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Document 61959CC0031

    Schlussanträge des Generalanwalts Roemer vom 11. Februar 1960.
    Acciaieria e Tubificio di Brescia gegen Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
    Rechtssache 31-59.

    Englische Sonderausgabe 1960 00161

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1960:3

    Schlußanträge des Generalanwalts,

    HERRN KARL ROEMER

    11. Februar 1960

    GLIEDERUNG

    Seite
     

    A. — Einleitung

     

    1. Die Betriebe der Klägerin

     

    2. Die Kontrollen im Jahre 1958; Briefwechsel der Parteien

     

    3. Die angegriffene Entscheidung

     

    B. — Rechtliche Beurteilung der angegriffenen Entscheidung

     

    I. — Die materiellen Voraussetzungen und der Umfang des Auskunfts- und Nachprüfungsrechts

     

    1. Allgemeine Bemerkungen

     

    2. Voraussetzungen und Umfang des Nachprüfungsrechts

     

    a) Restriktive Auslegung des Artikels 47

     

    b) Artikel 86 des Vertrages

     

    aa) In welchem Verhältnis steht Artikel 86 zu Artikel 47 des Vertrages?

     

    bb) Vergleichende Betrachtung der Kontrollbefugnisse in den nationalen Steuerrechtssystemen

     

    cc) Die Befugnisse der Hohen Behörde bei der Erhebung der allgemeinen Umlage

     

    dd) Der Umfang des Nachprüfungsrechts

     

    c) Verletzt die angegriffene Entscheidung die Grundsätze des Nachprüfungsrechts?

     

    3. Voraussetzungen und Umfang des Auskunftsrechts

     

    4. Kann die Hohe Behörde Auskünfte verlangen und Nachprüfungen anordnen in bezug auf Produktionsbereiche, die ihrer Jurisdiktion nicht unterstehen?

     

    a) Die Voraussetzungen einer solchen „Grenzüberschreitung“

     

    b) Zur Frage der Unteilbarkeit der Buchhaltung

     

    c) Ergebnis

     

    II. — Die formellen Voraussetzungen, die bei der Geltendmachung des Auskunfts- und Nachprüfungsrechts zu beachten sind

     

    1. Die Notwendigkeit einer formellen Entscheidung

     

    2. Welchen Erfordernissen muß die Entscheidung genügen?

     

    C. — Gesamtergebnis

    Herr Präsident, meine Herren Richter!

    Ich habe heute meine Schlußanträge zu stellen in einem Verfahren, in dem durch die Klage der Aktiengesellschaft „Acciaieria e Tubificio di Brescia“ eine individuelle Entscheidung der Hohen Behörde angegriffen wird, die am 15. 4. 1959 gegen die Klägerin erlassen und ihr mit Schreiben vom 30. 4. 1959 zugestellt worden ist.

    A. - EINLEITUNG

    In bezug auf die Beachtung der Verfahrensvorschriften sind Bemerkungen nicht zu machen.

    Ich kann mich demnach sofort zuwenden dem tatsächlichen und rechtlichen Gehalt des Vortrages der Parteien, der angegriffenen Entscheidung und der rechtlichen Beurteilung des Prozeßstoffes.

    Die Beziehung der Klägerin zur Hohen Behörde, soweit sie für dieses Verfahren von Bedeutung ist, erfordert die Erwähnung gewisser Tatsachen und Ereignisse, die sich vor dem Erlass der angegriffenen Entscheidung ergeben haben.

    1. DIE BETRIEBE DER KLÄGERIN

    Die Klägerin erzeugt Stahl in einer Abteilung des Unternehmens und baut technische Einrichtungen, unter anderem für Kraftwerke, und Maschinenteile in einer anderen Abteilung. Die Fertigung dieser Betriebe ist getrennt. Der Produktionsgang des Stahlwerkes schließt ab mit dem Verkauf der Erzeugung an Dritte; die Abteilung, die technische Einrichtungen herstellt, bezieht die Ausgangsprodukte, unter anderem Stahlplatten, von dritter Seite. Jede der beiden Betriebsabteilungen wurde früher in der Rechtsform einer selbständigen Gesellschaft geführt. Infolge der Fusion dieser Unternehmen zur Gesellschaft der Klägerin wird eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung für beide Betriebe veröffentlicht.

    2. DIE KONTROLLEN IM JAHRE 1958; BRIEFWECHSEL DER PARTEIEN

    Die Hohe Behörde hat sich entschlossen, diese Gesellschaft in Anwendung der Befugnisse des Artikels 47 des Vertrages, so wie sie diesen versteht, kontrollieren zu lassen. Sie erteilte einem für sie tätigen Prüfer eine schriftliche Legitimation, die Auftrag und Vollmacht darstellen soll, mit Datum vom 16. September 1958.

    Die Prüfungen wurden im Gebäude der Klägerin von drei Experten zunächst in der Zeit vom 11. bis 24. Oktober 1958 und an drei Tagen im November 1958 durchgeführt. Es scheint, daß die Prüfung unterbrochen wurde in dem Augenblick, als die Prüfer gewisse Geschäftspapiere und Buchhaltungsteile, die beiden Betrieben gemeinsam sind, zu sehen und zu prüfen verlangten. Die Verwaltung der Gesellschaft hat dem Verlangen aus grundsätzlichen Erwägungen rechtlicher und geschäftlicher Natur nicht entsprochen. Ihre den Prüfern gegenüber abgegebenen Erklärungen veranlaßten die Hohe Behörde zu dem Schreiben vom 5. 2. 1959, in welchem ein Mitglied der Hohen Behörde unter anderem folgende Mitteilungen macht:

    Die Inspektoren haben gebeten, einige Auskünfte zu erhalten. Die Klägerin habe erwidert, einige Urkunden der Geschäfts- und Buchführung nicht vorlegen zu können (Bankauszüge und Konto der Verkäufe, übertragen auf die Gewinn- und Verlustrechnung). Die Hohe Behörde erinnere daran, daß gemäß Artikel 86 des Vertrages die Prüfer Rechte und Befugnisse haben, die nach den Gesetzen der Mitgliedstaaten den Beauftragten der Finanzverwaltung zustehen. Sie erinnere auch daran, daß sie nach Artikel 47 des Vertrages die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Auskünfte einholen kann.

    Das Schreiben schließt mit der Aufforderung, den Inspektoren bei einem nächsten Besuch alle Auskünfte und Dokumente, die sie nötig haben könnten für die Erfüllung ihrer Aufgabe, mitzuteilen, widrigenfalls die Hohe Behörde eine Entscheidung gegen die Gesellschaft erlassen werde.

