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Document 52015IR3636

    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Entscheidungsprozess in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

    ABl. C 423 vom 17.12.2015, p. 72–75 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    17.12.2015   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 423/72


    Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Entscheidungsprozess in Bezug auf genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

    (2015/C 423/13)

    Berichterstatter:

    Mark WEINMEISTER, Staatssekretär für Europaangelegenheiten, Land Hessen (DE/EVP)

    Referenzdokumente:

    Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 hinsichtlich der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, die Verwendung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen —

    COM(2015) 177 final

    Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf genetisch veränderte Organismen (GVO) —

    COM(2015) 176 final

    I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

    DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

    1.

    begrüßt grundsätzlich den dem Vorschlag der Kommission zugrunde liegenden Ansatz, das Mitspracherecht der Regionen zu steigern und deren Entscheidungsfreiheit zu erweitern;

    2.

    sieht jedoch in diesem speziellen Fall die Zweckmäßigkeit der Maßnahme sehr kritisch;

    3.

    weist auf die Skepsis und mangelnde Akzeptanz in vielen Teilen der Bevölkerung gegenüber genetisch veränderten Organismen hin. Dieser Skepsis und mangelnden Akzeptanz sollte u. a. durch ein transparenteres Genehmigungsverfahren von genetisch veränderten Lebens- und Futtermitteln Rechnung getragen werden;

    4.

    bekräftigt die Forderung, dass es klarer Regelungen der Kennzeichnungen bedarf, so dass Verbraucherinnen und Verbraucher bewusste Kaufentscheidungen treffen können. Transparente Kennzeichnung muss auch den Einsatz von genetisch veränderten Futtermitteln bei der Produktion von tierischen Lebensmitteln nachvollziehbar darstellen;

    5.

    verweist in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen „Freiheit der Mitgliedstaaten, über den Anbau von genetisch veränderten Kulturen auf ihrem Hoheitsgebiet zu entscheiden“ (CdR 338/2010 fin) (88. Plenartagung vom 27./28. Januar 2011) sowie die „Entschließung zu den Prioritäten für das Arbeitsprogramm 2016 der Europäischen Kommission“ (113. Plenartagung vom 9. Juli 2015);

    Zulassungsverfahren für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

    6.

    nimmt zur Kenntnis, dass die Europäische Union über einen umfassenden Rechtsrahmen für die Zulassung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen (GVO) und genetisch veränderten (GV) Lebens- und Futtermitteln verfügt, der sich auf die Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates, die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 vom 22. September 2003 über genetisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel und die Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 vom 22. September 2003 über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch veränderter Organismen und über die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebensmitteln und Futtermitteln sowie zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG stützt;

    7.

    stellt fest, dass der vorgeschlagene Rechtsrahmen vorsieht, dass kein GVO bzw. kein genetisch verändertes Lebens- oder Futtermittel ohne eine vorherige, gemäß dem betreffenden Rechtsrahmen zu erteilende Zulassung in Verkehr gebracht werden darf;

    8.

    stellt fest, dass für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel das Zulassungsverfahren eine abschließende wissenschaftliche Bewertung der Antragsunterlagen durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vorsieht;

    9.

    führt aus, dass die Kommission nach Erhalt der EFSA-Stellungnahme den Mitgliedstaaten im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel einen Beschlussentwurf über die Zulassung oder Versagung der Zulassung zur Abstimmung vorlegt;

    10.

    nimmt zur Kenntnis, dass, falls es sowohl im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel, als auch im Berufungsausschuss zu keinem eindeutigen Votum kommt, die Kommission gemäß dem GVO-Rechtsrahmen und der Grundrechtecharta verpflichtet ist, eine Entscheidung über einen Zulassungsantrag zu treffen;

    Überprüfung des Zulassungsverfahrens für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel

    11.

    weist darauf hin, dass die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2015 angekündigt hat, das Genehmigungsverfahren für genetisch veränderte Organismen zu überprüfen, um den Sorgen von Bürgern und Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen, was die momentane rechtliche Verpflichtung der Kommission zur Genehmigung solcher Organismen anbelangt, auch wenn sich keine qualifizierte Mehrheit von Mitgliedstaaten für eine solche Genehmigung ausspricht;

    12.

    äußert Verwunderung darüber, dass die angekündigte Überprüfung nun ausschließlich einen Vorschlag betreffend der Verwendung genetisch veränderter Lebens- und Futtermittel zum Ergebnis hat, nicht aber eine grundsätzliche Revision des Zulassungsverfahrens wie angekündigt;

    13.

    weist auf das Abstimmungsverhalten der einzelnen Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit dem aktuellen Zulassungsverfahren nach Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 für GV-Lebens- und Futtermittel hin;

    14.

    bedauert, dass diese Abstimmungen im Bereich der genetisch veränderten Lebens- und Futtermittel im Ständigen Ausschuss und im Berufungsausschuss regelmäßig keine qualifizierten Mehrheiten für oder gegen die jeweiligen Beschlussvorschläge ergeben;

