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Document 52009AE1196

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Integration von Verkehrspolitik und Raumplanung für einen nachhaltigeren Stadtverkehr

OJ C 317, 23.12.2009, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

23.12.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 317/1


455. PLENARTAGUNG AM 15./16. JULI 2009

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Integration von Verkehrspolitik und Raumplanung für einen nachhaltigeren Stadtverkehr“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 317/01)

Berichterstatter: Frederic Adrian OSBORN

Mit Schreiben vom 3. November 2008 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema:

Integration von Verkehrspolitik und Raumplanung für einen nachhaltigeren Stadtverkehr.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 26. Juni 2009 an. Berichterstatter war Frederic Adrian OSBORN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 455. Plenartagung am 15./16. Juli 2009 (Sitzung vom 16. Juli) mit 114 Stimmen bei 1 Gegenstimme folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

1.1.   Die Menschen sind auf Transport und Verkehr angewiesen, um zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen, zur Schule und zu allen anderen Zielorten des modernen Alltags zu gelangen. Entwicklung und Instandhaltung aller Arten von Verkehrssystemen ist eine wichtige Aufgabe staatlichen Handelns. Transport und Verkehr wirken sich aber auch nachteilig aus, in Form von Umweltverschmutzung, Staus und Unfällen. Vorhandene oder nicht vorhandene Verkehrsverbindungen können ausschlaggebend für die Auflösung und Isolierung oder aber die Festigung von Gemeinschaften sein. Der Verkehr trägt außerdem in hohem Maße zum CO2-Ausstoß und der zunehmenden Bedrohung durch den Klimawandel bei.

1.2.   Es wird daher immer notwendiger, dass die Behörden auf allen Ebenen nachhaltigere Verkehrskonzepte entwerfen, die dem Mobilitätsbedarf gerecht werden und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf ein Minimum beschränken. Die Probleme sind in städtischen Gebieten am akutesten, und deshalb werden insbesondere dort nachhaltigere Verkehrsstrategien benötigt.

1.3.   Zwischen Verkehrsbewegungsmustern in Städten und der Flächenutzung besteht ein enger Zusammenhang. Voraussetzung für einen nachhaltigeren Verkehr sind demnach eine integrierte Flächennutzungsplanung und Verkehrsstrategie.

1.4.   Die Hauptverantwortung für die Entwicklung und Durchführung von integrierten Strategien liegt bei der lokalen und nationalen Ebene. In zahlreichen Städten und Staaten Europas konnten bereits Fortschritte im Hinblick auf Nachhaltigkeit in diesem Bereich erzielt werden. Das Erreichte ähnelt allerdings eher einem Flickwerk. Eine europäische Initiative ist angebracht und notwendig, um die Annahme und Durchführung von Strategien für eine nachhaltigere und integrierte Raum- bzw. Flächennutzungs- und Verkehrsplanung in allen europäischen Städten zu fördern und voranzutreiben.

1.5.   Diese Initiative sollte folgende wesentliche Elemente beinhalten:

Lancierung einer neuen Forschungsinitiative, um die wesentlichen Aspekte von bewährten Verfahrensweisen in diesem Bereich zu identifizieren

Entwicklung zuverlässiger Indikatoren zur Messung von Fortschritten bei der Verwirklichung eines nachhaltigen Verkehrs

Überprüfung nationaler und lokaler Praktiken, Rechtsvorschriften und Finanzierungsförderungen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Verkehr und den CO2-Ausstoß

Ausarbeitung einer neuen europäischen Rahmenregelung für nachhaltigen Stadtverkehr und nachhaltige Raumplanung bzw. Flächennutzung

Überprüfung der Bilanz anderer europäischer politischer Maßnahmen und Programme, um sicherzustellen, dass die europäische Politik insgesamt einem nachhaltigen Verkehr zuträglich ist

Entwicklung intelligenter Verkehrssystem (IVS).