    In einem am 12. 2. 1959 von der Gesellschaft an dieses Mitglied der Hohen Behörde gerichteten eingehenden Schreiben hat die Gesellschaft im wesentlichen folgendes erwidert:

    Sie habe den Prüfern zu eingehender Prüfung unter anderem die Dokumente vollständig vorgelegt, die die Geschäftsvorgänge und Buchungen auf dem der Hohen Behörde unterworfenen Gebiete der Stahlerzeugung betreffen. Diese Urkunden zählt sie im einzelnen auf. Es finden sich darunter auch Bankbelege, auf die sich präzise Anforderungen des Prüfers gerichtet haben. Es wird der Ansicht Ausdruck gegeben, daß alle dem Verständnis dieser Dokumente dienenden Aufklärungen und zusätzlichen Urkunden den Prüfern geliefert wurden. Zu der Feststellung der Hohen Behörde, es seien nunmehr auch gewisse geschäftliche Unterlagen und Buchhaltungsbelege, vor allem die Auszüge der Bankkonten und des Kontos, das über die Verkaufserlöse Auskunft gibt, sowie des Kontos Gewinn und Verlust den Prüfern vorzulegen, bemerkt die Gesellschaft, diejenigen Bankauszüge, die im einzelnen angefordert wurden, seien ohne Vorbehalt und ohne Ausnahme vorgelegt worden. Was das Konto angehe, das den Betrag der Verkäufe enthält, die auf das Konto Gewinn und Verlust übertragen worden seien, so könne der Sinn dieser Bezeichnung nicht verstanden werden, sei doch der Betrag der Verkäufe Gegenstand einer Kontrolle auf Grund der vorbezeichneten Dokumente gewesen, ohne daß die Prüfer eine Differenz festgestellt oder eine Beanstandung vorgebracht haben. Was jedoch die Vorlage des Kontos Gewinn und Verlust angehe, so sei zu bedenken, daß die Gesellschaft nicht nur Stahl, sondern auch Ausrüstungen und Einrichtungen herstelle, die der Zuständigkeit der Gemeinschaft nicht unterlägen. Da das Konto Gewinn und Verlust beide Produktionen umfasse, habe man dem Prüfer die Bedenken mitteilen müssen, die einer Ausdehnung der Prüfung auf die Produktion, die außerhalb der Zuständigkeit der Hohen Behörde liege, entgegenstehen.

    Aus diesen Gründen, so erklärt die Gesellschaft, unterbreite sie die sich hier stellende Frage von großer allgemeiner Bedeutung der Hohen Behörde und bitte diese, die Gründe zu würdigen, die jedes Unternehmen mit gemischter Produktion veranlassen können, auf die Einhaltung eines prüfungsfreien Mindestrahmens für die der Hohen Behörde nicht unterliegende Produktion bedacht zu sein.

    3. DIE ANGEGRIFFENE ENTSCHEIDUNG

    Diese offenbar mit dem Ziele einer gütlichen Verständigung vorgebrachten Darlegungen des Ablaufs der Prüfung und der sich für die Klägerin stellenden geschäftlichen und rechtlichen Erwägungen haben eine entsprechende Erwiderung von seiten der Hohen Behörde nicht gefunden. Vielmehr hat die Hohe Behörde die Entscheidung vom 15. 4. 1959 getroffen, in der nachstehende Ausführungen wesentlich erscheinen:

    In den Gründen:

    Die Hohe Behörde müsse für die Beachtung der Regeln, die das Funktionieren des gemeinsamen Marktes bestimmen, von den Unternehmen alle Auskünfte erhalten und durch ihre Inspektoren eine Kontrolle bei den Unternehmern ausüben. Sie müsse auf diese Weise, d. h. durch solche Auskünfte und Kontrollen, den Wert unerlaubter Verkäufe im Sinne des Artikels 64 und gegebenenfalls die jährliche Umsatzziffer im Sinne der Artikel 47 und 82 des Vertrages feststellen. Die Tatsache, daß Teile der Buchhaltung und der Archive eine Tätigkeit des Unternehmens betreffen, die der Jurisdiktion der Gemeinschaft nicht unterliegt, könne das Recht, Auskünfte und Kontrollen zu verlangen, nicht einschränken. Die Buchhaltung eines Unternehmens mit gemischter Produktionstätigkeit sei unteilbar. Daher wäre die Hohe Behörde nicht imstande, die ihr im Vertrag übertragenen Aufgaben zu erfüllen, hätte sie nicht das Recht, Buchhaltung und Urkunden in ihrer Gesamtheit einer Kontrolle zu unterziehen.

    In der Entscheidungsformel:

    „Das Unternehmen Acciaieria e Tubificio di Brescia, S. p. A., Brescia, Via Zara 12, hat den Inspektoren der Hohen Behörde, die mit der in den Erwägungen zu der vorliegenden Entscheidung erwähnten Prüfung beauftragt sind, während der normalen Bürostunden alle zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendigen Auskünfte zu erteilen und ihnen zu diesem Zweck alle Urkunden und Konten der Gesellschaft vorzulegen, insbesondere die Rechnungen, die Unterlagen über Bankgeschäfte sowie die einzelnen Bestandteile der Verlust- und Gewinnrechnung, wie z. B. das Umsatzkonto und das Unkostenkonto.“

    B. - RECHTLICHE BEURTEILUNG DER ANGEGRIFFENEN ENTSCHEIDUNG

    Die Klägerin greift diese Entscheidung mit einer Reihe von Klagegründen und Argumenten an, die sowohl die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung unter verschiedenen Gesichtspunkten als auch ihre formelle Ordnungsmäßigkeit betreffen. Ich werde diese Rügen bei meinen Ausführungen zur Beurteilung der Streitfragen im einzelnen berühren, ohne dabei die von der Klägerin gewählte Reihenfolge einzuhalten.

    I. — Die materiellen Voraussetzungen und der Umfang des Auskunfts- und Nachprüfungsrechts

    1. ALLGEMEINE BEMERKUNGEN

    Behörden, die für Wirtschaftsbeobachtung, Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung verantwortlich sind, müssen auch im Rahmen der privaten Wirtschaft die Möglichkeit haben, sich über wirtschaftliche Vorgänge genau zu unterrichten. Dem entspricht eine Auskunftspflicht der Unternehmen. „Ohne die Auskunftsverpflichtung der Beteiligten“, so hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung vom 19. Dezember 1958 ( 1 ) festgestellt, „lassen sich die in einem modernen Staat, auch wenn er sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, unvermeidlichen wirtschaftslenkenden Maßnahmen nicht treffen. Es entspricht daher durchaus vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls, wenn für wirtschaftliche Zustände und Vorgänge eine Auskunftspflicht eingeführt wird.“

    Diese Bemerkungen gelten für den Vertrag und für die Funktionen der Hohen Behörde — wie ohne weiteres ersichtlich ist und wie sich auch aus Artikel 46 ergibt — in besonderem Maße. Daher enthält der Vertrag die generelle Bestimmung des Artikels 47, die hier im Mittelpunkt der Erörterungen steht, und außerdem noch eine Reihe von besonderen Vorschriften, die dem gleichen Zweck dienen. Sie wurden im Verfahren des öfteren genannt: Es sind vor allem die Artikel 54, 65, 66 und 80.

    Artikel 47 gibt der Hohen Behörde die Möglichkeit, die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Auskünfte einzuholen und die erforderlichen Nachprüfungen vornehmen zu lassen. Ich habe die Begriffe „notwendig“ und „erforderlich“ hervorgehoben, weil sich die Parteien darüber streiten, welche Deutung ihnen zu geben ist. Genügt die generelle Notwendigkeit der verlangten Auskunft, also die Tatsache, daß eine Auskunft ihrer Art nach zur Erfüllung der Aufgaben der Hohen Behörde notwendig sein kann, oder muß eine besondere Notwendigkeit im konkreten Fall vorliegen (und dann natürlich auch dargetan werden)? Weiter: Können Nachprüfungen generell und stets vorgenommen werden, etwa zur Beschaffung von Informationen und zur Feststellung von Vertragsverletzungen, oder muß eine Nachprüfung sich im konkreten Fall auf Grund bestimmter Tatsachen oder Ereignisse als notwendig erweisen? Vor allem auch: Dürfen Nachprüfungen immer nur erfolgen nach der Einholung von Auskünften, oder ist das Nachprüfungsrecht unabhängig vom Auskunftsrecht? Und schließlich noch: Deckt der Vertragstext auch Nachprüfungen, die über den Montansektor, den Raum des Vertrages hinausreichen, die also Unterlagen der nicht dem Vertrag unterworfenen Produktionsbereiche betreffen?

