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Document 62017CJ0624

    Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 4. Juli 2019.
    Strafverfahren gegen Tronex BV.
    Vorabentscheidungsersuchen des Gerechtshof Den Haag.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Abfälle – Verbringung – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Art. 2 Nr. 1 – Richtlinie 2008/98/EG – Art. 3 Nr. 1 – Begriffe ‚Verbringung von Abfällen‘ und ‚Abfälle‘ – Posten ursprünglich für den Einzelhandel bestimmter, von Verbrauchern zurückgegebener oder im Sortiment des Verkäufers überschüssig gewordener Gegenstände.
    Rechtssache C-624/17.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:564

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

    4. Juli 2019 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Abfälle – Verbringung – Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – Art. 2 Nr. 1 – Richtlinie 2008/98/EG – Art. 3 Nr. 1 – Begriffe ‚Verbringung von Abfällen‘ und ‚Abfälle‘ – Posten ursprünglich für den Einzelhandel bestimmter, von Verbrauchern zurückgegebener oder im Sortiment des Verkäufers überschüssig gewordener Gegenstände“

    In der Rechtssache C‑624/17

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) mit Entscheidung vom 22. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 6. November 2017, in dem Strafverfahren gegen

    Tronex BV

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter) sowie der Richter T. von Danwitz und C. Vajda,

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Dezember 2018,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Tronex BV, vertreten durch R. G. J. Laan, advocaat,

    des Openbaar Ministerie, vertreten durch W. J. V. Spek und L. Boogert als Bevollmächtigte,

    der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, A. M. de Ree und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

    der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,

    der norwegischen Regierung, vertreten durch C. Anker und I. Meinich als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve, F. Thiran und E. Sanfrutos Cano als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. Februar 2019

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. 2006, L 190, S. 1) in Verbindung mit Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Tronex BV, die angeklagt ist, einen Posten von Abfällen unter Verstoß gegen die Vorschriften der Verordnung Nr. 1013/2006 von den Niederlanden nach Tansania verbracht zu haben.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    Art. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 bestimmt:

    „(1)   In dieser Verordnung werden Verfahren und Kontrollregelungen für die Verbringung von Abfällen festgelegt, die von dem Ursprung, der Bestimmung, dem Transportweg, der Art der verbrachten Abfälle und der Behandlung der verbrachten Abfälle am Bestimmungsort abhängen.

    (2)   Diese Verordnung gilt für die Verbringung von Abfällen:

    c)

    aus der Gemeinschaft in Drittstaaten;

    …“

    4

    In Art. 2 der Verordnung Nr. 1013/2006 heißt es:

    „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

    1.

    ‚Abfälle‘ Abfälle im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/12/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. 2006, L 114, S. 9)];

    35.

    ‚illegale Verbringung‘ jede Verbringung von Abfällen, die

    a)

    ohne Notifizierung an alle betroffenen zuständigen Behörden gemäß dieser Verordnung erfolgt oder

    b)

    ohne die Zustimmung der betroffenen zuständigen Behörden gemäß dieser Verordnung erfolgt …

    …“

    5

    Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 sieht vor:

    „Die Verbringung folgender Abfälle unterliegt dem Verfahren der vorherigen schriftlichen Notifizierung und Zustimmung im Sinne der Bestimmungen dieses Titels:

    a)

    falls zur Beseitigung bestimmt:

    alle Abfälle;

    …“

    6

    Die Richtlinie 2006/12 definiert in ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. a den Begriff „Abfall“. Gemäß ihrem Art. 41 Abs. 1 hat die Richtlinie 2008/98 die Richtlinie 2006/12 mit Wirkung vom 12. Dezember 2010 aufgehoben und ersetzt. Nach Art. 41 Abs. 3 der Richtlinie 2008/98 in Verbindung mit ihrem Anhang V gelten Bezugnahmen auf Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/12 nunmehr als Bezugnahmen auf die Definition des Begriffs „Abfall“ in Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98.

    7

    Art. 3 der Richtlinie 2008/98 sieht vor:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

    1.

