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Document 52020AE5391

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Neue Verbraucheragenda — Stärkung der Verbraucherresilienz für einen nachhaltigen Aufschwung“ (COM(2020) 696 final)

    EESC 2020/05391

    ABl. C 286 vom 16.7.2021, p. 45–52 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    16.7.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 286/45


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat — Neue Verbraucheragenda — Stärkung der Verbraucherresilienz für einen nachhaltigen Aufschwung“

    (COM(2020) 696 final)

    (2021/C 286/09)

    Berichterstatter:

    Bernardo HERNÁNDEZ BATALLER

    Mitberichterstatter:

    Gonçalo LOBO XAVIER

    Befassung

    Kommission, 14.1.2021

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

    Annahme in der Fachgruppe

    31.3.2021

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    27.4.2021

    Plenartagung Nr.

    560

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    218/2/24

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die neue Verbraucheragenda, einschließlich der darin vorgeschlagenen 22 Maßnahmen, zur Kenntnis und ist der Ansicht, dass sie kaum umfassender und detaillierter hätte sein können.

    1.2.

    Der EWSA erkennt zwar die Anstrengungen der Kommission an, vertritt jedoch die Auffassung, dass eine Verbraucher-„Agenda“ Folge oder Ergebnis einer wirklichen verbraucherpolitischen Strategie sein sollte. Die letzte verbraucherpolitische Strategie der Kommission stammt vom 13. März 2007 (für den Zeitraum 2007-2013) und ist somit völlig veraltet.

    1.3.

    Der EWSA befürchtet daher, dass die neue Verbraucheragenda in ihrer derzeitigen Form als eine Reihe vereinzelter Initiativen angesehen werden kann, deren Umsetzung vor Ort nur schwer möglich sein wird.

    1.4.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie angesichts der beispiellosen allgemeinen Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialkrise außerordentliche und in vielen Fällen dringende und vorrangige Maßnahmen ergriffen werden müssen, und fragt sich, ob solche Maßnahmen in eine Verbraucheragenda gehören, die seiner Auffassung nach der derzeitigen schwierigen Lage im Übrigen nur unzureichend Rechnung trägt.

    1.5.

    Der EWSA bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Ansicht, dass die Gesundheitsunion möglichst weit vertieft werden sollte und dass die Gesundheitspolitik kein ausschließlicher Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten ist. Artikel 168 AEUV sollte entsprechend geändert und an Artikel 169 über die Verbraucherpolitik angeglichen werden.

    1.6.

    Der EWSA fordert nachdrücklich, dass die Vollendung des — physischen wie digitalen — Binnenmarktes unter gleichen Wettbewerbsbedingungen erfolgt und dass ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht wird, wie es der Ausschuss im Übrigen bereits mehrfach gefordert hat. Aus diesem Grund stimmt er dem Ziel eines horizontalen, in andere Politikbereiche der Union integrierten Ansatzes zu, damit die Verbraucherinteressen bei der Gestaltung und Umsetzung sektorspezifischer Maßnahmen berücksichtigt werden.

    1.7.

    Der EWSA hält die Umweltkomponente der Agenda für wesentlich und verweist auf seine Unterstützung für den europäischen Grünen Deal. Der EWSA plädiert insbesondere für eine größere Haltbarkeit von Waren, den Zugang zu nachhaltigen Produkten, eine saubere, kreislauforientierte und klimafreundlichere Wirtschaft, eine effiziente Nutzung von Produkten, die Bekämpfung geplanter Obsoleszenz und das Recht auf Reparatur von Waren und Produkten.

    1.8.

    Der EWSA ist sich jedoch bewusst, dass die zur Messung des CO2-Fußabdrucks erforderlichen Maßnahmen dem Lebenszyklus von Produkten Rechnung tragen müssen und nicht einfach umzusetzen sind.

    1.9.

