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Document 52008AE1525

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Hin zu einer ausgewogenen städtischen Entwicklung: Herausforderungen und Möglichkeiten

    ABl. C 77 vom 31.3.2009, p. 123–130 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    31.3.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 77/123


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hin zu einer ausgewogenen städtischen Entwicklung: Herausforderungen und Möglichkeiten“

    (2009/C 77/27)

    Am 25. Oktober 2007 ersuchte Jean-Pierre JOUYET, Staatsminister im Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten und Verantwortlicher für europäische Angelegenheiten, im Namen des künftigen französischen EU-Ratsvorsitzes gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu dem Thema:

    „Hin zu einer ausgewogenen städtischen Entwicklung: Herausforderungen und Möglichkeiten“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2008 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL und Mitberichterstatter Herr GRASSO.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 447. Plenartagung am 17./18. September 2008 (Sitzung vom 17. September) einstimmig folgende Stellungnahme:

    STÄDTISCHE ENTWICKLUNG: HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Städte in all ihrer Vielfalt stehen im Mittelpunkt der demografischen und sozioökonomischen Entwicklung in Europa. Ihr Einfluss und ihre Leistungsfähigkeit hängen von ihrer Größe, der Palette ihrer Aktivitäten und der in ihnen vorhandenen Lebens- und Arbeitsqualität ab.

    1.2

    Der EWSA unterstützt die grundlegenden Ideen, die in der Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt und der Territorialen Agenda der Europäischen Union dargelegt sind (1). Er stellt fest, dass zahlreiche Generaldirektionen der Kommission sowie Europäische Programme und Agenturen zunehmend auf die Chancen und Herausforderungen der städtischen Entwicklung Bezug nehmen und dabei häufig auf die Lissabon-Agenda verweisen. Im Herbst 2008 wird die Veröffentlichung eines Grünbuchs zum territorialen Zusammenhalt erwartet.

    1.3

    Die europäische Debatte über flexible und nachhaltige Städte, Stadtregionen oder Ballungsräume in ganz Europa sollte weiter vertieft und ausgeweitet werden. Daher empfiehlt der EWSA die Einrichtung einer hochrangigen EU-Gruppe „Städtische Entwicklung und Nachhaltigkeit“.

    1.4

    In dieser hochrangigen Gruppe sollte eine gründliche Kenntnis spezifischer Interessen der Städte vertreten sein. Das Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt kann als willkommener Ausgangspunkt dienen.

    1.5

    In Zusammenarbeit mit der Kommission (der dienststellenübergreifenden Gruppe Städtische Angelegenheiten), kann eine solche hochrangige Gruppe zu einer effizienteren und gezielten europäischen Debatte über Städte beitragen und u.a. eine zukunftsorientierte Agenda, eine Liste relevanter Themen für Städte, Ballungsräume und Regierungen  (2) erarbeiten. Die Diskussion wird auf eine neue Grundlage gestellt werden. Die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Rat wird in operativer Hinsicht vereinfacht. Hierdurch würde auch die Verantwortung der Regierungen betont werden.

    1.6

    Da zuverlässige Daten entscheidend sind, können die Kommission und Eurostat dazu beitragen, indem sie die statistische Meldepflicht der Ebene 2 und 3 der Nomenklatur NUTS (3) auf Städte und Ballungsräume sowie deren Verbünde ausweiten. Für den Aufbau geeigneter Datenbanken sollten Vereinbarungen mit den Mitgliedstaaten, den nationalen Ämtern für Statistik und mit Forschungsinstituten (4) geschlossen werden.

    1.7

    Das ESPON-Netzwerk (5) ist als Wissens- und Forschungszentrum dazu prädestiniert, Entwicklungen zu beobachten und als Plattform für den Austausch von Analysen zwischen Mitgliedstaaten zu fungieren.

