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Document 62023CC0424

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 12. September 2024.


    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:749

    Vorläufige Fassung

    SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

    vom 12. September 2024(1)

    Rechtssache C424/23

    DYKA Plastics NV

    gegen

    Fluvius System Operator CV

    (Vorabentscheidungsersuchen der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Gent [Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent, Belgien])

    „ Vorlage zur Vorabentscheidung – Vergabe öffentlicher Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Art. 42 – Technische Spezifikationen – Arten der Formulierung – Abschließende Aufzählung in Art. 42 Abs. 3 – Vergabeverfahren, in dem die Ausführung der Arbeiten mit Rohren aus Steinzeug oder Beton verlangt wird – Ausschluss von Rohren aus Kunststoff – Verweis auf bestimmte Typen oder bestimmte Produktionen – Begünstigung oder Ausschluss bestimmter Unternehmen oder bestimmter Waren – Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz “






    1.        Die Fluvius System Operator CV(2) verwaltet die Abwassernetze der Gemeinden in der Region Flandern (Belgien). In ihren Aufträgen über die Herstellung oder Erneuerung von Abwasserleitungen verlangt Fluvius in der Regel, dass die Rohre zur Ableitung von Regenwasser aus Beton und die Rohre zur Ableitung von Abwasser aus Steinzeug bestehen müssen.

    2.        Ein Unternehmen, das Kunststoffrohre herstellt und vertreibt, hat beim vorlegenden Gericht beantragt, Fluvius zu verpflichten, solche Rohre grundsätzlich in ihre Aufträge aufzunehmen.

    3.        Das vorlegende Gericht ersucht um Auslegung von Art. 42 der Richtlinie 2014/24/EU(3), der die technischen Spezifikationen für öffentliche Aufträge (im vorliegenden Fall für Bauaufträge) regelt.

    4.        Der Gerichtshof, der den Begriff der technischen Spezifikationen bereits in einer Reihe von Urteilen ausgelegt hat(4), wird seine Rechtsprechung zu diesem Thema weiterentwickeln müssen, um dem vorlegenden Gericht zu antworten.

    I.      Rechtlicher Rahmen

    A.      Unionsrecht

    1.      Richtlinie 2014/24

    5.        Art. 18 („Grundsätze der Auftragsvergabe“) sieht vor:

    „(1)      Die öffentlichen Auftraggeber behandeln alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.

    Das Vergabeverfahren darf nicht mit der Absicht konzipiert werden, es vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

    …“

    6.        Art. 42 („Technische Spezifikationen“) bestimmt:

    „(1)      Die technischen Spezifikationen im Sinne von Anhang VII Nummer 1 werden in den Auftragsunterlagen dargelegt. In den technischen Spezifikationen werden die für die Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen geforderten Merkmale beschrieben.

    (2)      Die technischen Spezifikationen müssen allen Wirtschaftsteilnehmern den gleichen Zugang zum Vergabeverfahren gewähren und dürfen die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern.

    (3)      Unbeschadet zwingender nationaler Vorschriften – soweit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sind – sind die technischen Spezifikationen auf eine der nachfolgend genannten Arten zu formulieren:

    a)      in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, einschließlich Umweltmerkmalen, sofern die Parameter hinreichend genau sind, um den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand zu vermitteln und den öffentlichen Auftraggebern die Erteilung des Zuschlags zu ermöglichen;

    b)      unter Bezugnahme auf technische Spezifikationen und – in dieser Rangfolge – nationale Normen, mit denen europäische Normen umgesetzt werden, europäische technische Bewertungen, gemeinsame technische Spezifikationen, internationale Normen und andere technische Bezugssysteme, die von den europäischen Normungsgremien erarbeitet wurden oder – falls solche Normen und Spezifikationen fehlen – unter Bezugnahme auf nationale Normen, nationale technische Zulassungen oder nationale technische Spezifikationen für die Planung, Berechnung und Ausführung von Bauleistungen und den Einsatz von Lieferungen, wobei jede Bezugnahme mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ zu versehen ist;

    c)      in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe a unter Bezugnahme auf die technischen Spezifikationen gemäß Buchstabe b als Mittel zur Vermutung der Konformität mit diesen Leistungs- und Funktionsanforderungen;

    d)      unter Bezugnahme auf die technischen Spezifikationen gemäß Buchstabe b hinsichtlich bestimmter Merkmale und unter Bezugnahme auf die Leistungs- oder Funktionsanforderungen gemäß Buchstabe a hinsichtlich anderer Merkmale.

    (4)      Soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, darf in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Herstellung oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer bereitgestellten Waren oder Dienstleistungen charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden. Solche Verweise sind jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn der Auftragsgegenstand nach Absatz 3 nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann. Ein derartiger Verweis ist mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ zu versehen.

    …“

    7.        In Anhang VII („Technische Spezifikationen – Begriffsbestimmungen“) heißt es:

    „Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

    1.      ‚Technische Spezifikation‘ hat eine der folgenden Bedeutungen:

    a)      bei öffentlichen Bauaufträgen die Gesamtheit der insbesondere in den Auftragsunterlagen enthaltenen technischen Beschreibungen, in denen die erforderlichen Eigenschaften eines Werkstoffs, eines Produkts oder einer Lieferung definiert sind, damit dieser/diese den vom öffentlichen Auftraggeber beabsichtigten Zweck erfüllt; zu diesen Eigenschaften gehören Umwelt- und Klimaleistungsstufen, „Design für alle“ (einschließlich des Zugangs von Menschen mit Behinderungen) und Konformitätsbewertung, Leistung, Vorgaben für Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Qualitätssicherungsverfahren, der Terminologie, der Symbole, der Versuchs- und Prüfmethoden, der Verpackung, der Kennzeichnung und Beschriftung, der Gebrauchsanleitungen sowie der Produktionsprozesse und ‑methoden in jeder Phase des Lebenszyklus der Bauleistungen; außerdem gehören dazu auch die Vorschriften für die Planung und die Kostenrechnung, die Bedingungen für die Prüfung, Inspektion und Abnahme von Bauwerken, die Konstruktionsmethoden oder ‑verfahren und alle anderen technischen Anforderungen, die der Auftraggeber für fertige Bauwerke oder dazu notwendige Materialien oder Teile durch allgemeine und spezielle Vorschriften anzugeben in der Lage ist;

    …“

    2.      Richtlinie 2014/25

    8.        Im 24. Erwägungsgrund heißt es:

    „Auftraggeber im Trinkwassersektor können auch andere wasserwirtschaftliche Tätigkeiten in den Bereichen Wasservorhaben, Bewässerung, Entwässerung, Ableitung sowie Klärung von Abwässern ausüben. In derartigen Fällen sollten Auftraggeber in der Lage sein, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vergabeverfahren bei all ihren wasserwirtschaftlichen Tätigkeiten anzuwenden, unabhängig davon, um welchen Teil des ‚Wasserzyklus‘ es geht. …“

    9.        Art. 10 („Wasser“) bestimmt:

    „(1)      In Bezug auf Wasser gilt diese Richtlinie für folgende Tätigkeiten:

    a)      die Bereitstellung und das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser,

    b)      die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze.

    (2)      Diese Richtlinie gilt auch für Aufträge oder Wettbewerbe, die von Auftraggebern vergeben oder ausgerichtet werden, die eine der in Absatz 1 genannten Tätigkeiten ausüben und mit Folgendem im Zusammenhang stehen:

    a)      mit Wasserbauvorhaben sowie Bewässerungs- und Entwässerungsvorhaben, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 % der mit den entsprechenden Vorhaben beziehungsweise Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellten Gesamtwassermenge ausmacht;

    b)      mit der Abwasserbeseitigung oder ‑behandlung.

    …“

    B.      Belgisches Recht: Wet van 17 juni 2016 inzake overheidsopdrachten (Gesetz vom 17. Juni 2016 über öffentliche Aufträge)(5)

    10.      Art. 5 Abs. 1 bestimmt, dass eine Vergabestelle einen öffentlichen Auftrag nicht mit der Absicht konzipieren darf, ihn vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes auszunehmen oder den Wettbewerb künstlich einzuschränken. Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.

