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Document 62019CJ0391

    Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 9. Juli 2020.
    „Unipack“ АD gegen Direktor na Teritorialna direktsiya „Dunavska“ kam Agentsiya „Mitnitsi“ und Prokuror ot Varhovna administrativna prokuratura na Republika Bulgaria.
    Vorabentscheidungsersuchen des Varhoven administrativen sad.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Union – Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 – Art. 172 Abs. 2 – Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung – Rückwirkung – Begriff ‚außergewöhnliche Umstände‘ – Änderung der zolltariflichen Einreihung – Verlust der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft.
    Rechtssache C-391/19.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2020:547

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

    9. Juli 2020 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Zollkodex der Union – Delegierte Verordnung (EU) 2015/2446 – Art. 172 Abs. 2 – Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung – Rückwirkung – Begriff ‚außergewöhnliche Umstände‘ – Änderung der zolltariflichen Einreihung – Verlust der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft“

    In der Rechtssache C‑391/19

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Bulgarien) mit Entscheidung vom 10. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2019, in dem Verfahren

    „Unipack“ АD

    gegen

    Direktor na Teritorialna direktsia „Dunavska“ kam Agentsia „Mitnitsi“,

    Prokuror ot Varhovna administrativna prokuratura na Republika Bulgaria

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský und N. Wahl (Berichterstatter),

    Generalanwalt: G. Pitruzzella,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der „Unipack“ АD, vertreten durch D. Dobrev und L. Angelov, advokati,

    der bulgarischen Regierung, vertreten durch L. Zaharieva und E. Petranova als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, N. Nikolova, M. Salyková, N. Kuplewatzky und A. Caeiros als Bevollmächtigte,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. 2015, L 343, S. 1).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Unipack“ AD und dem Direktor na Teritorialna direktsia „Dunavska“ kam Agentsia „Mitnitsi“ (Direktor der Territorialdirektion „Donauraum“ der Zollbehörde, Bulgarien) sowie dem Prokuror ot Varhovna administrativna prokuratura na Republika Bulgaria (Staatsanwalt bei der Obersten Verwaltungsstaatsanwaltschaft der Republik Bulgarien) wegen Wareneinfuhren, die Unipack vor Einreichung des Antrags auf Bewilligung der Inanspruchnahme der Endverwendung vorgenommen hatte.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Verordnung (EU) Nr. 952/2013

    3

    Art. 15 („Übermittlung von Informationen an die Zollbehörden“) der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Union) sieht vor:

    „(1)   Auf Verlangen der Zollbehörden und innerhalb der gesetzten Frist übermitteln die unmittelbar oder mittelbar an der Erfüllung von Zollformalitäten oder an Zollkontrollen beteiligten Personen den Zollbehörden in geeigneter Form alle erforderlichen Unterlagen und Informationen und gewähren ihnen die erforderliche Unterstützung, damit diese Formalitäten oder Kontrollen abgewickelt werden können.

    (2)   Der Beteiligte ist mit Abgabe einer Zollanmeldung, einer Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung, einer summarischen Eingangsanmeldung, einer summarischen Ausgangsanmeldung, einer Wiederausfuhranmeldung oder einer Wiederausfuhrmitteilung einer Person an die Zollbehörden, oder mit Stellung eines Antrags auf eine Bewilligung oder eine sonstige Entscheidung für alle folgenden Umstände verantwortlich

    a)

    für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen in der Anmeldung, der Mitteilung oder dem Antrag,

    b)

    für die Echtheit, die Richtigkeit und die Gültigkeit jeder der Anmeldung, der Mitteilung oder dem Antrag beigefügten Unterlage,

    c)

    gegebenenfalls für die Erfüllung aller Pflichten im Zusammenhang mit der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren oder aus der Durchführung der bewilligten Vorgänge.

    Unterabsatz 1 gilt auch für die Bereitstellung von Informationen in anderer von den Zollbehörden verlangter oder ihnen übermittelter Form.