    1.8

    Zwar legen in zahlreichen Bereichen die Regierungen die Bedingungen fest, aber ihre Umsetzung und die konkreten Maßnahmen erfolgen vorwiegend auf dezentraler Ebene, wie etwa in Bezug auf interne und externe Zugänglichkeit, Umwelt, Bildung, Lebensbedingungen von Familien, Unternehmertum, Wissen und Forschung, Beschäftigung, Migration, Minderheiten sowie ethnische und kulturelle Vielfalt, öffentliche Investitionen und öffentliche Dienstleistungen, Anwerbung (ausländischer) Investitionen, Partnerschaften zwischen Behörden und von Behörden mit dem Privatsektor, auch solche mit privaten Finanzierungen usw.

    1.9

    Europa braucht gut ausgestattete Städte und Ballungsräume. Technologische Dynamik und internationale wirtschaftliche Integration bedeuten, dass Städte unmittelbar mit internationalen Tendenzen und Wettbewerb konfrontiert werden. Es überrascht keineswegs und ist vielmehr erfolgversprechend, dass viele Städte und Ballungsräume neue Ziele festlegen. Zu den besten Vorhaben gehören die Einrichtung von Wissenszentren auf allen Ebenen sowie Zentren für zukunftsorientierte Investitionen.

    1.10

    Aufgrund des demografischen Wandels, der Migration, ökologischer Anforderungen und Folgen globaler wirtschaftlicher Veränderungen stehen die Städte häufig vor schweren Herausforderungen, die eine starke Belastung für sie sein können und manchmal zu bedauernswerten Differenzen führen und positive Aussichten untergraben können.

    1.11

    Da sich in ganz Europa ähnliche Tendenzen und Besonderheiten in Städten unabhängig von ihren kulturellen und sozioökonomischen Unterschieden abzeichnen, werden eine kontinuierliche europäische Debatte und ein umfassendes Konzept den nationalen Rahmen und Kontext ergänzen. Neben den Analysen und der Festlegung anzustrebender Konzeptionen sind besonders Leistungsvergleiche und beispielhafte transparente Verfahrensweisen bei integrierten Ansätzen gefragt.

    1.12

    Da Ziele und (juristische, steuerliche und finanzielle) Instrumente der Regierungspolitik sowie deren Umsetzung auf regionaler und lokaler Ebene notwendigerweise aufeinander abgestimmt sein müssen, dürfte eine hochrangige Debatte über verschiedene Szenarien wie auch Analysen und Benchmarking, ungeachtet der kulturellen und institutionellen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten neue Perspektiven eröffnen.

    1.13

    Der EWSA weist auf die Notwendigkeit eines gemeinsamen Konzepts der Generaldirektionen der Kommission in Bezug auf Städte und Ballungsräume hin. Die Sichtbarkeit dieses gemeinsamen Konzepts sollte auch ein Anreiz für die nationalen Regierungen sein, integrierte Ansätze für Städte zu schaffen — eine Forderung, die Städte bereits häufig an die Regierungen und die EU stellen.

    1.14

    Im Mittelpunkt der Analysen und Leistungsvergleiche muss eine breite Themenpalette stehen, die in Ziffer 4.12 aufgeführt ist: Miteinander verknüpfte Aspekte einer Agenda für den Zusammenhalt verstädterter Gebiete und eine nachhaltige Stadt der Zukunft. Diese Aspekte sind großenteils Ausdruck der regionalen Dimension der Lissabon-Agenda, die einen sehr geeigneten Rahmen für sie bietet. Öffentliche und private Einrichtungen und Agenturen und auch zahlreiche Großstädte haben bereits umfangreiche Arbeiten in Angriff genommen, doch mangelt es noch an einem transparenten und kohärenten Konzept.