    Die Verbraucherschutzvorschriften müssen an die digitale Welt angepasst werden. Die neuen Herausforderungen, die sich aus innovativen Technologien wie der künstlichen Intelligenz (KI), dem Internet der Dinge und der Robotik ergeben, erfordern einen stärkeren Verbraucherschutz und sollten insbesondere im Zuge der Überarbeitung der Produktsicherheitsrichtlinie angegangen werden. Gleichzeitig sollten Lücken in den bestehenden Rechtsvorschriften ermittelt und geschlossen werden. Aus diesem Grund kommt auch den Verordnungen über digitale Dienste und über digitale Märkte wesentliche Bedeutung als Ergänzung der Verbraucherstrategie zu.

    1.10.

    Der EWSA fordert, dass sich die europäische Unterstützung auch in der Einbeziehung aller Organisationen der Zivilgesellschaft (insbesondere der Verbraucherverbände) niederschlägt, denen bei der Entwicklung der Agenda ja eine wichtige Rolle zukommt. Die organisierte Zivilgesellschaft, insbesondere Verbraucherorganisationen und Wirtschaftsverbände, sollte zusammen mit anderen Sozialpartnern für alle Seiten vorteilhafte Beziehungen aufbauen, um ihre umfassendere Beteiligung an der Gestaltung und Umsetzung der einschlägigen Maßnahmen zu gewährleisten.

    1.11.

    Verbraucherbildung und Verbrauchererziehung tragen zur Konsolidierung eines hohen Schutzniveaus bei. Ihre Rolle im Rahmen der Agenda sollte daher ausgebaut und gestärkt werden.

    1.12.

    Der EWSA ist sich bewusst, dass es KMU schwerfällt, zum Erfolg der Agenda beizutragen, insbesondere hinsichtlich der Sensibilisierung und Information der Verbraucher und der Bereitstellung nachhaltiger, aber wirtschaftlich wertvoller Waren und Dienstleistungen.

    1.13.

    Der EWSA weist darauf hin, dass Unternehmen, insbesondere KMU, Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden sollten, damit sie die Anforderungen der Agenda erfüllen können. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die Unternehmensinvestitionen im digitalen und ökologischen Bereich infolge der Bekämpfung der COVID-19-Krise zurückgegangen sind.

    2.   Mitteilung der Kommission

    2.1.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.1.

    Die Mitteilung der Kommission:

    hat zum Ziel, den allgemeinen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den EU-Institutionen, den Mitgliedstaaten und den Interessenträgern zu stärken;

    beruht auf einem ganzheitlichen Ansatz, der mehrere Politikbereiche der Union umfasst;

    spiegelt die Notwendigkeit wider, den Erfordernissen des Verbraucherschutzes bei der Formulierung und Durchführung politischer Maßnahmen in anderen Bereichen als Ergänzung zu anderen EU-Initiativen Rechnung zu tragen;

    erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und den Mitgliedstaaten sowie die Umsetzung, Anwendung und Durchsetzung des auf der Ebene des Sekundärrechts der EU entwickelten Verbraucherschutzrahmens.

    2.1.2.

    In der Mitteilung werden 22 Maßnahmen genannt, die fünf Schwerpunktbereiche abdecken:

    grüner Wandel,

    digitaler Wandel,

    Rechtsschutz und Durchsetzung der Verbraucherrechte,

    besondere Bedürfnisse bestimmter Verbrauchergruppen und

    internationale Zusammenarbeit.

    2.1.3.

    In der Mitteilung wird es bei der Herangehensweise an die Probleme als wichtig angesehen, dass alle einen gleichberechtigten und zeitnahen Zugang zu notwendigen und erschwinglichen Tests, Schutzausrüstungen, Behandlungen und künftigen Impfstoffen haben, und zwar mit allen Garantien für die Verbraucher in Bezug auf Grundrechte, medizinische Ethik, Privatsphäre und den Datenschutz gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

    2.1.4.

    Die sozialen und wirtschaftlichen Störungen, die auf den Ausbruch der Pandemie folgten, stellen eine Herausforderung für die Gesellschaft dar. Die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ist eine wichtige Aufgabe, allerdings gibt es nach wie vor bestimmte Herausforderungen, z. B. in Bezug auf:

    die Umsetzung der Rechtsvorschriften über das Recht auf vollständige Erstattung von Vorauszahlungen an Reiseveranstalter;

    die Zunahme von Verbraucherbetrug, irreführenden Verkaufspraktiken und Betrug beim Online-Einkauf;

    das sich verändernde Konsumverhalten, wie etwa die Zunahme von Einwegverpackungen.

