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Document 32019L0633

Richtlinie (EU) 2019/633 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette

PE/4/2019/REV/2

ABl. L 111 vom 25.4.2019, p. 59–72 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

Legal status of the document In force

ELI: http://data.europa.eu/eli/dir/2019/633/oj

25.4.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 111/59


RICHTLINIE (EU) 2019/633 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 17. April 2019

über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 43 Absatz 2,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (1),

nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (2),

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (3),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette bestehen oft erhebliche Ungleichgewichte in Bezug auf die Verhandlungsmacht von Lieferanten und Käufern von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen. Diese Ungleichgewichte bei der Verhandlungsmacht haben mit hoher Wahrscheinlichkeit unlautere Handelspraktiken zur Folge, wenn bei einem Verkauf größere und mächtigere Handelspartner versuchen, bestimmte für sie vorteilhafte Praktiken oder vertragliche Vereinbarungen durchzusetzen. Solche Praktiken können beispielsweise gröblich von der guten Handelspraxis abweichen, gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen und einem Handelspartner einseitig von einem anderen aufgezwungen werden; oder das wirtschaftliche Risiko auf unbegründete und unverhältnismäßige Art und Weise von einem Handelspartner auf einen anderen abwälzen; oder einem Handelspartner in einem erheblichen Missverhältnis zueinander stehende Rechte und Pflichten auferlegen. Bestimmte Praktiken könnten offensichtlich unlauter sein, selbst wenn beide Parteien zustimmen. Es sollte ein unionsweiter Mindeststandard zum Schutz vor unlauteren Handelspraktiken eingeführt werden, um solche Praktiken einzudämmen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Lebensstandard der landwirtschaftlichen Bevölkerung haben. Gemäß dem mit dieser Richtlinie verfolgten Konzept der Mindestharmonisierung können die Mitgliedstaaten nationale Vorschriften für unlautere Handelspraktiken erlassen oder beibehalten, die über die in dieser Richtlinie aufgeführten Praktiken hinausgehen.

(2)

Seit 2009 haben drei Veröffentlichungen der Kommission (die Mitteilung der Kommission vom 28. Oktober 2009 über die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette in Europa, Mitteilung der Kommission vom 15. Juli 2014 gegen unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette und Bericht der Kommission vom 29. Januar 2016 über unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette), die Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette, einschließlich des Auftretens unlauterer Handelspraktiken, zum Inhalt gehabt. Darin hat die Kommission Empfehlungen formuliert, welche Merkmale nationale und freiwillige Regelungsrahmen im Umgang mit unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette aufweisen sollten. Nicht alle diese Merkmale wurden in den Rechtsrahmen oder in den freiwilligen Regelungen der Mitgliedstaaten berücksichtigt, sodass das Auftreten solcher Praktiken weiterhin im Mittelpunkt der politischen Debatte in der Union steht.

(3)

Im Jahr 2011 billigte das von der Kommission geleitete Hochrangige Forum für die Verbesserung der Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette mehrere Grundsätze für bewährte Verfahren in vertikalen Beziehungen in der Lebensmittelversorgungskette, die von den Organisationen, die die Mehrheit der Marktteilnehmer in der Lebensmittelversorgungskette vertreten, vereinbart wurden. Die im Jahr 2013 ins Leben gerufene „Supply Chain Initiative“ beruht auf diesen Grundsätzen.

(4)

Das Europäische Parlament forderte in seiner Entschließung vom 7. Juni 2016 zu unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette (4) die Kommission auf, einen Vorschlag für einen Rechtsrahmen der Union im Zusammenhang mit unlauteren Handelspraktiken vorzulegen. Der Rat forderte in seinen Schlussfolgerungen vom 12. Dezember 2016 zur Stärkung der Position der Landwirte in der Lebensmittelversorgungskette und zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken die Kommission auf, zeitnah eine Folgenabschätzung im Hinblick auf einen Vorschlag für einen EU-Rechtsrahmen oder für nichtlegislative Maßnahmen durchzuführen, mit dem gegen unlautere Handelspraktiken vorgegangen werden soll. Die Kommission hat eine Folgenabschätzung ausgearbeitet, der eine öffentliche Konsultation sowie gezielte Konsultationen vorausgingen. Darüber hinaus hat die Kommission im Zuge des Legislativverfahrens Angaben übermittelt, die belegen, dass die großen Marktteilnehmer einen erheblichen Anteil am Gesamtwert der Produktion haben.

(5)

In der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette sind auf den verschiedenen Stufen Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und Vertrieb von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen sowie im Agrar- und Lebensmitteleinzelhandel unterschiedliche Marktteilnehmer tätig. Diese Kette ist der bei Weitem wichtigste Kanal um Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen „vom Hof auf den Tisch“ zu bringen. Diese Marktteilnehmer handeln mit Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, d. h. in Anhang I des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) aufgeführten landwirtschaftlichen Primärerzeugnissen, einschließlich Fischereierzeugnissen und Erzeugnissen der Aquakultur, sowie nicht in diesem Anhang aufgeführte Erzeugnissen, die jedoch aus in diesem Anhang aufgeführten Erzeugnissen für die Verwendung als Lebensmittel verarbeitet wurden.

(6)

Während Geschäftsrisiken bei allen wirtschaftlichen Tätigkeiten auftreten, kommen Unsicherheitsfaktoren in der landwirtschaftlichen Erzeugung aufgrund ihrer Abhängigkeit von biologischen Prozessen und wegen ihrer Anfälligkeit für Witterungsverhältnisse besonders stark zum Tragen. Diese Unsicherheit wird noch dadurch verschärft, dass Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr oder weniger leicht verderblich und saisonabhängig sind. In einem agrarpolitischen Umfeld, das deutlich stärker marktorientiert ist als in der Vergangenheit, kommt dem Schutz vor unlauteren Handelspraktiken für Marktteilnehmer, die in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette tätig sind, größere Bedeutung zu.

(7)

Insbesondere haben solche unlauteren Handelspraktiken mit hoher Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf den Lebensstandard der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Diese Auswirkungen können entweder direkt sein, wenn sie landwirtschaftliche Erzeuger und ihre Organisationen als Lieferanten betreffen, oder indirekt, durch „Kaskadeneffekte“ der unlauteren Handelspraktiken, die in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette in einer Weise auftreten, die sich negativ auf die Primärerzeuger in dieser Kette auswirkt.

(8)

In den meisten, jedoch nicht in allen Mitgliedstaaten gibt es spezifische nationale Vorschriften zum Schutz von Lieferanten vor unlauteren Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette. Dort, wo es Vertragsrecht oder Selbstregulierungsinitiativen gibt, ist der praktische Wert dieser Formen von Rechtsschutz aufgrund der Angst der Beschwerdeführer vor Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art und der damit verbundenen finanziellen Risiken, gegen solche Praktiken vorzugehen, jedoch eingeschränkt. Einige Mitgliedstaaten, die über besondere Vorschriften zu unlauteren Handelspraktiken verfügen, betrauen daher Verwaltungsbehörden mit deren Durchsetzung. Die Vorschriften der Mitgliedstaaten zur Eindämmung unlauterer Handelspraktiken sind jedoch — soweit vorhanden — sehr unterschiedlich.

