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Document 52008IE0283

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte (Initiativstellungnahme)

    ABl. C 162 vom 25.6.2008, p. 96–100 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    25.6.2008   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 162/96


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte“ (Initiativstellungnahme)

    (2008/C 162/25)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Januar 2007 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Finanzintegration: die europäischen Börsenmärkte“.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 24. Januar 2008 an. Berichterstatter war Herr LEHNHOFF.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 442. Plenartagung am 13./14. Februar 2008 (Sitzung vom 13. Februar) mit 103 gegen 4 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss empfiehlt den europäischen Institutionen, die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinschaft noch intensiver als bisher über die Vorteile aufzuklären, die ihnen der harmonisierte Rechtsrahmen für Wertpapiergeschäfte bietet. Auf diese Weise kann der noch immer verbreitet festzustellenden Beschränkung der Anlage auf den jeweiligen Heimatmarkt (home bias) entgegengewirkt werden.

    1.2

    Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, im Rahmen der im Weißbuch für Finanzdienstleistungspolitik (1) angekündigten Ex-post-Evaluation des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob die zahlreichen Änderungen der europarechtlichen Grundlagen für börsliche und außerbörsliche Handelsplätze eine sinnvolle Integration der europäischen Börsenmärkte fördern und die grenzüberschreitende Anlage von Vermögen erleichtern.

    1.3

    Dies gilt vor allem für die Auswirkungen der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (2), der Prospektrichtlinie (3) und der Transparenzrichtlinie (4) als Teile des Aktionsplanes für Finanzdienstleistungen sowie für die laufenden Bestrebungen zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Abwicklung von Geschäften in Finanzinstrumenten (hier vor allem für die Implementierung der Selbstverpflichtung der Infrastrukturbetreiber durch den „Code of Conduct for Clearing and Settlement“ und die Bestrebungen der Europäischen Zentralbank für eine einheitlich europäische Abwicklungsplattform („Target2/Securities“)).

    1.4

    Der Ausschuss hält es für geboten, dass dieser Evaluationsprozess abgewartet wird, bevor zusätzliche oder ergänzende Schritte für eine Förderung der Integration ergriffen werden. Wenn er es für nötig befindet, wird der EWSA sich wieder mit Vorschlägen für eine weitere Integration der Börsenmärkte zu Wort melden.

    1.5

    In der Mitteilung von 2005 zur Industriepolitik (5) werden sieben Querschnittsmaßnahmen angekündigt, mit deren Hilfe sektorspezifische Initiativen umgesetzt werden sollen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass auf die Liste der sektorübergreifenden Maßnahmen auch effiziente und für europäische Unternehmen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), zu angemessenen Kosten zugängliche Finanzmärkte gesetzt werden sollten. Die MIFID hat die Verbesserung der Funktionsweise dieser Märkte zum Ziel. Aufgrund der mit den Finanzmärkten verbundenen Auswirkungen ist eine umfassendere Auseinandersetzung mit der Rolle, die diesen Finanzmärkten bei der Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zukommen wird, jedoch unabdinglich. Der Ausschuss bedauert, dass mit der Halbzeitbewertung der Industriepolitik (6) keine solche Debatte eingeleitet wurde.

    Das Augenmerk sollte insbesondere auf die Börsenstandorte gelegt werden, da diese für die Marktwirtschaft insgesamt von zentraler Bedeutung sind. Dabei sollten hauptsächlich die Bewegungen der Mittel souveräner Emittenten und Staatsanleihen von Schwellenländern bzw. Ländern verfolgt werden, die über viele natürliche Ressourcen verfügen, insbesondere wenn ihr Investitionsanteil an den Börsenmärkten ausnehmend hoch ist, wie im Falle der London Stock Exchange, wo die Fonds aus Dubai und Qatar nunmehr 48 % der Wertpapiere besitzen. Im Allgemeinen sollte die Kommission mit den Mitgliedstaaten und den Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um die Transparenz dieser Fonds zu verbessern, ihre Hintergründe zu verstehen und sicherzustellen, dass keine politischen Motive dahinter stehen. Prinzipiell ersucht der EWSA „die Kommission, sobald wie möglich einen Entwurf eines Rechtsakts vorzulegen, der darauf abzielt, von den institutionellen Anlegern die Bereitstellung umfangreicherer Informationen über ihre Anlage- und Abstimmungsstrategien zu verlangen“ (7).

