffs befinden sich insbesondere dann in einer Situation der Bereitschaftsstufe, wenn

a)      Befürchtungen hinsichtlich der Sicherheit des Schiffs oder der an Bord befindlichen Personen bestehen, weil Informationen vorliegen, dass ernsthafte Schwierigkeiten bestehen, aber eine Situation der Notstufe unwahrscheinlich ist, oder

b)      Informationen über die Bewegung oder Position des Schiffs weiterhin fehlen.

(5)          Ein Schiff beziehungsweise die Personen an Bord dieses Schiffs befinden sich insbesondere dann in einer Situation der Notstufe, wenn

a)      konkrete Informationen eingegangen sind, dass das Schiff oder eine Person an Bord dieses Schiffs in Gefahr ist und sofortige Hilfe benötigt, oder

b)      Versuche zur Kontaktaufnahme mit dem Schiff fehlschlagen und erfolglose Nachforschungen darauf schließen lassen, dass sich das Schiff wahrscheinlich in Seenot befindet, oder

c)      Informationen eingegangen sind, die darauf schließen lassen, dass die Betriebstüchtigkeit des Schiffs in dem Maße beeinträchtigt ist, dass eine Notlage wahrscheinlich ist.

(6)          Bei der Lagebeurteilung für die Zwecke der Absätze 3 bis 5 berücksichtigen die beteiligten Einsatzkräfte alle maßgeblichen Faktoren, unter anderem

a)      ob ein Hilfeersuchen vorliegt,

b)      ob das Schiff seetüchtig ist und wie wahrscheinlich es ist, dass das Schiff sein Ziel nicht erreichen wird,

c)      ob die Anzahl der Passagiere in einem angemessenen Verhältnis zur Art und zum Zustand des Schiffs steht,

d)      ob die notwendigen Vorräte wie Treibstoff, Wasser und Nahrungsmittel für die Weiterfahrt bis zur Küste vorhanden sind,

e)      ob eine qualifizierte Besatzung und Schiffsführung vorhanden sind,

f)       ob eine leistungsfähige Sicherheits-, Navigations- und Kommunikationsausrüstung vorhanden ist,

g)      ob Passagiere an Bord sind, die dringend medizinische Hilfe benötigen,

h)      ob Tote an Bord sind,

i)       ob Schwangere oder Kinder an Bord sind,

j)       wie Wetterbedingungen und Seegang, einschließlich Wetter- und Seewettervorhersage, sind.

(7)          Die beteiligten Einsatzkräfte übermitteln ihre Lagebewertung umgehend der zuständigen Rettungsleitstelle. Die beteiligten Einsatzkräfte warten die Anweisungen der Rettungsleitstelle ab und treffen unterdessen alle erforderlichen Maßnahmen, um die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten.

(8)          Ob eine Notlage vorliegt, wird nicht ausschließlich davon abhängig gemacht oder danach beurteilt, ob um Hilfe ersucht wurde. Weigern sich die Personen an Bord eines Schiffs, das sich offensichtlich in einer Situation der Notstufe befindet, Hilfe anzunehmen, informieren die beteiligten Einsatzkräfte die Rettungsleitstelle und treffen im Rahmen der Sorgfaltspflicht alle weiteren für den Schutz der betroffenen Personen erforderlichen Maßnahmen; dabei wird das Schiff aus sicherer Entfernung beobachtet und werden alle Maßnahmen vermieden, die die Lage verschlimmern oder die Verletzungs- oder Lebensgefahr vergrößern könnten.

(9)          Reagiert die zuständige Rettungsleitstelle des Such- und Rettungsbereichs des Drittstaats nicht auf die Meldung der beteiligten Einsatzkräfte, so nehmen Letztere Verbindung zur Rettungsleitstelle des Aufnahmemitgliedstaats auf, es sei denn, eine andere Rettungsleitstelle ist besser in der Lage, die Koordinierung des Such- und Rettungseinsatzes zu übernehmen.

(10)        Die beteiligten Einsatzkräfte unterrichten so bald wie möglich die internationale Leitstelle über etwaige Kontakte zur Rettungsleitstelle und über die von ihnen ergriffenen Maßnahmen.

(11)        Befindet sich das Schiff nicht oder nicht mehr in einer Notlage oder ist der Such- und Rettungseinsatz abgeschlossen, setzen die beteiligten Einsatzkräfte in Absprache mit der internationalen Leitstelle den Seeeinsatz fort.

Artikel 10

Ausschiffung

(1)          Die Modalitäten für die Ausschiffung der bei einem Seeeinsatz aufgegriffenen oder geretteten Personen werden im Einsatzplan festgelegt. Diese Ausschiffungsmodalitäten bewirken nicht, dass den am Seeeinsatz nicht beteiligten Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegt werden, es sei denn, sie haben gemäß Artikel 6 Absatz 4 oder Artikel 8 Absatz 2 Maßnahmen in ihrem Küstenmeer oder der Anschlusszone ausdrücklich genehmigt.

(2)          Bei einem Abfangen im Küstenmeer oder der Anschlusszone nach Maßgabe des Artikels 6 Absatz 2 oder des Artikels 8 Absatz 1 findet die Ausschiffung im Aufnahmemitgliedstaat oder in dem beteiligten Mitgliedstaat statt, in dessen Hoheitsgewässern oder Anschlusszone das Abfangen erfolgt.