(9)

Die Anzahl und Größe der Marktteilnehmer sind je nach Stufe der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette unterschiedlich. Unterschiede in der Verhandlungsmacht, die der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Lieferanten vom Käufer entsprechen, führen mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass größere Marktteilnehmer kleineren Marktteilnehmern unlautere Handelspraktiken aufzwingen. Ein dynamisches Konzept, das die am Umsatz gemessene relative Größe des Lieferanten und des Käufers zum Ausgangspunkt nimmt, dürfte einen besseren Schutz vor unlauteren Handelspraktiken für diejenigen Marktteilnehmer bieten, die diesen Schutz am dringendsten benötigen. Unlautere Handelspraktiken sind für kleine und mittlere Unternehmen (im Folgenden „KMU“) der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette besonders schädlich. Unternehmen, die größer als KMU sind, deren Jahresumsatz jedoch 350 000 000 EUR nicht übersteigt, sollten ebenfalls vor unlauteren Handelspraktiken geschützt werden, um zu vermeiden, dass die Kosten solcher Praktiken an landwirtschaftliche Erzeuger weitergegeben werden. Die Kaskadeneffekte für landwirtschaftliche Erzeuger erscheinen für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 350 000 000 EUR am größten. Durch den Schutz von Zwischenhändlern von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, einschließlich verarbeiteten Agrarerzeugnissen, kann auch vermieden werden, dass sich der Handel von landwirtschaftlichen Erzeugern und ihren Vereinigungen, die verarbeitete Erzeugnisse herstellen, auf nicht geschützte Lieferanten verlagert.

(10)

Der von dieser Richtlinie gebotene Schutz sollte landwirtschaftlichen Erzeugern und natürlichen oder juristischen Personen, die Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse liefern, einschließlich Erzeugerorganisationen — unabhängig davon, ob es sich um anerkannte Organisationen handelt oder nicht — und Vereinigungen von Erzeugerorganisationen —unabhängig davon, ob es sich um anerkannte Vereinigungen handelt oder nicht — entsprechend ihrer jeweiligen Verhandlungsmacht zugutekommen. Diese Erzeugerorganisationen und Vereinigungen von Erzeugerorganisationen schließen Genossenschaften ein. Diese Erzeuger und Personen sind häufiger unlauteren Handelspraktiken ausgesetzt und am wenigsten in der Lage, ihnen ohne negative Auswirkungen auf ihre wirtschaftliche Lebensfähigkeit standzuhalten. Hinsichtlich der Kategorien von Lieferanten, die nach dieser Richtlinie Schutz genießen sollten, ist darauf hinzuweisen, dass ein wesentlicher Teil der von Landwirten gebildeten Genossenschaften aus Unternehmen besteht, die größer als KMU sind, deren Jahresumsatz jedoch 350 000 000 EUR nicht übersteigt.

(11)

Diese Richtlinie sollte den Geschäftsverkehr unabhängig davon regeln, ob er zwischen Unternehmen oder zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen erfolgt, da Behörden beim Kauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen denselben Normen unterliegen sollten. Diese Richtlinie sollte für alle Behörden gelten, die als Käufer auftreten.

(12)

Lieferanten in der Union sollten nicht nur vor unfairen Handelspraktiken von Käufern geschützt werden, die in demselben Mitgliedstaat niedergelassen sind, wie der Lieferant oder in einem anderen Mitgliedstaat als der Lieferant, sondern auch vor unfairen Handelspraktiken von Käufern, die außerhalb der Union niedergelassen sind. Durch einen solchen Schutz können eventuelle unbeabsichtigte Folgen vermieden werden, wie etwa die Auswahl des Standorts auf Grundlage der anzuwendenden Vorschriften. Lieferanten, die außerhalb der Union niedergelassen sind, sollten ebenfalls vor unlauteren Handelspraktiken geschützt werden, wenn sie Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse in der Union verkaufen. Denn solche Lieferanten könnten nicht nur in gleichem Maße durch solche unlauteren Handelspraktiken gefährdet sein, sondern ein weiterer Anwendungsbereich würde auch eine unbeabsichtigte Verlagerung des Handels auf nicht geschützte Lieferanten verhindern, die den Schutz von Lieferanten in der Union untergraben würde.

(13)

Bestimmte mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen verbundene Dienstleistungen sollten in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie aufgenommen werden.

(14)

Diese Richtlinie sollte für das Geschäftsgebaren größerer Marktteilnehmer gegenüber Marktteilnehmern mit geringerer Verhandlungsmacht gelten. Die relative Verhandlungsmacht lässt sich in angemessener Art und Weise anhand des Jahresumsatzes der verschiedenen Marktteilnehmer abschätzen. Es handelt sich zwar um eine Schätzung, doch können die Marktteilnehmer anhand dieses Kriteriums ihre Rechte und Pflichten nach dieser Richtlinie vorhersehen. Durch eine Obergrenze sollte vermieden werden, dass Marktteilnehmern, die nicht oder wesentlich weniger gefährdet sind als ihre kleineren Partner und Wettbewerber, Schutz gewährt wird. Mit dieser Richtlinie werden daher auf dem Umsatz basierende Kategorien von Marktteilnehmern festgelegt, anhand deren Schutz gewährt wird.

(15)

Da unlautere Handelspraktiken in jeder Phase des Verkaufs eines Agrar-oder Lebensmittelerzeugnisses, vor, während oder nach einem Verkaufsvorgang, auftreten können, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass diese Richtlinie für solche Praktiken unabhängig davon gilt, wann sie auftreten.

(16)

Bei der Entscheidung, ob eine bestimmte Handelspraktik als unlauter anzusehen ist, ist darauf zu achten, dass die Nutzung fairer und effizienzsteigernder Vereinbarungen zwischen den Parteien nicht eingeschränkt wird. Daher sollte zwischen Praktiken unterschieden werden, die in Liefervereinbarungen oder in Folgevereinbarungen zwischen den Parteien klar und eindeutig festgelegt sind, und Praktiken, die nach Beginn des Geschäfts ohne vorherige Vereinbarung auftreten, sodass nur einseitige und rückwirkende Änderungen der klar und eindeutig festgelegten Bedingungen einer Liefervereinbarung verboten sind. Bestimmte Handelspraktiken werden jedoch aufgrund ihrer Art als unlauter angesehen und sollten nicht Gegenstand der Vertragsfreiheit der Parteien sein.

(17)

Verspätete Zahlungen für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse, einschließlich verspäteter Zahlungen für verderbliche Erzeugnisse, sowie kurzfristige Stornierungen von Bestellungen verderblicher Erzeugnisse beeinträchtigen die wirtschaftliche Lebensfähigkeit des Lieferanten, ohne gegenzurechnende Vorteile zu bieten. Solche Praktiken sollten daher verboten werden. In diesem Zusammenhang sollte für die Zwecke dieser Richtlinie der Begriff „verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse“ definiert werden. Die Begriffsbestimmungen, die in Rechtsakten der Union im Bereich des Lebensmittelrechts verwendet werden, haben andere Zielsetzungen, beispielsweise in Bezug auf Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, und sind daher für die Zwecke dieser Richtlinie nicht geeignet. Ein Erzeugnis sollte als verderblich gelten, wenn davon auszugehen ist, dass es binnen 30 Tagen nach dem letzten Vorgang der Ernte, der Erzeugung oder der Verarbeitung durch den Lieferanten nicht mehr zum Verkauf geeignet ist, unabhängig davon, ob das Erzeugnis nach dem Verkauf weiter verarbeitet wird, und unabhängig davon, ob das Erzeugnis nach dem Verkauf gemäß anderen Vorschriften, insbesondere zur Lebensmittelsicherheit, behandelt wird. In der Regel werden verderbliche Erzeugnisse schnell verwendet oder verkauft. Zahlungen für verderbliche Erzeugnisse, die mehr als 30 Tage nach der Lieferung oder — wenn die Erzeugnisse regelmäßig geliefert werden — nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums oder 30 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags geleistet werden, sind nicht mit der Lauterkeit des Geschäftsverkehrs vereinbar. Um die Landwirte und ihre Liquidität stärker zu schützen, sollten die Lieferanten anderer Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse nicht mehr als 60 Tage nach der Lieferung oder — wenn die Erzeugnisse regelmäßig geliefert werden — nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums oder 60 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags auf Zahlungen warten müssen.