    2.   Argumente für die Stellungnahme

    2.1   Auftrag für die Ausarbeitung der Stellungnahme

    2.1.1

    Die Finanzintegration ist elementarer Bestandteil der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Seit der Einführung des Euro ist die Integration des europäischen Finanzsystems zu einem wichtigen Ziel geworden. Die meisten Studien stimmen darin überein, dass diese Integration eindeutig positive Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft hat.

    2.1.2

    In Anbetracht der erheblichen Vorteile, die die europäische Finanzintegration für die gesamte Wirtschaft haben kann, macht die derzeitige, durch die ungenügende Integration zahlreicher Marktsegmente gekennzeichnete Situation das beharrliche Engagement aller Beteiligten für eine Fortführung dieses Prozesses bis zu seiner Vollendung erforderlich.

    2.1.3

    Die Schaffung integrierter, wettbewerbsfähiger und wirksamer Finanzmärkte ist ein wesentlicher Aspekt des Binnenmarktes und der Lissabon-Ziele, damit die Vorteile im Hinblick auf Wachstum und Beschäftigung in vollem Umfang ausgeschöpft werden können.

    2.1.4

    Alle Finanzplätze erfüllen wichtige gemeinwirtschaftliche Funktionen. Die Börsen werden angesichts der wichtigen Rolle, die sie auf den inländischen Finanzmärkten spielen, häufig mit öffentlichen Einrichtungen von nationaler Bedeutung gleichgesetzt. Der europäische Börsensektor wird von traditionellen und häufig einzelstaatlichen Akteuren dominiert. Trotz einiger Börsenzusammenschlüsse und -allianzen ist dieser Markt nach wie vor in ein Dutzend verschiedener Finanzplätze zersplittert. Durch die Elektronisierung der Transaktionen werden die Zwänge und Konflikte eines konkreten geographischen Standortes jedoch vermieden.

    2.1.5

    Die Finanzintegration ist zuallererst ein marktinduzierter Prozess, erfordert jedoch auch wirksame Wechselwirkungen zwischen den Marktkräften und dem Handeln der öffentlichen Stellen. Die staatlichen Behörden in der EU müssen auch weiterhin fest entschlossen sein, den Integrationsprozess zu verstärken. Dies beinhaltet insbesondere den unerschütterlichen Willen der einzelstaatlichen und europäischen Behörden, einen Rechts- und Regelungsrahmen einzusetzen, der darauf ausgerichtet ist, die Integration des Binnenmarktes und die Finanzstabilität zu fördern.

    2.1.6

    Die Bedeutung der europäischen Aktienmärkte als Finanzierungsquelle für Unternehmen ist im Laufe der Zeit auf bisweilen spektakuläre Weise angestiegen. So wird ein gut entwickelter Börsenmarkt die aggregierten Investitionen erhöhen und die Kosten senken. Der Börsenmarkt kann einen wichtigen Beitrag zur Bereitstellung zusätzlicher externer Ressourcen leisten. Der Finanzsektor ist auch deshalb von Bedeutung, weil er die Zuweisung von Mitteln gewährleistet, die eine Weiterentwicklung der anderen Wirtschaftszweige ermöglichen.

    2.1.7

    Die sehr uneinheitlichen einzelstaatlichen Regelungen der Finanzmärkte stellen ein Hindernis dar. Börsenzusammenschlüsse allein — als strategische Aspekte der Finanzregulierung — reichen nicht aus, um die ordnungspolitischen Harmonierungserfordernisse zu erfüllen.

    2.1.8

    Im Falle der Wertpapiermärkte wie dem Anleihen- und Aktienmarkt ist es äußerst wichtig, die Integration der Infrastrukturen für die Wertpapierclearing- und –abrechnungsinfrastrukturen weiter fortzuführen. Die Zahl der unzureichend miteinander verbundenen Clearing- und Abrechnungssysteme ist nach wie vor hoch.

    2.1.9

    Zu einer Zeit, wo die Währungsunion faktisch ein gesamteuropäisches Vorgehen beim Wertpapiermanagement begünstigt, sind die kontinentaleuropäischen Aktienmärkte in der paradoxen Situation, von elektronisierten, aber mit hohen Transaktionskosten verbundenen Aufträgen geleitet zu werden. Dieser Widerspruch erklärt sich in erster Linie durch die immer noch viel zu hohen Kosten für grenzüberschreitende Transaktionen.