    11.      Art. 53 Abs. 2, 3 und 4 entspricht inhaltlich im Wesentlichen Art. 42 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2014/24.

    II.    Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    12.      Fluvius ist im Bereich der Herstellung, Verwaltung und Wartung von Abwassernetzen in Gemeinden in der Region Flandern tätig.

    13.      In den Ausschreibungsunterlagen für ihre öffentlichen Bauaufträge verlangt Fluvius „in der Regel“, dass die Angebote sich auf Betonrohre (zur Ableitung von Regenwasser) oder Steinzeugrohre (zur Ableitung von Abwasser) beschränken.

    14.      Die DYKA Plastics NV (im Folgenden: DYKA), ein Hersteller und Anbieter von Kunststoffrohren, macht geltend, dass diese Vorgabe diskriminierend sei, da sie DYKA von der Teilnahme an den von Fluvius durchgeführten Vergabeverfahren ausschließe.

    15.      DYKA habe sich mehrfach an Fluvius gewandt und die Rechtswidrigkeit dieser Beschaffungspolitik gerügt:

    –        Am 4. Juni 2020 habe sie Fluvius aufgefordert, künftige Ausschreibungen so zu gestalten, dass neben Steinzeug- und Betonrohren auch Kunststoffrohre angeboten werden könnten.

    –        Am 7. Oktober 2020 habe sie Fluvius aufgefordert, genauer anzugeben, welche Art Rohre für den Auftrag „Langeveldstraat Beringen“ (Langeveldstraat in Beringen, Belgien) verwendet werden könnten und ob Kunststoffrohre sowohl für das Regenwasser- als auch für das Abwasserkanalnetz ausgeschlossen seien. Für diesen Fall habe sie darum gebeten, ihr die Gründe für den Ausschluss mitzuteilen.

    16.      Am 15. Oktober 2020 antwortete Fluvius, dass sich die Angebote nur auf Rohre aus (porösem) Beton zur Ableitung von Regenwasser und Rohre aus Steinzeug zur Ableitung von Abwasser beziehen könnten.

    17.      DYKA erhob Klage bei der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Gent (Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent, Belgien) und machte geltend, dass die Verwendung der technischen Spezifikationen durch Fluvius gegen die Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe verstoße. Da Fluvius Kunststoffrohre ohne Angabe von Gründen von ihren Ausschreibungen für Bauaufträge ausschließe, werde DYKA die Möglichkeit genommen, einen Auftrag zu erhalten, wodurch der Wettbewerb offensichtlich beeinträchtigt werde(6).

    18.      Fluvius dagegen ist der Ansicht, dass ihr Vorgehen rechtmäßig sei, und zwar aus folgenden Gründen:

    –        Ihre Auftragsunterlagen schrieben kein „einziges Produkt“ vor.

    –        Es gebe mehrere Hersteller und Anbieter von Steinzeug- und Betonrohren, die sich um die Vergabe des Auftrags bewerben könnten.

    –        Die Festlegung des Materials, aus dem die Abwasserrohre hergestellt werden müssten, liege in ihrem Ermessen.

    –        Es gebe technische Gründe, die die Wahl von Steinzeug oder Beton rechtfertigten. Rohre aus Steinzeug hätten eine Lebensdauer von mindestens 100 Jahren, während Rohre aus Kunststoff eine Lebensdauer von bis zu 50 Jahren hätten. Außerdem wiesen Kunststoffrohre eine deutlich höhere Rate an Defekten und Fehlfunktionen auf als Steinzeugrohre, und ihre Wartungskosten seien viel höher.

    –        Unter Umweltgesichtspunkten brächten Kunststoffrohre Probleme mit sich, die bei Steinzeug- oder Betonrohren nicht aufträten(7).

    –        Sowohl aus finanzieller Sicht als auch im Interesse des öffentlichen Auftraggebers sei es in der Regel sinnvoll, sich für Steinzeugrohre und gegen Kunststoffrohre zu entscheiden. Kunststoffrohre seien jedoch nicht völlig ausgeschlossen, da auf sie zurückgegriffen werden solle, wenn aufgrund der technischen Merkmale des Projekts die Verwendung von Steinzeug- oder Betonrohren nicht ratsam sei.

    19.      Vor diesem Hintergrund legt das vorlegende Gericht dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor:

    1.      Ist Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass die darin enthaltene Aufzählung der Arten der Formulierung technischer Spezifikationen abschließend ist und ein öffentlicher Auftraggeber daher verpflichtet ist, die technischen Spezifikationen seiner öffentlichen Aufträge auf eine der in dieser Bestimmung genannten Arten zu formulieren?

    2.      Ist Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass Verweise in den technischen Spezifikationen von Ausschreibungen auf Abwasserrohre aus Steinzeug und Beton (entsprechend dem konkreten Abwassersystem) als einer oder mehrere der in dieser Bestimmung aufgezählten Verweise anzusehen sind, etwa als Verweise auf bestimmte Rohrtypen oder auch auf bestimmte Rohrproduktionen?

    3.      Ist Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass Verweise in den technischen Spezifikationen von Ausschreibungen auf eine einzige Ware, etwa auf Abwasserrohre aus Steinzeug und Beton (entsprechend dem konkreten Abwassersystem) als bestimmte technische Lösungen, bereits die in dieser Bestimmung vorgesehene Folge (namentlich dass „dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden“) nach sich ziehen, da sie dazu führen, dass Unternehmen, die alternative Lösungen zur vorgeschriebenen Ware anbieten, von vornherein ausgeschlossen und dadurch benachteiligt werden, obwohl verschiedene miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen die vorgeschriebene Ware durchaus anbieten können, oder ist es insoweit erforderlich, dass in Bezug auf die genannte Ware, etwa Abwasserrohre aus Steinzeug und Beton (entsprechend dem konkreten Abwassersystem), keinerlei Wettbewerb besteht und somit von der besagten Folge nur die Rede sein kann, wenn die betreffende Ware für ein bestimmtes Unternehmen steht, das als einziges diese Ware auf dem Markt anbietet?

    4.      Ist Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass eine festgestellte Verletzung von Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 und/oder von Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 wegen der rechtswidrigen Verwendung von Verweisen in technischen Spezifikationen bei Ausschreibungen (etwa auf Abwasserrohre aus Steinzeug und Beton entsprechend dem konkreten Abwassersystem) zugleich auch eine Verletzung von Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 und des damit in Zusammenhang stehenden Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 impliziert?

    III. Verfahren vor dem Gerichtshof

    20.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 11. Juli 2023 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

    21.      DYKA, Fluvius, die österreichische und die tschechische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

    22.      An der mündlichen Verhandlung vom 30. Mai 2024 haben DYKA, Fluvius und die Kommission teilgenommen.

    IV.    Würdigung

    A.      Anwendbare Richtlinie

    23.      Obwohl nur die Kommission im schriftlichen Verfahren auf diesen Punkt eingegangen ist(8), stellt sich die Frage, ob Bauaufträge über den Bau öffentlicher Kanalisationsnetze für Abwasser und Regenwasser in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 oder der Richtlinie 2014/25 fallen.

    24.      Die Kommission unterscheidet zwischen Verträgen, bei denen Fluvius als Betreiber von Strom- und Gasverteilungsnetzen auftrete (die unter die Richtlinie 2014/25 fielen), und Verträgen, deren Gegenstand der Bau von Kanalisationsnetzen sei (die unter die Richtlinie 2014/24 fielen).

    25.      Meines Erachtens bedarf dieses Vorbringen einer Prüfung durch das vorlegende Gericht(9), um auszuschließen, dass Fluvius als öffentlicher Auftraggeber eine Tätigkeit ausübt, die unter Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25 fällt (das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser oder die Einspeisung von Trinkwasser in solche Netze)(10).