    ‚Abfall‘ jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss;

    …“

    Niederländisches Recht

    8

    Nach Art. 10.60 Abs. 2 der Wet houdende regelen met betrekking tot een aantal algemene onderwerpen op het gebied van de milieuhygiëne (Wet Milieubeheer) (Gesetz über Regeln betreffend einige allgemeine Fragen auf dem Gebiet des Umweltschutzes [Umweltschutzgesetz]) vom 13. Juni 1979 (Stb. 1979, Nr. 442) ist die Vornahme von Handlungen im Sinne von Art. 2 Nr. 35 der Verordnung Nr. 1013/2006 verboten.

    9

    Die Nichtbeachtung dieses Verbots stellt nach Art. 1a Nr. 1 der Wet houdende vaststelling van regelen voor de opsporing, de vervolging en de berechting van economische delicten (Gesetz zur Festlegung von Regeln für die Ermittlung, Verfolgung und Aburteilung von Wirtschaftsstraftaten) vom 22. Juni 1950 (Stb. 1950, Nr. 258) eine Wirtschaftsstraftat dar, die nach Art. 6 dieses Gesetzes strafbar ist.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    10

    Das vorlegende Gericht, der Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag, Niederlande) ist mit einem Rechtsmittel befasst, das Tronex, die einen Großhandel mit Restposten an elektronischen Waren betreibt, gegen ein Urteil der Rechtbank Rotterdam (Bezirksgericht Rotterdam, Niederlande) eingelegt hat. Im ersten Rechtszug wurde Tronex zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, da sie Abfälle unter Verstoß gegen die Vorschriften der Verordnung Nr. 1013/2006 verbracht haben soll. Am 10. Februar 2014 wurde festgestellt, dass sie plante, einen Posten elektrischer bzw. elektronischer Geräte (im Folgenden: in Rede stehender Warenposten) zu einem in Tansania ansässigen Dritten zu verbringen. Der für einen Betrag von 2396,01 Euro erworbene in Rede stehende Warenposten bestand aus elektrischen Wasserkochern, Dampfbügeleisen, Ventilatoren und Rasierapparaten. Die Geräte waren größtenteils originalverpackt, einige waren aber unverpackt. Es handelte sich zum einen um von Verbrauchern aufgrund der Produktgarantie zurückgegebene Geräte und zum anderen um Waren, die z. B. wegen einer Sortimentsänderung aus dem Sortiment des Verkäufers genommen worden waren. Einige Geräte waren außerdem defekt. Die Verbringung erfolgte ohne die Notifizierung bzw. Zustimmung im Sinne der Verordnung Nr. 1013/2006.

    11

    Bei dem vorlegenden Gericht macht das Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft, Niederlande) geltend, die Geräte, aus denen der in Rede stehende Warenposten bestanden habe, seien für den regulären Verkauf an die Verbraucher nicht mehr geeignet gewesen, was die Lieferanten von Tronex dazu veranlasst habe, sich ihrer zu „entledigen“. Es handele sich deshalb um „Abfall“ im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98. Dass die Geräte noch einen Restwert gehabt hätten und dass Tronex dafür tatsächlich einen Geldbetrag gezahlt habe, sei insoweit unerheblich. Die Verbringung des Postens von „Abfall“ zu einem in Tansania ansässigen Dritten hätte deshalb den sich aus der Verordnung Nr. 1013/2006 ergebenden Anforderungen genügen müssen.

    12

    Tronex widerspricht der Einstufung als „Abfall“, die die Staatsanwaltschaft für die Geräte, aus denen der in Rede stehende Warenposten bestand, vornehmen will. Die Lieferanten der Gesellschaft hätten sich dieser Geräte nicht im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 „entledigt“, sondern sie ihr als reguläre Waren mit einem gewissen Marktwert verkauft.

    13

    Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Den Haag (Berufungsgericht Den Haag) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    a)

    Ist ein Einzelhändler, der einen von einem Verbraucher zurückgegebenen oder einen in seinem Sortiment überschüssig gewordenen Gegenstand aufgrund einer zwischen ihm und seinem Lieferanten bestehenden Vereinbarung an diesen (also an den Importeur, den Großhändler, den Vertreiber, den Hersteller oder eine andere Person, von der er den Gegenstand bezogen hat) zurückgibt, als ein Besitzer anzusehen, der sich des Gegenstands im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 entledigt?

    b)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 1a darauf an, ob es sich dabei um einen Gegenstand handelt, dem ein leicht zu behebender Mangel oder Defekt anhaftet?

    c)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 1a darauf an, ob es sich dabei um einen Gegenstand handelt, dem ein Mangel oder Defekt von solchem Umfang oder solcher Schwere anhaftet, dass der Gegenstand deshalb nicht mehr für seinen ursprünglichen Verwendungszweck geeignet oder brauchbar ist?