2.   Allgemeine Überlegungen

2.1.   Moderne Gesellschaften sind stark auf Transport und Verkehr angewiesen. Die Menschen nutzen die Beförderung mit Verkehrsmitteln, um zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen, zu Freizeitaktivitäten und im Prinzip überall hin zu gelangen. Unternehmen sind auf Transportmittel angewiesen, um ihre Güter und Dienstleistungen in der ganzen Welt zu produzieren und zu liefern.

2.2.   Durch den technischen Fortschritt im Verkehrsbereich haben sich in den letzten 200 Jahren die Wegstrecken, die bequem zu erschwinglichen Preisen zurückgelegt werden können, enorm verlängert, und die Auswahl der den Menschen zur Verfügung stehenden Güter, Dienstleistungen und Lebensweisen ist vielfältiger geworden. Auch die Art und Weise der Siedlungsentwicklung ist dadurch beeinflusst worden. Die Niederlassungen müssen nicht mehr dicht gedrängt um einen kleinen Siedlungskern herum gebaut werden, um alles zu Fuß erreichen zu können. Vielmehr ist aufgrund der Straßennetz- und Verkehrsanbindung eine geringere Besiedlungsdichte über große Flächen hinweg möglich.

2.3.   Diese Veränderungen haben viele Vorteile bewirkt. Gleichzeitig haben sie jedoch auch erhebliche Probleme verursacht. Die ständig wachsende Verkehrsnachfrage führt zu Verkehrsüberlastung und Verzögerungen. Mit der Ersetzung lokaler Einrichtungen durch weiter entfernte Einrichtungen löst sich der Zusammenhalt und das nachbarschaftliche Gefüge lokaler Gemeinschaften auf. Die meisten motorisierten Transportmittel verursachen Lärm und Verschmutzung sowie CO2-Emissionen - das anhaltende Wachstum der Verkehrsnachfrage ist eine Hauptursache für den Klimawandel.

2.4.   Viele Jahre lang erachteten die Regierungen die Ausweitung der Reisemöglichkeiten als öffentliches Gut. Das staatliche Handeln und öffentliche Investitionen im Verkehrsbereich waren darauf ausgerichtet, die Verkehrsnetze zu erweitern und allen zugänglich zu machen.

2.5.   Zahlreiche andere öffentliche Maßnahmen und Programme haben ebenfalls zur Steigerung der Nachfrage nach mehr und längeren Reisen und Fahrten beigetragen. Bei vielen neuen Wohnbauprojekten wird eine geringere Siedlungsdichte zu Grunde gelegt, die für eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr ungeeignet ist und auf Individualverkehr setzt. Durch die Neuorganisation von Schulen, Krankenhäusern und anderen Leistungen der Daseinsvorsorge sind größere und gleichzeitig weiter entfernte Einrichtungen entstanden. Entsprechend sind Einkaufszentren auf die grüne Wiese verlagert worden.

2.6.   Allmählich setzt ein Umdenken ein. Die Menschen werden sich neben den Vorteilen auch der Nachteile des Verkehrswesens bewusst. Auch das staatliche Handeln folgt veränderten Leitlinien. Verkehrspolitik und –programme müssen nach wie vor sicherstellen, dass grundlegende Verkehrsbedürfnisse angemessen erfüllt werden. Indes wird immer mehr erkannt, das im Rahmen der Verkehrs-, Raumordnungs- und sonstigen Politiken Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die allgemeine Verkehrsnachfrage zu verringern bzw. einzudämmen und die Nutzung nachhaltigerer Verkehrsträger wie öffentliche Verkehrsmittel, zu Fuß gehen und Radfahren gegenüber dem motorisierten Individualverkehr zu fördern.

2.7.   Die wachsende Bedrohung durch den Klimawandel und Ölversorgungseinbrüche verschärft die Lage und macht konsequente Maßnahmen umso dringlicher, um die Verkehrsnachfrage einzudämmen bzw. auf nachhaltigere Verkehrsträger umzulenken. Dies könnte einschneidende Änderungen der städtischen Flächennutzungs- und Mobilitätskonzepte erfordern.