    1.15

    Die meisten Großstädte und Ballungsräume stehen vor komplexen und schwierigen Entscheidungen. Ein gesamteuropäisches Engagement und Unterstützungen für Analysen können ihnen bei der Ergreifung von Chancen und Bewältigung von Herausforderungen sicher behilflich sein. Beispielsweise wäre es empfehlenswert, (jährliche) Preise oder europäische Auszeichnungen für städtische Aspekte auszuschreiben. Es gibt hervorragende Beispiele in allen Bereichen, wie etwa Städteplanung, Baugestaltung, Migration, Minderheiten und Vielfalt, Mobilität, Technologie und Markt, ökologische Projekte, Energieeinsparung, hochwertiger Wohnraum u.a. Diese sollten in ganz Europa herausgestellt werden.

    1.16

    Politikgestaltung (Governance) ist ein wichtiges und komplexes Thema (6). Häufig wird übersehen oder vernachlässigt, wer wofür verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist. Für Städte sind Führungsstärke, Weitsicht und Kohärenz jedenfalls Grundvoraussetzungen (7).

    1.17

    Komplizierte Verwaltungsstrukturen in Europa, die gewöhnlich seit langem bestehen, sind in der Regel nicht für die aktuelle langfristige Regionalpolitik in dicht besiedelten Regionen geschaffen. Auf europäischer Ebene kann eine Diskussion über die Möglichkeiten einer effizienteren Gestaltung des Regierens auf mehreren Ebenen besonders hilfreich sein. Gleiches gilt auch für Formen der Partnerschaften zwischen Behörden und öffentlich-privaten Partnerschaften in Städten, die zunehmend mehr eine unerlässliche Unterstützung sind.

    1.18

    Eine langfristige europäische Agenda, ein stärkeres Engagement der Kommission und eine Beobachtung auf europäischer Ebene können bei der Festlegung einer abgestimmten Ausrichtung der Maßnahmen auf regionaler und städtischer Ebene hilfreich sein. Diesbezüglich bietet die Lissabon-Agenda einen geeigneten Rahmen. Kohärenz ist auch unumgänglich, um andere öffentliche und private Akteure sowie Stadtfachleute in Programme und Projekte einzubeziehen. Hierzu gehören Schulen und Ausbildungseinrichtungen, der Bereich Hochschulen, Architekten und Städteplaner, regionale Sozialpartner, Handelskammern, Unternehmen, Entwicklungsunternehmen, der Bereich private Finanzierung, Gesundheitsdienste, Kulturorganisationen u.a.

    1.19

    Eine europäische Agenda würde ein neues Modell einer ausgeglichenen polyzentrischen Entwicklung in Europa begünstigen, das neue Gemeinschaftsformen hervorbringen und auch der Gesellschaft allgemein zu Gute kommen würde. Dieser Prozess ist bereits im Gange und sollte nach Ansicht des EWSA volle Anerkennung und Unterstützung erhalten.

    2.   Hintergrund

    2.1

    Die demografische Landschaft der Welt ist im Wandel begriffen. Seit 2007 lebt erstmals in der Geschichte über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Das Phänomen einer zunehmenden Urbanisierung tritt auf allen Kontinenten auf. In der Tendenz ist eine weitere Zunahme dieses Prozesses zu verzeichnen.

    2.2

    Zurzeit leben über 80 % der Bevölkerung in Europa in städtischen Gebieten, davon ein großer Teil in Städten und Ballungsräumen mit mehr als 500 000 Einwohnern. In vielen Gebieten ist eine weiter steigende Tendenz dieser Zahlen zu verzeichnen.

    2.3

    Neben Ballungsräumen wie Greater London und Ile-de-France sowie traditionellen Großstädten, meist Hauptstädte, werden andere, häufig ambitionierte Zentren zunehmend zu Anziehungspunkten für Menschen und Wirtschaftstätigkeiten.

