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Document 52012IE0154

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Errichtung einer künftigen Europäischen Energiegemeinschaft“ ( Initiativstellungnahme )

OJ C 68, 6.3.2012, p. 15–20 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

6.3.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 68/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Errichtung einer künftigen Europäischen Energiegemeinschaft“ (Initiativstellungnahme)

2012/C 68/03

Berichterstatter: Pierre-Jean COULON

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. Juni 2011 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Errichtung einer künftigen Europäischen Energiegemeinschaft“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. Dezember 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 477. Plenartagung am 18./19. Januar 2012 (Sitzung vom 18. Januar) mit 183 gegen 2 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt die jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission zum Ausbau des Verbunds und zur Vollendung des Energiebinnenmarkts. Er unterstützt auch die Bemühungen, insbesondere die des Rates, zur Stärkung der internationalen Position der EU und der Mitgliedstaaten. Der EWSA nimmt insbesondere den Energiefahrplan 2050 zur Kenntnis, den die Europäische Kommission am 15. Dezember 2011 vorgelegt hat, vor allem um „zu einer europäischen Herangehensweise zu gelangen, bei der alle Mitgliedstaaten von einem gemeinsamen Verständnis […] ausgehen […]“.

1.2   Der EWSA unterstützt grundsätzlich die Schaffung einer Europäischen Energiegemeinschaft (EEG) und stimmt auch den dazu erforderlichen Zwischenschritten zu, vor allem den regionalen europäischen Energienetzen, dem Fonds für die Entwicklung erneuerbarer Energieträger und der Einkaufsallianz für Erdgas.

1.3   Der EWSA empfiehlt, weitere Schritte zu unternehmen und die europäischen Märkte zu integrieren, um zu einer Annäherung und Senkung der Energiepreise zu gelangen. Er fordert auch, dass auf EU-Ebene die kohärentesten und effizientesten Entscheidungen mit Blick auf den Energiemix getroffen werden. So könnten Ländergruppen förmliche Vereinbarungen über eine verstärkte Zusammenarbeit auf der Grundlage vorrangiger Infrastruktur- oder Verbundvorhaben und der gegenseitigen Ergänzung bei der Energieerzeugung und -versorgung eingehen.

1.4   Der EWSA schlägt vor, Investitionen, auch einzelstaatliche, auf die Forschung im Bereich der CO2-armen Energietechnologien zu konzentrieren. Der Schwerpunkt sollte auf die erneuerbaren Energieträger und Großprojekte gelegt werden, die zur Reindustrialisierung Europas sowie zur Beschäftigungsförderung beitragen können.

1.5   Nach Auffassung des EWSA sollte der allgemeine Zugang zu Energie zu den Zielen der gemeinsamen Energiepolitik der EU gehören. Er fordert, dass die zuständigen Stellen bzw. die Energieverteiler die Endverbraucher systematisch über ihre Rechte aufklären und dass der Verbraucherschutz gegebenenfalls gestärkt wird. Er empfiehlt, unverzüglich das Problem der Energiearmut anzugehen, insbesondere durch einen europäischen Pakt der Energiesolidarität.

1.6   Der EWSA spricht sich für die Schaffung einer gemeinsamen Struktur für die Versorgung mit fossilen Energieträgern aus. Er fordert die Stärkung der Zuständigkeiten der EU bei der Aushandlung und Kontrolle internationaler Abkommen über Energielieferungen.

1.7   Der EWSA empfiehlt, die Zusammenarbeit im Energiebereich mit den Entwicklungsländern und den Nachbarstaaten der EU im Sinne der Entwicklung und Partnerschaft zu vertiefen.

1.8   Angesichts der Bedeutung von Umweltfragen, der Höhe der zu tätigenden Investitionen, der sozialen Auswirkungen politischer Entscheidungen, der Folgen für das tägliche Leben sowie der erforderlichen Unterstützung durch die Öffentlichkeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürgerinnen und Bürger informiert und in die Diskussionen über Energiefragen eingebunden werden. Der EWSA fordert die Gründung eines europäischen Forums der Zivilgesellschaft, das sich mit Energiefragen beschäftigt, in dessen Rahmen die Mitgliederorganisationen ihre Standpunkte gegenüber den Entscheidungsträgern geltend machen können.