    …“

    4

    Art. 33 („Entscheidungen über verbindliche Auskünfte“) des Zollkodex der Union bestimmt:

    „(1)   Die Zollbehörden treffen auf Antrag Entscheidungen über verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA-Entscheidungen) und Entscheidungen über verbindliche Ursprungsauskünfte (vUA-Entscheidungen).

    (2)   vZTA- und vUA-Entscheidungen sind nur hinsichtlich der zolltariflichen Einreihung beziehungsweise des Ursprungs der Waren

    a)

    sowohl für die Zollbehörden als auch gegenüber dem Inhaber der Entscheidung nur hinsichtlich der Waren verbindlich, für die die Zollformalitäten nach dem Zeitpunkt erfüllt werden, zu dem die Entscheidung wirksam wird,

    b)

    sowohl für den Inhaber der Entscheidung als auch gegenüber den Zollbehörden erst ab dem Tag verbindlich, an dem sie ihm zugestellt werden beziehungsweise als ihm zugestellt gelten.

    (3)   vZTA- und vUA-Entscheidungen sind ab dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung wirksam wird, drei Jahre lang gültig.

    …“

    5

    In Art. 34 („Verwaltung von Entscheidungen über verbindliche Auskünfte“) des Zollkodex der Union heißt es:

    „(1)   Eine vZTA-Entscheidung verliert vor Ablauf der Frist gemäß Artikel 33 Absatz 3 ihre Gültigkeit, wenn sie aufgrund eines der folgenden Umstände nicht mehr rechtmäßig [ist]:

    a)

    der Annahme einer Änderung der Nomenklaturen gemäß Artikel 56 Absatz 2 Buchstaben a und b,

    b)

    des Erlasses von Vorschriften gemäß Artikel 57 Absatz 4,

    und zwar mit Wirkung vom Tag der Anwendung der entsprechenden Änderung oder Vorschriften.

    …“

    6

    Art. 129 („Änderung und Ungültigerklärung einer summarischen Eingangsanmeldung“) des Zollkodex der Union lautet:

    „(1)   Dem Anmelder kann auf Antrag erlaubt werden, Angaben in der summarischen Eingangsanmeldung nach der Abgabe zu ändern.

    …“

    7

    Art. 173 („Änderung der Zollanmeldung“) Abs. 1 des Zollkodex der Union bestimmt:

    „Dem Anmelder wird auf Antrag auch nach Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörden gestattet, eine oder mehrere in der Zollanmeldung enthaltene Angaben zu ändern. Die Änderung darf nicht zur Folge haben, dass sich die Zollanmeldung auf andere als die ursprünglich angemeldeten Waren bezieht.“

    8

    Art. 211 („Bewilligung“) des Zollkodex der Union sieht vor:

    „(1)   Eine Bewilligung der Zollbehörden ist erforderlich für

    а)

    die Inanspruchnahme der aktiven oder passiven Veredelung, der vorübergehenden Verwendung oder der Endverwendung,

    (2)   Die Zollbehörden erteilen eine Bewilligung rückwirkend, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

    a)

    es besteht eine nachgewiesene wirtschaftliche Notwendigkeit,

    b)

    der Antrag hängt nicht mit betrügerischen Absichten zusammen,

    c)

    der Antragsteller hat anhand seiner Buchhaltung oder anderer Aufzeichnungen nachgewiesen, dass

    i)

    alle Voraussetzungen für das Verfahren erfüllt sind,

    ii)

    gegebenenfalls die Nämlichkeit der Waren für den betreffenden Zeitraum festgestellt werden kann,

    iii)

    die zollamtliche Prüfung des Verfahrens möglich ist,

    d)

    allen erforderlichen Formalitäten zur Regelung der neuen rechtlichen Verhältnisse kann Rechnung getragen werden, einschließlich, soweit erforderlich, der Ungültigerklärung der betreffenden Zollanmeldung,

    Zollbehörden können eine rückwirkende Bewilligung auch dann erteilen, wenn die Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt wurden, zum Zeitpunkt der Annahme des Antrags auf eine derartige Bewilligung nicht mehr verfügbar waren.