    2.4

    Die EU-Politik berücksichtigt in gewissem Maße diesen demografischen Wandel und dessen soziale und wirtschaftliche Folgen. Stadt- und Urbanisierungsfragen gewinnen in vielen Generaldirektionen zunehmend an Bedeutung, darunter in denjenigen für Forschung, Umwelt, Energie und Verkehr, Unternehmen und Industrie, Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit. Die Regionalpolitik der EU behandelt ebenfalls das Thema Urbanisierung, wie in den Stadtentwicklungsprogrammen URBACT, JEREMIE und JESSICA (8) sowie in Stadtprojekten im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (9) zum Ausdruck kommt. In der Kommission wurde eine dienststellenübergreifende Fachgruppe Städtische Angelegenheiten eingerichtet.

    2.5

    All dies ist Ausdruck eines wachsenden Interesses und gezielter Maßnahmen in den Mitgliedstaaten selbst zur Urbanisierung und der Entwicklung von Ballungsräumen.

    2.6

    Neben einer steigenden Zahl von Analysen und Studien zum Thema Städte und Urbanisierung in den Mitgliedstaaten wurden von dem Netzwerk ESPON zahlreiche geografische Karten zu aktuellen demografischen und sozioökonomischen Tendenzen erarbeitet.

    2.7

    1997 legte die Kommission ein globales Konzept für Städte unter dem Titel „Wege zur Stadtentwicklung in der Europäischen Union“ vor (10).

    2.8

    In mehreren informellen Ministertreffen zur Stadtentwicklung und zum territorialen Zusammenhalt im Zeitraum November 2004 (Rotterdam) bis Mai 2007 (Leipzig) betonten die für Raumplanung und städtische Angelegenheiten zuständigen Minister die Bedeutung der Stadtentwicklung und des territorialen Zusammenhalts in Europa und legten zahlreiche Bereiche von gemeinsamem Interesse fest.

    2.9

    Dieser Prozess führte zur Verabschiedung der „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ und der Territorialen Agenda im Mai 2007 in Leipzig, die während des slowenischen Ratsvorsitzes im Rahmen eines Follow-up zu dem Projekt „Territoriale und städtische Koordinierung“ konkretisiert wurden.

    2.10

    Parallel zu den informellen Ministertreffen werden die Kontakte zwischen führenden Beamten der Mitgliedstaaten intensiviert. Manchmal werden Forschungsinstitute aufgefordert, spezifische Aspekte zur Stadtentwicklung zu vertiefen (11).

    2.11

    Trotz vieler Untersuchungen und der Aufzählung der Gebiete, die einen dynamischen Urbanisierungsprozess verzeichnen, bleibt unklar, welchen globalen Ansatz Kommission und Rat hinsichtlich der Urbanisierung und ihrer künftigen Entwicklung in Europa verfolgen.

    2.12

    Im Februar 2008 verabschiedete das Europäische Parlament einen Bericht „Follow-up der Territorialen Agenda und der Charta von Leipzig — Ein europäisches Aktionsprogramm für Raumentwicklung und territorialen Zusammenhalt“ (12). In diesem Bericht wird betont, wie wichtig ein integrierter Ansatz bei der Regional- und Städteplanung ist, wenn die Regionen und Städte zu einer besseren Anpassung an den ökonomischen Wandel im Interesse der Lebensqualität der Bürger Europas befähigt werden sollen.

    2.13

    Im November 2007 verabschiedete der Ausschuss der Regionen eine Stellungnahme zu dem „Vierten Bericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ (13). In dieser Stellungnahme fordert der Ausschuss, „dass angesichts der zentralen Bedeutung der europäischen Städte für die Erreichung der Ziele der Strategien von Lissabon und Göteborg sowie für die soziale Integrationetwa von Zuwanderernim 5. Kohäsionsbericht die städtische Dimension in einem eigenen Kapitel behandelt wird“.