    2.2.   Schwerpunktbereiche

    2.2.1.

    Grüner Wandel: Beitrag zur Klimaneutralität, zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen und der biologischen Vielfalt sowie zur Verringerung der Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung. Der Zugang zu nachhaltigen Produkten sollte für alle gewährleistet sein.

    2.2.2.

    Der europäische Grüne Deal enthält eine umfassende Strategie zur Umgestaltung der EU in eine gerechte und wohlhabende Gesellschaft mit einer klimaneutralen, ressourceneffizienten und sauberen Kreislaufwirtschaft und mit reduzierten Umweltfolgen.

    2.2.3.

    Die Richtlinie über den Warenhandel sollte geändert werden, um Reparaturen zu fördern und ein wirksames Recht auf Reparaturen zu verankern. Es sind zusätzliche Maßnahmen für bestimmte Gruppen von Waren und Dienstleistungen vorgesehen.

    2.2.4.

    Die Verbraucher müssen besser vor unwahren, verwirrenden oder irreführenden Informationen geschützt werden, mit denen ein Produkt oder Unternehmen als umweltfreundlicher dargestellt werden soll, als es in Wirklichkeit ist (greenwashing).

    2.3.   Digitaler Wandel

    2.3.1.

    Die Richtlinie über bessere Durchsetzung und Modernisierung des Verbraucherrechts und die Richtlinie über digitale Inhalte sind wichtige Meilensteine. Angesichts des rasanten technologischen Fortschritts sind jedoch zusätzliche Maßnahmen erforderlich.

    2.3.2.

    Es ist notwendig, die Nutzung von dark patterns zu verhindern, d. h. bestimmte, oftmals auf der Erstellung von Profilen basierende Personalisierungen, versteckte Werbung, Betrug, falsche oder irreführende Informationen und manipulierte Verbraucherbewertungen. Erforderlich sind auch zusätzliche Leitfäden zur Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und zur Richtlinie über Verbraucherrechte, weil die Verbraucher ein vergleichbares Maß an Schutz und Gerechtigkeit online und offline genießen sollten.

    2.3.3.

    Künstliche Intelligenz (KI) kann viel Gutes bewirken; einige KI-Anwendungen könnten jedoch Verbraucherrechte verletzen und Verbraucher schädigen. Der EWSA betont, dass laut Artikel 22 DSGVO betroffene Personen, die durch eine auf automatisierter Verarbeitung beruhende Entscheidung erheblich beeinträchtigt werden, das Recht auf Eingreifen einer Person haben.

    2.3.4.

    Mit der neuen Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz werden die Kapazitäten der Durchsetzungsbehörden für die Online-Arbeit, die Kooperationsmechanismen und das Datenerhebungssystem gestärkt, um gegen weitreichende Verstöße gegen das EU-Verbraucherrecht vorzugehen, ein einheitliches Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten und den Unternehmen eine zentrale Anlaufstelle zu bieten.

    2.4.   Berücksichtigung spezifischer Verbraucherbedürfnisse

    2.4.1.

    Es wird davon ausgegangen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel die schwächere Partei eines Geschäfts sind und ihre Interessen deshalb geschützt werden müssen. Bestimmte Verbrauchergruppen können besonders schutzbedürftig sein und spezifische Garantien benötigen. Die Schutzbedürftigkeit der Verbraucher kann durch soziale Umstände oder durch bestimmte Merkmale einzelner Verbraucher oder Verbrauchergruppen wie Alter, Geschlecht, Gesundheit, digitale Kompetenz, Rechenkompetenz oder finanzielle Lage bedingt sein.

    2.4.2.

    Die zunehmende finanzielle Anfälligkeit vieler Haushalte in der EU ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt besonders besorgniserregend.

    2.4.3.

    Mit der Überprüfung sollen auch diskriminierende Situationen beim Zugang zu Kreditdienstleistungen vermieden werden.