2.8.   Im Hinblick auf ein nachhaltiges Verkehrswesen und eine nachhaltige Flächennutzungsplanung kristallisieren sich vier neue politische Zielsetzungen heraus:

Die Menschen ermutigen, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, ihrer Bildungseinrichtungen oder ihrer Freizeitziele zu wohnen, bzw. dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze und Bildungseinrichtungen näher an Wohngebieten geschaffen werden, um die Verkehrsüberlastung, die Umweltverschmutzung und den Klimagasausstoß zu verringern und die Lebensfähigkeit der lokalen Gemeinschaften wieder herzustellen;

Die Verkehrsteilnehmer, die dazu in der Lage sind, ermutigen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, zu Fuß zu gehen und Rad zu fahren, anstatt mit dem Auto zu fahren.

Unternehmen zuraten, verstärkt auf lokale Ressourcen und Arbeitskräfte zurückzugreifen, um die Zahl der von ihnen verursachten Verkehrsbewegungen zu verringern;

Das Interesse an näher gelegenen Ferienreisezielen wecken, um die stetige Nachfrage nach Luftverkehr und die damit verbundene Umweltbeeinträchtigung zu verringern bzw. einzudämmen.

2.9.   Der stetig wachsenden Verkehrsnachfrage liegt eine ungeheure soziale und wirtschaftliche Dynamik zugrunde, und es ist kein Leichtes, diese aufzuhalten oder in andere Bahnen zu lenken. Die Erfahrung zeigt, dass dies nur im Zuge einer sinnvoll integrierten Politik möglich ist, bei der Synergien zwischen der Verkehrspolitik, Raum- bzw. Flächennutzungsplanung und anderen politischen Maßnahmen geschaffen und sie im Hinblick auf eine umfassende öffentliche und politische Unterstützung auf allen Ebenen auf offene, transparente und demokratische Weise weiterentwickelt werden. Bei der Entwicklung neuer Strategien und Konzepte müssen die Bedürfnisse der älteren Menschen, der Menschen mit Behinderungen und der einkommensschwachen Haushalte besonders berücksichtigt werden.

3.   Bausteine für eine koordinierte Verkehrs- und Raumplanung und eine nachhaltige Verkehrspolitik

3.1.   Flächennutzungsplanungs- und damit verbundene Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigeren städtischen Verkehrs beinhalten z.B.:

Förderung einer höheren Entwicklungsdichte;

Förderung der baulichen Verdichtung im Sinne der „Stadt der kurzen Wege“;

Förderung der Entwicklung bzw. der Ausdehnung kleinerer und mittelgroßer Städte anstelle der Weiterentwicklung bereits übergroßer Ballungsräume;

Begrenzung einer weiteren Zersiedelung der die Städte umgebenden Grünflächen und Schaffung von innerstädtischen Grünflächen und von Grüngürteln;

Bevorzugung kleinerer, lokal orientierter Einrichtungen (Läden, Schulen, Kirchen, Krankenhäuser, öffentliche Einrichtungen usw.) mit kleinen Einzugsbereichen gegenüber größeren dezentral gelegenen Einrichtungen mit über größere Entfernungen verteilten Einzugsbereichen;

Förderung von Nutzungsmischung anstatt einer funktionalen Trennung der Nutzungen, die nur mit Privatfahrzeugen oder öffentlichen Verkehrsmitteln überbrückt werden kann;

Ermutigung der Menschen, näher an ihrem Arbeitsplatz bzw. regelmäßigen Nutzungszielen zu wohnen;

Förderung von Tele-Arbeit usw. durch umfassende Nutzung des Internet;

Lenkung der Niederlassung großer (privater wie auch öffentlicher) Einrichtungen an Standorten mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung und Begrenzung oder Verteuerung der Bereitstellung von Parkplätzen an den Standorten dieser Einrichtungen;

Anreize schaffen für Unternehmen, für ihre Tätigkeiten Standorte auszuwählen, die günstig für die Beschäftigten, Zulieferer und Verbraucher vor Ort gelegen sind und über eine gute öffentliche Verkehrsanbindung verfügen;

Anreize schaffen für Unternehmen, auf lokale Zulieferer und Arbeitskräfte zuzugreifen und lokale Märkte zu bedienen, den Fernabsatz zu meiden und die Folgen der Globalisierung zu mildern;

Einführung einer technisch begründeten Internalisierung externer Kosten.