1.9   Im EWSA müssen regelmäßig strukturierte Diskussionen mit der europäischen Zivilgesellschaft über die Fortschritte bei der Schaffung der europäischen Energiegemeinschaft stattfinden.

1.10   Der EWSA empfiehlt, bis 2014 die Fortschritte auf der Grundlage von Artikel 194 AEUV zu bewerten und zu prüfen, ob im Einklang mit den Vorschlägen dieser Stellungnahme Veränderungen nötig sind.

2.   Die Energiepolitik der EU: Herausforderungen, Fortschritte, Grenzen

2.1   Die energiepolitische Situation innerhalb der EU ist durch ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Produktion und Verbrauch sowie eine starke und anhaltende Abhängigkeit von kohlenstoffhaltigen Energieträgern gekennzeichnet. Die Europäische Union steht deshalb gleichzeitig vor drei wichtigen Aufgaben, die zunächst einmal nur schwer miteinander vereinbar sind:

Eindämmung des Klimawandels und Übergang zu einer Gesellschaft mit geringem CO2-Ausstoß,

Integration und Effizienz des Energiebinnenmarkts sowie Gewährleistung erschwinglicher Energiepreise und

Sicherung der Energieversorgung.

2.2   Obwohl bereits 1996 die Schaffung eines Elektrizitäts- und Gasbinnenmarkts als Ziel beschlossen wurde (erstes Liberalisierungspaket), besteht der Energiebinnenmarkt fünfzehn Jahre später im Wesentlichen immer noch nur auf dem Papier: Nur 10 % des Stroms wird in ein anderes Land geleitet, die Verbraucher können nach wie vor keinen Anbieter mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat wählen, der Ausbau der erneuerbaren Energieträger – die die wichtigste Stromerzeugungsquelle werden sollen – beruht weiterhin auf nationalen Förderinstrumenten, die Netzplanung liegt immer noch zum großen Teil in nationaler Zuständigkeit (die Energieagentur ACER ist nur für die grenzüberschreitenden Kapazitäten zuständig, obwohl es in einem echten integrierten Markt auch gemeinsame Maßnahmen für die nationalen Netze geben sollte), die EU tritt gegenüber den Lieferländern noch immer nicht geeint auf usw. Die wichtigsten Maßnahmen, die die Gas- und Stromwirtschaft beeinflussen, werden nach wie vor hauptsächlich auf nationaler Ebene beschlossen.

2.3   Die Tragweite dieser Fragen und das hohe Maß an gegenseitiger politischer, wirtschaftlicher und technischer Abhängigkeit zwischen den Mitgliedstaaten der EU machen ein gemeinsames Vorgehen erforderlich, bei dem das kollektive Interesse der EU über die als national wahrgenommenen Interessen gestellt wird.

2.4   Nunmehr geht es darum, den Energiebinnenmarkt im Jahr 2014 zu vollenden. Die Errichtung eines europäischen Energiesystems entspricht den Wünschen der Europäer. Aus Eurobarometer-Umfragen des Europäischen Parlaments (EB Standard „Energie“ 74.3 vom 31.1.2011 und EB Spezial 75.1 vom 19.4.2011) geht hervor, dass erstens die Europäer glauben, dass Maßnahmen der EU einen zusätzlichen Nutzen bringen, und einen gemeinschaftlichen Ansatz bevorzugen, und zweitens ihre Sorgen den oben genannten großen Herausforderungen entsprechen und (in dieser Reihenfolge) der Preisstabilität, den erneuerbaren Energieträgern und der Sicherung der Energieversorgung gelten. 60 % der Europäer sind der Meinung, dass sie durch die Koordinierung mit anderen EU-Ländern in der Frage der Versorgungssicherheit besser geschützt wären. Schließlich sprechen sich 78 % der Europäer für den Vorschlag zur Gründung einer Europäischen Energiegemeinschaft aus.