Diese Einschränkungen sollten nur für Zahlungen im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen gelten, nicht aber für andere Zahlungen wie zusätzliche Zahlungen einer Genossenschaft an ihre Mitglieder. Im Einklang mit der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (5) sollte es auch möglich sein, für die Zwecke der vorliegenden Richtlinie den Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags durch den Käufer als den Tag der der Ausstellung der Rechnung oder den Tag des Eingangs der Rechnung beim Käufer anzusehen.

(18)

Bei den in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen zum Zahlungsverzug handelt es sich um spezielle Vorschriften für den Agrar- und Lebensmittelsektor, die von den in der Richtlinie 2011/7/EU festgelegten Bestimmungen über Zahlungsfristen abweichen. Die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen zum Zahlungsverzug sollten nicht für Vereinbarungen gelten, die Wertaufteilungsklauseln im Sinne des Artikels 172a der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (6) betreffen. Zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Schulprogramms gemäß Artikel 23 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 sollten die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen zum Zahlungsverzug nicht für Zahlungen gelten, die im Rahmen eines Schulprogramms von einem Käufer (z. B. dem Antragsteller) an einen Lieferanten geleistet werden. In Anbetracht dessen, wie schwierig es für öffentliche Einrichtungen, die Gesundheitsdienste anbieten, ist, in der Gesundheitsversorgung die Prioritäten so zu setzen, dass ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Patienten und den finanziellen Ressourcen besteht, sollten diese Bestimmungen auch nicht für öffentliche Einrichtungen gelten, die Gesundheitsdienste im Sinne des Artikels 4 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2011/7/EU anbieten.

(19)

Bei Trauben und Most für die Weinerzeugung handelt es sich um einen Sonderfall, weil Trauben während eines sehr begrenzten Zeitraums im Jahr geerntet werden, aber für die Erzeugung von Wein verwendet werden, der in manchen Fällen erst viele Jahre später verkauft wird. Um diesem Sonderfall Rechnung zu tragen, haben Erzeugerorganisationen und Branchenverbände traditionellerweise Musterverträge für die Lieferung dieser Erzeugnisse ausgearbeitet. Diese Musterverträge sehen Ratenzahlungen mit bestimmten Zahlungsfristen vor. Da diese Musterverträge von Lieferanten und Käufern für mehrjährige Vereinbarungen genutzt werden, bieten sie nicht nur den landwirtschaftlichen Erzeugern die Sicherheit von langfristigen Geschäftsbeziehungen, sondern tragen auch zur Stabilität der Lieferkette bei. In Fällen, in denen solche Musterverträge von anerkannten Erzeugerorganisationen, Branchenverbänden oder Vereinigungen von Erzeugerorganisationen ausgearbeitet wurden und gemäß Artikel 164 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 („Ausdehnung“) vor dem 1. Januar 2019 von einem Mitgliedstaat verbindlich vorgeschrieben wurden, oder in Fällen, in denen die Ausdehnung der Musterverträge von den Mitgliedstaaten ohne wesentliche Änderungen der Zahlungsbedingungen zum Nachteil von Lieferanten von Trauben und Most erneuert wird, sollten die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen zum Zahlungsverzug nicht für diese Verträge zwischen Lieferanten von Trauben und Most für die Weinerzeugung und deren unmittelbare Käufer gelten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die jeweiligen Vereinbarungen von anerkannten Erzeugerorganisationen, Branchenverbänden und Vereinigungen von Erzeugerorganisationen gemäß Artikel 164 Absatz 6 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 der Kommission mitzuteilen.

(20)

Stornierungen von Bestellungen für verderbliche Erzeugnisse mit einer Frist von weniger als 30 Tagen sollten als unlauter angesehen werden, da der Lieferant nicht in der Lage wäre, eine alternative Absatzmöglichkeit für diese Produkte zu finden. Bei Erzeugnissen in bestimmten Sektoren könnten die Lieferanten jedoch auch bei kürzeren Stornierungsfristen genügend Zeit haben, ihre Erzeugnisse anderswo zu verkaufen oder sie selbst zu verwenden. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb die Möglichkeit haben, in ordnungsgemäß begründeten Fällen für solche Sektoren kürzere Stornierungsfristen vorzusehen.

(21)

Stärkere Käufer sollten vereinbarte Vertragsbedingungen nicht einseitig ändern, wie etwa bestimmte von einer Liefervereinbarung erfasste Erzeugnisse auszulisten. Dies sollte jedoch nicht für Fälle gelten, in denen die Vereinbarung zwischen einem Lieferanten und einem Käufer ausdrücklich besagt, dass der Käufer ein konkretes Element eines Geschäfts für künftige Bestellungen zu einem späteren Zeitpunkt festlegen kann. Dies könnte beispielsweise die bestellten Mengen betreffen. Eine Vereinbarung muss also nicht unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt für sämtliche Aspekte des Geschäfts zwischen dem Lieferanten und dem Käufer geschlossen werden.

(22)

Lieferanten und Käufer von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen sollten ein Verkaufsgeschäft, d. h. auch den Preis, frei aushandeln können. Diese Verhandlungen umfassen auch Zahlungen für Dienstleistungen, die der Käufer für den Lieferanten erbringt, wie Listung, Marketing und Werbung. In den Fällen, in denen ein Käufer einem Lieferanten Zahlungen in Rechnung stellt, die nicht im Zusammenhang mit einem bestimmten Verkaufsgeschäft stehen, sollte dies jedoch als unlauter angesehen werden und nach dieser Richtlinie verboten sein.

(23)

Es sollte zwar keine Verpflichtung zur Verwendung schriftlicher Verträge bestehen, doch könnte die Verwendung schriftlicher Verträge in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette dazu beitragen, bestimmte unlautere Handelspraktiken zu verhindern. Deshalb und um Lieferanten vor solchen unlauteren Praktiken zu schützen, sollten die Lieferanten oder ihre Vereinigungen das Recht haben, eine schriftliche Bestätigung der bereits vereinbarten Bestimmungen einer Liefervereinbarung zu verlangen. In diesen Fällen sollte die Weigerung eines Käufers, die Bestimmungen einer Liefervereinbarung schriftlich zu bestätigen, als unlautere Handelspraktik gelten und verboten sein. Zudem könnten die Mitgliedstaaten bewährte Verfahren zum Abschluss langfristiger Vereinbarungen ermitteln, sich darüber austauschen und sie fördern, um die Verhandlungsposition der Erzeuger in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette zu stärken.

(24)

Diese Richtlinie harmonisiert nicht die Vorschriften über die Beweislast in den Verfahren vor den nationalen Durchsetzungsbehörden und auch nicht die Definition von Liefervereinbarungen. Daher sind die Regeln für die Beweislast und die Definition von Liefervereinbarungen die im nationalen Recht der Mitgliedstaaten festgelegten.

(25)

Gemäß dieser Richtlinie sollten Lieferanten Beschwerde gegen bestimmte unlautere Handelspraktiken erheben können. Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art von Käufern gegen Lieferanten, die ihre Rechte geltend machen, wie die Auslistung von Erzeugnissen, die Verringerung der Bestellmengen oder die Beendigung bestimmter Dienstleistungen, die der Käufer für den Lieferanten erbringt, wie Marketing oder Werbung für die Erzeugnisse des Lieferanten, oder die Drohung mit derartigen Maßnahmen sollten verboten sein und als unlautere Handelspraktik behandelt werden.

