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Document 52008IP0470

Lage in Belarus Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2008 zur Lage in Belarus nach der Parlamentswahl vom 28. September 2008

ABl. C 9E vom 15.1.2010, p. 28–31 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 9/28


Donnerstag, 9. Oktober 2008
Lage in Belarus

P6_TA(2008)0470

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2008 zur Lage in Belarus nach der Parlamentswahl vom 28. September 2008

2010/C 9 E/04

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Belarus, insbesondere seine Entschließung vom 22. Mai 2008 (1),

unter Hinweis auf die Erklärung der Kommission vom 21. November 2006, in der sie die Bereitschaft der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht hat, ihre Beziehungen zu Belarus und seiner Bevölkerung im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) zu erneuern,

unter Hinweis auf die Erklärung des Vorsitzes des Rates im Namen der Europäischen Union vom 26. August 2008 zur Freilassung von Sergej Parsiukewitsch und Andrej Kim,

in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Rates vom 15. und 16. September 2008 zu Belarus,

unter Hinweis auf die ersten Erkenntnisse der Wahlbeobachtungsmission der OSZE in Belarus vom 29. September 2008,

unter Hinweis auf die Erklärung des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union vom 30. September 2008 zu den Parlamentswahlen in Belarus,

gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass nach der Freilassung der politischen Gefangenen Alexander Kasulin, Sergej Parsiukewitsch und Andrej Kim durch die belarussischen Staatsorgane zwischen dem 16. und dem 20. August 2008 derzeit keine weiteren international anerkannten politischen Gefangenen in Belarus inhaftiert sind,

B.

in der Erwägung, dass die Freilassung der politischen Gefangenen von der Europäischen Union als ein wichtiger Schritt zur Annahme der grundlegenden Werte der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit durch Belarus betrachtet wird und eine der Vorbedingungen für die Überprüfung der restriktiven Maßnahmen war, die gegenwärtig für einige Vertreter der politischen Führung in Belarus und für die schrittweise Wiederherstellung der Beziehungen zu Belarus gelten,

C.

in der Erwägung, dass Präsident Alexander Lukaschenko am 10. Juli 2008 dazu aufgerufen hatte, die Wahl offen und demokratisch ablaufen zu lassen, und dies bei einem Fernsehauftritt am 29. August 2008 bekräftigte, wobei er versprach, dass sie in noch nie da gewesener Fairness ablaufen würde,

D.

in der Erwägung, dass die demokratische Durchführung und der pluralistische Aspekt der Parlamentswahlen vom 28. September 2008 von der EU als eine weitere Chance für Belarus gewertet wurde, seine Achtung demokratischer Werte und europäischer Standards deutlich zu machen,

E.

in der Erwägung, dass die Europäische Union in diesem Zusammenhang die Entsendung von Beobachtern des OSZE/Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (BDIMR) begrüßt hat, die Bedeutung dessen betont hat, dass diese Beobachter effektiven Zugang zu allen Phasen des Wahlprozesses haben, einschließlich der Auszählung der Stimmen, und insbesondere unterstrichen hat, wie wichtig es ist, die Rechte der Opposition in Bezug auf das Recht zu gewährleisten, sich zur Wahl zu stellen und Zugang zu Wahlbeobachtungskommissionen und den Medien zu haben,

F.

in der Erwägung, dass die Europäische Union im Falle einer ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlen bereit war, damit zu beginnen, die restriktiven Maßnahmen gegen Vertreter der belarussischen Führung zu überprüfen und positive und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer schrittweisen erneuten Annäherung an Belarus geführt hätten,

G.

in der Erwägung, dass der Aufruf der Vereinigten Demokratischen Kräfte von Belarus an die Regierung, sich auf einen offenen Dialog über den Wahlprozess einzulassen, unbeachtet blieb, und in der Erwägung, dass die Kandidaten der Opposition Bedenken über den fairen Verlauf des Wahlprozesses äußerten und sich dabei auf ihr mangelndes Vertrauen in den Abstimmungsprozess und in den erwarteten Ablauf der Stimmenauszählung beriefen,