Bei einem Abfangen im Küstenmeer oder der Anschlusszone nach Maßgabe des Artikels 6 Absatz 4 oder des Artikels 8 Absatz 2 findet die Ausschiffung in dem Mitgliedstaat statt, in dessen Hoheitsgewässern oder Anschlusszone das Abfangen erfolgt.

(3)          Vorbehaltlich des Artikels 4 kann die Ausschiffung bei einem Abfangen auf Hoher See nach Maßgabe des Artikels 7 in dem Drittstaat stattfinden, von dem aus das Schiff ausgelaufen ist. Ist dies nicht möglich, erfolgt die Ausschiffung im Aufnahmemitgliedstaat.

(4)          Bei Such- und Rettungssituationen nach Maßgabe des Artikels 9 arbeiten die beteiligten Einsatzkräfte mit der zuständigen Rettungsleitstelle zusammen, um für die geretteten Personen einen geeigneten Hafen oder sicheren Ort zur Verfügung zu stellen und eine rasche effektive Ausschiffung zu gewährleisten.

Unbeschadet der Verantwortlichkeit der Rettungsleitstelle stellen der Aufnahmemitgliedstaat und die beteiligten Mitgliedstaaten so bald wie möglich sicher, dass unter Berücksichtigung maßgeblicher Faktoren wie der Entfernung von den nächstgelegenen Häfen oder sicheren Orten, der Risiken und der jeweiligen Umstände, ein Hafen oder sicherer Ort ermittelt wird.

Werden die beteiligten Einsatzkräfte nicht so schnell, wie es nach vernünftigem Ermessen unter Berücksichtigung der Sicherheit sowohl der Geretteten als auch der beteiligten Einsatzkräfte möglich ist, von ihrer Verpflichtung nach Artikel 9 Absatz 1 befreit, dürfen sie die geretteten Personen im Aufnahmemitgliedstaat ausschiffen.

(5)          Die beteiligten Einsatzkräfte informieren die internationale Leitstelle über die Präsenz von Personen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1, und die internationale Leitstelle leitet diese Informationen an die zuständigen nationalen Behörden weiter. Auf der Grundlage dieser Informationen wird im Einsatzplan festgelegt, welche Folgemaßnahmen getroffen werden können.

KAPITEL IV

SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 11

Inkrafttreten

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt gemäß den Verträgen unmittelbar in den Mitgliedstaaten.

Geschehen zu Brüssel am […]

Im Namen des Europäischen Parlaments     Im Namen des Rates

Der Präsident / Die Präsidentin                    Der Präsident / Die Präsidentin

[1]               Beschluss des Rates vom 26. April 2010 zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit (ABl. L 111 vom 4.5.2010, S. 20).

[2]               Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 29./30. Oktober 2009.

[3]               Siehe Nummer 5.1 des Stockholmer Programms „Integriertes Grenzmanagement für die Außengrenzen“ (ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1).

[4]               Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1).

[5]               C-355/10: Europäisches Parlament / Rat der Europäischen Union unter http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C,T,F&num=C-355/10&td=ALL# (noch nicht in der Slg. der Rechtsprechung veröffentlicht).

[6]               Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1).

[7]               Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Study on the international law instruments in relation to illegal immigration by sea, SEC(2007) 691.

[8]               Verordnung (EU) Nr. 1168/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 1).

[9]               Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Große Kammer) vom 23. Februar 2012 (Antrag Nr. 27765/09), unter http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i=001-109231#{"itemid":["001-109231"]}.

[10]             Die Anschlusszone ist in Artikel 33 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen geregelt. Sie ist eine an das Küstenmeer angrenzende Zone, die sich nicht weiter als 24 Seemeilen über die Basislinien hinaus erstrecken darf, von denen aus die Breite des Küstenmeers gemessen wird. Je nachdem, ob der betreffende Küstenstaat eine ausschließliche Wirtschaftszone ausgerufen hat, gehört sie entweder zur ausschließlichen Wirtschaftszone oder zur Hohen See, und sie ist eine Zone, in der die Freiheit der Schifffahrt gilt. Auch wenn die Anschlusszone nicht zum Küstenmeer gehört, kann der Küstenstaat doch die notwendige Kontrolle darüber ausüben und Verstöße ahnden, die auf seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Küstenmeer gegen seine Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Bereichen Zoll, Finanzen, Einwanderung und Gesundheitsschutz verübt werden, sowie Maßnahmen zur Verhinderung solcher Verstöße treffen.

[11]             Resolution 1821 (2011) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

[12]             Resolution MSC.167(78) vom 20. Mai 2004.

[13]             ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1.

[14]             ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1.

[15]             ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13.

[16]             ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 36.

[17]             ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 31.

[18]             ABl. L 53 vom 27.2.2008, S. 52.

[19]             ABl. L 53 vom 27.2.2008, S. 1.

[20]             ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 31.

[21]             ABl. L 160 vom 18.6.2011, S. 19.

[22]             ABl. L 131 vom 1.6.2000, S. 43.

[23]             ABl. L 64 vom 7.3.2002, S. 20.

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