2.5   Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU wieder an Ansehen gewinnen kann, wenn sie auf diese drängenden Sorgen der Bürgerinnen und Bürger eingeht. Die schrittweise Errichtung einer Europäischen Energiegemeinschaft ist der beste Weg, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der energiepolitischen Herausforderungen für die Europäer abzufedern. Die tatsächliche gegenseitige Abhängigkeit der Mitgliedstaaten in Energiefragen könnte eine erhebliche Gefahr für den Zusammenhalt der EU bedeuten, wenn sie nicht mit demokratischen Steuerungsinstrumenten einhergeht, mit deren Hilfe gemeinsame Entscheidungen zum Wohle aller getroffen werden können.

3.   Auf dem Weg zu einer Europäischen Energiegemeinschaft

3.1   Vor diesem Hintergrund hat Jacques DELORS angeregt, eine echte „Europäische Energiegemeinschaft“ (EEG) zu schaffen. Dieses Projekt wird von Jerzy BUZEK unterstützt. Der EWSA ist der Auffassung, dass dieses politische Vorhaben, das Gegenstand eines detaillierten Berichts der Strategiegruppe „Notre Europe“ war (http://www.notre-europe.eu/uploads/tx_publication/Etud_Energie_fr.pdf), eine geeignete Antwort auf die Herausforderungen sein und zugleich dem europäischen Aufbauwerk neues Ansehen und neuen Schwung verleihen könnte.

3.2   Es werden mehrere Optionen vorgeschlagen, die von der Beibehaltung des Status quo (Artikel 194 AEUV) bis zum Abschluss eines neuen europäischen Energievertrags reichen.

3.3   Auch Zwischenschritte werden vorgeschlagen:

eine verstärkte Zusammenarbeit im Hinblick auf europäische regionale Energienetze,

ein gemeinsamer Energiefonds für die Entwicklung neuer Technologien,

die Schaffung einer europäischen Einkaufsallianz für Erdgas.

3.4   Der EWSA, der bereits Stellungnahmen verabschiedet hat, in denen die Idee europäischer Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Energiebereich vorgetragen wird (1), ist der Auffassung, dass es darum geht, die durch den Bericht der Strategiegruppe „Notre Europe“ ausgelöste Dynamik zu nutzen und weitere Schritte zu unternehmen, indem die Zivilgesellschaft in die Debatte eingebunden wird und Maßnahmen umgesetzt werden, um die Integrations- und Kooperationsziele zu verwirklichen.

4.   Die Europäische Union auf dem Weg zu einer stärker integrierten Energiepolitik

4.1   Der EWSA begrüßt die Initiativen der Europäischen Kommission zur Bewältigung der energiepolitischen Herausforderungen, vor allem ihre jüngsten Vorschläge zu den Themen Krisenprävention, Netze und Infrastruktur sowie Sicherung der Versorgung aus Drittstaaten. Diese Vorschläge tragen zur Solidarität, zur Zusammenarbeit und zu einer höheren Effizienz bei und dienen einer gemeinsamen Vision.

4.2   Der EWSA begrüßt den jüngsten Vorschlag für eine Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (KOM(2011) 658 endg.), der sich aus dem 2010 vorgelegten Konzept für ein integriertes europäisches Energienetz ergibt (KOM(2010) 677 endg.). Er wird seine Position dazu in einer eigenen Stellungnahme formulieren (Stellungnahme TEN/470).

4.3   Der EWSA unterstützt die Initiativen der Kommission, der Energiepolitik der EU eine integrierte und kohärente externe Dimension zu verleihen, die dazu beiträgt, die Sicherheit der aus Drittstaaten stammenden Lieferungen zu gewährleisten (KOM(2011) 539 endg.). Der EWSA unterstützt jegliche Stärkung der Position der EU gegenüber ihren externen Partnern. Er beschäftigt sich mit dieser Frage in der Stellungnahme TEN/464.

4.4   Der EWSA unterstützt den Mechanismus für den Informationsaustausch über zwischenstaatliche Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten im Energiebereich (KOM(2011) 540 endg.). Dieser Vorschlag der Europäischen Kommission ist wichtig, um den Vorrang der kollektiven europäischen Interessen vor den nationalen Interessen zu bekräftigen (Stellungnahme TEN/464).