3.2.   Verkehrspolitische Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigeren städtischen Verkehrs sind u.a.:

Förderung eines guten, umweltfreundlichen, zugänglichen und energieeffizienten öffentlichen Verkehrs;

Verlagerung von Investitionen in das Straßennetz in die Förderung des öffentlichen Verkehrs;

Förderung von ausschließlich öffentlichen Verkehrsmitteln vorbehaltenen Strecken oder Fahrstreifen;

Beschränkung von Parkraum und Parkdauer für Privatfahrzeuge in innerstädtischen Bereichen;

Förderung des Baus von Fußgängerzonen, Bürgersteigen, Fuß- und Fahrradwegen;

Förderung von Mobilitätsmanagement;

Sensibilisierung durch Verkehrsinformationen;

Förderung der Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren;

Internalisierung aller der Gesellschaft durch die betreffenden Verkehrsträger - u.a. durch CO2-Ausstoß und sonstige Umweltverschmutzung - verursachten externen Kosten in die Kfz- und Kraftstoffsteuern;

Ermutigung der Behörden, sich in kompakt angelegten Gebäudevierteln niederzulassen, die Beamten zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf dem Arbeitsweg anzuhalten und Gleitzeitregelungen anzuwenden.

3.3.   Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Art Maßnahmen nicht scheibchenweise durchgeführt werden dürfen. Nur als Teil einer übergeordneten Strategie, die Raumplanungs- und Verkehrsziele miteinander verbindet und verschiedene Bereiche des öffentlichen Sektors und zahlreiche Akteure des privaten Sektors einbindet, haben sie Aussicht auf Erfolg und politische Akzeptanz.

3.4.   Beispielsweise sind Einschränkungen des Gebrauchs von Privatfahrzeugen in Städten wie Parkraumbeschränkung, Straßenbenutzungsgebühren oder Parkgebühren nur vertretbar und wirksam, wenn sich der öffentliche Verkehr als zufriedenstellende — also umweltfreundliche, sichere, regelmäßige, zuverlässige und erschwingliche — Alternative anbietet. Außerdem müssen die Bedürfnisse der älteren Menschen, der Menschen mit Behinderungen und der einkommensschwachen Haushalte besonders berücksichtigt werden.

3.5.   Auch die Förderung des Fahrradverkehrs erfordert verschiedene Maßnahmen wie die Ausweisung von Radwegen, die Bereitstellung von genügend öffentlichen und privaten Abstellplätzen, Anreize für die Verkehrsteilnehmer, die dazu in der Lage sind, Rad anstatt Auto zu fahren, Unterstützung der Arbeitgeber für Pendlerkosten und Entwicklung einer Radfahrkultur.

3.6.   Die Förderung lokaler Einkaufsmöglichkeiten und anderer Einrichtungen setzt ebenfalls eine angemessene Nutzungsplanung voraus, um Anreize für kleine lokale Einrichtungen zu schaffen und große, abgelegene, nur per Auto erreichbare Einrichtungen unattraktiv zu machen, sowie günstige steuerliche Bedingungen vor Ort und Programme für städtische Wiederbelebung, die die Attraktivität kleiner lokaler Einrichtungen sichtbar machen und die Entstehung städtischer Gemeinschaften unterstützen, die ihrerseits wiederum diesbezüglich als Katalysator wirken.

3.7.   Es wird kein Leichtes sein, die die Entwicklung der Städte und des Verkehrs über die vergangenen hundert Jahre beherrschenden Tendenzen aufzuhalten oder umzukehren. Maßnahmen wurden bisher zumeist auf lokaler Ebene ergriffen, als zögerliches Stückwerk. Konflikte zwischen verschiedenen Gremien und Verwaltungsebenen standen Fortschritten im Weg. Viele öffentliche und private Eigeninteressen müssen ausgeräumt werden.