    2.2   Allgemeine Bemerkungen — Die europäischen Börsenmärkte

    2.2.1

    (Wertpapier-)Börsen ermöglichen die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage über Finanzinstrumente (Marktfunktion einer Börse). Aus Anlegersicht gesprochen: Die Börse ermöglicht, Eigentum an Finanzinstrumenten zu erwerben oder abzugeben. Aus Sicht der Unternehmen sind Börsen eine wichtige Voraussetzung, um sich Eigen- oder Fremdkapitalmittel verschaffen zu können. Börsen sind damit neben der Kreditfinanzierung durch Banken das zentrale Element der Finanzierung von Unternehmertum. Ohne einen funktionierenden Börsenhandel würde die Platzierung neuer Finanzinstrumente nur in sehr eingeschränktem Maße möglich sein. Die Entstehung eines echten europäischen Börsenmarktes kann für Unternehmen neue Möglichkeiten der Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit durch die Emission von Wertpapieren bieten. Dies gilt auch und gerade für Unternehmen in Ländern, die bisher nur einen Börsenhandel mit geringer Liquidität aufweisen, so dass Emissionen nur mit Einschränkungen erfolgreich durchgeführt werden können. Zudem sollte ein europäischer Börsenmarkt dazu beitragen, dass Anleger die noch immer festzustellende Konzentration auf ihren jeweiligen Heimatmarkt ablegen und vom Wachstum des gesamten europäischen Wirtschaftsraumes profitieren können.

    2.2.2

    Gleichwohl ist insgesamt festzustellen, dass die Unternehmen nur einen geringen Teil ihrer Investitionen (Brutto-Anlageinvestitionen) auf den Börsenmärkten einsetzen. Auch die Nettoemissionen bei Aktien in den Vereinigten Staaten sind rückläufig und in der Euro-Zone gar nicht vorhanden. Das lässt sich nicht durch eine unterschiedliche Zahl der börsennotierten Unternehmen erklären, diese Zahl schwankt kaum. Es kann jedoch durch die Tatsache erklärt werden, dass die Unternehmen sich durch Aktienrückkäufe ihrer eigenen Aktien entledigen, um so eine Erhöhung ihrer Aktienrendite zu erzielen — dem wichtigsten Indikator für die Finanzmärkte.

    2.2.3

    Damit Börsen ihre öffentliche Aufgabe erfüllen können, ist zweierlei nötig: Es muss ein Geschäftsabschluss (Handel) und der Austausch von Finanzinstrumenten und monetärem Gegenwert (Abwicklung) (8) stattfinden. Auch wenn beides zusammen erst einen Börsenbetrieb ermöglicht, sind Handel und Abwicklung doch getrennte Vorgänge, die auch rein faktisch auf unterschiedlichen technischen Plattformen stattfinden. Der Handel wird von den Börsen selbst organisiert, die Abwicklung erfolgt durch Zentrale Gegenparteien (CCP) und so genannte Central Securities Depositories (CSDs). Letztere fungieren als Zentralverwahrer für Wertpapiere und nehmen die Eigentumsübertragung durch Buchüberträge vor (9).

    2.2.4

    In jedem Mitgliedstaat existiert mindestens eine Wertpapierbörse (10). Hinzu kommen Multilaterale Handelssysteme (MTF), die wie Börsen die Zusammenführung von Kauf- und Verkaufsaufträgen über Finanzinstrumente ermöglichen, und Internalisierer, die unmittelbar mit ihren Kunden Verträge abschließen. Die Abwicklung erfolgt überwiegend durch nationale CSDs, die für gewisse Dienstleistungen in ihrem jeweiligen Staat eine Monopolstellung besitzen.

    2.2.5

    Die Vielzahl von Handelsplätzen als solche darf nicht als ein Nachteil des europäischen Kapitalmarktes angesehen werden. Im Gegenteil: Ein effektiver Wettbewerb unter Handelsplätzen sollte nach marktwirtschaftlichen Regeln für die Anleger zu geringeren Transaktionskosten führen. Es ist daher richtig, dass die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) (11) den Ansatz verfolgt, den Wettbewerb der Handelsplätze zu stärken (12).