    26.      Sollte Fluvius auch in diesem Teil des „Wasserzyklus“ tätig sein(11), müssten die in Rede stehenden Verträge, die Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung umfassen, der Richtlinie 2014/25 entsprechen, in deren Art. 10 Abs. 2 Buchst. b ausdrücklich auf solche Verträge Bezug genommen wird.

    27.      Unbeschadet der Beurteilung des vorlegenden Gerichts werde ich mich, wenngleich die technischen Spezifikationen in der Richtlinie 2014/24 (Art. 42) und in der Richtlinie 2014/25 (Art. 60) im Wesentlichen übereinstimmend geregelt sind, auf die Auslegung der ersteren Bestimmung konzentrieren.

    B.      Ermessen bei der Angabe technischer Spezifikationen

    28.      Die öffentlichen Auftraggeber müssen in den von ihnen veröffentlichten Auftragsunterlagen die Eigenschaften der Werke, Dienstleistungen oder Lieferungen festlegen, die sie im Rahmen von Vergabeverfahren erwerben möchten. Zu diesen Eigenschaften gehören die technischen Spezifikationen der jeweiligen Produkte oder Dienstleistungen(12).

    29.      Eine einseitige Beschreibung solcher technischen Spezifikationen kann zumindest eine wichtige „Eintrittsbarriere“ für bestimmte Bieter darstellen und in besonders schwerwiegenden Fällen (sogar in betrügerischer Weise) die endgültige Wahl des Zuschlagsempfängers vorherbestimmen, wenn Eigenschaften von Produkten oder Dienstleistungen festgelegt werden, die nur er anzubieten vermag.

    30.      Die Bemühungen um die Vermeidung unlauterer Praktiken und das Ziel, „das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb zu öffnen“, haben den Unionsgesetzgeber dazu bewogen, in diesem Bereich Regelungen zu erlassen.

    31.      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass „die Unionsregelung über die technischen Spezifikationen dem öffentlichen Auftraggeber ein weites Ermessen bei der Formulierung der technischen Spezifikationen eines Auftrags einräumt“ und dass „[d]ieses Ermessen … dadurch gerechtfertigt [wird], dass die öffentlichen Auftraggeber [ihre eigenen Bedürfnisse] am besten kennen und am ehesten in der Lage sind, die Anforderungen festzulegen, die erfüllt werden müssen, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen“(13).

    32.      Das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers bei der Angabe der technischen Spezifikationen eines Auftrags berechtigt ihn also grundsätzlich, die Produkte und Materialien auszuwählen, mit denen die geplanten Arbeiten ausgeführt werden sollen.

    33.      Allerdings hängt die Wahlfreiheit des öffentlichen Auftraggebers mehr oder weniger stark vom Auftragsgegenstand und von dem verfolgten Zweck ab:

    –        Wenn Elemente ins Spiel kommen, die mit der Leistung oder Funktion von Bauteilen zusammenhängen (funktionale Anforderungen), verringert sich das Ermessen. Die funktionalen Anforderungen können sich auch auf „Umweltmerkmale“ erstrecken. Es entspricht dem Zweck der Richtlinie 2014/24, dass in solchen Fällen ein möglichst breites Spektrum an technischen Alternativen, die die gewünschte Funktion erfüllen können, angeboten werden kann.

    –        Dagegen ist das Ermessen bei Maßnahmen größer, bei denen andere, nicht rein objektive Faktoren (z. B. ästhetische Gesichtspunkte oder das Einfügen in die Umgebung) überwiegen.

    34.      Im Ausgangsrechtsstreit spielen ästhetische Erwägungen keine Rolle, und die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers über die zulässigen Materialien dürften sich in erster Linie an Leistungskriterien oder objektiven Faktoren funktioneller Art orientiert haben. Es hat jedoch den Anschein, dass diese Kriterien und Faktoren in den Auftragsunterlagen nicht hinreichend detailliert angegeben wurden, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat(14).

    35.      Angesichts ihrer Bedeutung müssen die technischen Spezifikationen ebenso wie der Auftragsgegenstand und die Zuschlagskriterien von Beginn des Vergabeverfahrens an, d. h. in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen, eindeutig festgelegt sein. Nur so können die Bieter ihre genaue Bedeutung verstehen und sie in gleicher Weise auslegen(15).

    36.      Die technischen Spezifikationen, auf die in Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24 Bezug genommen wird, sind in Anhang VII Nr. 1 „definiert“. Dort ist in Buchst. a angegeben, was unter einer „technischen Spezifikation“ bei Bauaufträgen zu verstehen ist.

    37.      Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung gilt als technische Spezifikation die Gesamtheit der technischen Beschreibungen, die „insbesondere in den Auftragsunterlagen [enthalten sind], … in denen die erforderlichen Eigenschaften eines Werkstoffs, eines Produkts oder einer Lieferung definiert sind, damit dieser/diese den vom öffentlichen Auftraggeber beabsichtigten Zweck erfüllt“.

    C.      Erste Vorlagefrage

    38.      Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob „die Aufzählung der Arten der Formulierung technischer Spezifikationen“ in Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 abschließend ist.

    39.      Diese Frage beruht auf der Prämisse, dass die Anforderung, nach der die Abwasserrohre aus Beton oder Steinzeug bestehen müssen, für sich genommen eine technische Spezifikation ist. Das vorlegende Gericht, die Parteien des Rechtsstreits, die beteiligten Regierungen und die Kommission gehen von dieser Prämisse aus, hinsichtlich der das vorlegende Gericht keinerlei Zweifel äußert.

    40.      In der mündlichen Verhandlung ist allerdings eine Diskussion um eben diese Prämisse entflammt, deren Fokus auf der Auslegung von Anhang VII Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 gelegen hat. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung könnte man ableiten, dass unter technischen Spezifikationen nur solche Beschreibungen zu verstehen sind, in denen die erforderlichen Eigenschaften eines Werkstoffs, eines Produkts oder einer Lieferung definiert sind, nicht aber die Anforderung, dass das Werk unter Verwendung eines bestimmten Materials hergestellt werden muss.

    41.      Meiner Ansicht nach sollte in diesem Punkt kein nominalistischer Ansatz verfolgt werden. Trotz der wegen der fehlenden Angaben in der Vorlageentscheidung bestehenden Ungewissheit bezieht sich im Ausgangsverfahren das Erfordernis, dass die Rohre aus Beton oder Steinzeug bestehen müssen, sowohl auf ein Produkt (die Rohre) als auch auf eine der wesentlichen Eigenschaften des Produkts (diese Rohre müssen aus dem Material Beton oder Steinzeug bestehen).

    42.      So verstanden, kann der Prämisse, auf der das Vorabentscheidungsersuchen beruht, meines Erachtens gefolgt werden. Andernfalls wären die Vorlagefragen in ihrer jetzigen Form hypothetisch oder überflüssig.

    43.      Die „Arten“ der Formulierung technischer Spezifikationen im Sinne von Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 werden in den Buchst. a, b, c und d dieser Vorschrift konkretisiert(16). Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass „der Wortlaut von Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 keine Hierarchie zwischen den Methoden der Formulierung der technischen Spezifikationen festlegt und keiner dieser Methoden Vorrang einräumt“(17).

    44.      Der öffentliche Auftraggeber muss also eine oder mehrere dieser Methoden anwenden. Der Teilsatz „sind … auf eine der nachfolgend genannten Arten zu formulieren“(18) macht deutlich, dass es sich um eine abschließende Aufzählung handelt. Der Gesetzgeber hätte auf offene Formulierungen (mit Adverbien wie „grundsätzlich“ oder „insbesondere“) zurückgreifen können, um weitere Methoden zuzulassen, hat sich aber für eine bindende und abschließende Aufzählung entschieden(19).

    45.      Die vorstehenden Ausführungen würden eigentlich ausreichen, um die erste Vorlagefrage so, wie sie gestellt worden ist, zu beantworten. Die anderen üblichen Auslegungskriterien (Kontext und Zweck der Bestimmung) sprechen nicht für eine andere Lösung.