(26)

Die Kosten der Lagerung, der Ausstellung oder der Listung von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen oder die Kosten der Bereitstellung dieser Produkte auf dem Markt werden in der Regel vom Käufer getragen. Folglich sollte es nach dieser Richtlinie verboten sein, dass einem Lieferanten die Bezahlung dieser Dienstleistungen an den Käufer oder einen Dritten in Rechnung gestellt wird, es sei denn, dass die Bezahlung beim Abschluss der Liefervereinbarung oder in einer Folgevereinbarung klar und unmissverständlich zwischen dem Käufer und dem Lieferanten vereinbart wurde. Wenn eine solche Bezahlung vereinbart wurde, sollte sie auf objektiven und angemessenen Schätzungen beruhen.

(27)

Damit eine Beteiligung des Lieferanten an den Kosten der Verkaufsförderung, des Marketings oder der Werbung für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse, einschließlich Werbehinweisen in Verkaufsräumen und Verkaufskampagnen, als redlich angesehen werden kann, sollte sie beim Abschluss der Liefervereinbarung oder in einer Folgevereinbarung klar und unmissverständlich zwischen dem Käufer und dem Lieferanten vereinbart worden sein. Andernfalls sollte sie nach dieser Richtlinie verboten sein. Wenn eine solche Beteiligung vereinbart wurde, sollte sie auf objektiven und angemessenen Schätzungen beruhen.

(28)

Die Mitgliedstaaten sollten Durchsetzungsbehörden benennen, um eine wirksame Durchsetzung der in dieser Richtlinie festgelegten Verbote zu gewährleisten. Diese Behörden sollten entweder auf eigene Initiative oder aufgrund von Beschwerden von Parteien, die von unlauteren Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette betroffen sind, von Beschwerden von Hinweisgebern oder aufgrund von anonymen Beschwerden handeln können. Eine Durchsetzungsbehörde könnte zu der Auffassung gelangen, dass keine hinreichenden Gründe vorliegen, einer Beschwerde nachzugehen. Auch verwaltungstechnische Prioritäten könnten zu dieser Feststellung führen. Falls die Durchsetzungsbehörde der Ansicht ist, dass sie nicht in der Lage sein wird, einer Beschwerde Priorität einzuräumen, sollte sie dies dem Beschwerdeführer unter Angabe der Gründe mitteilen. Beantragt ein Beschwerdeführer aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art, dass seine Identität vertraulich behandelt wird, so sollten die Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen.

(29)

Gibt es in einem Mitgliedstaat mehr als eine Durchsetzungsbehörde, so sollte der Mitgliedstaat eine zentrale Kontaktstelle benennen, um die wirksame Zusammenarbeit der Durchsetzungsbehörden untereinander und dieser Durchsetzungsbehörden mit der Kommission zu erleichtern.

(30)

Es könnte für einen Lieferanten, z. B. aus sprachlichen Gründen, einfacher sein, eine Beschwerde an die Durchsetzungsbehörde seines Mitgliedstaats zu richten. In Bezug auf die Durchsetzung könnte jedoch eine Beschwerde bei der Durchsetzungsbehörde des Mitgliedstaats, in dem der Käufer niedergelassen ist, wirksamer sein. Die Lieferanten sollten also wählen können, an welche Behörde sie ihre Beschwerden richten wollen.

(31)

Beschwerden von Erzeugerorganisationen, anderen Lieferantenorganisationen und Vereinigungen solcher Organisationen, einschließlich Organisationen zu ihrer Vertretung, können dazu dienen, die Identität einzelner Mitglieder der Organisation zu schützen, die ihrer Ansicht nach mit unlauteren Handelspraktiken konfrontiert sind. Andere Organisationen mit einem berechtigten Interesse zur Vertretung von Lieferanten sollten ebenfalls das Recht haben, auf Ersuchen eines Lieferanten und im Interesse dieses Lieferanten Beschwerden einzureichen, vorausgesetzt, diese Organisationen sind unabhängige juristische Personen, die mit ihrer Tätigkeit keinen Erwerbszweck verfolgen. Die Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten sollten daher Beschwerden solcher Stellen akzeptieren und behandeln können und gleichzeitig die Verfahrensrechte des Käufers schützen.

(32)

Damit das Verbot unlauterer Handelspraktiken wirksam durchgesetzt wird, sollten die benannten Durchsetzungsbehörden über die erforderlichen Ressourcen, und das erforderliche Fachwissen verfügen.

(33)

Die Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten sollten über die erforderlichen Befugnisse und das erforderliche Fachwissen zur Durchführung von Untersuchungen verfügen. Die Übertragung dieser Befugnisse an die Behörden bedeutet nicht, dass sie verpflichtet sind, diese Befugnisse bei jeder Untersuchung, die sie durchführen, auszuüben. Die Befugnisse der Durchsetzungsbehörden sollten sie beispielsweise in die Lage versetzen, Sachinformationen wirksam zusammenzutragen, und die Durchsetzungsbehörden sollten befugt sein, gegebenenfalls die Beendigung einer verbotenen Handelspraktik anzuordnen.

(34)

Abschreckende Maßnahmen, wie die Befugnis zur Verhängung von Geldbußen und anderen ebenso wirksamen Sanktionen oder zur Einleitung von Verfahren z. B. gerichtlichen Verfahren zur Verhängung solcher Geldbußen und ebenso wirksamer Sanktionen, und zur Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen, einschließlich der Veröffentlichung von Angaben zu Käufern, die Verstöße begangen haben, können eine Änderung von Verhaltensmustern sowie vorgerichtliche Lösungen zwischen den Parteien begünstigen und sollten daher Teil der Befugnisse der Durchsetzungsbehörden sein. Geldbußen können besonders wirksam und abschreckend sein. Jedoch sollte die Durchsetzungsbehörde bei jeder Ermittlung entscheiden können, welche ihrer Befugnisse sie ausüben wird und ob sie eine Geldbuße oder eine andere ebenso wirksamen Sanktion verhängen bzw. ein Verfahren zu deren Verhängung einleiten wird.

(35)

Die Ausübung der den Durchsetzungsbehörden durch diese Richtlinie übertragenen Befugnisse sollte in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geeigneten Garantien unterliegen, die den Anforderungen der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich der Achtung der Verteidigungsrechte des Käufers, gerecht werden.

(36)

Die Kommission und die Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten sollten eng zusammenarbeiten, um einen gemeinsamen Ansatz bei der Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie zu gewährleisten. Insbesondere sollten die Durchsetzungsbehörden einander Amtshilfe leisten, indem sie beispielsweise Informationen austauschen und bei Untersuchungen, die eine grenzüberschreitende Dimension haben, Unterstützung bieten.

(37)

Um eine wirksame Durchsetzung zu erleichtern, sollte die Kommission bei der Organisation von regelmäßigen Treffen zwischen den Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten behilflich sein, bei denen einschlägige Informationen, bewährte Verfahren, neue Entwicklungen, Durchsetzungsverfahren und Empfehlungen im Hinblick auf die Anwendung der in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen ausgetauscht werden können.

(38)

Um diesen Austausch zu erleichtern, sollte die Kommission eine öffentliche Website einrichten, die Verweise auf die nationalen Durchsetzungsbehörden einschließlich Informationen über die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie enthält.