    2.4.3.1.

    Ältere Menschen und Menschen mit Behinderung haben spezifische verbrauchsbezogene Bedürfnisse. Es muss dafür gesorgt werden, dass im Einklang mit den Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen klare, benutzerfreundliche und leicht zugängliche Informationen sowohl online als auch offline zur Verfügung stehen.

    2.4.3.2.

    Ein faires, diskriminierungsfreies Konzept für den digitalen Wandel sollte den Bedürfnissen von älteren Verbrauchern, Verbrauchern mit Behinderung und ganz allgemein „Offlinern“ Rechnung tragen, die mit digitalen Instrumenten weniger vertraut sind.

    2.4.3.3.

    Kinder und Minderjährige sind durch irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken im Internet besonders gefährdet. Für dieses Problem müssen Lösungen gefunden werden. Zudem müssen Kinder vor unsicheren Produkten und den damit verbundenen Risiken geschützt werden, weshalb die Sicherheitsanforderungen im Zusammenhang mit Normen für bestimmte Produkte für Kinder zu aktualisieren sind.

    2.4.3.4.

    Die Gefahr einer Diskriminierung wird mitunter durch Algorithmen verschärft, die von bestimmten Anbietern von Waren und Dienstleistungen verwendet werden und die möglicherweise mit gewissen Vorurteilen formuliert wurden, denen häufig bereits bestehende kulturelle und gesellschaftliche Erwartungen zugrunde liegen.

    2.5.   Verbraucherschutz im globalen Kontext

    2.5.1.

    Es ist wichtig, dass die EU ihr hohes Verbraucherschutzniveau auf internationaler Ebene als europäischen Wert und als europäisches Modell propagiert.

    2.5.2.

    Die Gewährleistung der Sicherheit von Einfuhren und der Schutz der Verbraucher in der EU vor unlauteren Geschäftspraktiken, die von Anbietern aus Drittländern angewendet werden, erfordert verstärkte interne Maßnahmen der EU mithilfe stärkerer Marktüberwachungsinstrumente und eine engere Zusammenarbeit mit den Behörden in den EU-Partnerländern.

    2.5.3.

    Die multilaterale Zusammenarbeit in Verbraucherfragen ist für die Förderung eines hohen Schutz- und Sicherheitsniveaus auf internationaler Ebene und für den Schutz der Verbraucher weltweit von zentraler Bedeutung.

    2.6.   Governance

    2.6.1.

    In der Agenda werden Maßnahmen zur Förderung der verbraucherpolitischen Prioritäten dargelegt, die die EU und die Mitgliedstaaten in den nächsten fünf Jahren entwickeln könnten.

    2.6.2.

    Diese neue Vision des Zusammenwirkens zwischen den politischen Prioritäten der EU und der Mitgliedstaaten erfordert einen neuen Rahmen für eine verstärkte Zusammenarbeit, der konkrete Maßnahmen ermöglicht.

    2.6.3.

    Die Kommission wird versuchen, regelmäßige Gespräche mit dem EP, dem EWSA und dem AdR zu führen und eng mit den nationalen Behörden zusammenarbeiten, um eine enge Koordinierung der Maßnahmen und eine optimale Nutzung der einschlägigen verfügbaren Mittel auf EU- und nationaler Ebene zu gewährleisten.

    2.6.4.

    All dies sollte mit einer engen und wirksamen Zusammenarbeit mit den Interessenträgern (darunter Verbraucherorganisationen, Industrievertreter und Wissenschaftler) einhergehen. Starke Verbraucherorganisationen auf Unions- und nationaler Ebene sind unverzichtbare Partner bei der Gestaltung der Arbeit im Rahmen dieser Agenda und der Kontaktaufnahme mit den Verbrauchern.

    2.6.5.

    Die Kommission wird daher:

    eine neue Beratergruppe für Verbraucherpolitik einsetzen,

    2021 das Verbraucherbarometer überarbeiten.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.

    In Bezug auf die Gesundheitskrise fordert der EWSA die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen fortzusetzen, um die Bevölkerung zu impfen und die europäische Impfstrategie für alle Bürgerinnen und Bürger unter sozialen und finanziellen Aspekten zugänglich zu machen.

