EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 12.5.2021
COM(2021) 400 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Auf dem Weg zu einem gesunden Planeten für alle
EU-Aktionsplan: „Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden“
{SWD(2021) 140 final} - {SWD(2021) 141 final}
1.Einführung
Während derzeit weltweit beispiellose Anstrengungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie unternommen werden, muss auch dringend gegen die anhaltenden Bedrohungen der Gesundheit unseres Planeten vorgegangen werden. Klimawandel, Umweltverschmutzung, Verlust an biologischer Vielfalt und eine nicht nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen bedrohen die Gesundheit der Menschen, Tiere und Ökosysteme auf vielfältige Weise. Zu diesen Bedrohungen zählen auch Infektionskrankheiten und nicht ansteckende Krankheiten, Antibiotikaresistenz und Wasserknappheit. Zur Schaffung eines gesunden Planeten für alle fordert der europäische Grüne Deal, dass die Schadstoffbelastung von Luft, Wasser und Boden sowie Konsumgütern in der EU besser überwacht, gemeldet, verhindert und beseitigt wird.
Ein Tätigwerden ist dringend geboten: Umweltverschmutzung kann Krebs, ischämische Herzkrankheiten, obstruktive Lungenerkrankungen, Schlaganfälle, psychische und neurologische Störungen, Diabetes und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen (siehe Abbildung 1). Trotz greifbarer Fortschritte war die Umweltverschmutzung 2015 immer noch die Ursache von schätzungsweise neun Millionen vorzeitigen Todesfällen weltweit (16 % aller Todesfälle) – dies ist das Dreifache der Todesfälle aufgrund von AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammen und das Fünfzehnfache der durch Kriege und andere Formen von Gewalt verursachten Todesfälle.
In der EU ist jedes Jahr einer von acht Todesfällen auf Umweltverschmutzung zurückzuführen.
Abbildung 1: Die wichtigsten zehn nicht übertragbaren Krankheiten, die umweltbedingte Todesfälle verursachen (Quelle: EUA – Healthy environment, healthy lives, 2018, auf der Grundlage der WHO (2016)
Der Kampf gegen Umweltverschmutzung ist auch ein Kampf für Gerechtigkeit und Gleichstellung. Die schädlichsten Auswirkungen der Umweltverschmutzung auf die menschliche Gesundheit haben meist die am stärksten benachteiligten Gruppen zu tragen. Dazu gehören Kinder, die schwerwiegende, langfristige Beeinträchtigungen ihrer Entwicklung erleiden können, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen, die unter schlechteren sozioökonomischen Bedingungen leben. Mit beinahe 92 % aller umweltbedingter Todesfälle tragen weltweit die Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen die Hauptlast der durch Umweltverschmutzung verursachten Krankheiten.
Umweltverschmutzung bedroht auch unsere biologische Vielfalt und trägt erheblich zum aktuellen Massenaussterben der Arten bei. Neben den Veränderungen bei der Land- und Meeresnutzung, der übermäßigen Ressourcennutzung, dem Klimawandel und invasiven gebietsfremden Arten stellt die Umweltverschmutzung eine der fünf Hauptursachen des Verlusts an biologischer Vielfalt dar. Sie bedroht heute das Überleben von über einer Million der schätzungsweise acht Millionen Pflanzen- und Tierarten auf unserem Planeten und wenn wir uns nicht ändern, wird sich die Lage voraussichtlich noch verschärfen. Insgesamt gesehen wird die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) durch eine Reihe zunehmender, sich gegenseitig verstärkender Umweltrisiken gefährdet.
Wirtschaftlicher Fortschritt und Reduzierung der Umweltverschmutzung sind miteinander vereinbar: In den Jahren 2000 bis 2017 nahm das BIP der EU um 32 % zu, während die Emissionen der wichtigsten Luftschadstoffe zwischen 10 % (Ammoniak, überwiegend aus der Landwirtschaft) und 70 % (Schwefeloxide, hauptsächlich aus der industriellen Produktion) abnahmen. Allerdings ging das allgemeine Wachstum der globalen Wirtschaft, das sich in den letzten fünf Jahrzehnten verfünffachte, massiv auf Kosten der globalen Umwelt.
Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es klare Argumente für die Bekämpfung der Umweltverschmutzung und ihr Nutzen für die Gesellschaft überwiegt bei Weitem ihre Kosten; genauso schlagen die Kosten der Untätigkeit ungleich stärker zu Buche als die Kosten des Tätigwerdens. Beispielsweise belaufen sich die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten der Luftverschmutzung in der EU einschließlich verlorener Arbeitstage, Kosten für das Gesundheitswesen, Ernteausfällen und Gebäudeschäden auf schätzungsweise 330 bis 940 Mrd. EUR pro Jahr, während für sämtliche in der EU unternommene Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität Kosten von zusammen 70 bis 80 Mrd. EUR pro Jahr veranschlagt werden. Die wachsende Nachfrage nach weniger umweltschädlichen Waren und Dienstleistungen eröffnet erhebliche Geschäftschancen und veranlasst bereits jetzt EU-Unternehmen, nach innovativen Lösungen zu suchen. Die Wiederaufbaumaßnahmen können diesen Trend unterstützen. Die Bekämpfung der Umweltverschmutzung ist auch ein Akt der generationenübergreifenden Solidarität.
Zugleich benötigen wir einen besser integrierten Überblick über die Umweltverschmutzung, damit öffentliche und private Akteure miteinander zusammenhängende Umweltprobleme über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg bewältigen und sich in ihren Strategie-, Investitions- und Kaufentscheidungen möglichst effektiv mit den Wechselwirkungen dieser Probleme mit anderen ökologischen, sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten auseinandersetzen können.
Die meisten Europäer unterstützen Maßnahmen gegen die Umweltverschmutzung: der Schutz der Umwelt wird als sehr wichtig und die Umweltverschmutzung als das wichtigste Umweltproblem nach dem Klimawandel genannt. In der öffentlichen Konsultation zu diesem Aktionsplan vertraten die meisten Befragten die Ansicht, dass maßgebliche gesellschaftliche Akteure nicht genug täten und dass die EU und die nationalen Regierungen aktiv werden müssten. Die Verstärkung internationaler Maßnahmen, eine bessere Durchsetzung von Gesetzen im Zusammenhang mit Umweltverschmutzung, die Förderung formaler Bildung und die Beeinflussung von Verhaltensänderungen wurden als wirksamste Möglichkeiten genannt, um Fortschritte zu erzielen.
Umweltverschmutzung macht nicht an Grenzen Halt. Umweltverschmutzung gelangt einerseits über Ozeane, Flüsse, Winde und eingeführte Waren in die EU, andererseits verursacht die EU durch ihre eigenen Produktions- und Verbrauchsmuster sowie ihre Abfälle erhebliche Umweltverschmutzungen an anderen Orten der Welt. Gleichzeitig verfügt die EU durch ihre politischen Maßnahmen und Fonds, ihre Umweltdiplomatie sowie ihre Innovationsanreize über wirkungsvolle Mittel, um mit einer umweltfreundlicheren Produktion und einem nachhaltigeren Verbrauch von Waren und Dienstleistungen zur weltweiten Eindämmung der Umweltverschmutzung beizutragen.
Unter den Aspekten der öffentlichen Gesundheit sowie aus ökologischen, moralischen und sozioökonomischen Gesichtspunkten spricht heute mehr denn je dafür, dass die EU die Führung im weltweiten Kampf gegen die Umweltverschmutzung übernimmt. Jetzt ist die Zeit, Ehrgeiz zu entwickeln, dafür zu sorgen, dass sich die Hoffnung der Menschen auf den Schutz ihrer Gesundheit, ihrer Umwelt und ihrer Existenz erfüllt – und Frieden mit unserem Planeten zu schließen.
2.Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden
2.1.Das Null-Schadstoff-Ziel
Die Null-Schadstoff-Vision für 2050: ein gesunder Planet für alle
Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden wird auf ein Niveau gesenkt, das als nicht mehr schädlich für die Gesundheit und die natürlichen Ökosysteme gilt und die für unseren Planeten hinnehmbaren Grenzen respektiert, sodass eine schadstofffreie Umwelt geschaffen wird.
Das Null-Schadstoff-Ziel ist ein viele Bereiche umfassendes Ziel, das zur UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung
beiträgt, das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ergänzt und Synergien mit den Zielen einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft und einer wiederhergestellten Biodiversität bildet. Es ist ein notwendiger Bestandteil vieler Vorhaben im Rahmen des europäischen Grünen Deals und anderer Initiativen, und die Kommission wird das Null-Schadstoff-Ziel auch in künftige politische Initiativen einbeziehen.