    46.      Die Ausführungen der Parteien des Rechtsstreits konzentrieren sich jedoch auf ein anderes Problem als dasjenige, das – streng genommen – in der ersten Vorlagefrage aufgeworfen wird. Es gehe vielmehr darum, zu klären, ob die obligatorische Verwendung von Rohren aus Beton oder Steinzeug unter eine der Alternativen der abschließenden Aufzählung in Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 subsumiert werden kann, was DYKA bestreitet(20).

    47.      Wenn der Gerichtshof in diese Diskussion einsteigt, besteht die erste Schwierigkeit bei der Lösung darin, dass das vorlegende Gericht, wie ich bereits angemerkt habe, den Inhalt der Verdingungsunterlagen im Hinblick auf die streitgegenständliche technische Spezifikation nicht im Einzelnen dargestellt hat.

    48.      Der Vorlageentscheidung lässt sich nicht entnehmen, ob die Verdingungsunterlagen neben der Bezugnahme auf Rohre aus Beton oder Steinzeug auch andere Spezifikationen enthielten (was logisch wäre), wie z. B. die Anforderung, dass sie einer bestimmten Norm oder einem bestimmten Standard entsprechen müssen.

    49.      In der mündlichen Verhandlung hat Fluvius diese Lücke auf die Fragen des Gerichtshofs hin geschlossen. Sie hat vorgetragen, dass in ihren Verdingungsunterlagen nicht nur auf Beton oder Steinzeug verwiesen worden sei, sondern auch auf andere Eigenschaften der Rohre sowie auf belgische technische Normen für Kanalisationssysteme.

    50.      Auf der Grundlage dieses Vortrags (der wiederum vom vorlegenden Gericht zu überprüfen ist) kann erörtert werden, ob die streitgegenständliche technische Spezifikation unter einen oder mehrere der Unterabsätze von Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 fällt.

    1.      Fällt die Spezifikation unter Art. 42 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2014/24?

    51.      Die in Rede stehenden Verdingungsunterlagen ließen sich unter diesen Buchstaben subsumieren, wenn sie bestimmte Leistungs- oder Funktionsanforderungen für die Rohrleitungen festlegten. Dies wäre der Fall, wenn sie Anforderungen z. B. an die Steifigkeit, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Temperaturschwankungen, die Stabilität, die Dichtigkeit, die Umwelteigenschaften oder andere physikalische oder mechanische Eigenschaften der Rohre enthielten.

    52.      Fluvius trägt vor(21), dass die geforderte technische Spezifikation auf Anforderungen beruhe, die entweder die Lebensdauer des verwendeten Materials und seine Wartungskosten oder die Umwelteigenschaften beträfen (Recycelbarkeit, Entstehung von Abfällen und Ablagerung im Untergrund). Es handele sich also um Leistungs- oder Funktionsanforderungen.

    53.      Wie ich bereits mehrfach angemerkt habe, sind die dem Gerichtshof zur Verfügung gestellten Informationen über den Inhalt der Verdingungsunterlagen unzureichend. Das vorlegende Gericht stellt lediglich fest, dass Fluvius in diesen Spezifikationen keine Leistungs- oder Funktionsanforderungen an die Rohrleitungen festgelegt habe, die es erlaubten, andere technische Lösungen anzubieten(22).

    54.      Folgte man in diesem Punkt der Beurteilung des vorlegenden Gerichts, wären die in den Verdingungsunterlagen enthaltenen funktionalen Anforderungen zu ungenau, so dass Art. 42 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 nicht erfüllt wäre. Diese Bestimmung verlangt, dass die Parameter (der in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen formulierten technischen Spezifikation) hinreichend genau sind, um den Bietern ein klares Bild vom Auftragsgegenstand zu vermitteln.

    2.      Fällt die Spezifikation unter Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24?

    55.      Nach Ansicht von Fluvius(23) und der Kommission(24) fällt die in Rede stehende Spezifikation unter Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24. DYKA bestreitet dies.

    56.      Fluvius und die Kommission tragen vor, Buchst. b unterscheide zwischen Bezugnahmen auf „technische Spezifikationen“ einerseits und auf „Normen“ (oder Standards) andererseits. Bei Ersteren könne gemäß Anhang VII Nr. 1 die bloße Angabe der erforderlichen Eigenschaften eines Materials oder eines Produkts als technische Spezifikation angesehen werden.

    57.      In der mündlichen Verhandlung ist die Auslegung des ersten Teilsatzes von Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 umfassend erörtert worden. Sein Wortlaut könnte als Tautologie verstanden werden, soweit er bestimmt, dass „die technischen Spezifikationen … unter Bezugnahme auf technische Spezifikationen [zu formulieren sind]“. Hierzu gibt es zwei Standpunkte:

    –        Man kann den Standpunkt vertreten, dass zu den technischen Spezifikationen im Sinne von Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 nicht nur diejenigen gehören, die in den in dieser Bestimmung genannten (nationalen, europäischen oder internationalen) „Normen“ oder „Bezugssystemen“ beschrieben werden, sondern auch andere Anforderungen, die nicht unter diese Normen und Systeme fallen, die aber „die erforderlichen Eigenschaften“ eines Werkstoffs oder Produkts konkretisieren.

    –        Oder man vertritt den gegenteiligen Standpunkt, dass als technische Spezifikationen gemäß Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 nur normierte Spezifikationen anzusehen sind, d. h. solche, die auf (nationale, europäische oder internationale) „Normen“ oder „Bezugssysteme“ verweisen. Dies könnte sich aus Rn. 87 des Urteils Klaipėdos ergeben(25).

    58.      Dieser Streit verliert natürlich an Interesse (oder bleibt rein abstrakt oder akademisch), wenn man annimmt, dass – wie Fluvius in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – die von ihr erstellten Auftragsunterlagen ausdrückliche Verweise auf belgische technische Normen enthielten. In diesem Fall wären die technischen Spezifikationen des Bauauftrags in den betreffenden Unterlagen meines Erachtens mittels der Formel in Art. 42 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2014/24 festgelegt worden.

    59.      Jedenfalls bin ich – um der abstrakten Diskussion nicht auszuweichen – der Ansicht, dass der erste der beiden gegensätzlichen Standpunkte besser zu der Vorschrift passt (auch wenn für beide Standpunkte solide Argumente sprechen). Es gibt zwei Gründe, aus denen ich diese Lösung vorschlagen möchte.

    60.      Erstens liefe eine Beschränkung von Buchst. b auf genormte technische Spezifikationen darauf hinaus, dass auf alle nicht genormten technischen Spezifikationen, d. h. auf alle übrigen technischen Beschreibungen, die ein öffentlicher Auftraggeber in seine Auftragsunterlagen aufnehmen könnte, ohne auf vorher festgelegte technische Normen (Standards) zu verweisen, verzichtet werden müsste(26).

    61.      Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, spricht nichts dagegen – und es kommt häufig vor –, dass Bauaufträge technische Beschreibungen enthalten, die gemäß der Definition in Anhang VII Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 weder durch Bezugnahme auf technische Normen (Standards) noch in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen formuliert sind. Verträte man den zweiten der oben genannten Standpunkte, so hätte das zur Folge, dass diese Art der Beschreibungen unter keinen der Buchstaben von Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 subsumiert werden könnten.

    62.      Zweitens ist es gerade Anhang VII der Richtlinie 2014/24, der definiert, was unter einer „technischen Spezifikation“ zu verstehen ist, und darauf wird in Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie verwiesen. Die Formulierungen (oder „Arten“ der Formulierung), die zur Angabe solcher Spezifikationen verwendet werden müssen, werden zwar in Art. 42 Abs. 3 konkretisiert, aber der Begriff selbst ist für Bauaufträge in Anhang VII Nr. 1 Buchst. a definiert.