    2. VORAUSSETZUNGEN UND UMFANG DES NACHPRÜFUNGSRECHTS

    Anlaß für den vorliegenden Rechtsstreit gab die Frage nach dem Umfang des Nachprüfungsrechts der Hohen Behörde; sie bildet auch den hauptsächlichsten Streitpunkt des Verfahrens. Diese Frage werde ich daher zunächst ins Auge fassen.

    Wenn man sich die Zahl und die Verschiedenartigkeit der Aufgaben der Hohen Behörde vor Augen hält, wie sie sich aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen ergibt, erscheint es zweifelhaft, ob für alle denkbaren Prüfungstatbestände das Kontrollrecht der Hohen Behörde in gleicher Weise ausgeübt werden kann. Die Hohe Behörde hat Funktionen ähnlich denen, die einer Steuerverwaltung im nationalen Recht zukommen, bei der Erhebung der allgemeinen Umlage. Die Hohe Behörde ist berufen, für geordnete Wettbewerbsverhältnisse zu sorgen (vgl. die Artikel 67 und 68, insbesondere aber auch die Bestimmungen über Kartelle und Zusammenschlüsse); sie hat Befugnisse auf dem Gebiete des Preisrechts; sie beeinflußtdie Erzeugung und Verteilung bei Absatzschwierigkeiten und bei einer Mangellage; sie wird tätig im sozialen Bereich, auf dem Gebiete des Transportwesens, der Investitionen und der Forschung. Es laufen bei ihr also Befugnisse zusammen, die auf der nationalen Ebene auf verschiedene Behörden verteilt sind und spezielle Regelungen mit differenzierten Ermächtigungen kennen. Ich werde im Laufe meiner Ausführungen zum Nachprüfungsrecht darzutun haben, in welcher Weise man bei der Auslegung von Artikel 47 eine Differenzierung je nach Anlaß, Gegenstand und Zweck der Kontrolle für richtig und angemessen halten kann.

    a) Restriktive Auslegung des Artikels 47

    Was zunächst die These der Klägerin anlangt, Nachprüfungen seien nur zulässig, wenn eingeholte oder verweigerte Auskünfte sie erforderlich machen und wenn überdies Tatsachen vorliegen, die eine Nachprüfung gerade bei einem bestimmten Unternehmen und im Hinblick auf bestimmte Vorgänge notwendig machen, so läßt sie sich aus dem Wortlaut des Artikels 47 nicht eindeutig entnehmen.

    Eine Abhängigkeit des Nachprüfungsrechts vom Auskunftsverlangen ergibt sich nicht etwa aus der Reihenfolge der Anordnung dieser Befugnisse im Text des Vertrages. Auch der Wortsinn des Ausdrucks „Nachprüfung“ (französisch: „vérification“) verlangt nicht, daß die Nachprüfung sich gerade auf eingeholte Auskünfte beziehe.

    Es ist aber nicht zu verkennen, daß ein Argument der Klägerin doch geeignet ist, die Anerkennung ihrer These als Regel für die meisten Prüfungsfälle nahezulegen. Die Klägerin verweist nämlich auf das allgemein gültige Prinzip der Verwaltung, wonach eine Behörde gehalten ist, bei Eingriffen in die private Sphäre sich zunächst der mildesten Mittel zu bedienen (was Auskünfte im Verhältnis zu Nachprüfungen zweifellos sind). Dieses Prinzip beansprucht auch Geltung für das Gemeinschaftsrecht. Es findet Ausdruck in Artikel 5 des Vertrages, wo es heißt:

    „Die Gemeinschaft erfüllt ihre Aufgaben … durch begrenzte Eingriffe.“

    Daraus folgt generell, daß alle Befugnisse der Hohen Behörde, die Eingriffe in die Unternehmenssphäre erlauben, grundsätzlich restriktiv zu interpretieren sind. Für das Nachprüfungsrecht gilt insofern keine Ausnahme.

    Mit Recht hat die Klägerin zur Unterstützung ihres Argumentes im Laufe des Verfahrens auf das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verwiesen, dessen Paragraph 46 Absatz 1 bestimmt:

    „Soweit es zur Erfüllung der in diesem Gesetz der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Kartellbehörde

    1.

    von Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen Auskunft über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangen;

    2.

    bei Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen innerhalb der üblichen Geschäftszeiten die Unterlagen einsehen und prüfen.“

    Soweit ich sehe, wird diese Bestimmung — was die hier behandelten Fragen angeht — übereinstimmend in einem restriktiven Sinne interpretiert.

    Ich zitiere Ihnen hierzu den Kommentar von Müller-Gries, S. 273:

    „Auch für das Auskunftsverlangen der Kartellbehörde gelten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels. Unter mehreren Mitteln, die gleichermaßen geeignet sind, darf daher nur dasjenige angewandt werden, das mit sparsamstem Einsatz das größtmögliche Ergebnis erzielt und den Bürger am wenigsten belastet (vgl. BVerwG DVBl. 1957, 540). Siehe hierzu auch Krüger, Betrieb 1958, 72, der zu Recht betont, daß gewisse ökonomische Überlegungen, wie z. B. Ersparnis von Arbeit für die Verwaltung, zurücktreten müssen“,

    sowie auch den von der Klägerin angeführten Kommentar von Müller -Henneberg -Schwartz, S. 704:

    „Paragraph 46 Absatz 1 Nr. 2 bringt ein zusätzliches Einsichts- und Prüfungsrecht der Kartellbehörde.

    Dabei ist davon auszugehen, daß es sich um ein Sicherungsmittel für die Erteilung wahrheitsgemäßer Auskünfte oder bei Auskunftsverweigerung handelt.

    Nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel sowie dem auch hier geltenden Einleitungssatz von Paragraph 46 Absatz 1 dürfen Einsicht und Prüfung nur verlangt werden, wenn eine Auskunft nicht genügt hat und der Verdacht der unrichtigen oder unvollständigen Auskunft besteht. Zunächst haben die KB also stets eine Auskunft anzufordern; eine spätere Einsichts- und Prüfungsverfügung muß mit einer Auskunftsverweigerung oder einer unzureichenden Auskunft begründet werden (vgl. Krüger a. a. O.)“

    Ich bin also der Meinung, daß im Regelfalle das Nachprüfungsrecht der Hohen Behörde, das einen sehr weitgehenden Eingriff in die Unternehmenssphäre darstellt, nur ausgeübt werden kann, wenn seine Notwendigkeit im konkreten Fall besonders dargetan ist, d. h. etwa wenn Auskünfte verweigert worden sind oder wenn der begründete Verdacht besteht, daß eingeholte Auskünfte lückenhaft oder unrichtig sind.

    b) Artikel 86 des Vertrages

    An dieser Stelle der Untersuchung ist es notwendig, Artikel 86 des Vertrages heranzuziehen, d. h. die Norm, die den mit Kontrollaufgaben betrauten Beamten der Hohen Behörde die Rechte und die Befugnisse zuweist, die nach den Gesetzen des jeweiligen Mitgliedstaates den Angehörigen seiner Finanzverwaltung zustehen.

    aa) In welchem Verhältnis steht Artikel 86 zu Artikel 47 des Vertrages?

    Artikel 47 ermächtigt die Hohe Behörde, die erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen, sagt aber nichts über die Art und Weise der Durchführung. Bei der Ausübung des Nachprüfungsrechts muß die Hohe Behörde in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingreifen. Daher enthält Artikel 86, in dem die Verpflichtung der Mitgliedstaaten normiert ist, der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleichtern, Vorschriften über die Durchführung der Kontrollen im Gebiet der Mitgliedstaaten.