Der vorliegende Aktionsplan soll in erster Linie als Kompass für die Einbeziehung der Vermeidung von Umweltverschmutzung in alle maßgeblichen politischen Strategien der EU dienen und auf diese Weise Synergien wirksam und in angemessener Weise maximieren, die Umsetzung beschleunigen und mögliche Lücken oder Kompromisse aufzeigen. Um die EU zu ihrem für 2050 gesetzten Ziel eines gesunden Planeten für alle zu führen, werden im vorliegenden Aktionsplan die bis 2030 zu erreichenden, zentralen Ziele für die Beschleunigung der Schadstoffreduzierung festgelegt.
Die Null-Schadstoff-Ziele für 2030
Gemäß den EU-Rechtsvorschriften, den Zielen des Grünen Deals sowie in Synergie mit anderen Initiativen soll die EU bis 2030 Folgendes erreichen:
1. eine Reduzierung der gesundheitlichen Auswirkungen (vorzeitige Todesfälle) der Luftverschmutzung um mehr als 55 %;
2. eine Reduzierung des Anteils der durch Verkehrslärm chronisch beeinträchtigten Menschen um 30 %;
3. eine Reduzierung der Anzahl der Ökosysteme in der EU, in denen die biologische Vielfalt durch Luftverschmutzung bedroht ist, um 25 %;
4. eine Senkung der Nährstoffverluste, des Einsatzes und der Risiken chemischer Pestizide, des Einsatzes gefährlicherer Pestizide sowie des Verkaufs von für Nutztiere und für die Aquakultur bestimmten Antibiotika um 50 %;
5. eine Reduzierung von Kunststoffabfällen im Meer um 50 % und eine Reduzierung des in die Umwelt freigesetzten Mikroplastiks um 30 %;
6. eine erhebliche Senkung des gesamten Abfallaufkommens und eine Reduzierung von Siedlungsabfällen um 50 %.
In diesem Aktionsplan werden ferner Schlüsselmaßnahmen für den Zeitraum 2021-2024 zur Ergänzung der vielen anderen einschlägigen Maßnahmen im Rahmen anderer Initiativen des europäischen Grünen Deals einschließlich der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit dargelegt.
Die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie eingeführten Lockdown-Maßnahmen führten zwar vorübergehend dazu, dass Luft und Gewässer sauberer wurden und der Lärm an vielen Orten abnahm, aber die Einschränkung aller wirtschaftlichen Aktivitäten ist nicht die Vorgehensweise, die sich die EU für den Weg zur Erreichung des Null-Schadstoff-Ziels für sich selbst und die Welt vorstellt. Stattdessen kann die EU ihren Wohlstand erhalten und zugleich einen Wandel der Produktionsweisen und des Konsumverhaltens herbeiführen sowie Investitionen auf das Null-Schadstoff-Ziel hinlenken. Investitionen in sauberes, nachhaltiges Design, kreislaufwirtschaftlich orientierte Geschäftsmodelle, umweltfreundlicherer Verkehr und sauberere Mobilität, emissionsarme Technologien, naturbasierte Lösungskonzepte und nachhaltige Digitalisierung bieten große Chancen zur Festigung der Führungsposition der EU bei einem grünen Wachstum, während sie zugleich Ungleichheiten abbauen, Arbeitsplätze schaffen und die kollektive Resilienz verbessern.
Der mehrjährige Finanzrahmen 2021--2027 und NextGenerationEU bieten noch nie dagewesene haushaltspolitische Chancen zur Unterstützung derartiger Investitionen und zur Bekämpfung von Klimawandel, Verlust an biologischer Vielfalt und Ressourcenverknappung sowie zum Kampf gegen die Umweltverschmutzung in der EU und weltweit.
Die Null-Schadstoff-Hierarchie
Neben den Anstrengungen zur Erreichung von Klimaneutralität benötigt die EU eine wirkungsvollere „Null-Schadstoff-Hierarchie“ (siehe Abbildung 1), in der die im EU-Vertrag verankerten Grundsätze berücksichtigt werden, nämlich dass sich die Umweltpolitik der EU auf die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung, den Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen vorrangig an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf das Verursacherprinzip stützt.
Es ist höchste Zeit, die „Pyramide des Handelns umzukehren“ und die Art und Weise, wie Waren und Dienstleistungen, gestaltet, hergestellt, geliefert, erbracht und/oder verwendet und entsorgt werden, zu überdenken. Das bedeutet, dass zunächst einmal Umweltverschmutzung bereits an der Quelle vermieden werden muss. Wenn es (noch) nicht möglich ist, Umweltverschmutzung von Anfang an vollständig zu vermeiden, sollte sie minimiert werden. Und wenn es schließlich zu Umweltverschmutzung gekommen ist, muss sie beseitigt – und der entstandene Schaden ausgeglichen – werden.