H.

in der Erwägung, dass die OSZE-Wahlbeobachtungsmission in ihren vorläufigen Schlussfolgerungen angab, dass bei den Wahlen vom 28. September 2008, die in einem streng kontrollierten Umfeld mit einem kaum sichtbaren Wahlkampf durchgeführt wurden und in Bezug auf die Auszählung der Stimmen und die Zusammenstellung der Ergebnisse von den verschiedenen Wahllokalen von mangelnder Transparenz gekennzeichnet waren, zwar einige geringfügige Verbesserungen zu verzeichnen waren, sie letztendlich jedoch den international anerkannten demokratischen Standards nicht genügten,

I.

in der Erwägung, dass die Opposition, der es nicht gelang, auch nur einen der 110 Sitze zu gewinnen, die Wahlen als eine Farce bezeichnete und ihre Befürchtung zum Ausdruck brachte, dass der „Flirt“ von Präsident Lukaschenko mit der Demokratie der Vergangenheit angehöre, und die Europäische Union und die USA aufforderte, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen,

J.

in der Erwägung, dass Lidija Ermoschina, Leiterin der zentralen Wahlkommission in Belarus, erklärte, dass die Wahlen „frei und fair“ verlaufen seien,

K.

in der Erwägung, dass am späten Wahlabend etwa 800 Oppositionsanhänger in Minsk protestierten,

1.

bringt seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass die politischen Gefangenen Alexander Kasulin, Sergej Parsiukewitsch und Andrej Kim freigelassen wurden; erwartet aber noch, dass ihnen alle Bürgerrechte, die allen belarussischen Bürgerinnen und Bürgern durch die Verfassung der Republik Belarus garantiert sind, gewährt werden;

2.

bringt seine Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die erheblichen Fortschritte, die sich die EU im Interesse des belarussischen Volkes in Bezug auf die demokratische Entwicklung von Belarus erhofft hatte, nicht erzielt wurden und dass die Parlamentswahlen vom 28. September 2008 in Belarus trotz einiger geringfügiger Verbesserungen letztendlich nicht den internationalen Standards genügten;

3.

ist der Auffassung, dass die demokratische Legitimität des in Belarus gewählten Parlaments fragwürdig ist;

4.

ist darüber besorgt, dass die am 28. September 2008 in Minsk von der Opposition veranstaltete Kundgebung vom Innenministerium als schwerwiegende Störung der öffentlichen Ordnung eingestuft wurde und dass Berichten zufolge der Staatsanwaltschaft Informationen über die Kundgebung zur rechtlichen Bewertung übermittelt werden; fordert die belarussischen Behörden auf, die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, wie sie in der belarussischen Verfassung festgelegt sind, zu achten;

5.

weist darauf hin, dass die Europäische Union zwar die kürzlich erfolgten Freilassungen mehrerer demokratischer Aktivisten der Opposition zur Kenntnis genommen und die Hoffnung gehegt hat, dass der Ablauf der Wahlen besser organisiert würde, dass jedoch das fortlaufende Unvermögen, freie und faire Wahlen zu organisieren, einen weiteren Rückschlag für Belarus bedeutet und weiterhin eine schwerwiegende Herausforderung für die Beziehungen zwischen Belarus und der Europäischen Union sein wird;

6.

fordert die belarussische Regierung auf, ihre Erklärungen über ihre Bereitschaft zu bestätigen, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union zu verbessern und günstigere Bedingungen für die Aufnahme von Gesprächen zwischen der Europäischen Union und Belarus zu schaffen;

7.