    2.14

    Zwischen europäischen Städten bestehen wesentliche Unterschiede: So gibt es große und kleine, dicht besiedelte und weniger dicht besiedelte Städte, unterschiedliche Stadtlandschaften wie etwa Großstädte und Städtegruppen sowie wohlhabende und weniger entwickelte Städte. Auffallend sind aber auch die Gemeinsamkeiten: So ist eine ungesteuerte demografische Verschiebung hin zu den Städten und eine wachsende wirtschaftliche Attraktivität von Großstädten zu verzeichnen, und diese Städte stehen vor ähnlichen Herausforderungen.

    2.15

    Die Gesamtheit der Chancen und Herausforderungen wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass heutzutage eine erfolgreiche Städteplanung nicht nur auf Raumplanung und Wohnungsbau begrenzt ist, sondern im Rahmen eines ganzheitlichen Ansatzes auch ausdrücklich alle relevanten sozioökonomischen Faktoren berücksichtigt. Zunehmend zukunftsorientierte urbanistische und Planungsprojekte werden auf der Grundlage integraler Konzepte territorialer, ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Aspekte erarbeitet.

    2.16

    Auch wenn Regierungen eine progressive Stadtentwicklung bevorzugen, bleiben die Ansätze dazu häufig unklar. Die Art und Weise, wie Entwicklungen umgesetzt und erfolgreich bewältigt werden, unterscheiden sich von Land zu Land und sogar von Stadt zu Stadt teilweise erheblich. Dies betrifft natürlich auch die Entwicklung von Großstadtregionen und Ballungsräumen.

    2.17

    Der EWSA formulierte seine allgemeinen Ansichten zum Thema Urbanisierung 1998 in einer Stellungnahme „Wege zur Stadtentwicklung“. Anschließend folgten weitere Stellungnahmen, darunter zwei spezifische in den Jahren 2004 und 2007 zu dem Thema „Die großstädtischen Ballungsgebiete: sozioökonomische Auswirkungen auf die Zukunft Europas“. Im Jahr 2007 wurde auch eine Stellungnahme zu der Territorialen Agenda der EU veröffentlicht. Darüber hinaus behandeln eine Reihe von Stellungnahmen des EWSA besondere Bereiche, die für Städte und Urbanisierung von Interesse sind (siehe Anhang).

    3.   Analyse und Entwicklung

    3.1

    Städte und die Lebensweise von Menschen in Gemeinden spiegeln geschichtliche Zeitabschnitte und die entsprechende Entwicklung der Gesellschaft wider.

    3.2

    Neben strategischen und politischen Gründen waren Wirtschaft und Sicherheit die wichtigsten treibenden Kräfte bei der Gestaltung von Gemeinden und Städten und ihrer Wechselbeziehungen.

    3.3

    Die moderne Geschichte der europäischen Städte begann, als voll entwickelte Agrargesellschaften vor dem Hintergrund von Wirtschaft und Handel zur Entstehung von Städten auf dem ganzen Kontinent führten. Die darauf folgenden Stadien der Industrialisierung hatten einen Wandel der bereits bestehenden Städte bzw. die Entstehung neuer Städte zur Folge. Ab dem späten 19. Jahrhundert führte die Industrialisierung zu einem enormen Wachstum dieser Städte. Die lange historische Entwicklung mit dem kulturellen Erbe, den Industriegebieten und den Wohnvierteln usw. ist in den meisten Städten durchaus noch sichtbar.

    3.4

    In den letzten Jahrzehnten haben sich die traditionellen Industriezentren grundlegend verändert. Viele von ihnen erfuhren und erfahren immer noch schmerzhafte Umstrukturierungen, da die traditionellen industriellen Prozesse allmählich verdrängt werden.

    3.5

    Aufgrund der technologischen Dynamik und Globalisierung sind neue Prozesse im Gange. Es findet ein Übergang von der Massenproduktion zu maßgeschneiderter Produktion und zahlreichen Spezialisierungen sowie kontinuierlicher Erneuerung einerseits und einem sich stark ausdehnenden Dienstleistungssektor andererseits statt. Es ist ein enormer Anstieg der Mobilität zu verzeichnen, und es findet eine Verlagerung der Bevölkerung u.a. aus ländlichen Gebieten in die Städte sowie aufgrund der Migration statt.