3.8.   Die wachsende Bedrohung durch den Klimawandel und die fortgesetzte Zunahme des verkehrsbedingten Anteils der gesamteuropäischen Klimagasemissionen macht diese Probleme umso dringlicher. Wir können es uns nicht leisten, weiter in Untätigkeit zu verharren. Ein wesentlich rascherer Wandel hin zu einem nachhaltigeren Stadtverkehr und einer dauerhaft umweltverträglichen Flächennutzung tut Not.

4.   Aktionen auf lokaler und nationaler Ebene

4.1.   Die Schlüsselfunktion auf lokaler Ebene liegt bei den lokalen Planungsbehörden, die mit den lokalen Verkehrs- und Straßenbaubehörden und anderen öffentlichen Einrichtungen zusammenarbeiten müssen. Die Planungsbehörden müssen Flächenutzungspläne aufstellen, die die Siedlungsentwicklung und die Schaffung der notwendigen Verkehrsverbindungen so steuern, dass im Lauf der Zeit (durch die Entwicklung von IVS) immer nachhaltigere Verkehrsmuster entstehen. Die Verkehrsbehörden müssen in Ergänzung dieser planerischen Maßnahmen ihrerseits dafür sorgen, dass die öffentlichen Verkehrssysteme so regelmäßig, zuverlässig und erschwinglich sind, dass sie eine akzeptable Alternative zum motorisierten Individualverkehr bieten. Gemeinsam müssen integrierte Strategien für nachhaltige Verkehrsentwicklung und Flächennutzung entwickelt werden. Andere Behörden und Investoren müssen einbezogen werden und zur Auflage erhalten, Verkehrsbelange umfassend in ihren jeweiligen Planungen zu berücksichtigen.

4.2.   Die Entwicklung hin zu einem nachhaltigeren Stadtverkehr und einer nachhaltigeren Flächennutzung braucht selbstredend ihre Zeit. Ziel der integrierten Strategien muss es sein, dass jeder einzelne Schritt bei jeder Veränderung der Verkehrsnetze und bei jeder Expansion oder Sukzession von Nutzungen in die richtige Richtung führt. Verschiedene europäische Städte haben bereits entsprechende Fortschritte erzielt und umfangreiche innovative Maßnahmen zur Förderung eines nachhaltigeren Verkehrs ergriffen. Die meisten Städte jedoch üben sich aufgrund unzureichender Befugnisse und Finanzkraft, fehlenden politischen Willens und mangelnder Einsicht und Unterstützung seitens der Bürger in Zurückhaltung. Auch fühlen sie sich verpflichtet, um neue, nicht nachhaltige Entwicklungen zu konkurrieren. Ein neues Konzept der Zusammenarbeit tut Not, um die Entwicklung einer stärker polyzentrischen Form von kompakten und nachhaltigen Städten der Zukunft zu ermöglichen. Die im Vereinigten Königreich entstandene Energiewendeinitiative „Transition Town Movement“ ist unterstützenswert.

4.3.   Nationalen und regionalen Regierungen kommt eine wichtige Rolle dabei zu, einschlägige Maßnahmen auf lokaler Ebene zu fördern und zu ermöglichen. Womöglich müssen die nationalen Regierungen manche Lokalbehörden und Einrichtungen umstrukturieren oder deren Grenzen neu festlegen, um echt integrierte Strategien zu ermöglichen. Oder sie müssen die verschiedenen betroffenen lokalen Gremien und Regierungsbehörden zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit bei der Konzipierung integrierter Strategien veranlassen bzw. ermutigen. Ggf. müssen sie auch Anreize bieten, Fach- und Sachwissen bündeln und die Koordinierung der Politik auf allen Ebenen übernehmen.