    3.2.

    Es ist wichtig, die Rolle der Verbraucher in der Wirtschaft zu stärken und sie einzubeziehen. Sie müssen zu Schlüsselakteuren einer nachhaltigen Erholung werden, um so die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und des Binnenmarkts zu stärken. Neue Geschäftsmodelle, die die Effizienz und Nachhaltigkeit von Waren und Dienstleistungen optimieren können, sind von großer Bedeutung.

    3.3.

    Im Hinblick auf die Verbraucher als maßgebliche Akteure des ökologischen Wandels sollten nachhaltige Produktions- und Verbrauchsmuster gefördert werden. Alle Produkte müssen sicher, verfügbar, erschwinglich und zugänglich sein, wobei es insbesondere ihre Lebensdauer, Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit zu fördern gilt. In Bezug auf die Haltbarkeit von Produkten hat der EWSA bereits seine Unterstützung für eine Regulierung der so genannten „geplanten Obsoleszenz“ und für die Langlebigkeit von Produkten — auch von Software — zum Ausdruck gebracht. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind im Allgemeinen horizontaler Natur und nicht speziell auf den Verbraucherschutz ausgerichtet.

    3.4.

    KMU sollten in diesen ökologischen Wandel einbezogen werden, ohne dabei den Verwaltungsaufwand erheblich zu vergrößern.

    3.5.

    Der EWSA ist entschlossen, aktiv zu einem „grünen“ und „digitalen“ Wandel beizutragen, bei dem es nicht zu sozialer Ausgrenzung kommen darf. Zu vermeiden ist eine Zweiteilung auf Kosten schutzbedürftiger Verbraucher und Formen der Diskriminierung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen, etwa dass Schwangere aufgrund möglicher Einkommensverluste keinen Zugang zu Krediten erhalten oder alleinerziehende Mütter von bestimmten Finanzdienstleistungen ausgeschlossen werden.

    3.6.

    Es sollten Unterstützungsmaßnahmen ergriffen werden, um der finanziellen Schutzbedürftigkeit von Familien, einschließlich Alleinerziehender und gleichgeschlechtlicher Ehepartner, Rechnung zu tragen, insbesondere was ihre Verschuldung betrifft. Der EWSA hat sich in seinen Stellungnahmen wiederholt für Rechtsvorschriften über die Überschuldung von Privathaushalten ausgesprochen.

    3.7.

    Was die horizontalen Maßnahmen betrifft, so sollte die Kommission im Bereich der Energiearmut tätig werden und dabei Situationen vermeiden, die zu sozialer Ausgrenzung führen könnten.

    3.8.

    Der EWSA erwartet, dass die Kommission so bald wie möglich die Überarbeitung der Richtlinien über Produktsicherheit, Verbraucherkredite, Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, Verbraucherrechte und unlautere Geschäftspraktiken in Angriff nimmt.

    3.9.

    Der EWSA setzt große Erwartungen in die Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der kollektiven Verbraucherinteressen und hofft, dass die Umsetzung der Richtlinie im Einklang mit dem Rechtsrahmen der Mitgliedstaaten erfolgen wird.

    3.10.

    Der EWSA stimmt dem Ziel zu, dass die Verbraucher dazu befähigt werden sollten, eine aktivere Rolle beim grünen Wandel zu spielen. Es reicht nicht, dass die Unternehmen Veränderungen vornehmen und Neuerungen einführen; vielmehr muss sich der Markt anpassen und in Richtung der Kreislaufwirtschaft entwickeln: Verbrauch von nachhaltigeren (und voraussichtlich teureren) Produkten, größere Haltbarkeit und Reparaturfähigkeit von Produkten im Sinne des angestrebten Ökodesigns (Entwicklung von Produkten im Einklang mit Umweltkriterien) und effizientere Nutzung natürlicher Ressourcen. Die Rolle des Verkehrs im Zusammenhang mit dem ökologischen Wandel muss ebenfalls Berücksichtigung finden.

    3.11.