    2.

    a)

    Ist ein Einzelhändler oder ein Lieferant, der einen von einem Verbraucher zurückgegebenen oder einen in seinem Sortiment überschüssig gewordenen Gegenstand an einen Aufkäufer (von Restposten) weiterverkauft, als ein Besitzer anzusehen, der sich des Gegenstands im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 entledigt?

    b)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 2a darauf an, wie hoch der vom Aufkäufer an den Einzelhändler oder Lieferanten zu zahlende Kaufpreis ist?

    c)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 2a darauf an, ob es sich dabei um einen Gegenstand handelt, dem ein leicht zu behebender Mangel oder Defekt anhaftet?

    d)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 2a darauf an, ob es sich dabei um einen Gegenstand handelt, dem ein Mangel oder Defekt von solchem Umfang oder solcher Schwere anhaftet, dass der Gegenstand deshalb nicht mehr für seinen ursprünglichen Verwendungszweck geeignet oder brauchbar ist?

    3.

    a)

    Ist ein Aufkäufer, der einen großen Posten bei Einzelhändlern oder Lieferanten aufgekaufter, von Verbrauchern zurückgegebener und/oder überschüssig gewordener Waren an einen (ausländischen) Dritten weiterverkauft, als ein Besitzer anzusehen, der sich des Warenpostens im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 entledigt?

    b)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 3a darauf an, wie hoch der vom Dritten an den Aufkäufer zu zahlende Kaufpreis ist?

    c)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 3a darauf an, ob der Warenposten auch einige Waren enthält, denen ein leicht zu behebender Mangel oder Defekt anhaftet?

    d)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 3a darauf an, ob der Warenposten auch einige Waren enthält, denen ein Mangel oder Defekt von solchem Umfang oder solcher Schwere anhaftet, dass der betreffende Gegenstand deshalb nicht mehr für seinen ursprünglichen Verwendungszweck geeignet oder brauchbar ist?

    e)

    Kommt es für die Antwort auf Frage 3c oder Frage 3d darauf an, welchen Prozentsatz die defekten Waren an dem gesamten Posten der an den Dritten weiterverkauften Waren ausmachen? Wenn ja, bei welchem Prozentsatz liegt dann der Umschlagspunkt?

    Zu den Vorlagefragen

    14

    Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verbringung eines Postens ursprünglich für den Einzelhandel bestimmter, aber vom Verbraucher zurückgegebener oder aus unterschiedlichen Gründen vom Einzelhändler an seinen Lieferanten zurückgegebener elektrischer und elektronischer Geräte wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einen Drittstaat als „Verbringung von Abfällen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 anzusehen ist.

    15

    Gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. c gilt die Verordnung Nr. 1013/2006 für die Verbringung von Abfällen aus der Union in Drittstaaten.

    16

    Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 definiert den Begriff „Abfall“ als jeden Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss.

    17

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich die Einstufung als „Abfall“ vor allem aus dem Verhalten des Besitzers und der Bedeutung des Ausdrucks „sich entledigen“ (Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    18

    Zum Ausdruck „sich entledigen“ kann der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs weiter entnommen werden, dass er unter Berücksichtigung des mit der Richtlinie 2008/98 verfolgten Zwecks, der nach ihrem sechsten Erwägungsgrund in der Minimierung der nachteiligen Auswirkungen der Abfallerzeugung und -bewirtschaftung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt besteht, sowie im Licht von Art. 191 Abs. 2 AEUV auszulegen ist, dem zufolge die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau abzielt und insbesondere auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung beruht. Daraus folgt, dass der Ausdruck „sich entledigen“ und damit der Begriff „Abfall“ im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 nicht eng ausgelegt werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    19

    Aus den Bestimmungen der Richtlinie 2008/98 geht hervor, dass der Ausdruck „sich entledigen“ sowohl die „Verwertung“ als auch die „Beseitigung“ eines Stoffes oder Gegenstands im Sinne von Art. 3 Nrn. 15 und 19 dieser Richtlinie umfasst (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    20

    So ist die Frage, ob es sich um „Abfall“ im Sinne der Richtlinie 2008/98 handelt, anhand sämtlicher Umstände zu prüfen. Dabei ist die Zielsetzung der Richtlinie zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass ihre Wirksamkeit nicht beeinträchtigt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    21

    Bestimmte Umstände können somit Anhaltspunkte dafür bilden, dass sich der Besitzer eines Stoffes oder Gegenstands im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 entledigt, entledigen will oder entledigen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 41).