4.4.   Die nationale Regierung ist im Allgemeinen dafür zuständig, den grundlegenden gesetzlichen Rahmen für die Raumplanung und für die Regelung neuer Entwicklungen festzulegen und den lokalen Behörden die Mittel an die Hand zu geben, mit denen sie sicherstellen können, dass diese Entwicklungen im Sinn einer integrierten Strategie verlaufen.

4.5.   Die nationale Regierung ist im Allgemeinen dafür zuständig, den grundlegenden finanziellen Rahmen für den Betrieb öffentlicher Verkehrsunternehmen vorzugeben und erforderlichenfalls Finanzierungsquellen für manch eine notwendige größere Investition zu finden. Sie regelt ferner den finanzpolitischen Rahmen sowie die Steuer-, Abgaben- und Subventionskonzepte, die einen maßgeblichen Einfluss auf individuelle und kollektive Entscheidungen über Flächennutzung, Entwicklung und Verkehr haben.

4.6.   Als wichtigste Aufgabe müssen die nationalen Regierungen die auf uns zukommenden Gefahren durch Klimawandel und Ressourcenerschöpfung und die Notwendigkeit dringender und tatkräftiger Maßnahmen zur Veränderung der Verkehrs- und Mobilitätsmuster ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Der EWSA ruft alle Regierungen in Europa auf, umfassende Strategien oder Rahmenregelungen für eine Integration der städtischen Flächennutzungs- und Verkehrsplanung zu entwickeln.

5.   Maßnahmen auf europäischer Ebene

5.1.   Im Mittelpunkt der europäischen Politik und Maßnahmen im Verkehrsbereich standen bislang der Auf- und Ausbau großer Verkehrsnetze, die die verschiedenen Regionen Europas miteinander verbinden. Die Entwicklung dieser Netze und insbesondere der Ausbau der großen Straßennetze ist im Wesentlichen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und den Kohäsionsfonds finanziert worden. Der europäische Einfluss hat dadurch eher dazu beigetragen, die flächige Ausbreitung, Entflechtung und Ausdünnung zu unterstützen und die Entwicklung hin zu einem nachhaltigeren Stadtverkehr und einer nachhaltigeren Flächennutzung zu erschweren.

5.2.   In jüngerer Zeit hat die Kommission begonnen, für nachhaltigere Stadtverkehrskonzepte zu werben. In ihrem Grünbuch über den Stadtverkehr und dem in Verbindung damit erstellten technischen Bericht über eine nachhaltige städtische Nahverkehrsplanung nennt sie diesbezüglich zahlreiche wesentliche Aspekte. Die EU hat über die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds sowie die Europäische Investitionsbank Mittel bereitgestellt. Die EU hat den Austausch bewährter Verfahren gefördert und Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben, beispielsweise im Rahmen des CIVITAS-Programms, in geringem Umfang finanziell unterstützt. Diese Maßnahmen sind sinnvoll, und es würde sich lohnen, sie fortzusetzen und auszuweiten. Sie sind aber in keiner Weise umwälzend.

5.3.   Die neuen Herausforderungen des Klimawandels und die überall dringend erforderlichen Maßnahmen zur Begrenzung der Klimagasemissionen lassen indes die zunehmende Notwendigkeit einer neuen gemeinsamen europäischen Anstrengung zu Tage treten. Nur eine umfangreiche europäische Initiative kann der Entwicklung hin zu besser koordinierten Verkehrs- und Raumplanungskonzepten der Zukunft die erforderliche Dynamik verleihen.

5.4.   Die Zuständigkeit der EU in diesem Bereich ist natürlich begrenzt, und gemäß dem Subsidiaritätsprinzip sind auch weiterhin die lokale und nationale Ebene für die lokale Verkehrs- und Flächennutzungs- bzw. Raumplanung hauptverantwortlich. Dennoch ist der Ausschuss überzeugt, dass das europäische Handeln erheblich verstärkt werden und die Tätigkeiten auf lokaler und nationaler Ebene katalysieren und fördern kann, insbesondere in Anbetracht der europäischen Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Senkung der Kohlenstoffemissionen.