    Es sollte die Botschaft vermittelt werden, dass sich alle für die Umwelt einsetzen müssen: die Unternehmen, die nachhaltigere Maßnahmen und Verfahren umsetzen und die Verbraucher informieren und aufklären, sowie — damit diese Maßnahmen Wirkung zeigen — die Verbraucher, die auch nachhaltige Gewohnheiten und Verhaltensweisen annehmen müssen. Die zusätzlichen Kosten, die den europäischen KMU entstehen könnten und die mittels der Folgenabschätzung des KMU-Tests (ein integraler Bestandteil der europäischen Initiative „Small Business Act“) gemessen werden müssen, sollten im Rahmen dieses Mechanismus gedämmt werden, der auch die laufende Konsultation der KMU-Beauftragten umfasst. Es müssen Mechanismen und Mittel geschaffen werden, damit KMU ihren Wissensstand aktualisieren und erneuern können.

    3.12.

    Der EWSA hält es für wichtig, jene unlauteren Geschäftspraktiken im Internet stärker zu bekämpfen, bei denen die Rechte der Verbraucher und aller anderen am Produktzyklus beteiligten Akteure missachtet werden. Er argumentiert, dass alles, was in der physischen Welt („offline“) als missbräuchlich gilt, in der digitalen Welt („online“) in gleicher Weise behandelt werden sollte. Neue Formen des Missbrauchs in der Offline-Welt wie Strategien zur Überwachung von Unternehmen und die Nutzung von dark patterns erfordern die Entwicklung noch stärkerer Schutzmechanismen.

    3.13.

    Es ist wichtig, IT-, Personal- und andere Ressourcen aufzustocken, die die Bekämpfung von Online-Betrug unterstützen können. Dieser Betrug erschwert nämlich aufgrund seines Umfangs und seiner Verbreitung das Vorgehen der Behörden erheblich, so im Falle von Angriffen auf das Gesundheitswesen (z. B. durch den Kauf „illegaler“ Arzneimittel über das Internet).

    3.14.

    Bei den Maßnahmen 8, 9 und 10 muss die Ausgewogenheit zwischen der Sicherheit und der Flexibilität gewährleistet sein, die notwendig ist, um die Innovation und den technologischen und wirtschaftlichen Fortschritt nicht zu bremsen. Es ist wichtig, mit China einen Aktionsplan zur Produktsicherheit zu entwickeln und die Unterstützung der EU-Partnerländer (auch in Afrika) für den Kapazitätsaufbau in Bezug auf Vorschriften und technische Hilfe zu verstärken. Wesentlich ist auch, die Echtheit von Produkten (und darüber hinaus die Markenrechte) zu schützen, da es in bestimmten Drittländern anerkanntermaßen eine große Menge von Nachahmungen und Fälschungen von Produkten gibt. Aus Gründen der Qualität, der Zweckmäßigkeit und des Ansehens verdienen die Originalprodukte große Aufmerksamkeit und großes Interesse seitens der Verbraucher.

    3.15.

    Der EWSA fordert die Einführung einer qualitativen und quantitativen Bewertungsmethode. Dabei sollte bewertet werden, ob die EU-Richtlinien im Einklang mit den Bestimmungen des Sekundärrechts und den Grundsätzen der besseren Rechtsetzung rechtzeitig umgesetzt werden.

    3.16.

    Der EWSA weist darauf hin, dass die Strategien (d. h. der europäische Grüne Deal im Allgemeinen und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und die Neuen Verbraucheragenda im Besonderen) einerseits und die detaillierteren Rechtsvorschriften oder sonstigen Initiativen zur Umsetzung dieser Strategien andererseits zunehmend auseinanderklaffen. Der Ausschuss betont, dass die Ziele der Verbraucheragenda in Bezug auf die Verwirklichung der Vorgaben des europäischen Grünen Deals während der gesamten Umsetzung der einzelnen Folgeinitiativen konstant bleiben müssen.

    4.   COVID-19-Krise

    4.1.