(39)

Da die meisten Mitgliedstaaten bereits über eigene — wenn auch sehr unterschiedliche — Vorschriften zur Eindämmung unlauterer Handelspraktiken verfügen, sollte für die Einführung eines Mindestschutzstandards nach Unionsrecht eine Richtlinie verwendet werden. Auf diese Weise sollten die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden, die einschlägigen Vorschriften in ihre nationale Rechtsordnung zu integrieren, um die Festlegung kohärenter Regelwerke zu ermöglichen. Die Mitgliedstaaten sollten nicht daran gehindert werden, vorbehaltlich der Grenzen des für das Funktionieren des Binnenmarkts geltenden Unionsrechts in ihrem Hoheitsgebiet strengere nationale Vorschriften beizubehalten oder einzuführen, die ein höheres Maß an Schutz vor unlauteren Handelspraktiken bieten, die in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette auftreten, sofern diese Vorschriften verhältnismäßig sind.

(40)

Vorbehaltlich der Grenzen des für das Funktionieren des Binnenmarkts geltenden Unionsrechts sollten die Mitgliedstaaten auch in der Lage sein, nationale Vorschriften zur Bekämpfung von nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden unlauteren Handelspraktiken beizubehalten oder einzuführen, sofern diese Vorschriften verhältnismäßig sind. Solche nationalen Vorschriften könnten über diese Richtlinie hinausgehen, beispielsweise in Bezug auf die Größe der Käufer und Lieferanten, den Schutz von Käufern, die Palette der betroffenen Erzeugnisse und die Palette der betroffenen Dienstleistungen. Solche nationalen Vorschriften könnten auch in Bezug auf die Anzahl und Art der verbotenen unlauteren Handelspraktiken über diese Richtlinie hinausgehen.

(41)

Solche nationalen Vorschriften würden neben freiwilligen Steuerungsmaßnahmen, beispielsweise nationalen Verhaltenskodizes oder der „Supply Chain Initiative“, zur Anwendung kommen. Der Rückgriff auf die freiwillige alternative Streitbeilegung zwischen Lieferanten und Käufern sollte ausdrücklich gefördert werden, ohne dass das Recht des Lieferanten, Beschwerden einzureichen oder sich an ein Zivilgericht zu wenden, davon berührt wird.

(42)

Die Kommission sollte einen Überblick über die Umsetzung dieser Richtlinie in den Mitgliedstaaten haben. Darüber hinaus sollte die Kommission die Wirksamkeit dieser Richtlinie bewerten können. Zu diesem Zweck sollten die Durchsetzungsbehörden der Mitgliedstaaten der Kommission Jahresberichte vorlegen. Diese Berichte sollten gegebenenfalls quantitative und qualitative Informationen über Beschwerden, Untersuchungen und die getroffenen Entscheidungen enthalten. Zur Gewährleistung einheitlicher Bedingungen für die Umsetzung der Berichtspflicht sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden. Diese Befugnisse sollten im Einklang mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates (7) ausgeübt werden.

(43)

Im Interesse einer wirksamen Umsetzung der Politik in Bezug auf unlautere Handelspraktiken zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette sollte die Kommission die Anwendung dieser Richtlinie überprüfen und dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen einen Bericht vorlegen. Bei dieser Überprüfung sollte insbesondere die Wirksamkeit nationaler Maßnahmen zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelkette und die Wirksamkeit der Zusammenarbeit zwischen den Durchsetzungsbehörden bewertet werden. Bei der Überprüfung sollte insbesondere auch darauf geachtet werden, ob der Schutz der Käufer von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen in der Versorgungskette — zusätzlich zum Schutz der Lieferanten — künftig gerechtfertigt wäre. Dem Bericht sollten gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge beifügt sein.

(44)

Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Festlegung eines unionsweiten Mindestschutzstandards durch Harmonisierung der unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit unlauteren Handelspraktiken, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr wegen seines Umfangs und seiner Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

Gegenstand und Anwendungsbereich

(1)   Zur Bekämpfung von Praktiken, die gröblich von der guten Handelspraxis abweichen, gegen das Gebot von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs verstoßen und einem Handelspartner einseitig von einem anderen aufgezwungen werden, wird in dieser Richtlinie eine Mindestliste verbotener unlauterer Handelspraktiken in Beziehungen zwischen Käufern und Lieferanten in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette festgelegt, und es werden Mindestvorschriften für die Durchsetzung der Verbote und Regelungen für die Koordinierung zwischen den Durchsetzungsbehörden festgelegt.

(2)   Diese Richtlinie gilt für bestimmte unlautere Handelspraktiken im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen durch

a)

Lieferanten, die einen Jahresumsatz von höchstens 2 000 000 EUR haben, an Käufer, die einen Jahresumsatz von mehr als 2 000 000 EUR haben;

b)

Lieferanten, die einen Jahresumsatz von mehr als 2 000 000 EUR und höchstens 10 000 000 EUR haben, an Käufer, die einen Jahresumsatz von mehr als 10 000 000 Mio. EUR haben;

c)

Lieferanten, die einen Jahresumsatz von mehr als 10 000 000 EUR und höchstens 50 000 000 EUR haben, an Käufer, die einen Jahresumsatz von mehr als 50 000 000 EUR haben;

d)

Lieferanten, die einen Jahresumsatz von mehr als 50 000 000 EUR und höchstens 150 000 000 EUR haben, an Käufer, die einen Jahresumsatz von mehr als 150 000 000 EUR haben;

e)

Lieferanten, die einen Jahresumsatz von mehr als 150 000 000 EUR und höchstens 350 000 000 EUR haben, an Käufer, die einen Jahresumsatz von mehr als 350 000 000 EUR haben.

Der in Unterabsatz 1 Buchstaben a bis e genannte Jahresumsatz der Lieferanten und Käufer ist gemäß den einschlägigen Teilen des Anhangs der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission (8), insbesondere den Artikel 3, 4 und 6, einschließlich der Begriffsbestimmungen für „eigenständiges Unternehmen“, „Partnerunternehmen“, „verbundenes Unternehmen“ und gemäß anderer mit dem Jahresumsatz zusammenhängender Fragen zu verstehen.

Abweichend von Unterabsatz 1 gilt diese Richtlinie für Verkäufe von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen durch Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis 350 000 000 EUR an alle Käufer, die Behörden sind.

Die vorliegende Richtlinie gilt für Verkäufe, bei denen entweder der Lieferant oder der Käufer oder beide in der Union niedergelassen sind.

Die vorliegende Richtlinie gilt auch für Dienstleistungen, die der Käufer für den Lieferanten erbringt, soweit diese Dienstleistungen in Artikel 3 ausdrücklich genannt werden.

Die vorliegende Richtlinie gilt nicht für Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Verbrauchern.

(3)   Diese Richtlinie gilt für Liefervereinbarungen, die nach dem Tag geschlossen werden, ab dem die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie gemäß Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 gelten.

(4)   Liefervereinbarungen, die vor dem in Artikel 13 Absatz 1 Unterabsatz 1 genannten Tag der Veröffentlichung der Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie geschlossen werden, werden innerhalb von zwölf Monaten nach dem genannten Tag der Veröffentlichung mit dieser Richtlinie in Einklang gebracht.