    Die Hohe Behörde folgert aus Artikel 86, daß ihr ganz allgemein und in weitestem Umfang für ihre Kontrollaufgaben die Rechtsbefugnisse zustehen, die im nationalen Bereich den Beamten der Steuerverwaltung zukommen. Die Klägerin dagegen bestreitet, daß Artikel 86 die Bedeutung einer selbständigen Ermächtigungsnorm in diesem Sinne hat.

    Ich habe mich bereits bemüht darzutun, in welcher Weise das Nachprüfungsrecht der Hohen Behörde prinzipiell zu interpretieren ist. Sieht man sich Wortlaut und Stellung des Artikels 86 im Titel „Allgemeine Bestimmungen“ an, so zeigt sich, daß dieser Vorschrift in der Tat nur die Bedeutung einer Durchführungsnorm, einer „Instrumentalnorm“, wie die Klägerin sagt, zukommt.

    Soweit an anderer Stelle im Vertrag Kontrollen durch die Hohe Behörde für zulässig erklärt sind, und nur unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen, haben also die Kontrolleure die Befugnisse der jeweiligen nationalen Steuerbeamten. Nicht dagegen kann aus Artikel 86 herausgelesen werden, daß für alle Fälle, in denen Kontrollen nach dem Vertrag stattfinden können, die rechtlichen Voraussetzungen des nationalen Steuerrechts genügen. Wenn aber eine sinnvolle Interpretation von Artikel 47 in Verbindung mit anderen Vorschriften des Vertrages ergibt, daß Nachprüfungen grundsätzlich erst nach Einholung von Auskünften und dann stattfinden können, wenn eine besondere Rechtfertigung im konkreten Falle gegeben ist, muß untersucht werden, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ehe im Einzelfall eine Kontrolle angeordnet werden kann.

    Ich habe einleitend zu meinen Ausführungen über die Voraussetzungen und den Umfang des Nachprüfungsrechts angedeutet, daß ich eine differenzierte Behandlung der Nachprüfungsfälle für angebracht halte. Es kann nun zwar nicht meine Aufgabe sein, im Rahmen eines konkreten Streitfalles ein lückenloses System des Kontrollrechts der Gemeinschaft aufzuzeigen. Artikel 86 gibt aber doch Anlaß zu der Überlegung, ob die strengen Voraussetzungen des Nachprüfungsrechts auch gelten sollen für Tatbestände, bei denen die Hohe Behörde in ähnlicher Weise tätig wird wie nationale Steuerverwaltungen, etwa bei Veranlagung und Erhebung der allgemeinen Umlage.

    Dieser Gedanke wird nahegelegt durch die Erkenntnis, daß in nationalen Steuerrechten für Steuerprüfungen nicht die eben im Zusammenhang mit Artikel 47 erwähnten strengen Voraussetzungen gelten.

    bb) Vergleichende Betrachtung der Kontrollbefugnisse in den nationalen Steuerrechtssystemen

    Die eben getroffene Feststellung hat z. B. ihre Berechtigung nach der deutschen Abgabenordnung. Gestatten Sie mir, daraus einiges anzuführen, um einen Eindruck zu vermitteln vom System der deutschen Steueraufsicht.

    Im Rahmen der allgemeinen Steueraufsicht, deren Sinn es ist festzustellen, ob den Steuergesetzen Genüge getan ist und möglichen Pflichtverletzungen vorzubeugen ( 2 ) können Prüfungen vorgenommen werden, ohne daß ein begründeter Anhaltspunkt für Unregelmäßigkeiten gegeben ist und ohne besondere Rechtfertigung.

    Die Steueraufsicht erlaubt es der Finanzverwaltung, die Bücher und Aufzeichnungen der Steuerpflichtigen daraufhin zu überprüfen, ob sie vollständig und richtig geführt werden ( 3 ). Im Rahmen des Prüfungszwecks besteht eine Auskunftspflicht des Geschäftsführers des geprüften Betriebes. Die allgemeine Steueraufsicht erlaubt außerdem die sog. Nachschau an Ort und Stelle ( 4 ). Es kann demnach außerhalb eines Steuerermittlungsverfahrens bei Personen, die Aufzeichnungen zu machen haben, oder bei Personen, für die eine Steuerpflicht in Betracht kommt, eine Betriebsnachschau durchgeführt werden. Dabei kann die Steuerbehörde alle zur Prüfung der Steuerpflicht geeignet erscheinenden Unterlagen einsehen ( 5 ). Zur Prüfung, ob Bücher und Aufzeichnungen geführt werden, kann der Beamte die Geschäftsräume des Unternehmens betreten ( 6 ). Ausdrücklich wird in der Literatur betont, daß im Rahmen der Steueraufsicht die Vorlegung von Büchern und Geschäftspapieren nicht erst dann verlangt werden kann, wenn die Auskunft des Steuerpflichtigen nicht genügt, oder wenn Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen ( 7 ).

    Ich habe mich bemüht, in vergleichender Weise auch das französische Recht zu betrachten, und glaube, hier ähnliche Grundsätze anzutreffen. Ich führe hierzu einige Sätze an, die sich über das Verfahren der „vérification“ in dem Buch „Droit Fiscal“ aus der „Collection du chef d'entreprise“ von Pierre Laroque auf S. 445 ff. finden:

    5. —

    L'inspecteur peut procéder à des vérifications sur le lieu de l'exploitation, et notamment examiner sur place la comptabilité de l'entreprise.

    11. —

    … toute entreprise privée est soumise au droit de communication, pour ses livres et documents comptables (C. gén. Imp., art. 1991).

    12. —

    … Les documents soumis au droit de communication sont les livres dont la tenue est prescrite par le titre II du Code de Commerce, ainsi que tous livres et documents annexes, pièces de recettes et de dépenses.

    13. —

    … Le droit de communication s'étend également aux pièces de l'exercice courant.

    42. —

    … Le vérificateur n'est pas tenu de prévenir à l'avance de son arrivée dans l'entreprise. Il peut donc se présenter à l'improviste en vue d'un contrôle inopiné.

    Aus dem italienischen Recht lassen Sie mich bitte zwei Vorschriften zitieren, die erinnern an die an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Bestimmungen der deutschen Abgabenordnung. Es handelt sich um die Artikel 39 und 42 des Dekretes vom 29. Januar 1958, Nr. 645, das die Erhebung und Eintreibung direkter Steuern betrifft, wo es heißt:

    Artikel 39

    Befugnisse der Steuerbehörde

    Zum Zwecke der Schätzung von Amts wegen kann die Behörde:

    d)

    anordnen, daß ihren Beamten, die mit einer den Zweck des Besuches bezeichnenden Sondervollmacht ausgestattet sind, Zutritt gewährt wird zu den für die Ausübung der kommerziellen Tätigkeit bestimmten Räumen, damit sie dort Messungen und Feststellungen sowie die nach Artikel 42 vorgesehene Prüfung der Geschäftspapiere vornehmen können, ferner daß ihnen Zutritt gewährt wird zu den übrigen Gebäuden, damit sie dort Feststellungen oder Messungen über Größe, Zustand und Verwendungszweck der Gebäude selbst durchführen können.

    Artikel 42

    Prüfung der Geschäftspapiere

    Die Behörde kann die Aufzeichnungen, Bücher, Verzeichnisse und Unterlagen prüfen, die der Steuerpflichtige zu führen bzw. aufzubewahren hat.

    Außerdem habe ich bei meinen Untersuchungen berücksichtigt den Artikel 35 des Gesetzes Nr. 4 vom 7. Januar 1929 (Allgemeine Bestimmungen über Maßnahmen bei Verletzung von Steuergesetzen) sowie den Artikel 13 der Verordnung vom 17. September 1931 (Nr. 1508: über die Einkommenserklärungen und Sanktionen bei direkten Steuern).