    Die derzeitige Pandemie-Krise hat die ganze Welt schwer getroffen und erhebliche Auswirkungen auf viele Lebensbereiche gezeitigt. Aufgrund dieser Krise haben sich die Hauptprioritäten der Mitgliedstaaten verschoben — mit äußerst nachteiligen Folgen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, deren Rechte übermäßig eingeschränkt wurden, ohne dass die bestehenden Vorkehrungen verstärkt oder aber Vorkehrungen zur Bewältigung der neuen Gegebenheiten getroffen wurden, um den finanziellen Schutz der Verbraucher zu gewährleisten.

    4.2.

    Daher ist es zur Antizipierung möglicher Folgen für die Verbraucher und unter Nutzung der Lehren aus dieser Pandemie von wesentlicher Bedeutung, künftig den Verbraucherschutz in den Bereichen Gesundheit, Energie, Kommunikation, Finanzdienstleistungen, Luftfahrt und Passagierrechte, Pauschalreisen, Überwachung, Lebensmittel und digitale Dienstleistungen zu stärken.

    4.3.

    Die Krise hat zudem die Ausbreitung unlauterer Geschäftspraktiken begünstigt, die in erster Linie auf die schwächsten Gruppen abzielen. Außerdem hat sie eine Zeit lang bei bestimmten persönlichen Schutzprodukten und -ausrüstungen nicht nur zu Versorgungslücken, sondern auch zu überhöhten und spekulativen Preisen geführt. Diese Situation erfordert erneut — auch angesichts der erwarteten Verschärfung der Krise — mehr Aufmerksamkeit und mehr Mittel seitens der Aufsichtsbehörden.

    4.4.

    Der EWSA sollte die Erarbeitung einer Initiativstellungnahme zu diesem Thema anstreben, um die Kommission bei der Festlegung und Umsetzung dieser Maßnahmen zu unterstützen.

    5.   Weitere relevante Themenbereiche, die in der neuen Verbraucheragenda nicht oder nur indirekt behandelt werden

    5.1.   Verwaltung des Gesundheitswesens in den Mitgliedstaaten

    Derzeit werden die ersten Schritte zur Schaffung der Europäischen Gesundheitsunion unternommen. An der COVID-19-Krise hat sich gezeigt, dass die EU im Bereich der öffentlichen Gesundheit eine viel größere Rolle spielen muss, um die Gesundheit aller europäischen Bürgerinnen und Bürger mit widerstandsfähigeren Gesundheitssystemen zu schützen und einen gestärkten Rahmen für den Gesundheitsschutz zu schaffen.

    5.2.   Finanzdienstleistungen

    Im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie muss unbedingt das Augenmerk auf das Verfahren des Zahlungsaufschubs sowie die Schaffung eines integrierten Ansatzes gelegt werden, der die Interessen der Verbraucher unabhängig von der Art des Kredits schützt. Auf europäischer Ebene wird es wichtig sein, das Privatinsolvenzverfahren zu bewerten und dabei zu berücksichtigen, dass eine Absenkung des derzeitigen Verbraucherschutzniveaus vermieden werden muss.

    5.3.   Tourismus, Freizeit und Fluggastrechte

    Es ist wichtig, Verbraucherrechte zu schaffen, zu stärken oder zu ändern und europäische Fonds einzurichten, um die Verbraucherinteressen in diesen Bereichen zu schützen. Hier bietet sich auch eine ideale Gelegenheit, um die Verbraucherschutzvorschriften zu überarbeiten und um ein angemessenes finanzielles Schutzsystem zu ergänzen — mit dem Ziel, die Fluggäste vor dem Risiko einer Liquiditätskrise oder bei Insolvenz der Fluggesellschaft im Hinblick auf die Erstattung von Flugtickets und erforderlichenfalls die Rückbeförderung zu schützen.