    15.

    führt aus, dass neben Bedenken, die im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Bewertung stehen, oftmals Bedenken bezüglich weiterer Aspekte außerhalb der EFSA-Risikobewertung ursächlich für eine Enthaltung oder ein ablehnendes Votum eines Mitgliedstaates sind;

    16.

    nimmt zur Kenntnis, dass nach derzeitiger Rechtslage die Kommission über Zulassungsanträge entscheiden muss;

    17.

    bedauert insbesondere, dass die Kommission daher de facto immer ohne ein unterstützendes Votum der Mitgliedstaaten entscheidet, wobei die Kommissionsentscheidungen bei positiven EFSA-Stellungnahmen in der Regel mit einer Gewährung der Zulassung verbunden sind;

    18.

    bemängelt, dass dies zur Folge hat, dass beispielsweise gesellschaftspolitische Bedenken einzelner oder mehrerer Mitgliedstaaten, die im Rahmen der Zulassungsverfahren geäußert werden, bei der Zulassungsentscheidung in der Regel keine Berücksichtigung finden;

    19.

    betont, dass vor diesem Hintergrund eine Zulassung, die sich allein auf die Risikobewertung durch die EFSA stützt, zunehmend kritisch hinterfragt wird;

    Vorschläge für eine Verbesserung des aktuellen Zulassungsverfahrens

    20.

    teilt die Ansicht der Mitgliedstaaten, dass es aufgrund des hohen öffentlichen Interesses an der Zulassung oder der Nichtzulassung von GVO unerlässlich ist, dass auch beispielsweise Bedenken nicht wissenschaftlicher Art in den Entscheidungsprozess eingebracht werden können;

    21.

    bedauert, dass dies derzeit de facto nicht der Fall ist, da im aktuellen Verfahrensablauf aufgrund uneinheitlicher Meinungsbilder unter den Mitgliedstaaten und damit ungenügender Mehrheitsverhältnisse die Risikoabschätzung der EFSA abschließend im Mittelpunkt der Entscheidungsfindung durch die Kommission steht;

    22.

    spricht sich dafür aus, dass, vorbehaltlich einer rechtlichen Prüfung und unbeschadet der Ausführungen zum aktuellen Verordnungsvorschlag, eine positive Entscheidung der Kommission über eine Zulassung zukünftig grundsätzlich nur dann möglich sein sollte, wenn auch der Ständige Ausschuss oder der Berufungsausschuss mindestens mit qualifizierter Mehrheit zustimmen;

    23.

    ist der Auffassung, dass auf diese Weise weitergehenden Bedenken der Mitgliedstaaten besser Rechnung getragen werden könnte und dass das Verantwortungsbewusstsein der Mitgliedstaaten für ihr Stimmverhalten gestärkt wird;

    24.

    teilt nicht die Sichtweise der Kommission, dass der existierende Rechtsrahmen gewahrt werden muss und dass Abstimmungsregeln nicht geändert werden können, nur weil sie auch für andere Politikbereiche gelten;

    25.

    fordert die Kommission daher auf, zu prüfen, ob eine europarechtskonforme Änderung der Zulassungsmodalitäten auf Risikomanagementebene im GVO-Bereich möglich ist;

    26.

    teilt die Ansicht der Kommission, die sich für ein einziges Risikobewertungssystem ausspricht;

    27.

    fordert eine engere Zusammenarbeit der EU-Kommission und nationalen bzw. regionalen für GVO-Anbau zuständigen Behörden;

    28.

    betont, dass dies zur Akzeptanz der Risikobewertung bei den Mitgliedstaaten beitragen, aber auch die Qualität der Bewertung verbessern könnte;

    29.

    spricht sich dafür aus, dass eine verbesserte Prüfung der Umweltbelange von genetisch veränderten Pflanzen sowie GV-Lebens- und Futtermitteln beim Zulassungsverfahren berücksichtigt werden sollte;

    30.

    hält es für dringlich, dass die verstärkten Leitlinien der EFSA für die Umweltverträglichkeitsprüfung genetisch veränderter Pflanzen baldmöglichst in die Anhänge der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG aufgenommen werden, um diesen einen rechtlich verbindlicheren Charakter zu geben;

    Würdigung des vorliegenden Verordnungsvorschlags

    31.

    stellt fest, dass die Kommission in ihrer Mitteilung COM(2015) 176 auf den auch für sie unbefriedigenden Ablauf der Zulassungsverfahren eingegangen ist und in weitgehender Analogie zur Richtlinie (EU) 2015/412 (Opt-out-Regelung zum Anbau von GVO) eine entsprechende Änderung der Verordnung über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel vorgeschlagen hat;

    32.

    vertritt die Ansicht, dass das von der Kommission angestrebte Ziel, individuellen Bedenken der Mitgliedstaaten in höherem Maße Rechnung zu tragen, besser durch eine sehr zügige Überarbeitung der Umweltrisikoprüfung im Zulassungsprozess, wie dies mit Artikel 3 der Richtlinie (EU) 2015/412 gerade beschlossen wurde, erreicht werden kann, als durch den jetzt vorgelegten Verordnungsvorschlag;