    2.2.6

    Das Funktionieren des Wettbewerbs der Handelsplätze setzt aber voraus, dass die europäischen Börsen überhaupt in einem tatsächlichen Wettbewerb stehen können. Ein Hindernis für den Wettbewerb war bisher die in vielen Mitgliedstaaten existierende so genannte „Concentration Rule“, nach der sämtliche Orders an regulierte Märkte — in der Regel die lokale Börse — zu leiten waren. Die Möglichkeit einer solchen nationalen Regelung ist durch die MiFID weggefallen. Ein fortbestehendes Hindernis für den europäischen Wettbewerb kann angesichts der rein nationalen Geschichte der Börsen sein, dass die einzelnen Börsen nur ein eingeschränktes, nationales Angebot von handelbaren Finanzinstrumenten anbieten können. Wäre es etwa für eine deutsche Börse gar nicht möglich, französische Finanzinstrumente in den Handel einzuführen, kann insoweit auch kein Wettbewerb stattfinden.

    2.2.7

    Ein Blick auf die an den großen europäischen Börsen gehandelten Finanzinstrumente zeigt allerdings, dass — ungeachtet etwaiger rechtlicher Barrieren — tatsächliche Hindernisse für einen Wettbewerb der Handelsplätze nicht bestehen. So werden etwa an den deutschen Börsen über 13 000 ausländische Finanzinstrumente gehandelt (13). Auch wenn vergleichbare Zahlen an anderen Börsen nicht feststellbar sind, macht dieses Beispiel deutlich, dass die Voraussetzungen für einen effektiven Wettbewerb der Handelplätze vorhanden sind. Etwaige nationale rechtliche Hindernisse verlieren durch die Umsetzung des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen (FSAP) an Bedeutung. So wird mit der Prospektrichtlinie der europaweite Vertrieb von Finanzinstrumenten durch einen einzigen Prospekt ermöglicht. Die MiFID harmonisiert nicht nur Anforderungen an den Anlegerschutz, sondern auch die Regeln für den Betrieb und den Handel an Börsen und außerbörslichen Handelsplätzen. Schließlich werden durch die Transparenzrichtlinie Kapitalmarktinformationen vereinheitlicht. Es wird nunmehr Aufgabe der europäischen Institutionen sein, die konkreten Auswirkungen der neuen rechtlichen Rahmenbedingungen zu bewerten und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Die Ziele des FSAP, insbesondere die grenzüberschreitende Organisation der Finanzmärkte, werden hierbei den Maßstab bilden.

    2.2.8

    Hinterfragt werden kann, ob sich aus einem Wettbewerb der Börsen auch Gefahren für die Qualität von Preisbildungsmechanismen (und damit für die öffentliche Funktion der Börsen) ergeben, und ob diesen durch eine strikte Förderung der Konsolidierungen entgegen gewirkt werden sollte. Auf den ersten Blick erscheint dies durch die Verteilung der Liquidität auf mehrere Handelsplätze naheliegend. Allerdings kann aus der Vielzahl von Handelsplätzen in Europa nicht zwingend auf eine mangelnde Qualität der Preisbildung geschlossen werden. Handelsmechanismen, wie der Arbitragehandel, sorgen hier für einen Ausgleich, zudem bestehen für die Handelsplätze seit dem 1. November 2007 umfassende harmonisierte Vor- und Nachhandels-Transparenzanforderungen (Artikel 27 ff. MiFID). Diese sollen die Vergleichbartkeit der Preise an unterschiedlichen Handelsplätzen sicherstellen und so der zuvor beschriebenen Fragmentierung entgegenwirken. Soweit dies kurz nach der Umsetzung der MiFID in den Mitgliedstaaten beurteilt werden kann, scheint dieser Ansatz zu funktionieren. Datenströme von außerbörslichen Geschäften werden etwa von Project Boat — einem Konsortium von neun Investmentbanken — veröffentlicht und von großen Finanzinformationsdienstleistern mit den Daten der Börsen und MTF konsolidiert. Auf diesem Weg wird eine gegenseitige Beeinflussung der Preise auf unterschiedlichen Handelsplätzen sichergestellt. Konsolidierungen auf der Ebene der Börseneigentümer zur Steigerung der Liquidität sind daher nicht erforderlich.