    In den Niederlanden ist nach dem Gesetz vom 23. 4. 1952 jedermann verpflichtet, der Steuerverwaltung Auskünfte und Erklärungen zu geben und die Einsicht in Bücher und andere Geschäftspapiere zu gestatten, wenn das für die Erhebung von Reichssteuern von Belang sein kann.

    Ich halte es nicht für meine Aufgabe, die einzelnen Steuerrechtssysteme im Hinblick auf die Kontrollmöglichkeiten der Steuerverwaltung genau zu untersuchen und eine eingehende Darstellung davon zu geben. Die Hohe Behörde hätte in diesem Verfahren hierzu, jedenfalls was das italienische Recht angeht, von ihrem Standpunkt aus, wenn nicht in der angegriffenen Entscheidung, so doch in ihren Ausführungen während des Verfahrens, Anlaß gehabt.

    cc) Die Befugnisse der Hohen Behörde bei der Erhebung der allgemeinen Umlage

    Ich will mich hier beschränken auf die Feststellung, daß ich es für möglich halte, aus der Betrachtung nationaler Steuerrechtssysteme mit ihren Prüfungsbefugnissen Rückschlüsse zu ziehen auf die Interpretation des Artikels 47, ungeachtet der Tatsache, daß Artikel 86 im Verhältnis zu Artikel 47 grundsätzlich nur instrumentalen Charakter hat.

    Die ausdrückliche Bezugnahme in Artikel 86 auf das Steuerrecht der Mitgliedstaaten läßt es vertretbar erscheinen, nicht nur bei der Durchführung von Kontrollen auf das nationale Steuerkontrollverfahren zurückzugreifen, sondern sich bei der Festlegung der Voraussetzungen dieser Prüfung, jedenfalls bei steuerähnlichen Befugnissen der Hohen Behörde (also etwa bei der Erhebung der allgemeinen Umlage, die, gemessen am italienischen Steuersystem, einer direkten Steuer gleicht), von den Grundsätzen des nationalen Rechts leiten zu lassen. Man käme dann zu der These, daß die strenge Interpretation von Artikel 47, zu der Artikel 5 des Vertrages selbst und allgemeingültige Verwaltungsrechtsgrundsätze Anlaß geben, nicht gilt für Funktionen der Hohen Behörde, die denen einer nationalen Steuerverwaltung nahekommen, während es für das Gebiet der Preiskontrolle, der Überprüfung unzulässiger Verkäufe und der Einhaltung der Wettbewerbsregeln — um nur die in der Entscheidung selbst genannten Prüfungszwecke zu erwähnen — bei dem strengen Grundsatz von der Anwendung des mildesten Mittels und von der Notwendigkeit, die Prüfung im konkreten Fall besonders zu rechtfertigen, bleibt.

    dd) Der Umfang des Nachprüfungsrechts

    Da für die verschiedenen Prüfungstatbestände verschiedene Geschäftsunterlagen von Bedeutung sind, erstreckt sich das Prüfungsrecht der Hohen Behörde nur auf Dokumente in der Materie, für deren Überprüfung im konkreten Falle die materiellen Voraussetzungen gegeben sind, nicht dagegen stets auf alle Geschäftspapiere des Unternehmens. Diese Feststellung hat Bedeutung nicht nur für die Notwendigkeit, die Prüfungsanordnung präzis zu fassen — dazu wird gleich noch ein Wort zu sagen sein —, sondern auch für die materielle Umgrenzung des Prüfungsrechts.

    c) Verletzt die angegriffene Entscheidung die Grundsätze des Nachprüfungsrechts?

    Wendet man die hier vertretene These zu den materiellen Voraussetzungen des Prüfungsrechts auf die angegriffene Entscheidung an, so zeigt sich, daß die Entscheidung fehlerhaft ist. In der Begründung der Entscheidung ist angedeutet, daß die Hohe Behörde die Absicht hatte, die Einhaltung der Wettbewerbsregeln, der Preisvorschriften und unzulässige Verkäufe nachzuprüfen sowie den Jahresumsatz des Unternehmens zu überprüfen. Letzterer kann außer für die Festsetzung von Sanktionen auch für die Erhebung der allgemeinen Umlage von Bedeutung sein. Hierfür ist eine besondere Rechtfertigung, wie meine vorhergehende vergleichende Betrachtung zeigte, unter Umständen nicht erforderlich.

    Die Nachprüfung der übrigen Fragen dagegen unterliegt der strengen Deutung der Voraussetzungen des Artikels 47. Sie kann nur stattfinden, wenn besondere Umstände sie erforderlich erscheinen lassen, nicht dagegen „für alle Fälle“ oder „vorsorglich“ oder routinemäßig. Eine solche Voraussetzung ist weder im Verfahren behauptet worden, noch findet sie in der Entscheidung irgend einen Ausdruck. Insofern ist also die Ausübung des Nachprüfungsrechts materiell unzulässig und stellt eine Vertragsverletzung im Sinne des Artikels 33 Absatz 1 dar.

    Eine weitere Rüge im Hinblick auf die konkrete Nachprüfungsanordnung scheint mir außerdem insoweit am Platze, als sich sowohl aus der Korrespondenz, die der Entscheidung vorausgeht, als auch aus den Ausführungen im Verfahren gezeigt hat, daß es der Hohen Behörde nur darauf ankommen konnte, Einsicht in die Unterlagen zu erhalten, deren Vorlegung ihren Inspektoren verweigert wurde. Die Entscheidung verlangt dagegen die Vorlegung aller Unterlagen und Konten der Gesellschaft und erwähnt unter „insbesondere“ nur beispielhaft einige besonders wichtige. Die Hohe Behörde verlangt also mit dieser weitgehenden Fassung Unterlagen, die ihr bereits vorgelegt worden sind und deren abermalige Vorlegung daher nicht notwendig im Sinne des Artikels 47 ist. Ob die Hohe Behörde die Anordnung nur in dem engen, in Wirklichkeit beabsichtigten Sinn ausüben wollte, ist unbeachtlich. Maßgeblich bei der gerichtlichen Prüfung ist die Fassung des Entscheidungstextes (also der Entscheidungsformel einschließlich der Begründung). Auch insoweit also, als sich unter diesem Gesichtspunkt die Vorlegung als nicht notwendig erweist, haftet der Entscheidung ein Mangel an, der ihre Aufhebung unter dem Gesichtspunkt eines excès de pouvoir rechtfertigt.

    3. VORAUSSETZUNGEN UND UMFANG DES AUSKUNFTSRECHTS

    Was die Berechtigung des Auskunftsverlangens in der Entscheidung angeht, so kann ich mich kurz fassen. Ich bin grundsätzlich der Meinung, daß die materiellen Voraussetzungen dieser Befugnis nicht so streng zu interpretieren sind wie die des Nachprüfungsrechts. Ich glaube daher, daß die generelle Notwendigkeit der Auskunft, d. h. die Tatsache, daß sie für die Vertragsziele erforderlich sein kann, ausreicht, daß eine besondere Rechtfertigung im konkreten Fall dagegen nicht erforderlich erscheint. Die Hohe Behörde muß stets über alle wirtschaftlichen Tatsachen und Ereignisse der einzelnen Unternehmen auf dem laufenden sein, die für ihre vertraglichen Aufgaben ihrer Natur nach von Bedeutung sind.