    …“

    9

    Art. 254 („Endverwendung“) Abs. 1 des Zollkodex der Union bestimmt:

    „In der Endverwendung können Waren aufgrund ihres besonderen Zwecks abgabenfrei oder zu einem ermäßigten Abgabensatz zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen werden.“

    Delegierte Verordnung 2015/2446

    10

    Art. 172 („Rückwirkende Bewilligung“) der Delegierten Verordnung 2015/2446 bestimmt:

    „(1)   Erteilen die Zollbehörden gemäß Artikel 211 Absatz 2 des Zollkodex [der Union] eine Bewilligung rückwirkend, wird die Bewilligung frühestens ab dem Datum der Annahme des Antrags wirksam.

    (2)   Unter außergewöhnlichen Umständen können die Zollbehörden zulassen, dass eine Bewilligung gemäß Absatz 1 frühestens ein Jahr, im Fall von Waren, die unter Anhang 71‑02 fallen, frühestens drei Monate vor dem Datum der Annahme des Antrags wirksam wird.

    …“

    Verordnung (EG) Nr. 925/2009

    11

    Die Verordnung (EG) Nr. 925/2009 des Rates vom 24. September 2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Folien aus Aluminium mit Ursprung in Armenien, Brasilien und der Volksrepublik China (ABl. 2009, L 262, S. 1) sieht in Art. 1 vor:

    „(1)   Auf die Einfuhren von Folien aus Aluminium mit einer Dicke von 0,008 mm bis 0,018 mm, ohne Unterlage, nur gewalzt, in Rollen mit einer Breite von 650 mm oder weniger und einem Stückgewicht von mehr als 10 kg, die derzeit unter den KN‑Code ex76071119 (TARIC‑Code 7607111910) eingereiht werden, mit Ursprung in Armenien, Brasilien und der Volksrepublik China (‚VR China‘), wird ein endgültiger Antidumpingzoll eingeführt.

    (2)   Für die in Absatz 1 beschriebenen und von den nachstehend aufgeführten Unternehmen hergestellten Waren gelten folgende endgültige Antidumpingzollsätze auf den Nettopreis frei Grenze der Gemeinschaft, unverzollt:

    Land

    Unternehmen

    Antidumping-zollsatz

    TARIC‑Zusatzcode

    VR China

    Alle übrigen Unternehmen

    30,0 %

    A 999

    …“

    Durchführungsverordnung (EU) 2017/271

    12

    Die Durchführungsverordnung (EU) 2017/271 der Kommission vom 16. Februar 2017 zur Ausweitung des mit der Verordnung Nr. 925/2009 eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Folien aus Aluminium mit Ursprung in der Volksrepublik China auf Einfuhren bestimmter geringfügig veränderter Folien aus Aluminium (ABl. 2017, L 40, S. 51) bestimmt in Art. 1:

    „1.   Der endgültige Antidumpingzoll, der für ‚alle übrigen Unternehmen‘ gilt und durch Artikel 1 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 925/2009 auf Einfuhren von bestimmten Folien aus Aluminium mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführt wurde, wird hiermit ausgeweitet auf Einfuhren in die Union von

    Folien aus Aluminium mit einer Dicke von wenigstens 0,007 mm und weniger als 0,008 mm, unabhängig von der Breite der Rollen, weichgeglüht oder nicht, derzeit unter dem KN‑Code ex76071119 eingereiht (TARIC‑Code 7607111930), oder

    4.   Die in Absatz 1 beschriebene Ware wird vom endgültigen Antidumpingzoll befreit, wenn sie für andere Verwendungen außer der Verwendung als Haushaltsfolie eingeführt wird. Eine Befreiung unterliegt den Bedingungen, die in den entsprechenden Zollbestimmungen der Union zur Endverwendung festgelegt sind, insbesondere Artikel 254 des Zollkodex der Union.