    2.2.9

    Die Entscheidung für oder gegen Fusionen oder Übernahmen sind — wie auch Kommissar McCreevy betont — vielmehr allein betriebswirtschaftliche Entscheidungen der Börsenbetreiber, sollten also strikt marktgetrieben erfolgen. Aus politischer Sicht kann nur maßgeblich sein, ob rechtliche Hindernisse für Fusionen oder Übernahmen bestehen und wenn ja, ob diese überwunden werden können.

    2.2.10

    Für die Fusion oder Übernahme zwischen den Betreibern von Handelssystemen bestehen dabei keine anderen rechtlichen Hindernisse wie für sonstige gesellschaftsrechtliche Fusionen und Übernahmen. Aktuelle Beispiele wie die geplante Übernahme der Borsa Italiana durch die London Stock Exchange und wie die Fusion zwischen der New York Stock Exchange und der Euronext zeigen dies sogar über den europäischen Rechtsraum hinaus.

    2.2.11

    Besondere rechtliche Probleme kann aber die Etablierung einer gemeinsamen, europaweiten Handelsplattform mit sich bringen. Als Hindernisse genannt werden Unterschiede in den Zulassungsanforderungen und Handelspraktiken, in den steuerlichen Vorgaben und in der Rechnungslegung (14). Eine eingehende Untersuchung — gerade nach der Verabschiedung der MiFID und der Prospektrichtlinie — über die Bedeutung dieser Hindernisse steht noch aus. Doch sind Zweifel angebracht, ob sie tatsächlich so schwerwiegend sind, dass sie in der Praxis nicht überwunden werden können. Gegen ihr Gewicht spricht etwa die gelungene Integration der Handelssysteme der Börsen Amsterdam, Brüssel, Paris und Lissabon unter dem Dach der Euronext und der Zusammenschluss der baltischen und nordischen Börsen zur OMX Nordic. Zudem zeigt sich bereits recht kurz nach der Verabschiedung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, dass Börsen in Zukunft verstärkt in einen intensiven Wettbewerb mit multilateralen Handelssystemen treten werden, die auf Basis eines europäischen Passes in allen Mitgliedstaaten tätig sein können. Beispiele hierfür sind die unter dem Namen „Turquoise“ laufende Initiative von sieben Investmentbanken und die im März 2007 in London gestartete Chi-X Plattform der Chi-X Europe Limited. Eine stärkere Integration der europäischen Börsenmärkte erscheint danach nicht nur möglich, sie dürfte in nächster Zukunft bereits erfolgt sein (15).

    2.2.12

    Die Förderung der Integration der Börsenmärkte darf allerdings nicht als eine Forderung nach der Konzentration von Handels- oder Abwicklungsplätzen auf einer kommerziellen paneuropäischen Plattform missverstanden werden. Es sollte nicht übersehen werden, dass sowohl die neuen außerbörslichen Handelsplattformen als auch die etablierten Börsen Wirtschaftsunternehmen mit Gewinnorientierung sind und eine Monopolisierung zu schlechteren Bedingungen für Emittenten und Anleger führen würde (16).

    2.2.13

    Der Ausschuss empfiehlt den europäischen Institutionen, Alternativen zu einer Förderung der Integration durch Wettbewerb dann zu prüfen, wenn die Konzentration der Börsen etwa dazu führen sollte, dass für regional tätige kleine und mittlere Unternehmen der Zugang entscheidend erschwert würde. Es sollte nicht verkannt werden, dass für kleine und mittlere Unternehmen ein Börsengang an einer regionalen Börse häufig leichter erfolgreich durchzuführen ist als an den großen europäischen Börsen. Denn durch die enge lokale Verbindung sind über eine regionale Börse regionale Investoren direkter ansprechbar. Die zu erwartenden tatsächlichen Entwicklungen sollen daher sorgfältig dahingehend bewertet werden, ob sich der Zugang zu den Börsen für kleine und mittlere Unternehmen erschwert. Sollte dies der Fall sein, könnte ein Lösungsansatz in der Etablierung einer oder mehrerer nicht-öffentlicher Börsen liegen, die speziell den Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen verpflichtet sind.