5.   Eine anspruchsvollere partizipative Dynamik zur Bewältigung künftiger Herausforderungen

5.1   Der EWSA ist der Auffassung, dass die gemeinsame Steuerung in Energiefragen trotz erheblicher Fortschritte weiter ausgestaltet werden muss, insbesondere mit Blick auf das Ziel eines Energiesystems mit geringem CO2-Ausstoß, das bis 2050 verwirklicht werden soll.

Ein integrierter europäischer Energiemarkt

5.2   Durch die europäischen Rechtsvorschriften im Energiebereich muss ein gemeinsamer Ansatz bei der Energieerzeugung stärker gefördert werden. Dies gilt besonders für die erneuerbaren Energieträger, bei denen nationale Ziele festgelegt wurden. Zu bevorzugen sind die Investitionen, die sowohl unter dem Aspekt der Kosten als auch des Nutzens ihrer Erzeugung im EU-Gebiet am lohnendsten sind. Nötig ist auch eine stärkere Solidarität, wenn es in Europa zu Produktionsausfällen kommt. Dazu kann eine Anpassung der europäischen Rechtsvorschriften erforderlich sein.

5.3   Der EWSA verweist deshalb darauf, wie wichtig es ist, die Netze gemeinsam zu planen und zusammenzuschalten, um Netzengpässe, vor allem an den Grenzen, zu überwinden. In diesem Bereich sollte die Europäische Kommission eine führende Rolle übernehmen. Außerdem müssen die privaten Betreiber Planungssicherheit haben, was den Ertrag des investierten Kapitals betrifft. In diesem Zusammenhang könnten öffentlich-private Partnerschaften in Erwägung gezogen werden.

5.4   Auch wenn die Wahl des Energiemixes in nationaler Zuständigkeit liegt, müssen die Mitgliedstaaten verantwortungsbewusste Entscheidungen im Bereich der Energieerzeugung treffen. Die Beschlüsse, die einige Mitgliedstaaten ohne Rücksprache gefasst haben, beispielsweise als Reaktion auf den Störfall in Fukushima, und die es erschwert haben, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Energienachfrage und -produktion auf regionaler Ebene herzustellen, müssen angesichts der starken gegenseitigen Abhängigkeit künftig auf EU-Ebene abgestimmt werden. Infolge der zunehmenden Nutzung erneuerbarer Energieträger muss langfristig gemeinsam gewährleistet werden, dass bei geringer Produktion aus erneuerbaren Energieträgern eine ausreichende Energiereserve als Puffer vorhanden ist.

5.5   Die fehlende Koordinierung beeinträchtigt die Sicherheit der Energieversorgung der Mitgliedstaaten und macht somit die gleichzeitig unternommenen Anstrengungen zur Stärkung des Verbunds und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zunichte. Und dabei darf der kurzfristige Ausstieg aus der Atomenergie, die nur geringe CO2-Emissionen verursacht, nicht durch den massiven Rückgriff auf umweltschädliche Energieträger kompensiert werden, weil dies den Zielen der EU zuwiderlaufen würde. Der Ausstieg muss in größtmöglicher Transparenz und in Absprache mit den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft erfolgen.

5.6   Der EWSA ist der Auffassung, dass die Unabhängigkeit der Energieversorgung angesichts der gegenseitigen Abhängigkeit der Mitgliedstaaten in Energiefragen perspektivisch gesehen nur auf europäischer, nicht jedoch auf nationaler Ebene verwirklicht werden kann.

5.7   Der EWSA schlägt vor, zu prüfen, ob kleinere Gruppen von Mitgliedstaaten oder Anbietern auf der Grundlage ihrer jeweiligen Energiemixe und ihrer Verfahren des grenzüberschreitenden Energieaustauschs gemeinsame Konzepte ausarbeiten könnten. Eine solche regionale Koordinierung würde mehr Kohärenz zwischen den jeweiligen energiepolitischen Entscheidungen der betroffenen Mitgliedstaaten sowie eine stärkere Sicherheit ihrer Versorgung gewährleisten. Diese Gruppen könnten im Übrigen die Energieressourcen aller ihrer Mitglieder besser nutzen, was die erneuerbaren Energieträger sowie die Grundlasterzeugung aus anderen Energiequellen betrifft.