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.   „Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse“: Erzeugnisse, die in Anhang I AEUV aufgeführt sind, sowie Erzeugnisse, die nicht in dem genannten Anhang aufgeführt sind, jedoch aus dort aufgeführten Erzeugnissen zur Verwendung als Lebensmittel verarbeitet wurden;

2.   „Käufer“: jede natürliche oder juristische Person, unabhängig vom Niederlassungsort dieser Person, oder jede Behörde in der Union, die Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse erwirbt; der Begriff „Käufer“ kann auch eine Gruppe solcher natürlicher und juristischer Personen bezeichnen;

3.   „Behörde“: nationale, regionale oder lokale Behörden, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Behörden oder einer oder mehreren dieser Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen;

4.   „Lieferant“: jeder landwirtschaftliche Erzeuger oder jede natürliche oder juristische Person, unabhängig von seinem bzw. ihrem Niederlassungsort, der bzw. die Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse verkauft; der Begriff „Lieferant“ kann auch eine Gruppe solcher landwirtschaftlicher Erzeuger oder eine Gruppe solcher natürlicher und juristischer Personenwie Erzeugerorganisationen, Lieferantenorganisationen und Vereinigungen solcher Organisationen umfassen;

5.   „verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse“: Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse, bei denen aufgrund ihrer Beschaffenheit oder auf ihrer Stufe der Verarbeitung davon auszugehen ist, dass sie innerhalb von 30 Tagen nach der Ernte, der Erzeugung oder der Verarbeitung nicht mehr zum Verkauf geeignet sind.

Artikel 3

Verbot unlauterer Handelspraktiken

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass mindestens alle folgenden unlauteren Handelspraktiken verboten sind:

a)

Der Käufer bezahlt den Lieferanten,

i)

wenn die Liefervereinbarung eine regelmäßige Lieferung von Erzeugnissen festlegt,

für verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr als 30 Tage nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums, in dem Lieferungen erfolgt sind, oder mehr als 30 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags für diesen Lieferzeitraum, je nachdem, welcher der beiden Zeitpunkte der spätere ist;

für andere Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr als 60 Tage nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums, in dem Lieferungen erfolgt sind, oder mehr als 60 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags für diesen Lieferzeitraum, je nachdem, welcher der beiden Zeitpunkte der spätere ist.

für die Zwecke der in dieser Ziffer genannten Zahlungsfristen ist in jedem Fall anzunehmen, dass die vereinbarten Lieferzeiträume einen Monat nicht überschreiten;

ii)

wenn die Liefervereinbarung keine regelmäßige Lieferung von Erzeugnissen festlegt,

für verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr als 30 Tage nach dem Tag der Lieferung oder mehr als 30 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags, je nachdem, welcher der beiden Zeitpunkte der spätere ist;

für andere Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse mehr als 60 Tage nach dem Tag der Lieferung oder mehr als 60 Tage nach der Festlegung des zu zahlenden Betrags, je nachdem, welcher der beiden Zeitpunkte der spätere ist.

Legt der Käufer den zu zahlenden Betrag fest, so beginnt unbeschadet der Ziffern i und ii des vorliegenden Buchstabens

die in Ziffer i genannte Zahlungsfrist mit dem Ende des vereinbarten Lieferzeitraums, in dem Lieferungen erfolgt sind, und

die in Ziffer ii genannte Zahlungsfrist mit dem Tag der Lieferung.

b)

Der Käufer storniert die Bestellung verderblicher Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse so kurzfristig, dass von einem Lieferanten nach vernünftigem Ermessen nicht erwartet werden kann, dass er eine alternative Vermarktungs- oder Verwendungsmöglichkeit für diese Erzeugnisse findet; eine Stornierungsfrist von weniger als 30 Tagen gilt in jedem Fall als kurzfristig in hinreichend begründeten Fällen und für spezifische Sektoren können die Mitgliedstaaten eine kürzere Frist als 30 Tage festsetzen.

c)

Der Käufer ändert einseitig die Bedingungen einer Liefervereinbarung für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse in Bezug auf Häufigkeit, Methode, Ort, Zeitpunkt oder Umfang der Lieferung von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen oder Preise oder im Hinblick auf die Erbringung von Dienstleistungen, soweit diese in Absatz 2 ausdrücklich genannt werden.

d)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten Zahlungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen des Lieferanten stehen.

e)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Qualitätsminderung oder den Verlust von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen oder beides bezahlt, die in den Räumlichkeiten des Käufers auftreten oder nachdem der Besitz auf den Käufer übergegangen ist, wenn die Qualitätsminderung oder der Verlust nicht durch Fahrlässigkeit oder Verschulden des Lieferanten verursacht werden.

f)

Der Käufer verweigert die schriftliche Bestätigung der Bedingungen einer Liefervereinbarung zwischen dem Käufer und dem Lieferanten, für die der Lieferant eine schriftliche Bestätigung verlangt hat; dies gilt nicht, wenn die Liefervereinbarung sich auf Erzeugnisse bezieht, die von einem Mitglied einer Erzeugerorganisation einschließlich einer Genossenschaft an die Erzeugerorganisation, der der Lieferant angehört, geliefert werden sollen, wenn die Satzung dieser Erzeugerorganisation oder die sich aus dieser Satzung ergebenden oder darin vorgesehenen Regeln und Beschlüsse Bestimmungen enthalten, mit denen eine ähnliche Wirkung erzielt wird wie mit den Bedingungen der Liefervereinbarung.

g)

Der Käufer erwirbt oder nutzt Geschäftsgeheimnisse des Lieferanten rechtswidrig im Sinne der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates (9) oder legt diese rechtswidrig im Sinne der genannten Richtlinie offen.

h)

Der Käufer droht dem Lieferanten Vergeltungsmaßnahmen kommerzieller Art an oder ergreift gegen ihn derartige Maßnahmen, wenn der Lieferant seine vertraglichen oder gesetzlichen Rechte geltend macht, auch indem er bei den Durchsetzungsbehörden Beschwerde einreicht oder bei einer Ermittlung mit den Durchsetzungsbehörden zusammenarbeitet.

i)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten eine Entschädigung für die Kosten der Bearbeitung von Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Verkauf der Erzeugnisse des Lieferanten, obwohl weder fahrlässig noch vorsätzlich ein Verschulden des Lieferanten vorliegt.

Das Verbot gemäß Unterabsatz 1Buchstabe a gilt unbeschadet

der Folgen von Zahlungsverzug und der Rechtsbehelfe gemäß der Richtlinie 2011/7/EU, die — abweichend von den in der genannten Richtlinie festgelegten Zahlungsfristen — auf Grundlage der in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Zahlungsfristen gelten;

der Möglichkeit eines Käufers oder Lieferanten, eine Wertaufteilungsklausel gemäß Artikel 172a der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 zu vereinbaren.

Das Verbot gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe a gilt nicht für Zahlungen

eines Käufers an einen Lieferanten, wenn diese Zahlungen im Rahmen des Schulprogramms gemäß Artikel 23 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 geleistet werden;

von öffentlichen Einrichtungen, die Gesundheitsdienste im Sinne des Artikels 4 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2011/7/EU anbieten;

im Rahmen von Liefervereinbarungen zwischen Lieferanten von Trauben und Most für die Weinerzeugung und deren unmittelbaren Käufern, sofern

i)

die spezifischen Zahlungsbedingungen für Verkäufe in den Musterverträgen enthalten sind, die gemäß Artikel 164 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 vor dem 1. Januar 2019 von dem betreffenden Mitgliedstaat verbindlich vorgeschrieben wurden, und diese Ausdehnung der Musterverträge vom Mitgliedstaat ab dem genannten Tag ohne wesentliche Änderungen der Zahlungsbedingungen zum Nachteil von Lieferanten von Trauben oder Most erneuert wird und

ii)

die Liefervereinbarungen zwischen Lieferanten von Trauben oder Most für die Weinerzeugung und deren unmittelbaren Käufern mehrjährige Verträge sind oder zu mehrjährigen Verträgen werden.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass mindestens alle folgenden Handelspraktiken verboten sind, es sei denn, diese sind zuvor klar und eindeutig in der Liefervereinbarung oder in einer Folgevereinbarung zwischen dem Lieferanten und dem Käufer vereinbart worden:

a)