5.5.   Der Ausschuss unterstützt die jüngst vom Europäischen Parlament und vom Ausschuss der Regionen ausgesprochenen Empfehlungen zum Ausbau der europäischen Rolle in diesem Bereich. Der Ausschuss empfiehlt, dass die Kommission einen neuen Aktionsplan anhand von fünf Aktionslinien aufstellt:

5.6.   A. Lancierung einer umfangreichen neuen Forschungsanstrengung zur Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Flächennutzung und Verkehr im städtischen Bereich

Renommierte Forschungsvorhaben über die Wechselwirkungen zwischen städtischem Verkehr und Flächennutzungsplanung wurden über lange Zeit im vierten und fünften Forschungsrahmenprogramm der EU durchgeführt (wie beispielsweise in der Publikation Marshall and Banister, Hrsg.: Land Use and Transport: European Research: Towards Integrated Policies. London/ Amsterdam: Elseviers, 2007 dokumentiert). Diese Forschungstradition ist jedoch im sechsten und siebten FTE-Rahmenprogramm nicht fortgesetzt worden. Der Klimawandel und die mögliche künftige Energieverknappung sind neue Herausforderungen für die Stadtplanung und erfordern eine maßnahmenorientierte Forschung, um den Entscheidungsträgern verlässliche Informationen über die voraussichtlichen Auswirkungen möglicher integrierter Strategien zur Bewältigung der steigenden Energiekosten und zur Verwirklichung der Klimagasemissionsziele der EU zu geben. Daher müssen die Ergebnisse der früheren Studien im Lichte dieser womöglich grundlegend anderen Voraussetzungen überprüft und aktualisiert werden. Im Zusammenhang mit den Maßnahmen muss insbesondere auf folgende Fragen dringend eingegangen werden:

Anpassung an den Klimawandel: Wie müssen und können Verkehrs- und Raumplanung ineinandergreifen, um die sich abzeichnenden Gefahren des Klimawandels wie Hochwasser, Erdrutsche, Sturmfluten, Hitzewellen usw. einzudämmen?

Eindämmung des Klimawandels: Wie können Verkehrs- und Raumplanung am besten zusammenwirken, um den Beitrag des Verkehrssektors zur Erreichung der Klimagasemissionsziele der EU und der Mitgliedstaaten bis 2020 und 2050 mit geringstmöglichen negativen Folgen für die Wirtschaft, die soziale Gerechtigkeit und die Lebensqualität sicherzustellen?

Zugang zu Grundversorgungsleistungen und gesellschaftliche Teilhabe: Wie können Verkehrs- und Raumplanung am besten zusammenwirken, um mit Blick auf Bevölkerungsalterung und -rückgang und hohe Energiepreise Mindeststandards für die Erreichbarkeit von Grundversorgungsleistungen (Gesundheit, Einzelhandel, Bildung) und die gesellschaftliche Teilhabe (unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse von älteren Menschen, Menschen mit Behinderungen und einkommensschwachen Haushalten) über öffentliche Verkehrsmittel zu gewährleisten?

5.7.   B. Entwicklung einvernehmlich vereinbarter Indikatoren, aus denen hervorgeht, welche Fortschritte ein städtisches Gebiet in Hinblick auf nachhaltigen Verkehr gemacht hat.

Zu diesen Indikatoren könnte beispielsweise der Vergleich zwischen allen Ortsveränderungen mit nachhaltigen Fortbewegungsmitteln (Zufußgehen, Rad fahren und öffentliche Verkehrsmittel) und denjenigen mit motorisiertem Individualverkehr gehören. Sie könnten auch Angaben über die Größe der Einzugsbereiche aller Einrichtungen (Schulen, Krankenhäuser, Behörden, Einkaufszentren) beinhalten und Möglichkeiten aufzeigen, wie durch die Förderung kleinerer lokaler Einrichtungen und die Aufrechterhaltung dezentraler öffentlicher Dienstleistungen die Einzugsbereiche und zurückzulegenden Wegstrecken verkleinert werden könnten.