    33.

    stellt fest, dass es nicht Ziel des Vorschlags ist, das einheitliche Sicherheitsniveau zu ändern, das durch eine EU-weite Risikobewertung durch die EFSA geschaffen worden ist. Der EU-Rechtsrahmen enthält bereits heute Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, in Fällen, in denen neuen Erkenntnissen zufolge ein genetisch verändertes Lebens- und Futtermittel ein ernstes Gesundheits- oder Umweltrisiko darstellen könnte, das entsprechende Erzeugnis bis zu einer erneuten Überprüfung auf EU-Ebene zu verbieten;

    34.

    stellt fest, dass den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt werden soll, auf nationaler Ebene Entscheidungen zur Beschränkung oder zum Verbot der Verwendung von auf EU-Ebene zugelassenen GVO in Lebens- und Futtermitteln zu erlassen (Opt-out-Maßnahmen bezüglich der Verwendung von GVO);

    35.

    stellt fest, dass die Mitgliedstaaten hierbei jedoch sicherstellen müssen, dass ihre Maßnahmen mit dem EU-Recht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Verbots der Ungleichbehandlung inländischer und nicht-inländischer Erzeugnisse und mit internationalen Verpflichtungen der EU auf WTO-Ebene im Einklang stehen;

    36.

    weist darauf hin, dass die Maßnahmen neben der Vereinbarkeit mit den WTO-Vorgaben auf globaler Ebene im Binnenmarkt mit dem Prinzip des freien Warenverkehrs nach Artikel 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der alle Maßnahmen verbietet, die die gleiche Wirkung haben wie mengenmäßige Beschränkungen des freien Warenverkehrs, vereinbar sein müssen;

    37.

    stellt fest, dass Mitgliedstaaten, die die Verbotsoption nutzen wollen, ihre Maßnahmen mit Gründen gemäß Artikel 36 AEUV und zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs rechtfertigen müssen, wobei die Begründung der Mitgliedstaaten für ein Verbot hierbei auch nicht im Widerspruch zu der von der EFSA durchgeführten Bewertung der Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt stehen darf;

    38.

    kritisiert, dass eine Verbotsmöglichkeit nach derzeitigem Kenntnisstand mit unverhältnismäßig hohen Hürden verbunden ist, die ein Mitgliedstaat zunächst überwinden muss, bevor er auf nationaler Ebene von dieser Option Gebrauch machen und ein entsprechendes Verbot aussprechen kann, weshalb sich einerseits die Frage der Subsidiarität stellt und anderseits vom Einhalten des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei diesem Vorschlag auch nicht die Rede sein kann;

    39.

    bedauert in diesem Zusammenhang, dass keine beispielhafte Liste der Argumente angeführt wird, die ein nationales Verbot in den einzelnen Mitgliedstaaten rechtssicher begründen könnten. Eine solche Liste, die sich als vorteilhaft für die Rechtssicherheit erwiesen hat, findet sich beispielsweise in der Richtlinie (EU) 2015/412 zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG zu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen;

    40.

    bedauert in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass dem Vorschlag keine Folgenabschätzung („impact assessment“) beigefügt wurde;

    41.

    kritisiert zusammenfassend, dass der Kommissionsvorschlag den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit der Beschränkung oder des Verbots der Verwendung von auf EU-Ebene zugelassenen GVO in Lebens- und Futtermitteln eröffnet, ihnen aber keinen Weg aufzeigt, wie sie auf nationaler Ebene diese Entscheidung rechtssicher umsetzen können;

    42.

    ist der Auffassung, dass es daher aktuell sehr schwer abschätzbar ist, inwieweit die Verbotsoption vor dem Hintergrund der Vielzahl einzuhaltender Bedingungen in der Praxis überhaupt genutzt werden würde;

    43.

    kritisiert, dass ein nationales Verwendungsverbot vor dem Hintergrund des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt und der globalisierten Warenströme sowie der Vielzahl der Beteiligten in den Prozessketten der industriellen Lebens- und Futtermittelherstellung nach derzeitigem Kenntnisstand nicht mit vertretbarem Aufwand kontrollierbar ist;

    44.

    ist der Auffassung, dass eine stärkere Berücksichtigung der Bedenken der Mitgliedstaaten durch eine geänderte Gewichtung der Abstimmungsergebnisse der Ausschüsse einer nationalen Verbotsregelung vorzuziehen ist. Nationale Verbotsregelungen sind nur unter Überwindung hoher Hürden erreichbar und können zudem kaum kontrolliert werden;

    45.

    teilt insofern nicht die Schlussfolgerung der Kommission, die zur Vorlage dieses Verordnungsentwurfs geführt hat;

    46.

    spricht sich daher für eine Ablehnung des Verordnungsentwurfs aus.

    Brüssel, den 13. Oktober 2015

    Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

    Markku MARKKULA


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