    3.6

    Das Umfeld der Menschen der westlichen Welt wird grenzenlos und hat praktisch sehr weite Horizonte, und diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Alltagsrealität in allen Bereichen des menschlichen Wirkens.

    3.7

    Dieses tägliche Umfeld ist für viele Menschen nicht mehr länger das einzelne Dorf oder die Stadt, sondern umfasst zunehmend größere regionale Verwaltungseinheiten, die eine neue Art der Urbanisierung schaffen.

    3.8

    Es bilden sich verstärkt spontan und/oder bewusst vernetzte Städte oder Regionen heraus: Dies ist am Beispiel der Entwicklung von Großstädten und Ballungsräumen in Europa zu sehen. Man beobachtet in der modernen urbanisierten Gesellschaft, dass eine neue geografische Realität entsteht, die aus einflussreichen Wirtschaftsregionen und einer großen Zahl untergeordneter Regionen besteht, die häufig nicht mehr mit den bestehenden Verwaltungseinheiten übereinstimmt.

    3.9

    Ein wesentliches Merkmal dieser neuen Stadtregionen ist ihre kritische Größenordnung, die für die angemessene Bewältigung der Urbanisierung zum Nutzen aller Bürger sowie für ihre Lebens- und Arbeitsqualität erforderlich ist. Das kritische Ausmaß kann in Abhängigkeit von besonderen geografischen, wirtschaftlichen und demografischen Umständen sehr unterschiedlich sein.

    3.10

    Nach einem Jahrzehnt durchgeführter Studien und Diskussionen auf nationaler Ebene über die „künftige Karte“ Deutschlands wurden im Jahr 2004 elf Ballungsräume festgelegt, die als einflussreiche Wirtschaftsregionen eingestuft wurden. Trotz anfänglicher skeptischer Reaktionen wird dieses Konzept nun weiter ausgearbeitet. Die Beziehungen und wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen städtischen Ballungsräumen und ländlichen Gebieten sind ein aktuelles Thema.

    3.11

    Gleichzeitig wurden Studien von DIACT (14) in Frankreich durchgeführt, nach denen eine Reihe von Metropolen festgelegt wurden. Im Januar 2008 wurde ein politisches Papier „Imaginer les métropoles d'avenir“ (Metropolen der Zukunft) (15) vorgestellt, das als Anreiz für eine weitere Förderung dieser Zentren in Frankreich und für eine geeignete diesbezügliche Gesetzgebung dienen kann. Auch im Vereinigten Königreich sind zahlreiche Maßnahmen in Bezug auf Stadtregionen zu verzeichnen.

    3.12

    Mehr oder weniger ähnlich ausgerichtete Initiativen werden von anderen Regierungen und/oder regionalen und lokalen Gebietskörperschaften unternommen: in den skandinavischen Ländern, den baltischen Staaten, Irland und Österreich überwiegend zu den Hauptstädten und ihren Umgebungen sowie in den Niederlanden zum Ballungsgebiet Randstad. In großen Mitgliedstaaten wie Spanien, Italien und Polen bilden sich mehrere vorherrschende Zentren heraus.

    3.13

    Neben den hauptsächlichen Zentren entstehen Strukturen von untergeordneten Zentren, die die Urbanisierung zu einem bedeutenden Merkmal der europäischen Landschaft machen, ohne gleichmäßig auf dem ganzen Kontinent verbreitet zu sein.

    3.14

    Soziale und wirtschaftliche Entwicklungen führen zu einem polyzentrisch urbanisierten Europa, das nicht mehr auf ein bestimmtes geografisches Gebiet wie die traditionelle „Blaue Banane“ oder auf eine exklusive Gruppe von Hauptstädten begrenzt ist.