    63.      So gesehen, können Beschreibungen, „in denen die erforderlichen Eigenschaften eines Werkstoffs [oder] eines Produkts … definiert sind“, wie es in Anhang VII Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 heißt, als technische Spezifikation eingestuft werden und damit unter Art. 42 Abs. 3 Buchst. b erster Teilsatz fallen, und zwar, wie ich nochmals betonen möchte, auch dann, wenn sie nicht auf eine Norm (einen Standard) verweisen.

    3.      Zwischenergebnis

    64.      Ich fasse zusammen:

    –        Auf die erste Vorlagefrage ist zu antworten, dass die Aufzählung der Arten der Formulierung technischer Spezifikationen in Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 abschließend ist.

    –        Für die Beantwortung dieser Frage ist es nicht erforderlich, festzustellen, unter welchen Buchstaben dieser Vorschrift die in Rede stehende technische Spezifikation fällt, was vom Inhalt der Auftragsunterlagen abhängt.

    D.      Zweite und dritte Vorlagefrage

    65.      In der zweiten und der dritten Vorlagefrage, die zusammen beantwortet werden können, geht es um die Auslegung von Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24.

    66.      Das vorlegende Gericht möchte mit diesen Fragen klären, ob die Verweise auf Rohre aus Steinzeug und Beton:

    –        „als einer oder mehrere der in dieser Bestimmung aufgezählten Verweise anzusehen sind, etwa als Verweise auf bestimmte Rohrtypen oder auch auf bestimmte Rohrproduktionen“;

    –        „bereits die … Folge [nach sich ziehen], dass ‚dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden‘“, da Unternehmen, die alternative Lösungen anbieten, von vornherein ausgeschlossen werden, oder ob vielmehr „von der besagten Folge nur die Rede sein kann, wenn die betreffende Ware für ein bestimmtes Unternehmen steht, das als einziges diese Ware auf dem Markt anbietet“.

    67.      Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 verbietet es, bestimmte Verweise(27) in die technischen Spezifikationen eines Auftrags aufzunehmen, von denen angenommen wird, dass sie sich grundsätzlich unmittelbar oder mittelbar nachteilig auf die Öffnung des öffentlichen Beschaffungsmarkts für den Wettbewerb auswirken. Das Verbot gilt, „soweit es nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist“.

    68.      Ausnahmsweise sind solche Verweise zudem zulässig, „wenn der Auftragsgegenstand nach Absatz 3 nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann“(28).

    69.      In Bezug auf diese beiden Vorlagefragen vertreten die Parteien und die Beteiligten des Vorabentscheidungsverfahrens unterschiedliche Auffassungen:

    –        DYKA argumentiert, dass Rohre aus Steinzeug oder Beton sowohl für einen „Typ“ (eine bestimmte Art Rohr, die beim Bau von Abwasserkanälen verwendet wird) als auch für eine „bestimmte Produktion“ (da ihre Herstellung jeweils ein bestimmtes industrielles Produktionsverfahren erfordere) stünden.

    –        Fluvius trägt vor, das Verbot gelte nur, wenn die Auftragsunterlagen Exklusivität oder ein einziges Produkt vorschrieben und damit das Unternehmen begünstigten, das es herstelle. Dagegen greife das Verbot nicht, wenn das geforderte Produkt von mehreren Unternehmen hergestellt werde.

    –        Für die österreichische Regierung bezeichnen die Begriffe „Beton“ und „Steinzeug“ kein bestimmtes Produkt, sondern Werkstoffe, deren Herstellungsverfahren und Eigenschaften verschiedene Formen annehmen könnten.

    –        Die tschechische Regierung macht geltend, dass der Verweis nicht darauf abziele, bestimmte Unternehmen oder bestimmte Produkte zu begünstigen oder auszuschließen.

    –        Die Kommission ist der Ansicht, dass es einer weiten Auslegung entspräche, den Verweis auf den Werkstoff, aus dem die Rohre hergestellt würden, als technische Spezifikation anzusehen. In Ermangelung einer normativen Definition untersucht sie die gewöhnliche Bedeutung der Begriffe „Typ“ und „bestimmte Produktion“ und kommt zu dem Schluss, dass der Werkstoff unter keinen dieser Begriffe falle.

    70.      Ich werde diese Fragen behandeln, indem ich die Tragweite des Verbots und die zulässigen Ausnahmen prüfe und das Ergebnis anschließend auf den Ausgangsrechtsstreit anwende.

    1.      Tragweite des Verbots

    71.      Wie schon gesagt, verbietet es Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24, bestimmte Verweise in die technischen Spezifikationen eines Auftrags aufzunehmen. Soweit es für den vorliegenden Rechtsstreit von Belang ist, sind dies Verweise auf „Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion …, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden“(29).

    72.      Meiner Ansicht nach wird mit dem Verweis auf Steinzeug und Beton als gemäß den Auftragsunterlagen obligatorische Materialien ein „Typ“ Rohre oder eine „bestimmte Produktion“ beschrieben. Nach dem Vortrag von DYKA handelt es sich bei Steinzeug und Beton nicht um natürliche Materialien (wie Holz), sondern um Materialien, die durch ein bestimmtes künstliches Herstellungsverfahren „produziert“ werden. Ihre Wahl kommt logischerweise denjenigen zugute, die Rohre aus Steinzeug und Beton herstellen oder liefern, und hat (unvermeidlich) die Wirkung, dass diejenigen, die Rohre aus Kunststoff oder einem anderen Material anbieten, ausgeschlossen werden.

    73.      Entgegen dem Vorbringen von Fluvius gehe ich davon aus, dass das Verbot nicht nur dann gilt, wenn die Verdingungsunterlagen die Auswahl eines einzigen Herstellers vorschreiben, sondern auch dann, wenn sie den Kreis der Bewerber auf mehrere (d. h. auf alle, die einen Typ Beton- oder Steinzeugrohre herstellen) beschränken und diejenigen ausschließen, die Kunststoffrohre herstellen.

    74.      Dementsprechend könnte das vorlegende Gericht zu der Auffassung gelangen, dass der in den Auftragsunterlagen enthaltene Verweis auf Abwasserrohre aus Beton oder Steinzeug objektiv in den Anwendungsbereich des Verbots fällt. Es bleibt zu prüfen, ob er trotzdem zulässig ist.

    2.      Ausnahmen von dem Verbot

    a)      Rechtfertigung durch den Auftragsgegenstand

    75.      Nach Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 kann das in Rede stehende Verbot überwunden werden, wenn dies „durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist“.

    76.      Natürlich kann in bestimmten Fällen der Auftragsgegenstand zwingend die Wahl eines Bauteils unter gleichzeitigem Ausschluss anderer Bauteile vorbestimmen(30).

    77.      Wenn sich der öffentliche Auftraggeber auf diese Bestimmung berufen will, muss er erläutern, warum der Auftragsgegenstand eine bestimmte technische Spezifikation rechtfertigt, die grundsätzlich nicht den Vorgaben von Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 entspricht.

    78.      Meines Erachtens muss diese Erläuterung in den Auftragsunterlagen enthalten sein. Es sind schließlich diese Unterlagen, in denen der öffentliche Auftraggeber (die zukünftigen Bieter) über die Gründe informieren muss, aus denen der Auftragsgegenstand diese und nicht eine andere Spezifikation erfordert. Nur so können Betroffene entscheiden, ob sie die Verdingungsunterlagen akzeptieren oder sie anfechten möchten(31).

    b)      Ausnahmsweise Zulässigkeit wegen der Unmöglichkeit einer genauen Beschreibung des Auftragsgegenstands

    79.      Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 lässt ausnahmsweise einen solchen verbotenen Verweis zu, wenn „der Auftragsgegenstand nach Absatz 3 nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann“.

    80.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, ob der öffentliche Auftraggeber in Anbetracht des Auftragsgegenstands in zulässigem Umfang Anforderungen an die Produkte oder an die Materialien, aus denen diese Produkte hergestellt wurden, gestellt hat. Es steht dem öffentlichen Auftraggeber frei, den Umfang der Anforderungen festzulegen, aber er muss genau und verständlich begründen, warum seine Entscheidung dem Auftragsgegenstand entspricht.