5.8   Der EWSA schlägt vor, dass diese Gruppen selbst über ihren Energiemix sowie ihre Netzinfrastruktur entscheiden. So könnten kohärente und miteinander verbundene regionale Energiegemeinschaften geschaffen werden. Sie hätten den Vorteil, dass sie ähnliche Marktbedingungen (Energiepreise, Förderung erneuerbarer Energieträger, Beziehungen zu den Abnehmern usw.) zwischen den jeweiligen Mitgliedstaaten herbeiführen würden.

5.9   Die erfolgreiche Harmonisierung eines Politikbereichs in einigen Regionen Europas, nämlich die Koppelung der Märkte für die Zuweisung von Übertragungskapazitäten, beweist, dass die Harmonisierung von Politikbereichen eindeutig Auswirkungen auf die Integration der Märkte hat. Durch die Koppelung verschiedener Länder über die Preise entsteht ein einheitliches Handelsgebiet, in dem dann auch einheitliche Preise gelten, wenn die Verbindungskapazitäten den grenzübergreifenden Handel nicht beschränken. Sie trägt damit zur Entstehung des europäischen Elektrizitätsbinnenmarkts bei. „Nord Pool Spot“ hat 1993 ein Preissplitting eingeführt, und 2006 wurde erstmals eine Preiskopplung zwischen Frankreich, Belgien und den Niederlanden angewandt. Allmählich werden die Marktbedingungen so gestaltet, dass die Verbraucher Anbieter aus ganz Europa wählen können.

5.10   Der EWSA weist auf die wirtschaftlichen Chancen hin, die diese makroregionalen Gruppen für die Mitgliedstaaten bieten können, vor allem wegen größenbedingter Einsparungen und der Entwicklung der Industrie im Zusammenhang mit erneuerbaren Energieträgern.

5.11   Der EWSA weist darauf hin, dass er für einen diversifizierten und nachhaltigen Energiemix eintritt. Nationale Entscheidungen müssen im Einklang mit den Rechtsvorschriften und Zielen der EU stehen. Nach Auffassung des EWSA dürfen diese Entscheidungen keine unverhältnismäßigen negativen Auswirkungen auf Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft haben. Die EU muss deshalb nach breiter und transparenter Konsultierung der Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft neue Energiequellen erschließen, beispielsweise Schiefergas, um der Gefahr vorzubeugen, dass die einzelnen Mitgliedstaaten zunehmend unterschiedliche Konzepte verfolgen.

Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der EU: Bündelung und Aufstockung der Finanzmittel

5.12   Die gemeinsamen Forschungsanstrengungen der Mitgliedstaaten und Anbieter sind zu fördern, und es müssen geeignete Forschungsnetze und -gemeinschaften geschaffen werden, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energieträger und der emissionsarmen Technologien, beispielweise mit Hilfe von Plattformen für technische Forschung.

5.13   Angesichts der beträchtlichen Investitionen, die nötig sind, sowie der gegenwärtigen Haushaltszwänge sollten die verfügbaren Mittel auf die großen Aufgaben konzentriert werden. Die Finanzierung durch nationale Mittel muss stärker mit der Finanzierung durch europäische Mittel verknüpft werden. Dies kann erfordern, dass die Mitgliedstaaten ihre nationale Förderung für die Forschung an den Projekten einsetzen, die im Zusammenhang mit den Zielen der EU stehen.

5.14   Es muss geprüft werden, ob eine Konsolidierung der verfügbaren Mittel für Infrastruktur und Forschung die Wirksamkeit der Finanzierung erhöhen kann. Möglicherweise müssten dann Energieprojekte feste Beträge im Rahmen der verschiedenen europäischen und nationalen Finanzierungsprogramme erhalten.

5.15   Wenn eine diesbezügliche Bewertung positiv ausfällt, könnten Anleihen zur Finanzierung von Projekten eine wirkungsvolle Möglichkeit sein, mehr Mittel für die Forschungsförderung und die Nutzung erneuerbarer Energieträger und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen.