    …“

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    13

    Das Unternehmen Unipack ist in der Herstellung von kombinierten Verpackungen für flüssige und lose Waren tätig. Die bulgarischen Zollbehörden erließen Unipack gegenüber am 28. September 2015 eine Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft im Sinne von Art. 33 des Zollkodex der Union für die Dauer von sechs Jahren hinsichtlich der tariflichen Einreihung der Ware „Folie aus Aluminium“, die zum damaligen Zeitpunkt unter dem TARIC‑Code 7607111990 eingereiht wurde.

    14

    Dieser Tarifcode wurde am 1. Juni 2016 gestrichen, wodurch die zuvor erlassene Entscheidung über die verbindliche Zolltarifauskunft hinfällig wurde. Über annähernd zehn Monate nahm Unipack anschließend neun Einfuhren vor, ohne die Streichung des früheren TARIC‑Codes 7607111990 zu berücksichtigen und ohne dass die bulgarischen Zollbehörden die Einfuhren unter einem falschen TARIC‑Code beanstandet hätten.

    15

    Am 13. und am 27. Juni 2017 führte Unipack jeweils Folien aus Aluminium, angemeldet unter dem TARIC‑Code 7607111993, aus China ein. Mit Entscheidung des Leiters des Zollamts Svishtov (Bulgarien) vom 4. September 2017 wurde dieser TARIC‑Code berichtigt und der TARIC‑Code 7607111930 angewandt.

    16

    Auf diese Entscheidung hin erhoben die bulgarischen Zollbehörden zusätzliche Zollabgaben, da die fragliche Ware nunmehr nach der Durchführungsverordnung 2017/271 einem Antidumpingzoll in Höhe von 30 % unterlag.

    17

    Am 13. September 2017 gab der Leiter des Zollamts Svishtov dem am 18. August 2017 von Unipack eingereichten Antrag auf Erteilung einer Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung mit Wirkung ab dem 31. August 2017 statt.

    18

    Mit Klage beim Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo, Bulgarien) beanstandete Unipack den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung über die Anwendung des Endverwendungsverfahrens und beantragte die rückwirkende Anwendung dieses Verfahrens ab dem 13. Juni 2017 für die Waren „Folien aus Aluminium“, wobei sie sich auf das Vorliegen „außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne von Art. 172 der Delegierten Verordnung 2015/2446 berief.

    19

    Mit Entscheidung vom 31. Mai 2018 änderte der Administrativen sad Veliko Tarnovo (Verwaltungsgericht Veliko Tarnovo) die angefochtene Entscheidung ab, indem er ihr Rückwirkung ab dem Tag der Stellung des Antrags von Unipack, d. h. dem 18. August 2017, zusprach, und wies die Klage im Übrigen ab. Unipack legte gegen diese Entscheidung Kassationsbeschwerde beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) ein.

    20

    Da der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) der Auffassung ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits eine Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446 erfordere, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Handelt es sich um außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446, die eine Grundlage für die Erteilung einer rückwirkenden Bewilligung nach Art. 211 Abs. 2 des Zollkodex der Union für die Inanspruchnahme der Endverwendung gemäß Art. 254 des Zollkodex der Union bezüglich einer Einfuhr von Waren wären, die vor dem Datum der Annahme des Antrags auf Bewilligung und nach dem wegen Änderung der Kombinierten Nomenklatur eingetretenen Ende der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft zugunsten des Inhabers des Verfahrens für diese Waren erfolgt ist, wenn in dem Zeitraum (von ungefähr zehn Monaten) zwischen dem Ende der Gültigkeit der Entscheidung über die verbindliche Zolltarifauskunft und der Einfuhr, für die die Inanspruchnahme der Endverwendung begehrt wird, einige (neun) Einfuhren von Waren getätigt wurden, ohne dass die Zollbehörden den angemeldeten Code der Kombinierten Nomenklatur korrigiert haben, und die Waren für einen vom Antidumpingzoll befreiten Zweck verwendet wurden?