    3.   Besondere Bemerkungen — Clearing und Settlement an den Börsenmärkten

    3.1

    Das maßgebliche Hindernis für eine effizientere europäische Börsenstruktur ist allerdings nicht in der traditionellen regionalen Orientierung der Börsen zu sehen, sondern in den unterschiedlichen Abwicklungssystemen innerhalb von Europa. Diese Systeme sind ganz überwiegend national fragmentiert, was eine Abwicklung von Börsengeschäften über nationale Grenzen hinweg erschwert und verteuert. (Allerdings bieten die Abwicklungssysteme für rein nationale Wertpapiergeschäfte häufig sehr effektive und kostengünstige Lösungen, die im Rahmen jeglicher Konsolidierungsbemühungen nicht zerstört werden dürfen.) Zur Überwindung der Fragmentierung gibt es bereits eine Reihe von wichtigen Initiativen, mit denen eine effizientere Gestaltung der europäischen Abwicklungsstrukturen angestrebt wird.

    3.2

    Die Giovannini-Berichte (17) haben Hindernisse für eine effiziente Abwicklung von Börsengeschäften identifiziert und analysiert. Nationale Unterschiede bestehen hiernach insbesondere im Hinblick auf technische Standards und Marktusancen sowie im Bereich national verschiedener steuerlicher und rechtlicher Grundlagen  (18). Für Ersteres wird im Augenblick durch die Infrastrukturbetreiber und Marktteilnehmer (vor allem Banken) koordiniert durch die Europäische Kommission innerhalb der Clearing und Settlement Advisory and Monitoring Expert Group (ESAME) nach Lösungen gesucht (19). Vereinheitlichungen, wie beispielsweise der Feiertage, an denen die Abwicklungssysteme geschlossen sind, sind bereits weitgehend umgesetzt, an weiteren Vereinheitlichungen, wie etwa der Abwicklung von „Corporate Actions“, wird gearbeitet.

    3.3

    Technische Standards und Marktpraktiken würden zudem weitgehend harmonisiert, wenn eine aktuelle Initiative zur Schaffung einer europaweiten Abwicklungsplattform für Wertpapiergeschäfte Erfolg haben wird. Im Juli 2006 haben die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken des Euro-Raumes einen Vorschlag für eine einheitliche europäische Plattform zur Abwicklung von Wertpapiergeschäften unterbreitet (20). Diese wird, da technisch mit der bereits existierenden europaweiten Zahlungsplattform „Target“ verbunden, als „Target2/Securities“ bezeichnet. Ergänzend wurden im Januar 2007 erste Studien zu den ökonomischen, rechtlichen und technischen Auswirkungen der geplanten Plattform durch die Europäische Zentralbank veröffentlicht (21). Derzeit werden die technischen Anforderungen an ein solches System zusammen mit den Nutzern erarbeitet (22).

    3.4

    Target2/Securities soll nach den Vorstellungen der EZB zukünftig alle Wertpapiergeschäfte, die gegen Zentralbankgeld abgewickelt werden, umfassen. Die geplante Plattform soll grundsätzlich europaweit einheitlich zur Verfügung stehen und damit insbesondere die grenzüberschreitende Wertpapierabwicklung wesentlich vereinfachen.

    3.5

    Bei einem Erfolg würde Target2/Securities entscheidende Hemmnisse bei einer grenzüberschreitenden Wertpapierabwicklung in Zentralbankgeld in Europa überwinden. Hiermit sollen unter Annahme verschiedener Faktoren auch wesentliche Kostenvorteile für die an einer Wertpapiertransaktion Beteiligten erzielt werden.

    3.6

    Mit dem Code of Conduct haben sich zudem die europäischen CSDs, die zentralen Kontrahenten (CCPs) und die Börsen gegenüber der Europäischen Kommission zu einer Vielzahl von Maßnahmen verpflichtet (23). Hiermit soll insbesondere die Effizienz und die Interoperabilität unter den Infrastrukturbetreibern intensiviert werden. Die Kosten für die grenzüberschreitende europäische Abwicklung sollen im Ergebnis sinken. Bereits Anfang 2007 wurden erste Teile der Verpflichtung umgesetzt. So wurde die Preistransparenz durch Veröffentlichung und Vereinheitlichung der Preisverzeichnisse verbessert, was den Nutzern einfachere Preisvergleiche ermöglicht. Die Infrastrukturbetreiber haben sich zudem verpflichtet, den Zugang zu ihrem System und die Interoperabilität zwischen den Systemen zu verbessern. Die Ende Juni 2007 veröffentlichten Leitfäden konkretisieren diese Verpflichtung so weit, dass eine effektive Vernetzung der Systeme ermöglicht wird. Angesichts der sehr positiven Bewertung der bisherigen Entwicklung des Code of Conduct und seiner Implementierung in der Praxis — wie sie auch und gerade von Kommissar McCREEVY am 10. Juli 2007 im Europäischen Parlament vorgenommen wurde — scheint hier ein belastbarer Weg für eine Förderung der kostengünstigen europaweiten Abwicklung von Wertpapiergeschäften beschritten zu werden.

