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Document 31995Y1007(01)

Entschließung des Rates vom 25. September 1995 zur Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen

OJ C 262, 7.10.1995, p. 1–3 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

In force

31995Y1007(01)

Entschließung des Rates vom 25. September 1995 zur Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen

Amtsblatt Nr. C 262 vom 07/10/1995 S. 0001 - 0003


ENTSCHLIESSUNG DES RATES vom 25. September 1995 zur Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen (95/C 262/01)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION -

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel K.1,

gestützt auf das vom Rat am 30. November 1993 angenommene vorrangige Arbeitsprogramm, in dem eine eingehende Prüfung der Frage der Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des Aufenthalts von Flüchtlingen in Westeuropa vorgesehen ist,

gestützt auf die von den für Einwanderung zuständigen Ministern auf ihrer Tagung vom 30. November/1. Dezember 1992 in London angenommene Entschließung zu den infolge des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien Vertriebenen,

gestützt auf die von den für Einwanderung zuständigen Ministern auf ihrer Tagung vom 1./2. Juni 1993 in Kopenhagen angenommene Entschließung über gemeinsame Leitlinien für die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Personengruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien,

gestützt auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 1994 zu den Grundprinzipien einer europäischen Flüchtlingspolitik, in der die Notwendigkeit betont wird, die Flüchtlinge gleichmäßig auf die Länder der Gemeinschaft zu verteilen,

gestützt auf die Mitteilung der Kommission vom 23. Februar 1994 zur Einwanderungspolitik und zum Asylrecht,

in Erwägung nachstehender Gründe:

Der Europäische Rat würdigte auf seiner Tagung vom 9./10. Dezember 1994 in Essen die von einzelnen Mitgliedstaaten gezeigte Bereitschaft zur vorübergehenden Aufnahme einer großen Anzahl von Kriegs- oder Bürgerkriegsfluechtlingen und forderte den Rat (Justiz und Inneres) auf, die durch den Zustrom von Flüchtlingen entstehenden Probleme mit dem Ziel zu prüfen, möglichst bald zu einer wirksamen Regelung der künftigen Lastenteilung auf dem Gebiet der humanitären Hilfe zu gelangen.

Konfliktsituationen, die zur Vertreibung von Bevölkerungsgruppen führen, erfordern in erster Linie friedensstiftende Maßnahmen. Der betroffenen Zivilbevölkerung muß hauptsächlich an Ort und Stelle geholfen werden, vor allem durch die Schaffung von Sicherheitszonen und -korridoren sowie durch humanitäre Hilfe.

Der Rat ist sich jedoch darüber einig, daß Menschen, die sich aufgrund eines bewaffneten Konflikts oder eines Bürgerkriegs in einer Gefahr für Leben oder Gesundheit befinden, nach dem Regionalisierungsprinzip des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) auch in Zukunft nach Möglichkeit Hilfe durch vorübergehende Aufnahme in den Mitgliedstaaten gewährt werden muß, wenn die Gefahr nicht auf andere Weise abgewendet werden kann.

Bei Auftreten einer solchen Situation ist es wünschenswert, daß die Aufnahme- und Aufenthaltsbedingungen für diese Menschen von den Mitgliedstaaten auf einer Grundlage der Konzertierung und der Solidarität geschaffen werden.

Die Mitgliedstaaten bekunden in dieser Hinsicht ihre Bereitschaft, die Verantwortung für die Aufnahme von Vertriebenen und ihren vorübergehenden Aufenthalt bestmöglich zu teilen.

Die Mitgliedstaaten sind dem Grundsatz verpflichtet, daß die Reaktionen auf Notsituationen in der Europäischen Union nahen Ländern so gleichartig wie möglich sein müssen, wenn die Umstände dies zulassen.

Es ist wünschenswert, die Auswirkungen, welche die zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede in den Regelungen für die Aufnahme von Vertriebenen auf die Richtung der Einwanderungsbewegungen haben, auf ein Mindermaß zu reduzieren.

Ferner muß ein hinlänglich präziser Rahmen für die operationellen Initiativen vereinbart werden. Gleichzeitig müssen jedoch auf flexible Weise Lösungen gestattet werden, die es - gegebenenfalls außerhalb der Verfahren für die Beantragung des Flüchtlingsstatus - ermöglichen, Menschen aufzunehmen, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen.

Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, daß die Anwendung der in der Geschäftsordnung des Rates (1) vorgesehenen Dringlichkeitsverfahren in derartigen Fällen rasch eine ausgewogene und solidarische Verteilung der Lasten ermöglicht.

Die Mitgliedstaaten können auch Formen eines Finanzausgleichs vorsehen, die durchgeführt werden könnten.

Bei Personen, die gemäß dem Genfer Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in einem Mitgliedstaat um Schutz nachgesucht haben, darf diese Entschließung der Anwendung der Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens vom 15. Juni 1990 nicht entgegenstehen.