    Zur Vorlagefrage

    21

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446 dahin auszulegen ist, dass Umstände wie das vorzeitige Ende der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft infolge einer Änderung der Kombinierten Nomenklatur, das Fehlen einer Reaktion der Zollbehörden angesichts von Einfuhren mit falschem Code oder der Umstand, dass die Ware für einen vom Antidumpingzoll befreiten Zweck verwendet wurde, als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden können, um gemäß Art. 254 des Zollkodex der Union eine rückwirkende Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung, wie in dieser Bestimmung vorgesehen, erteilen zu können.

    22

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Zollkodex der Union auf einem Anmeldesystem beruht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, DP grup, C‑138/10, EU:C:2011:587, Rn. 33 und 34), um Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen in geringstmöglichem Umfang zu halten und zugleich Betrugsfälle oder Unregelmäßigkeiten, die sich nachteilig auf den Haushalt der Union auswirken können, zu verhüten. Wegen der Bedeutung, die diesen Vorabanmeldungen für das ordnungsgemäße Funktionieren der Zollunion zukommt, verpflichtet Art. 15 des Zollkodex der Union die Anmelder dazu, richtige und vollständige Informationen zu erteilen.

    23

    Was insbesondere die in Art. 254 des Zollkodex der Union vorgesehene Endverwendung angeht, können darin Waren aufgrund ihres besonderen Zwecks abgabenfrei oder zu einem ermäßigten Abgabensatz zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen werden. Sie beruht auf einem Verfahren der vorherigen Bewilligung, das auf einen Antrag der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer gemäß den Art. 211 und 254 des Zollkodex der Union folgt. Nach Art. 172 der Delegierten Verordnung 2015/2446 wird diese Bewilligung, wenn sie erteilt wird, frühestens ab dem Datum der Annahme des Antrags wirksam. Nur ausnahmsweise, wenn „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, kann nach Abs. 2 dieses Artikels eine Bewilligung vor dem Datum der Annahme des Antrags wirksam werden.

    24

    Schließlich sieht Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2017/271 vor, dass dieses Verfahren der vorherigen Bewilligung der Endverwendung auch auf Anträge auf Befreiung vom Antidumpingzoll Anwendung findet, die Einfuhren bestimmter Kategorien von Folien aus Aluminium betreffen, die für eine andere Verwendung als die Verwendung als Haushaltsfolie bestimmt sind. Diese Verordnung bestimmt somit nicht nur, dass die Zollvorschriften anwendbar bleiben, sondern macht auch die Befreiung vom Antidumpingzoll davon abhängig, dass die Voraussetzungen für die in Art. 254 des Zollkodex der Union vorgesehene Inanspruchnahme der Endverwendung erfüllt sind.

    25

    Hierzu ist festzustellen, dass keine der Parteien des Ausgangsverfahrens das Fehlen einer Vorabanmeldung oder die Tatsache bestreitet, dass Einfuhren unter falschen Tarifcodes vorgenommen wurden, ohne dass von der in den Art. 129 und 173 des Zollkodex der Union vorgesehenen Berichtigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht worden wäre.

    26

    Daher sind die drei in der Vorlageentscheidung angeführten Umstände zu prüfen, um festzustellen, ob sie „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446 darstellen können.