5.16   Die Darlehen der EIB müssen stärker auf prioritäre Infrastrukturprojekte der EU ausgerichtet werden. Investitionen der makroregionalen Gruppen von Mitgliedstaaten sollten durch Darlehen der EIB gefördert werden können.

5.17   Umfassende und koordinierte Anstrengungen zugunsten der erneuerbaren Energieträger könnten dazu beitragen, dass die EU einen Weg aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise findet. Die Verfügbarkeit erschwinglicher Energie ist ein grundlegendes Element der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Einige der zahlreichen positiven Auswirkungen wären: Schaffung von Arbeitsplätzen, Know-how und Reindustrialisierung der EU. Projekte wie Supergrid oder die Entwicklung und Nutzung intelligenter Netze wären geeignete Objekte industrieller Zusammenarbeit und verstärkter Innovation auf EU-Ebene.

Eine Energiepolitik für alle

5.18   Eines der Ziele der gemeinsamen Energiepolitik der EU muss neben der bloßen Marktintegration der allgemeine Zugang zu Energie sein.

5.19   Gerechte und transparente Energiepreise ermöglichen es Unternehmen, zu wachsen und Investitionen zu tätigen. Zu gewährleisten sind erschwingliche Energiepreise durch effiziente Entscheidungen, einen integrierten und transparenten Energiebinnenmarkt und verstärkte Kontrollbefugnisse der nationalen und europäischen Regulierungsbehörden.

5.20   Den Verbrauchern wurden mit den europäischen Rechtsvorschriften zwar Rechte eingeräumt, allerdings kennen sie diese Rechte nur unzureichend und nehmen sie nicht genügend wahr. Der EWSA fordert die zuständigen Stellen und Energieversorgungsunternehmen auf, die Endverbraucher systematisch über ihre Rechte zu unterrichten. Er fordert, dass in jedem Mitgliedstaat regelmäßig Berichte über die Anwendung der Verbraucherrechte veröffentlicht werden. Gegebenenfalls können zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um die Anwendung der Verbraucherrechte zu gewährleisten.

5.21   Im Winter 2010/2011 waren (je nach zugrunde gelegter Definition) zwischen 50 und 125 Millionen Europäer von Energiearmut betroffen. Dies waren die Ärmsten und jene, die unter schlechten Wohnbedingungen leiden, d.h. in schlecht isolierten Wohnungen leben und die nicht einmal die in den Mitgliedstaaten eingerichteten Sozialtarife bezahlen können. Neben den erforderlichen europäischen Anstrengungen in Bezug auf Energieeffizienz und Senkung der Nachfrage sollte nach Auffassung des EWSA erneut eine Stärkung von Verfahren der Solidarität zwischen den 27 Mitgliedstaaten erwogen werden, um gegen Energiearmut vorzugehen, wobei zunächst eine gemeinsame Definition zu erarbeiten ist (2).

5.22   Durch einen „europäischen Pakt der Energiesolidarität“ könnte so die strategische und grundlegende Dimension der Energiefrage (Zugänglichkeit, erschwingliche Tarife und Preise, Regelmäßigkeit, Verlässlichkeit, Herkunft) zur Geltung gebracht werden. Ein solcher sozial ausgerichteter, europäischer Schutzmechanismus für Energiefragen würde den Bürgern zeigen, dass Europa ihre Sorgen ernst nimmt. Er wäre untrennbarer Bestandteil der Bemühungen um eine konsequentere soziale Harmonisierung, die erstrebenswert ist, um das europäische Projekt zu stärken und wieder mit Inhalt zu erfüllen. Der Mechanismus sollte konkrete Maßnahmen auf angemessener Ebene umfassen.