    Ich glaube indes, dieser Frage aus folgenden Gründen im vorliegenden Fall nicht weiter nachgehen zu müssen: die Erteilung von Auskünften wurde in der Entscheidung nur ergänzend angeordnet. Sie sollen nach dem Wortlaut und Sinn der Entscheidung nur zur Vervollständigung des Prüfungsergebnisses dienen, haben also keine selbständige Bedeutung. Sie teilen daher auch das rechtliche Schicksal des Teiles der Entscheidung, zu deren Ergänzung sie bestimmt sind. Soweit die Entscheidung der Aufhebung verfällt, weil unzulässige Nachprüfungen angeordnet werden, fehlt auch die materielle Zulässigkeit des Auskunftsverlangens. Soweit die Prüfungsanordnung aus materiellen Gründen Bestand hätte — über die formellen Rügen wurde bisher nichts gesagt —, wäre auch gegen die Zulässigkeit des Auskunftsbegehrens an sich nichts einzuwenden. Allenfalls könnte man auch in diesem Punkte ein excès de pouvoir rügen: Auskünfte sollten ergänzend in Wirklichkeit nur verlangt werden, soweit eine Vorlegung von Unterlagen angeordnet wurde, d. h. mit Beschränkung auf die bisher verweigerten Unterlagen und auf Fragen, die mit ihnen im Zusammenhang stehen. Über diesen als begrenzt erkennbaren Zweck geht die Entscheidung in ihrer Fassung auch in bezug auf die Auskünfte weit hinaus.

    4. KANN DIE HOHE BEHÖRDE AUSKÜNFTE VERLANGEN UND NACHPRÜFUNGEN ANORDNEN IN BEZUG AUF PRODUKTIONSBEREICHE, DIE IHRER JURISDIKTION NICHT UNTERSTEHEN?

    Lassen Sie mich nun den Kernpunkt der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen erörtern, das Problem nämlich, ob sich das Auskunfts- und Nachprüfungsrecht der Hohen Behörde erstrecken kann auf Produktionsbereiche, die ihrer Jurisdiktion nicht unterstehen. Um diese Frage geht es beiden Parteien im vorliegenden Fall in erster Linie.

    a) Die Voraussetzungen einer solchen „Grenzüberschreitung“

    Der eine Teilintegration herbeiführende Vertrag beschränkt sich grundsätzlich mit Sorgfalt auf die Bereiche, deren Zusammenfassung in einer Gemeinschaft von den Mitgliedstaaten ins Auge gefaßt war. Ich erinnere nur an Artikel 80, Artikel 82 sowie an die sehr detaillierten Anlagen zum Vertrag, die die Vertragsgrenzen genau bezeichnen. Daß die Teilintegration der Wirtschaft verschiedener Staaten Abgrenzungsschwierigkeiten hervorrufen kann, z. B. weil die Grenzen, wie im vorliegenden Fall, durch ein Unternehmen hindurchlaufen können, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Es ist nicht zu übersehen, daß bei einem solchen Unternehmen mit gemischter Produktion die Möglichkeit besteht, gewisse geschäftliche Vorgänge, die der Zuständigkeit der Hohen Behörde unterstehen, in dem vertragsfreien Bereich zu behandeln, etwa dort in die Betriebsbuchhaltung aufzunehmen. Eine Prüfung der Hohen Behörde, die sich zum Ziel setzt, ein vollständiges Bild aller zu ihrem Jurisdiktionsbereich gehörenden Vorgänge zu erhalten, kann unter Umständen im Einzelfall nur erfolgreich sein, wenn der Hohen Behörde nicht versagt wird, auch einen Blick in vertragsfremde Unterlagen zu werfen, um selbst festzustellen, ob sie von Bedeutung für sie sind oder nicht. Dem Vertrag selbst sind derartige „Grenzüberschreitungen“ keineswegs fremd. Ich erinnere an Artikel 56:

    Die Hohe Behörde kann die Umstellung von Unternehmen auf andere Produktionsbereiche sowie auch die Finanzierung von neuen Betätigungsmöglichkeiten in nicht dem Vertrag unterworfenen Industrien erleichtern; ich erinnere an Artikel 63, der für gewisse Fälle Maßnahmen der Hohen Behörde zuläßt, die auf die Käufer der Montanunternehmen einwirken; ich erinnere des weiteren an Artikel 66 § 4, der montanfremden Unternehmen eine Auskunftspflicht der Hohen Behörde gegenüber aufzwingt (mit der Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen), sowie schließlich an die Zuständigkeit der Hohen Behörde auf dem Gebiet des Transportwesens. Diese Ausweitung der Gemeinschaftskompetenz erklärt sich aus der Tatsache, daß bei einer strengen Beschränkung der Kompetenzen auf den teilintegrierten Raum die Erreichung der Vertragsziele in einem gewissen Umfang nicht gesichert wäre. Die angeführten Fälle machen aber auch deutlich, daß alle derartigen „Grenzüberschreitungen“ auf das absolut Unerläßliche beschränkt sein müssen.

    Nur unter diesen Voraussetzungen kann man es auch zulassen, daß das Prüfungs- und Auskunftsrecht der Hohen Behörde gegenüber gemischten Unternehmen auf Produktionssektoren erstreckt wird, die nicht dem Vertrag unterliegen. Es müssen also im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die diesen Übergriff gerechtfertigt erscheinen lassen, etwa der begründete Verdacht eines Irrtums oder gewollter Unregelmäßigkeiten bei der Behandlung der Geschäftspapiere und der Führung der Bücher. Dem Unternehmen muß es aber gestattet sein, den Einblick in solche Teile der Buchführung zu verwehren, wenn nicht besondere Gründe in vernünftiger und angemessener Weise geltend gemacht sind.

    b) Zur Frage der Unteilbarkeit der Buchhaltung

    Zwar hat die Hohe Behörde im Rahmen ihrer Erwägungen zur Begründung ihrer Entscheidung vom 15. 4. 1959 gesagt:

    „die Buchhaltung eines Unternehmens mit gemischter Produktionstätigkeit ist unteilbar“,

    aber dieser Feststellung kann eine allgemeine Gültigkeit keineswegs zuerkannt werden.

    Unwiderlegt hat die Klägerin ausgeführt, daß die Verschiedenartigkeit der beiden Fabrikationen vom Ausgangsmaterial bis zum Endprodukt und die Fertigung in zwei getrennten Betriebsstätten in getrennten Buchhaltungen festgehalten wird. Sie hat dazu im Verfahren ihr Buchhaltungsschema bildlich dargestellt und erläutert.

    Die Gegenargumentation der Beklagten, diese Buchhaltung sei theoretisch aber nicht praktisch teilbar, kann nicht überzeugen, besonders in Anbetracht der Tatsache, daß die Hohe Behörde nicht von Erwägungen theoretischer Natur auszugehen gezwungen war, sondern die Ergebnisse der Prüfungen ihrer Inspektoren in Form der Prüfungsniederschriften in Händen hatte. Diese konnten es ihr erlauben, in voller Kenntnis der Buchführung und Bilanzierung der Klägerin im einzelnen darzulegen, inwieweit eine gemeinsame Buchung von Geschäftsvorfällen beider Betriebe eine Einsichtnahme der Konten, die beide Fertigungszweige umfassen, zur Folge haben mußte.

    Es erscheint kaum notwendig zu erwähnen, daß die Zusammenfassung der Werte und der Erträgnisse der beiden Betriebe in einer Bilanz und in einer Gewinn- und Verlustrechnung kein Argument für die Beklagte hergibt. Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft und führt ihre Buchhaltung unwidersprochen nach den Regeln des Codice Civile (Artikel 2214 ff., 2423 - 2435).

    Die Bilanz ist nichts anderes als die jährlich einmal erfolgende

    1.