    22

    Besonderes Augenmerk ist auf den Umstand zu legen, dass der fragliche Gegenstand oder Stoff für seinen Besitzer keinen Nutzen oder keinen Nutzen mehr besitzt, so dass der Gegenstand oder Stoff eine Last darstellt, deren sich der Besitzer zu entledigen sucht. Wenn dies der Fall ist, besteht die Gefahr, dass der Besitzer sich des in seinem Besitz befindlichen Gegenstands oder Stoffes in einer Weise entledigt, die die Umwelt schädigen kann, so vor allem dadurch, dass er den Besitz an dem Gegenstand oder Stoff aufgibt, diesen wegwirft oder ihn unkontrolliert beseitigt. Fällt der Gegenstand oder Stoff unter den Begriff „Abfall“ im Sinne der Richtlinie 2008/98, so unterliegt er deren Vorschriften, womit die Verwertung oder Beseitigung dieses Gegenstands oder dieses Stoffes so vorzunehmen ist, dass die menschliche Gesundheit nicht gefährdet wird und keine Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    23

    Dabei ist der Grad der Wahrscheinlichkeit der Wiederverwendung eines Gegenstands, eines Stoffes oder eines Erzeugnisses ohne vorherige Bearbeitung ein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob es sich um Abfall im Sinne der Richtlinie 2008/98 handelt. Ist die Wiederverwendung des Gegenstands, des Stoffes oder des Erzeugnisses nicht nur möglich, sondern darüber hinaus für den Besitzer wirtschaftlich vorteilhaft, so ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wiederverwendung hoch. In diesem Fall können der betreffende Gegenstand, der betreffende Stoff oder das betreffende Erzeugnis nicht mehr als Last betrachtet werden, deren sich der Besitzer „zu entledigen“ sucht, sondern haben als echtes Erzeugnis zu gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Kommission/Italien, C‑263/05, EU:C:2007:808, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    24

    Es erschiene keineswegs gerechtfertigt, den Anforderungen der Richtlinie 2008/98, die gewährleisten sollen, dass Vorgänge der Verwertung und Beseitigung von Abfällen erfolgen, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet und potenziell umweltschädliche Verfahren oder Methoden verwendet werden, auch Gegenstände, Stoffe oder Erzeugnisse zu unterstellen, die ihr Besitzer unabhängig von irgendeiner Verwertung unter vorteilhaften Bedingungen nutzen oder vermarkten möchte. Angesichts des Erfordernisses, den Begriff „Abfall“ weit auszulegen, gilt dies jedoch nur für Sachverhalte, in denen die Wiederverwendung des fraglichen Gegenstands oder Stoffes nicht nur möglich, sondern gewiss ist, ohne dass es dafür erforderlich wäre, zuvor auf eines der Verwertungsverfahren für Abfälle gemäß Anhang II der Richtlinie 2008/98 zurückzugreifen, was durch das vorlegende Gericht zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    25

    Letztlich obliegt es dem für die Würdigung des Sachverhalts der bei ihm anhängigen Rechtssache allein zuständigen vorlegenden Gericht, zu ermitteln, ob der Besitzer des fraglichen Gegenstands oder Stoffes sich dessen tatsächlich „entledigen“ wollte, wobei es sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und zugleich für die Wahrung des Zwecks der Richtlinie 2008/98 Sorge zu tragen hat. Jedoch ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht alle für die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit sachdienlichen Hinweise zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2013, Brady, C‑113/12, EU:C:2013:627, Rn. 47, sowie vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 48).

    26

    Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die elektrischen Geräte, aus denen der in Rede stehende Warenposten bestand, zu dem Zeitpunkt, als sie von den niederländischen Zollbehörden entdeckt wurden, als „Abfälle“ anzusehen waren.

    27

    Sollte Tronex Geräte, die in einem früheren Stadium bereits zu Abfällen geworden waren, erworben und sie weder beseitigt noch verwertet haben, wäre davon auszugehen, dass sie Abfälle unter Verstoß gegen die einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 1013/2006 verbracht hat.