Stärkung der externen Dimension der Energiepolitik der Europäischen Union

5.23   Der EWSA befürwortet den Vorschlag der Strategiegruppe „Notre Europe“ zur Schaffung einer europäischen Einkaufsallianz für Erdgas, wenn die teilnehmenden Staaten und Unternehmen von der stärkeren Verhandlungsposition dieser Allianz profitieren, ihre Versorgung besser sichern und unter Einhaltung der Wettbewerbsregeln Preisschwankungen reduzieren können. Ein späterer Schritt könnte dann die Errichtung einer gemeinsamen Struktur für die Erdgasversorgung sein, die möglicherweise auch für andere fossile Energieträger zuständig ist.

5.24   In Fällen, die Auswirkungen auf mehrere Mitgliedstaaten haben, sollte der Rat der Europäischen Kommission das Mandat erteilen, im Namen der EU Abkommen über Energielieferungen mit Drittstaaten auszuhandeln. Der EWSA begrüßt die Entscheidung des Rates, die Europäische Kommission mit den Verhandlungen über Abkommen mit Aserbaidschan und Turkmenistan über die Lieferung von Erdgas durch die transkaspische Erdgasleitung im Namen der Mitgliedstaaten zu beauftragen. Der EWSA fordert Rat und Kommission auf, dies in ähnlichen Fällen generell so zu handhaben.

5.25   Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission, alle mit Drittstaaten geschlossenen nationalen Energieversorgungsabkommen genauer zu überwachen. Die Europäische Kommission muss in der Lage sein, diese Abkommen in Abhängigkeit von ihren positiven bzw. negativen Auswirkungen auf die EU insgesamt zu billigen (TEN/464).

5.26   Der EWSA empfiehlt einen Ansatz bei der Entwicklung und der Partnerschaft mit den Euromed-Ländern und den östlichen Nachbarstaaten der EU, der es ermöglicht, die Energieversorgung der EU zu diversifizieren und zu sichern (vor allem mit Hilfe erneuerbarer Energieträger durch Desertec, Mediterranean Ring, Mediterranean Solar Plan, Medgrid) und ihren Partnern zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Die EU könnte technische Hilfe leisten sowie Fachwissen und Know-how im Bereich der Bildung und der Durchführung von Projekten bereitstellen (Stellungnahme REX/329).

5.27   Der EWSA ist der Auffassung, dass sich die Europäische Energiegemeinschaft und die Zwischenstufen auch stark nach außen engagieren müssen, um den Zugang der Entwicklungsländer zu Energie zu erleichtern. Diese Länder müssen dabei unterstützt werden, die von ihnen benötigte Energie zu erzeugen, aber sie müssen auch in der Lage sein, sie nach Europa zu exportieren, um ihre Investitionen zu finanzieren.

5.28   Der EWSA nimmt die Schlussfolgerungen des Rates (Verkehr, Telekommunikation und Energie) vom 24. November 2011 zur Kenntnis, in denen sich dieser für die Verstärkung der externen Dimension der Energiepolitik ausspricht. Er nimmt außerdem die Prioritäten des Rates zur Kenntnis und bekräftigt seine Forderung nach einer besseren Integration der Energiepolitik, zumindest nach systematischen Beratungen, bevor Entscheidungen getroffen werden. Dazu sollte nach Auffassung des EWSA in allen Fällen, wo dies sinnvoll ist, in enger Absprache mit den Mitgliedstaaten ein gemeinschaftlicher Ansatz erarbeitet werden.

Einbindung der Zivilgesellschaft

5.29   Angesichts der Bedeutung von Umweltfragen, der Höhe der zu tätigenden Investitionen, der sozialen Auswirkungen politischer Entscheidungen, der Folgen für das tägliche Leben sowie der erforderlichen Unterstützung der Öffentlichkeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürger in die Diskussionen über Energiefragen eingebunden werden. Die Europäer haben ein Recht auf eindeutige und transparente Informationen zu energiepolitischen Entscheidungen auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene (3). Diesbezüglich müssen die nationalen Wirtschafts- und Sozialräte (WSR) eine wichtige Rolle spielen. Nötig sind Informationskampagnen und Konsultationen zu den großen energiepolitischen Herausforderungen in Europa. Besonderes Gewicht muss auch auf das Thema Energieeffizienz gelegt werden.