    27

    Was als Erstes die Änderung der zolltariflichen Einreihung der eingeführten Waren und das sich daraus ergebende vorzeitige Ende der Gültigkeit der Entscheidungen über verbindliche Zolltarifauskünfte betrifft, ist festzustellen, dass sich ein Einführer nicht darauf berufen kann, um sich der in Art. 15 des Zollkodex der Union vorgesehenen Verpflichtung zur Erteilung richtiger und vollständiger Informationen zu entziehen. Nach Art. 34 Abs. 1 Buchst. a dieses Zollkodex verliert nämlich eine Entscheidung über eine Zolltarifauskunft ihre Gültigkeit, sobald sie nicht mehr rechtmäßig ist, insbesondere aufgrund einer Änderung der Nomenklatur, wie sie im Ausgangsverfahren erfolgt ist. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich daher nicht auf die Nichtbeachtung dieser Änderung berufen, um unrichtige Erklärungen abzugeben oder sich der Verpflichtung zur Vorabanmeldung zu entziehen.

    28

    Was als Zweites die Möglichkeit angeht, sich auf die Haltung der Zollbehörden zu berufen, die darin bestand, Anmeldungen zu akzeptieren, in denen auf falsche Codes Bezug genommen wurde, um das Fehlen einer Änderung des angemeldeten Tarifcodes zu rechtfertigen, hatte der Gerichtshof bereits Gelegenheit, ein solches Vorbringen zurückzuweisen, indem er erklärt hat, dass sich ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer, der von einer im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Einreihungsverordnung Kenntnis genommen hat, nicht darauf beschränken kann, seine Ware weiter unter einem falschen Code einzuführen, nur weil diese Einreihung von der Zollverwaltung akzeptiert worden ist (Urteil vom 20. November 2008, Heuschen & Schrouff Oriëntal Foods Trading/Kommission, C‑38/07 P, EU:C:2008:641, Rn. 64).

    29

    Was als Drittes den Umstand anbelangt, dass die Ware zu einem vom Antidumpingzoll befreiten Zweck verwendet wurde, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung 2017/271 eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende „vom endgültigen Antidumpingzoll befreit [wird], wenn sie für andere Verwendungen außer der Verwendung als Haushaltsfolie eingeführt wird“, sofern die Zollvorschriften über die Endverwendung, insbesondere Art. 254 des Zollkodex der Union, eingehalten werden. Folglich kann die Verwendung der Waren, auch wenn sie ein Grund für eine Befreiung vom Antidumpingzoll ist, keine Rechtfertigung dafür sein, dass der Einführer die mit dieser Verordnung eingeführte Regelung über die Beantragung der Befreiung vom Antidumpingzoll nicht beachtet.

    30

    Daraus folgt, dass keiner der vom vorlegenden Gericht genannten Umstände einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446 darstellen kann, ohne dass es erforderlich wäre, diesen Begriff näher zu bestimmen. Der Verstoß gegen die Verpflichtungen aus dem Zollkodex der Union und den darauf beruhenden Rechtsakten kann nämlich keine günstigere Behandlung des Wirtschaftsteilnehmers rechtfertigen, der diesen Verstoß begangen hat.

    31

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung 2015/2446 dahin auszulegen ist, dass Umstände wie das vorzeitige Ende der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft infolge einer Änderung der Kombinierten Nomenklatur, das Fehlen einer Reaktion der Zollbehörden angesichts von Einfuhren mit falschem Code oder der Umstand, dass die Ware für einen vom Antidumpingzoll befreiten Zweck verwendet wurde, nicht als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden können, um gemäß Art. 254 des Zollkodex der Union eine rückwirkende Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung, wie in dieser Bestimmung vorgesehen, erteilen zu können.

    Kosten

    32

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 172 Abs. 2 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union ist dahin auszulegen, dass Umstände wie das vorzeitige Ende der Gültigkeit einer Entscheidung über eine verbindliche Zolltarifauskunft infolge einer Änderung der Kombinierten Nomenklatur, das Fehlen einer Reaktion der Zollbehörden angesichts von Einfuhren mit falschem Code oder der Umstand, dass die Ware für einen vom Antidumpingzoll befreiten Zweck verwendet wurde, nicht als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden können, um gemäß Art. 254 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union eine rückwirkende Bewilligung für die Inanspruchnahme der Endverwendung, wie in dieser Bestimmung vorgesehen, erteilen zu können.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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