    81.      Auch hier lässt sich aufgrund fehlender Angaben (in der Vorlageentscheidung) zum genauen Inhalt der Verdingungsunterlagen nicht feststellen, ob sie eine solche genaue und verständliche Beschreibung enthielten oder nicht. Nur das vorlegende Gericht ist in der Lage, dies zu klären und darüber zu entscheiden, ob es dem öffentlichen Auftraggeber möglich oder unmöglich war, eine solche Beschreibung in die Vertragsunterlagen aufzunehmen.

    c)      Der Zusatz „oder gleichwertig“

    82.      Art. 42 der Richtlinie 2014/24 schreibt in zwei Absätzen vor, dass Verweise auf technische Spezifikationen mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden müssen: in Abs. 3 Buchst. b am Ende und in Abs. 4 ebenfalls am Ende.

    83.      Der Sinn dieser doppelten Vorgabe besteht letztlich darin, den Wirtschaftsteilnehmern gleichen Zugang zum Vergabeverfahren zu gewähren. Der Inhalt der technischen Spezifikationen darf „die Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb nicht in ungerechtfertigter Weise behindern“(32).

    84.      Die in Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 enthaltene Ausnahme wird, gerade weil sie bestimmte Hersteller begünstigen und andere ausschließen kann, durch das Erfordernis relativiert, dass der Verweis mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen werden muss. Sie hat zwei Voraussetzungen: a) der Verweis muss erforderlich sein, um den Vertragsgegenstand hinreichend genau und verständlich zu beschreiben, und b) er muss mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen sein(33).

    85.      Der Unionsgesetzgeber hatte die Sorge, dass es durch technische Spezifikationen zu einer „künstliche[n] Einengung des Wettbewerbs … kommen könnte, wenn Anforderungen festgelegt würden, die einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer begünstigen, indem auf wesentliche Merkmale der von dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer gewöhnlich angebotenen Lieferungen, Dienstleistungen oder Bauleistungen abgestellt wird“(34).

    86.      Diese vorbeugende Regelung steht im Einklang mit dem in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2014/24 niedergelegten Grundsatz: „Eine künstliche Einschränkung des Wettbewerbs gilt als gegeben, wenn das Vergabeverfahren mit der Absicht konzipiert wurde, bestimmte Wirtschaftsteilnehmer auf unzulässige Weise zu bevorzugen oder zu benachteiligen.“

    87.      Die Anforderung, dass in den oben genannten Fällen in den Verdingungsunterlagen der Zusatz „oder gleichwertig“ enthalten sein muss, dient daher unbestreitbar dem Zweck, den Auftrag auf der Grundlage eines möglichst breiten Wettbewerbs zu vergeben. Hersteller und Lieferanten von Materialien oder Produkten, die den vom öffentlichen Auftraggeber angegebenen gleichwertig sind, können sich auf diesen Zusatz berufen, um als Bieter Zugang zum Auswahlverfahren zu erhalten.

    88.      Der Gerichtshof hat die Bedeutung dieses Zusatzes unterstrichen: „[D]as Weglassen des Zusatzes ‚oder gleichwertiger Art‘ nach der Benennung eines bestimmten Produkts in den Verdingungsunterlagen [kann] nicht nur die Wirtschaftsteilnehmer, die diesem Produkt entsprechende Produkte verwenden, davon abhalten, an der Ausschreibung teilzunehmen, sondern auch die Einfuhrströme im grenzüberschreitenden Handel in der Union behindern, indem der Markt den Bietern vorbehalten bleibt, die beabsichtigen, das speziell genannte Produkt zu verwenden“(35). Das Fehlen des Zusatzes „oder gleichwertig“ kann sogar gegen Bestimmungen des Primärrechts verstoßen, wenn es Aufträge betrifft, die den Schwellenwert der Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe nicht erreichen(36).

    89.      Der Zusatz nutzt auch dem öffentlichen Auftraggeber, wenn ein Bieter ihm ebenso gangbare technische Alternativen anbietet, die der öffentliche Auftraggeber nicht in Betracht gezogen hat.

    3.      Anwendung dieser Kriterien auf den Ausgangsrechtsstreit

    90.      Auf der Grundlage der soeben dargestellten Prämissen kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht antworten, dass nach Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 die Anforderung, dass die Abwasserrohre für die Ableitung von Regenwasser aus Beton und für die Ableitung von Abwasser aus Steinzeug bestehen müssen, einen Verweis auf bestimmte Typen oder bestimmte Produktionen darstellt.

    91.      Diese Antwort ist durch den Hinweis zu ergänzen, dass dieser Verweis:

    –        für sich genommen die Wirkung hat, bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren zu begünstigen oder auszuschließen, ohne dass zwingend erforderlich wäre, dass es nur einen einzigen Hersteller dieser Ware auf dem Markt gibt;

    –        zulässig sein kann, wenn er durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, was vom öffentlichen Auftraggeber in den Auftragsunterlagen darzulegen ist;

    –        gemäß Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 auch zulässig sein kann, wenn eine hinreichend genaue und verständliche Beschreibung des Auftragsgegenstands nicht möglich ist;

    –        mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen sein muss, es sei denn, der Auftragsgegenstand setzt zwingend die Verwendung eines Bauteils voraus, das sich objektiv betrachtet nicht durch ein gleichwertiges Bauteil ersetzen lässt.

    92.      Insbesondere angesichts dessen, dass sich ein Teil der Diskussion auf den Zusatz „oder gleichwertig“ konzentriert hat, stimmte ich DYKA darin zu(37), dass die Beschränkung der technischen Lösungen auf die von Fluvius aufgelisteten Möglichkeiten sowohl dem Wettbewerb als auch der Innovation schadet, die nach dem 74. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24 gefördert werden soll. Neue technische Lösungen mit Materialien anzubieten, deren Eigenschaften denen von Abwasserrohren aus Steinzeug oder Beton entsprechen oder sie übertreffen, ist für sich genommen geeignet, das Ergebnis des Vergabeverfahrens zu verbessern.

    93.      Meines Erachtens kann der öffentliche Auftraggeber nicht von vornherein ausschließen, dass es Abwasserrohre aus Materialien gibt, die mit Steinzeug und Beton vergleichbar sind. Wie die Kommission anmerkt(38), äußert sich das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung nicht zur Vergleichbarkeit der einen Art Rohre (aus Kunststoff) mit der anderen Art (aus Beton und Steinzeug).

    94.      Ich bin der Auffassung, dass den Wirtschaftsteilnehmern die Möglichkeit gegeben werden muss, den Nachweis zu führen, dass die von ihnen angebotenen Rohre in ihrer Leistungsfähigkeit Rohren aus Beton oder Steinzeug entsprechen oder ihnen überlegen sind, insbesondere wenn Erstere hinsichtlich ihrer technischen Anforderungen den europäischen Normen (Standards) entsprechen(39).

    95.      Gegebenenfalls muss der öffentliche Auftraggeber im Nachhinein beurteilen und begründen, ob und warum das alternativ angebotene Produkt dem für einen bestimmten Auftrag geforderten Leistungsniveau entspricht oder nicht entspricht.

    E.      Vierte Vorlagefrage

    96.      Mit der letzten Frage soll geklärt werden, ob ein Verstoß gegen Art. 42 Abs. 3 und 4 (oder einen dieser beiden Absätze) der Richtlinie 2014/24 auch einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie impliziert.

    97.      Der Gerichtshof hat insoweit ausgeführt, dass Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 „für die Zwecke der Formulierung der technischen Spezifikationen den in Art. 18 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie enthaltenen Grundsatz der Gleichbehandlung [konkretisiert]. Nach dieser Bestimmung behandeln die öffentlichen Auftraggeber alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher und nichtdiskriminierender Weise und handeln transparent und verhältnismäßig.“(40)

    98.      Daher bin ich ebenso wie DYKA und die Kommission(41) der Ansicht, dass ein Verstoß gegen Art. 42 Abs. 3 oder 4 der Richtlinie 2014/24 zugleich einen Verstoß gegen ihren Art. 42 Abs. 2 impliziert. Und da Art. 42 Abs. 2 seinerseits den Inhalt von Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie konkretisiert, liegt auch ein Verstoß gegen letztere Bestimmung vor.