fordert die belarussische Regierung in diesem Zusammenhang auf, in Zukunft wirklich demokratische Wahlen gemäß den internationalen demokratischen Standards abzuhalten, indem sie Änderungen des Wahlgesetzes und des Wahlverfahrens einführt und unter anderem

a)

faire Bedingungen und Möglichkeiten für alle Kandidaten schafft, einen echten Wahlkampf zu führen;

b)

gewährleistet, dass alle an den Wahlen beteiligten Parteien auf allen Ebenen der Wahlkommissionen vertreten sind, insbesondere auf der Ebene der Bezirkswahlkommissionen;

c)

sicherstellt, dass in Bezug auf die abgegebenen Stimmen Betrugsmöglichkeiten zweifelsfrei ausgeschlossen sind;

d)

das Verfahren der ersten Stimmabgabe abschafft oder zumindest gewährleist, dass für die erste Stimmabgabe ein von der allgemeinen Stimmabgabe getrenntes Verfahren vorgesehen wird und die Ergebnisse der ersten Stimmabgabe in getrennte Wahlprotokolle aufgenommen werden;

8.

fordert die belarussische Regierung eindringlich auf, die Menschenrechte zu achten, indem sie

a)

die erforderlichen Änderungen des belarussischen Strafgesetzbuches vornimmt und die Artikel 193, 367, 368 und 369 Absatz 1 aufhebt, von denen einige, insbesondere Artikel 193, von Amnesty International genannt werden und oft als Repressionsmittel missbraucht werden,

b)

darauf verzichtet, Studenten, die aufgrund ihres Eintretens für die Bürgerrechte von Universitäten relegiert wurden und ihr Studium im Ausland fortsetzen müssen, mit Strafverfolgung, auch wegen der Umgehung des Wehrdienstes in Belarus, zu bedrohen,

c)

alle Hindernisse für eine ordnungsgemäße Registrierung von nichtstaatlichen Organisationen in Belarus aus dem Weg räumt,

d)

die Behandlung von und die Achtung gegenüber nationalen Minderheiten verbessert, einschließlich der Anerkennung der rechtmäßig gewählten Einrichtung der Vereinigung der Polen in Belarus unter der Leitung von Angelika Borys sowie von Kultur, Kirchengemeinschaften, des Bildungssystems und des historischen und materiellen Erbes,

um die Selbstisolierung des Landes vom restlichen Europa zu beenden und die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus erheblich zu verbessern;

9.

erinnert daran, dass die Europäische Union am 21. November 2006 ihre Bereitschaft erklärt hat, ihre Beziehungen zu Belarus und dessen Bevölkerung im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) zu erneuern, sobald die belarussische Regierung ihre Achtung der demokratischen Werte und der Grundrechte des belarussischen Volkes unter Beweis stellt;

10.

fordert den Rat und die Kommission auf, den Dialog mit Belarus fortzusetzen und gegenüber Belarus eine Politik zu entwickeln, die strikten positiven Bedingungen auf der Grundlage eines abgestuften, schrittweisen Vorgehens unterliegt und Richtwerte, Zeitpläne, eine Revisionsklausel und angemessene Finanzmittel vorsieht;

11.

fordert den Rat und die Kommission auf, im Hinblick auf die Vorteile für die normalen Bürger und auf die Entwicklung einer freien Gesellschaft eine selektive Überprüfung und mögliche Aussetzung der bestehenden restriktiven Maßnahmen zu erwägen;

12.

fordert den Rat und die Kommission auf, die Visumsperre in Bezug auf diejenigen Personen, die direkt an Verstößen gegen die Normen für demokratische Wahlen und an Verletzungen der Menschenrechte beteiligt sind, nicht aufzuheben; fordert, eine teilweise Aussetzung dieser Sanktion für sechs Monate für sonstige an offizieller Stelle Tätige unter der Bedingung in Erwägung zu ziehen, dass während dieses Zeitraums das Ende Juni 2008 verabschiedete restriktive Gesetz zur Regelung der Massenmedien geändert wird, bevor es vollständig umgesetzt wird;