    3.7

    Derzeit besteht aus politischer Sicht kein über die geschilderten Initiativen hinausreichender Handlungsbedarf für eine Förderung der Konsolidierung der Börsenmärkte. Der Abschluss der verschiedenen Arbeiten zur Erleichterung der Konsolidierung der europäischen Börsenlandschaft — vor allem für den Bereich der Abwicklung von Transaktionen in Finanzinstrumenten — sollte zunächst abgewartet und dann deren Ergebnisse analysiert werden. Sollten diese allesamt scheitern oder im Ergebnis nicht zu einem effizienteren europäischen Börsenhandel führen, wäre zu überlegen, ob weitere regulatorische Maßnahmen insoweit Besserung bringen können.

    Brüssel, den 13. Februar 2008

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  http://ec.europa.eu/internal_m arket/finances/policy/index_en.htm.

    (2)  Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. L 145 vom 30. 4.2004, S. 1-44.

    (3)  Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. L 345 vom 31.12.2003, S. 64-89.

    (4)  Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten.

    (5)  KOM(2005) 474 endg.: „Umsetzung des Lissabon-Programms der Gemeinschaft: Ein politischer Rahmen zur Stärkung des Verarbeitenden Gewerbes in der EU — Auf dem Weg zu einem stärker integrierten Konzept für die Industriepolitik“.

    (6)  KOM(2007) 374, „Halbzeitbewertung der Industriepolitik“.

    (7)  ECO/202 — „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Entwicklung auf den Finanzmärkten“ — CESE 1262/2007 — ABl. 2008/C 10/23 und INT/332 — „Überprüfung des Binnenmarktes“ CESE 89/2007 — ABl. 2007/C 93/06.

    (8)  Begrifflich vielfach bezeichnet als „Clearing und Settlement“.

    (9)  Daneben erfüllen sie weitere Aufgaben, die aus der Verwahrung der Wertpapiere resultieren, z.B. Corporate Actions.

    (10)  Eine Aufstellung der einzelnen Börsen findet sich in der Übersicht über die geregelten Märkte der Kommission (ABl. C 38 vom 22.2.2007).

    (11)  Richtlinie 2004/39/EG (ABl. L 145 vom 30.4.2004, S. 1).

    (12)  Vgl. Erwägungsgrund 34 und die Bestimmungen zur Markttransparenz in Artikel 27 ff. MiFID.

    (13)  Quelle: Deutsche Börse Info Operation, Total Turnover Foreign Shares, March 2007 www.deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/de/notescontent/gdb_navigation/listing/50_Reports_and_Statistics/60_Order_Book_Statistics/INTEGRATE/statistic?notesDoc=/maincontent/Monatsstatistik+auslaendischer+Aktien&expand=1.

    (14)  McAndrew/Stefanadis, Current Issues in Economics and Finance (Federal Reserve Bank of New York), June 2002, 1, 3 f.

    (15)  Siehe hierzu auch EZB-Monatsbericht November 2007, 67, 77 ff.

    (16)  Siehe hierzu auch EZB-Monatsbericht November 2007, 67, 74 f.

    (17)  Vgl.http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/communication_de.htm.

    (18)  Für die Abwicklung sind die nationalen Regelungen zum Eigentumsübergang, zur Verbuchung der Wertpapiere (Depotrecht) sowie zum Insolvenzrecht wichtig.

    (19)  Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/cesame_en.htm .

    (20)  Vgl. http://www.ecb.int/paym/market/secmar/integr/html/index.en.html.

    (21)  Vgl. http://www.ecb.int/paym/market/secmar/integr/html/index.en.html.

    (22)  Umfangreiche Materialien hierzu finden sich auf der Internetseite der Europäischen Zentralbank (www.ecb.int).

    (23)  Vgl. http://ec.europa.eu/internal_market/financial-markets/clearing/communication_de.htm#code.


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