    V.      Ergebnis

    99.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, der Ondernemingsrechtbank Gent, afdeling Gent (Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent), wie folgt zu antworten:

    Art. 42 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG

    ist dahin auszulegen, dass

    1.      die Aufzählung der Arten der Formulierung technischer Spezifikationen in Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 bindend und abschließend ist;

    2.      nach Art. 42 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 die Anforderung, dass die Abwasserrohre für die Ableitung von Regenwasser aus Beton und für die Ableitung von Abwasser aus Steinzeug bestehen müssen, einen Verweis auf bestimmte Typen oder bestimmte Produktionen darstellt. Dieser Verweis

    –        hat für sich genommen die Wirkung, bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren zu begünstigen oder auszuschließen, ohne dass zwingend erforderlich wäre, dass es nur einen einzigen Hersteller dieser Ware auf dem Markt gibt;

    –        kann zulässig sein, wenn er durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, was vom öffentlichen Auftraggeber in den Auftragsunterlagen darzulegen ist;

    –        kann gemäß Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 auch zulässig sein, wenn eine hinreichend genaue und verständliche Beschreibung des Auftragsgegenstands nicht möglich ist;

    –        muss mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen sein, es sei denn, der Auftragsgegenstand setzt objektiv betrachtet zwingend die Verwendung eines Bauteils voraus, das sich nicht durch ein gleichwertiges Bauteil ersetzen lässt.

    3.      Ein Verstoß gegen die Anforderungen von Art. 42 Abs. 3 oder 4 der Richtlinie 2014/24 impliziert zugleich einen Verstoß gegen Art. 42 Abs. 2 und Art. 18 Abs. 1 dieser Richtlinie.


    1      Originalsprache: Spanisch.


    2      Im Folgenden: Fluvius. Nach der Vorlageentscheidung handelt es sich um eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft, deren Gesellschafter mehrere öffentlich-rechtliche Körperschaften sind.


    3      Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65). Ihr Art. 42 entspricht im Wesentlichen Art. 60 der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser‑, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. 2014, L 94, S. 243).


    4      So z. B. in den Urteilen vom 22. September 1988, Kommission/Irland (C‑45/87, EU:C:1988:435), vom 24. Januar 1995, Kommission/Niederlande (C‑359/93, EU:C:1995:14), vom 10. Mai 2012, Kommission/Niederlande (C‑368/10, EU:C:2012:284), vom 12. Juli 2018, VAR und ATM (C‑14/17, EU:C:2018:568), vom 25. Oktober 2018, Roche Lietuva (C‑413/17, EU:C:2018:865, im Folgenden: Urteil Roche Lietuva), vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras (C‑927/19, EU:C:2021:700, im Folgenden: Urteil Klaipėdos). Einige dieser Urteile beziehen sich auf Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe, die den Richtlinien von 2014 zeitlich vorausgingen.


    5      Belgisch Staatsblad vom 14. Juli 2016, S. 44167.


    6      In ihrer Klage beantragt DYKA, a) festzustellen, dass die Beschaffungspolitik von Fluvius im Bereich des Kanalbaus gegen die Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe verstößt, b) Fluvius zu verurteilen, ihre Auftragsunterlagen, insbesondere die technischen Spezifikationen, zu ändern, und c) Fluvius zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen.


    7      Fluvius gibt (in Nr. 4 ihrer schriftlichen Erklärungen) an, dass starre Rohre beliebig oft recycelbar seien, Kunststoffrohre aber nicht. Letztere müssten verbrannt werden, was der Umwelt schade, und könnten Mikroplastik in den Untergrund freisetzen, da sie von Abrasion betroffen seien (einer Form des Verschleißes oder der Erosion, bei der durch die Reibung des Wassers Mikroplastik freigesetzt werde). Wenn sie alle 50 Jahre ersetzt werden müssten, bestehe die Gefahr, dass Mikroplastik im Boden verbleibe (die Rohre würden brüchig und Kunststoffreste lagerten sich ab). Bei starren Rohrleitungen aus natürlichen Materialien, die nicht umweltschädlich seien, bestehe dieses Problem nicht.


    8      Nr. 12 ihrer schriftlichen Erklärungen. Die übrigen Beteiligten haben sich, ebenso wie das vorlegende Gericht, auf die Auslegung von Art. 42 der Richtlinie 2014/24 konzentriert.


    9      Neben anderen Faktoren wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob die Verträge hinsichtlich ihres Wertes die in den einschlägigen Artikeln der beiden Richtlinien genannte Untergrenzen überschreiten. In der mündlichen Verhandlung hat Fluvius vorgetragen, keine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Trinkwasserversorgung zu entfalten.


    10      Im Urteil vom 22. September 1988, Kommission/Irland (45/87, EU:C:1988:435), hat sich der Gerichtshof mit einem Rechtsstreit über die Aufnahme einer technischen Spezifikation für Rohre in die Verdingungsunterlagen eines Wasserlieferungsvertrags befasst. Dort wurde erörtert, ob die Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26. Juli 1971 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. 1971, L 185, S. 5) anwendbar sei. Dies wurde ausgeschlossen, da „bereits der Wortlaut von Artikel 3 Absatz 5 … insoweit völlig eindeutig [ist], da er öffentliche Bauaufträge [für Arbeiten im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Abgabe und der Fortleitung von Wasser] vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnimmt“ (Rn. 10).


    11      Vgl. 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/25, oben angeführt.


    12      Ich nehme Bezug auf meine Schlussanträge in der Rechtssache VAR (C‑14/17, EU:C:2018:135), Nrn. 1 bis 3.


    13      Urteil Roche Lietuva (Rn. 29 und 30).


    14      Die in der Vorlageentscheidung enthaltenen Informationen zum Inhalt der Auftragsunterlagen sind unzureichend. Das Fehlen dieser Informationen erschwert dem Gerichtshof die Antwort.


    15      Vgl. Urteil vom 5. April 2017, Borta (C‑298/15, EU:C:2017:266, Rn. 69) unter Anführung der Urteile vom 10. Mai 2012, Kommission/Niederlande (C‑368/10, EU:C:2012:284, Rn. 56, 88 und 109), vom 6. November2014, Cartiera dell’Adda (C‑42/13, EU:C:2014:2345, Rn. 44), und vom 14. Juli 2016, TNS Dimarso (C‑6/15, EU:C:2016:555, Rn. 23).


    16      Siehe die wörtliche Wiedergabe in Nr. 6 der vorliegenden Schlussanträge.


    17      Urteil Roche Lietuva (Rn. 28).


    18      Die von mir geprüften Sprachfassungen sind in ihrer Verwendung einer zwingenden Formulierung konsistent.


    19      Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 die Methoden zur Formulierung technischer Spezifikationen „[u]nbeschadet zwingender nationaler Vorschriften – soweit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sind –“ aufzählt.


    20      Nr. 9 ihrer schriftlichen Erklärungen.


    21      Nr. 4 ihrer schriftlichen Erklärungen.


    22      Rn. 16 der Vorlageentscheidung. Aus der Entscheidung scheint sich zu ergeben, dass Fluvius ihre Argumente zu den Leistungs- oder Funktionsanforderungen vor dem vorlegenden Gericht vorgetragen hat, nicht aber im Rahmen des Vergabeverfahrens.