    28

    Der vom vorlegenden Gericht angeführte Umstand, dass die elektrischen Geräte, aus denen der streitige Warenposten bestand, nicht mehr für die ursprünglich von ihren Besitzern, also den Einzelhändlern, Großhändlern und Importeuren neuwertiger Geräte dieser Art, vorgesehene Verwendung geeignet waren, kann jedoch ein Anhaltspunkt dafür sein, dass der in Rede stehende Warenposten eine Last darstellte, deren sich die Lieferanten „zu entledigen“ suchten.

    29

    Was den Umstand anbelangt, dass die Geräte einen Restwert hatten und Tronex dafür einen bestimmten Geldbetrag gezahlt hat, ist der Begriff „Abfall“ nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht so auszulegen, dass Stoffe oder Gegenstände mit einem Marktwert, die wirtschaftlich wiederverwendet werden können, von ihm auszuschließen wären (Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    Die Zweifel des vorlegenden Gerichts beziehen sich insbesondere auf den Umstand, dass die Geräte zwar größtenteils originalverpackt, einige aber unverpackt waren. Der in Rede stehende Warenposten bestand nämlich zum einen aus von Verbrauchern aufgrund der Produktgarantie zurückgegebenen elektrischen Geräten und zum anderen aus Waren, die z. B. aufgrund einer Sortimentsänderung im Sortiment des Einzelhändlers, des Großhändlers oder des Importeurs überschüssig geworden waren. Außerdem waren einige Geräte defekt.

    31

    Allein der Umstand, dass der Verkäufer und der Käufer den Verkauf als den Verkauf eines Warenpostens eingestuft haben und dieser Warenposten Geräte enthält, die als Abfälle anzusehen sind, bedeutet nicht, dass es sich bei sämtlichen in dem Warenposten enthaltenen Geräten um Abfälle handelt.

    32

    Zum einen kann bei den im Sortiment des Einzelhändlers, des Großhändlers oder des Importeurs überschüssig gewordenen Waren, die sich noch in ihrer ungeöffneten Originalverpackung befanden, davon ausgegangen werden, dass es sich um neue Waren handelt, deren Funktionsfähigkeit vermutet werden kann. Solche elektrischen Geräte können als im normalen Handelsverkehr verkäufliche Waren angesehen werden, die nach der in Rn. 22 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung für ihren Besitzer grundsätzlich keine Last darstellen.

    33

    Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass sich ihr Besitzer der Geräte im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 „entledigen“ wollte. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, dass es keinen Anhaltspunkt für Zweifel an der Funktionsfähigkeit dieser Waren gibt.

    34

    Darüber hinaus kann bei elektronischen Geräten, die aufgrund der Produktgarantie zurückgegeben wurden, eine gemäß einer Vertragsklausel und gegen Rückerstattung des Kaufpreises erfolgte Rückgabe einer Entsorgung nicht gleichgestellt werden. Wenn ein Verbraucher einen nicht vertragsgemäßen Gegenstand aufgrund der mit dem Kaufvertrag über den Gegenstand verbundenen Garantie zurückgibt, um den Kaufpreis zurückzuerhalten, kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass er die Absicht hatte, einen Gegenstand, dessen er sich im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 „entledigen“ wollte, zu beseitigen oder zu verwerten. Im Übrigen ist unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits die Gefahr gering, dass sich der Verbraucher des Gegenstands in einer Weise entledigt, die die Umwelt schädigen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Shell Nederland, C‑241/12 und C‑242/12, EU:C:2013:821, Rn. 46).

    35

    Anhand einer solchen Rückgabe aufgrund der Produktgarantie lässt sich jedoch nicht feststellen, ob in diesem Zusammenhang die Wiederverwendung der betreffenden elektrischen Geräte gewiss ist, was nach der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung erforderlich ist. Zur Ermittlung des Risikos, dass sich der Besitzer der aufgrund der Produktgarantie zurückgegebenen elektrischen Geräte in einer Weise entledigt, die die Umwelt schädigen kann, ist deshalb zu prüfen, ob diese, wenn sie defekt sind, noch ohne Reparatur verkauft werden können, um ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet zu werden, und ob diese Wiederverwendung gewiss ist.