    5.4.   Wohnungswesen

    Es sollte ein integriertes europäisches Programm für Wohnraum auf den Weg gebracht werden, das verschiedene Bereiche wie Umwelt, Energie, Finanzdienstleistungen, vertragliche Rechte und Gesundheit umfasst, um ein Recht der europäischen Verbraucher auf Zugang zu angemessenem und langfristig erschwinglichem Wohnraum zu schaffen. Dabei sollte der Bau nachhaltiger Häuser (z. B. „Passivhäuser“) gefördert werden. Die baustoffbedingten Treibhausgasemissionen von Gebäuden können verringert werden, indem bei Gebäudesanierungen die Grundsätze der Kreislaufwirtschaft angewendet werden. Die Renovierung von Gebäuden eröffnet potenziell zahlreiche Möglichkeiten mit weitreichenden sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Vorteilen.

    5.5.   Energie

    Die Verbraucherrechte sollten bei der Umsetzung von Strategien für erneuerbare Energien, Eigenversorgung mit Energie und Markttarife gestärkt werden, wobei sicherzustellen ist, dass die Verbraucher in keinem Falle bei der Einführung echter alternativer Energielösungen diskriminiert oder ausgeschlossen werden.

    5.6.

    Es ist notwendig, die Rechenschaftspflicht digitaler Plattformen im Hinblick auf die Produktsicherheit wie auch die Haftung bei der Vermittlung von Online-Verträgen besser zu definieren und zu stärken.

    5.7.

    Es muss eine klare Haftungsstruktur für Online-Plattformen geschaffen werden, einschließlich geeigneter Maßnahmen, mit denen betrügerischen, unlauteren und irreführenden Geschäftspraktiken und dem Verkauf nicht konformer Produkte und gefährlicher Güter und Dienstleistungen über Online-Plattformen begegnet wird. In diesem Zusammenhang gilt es, die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den nationalen Behörden bei der Bekämpfung dieser unlauteren Praktiken zu stärken.

    5.8.

    Der Direktverkauf von Produkten, die insbesondere aufgrund ihrer chemischen Inhaltsstoffe für die Verbraucher gefährlich sind, sollte eingestellt oder eingeschränkt werden. Der EWSA begrüßt die Einführung des EU-Frühwarnsystems „Safety Gate“ für die Meldung unsicherer Verbraucherprodukte.

    5.9.

    Es ist wichtig, den Schutz im Bereich der Internetdienste („Over-the-Top-Dienste“) zu stärken, der in den meisten nationalen Rechtsvorschriften noch immer nicht vorgesehen ist und ebenso wenig im europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation berücksichtigt wurde.

    5.10.

    Mit der Weiterentwicklung ihrer Verbraucherschutzpolitik wird die EU ihren wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt stärken. Unbeschadet ihrer allgemeinen Politikgestaltung muss die EU eine Reihe von Maßnahmen und Programme bürgernäher umsetzen. Dazu muss sie das Netz der Europäischen Verbraucherzentren (EVZ-Netz) und das Verbraucherschutz-Kooperationsnetz unter Einbeziehung aller nationalen Behörden stärken.

    Brüssel, den 27. April 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    ANHANG

    Folgender Änderungsantrag wurde im Plenum abgelehnt, erhielt jedoch mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen (Artikel 59 Absatz 3 der Geschäftsordnung):

    Ziffer 1.13

    Streichen:

     

    1.13

    Der EWSA weist darauf hin, dass Unternehmen, insbesondere KMU, Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden sollten, damit sie die Anforderungen der Agenda erfüllen können. Dies gilt insbesondere in einer Zeit, in der die Unternehmensinvestitionen im digitalen und ökologischen Bereich infolge der Bekämpfung der COVID-19-Krise zurückgegangen sind.

    Begründung:

     

    Aus der derzeitigen Formulierung dieses Absatzes geht hervor, dass Unternehmen öffentliche Unterstützung erhalten sollten, damit sie die grundlegenden Verbraucherschutzanforderungen erfüllen. Solche Pläne gehen natürlich in einem auf Gewinnerzielung ausgerichteten Wirtschaftssystem viel zu weit und stehen im Widerspruch zu den grundlegenden Funktionsanforderungen eines solchen Systems. Verbraucherschutz ist ein Gebot und keine Luxusoption, die gegen Zahlung öffentlicher Mittel erbracht wird.

    Ergebnis der Abstimmung:

    Ja-Stimmen:

    64

    Nein-Stimmen:

    139

    Enthaltungen:

    35


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