5.8.   C. Einleitung einer europaweiten Überprüfung der gängigen Verfahrensweisen in den Bereichen städtischer Verkehr und Flächennutzung

Wesentliches Ziel sollte es sein, diejenigen institutionellen, legislativen und finanziellen Systeme auszuloten, die für den Wandel hin zum nachhaltigen Verkehr und zur nachhaltigen Flächennutzung bzw. Raumplanung am besten geeignet sind. Die Überprüfung könnte sich insbesondere auch auf einige der neueren und eher umstrittenen Konzepte erstrecken, wie beispielsweise

Mautsysteme und die Bepreisung oder Beschränkung von Parkraum in Stadtzentren;

Systeme für die Finanzierung der Entwicklung und des Betriebs zufriedenstellender öffentlicher Verkehrssysteme;

Planungsauflagen bei der Konstruktion von Einrichtungen mit großem Publikumsverkehr hinsichtlich der Sicherstellung einer angemessenen öffentlichen Verkehrsanbindung und der Parkraumbeschränkung für Privatfahrzeuge;

Auflagen für öffentliche und private Planungen im Hinblick auf die Berücksichtigung ihrer verkehrsmäßigen Auswirkungen und eventuell Anlastung des zusätzlichen Mobilitätsaufwands und der Emissionssteigerungen, mit denen die jeweilige Lokalgemeinschaft belastet wird, in Form von Steuern oder Abgaben, die die Entwickler und Betreiber großer Einrichtungen entrichten müssen;

5.9.   D. Ausarbeitung einer Rahmenrichtlinie über nachhaltigen Stadtverkehr und nachhaltige Flächennutzung

Eine solche Rahmenrichtlinie könnte folgende Punkte umfassen:

Leitlinien für die nationalen Strategien der Mitgliedstaaten für die Förderung eines nachhaltigen Stadtverkehrs und einer nachhaltigen Raumplanung. In jeder nationalen Strategie würden wiederum die lokalen Planungs-, Verkehrs- und Straßenbaubehörden (sowie andere einschlägige Behörden) veranlasst, gemeinsam Flächennutzungspläne und nachhaltige Verkehrspläne für jede Stadt und jede größere städtische Siedlung zu erstellen;

Leitlinien für bewährte Verfahren und Benchmarking bei der Entwicklung lokaler Strategien, einschl. Vorkehrungen für systematische und ausführliche Anhörungen der Öffentlichkeit und aller betroffenen Interessenträger, um die Öffentlichkeit für den notwendigen Wandel ausreichend zu sensibilisieren und einen möglichst breiten Konsens über die einzuschlagende Strategie zu erzielen;

Indikatoren für die Bemessung der Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit und zur Bewertung des Beitrags verschiedener Städte und Regionen zur Senkung der Kohlendioxid-Emissionen durch nachhaltigere Pläne;

Bestimmungen über eine europäische oder nationale finanzielle Unterstützung der Investitionen, die für die langfristige Umsetzung der Strategien erforderlich sind. Das CIVITAS-Programm, in dessen Rahmen einige ausgezeichnete Initiativen unterstützt worden sind, sollte ausgebaut werden.

5.10.   E. Überprüfung anderer europäischer Rechtsvorschriften und Ausgabenprogramme mit Auswirkungen auf Verkehr und Flächennutzung

Die meisten europäischen Ausgaben im Verkehrsbereich sind in den Ausbau der Straßen-, Schienen- und Luftverkehrsinfrastrukturen geflossen, wobei das Augenmerk vor allem dem wirtschaftlichen Wachstum und weniger ihren Auswirkungen in Bezug auf Kohlendioxid-Emissionen und Nachhaltigkeit galt. Es ist nun an der Zeit, den Schwerpunkt dieser Programme zu verlagern, systematisch die Kohlenstoffintensität der Investitionen zu bewerten und die Programme verstärkt auf die Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel, der Schienennetze und des nachhaltigen Stadtverkehrs und weniger auf die Weiterentwicklung des kohlenstoffemissionsträchtigen Fernverkehrs auszurichten.

Brüssel, den 16. Juli 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


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