    36

    Hat ein solches Gerät dagegen reparaturbedürftige Mängel, so dass es nicht mehr seiner ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden kann, stellt es für seinen Besitzer eine Last dar und ist daher als Abfall anzusehen, da die Gewissheit fehlt, dass der Besitzer es tatsächlich repariert. Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, ist es für die Einstufung eines Gegenstands als „Abfall“ ausschlaggebend, dass Zweifel daran bestehen, dass er noch zu einer seiner ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechenden Verwendung verkauft werden kann.

    37

    Deshalb kommt es auf die Reparaturkosten, die erforderlich sind, damit der betreffende Gegenstand wieder seiner ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden kann, nicht an, da ihn allein der Umstand, dass er nicht mehr funktionsfähig ist, für seinen Besitzer zu einer Last macht und, wie sich aus der vorstehenden Randnummer ergibt, nicht gewiss ist, dass er künftig seiner ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet wird.

    38

    Demnach kann ein Defekt der Art, dass der in Rede stehende Gegenstand nicht mehr seiner ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden kann, ein Beleg dafür sein, dass die Wiederverwendung einer solchen Ware nicht gewiss ist.

    39

    Insoweit kann die Art und Weise, wie ein Besitzer einen Mangel oder Defekt behandelt, ein Anhaltspunkt dafür sein, dass er sich des betreffenden Gegenstands entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Wenn er den Gegenstand an einen Dritten verkauft oder veräußert, ohne zuvor seine Funktionsfähigkeit festgestellt zu haben, ist somit davon auszugehen, dass er für den Besitzer eine Last darstellt, deren er sich entledigt, so dass der Gegenstand als „Abfall“ im Sinne der Richtlinie 2008/98 einzustufen ist.

    40

    Für den Nachweis, dass nicht funktionsfähige Geräte keine Abfälle sind, hat der Besitzer der in Rede stehenden Waren deshalb zu belegen, dass ihre Wiederverwendung nicht nur möglich, sondern gewiss ist, und sich zu vergewissern, dass die hierfür erforderlichen vorherigen Kontrollen und Reparaturen durchgeführt wurden.

    41

    Darüber hinaus hat der Besitzer, der plant, Geräte wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu einem Dritten zu verbringen, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Funktionsfähigkeit durch eine geeignete angemessene Verpackung gegen Transportschäden geschützt ist. Ohne eine solche Verpackung ist davon auszugehen, dass sich der Besitzer der Geräte entledigen will, da er die Gefahr in Kauf nimmt, dass sie beim Transport beschädigt werden.

    42

    Wie die Generalanwältin in Nr. 42 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, stellt eine solche Kontroll- sowie gegebenenfalls Reparatur- und Verpackungspflicht eine Maßnahme dar, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem Ziel der Richtlinie 2008/98 steht.

    43

    Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Verbringung eines Postens ursprünglich für den Einzelhandel bestimmter, aber vom Verbraucher zurückgegebener oder aus unterschiedlichen Gründen vom Einzelhändler an seinen Lieferanten zurückgegebener elektrischer und elektronischer Geräte wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einen Drittstaat als „Verbringung von Abfällen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1013/2006 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98 anzusehen ist, wenn dieser Posten Geräte enthält, deren Funktionsfähigkeit zuvor nicht festgestellt wurde oder die nicht angemessen gegen Transportschäden geschützt sind. Dagegen sind solche im Sortiment des Verkäufers überschüssig gewordenen Gegenstände in ungeöffneter Originalverpackung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht als Abfälle anzusehen.

    Kosten

    44

    Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

     

    Die Verbringung eines Postens ursprünglich für den Einzelhandel bestimmter, aber vom Verbraucher zurückgegebener oder aus unterschiedlichen Gründen vom Einzelhändler an seinen Lieferanten zurückgegebener elektrischer und elektronischer Geräte wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in einen Drittstaat ist als „Verbringung von Abfällen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Verbringung von Abfällen in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nr. 1 und Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien anzusehen, wenn dieser Posten Geräte enthält, deren Funktionsfähigkeit zuvor nicht festgestellt wurde oder die nicht angemessen gegen Transportschäden geschützt sind. Dagegen sind solche im Sortiment des Verkäufers überschüssig gewordenen Gegenstände in ungeöffneter Originalverpackung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht als Abfälle anzusehen.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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