13.

fordert den Rat und die Kommission auf, weitere Schritte im Hinblick auf die Erleichterung und Liberalisierung der Visaverfahren für belarussische Bürger zu unternehmen, da ein solches Vorgehen entscheidend dafür ist, dass das Hauptziel der EU-Politik gegenüber Belarus erreicht wird, das darin besteht, die Kontakte zwischen den Völkern zu erleichtern und zu intensivieren und das Land zu demokratisieren; fordert den Rat und die Kommission in diesem Zusammenhang mit Nachdruck auf, die Möglichkeit einer Senkung der Visumgebühren für belarussische Bürger bei deren Einreise in den Schengen-Raum in Erwägung zu ziehen, da nur so eine zunehmende Isolierung von Belarus und seinen Bürgern verhindert werden kann; fordert die belarussischen Behörden auf, ihre Praxis, ihren Bürgern, insbesondere Kindern und Studenten, Ausreisevisa auszustellen, einzustellen;

14.

fordert den Rat und die Kommission auf, eine selektive Anwendung des Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (2) und des Europäischen Instruments für Menschenrechte- und Demokratie (3) auf Belarus in Erwägung zu ziehen, indem sie die belarussische Bürgergesellschaft stärker unterstützen und insbesondere die finanzielle Unterstützung für die unabhängigen Medien, für nichtstaatliche Organisationen und für die belarussischen Studenten im Ausland aufstocken; begrüßt die finanzielle Unterstützung, die die Kommission der belarussischen Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität gewährt, die sich in Vilnius (Litauen) im Exil befindet; fordert den Rat und die Kommission auf, von der belarussischen Regierung als Zeichen des guten Willens und der Änderung zum Positiven zu verlangen, dass sie es der in Vilnius im Exil befindlichen Europäischen Geisteswissenschaftlichen Universität ermöglicht, rechtmäßig nach Belarus zurückzukehren und sich unter angemessenen Bedingungen für ihre künftige Entwicklung in Minsk wieder niederzulassen; fordert den Rat und die Kommission auf, dem unabhängigen belarussischen Fernsehsender Belsat finanzielle Unterstützung zu gewähren;

15.

fordert den Rat und die Kommission auf, Maßnahmen zu erwägen, um das Geschäftsklima, Handel, Investitionen, Energie- und Verkehrsinfrastruktur sowie die grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Belarus zu verbessern und auf diese Weise zu Wohlergehen und Wohlstand der Bürger von Belarus und dazu beizutragen, dass diese in der Lage sind, in diesem Zusammenhang mit der Europäischen Union zu kommunizieren und ungehindert in die Europäische Union zu reisen;

16.

bedauert die Entscheidung der Staatsorgane von Belarus, die Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente in den letzten Jahren wiederholt Einreisevisa verweigert haben; fordert die Staatsführung von Belarus auf, der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Belarus keine weiteren Hindernisse in den Weg zu legen, damit sie das Land besuchen kann;

17.

begrüßt den Willen der belarussischen Nation, die Unabhängigkeit und territoriale Integrität ihres Landes zu bewahren;

18.

begrüßt das Vorgehen, das die belarussischen Behörden trotz des enormen Drucks bisher gewählt haben, die von Südossetien und Abchasien einseitig erklärte Unabhängigkeit nicht anzuerkennen;

19.

verurteilt die Tatsache, dass Belarus das einzige Land in Europa ist, in dem es noch immer die Todesstrafe gibt, was im Widerspruch zu den europäischen Werten steht;

20.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, den Parlamentarischen Versammlungen der OSZE und des Europarates, dem Sekretariat der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten sowie dem Parlament und der Regierung von Belarus zu übermitteln.


(1)  Angenommene Texte, P6_TA(2008)0239.

(2)  ABl. L 310 vom 9.11.2006, S. 1.

(3)  ABl. L 386 vom 29.12.2006, S. 1.


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