Der Käufer schickt nicht verkaufte Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse an den Lieferanten zurück, ohne für diese nicht verkauften Erzeugnisse oder für die Beseitigung dieser Erzeugnisse oder für beides zu bezahlen.

b)

Vom Lieferanten wird eine Zahlung dafür verlangt, dass seine Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse gelagert, zum Verkauf angeboten, gelistet oder auf dem Markt bereitgestellt werden.

c)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser die gesamten Kosten oder einen Teil davon für Preisnachlässe bei Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, die der Käufer im Rahmen einer Verkaufsaktion verkauft, trägt.

d)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Werbung für Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse durch den Käufer zahlt.

e)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Vermarktung von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen durch den Käufer zahlt.

f)

Der Käufer verlangt vom Lieferanten eine Zahlung für das Personal für die Einrichtung der Räumlichkeiten, in denen die Erzeugnisse des Lieferanten verkauft werden.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Unterabsatz 1 Buchstabe c genannte Handelspraxis verboten ist, außer in den Fällen, in denen der Käufer eine Verkaufsaktion veranlasst, vor deren Beginn der Käufer mitteilt, in welchem Zeitraum die Aktion laufen wird und welche Menge an Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen voraussichtlich zu dem niedrigeren Preis bestellt wird.

(3)   Verlangt der Käufer in den in Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstaben b, c, d, e oder f genannten Fällen eine Zahlung, so muss der Käufer dem Lieferanten auf dessen Verlangen — je nach Sachlage — eine Schätzung der Zahlungen je Einheit oder der Zahlungen insgesamt in schriftlicher Form und in den in Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstaben b, d, e oder f genannten Fällen auch eine Kostenschätzung sowie die Grundlage für diese Schätzung in schriftlicher Form vorlegen.

(4)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es sich bei den in den Absätzen 1 und 2 festgelegten Verboten um übergeordnete zwingende Bestimmungen handelt, die auf alle in den Anwendungsbereich dieser Verbote fallenden Situationen anwendbar sind, unabhängig davon, welche rechtlichen Bestimmungen sonst für die Liefervereinbarung zwischen den Vertragsparteien gelten.

Artikel 4

Benannte Durchsetzungsbehörden

(1)   Jeder Mitgliedstaat benennt eine oder mehrere Behörden zur Durchsetzung der in Artikel 3 festgelegten Verbote auf nationaler Ebene („Durchsetzungsbehörde“), und unterrichtet die Kommission über diese Benennung.

(2)   Benennt ein Mitgliedstaat mehr als eine Durchsetzungsbehörde in seinem Hoheitsgebiet, so benennt er eine zentrale Kontaktstelle sowohl für die Zusammenarbeit zwischen den Durchsetzungsbehörden als auch für die Zusammenarbeit mit der Kommission.

Artikel 5

Beschwerden und Vertraulichkeit

(1)   Der Lieferant kann Beschwerden bei der Durchsetzungsbehörde des Mitgliedstaats, in dem er niedergelassen ist, oder bei der Durchsetzungsbehörde des Mitgliedstaats einreichen, in dem der Käufer niedergelassen ist, der im Verdacht steht, an einer verbotenen Handelspraktik beteiligt zu sein. Die Durchsetzungsbehörde, an welche die Beschwerde gerichtet ist, ist für die Durchsetzung der in Artikel 3 festgelegten Verbote zuständig.

(2)   Erzeugerorganisationen, andere Lieferantenorganisationen und Vereinigungen solcher Organisationen, haben das Recht, auf Antrag eines oder mehrerer ihrer Mitglieder oder gegebenenfalls auf Antrag eines oder mehrerer Mitglieder ihrer Mitgliedsorganisationen eine Beschwerde einzureichen, wenn diese Mitglieder der Auffassung sind, dass sie einer verbotenen Handelspraktik ausgesetzt sind. Andere Organisationen, die ein berechtigtes Interesse daran haben, Lieferanten zu vertreten, haben das Recht, auf Ersuchen eines Lieferanten und im Interesse dieses Lieferanten eine Beschwerde einzureichen, vorausgesetzt, diese Organisationen sind unabhängige juristische Personen, die mit ihrer Tätigkeit keinen Erwerbszweck verfolgen.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Durchsetzungsbehörde auf Antrag des Beschwerdeführers die erforderlichen Maßnahmen trifft, um die Identität des Beschwerdeführers oder der Mitglieder oder Lieferanten gemäß Absatz 2 sowie aller sonstigen Informationen, deren Offenlegung nach Ansicht des Beschwerdeführers den Interessen des Beschwerdeführers oder der Mitglieder oder Lieferanten schaden würde, angemessen zu schützen. Der Beschwerdeführer muss alle Informationen angeben, für die er eine vertrauliche Behandlung beantragt.

(4)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Durchsetzungsbehörde, bei der die Beschwerde eingeht, dem Beschwerdeführer innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eingang der Beschwerde mitteilt, wie sie mit der Beschwerde zu verfahren gedenkt.

(5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Durchsetzungsbehörde, die der Auffassung ist, dass keine ausreichenden Gründe vorliegen, um einer Beschwerde nachzugehen, dem Beschwerdeführer die Gründe hierfür innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eingang der Beschwerde mitteilt.

(6)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Durchsetzungsbehörde, die der Auffassung ist, dass ausreichend Gründe vorliegen, um einer Beschwerde nachzugehen, innerhalb einer angemessenen Frist eine Untersuchung einleitet, durchführt und abschließt.

(7)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Durchsetzungsbehörde, die feststellt, dass ein Käufer gegen die in Artikel 3 genannten Verbote verstoßen hat, vom Käufer verlangt, die verbotene Handelspraktik einzustellen.

Artikel 6

Befugnisse der Durchsetzungsbehörden

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass jede ihrer Durchsetzungsbehörden über die Ressourcen und das Fachwissen verfügt, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich sind, und übertragen ihr folgende Befugnisse:

a)

die Befugnis, Untersuchungen auf eigene Initiative oder aufgrund einer Beschwerde einzuleiten und durchzuführen;

b)

die Befugnis, von Käufern und Lieferanten zu verlangen, alle zur Durchführung von Untersuchungen im Zusammenhang mit den verbotenen Handelspraktiken erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen;

c)

die Befugnis, im Rahmen ihrer Untersuchungen im Einklang mit den nationalen Vorschriften und Verfahren unangekündigte Nachprüfungen vor Ort durchzuführen;

d)

die Befugnis, Entscheidungen zu treffen, mit denen festgestellt wird, dass ein Verstoß gegen die in Artikel 3 festgelegten Verbote vorliegt, und vom Käufer verlangt wird, die verbotene Handelspraktik einzustellen; die Behörde kann von einer solchen Entscheidung absehen, wenn dadurch die Identität eines Beschwerdeführers oder sonstige Informationen bekannt werden könnten, deren Offenlegung nach Ansicht des Beschwerdeführers seinen Interessen schadet, und sofern der Beschwerdeführer diese Informationen gemäß Artikel 5 Absatz 3 angegeben hat;

e)

die Befugnis, im Einklang mit den nationalen Vorschriften und Verfahren gegen den Urheber des Verstoßes Maßnahmen zur Verhängung von Geldbußen und anderen ebenso wirksamen Sanktionen, einschließlich einstweiliger Verfügungen, zu verhängen oder diesbezügliche Verfahren zu veranlassen;

f)

die Befugnis, ihre gemäß den Buchstaben d und e getroffenen Entscheidungen regelmäßig zu veröffentlichen.