    Feststellung der Aktiva, des Vermögens, einerseits und der Passiva, der Verbindlichkeiten, des Eigenkapitals und des Fremdkapitals andererseits;

    2.

    Aufstellung der Erträgnisse und des Aufwandes und des resultierenden Gewinnes oder Verlustes.

    Die Kenntnis der Jahresabschlüsse und die Kenntnis des Gewinn- und Verlustkontos ist in der Regel nicht erforderlich, um den Umsatz und den Gesamtwert der Erzeugung (Artikel 49, Abs. 1, Satz 1 und Artikel 50 § 2) festzustellen. Der Gesamtwert der Erzeugung des Geschäftsjahres ist zu errechnen aus Verkaufserlösen und verbleibendem Bestand und erkennbar aus den entsprechenden Konten, die für jedes Geschäftsjahr laufend geführt werden und deren Endergebnis am Jahresende in den Jahresabschluß (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung) übernommen wird. Die Beklagte hat keine schlüssige Entgegnung vorgebracht auf die eingehende Darlegung der Klägerin in ihrer Republik (S. 18), derzufolge eine getrennte Prüfung des stahlerzeugenden Betriebes, seiner Geschäftspapiere und seiner Buchhaltung, möglich und gegeben ist.

    c) Ergebnis

    Aus allen diesen Gründen komme ich in diesem Punkt zu dem Ergebnis, daß die Hohe Behörde im vorliegenden Fall nicht beanspruchen konnte, Unterlagen einzusehen, die ihrer Jurisdiktion nicht unterliegende Produktionsbereiche angehen. Sie hat nichts dargetan, was einen derartigen Übergriff rechtfertigen könnte, denn sie stand offenbar auf dem Standpunkt, daß ihr eine solche Erstreckung der Prüfung ohne weiteres gestattet sein müsse. Die Entscheidung leidet also auch insoweit an einem ihre Aufhebung rechtfertigenden Fehler, als sie eine „Grenzüberschreitung“ anordnet, was sich aus der Ehtscheidungsformel in Verbindung mit den Gründen ergibt.

    II. — Die formellen Voraussetzungen, die bei der Geltendmachung des Auskunfts- und Nachprüfungsrechts zu beachten sind

    Einige Worte sind nun noch zu. sagen zu den formellen Rügen der Klägerin, zu der Frage also, welchen Voraussetzungen in formeller Hinsicht derartige Entscheidungen der Hohen Behörde zu genügen haben. Es ist bekannt, daß die Klägerin sowohl die Unbestimmtheit der Entscheidung in bezug auf den Gegenstand der Anordnung gerügt hat als auch die mangelnde Rechtfertigung der Anordnung der Hohen Behörde für den konkreten Fall. Dem hält die Hohe Behörde ihre Auffassung von Sinn und Zweck einer Entscheidung nach Artikel 47 Abs. 3 entgegen: es gehe nicht darum, eine Verpflichtung der Klägerin zu begründen — diese Verpflichtung ergäbe sich vielmehr unmittelbar aus dem Vertrag —, sondern die Entscheidung habe nur die Aufgabe, die Weigerung der Klägerin festzustellen und damit das Sanktionsverfahren gemäß Artikel 47 einzuleiten (vgl. Klagebeantwortung S. 8 und 9).

    1. DIE NOTWENDIGKEIT EINER FORMELLEN ENTSCHEIDUNG

    Wenn man die Meinung vertritt, daß die angegriffene Entscheidung nicht in allen ihren Teilen aus materiellen Gründen der Aufhebung verfällt, kann an diesen formellen Rügen nicht vorbeigegangen werden. Daß die angegriffene Anordnung der Hohen Behörde eine Entscheidung im Sinne des Artikels 14 des Vertrages darstellt, ist von keiner Partei in Abrede gestellt worden. Damit steht fest, daß auch Artikel 15 des Vertrages Anwendung findet, d. h. die Entscheidung muß die Gründe angeben, die in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht die Anordnung der Hohen Behörde tragen sollen. Diese Begründungspflicht bemißt sich freilich nach dem Entscheidungszweck. Daher auch der Streit über die Funktion der angegriffenen Entscheidung. Es ist demnach zunächst zu untersuchen, ob das Auskunfts- und Nachprüfungsrecht der Hohen Behörde gemäß Artikel 47 nur mit Hilfe einer förmlichen Entscheidung verbindlich ausgeübt werden kann, oder ob sich die entsprechende Pflicht der Unternehmen unmittelbar aus dem Vertrag ergibt. Die Hohe Behörde hat — wie ein Blick in den Vertrag zeigt — sicher Recht, wenn sie sagt, daß eine Reihe von Pflichten für Unternehmen direkt aus dem Vertrag zu entnehmen ist, ohne daß eine Entscheidung der Hohen Behörde erforderlich wäre. Das gilt in erster Linie für Unterlassungspflichten (Beachtung von Verbotsnormen), aber auch in gewissen Fällen für Handlungspflichten. Ich denke hier an Artikel 68 § 4 (Mitteilung von Lohnsenkungen) oder an § 23 Absatz 5, letzter Satz, des Übergangsabkommens.

    Man mag auch den Standpunkt vertreten, daß Artikel 47 eine generelle Auskunftspflicht und die generelle Pflicht zur Duldung von Nachprüfungen für die Unternehmen vorsieht. Dies gilt insofern nämlich, als Artikel 47 eine generelle Ermächtigung der Hohen Behörde zur Ausübung entsprechender Befugnisse enthält. Es läßt sich aber keinesfalls sagen, daß diese Pflicht der Unternehmen im Vertrag selbst so ins einzelne gehend gefaßt ist, daß sie ohne weitere Handlung der Hohen Behörde vollziehbar ist. Sie bedarf also der Konkretisierung durch Maßnahmen der Hohen Behörde, die die Hohe Behörde selbst „Aufforderung“, die Klägerin aber Entscheidung im Sinne des Artikels 15 nennt.

    Hierzu ist zu bemerken, daß nach der erschöpfenden Aufzählung in Artikel 14 des Vertrages der Hohen Behörde für verbindliche Anordnungen gegenüber Unternehmen die Entscheidung oder die Empfehlung zur Verfügung steht. Auch einige besondere Bestimmungen zum Auskunftsrecht bestätigen die Ansicht, daß die erwähnte Aufforderung der Hohen Behörde rechtlich in die Form einer Entscheidung zu kleiden ist. Es wurden im Laufe des Verfahrens die Vertragsartikel erwähnt, in denen die Rede ist von einer besonderen, an das betreffende Unternehmen gerichteten Aufforderung oder einer Entscheidung, die Art und Umfang der mitzuteilenden Programme angibt (Artikel 54); von einer besonderen, an die Beteiligten gerichteten Aufforderung oder einer Verordnung, die die Art der mitzuteilenden Vereinbarungen etc. näher bezeichnet (Artikel 65); von einer Verordnung, die die Arten des der Hohen Behörde mitzuteilenden Vorbringens bestimmt, oder einer besonderen Anfrage an die Beteiligten im Rahmen dieser Verordnung (Artikel 66). Aus diesen Vorschriften ist zu ersehen, daß Aufforderungen zur Erteilung von Auskünften genannt werden neben Entscheidungen oder Verordnungen (gemeint sind hiermit allgemeine Entscheidungen), d. h. also, daß sie rechtlich ebenfalls als Entscheidungen, und zwar als individuelle Entscheidungen, zu qualifizieren sind. Auch Artikel 47 Abs. 3 selbst ist insoweit ganz deutlich, wie die Klägerin meines Erachtens mit Recht unterstreicht: er spricht von Verpflichtungen aus den in Anwendung dieses Artikels erlassenen Entscheidungen. Hätte Artikel 47 den von der Hohen Behörde unterstellten Sinn, dann wäre der Wortlaut anders gefaßt. Wir kennen Vertragsbestimmungen, nach denen die Hohe Behörde die Feststellung treffen kann, daß ein Unternehmen (oder ein Staat) eine Verpflichtung nicht erfüllt hat und dem Säumigen eine Frist zur Erfüllung setzen kann (vgl. Artikel 88; Artikel 66 § 5 II).