5.30   Die Bürger sollten auch in der Lage sein, regelmäßig ihren Standpunkt zu den großen energiepolitischen Entscheidungen einzubringen. Auf geeigneter Ebene könnten Konsultationen organisiert werden. Der EWSA führt seit vielen Jahren Konsultationen auf EU-Ebene durch (insbesondere zu den Themen Atomenergie und CO2-Abscheidung und –Speicherung, d.h. CCS). Die nationalen, regionalen und lokalen Stellen sind aufgefordert, eine umfassende Konsultation der Zivilgesellschaft vorzunehmen.

5.31   Der EWSA schlägt die Schaffung eines europäischen Forums der Zivilgesellschaft vor, das sich mit Energiefragen beschäftigt. Dieses Forum sollte eng mit den EU-Institutionen zusammenarbeiten, regelmäßig zusammenkommen und einen Beitrag zu einem Mehrjahresprogramm für die Integration des Energiemarkts leisten. In ihm könnten europäische und nationale Verbände aus dem Energiebereich mitarbeiten. Das Forum könnte zur Planung des Energienetzes der EU, zum Übergang zu einem Energiesystem mit geringem CO2-Ausstoß bis 2050 sowie den sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Fragen konsultiert werden. Seine Mitglieder sollten auch angemessene Informationen erhalten, die sie an die entsprechenden Verbände in den Mitgliedstaaten weitergeben könnten.

5.32   Eine zusätzliche Herausforderung besteht darin, dass die energiepolitischen Entscheidungen von der Öffentlichkeit akzeptiert werden müssen (Atomkraft, CCS, Windparks, Hochspannungsleitungen usw.). Partizipation und Verantwortung gehen Hand in Hand. Der EWSA, der den Vorsitz in der Arbeitsgruppe „Transparenz“ des Europäischen Kernenergieforums (ENEF) führt, könnte über sein Internetportal zu einer transparenten Information der Bürgerinnen und Bürger und zum Austausch mit ihnen beitragen (Verbreitung bewährter Vorgehensweisen, Verfolgung von Initiativen und Kooperationsprojekten, Entwicklungen in der Branche, Erfassung der Standpunkte der Zivilgesellschaft für die Diskussionen des Energieforums der Zivilgesellschaft und deren Weiterleitung an die Entscheidungsträger). Der EWSA fordert die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Bürger ständig neutral und objektiv zu informieren. Von entscheidender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Konsultationsforen.

Langfristige institutionelle Entwicklung

5.33   Letztliches Ziel ist die Errichtung einer Europäischen Energiegemeinschaft. Da es schwierig sein könnte, zu bewirken, dass sich die 27 Mitgliedstaaten gleichzeitig in dieselbe Richtung orientieren, könnte eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten, vor allem auf regionaler Ebene, schnellere Fortschritte gestatten. Derartige Maßnahmen dürfen allerdings nicht in Widerspruch zu den Rechtsvorschriften oder den anderen Maßnahmen der EU stehen, was durch eine ständige Konsultation und Einbindung der Institutionen der EU zu gewährleisten ist. Erforderlichenfalls könnten formalisierte Instrumente geschaffen werden.

5.34   Der EWSA empfiehlt, bis 2014 die Fortschritte auf der Grundlage von Artikel 194 AEUV zu bewerten und zu prüfen, ob im Einklang mit den sehr ambitionierten Vorschlägen, die in diesem Dokument unterbreitet werden, Veränderungen nötig sind. In Anlehnung an die EGKS könnte ein neuer institutioneller Rahmen geschaffen werden. Es muss möglich sein, jedes neue institutionelle Gremium und dessen Besitzstand in die Struktur der EU zu integrieren, wenn die Mitgliedstaaten dies beschließen.

Brüssel, den 18. Januar 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 43-49.

ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 51-55.

(2)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Energiearmut im Kontext von Liberalisierung und Wirtschaftskrise“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 53-56.

(3)  Siehe beispielsweise in Frankreich im Bereich der Atomenergie: ANCCLI, Association nationale des comités et des commissions locales d'information (Nationale Vereinigung der kommunalen Informationsausschüsse und –kommissionen), eingerichtet durch Dekret des Conseil d’État.


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