Die Sanktionen gemäß Unterabsatz 1 Buchstabe e müssen unter Berücksichtigung von Art, Dauer, wiederholtem Auftreten und Schwere des Verstoßes wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Ausübung der in Absatz 1 genannten Befugnisse angemessenen Garantien der Rechte der Verteidigung gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unterliegt, auch wenn der Beschwerdeführer gemäß Artikel 5 Absatz 3 die vertrauliche Behandlung der Informationen beantragt.

Artikel 7

Alternative Streitbeilegung

Unbeschadet des Rechts der Lieferanten, gemäß Artikel 5 eine Beschwerde einzureichen, und der Befugnisse der Durchsetzungsbehörden gemäß Artikel 6 können die Mitgliedstaaten die freiwillige Nutzung wirksamer und unabhängiger Streitbeilegungsverfahren, etwa Mediation, zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Lieferanten und Käufern in Bezug auf den Einsatz unlauterer Handelspraktiken durch den Käufer unterstützen.

Artikel 8

Zusammenarbeit zwischen den Durchsetzungsbehörden

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Durchsetzungsbehörden miteinander und mit der Kommission wirksam zusammenarbeiten und dass sie einander bei Untersuchungen mit grenzüberschreitender Dimension Amtshilfe leisten.

(2)   Die Durchsetzungsbehörden treffen sich mindestens einmal jährlich, um über die Anwendung dieser Richtlinie auf der Grundlage der in Artikel 10 Absatz 2 genannten Jahresberichte zu beraten. Die Durchsetzungsbehörden beraten über bewährte Verfahren, neue Fälle und neue Entwicklungen auf dem Gebiet der unlauteren Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette und tauschen Informationen aus, insbesondere über die Durchführungsmaßnahmen, die sie im Einklang mit dieser Richtlinie erlassen haben, und darüber, wie sie diese durchsetzen. Die Durchsetzungsbehörden können Empfehlungen annehmen, um die einheitliche Anwendung dieser Richtlinie zu fördern und die Durchsetzung zu verbessern. Die Kommission unterstützt die Durchführung dieser Treffen.

(3)   Die Kommission erstellt und verwaltet eine Website, welche, insbesondere im Zusammenhang mit den jährlichen Treffen, den Austausch von Informationen zwischen den Durchsetzungsbehörden und der Kommission ermöglicht. Die Kommission erstellt eine öffentliche Website mit den Kontaktangaben der benannten Durchsetzungsbehörden und mit Links zu Websites der nationalen Durchsetzungsbehörden oder anderen Behörden der Mitgliedstaaten, auf denen Informationen über die Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 enthalten sind.

Artikel 9

Nationale Vorschriften

(1)   Zur Sicherstellung eines höheren Schutzniveaus können die Mitgliedstaaten strengere als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken beibehalten oder einführen, sofern diese nationalen Vorschriften mit den Regeln für das Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar sind.

(2)   Diese Richtlinie gilt unbeschadet der nationalen Vorschriften zur Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, sofern diese Vorschriften mit den Vorschriften über das Funktionieren des Binnenmarkts vereinbar sind.

Artikel 10

Berichterstattung

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ihre Durchsetzungsbehörden einen Jahresbericht über ihre in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Tätigkeiten veröffentlichen, in dem unter anderem die Zahl der im Vorjahr eingegangenen Beschwerden und der im Vorjahr eingeleiteten bzw. abgeschlossenen Untersuchungen angegeben ist. In diesen Bericht sind für jede abgeschlossene Untersuchung vorbehaltlich der in Artikel 5 Absatz 3 festgelegten Vertraulichkeitsverpflichtungen eine zusammenfassende Beschreibung des Sachverhalts, das Ergebnis der Untersuchung und gegebenenfalls die getroffene Entscheidung aufzunehmen.

(2)   Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission bis zum 15. März jedes Jahres einen Bericht über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette. Dieser Bericht muss insbesondere alle relevanten Angaben dazu enthalten, wie die Vorschriften im Rahmen dieser Richtlinie in dem betreffenden Mitgliedstaat im Vorjahr angewandt und durchgesetzt wurden.

(3)   Die Kommission kann Durchführungsrechtsakte erlassen, in denen Folgendes festgelegt wird:

a)

Vorschriften über die Informationen, die für die Anwendung des Absatzes 2 erforderlich sind;

b)

Regelungen für die Verwaltung der Informationen, welche die Mitgliedstaaten der Kommission zu übermitteln haben, sowie Bestimmungen zu Inhalt und Form dieser Informationen;

c)

Regelungen für die Übermittlung oder Bereitstellung von Informationen und Dokumenten an bzw. für die Mitgliedstaaten, internationale Organisationen, die zuständigen Behörden in Drittländern oder die Öffentlichkeit vorbehaltlich des Schutzes personenbezogener Daten und der berechtigten Interessen von landwirtschaftlichen Erzeugern und Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse.

Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 11 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Artikel 11

Ausschussverfahren

(1)   Die Kommission wird von dem gemäß Artikel 229 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 eingesetzten Ausschuss für die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte unterstützt. Dieser Ausschuss ist ein Ausschuss im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 182/2011.

(2)   Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gilt Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011.

Artikel 12

Bewertung

(1)   Bis 1. November 2025 führt die Kommission die erste Bewertung dieser Richtlinie durch und legt dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen einen Bericht über die wichtigsten Erkenntnisse dieser Bewertung vor. Dieser Bericht wird gegebenenfalls von Gesetzgebungsvorschlägen begleitet.

(2)   Im Rahmen dieser Bewertung wird mindestens Folgendes bewertet:

a)

die Wirksamkeit der auf nationaler Ebene mit dem Ziel der Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette durchgeführten Maßnahmen und

b)

die Wirksamkeit der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Durchsetzungsbehörden, und es werden in der Bewertung gegebenenfalls Möglichkeiten angegeben, wie diese Zusammenarbeit verbessert werden kann.

(3)   Die Kommission stützt den in Absatz 1 genannten Bericht auf die in Artikel 10 Absatz 2 genannten Jahresberichte. Falls erforderlich fordert die Kommission von den Mitgliedstaaten zusätzliche Angaben an, einschließlich Angaben zur Wirksamkeit der auf nationaler Ebene durchgeführten Maßnahmen und zur Wirksamkeit der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Amtshilfe.

(4)   Bis 1. November 2021 legt die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie dem Ausschuss der Regionen einen Zwischenbericht über den Stand der Umsetzung und Durchführung dieser Richtlinie vor.

Artikel 13

Umsetzung

(1)   Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis 1. Mai 2021 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Maßnahmen mit.

Sie wenden diese Maßnahmen spätestens am 1. November 2021 an.

Bei Erlass dieser Maßnahmen nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf die vorliegende Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme.

(2)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten nationalen Vorschriften mit, die sie auf dem unter diese Richtlinie fallenden Gebiet erlassen.

Artikel 14

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am fünften Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 15

Adressaten

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Straßburg am 17. April 2019.

Im Namen des Europäischen Parlaments

Der Präsident

A. TAJANI

Im Namen des Rates

Der Präsident

G. CIAMBA


(1)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 165.

(2)  ABl. C 387 vom 25.10.2018, S. 48.

(3)  Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 12. März 2019 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 9. April 2019.

(4)  ABl. C 86 vom 6.3.2018, S. 40.

(5)  Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 48 vom 23.2.2011, S. 1).

(6)  Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 922/72, (EWG) Nr. 234/79, (EG) Nr. 1037/2001 und (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 671).

(7)  Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13).

(8)  Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20.5.2003, S. 36).

(9)  Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (ABl. L 157 vom 15.6.2016, S. 1).


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