    Ich halte aus allen diesen Überlegungen die These der Klägerin für zutreffend, daß zur Konkretisierung des generellen Auskunftsrechts und zur Geltendmachung des Nach-prüfungsrechts nach Artikel 47 eine Entscheidung der Hohen Behörde, sei es eine individuelle oder — ähnlich wie in den anderen erwähnten Bestimmungen — eine allgemeine Entscheidung, notwendig ist.

    Lassen Sie mich zur Stützung dieser These auch aus der deutschen Literatur einen Autor zitieren. HUBER sagt in seinem Wirtschaftsverwaltungsrecht S. 338:

    „Der Auskunftsanspruch kann entweder durch eine im Wege der öffentlichen Bekanntmachung an einen größeren Kreis von Auskunftspflichtigen gerichtete allgemeine Verfügung geltend gemacht werden, oder er kann durch eine an einen einzelnen Auskunftspflichtigen gerichtete Einzelverfügung erhoben werden“

    und auf S. 339:

    „Allgemeinverfügungen, individuelle Anfragen und unmittelbare Einsichtnahme … sind hoheitliche Verwaltungsakte, die den Auskunftspflichtigen unmittelbar verpflichten.“

    Außerdem möchte ich die Bestimmung wiederholen, die die Klägerin aus dem deutschen Kartellrecht bereits zitiert hat, nämlich § 46 des Kartellgesetzes, wo es heißt:

    „(6)

    Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde fordern die Auskunft durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt fordert sie durch Beschluß an. Darin sind die Rechtsgrundlage, der Gegenstand und der Zweck des Auskunfts-verlangens anzugeben und eine angemessene Frist zur Erteilung der Auskunft zu bestimmen.

    (7)

    Der Bundesminister für Wirtschaft oder die oberste Landesbehörde ordnen die Prüfung durch schriftliche Einzelverfügung, das Bundeskartellamt ordnet sie durch Beschluß mit Zustimmung des Präsidenten an. In der Anordnung sind Zeitpunkt, Rechtsgrundlage, Gegenstand und Zweck der Prüfung anzugeben.“

    Dieser Rechtsansicht, daß die Erteilung von Auskünften und die Duldung von Nachprüfungen verbindlich nur in einer formellen Entscheidung von den Unternehmen verlangt werden kann, kann nicht wirksam entgegengehalten werden, daß die Verwaltungspraxis der Hohen Behörde demzufolge erschwert würde. Zahlreich werden die Fälle sein, in denen Auskünfte von Unternehmen oder Verbänden bereitwilligst gegeben werden auf Anfragen, die die Hohe Behörde an sie richtet. Haben doch die Unternehmen und ihre Verbände ein Interesse daran, die Hohe Behörde zu unterrichten und ihr damit die Berücksichtigung von Erscheinungen im Markte zu ermöglichen.

    Unerläßlich nach dem System des Vertrages erscheint aber bei Fehlen einer generellen Regelung durch allgemeine Entscheidung der Hohen Behörde die Entscheidung in Fällen, in denen die Hohe Behörde bei dem Versuch, sich zu unterrichten, auf Schwierigkeiten stößt, mögen diese sich erklären aus abweichenden Rechtsauffassungen oder aus wohlbegründeten oder unbegründeten geschäftlichen Interessen. In diesen Grenzfällen, die rechtlich problematisch sind oder die einen Mangel an gutem Willen der Unternehmen offenbaren, erfordert eine ordnungsgemäße Verwaltung eine formelle Entscheidung, die wesentliche Fragen des Einzelfalls nachprüfbar erfaßt.

    2. WELCHEN ERFORDERNISSEN MUSS DIE ENTSCHEIDUNG GENÜGEN?

    Diese Überlegungen führen bei der Anwendung des Artikels 15 in diesem Rechtsstreit zu der Konsequenz, daß die Entscheidung zunächst einmal derart konkretisiert sein muß, daß der Entscheidungsempfänger genau weiß, welche Arten von Urkunden und Büchern er vorzulegen hat, bezeichnet nach Zeiträumen — Geschäftsjahr — und materiellem Gehalt — zum Beispiel Warenbewegungen und Geldbewegungen im Einkauf und Verkauf. In diesem Zusammenhang muß auch präzisiert werden, welche zusätzlichen Auskünfte verlangt werden. Es genügt nicht, dem Entscheidungsempfänger die Befolgung der Anweisungen der Inspektoren aufzugeben, also die Konkretisierung in Wirklichkeit den ausübenden Beamten zu überlassen. Da die Prüfungsobjekte mit dem Prüfungs-zweck wechseln, mag im einzelnen Fall die Angabe des Prüfungszwecks zur Kennzeichnung der Prüfungsunterlagen genügen. Das trifft aber keinesfalls stets zu. Soweit Unterlagen für eine bestimmte Prüfung nicht offensichtlich erforderlich sind, muß die genaue Angabe der zu prüfenden Unterlagen verlangt werden. Entsprechendes gilt für die ergänzenden mündlichen Auskünfte. Insbesondere aber bedürfen die Nachprüfungen, wie wir gesehen haben, in der Regel einer besonderen Rechtfertigung, vor allem dann, wenn sie die Grenzen des Montansektors überschreiten sollen.

    Ein Blick in die Entscheidung zeigt, daß sie auch diesen formellen Voraussetzungen nicht genügt.

    C. — GESAMTERGEBNIS

    Abschließend komme ich also zu dem Ergebnis, daß die Klage der Acciaieria e Tubificio di Brescia zulässig und begründet ist.

    Ich schlage vor, die Entscheidung der Hohen Behörde aufzuheben

    1.

    weil in ihr Nachprüfungen auf dem Gebiet des Wettbewerbs, des Preisrechts und der unzulässigen Verkäufe angeordnet werden, ohne daß hierfür ein besonderer Anlaß dargetan ist; weil Nachprüfungen generell angeordnet werden, obwohl die Hohe Behörde nach teilweiser Durchführung einer Kontrolle nur noch ein Interesse an der Einsicht in bestimmte Unterlagen hat, und weil Nachprüfungen angeordnet werden auf einem Gebiet, das der Jurisdiktion der Hohen Behörde nicht untersteht, ohne daß hierfür besondere Gründe dargetan werden;

    2.

    weil die Entscheidung darüber hinaus an formellen Mängeln leidet, insofern, als sie das Auskunftsverlangen und den Gegenstand der Nachprüfung nicht konkretisiert und keine Begründung für die Durchführung der Kontrolle im konkreten Fall gibt.

    Die Kosten des Verfahrens hat die Hohe Behörde zu tragen, auch soweit besondere Kosten durch den Antrag der Klägerin auf einstweilige Aussetzung der Entscheidung entstanden sind.


    ( 1 ) JZ 59, S. 609.

    ( 2 ) vgl. Kühn, Kommentar zur Abgabenordnung, S. 209;

    ( 3 ) vgl. Abgabenordnung, § 162;

    ( 4 ) vgl. Abgabenordnung, § 193;

    ( 5 ) vgl. Kühn, a.a.O., zu § 193;

    ( 6 ) vgl. Abgabenordnung, § 195;

    ( 7 ) vgl. Kühn, a.a.O., zu § 207.

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