Besonders dringliche Notlagen, insbesondere bei bewaffneten Konflikten oder Bürgerkriegen in Drittländern, die die Mitgliedstaaten mit starken, unvorhergesehenen Wanderungsbewegungen konfrontieren, erfordern eine sofortige Reaktion und die vorherige Ausarbeitung von Grundsätzen für die Aufnahme von Vertriebenen. Es ist daher erforderlich, dem Rat die Möglichkeit zu geben, in bestimmten Situationen, die schnelles Handeln erfordern, dringliche Beschlüsse zu fassen, ohne daß durch vorgeschaltete langwierige Verfahren Verzögerungen eintreten -

NIMMT FOLGENDE ENTSCHLIESSUNG AN:

1. a) Unbeschadet der Nummer 7 werden mit dieser Entschließung Personen erfaßt, welche die Mitgliedstaaten im Fall eines bewaffneten Konflikts oder eines Bürgerkriegs vorübergehend unter angemessenen Bedingungen aufzunehmen bereit sind, auch wenn sie ihr Herkunftsgebiet bereits verlassen haben, um sich in einen der Mitgliedstaaten zu begeben. Es handelt sich hierbei insbesondere um Personen,

- die in einem Kriegsgefangenen- oder Internierungslager festgehalten wurden und nicht auf andere Weise vor einer Gefährdung ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihres Lebens geschützt werden können;

- die verletzt oder schwer erkrankt sind und nicht an Ort und Stelle medizinisch behandelt werden können;

- die einer unmittelbaren Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit oder ihr Leben ausgesetzt sind oder waren und in ihrem Herkunftsgebiet nicht auf andere Weise geschützt werden können;

- die Opfer sexueller Gewalttätigkeiten geworden sind, sofern ihnen in sicheren Gebieten in größtmöglicher Nähe ihrer Wohngebiete nicht geholfen werden kann;

- die, unmittelbar aus Kampfgebieten kommend, sich innerhalb der Grenzen ihres Landes befinden und in Anbetracht des Konflikts und der Verletzungen der Menschenrechte nicht in ihre Heimat zurückkehren können.

b) Diese Entschließung gilt nicht für Personen, bei denen ernsthafte Gründe zur Annahme bestehen, daß

- sie ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Übereinkünfte begangen haben, die ausgearbeitet wurden, um Bestimmungen für diese Verbrechen vorzusehen;

- sie vor ihrer vorübergehenden Aufnahme durch einen Mitgliedstaat ein schweres Verbrechen des gemeinen Rechts begangen haben.

2. In bestimmten Situationen kann eine harmonisierte Aktion zugunsten von Vertriebenen erforderlich sein, z. B. wenn ein starker Zustrom von Vertriebenen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten stattfindet oder ein solcher Zustrom mit großer Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

Eine solche Aktion wird nach Stellungnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) insbesondere in Erwägung gezogen, wenn Hilfe und angemessener Schutz in den Herkunftsgebieten nicht möglich sind oder das betroffene Gebiet so nahe an dem der Europäischen Union liegt, daß sie selber als Teil des Herkunftsgebiets betrachtet werden könnte.

3. In bestimmten Situationen kann schnelles Handeln erforderlich sein, um eine akute Lebensgefahr für die betroffene Bevölkerung abzuwenden. In diesem Fall werden die in der Geschäftsordnung des Rates für Dringlichkeitsfälle vorgesehenen Bestimmungen (2) angewandt.

4. Der Rat ist sich darin einig, daß eine ausgewogene und solidarische Lastenverteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen in einem Krisenfall unter Berücksichtigung folgender Faktoren erfolgen könnte (3):

- des Beitrags der einzelnen Mitgliedstaaten zur Verhinderung oder Lösung der Krise, insbesondere durch Leistung militärischer Hilfe im Rahmen von Einsätzen und Missionen im Auftrag des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie durch Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten zum Schutz der bedrohten Bevölkerung an Ort und Stelle oder zur Leistung humanitärer Hilfe;

- sämtlicher wirtschaftlicher, sozialer und politischer Faktoren, die sich auf die Kapazität eines Mitgliedstaats, eine größere Anzahl Vertriebener unter zufriedenstellenden Bedingungen aufzunehmen, auswirken können.

5. Es besteht Einvernehmen darüber, daß die Aufteilung der Personen vorrangig schon in den Krisengebieten geregelt werden muß, so daß die größtmögliche Ausgewogenheit im Interesse der betroffenen Personen ermöglicht wird.

6. Diese Entschließung berührt nicht die Praxis, die von einigen oder allen Mitgliedstaaten auf der Grundlage bilateraler oder multilateraler Übereinkünfte bei einer Aufnahme aus humanitären Gründen befolgt wird.

7. Das obengenannte Verfahren gilt nicht für Vertriebene, die vor der Annahme dieser Entschließung in den einzelnen Mitgliedstaaten aufgenommen wurden.

(1) ABl. Nr. L 304 vom 10. 12. 1993, S. 1.

(2) Siehe Artikel 1 Absatz 1, Artikel 8 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 19 Absatz 1.

(3) Diese Faktoren sind Referenznormen, die nach Maßgabe der konkreten Situationen durch andere Faktoren präzisiert werden können.

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