    23      Rn. 10 bis 12 ihrer schriftlichen Erklärungen.


    24      Rn. 19 bis 22 und 41 ihrer schriftlichen Erklärungen.


    25      In dieser Randnummer des Urteils Klaipėdos hat der Gerichtshof festgestellt, dass die technischen Spezifikationen gemäß Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, insbesondere in Bezug auf die Umwelt, oder unter Bezugnahme auf technische Normen (Standards) formuliert sind. In der spanischen Fassung des Urteils wird allerdings der Ausdruck „technische Spezifikationen“ verwendet, während in den anderen Fassungen der Ausdruck „technische Normen“ verwendet wird.


    26      Rn. 87 des Urteils Klaipėdos könnte als obiter dictum verstanden werden, das die Bestimmung zusammenfasst, aber ihre Bedeutung nicht erschöpfend darstellt. Diese Auffassung hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung vertreten.


    27      Verweise „auf eine bestimmte Herstellung oder Herkunft oder ein besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer bereitgestellten Waren oder Dienstleistungen charakterisiert, oder auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion“.


    28      Angesichts des Ausnahmecharakters dieser letzteren Möglichkeit muss sie restriktiv ausgelegt werden. Dies wird in den Urteilen vom 12. Juli 2018, VAR und ATM (C‑14/17, EU:C:2018:568, Rn. 26) und Roche Lietuva (Rn. 38) betont.


    29      Die von mir geprüften Sprachfassungen unterscheiden sich im Hinblick darauf, ob sie auf den (beabsichtigten) Zweck oder auf die (inhärente) Wirkung abstellen. Während die spanische Fassung auf den „Zweck“ Bezug nimmt, liegt der Schwerpunkt bei den anderen Fassungen auf der „Wirkung“. So heißt es in der deutschen Sprachfassung: „Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Produktion verwiesen werden, wenn dadurch bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren begünstigt oder ausgeschlossen werden“; in der englischen: „trade marks, patents, types or a specific origin or production with the effect of favouring or eliminating certain undertakings or certain products“; in der französischen: „une marque, à un brevet, à un type, à une origine ou à une production déterminée qui auraient pour effet de favoriser ou d’éliminer certaines entreprises ou certains produits“; in der italienischen: „un marchio, a un brevetto o a un tipo, a un'origine o a una produzione specifica che avrebbero come effetto di favorire o eliminare talune imprese o taluni prodotti“; in der portugiesischen: „marcas comerciais, patentes, tipos, origens ou modos de produção determinados que tenham por efeito favorecer ou eliminar determinadas empresas ou produtos“, oder in der rumänischen: „o marcă, la un brevet, la un tip, la o origine sau la o producție specifică, care ar avea ca efect favorizarea sau eliminarea anumitor întreprinderi sau produse“. Angesichts dieser Unterschiede neige ich zu der Auffassung, dass ein vorsätzliches Element nicht erforderlich ist, so dass es ausreicht, wenn die Wirkung einer Begünstigung oder eines Ausschlusses bestimmter Unternehmen oder bestimmter Waren eintritt. Das ist die Auslegung, die die Erreichung des Ziels der Öffnung für den Wettbewerb am besten ermöglicht.


    30      In der mündlichen Verhandlung wurde das Beispiel eines Bauauftrags für die Renovierung eines historischen Gebäudes angeführt, bei dem in den Verdingungsunterlagen die Verwendung der gleichen Art von Stein (einer bestimmten Herkunft) vorgeschrieben wird, aus der es ursprünglich errichtet wurde. In einem solchen Fall rechtfertigt der Auftragsgegenstand für sich genommen den Verweis auf ein bestimmtes Produkt (den Stein aus einem konkreten Steinbruch) unter Ausschluss aller anderen Arten von Stein.


    31      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass dem öffentlichen Auftraggeber in bestimmten Fällen eine Pflicht zur Begründung seiner Entscheidungen obliegt, um den Betroffenen zu ermöglichen, „ihre Rechte geltend zu machen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob mit einer Klage gegen die Entscheidungen vorzugehen ist“, und um „den Gerichten die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidungen zu ermöglichen“. Vgl. Urteile Klaipėdos (Rn. 120) unter Anführung älterer Rechtsprechung, und vom 21. Dezember 2023, Infraestruturas de Portugal und Futrifer Indústrias Ferroviárias (C‑66/22, EU:C:2023:1016, Rn. 87).


    32      Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 und Urteil Roche Lietuva (Rn. 32).


    33      Vgl. zu Art. 60 Abs. 4 der Richtlinie 2014/25 Urteil vom 27. Oktober 2022, Iveco Orecchia (C‑68/21 und C‑84/21, EU:C:2022:835, Rn. 87): „[Diese Bestimmung] erlaubt ausnahmsweise, dass in technischen Spezifikationen ‚auf Marken, Patente, Typen, einen bestimmten Ursprung oder eine bestimmte Herstellung‘ verwiesen wird, wenn dies erforderlich ist, um den Auftragsgegenstand hinreichend genau und allgemein verständlich zu beschreiben, und wenn ein derartiger Verweis mit dem Zusatz ‚oder gleichwertig‘ versehen wird“.


    34      74. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24. Der Wortlaut von Art. 42 geht über den im Erwägungsgrund formulierten Wunsch hinaus, da er grundsätzlich auch verbietet, dass „bestimmte Unternehmen oder bestimmte Waren“ ausgeschlossen werden.


    35      Urteil Roche Lietuva (Rn. 39). Der Gerichtshof hat in diesem Urteil bestätigt, was er bereits im Urteil vom 24. Januar 1995, Kommission/Niederlande (C‑359/93, EU:C:1995:14, Rn. 27 und 28), festgestellt hatte. In letzterem Urteil hat er das Fehlen des Zusatzes „oder gleichwertig“ nach dem Begriff UNIX kritisiert, dem einzigen nach den Verdingungsunterlagen zulässigen Datenverarbeitungssystem.


    36      Vgl. in diesem Sinne den Tenor des Beschlusses vom 3. Dezember 2001, Vestergaard (C‑59/00, EU:C:2001:654): „Artikel 30 EG-Vertrag … untersagt es einem öffentlichen Auftraggeber, in die Verdingungsunterlagen zu einem öffentlichen Bauauftrag, der nicht den in der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge [(ABl. 1993, L 199, S. 54)] genannten Schwellenwert überschreitet, eine Klausel aufzunehmen, nach der für die Durchführung dieses Auftrags die Verwendung von Material einer bestimmten Marke verlangt wird, ohne dass diese Klausel den Zusatz ‚oder gleichwertiger Art‘ enthält.“ Vgl. auch das Urteil vom 22. September 1988, Kommission/Irland (45/87, EU:C:1988:435), zur Vorgabe, dass Abwasserrohre einer bestimmten irischen Norm entsprechen müssen, ohne den Zusatz „oder gleichwertig“.


    37      Rn. 48 bis 51 ihrer schriftlichen Erklärungen.


    38      Nr. 13 ihrer schriftlichen Erklärungen. Die Kommission weist darauf hin, dass Nr. 7 der Vorlageentscheidung lediglich das Argument von Fluvius zu diesem Punkt aufgreift.


    39      DYKA beruft sich (in Rn. 19 ihrer schriftlichen Erklärungen und deren Anlage 1) auf die Europäische Norm EN 476:2022 über allgemeine Anforderungen an Bauteile für Abwasserleitungen und ‑kanäle. Diese Norm legt die allgemeinen Anforderungen fest, die in Produktnormen für Bauteile wie Rohre oder Formstücke zur Verwendung in Abwasserleitungen und ‑kanälen einzuhalten sind. Sie gilt für die Ableitung von häuslichen Abwässern, von Regen- und Oberflächenwasser sowie von anderen Abwässern, die in das Netz eingeleitet werden dürfen.


    40      Urteil vom 25. Oktober 2018, Roche Lietuva (Rn. 33).


    41      In ihren schriftlichen Erklärungen (Rn. 28) macht Fluvius geltend, dass die Frage, da sie nicht gegen Art. 42 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24 verstoßen habe, nichts zur Entscheidung des Rechtsstreits beitrage, weshalb sie es vorziehe, die Frage nicht zu prüfen.

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