    4.   Chancen und Herausforderungen

    4.1

    Eine entscheidende Frage ist, wie die nachhaltige Stadt im Europa der Zukunft als eine attraktive Gemeinde für seine Bürger aussehen wird und muss? Mit Blick auf eine europäische Debatte über die komplizierten städtischen Entwicklungen ist eine Reihe von vorherrschenden Faktoren und Tendenzen zu unterscheiden, die oft verschiedene Realitäten in und zwischen Großstädten oder Stadtregionen in ganz Europa erfassen.

    4.2

    Unter diesen Faktoren und Tendenzen sind folgende hervorzuheben:

    demografischer Wandel, darunter:

    alternde Bevölkerung

    Städte als Anziehungspunkte für junge Fachkräfte

    zunehmende ethnische und kulturelle Vielfalt infolge der Einwanderung

    Gruppen von Städten und Gemeinden, die als vernetzte Städte und Regionen oder Ballungsräume gelten;

    Verkehr und Mobilität: einflussreiche Wirtschaftsgebiete erlangen in Europa und darüber hinaus einen immer größeren Verflechtungsgrad;

    internationale Investitionen und Firmensitze, was Unternehmensdienstleistungen nach sich zieht;

    zunehmende Zahl von Wissens- und Forschungszentren;

    Entstehen neuer Industrie- und Dienstleistungsbranchen und Betonung der Kreativität;

    sich dynamisch ändernde Arbeitsmärkte;

    Ausbau der Verkehrsanbindungen;

    moderner Wohnungsbau und entsprechende Raumplanung;

    Entstehung neuer Zusammenschlüsse innerhalb verstädterter Gebiete;

    Wiederbelebung städtischer Zentren und verringerte Zersiedlung;

    Freizeit und Veranstaltungen;

    Betonung der Kultur (darunter Geschichts- und Naturerbe) und kulturelle Einrichtungen.

    4.3

    Unterdessen verschärfen sich die bestehenden Probleme in kleineren Städten und es entstehen neue Herausforderungen:

    Nachhaltigkeit, Umweltaspekte, Energie;

    Entvölkerung von Stadtzentren;

    Begrenzung des Umfangs öffentlicher urbaner Räume sowie Herausforderungen im Zusammenhang mit deren Qualität;

    Infrastruktur, Verkehrssysteme und Erreichbarkeit;

    Bewältigung der Mobilität;

    Probleme geringqualifizierter Menschen: Arbeit, Bildung, Wohnen;

    Probleme im Zusammenhang mit einer alternden Bevölkerung;

    unzureichendes Unternehmertum, insbesondere in strukturschwachen Gebieten;

    illegale Einwanderung;

    Bildung und Fähigkeiten;

    in einem früheren Stadium gescheiterte oder vernachlässigte Raumplanung, z.B. in Vororten;

    Randgruppen und Kriminalität;

    Terrorismusgefahr.

    4.4

    Die demografische Struktur von Großstädten und Ballungsräumen ist oft mit Herausforderungen, aber auch mit Chancen verbunden. Dies unterscheidet sich von Stadt zu Stadt in Abhängigkeit von der Bevölkerungszusammensetzung und den wirtschaftlichen Möglichkeiten sowie von der nationalen Politik. Eine erfolgreiche Integrationspolitik von Aufnahmeländern führt gewöhnlich zu einem höheren Grad der Eingliederung.

    4.5

    Die Beziehungen zwischen ländlichen Gebieten und Städten sind eine echte Herausforderung. Ungeachtet der allgemein verbreiteten und politischen Ansichten ist eine harmonische Beziehung zwischen ländlichen Gebieten und Städten für die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Ballungsräumen von entscheidender Bedeutung und steht der gewöhnlichen Auffassung des „Entweder-Oder“ bzw. „Wir und die anderen“ entgegen. Dies passt hervorragend zu dem neuen Modell der polyzentrischen Entwicklung.

    4.6

    Obgleich die Ausgangspunkte für die Städte aufgrund unterschiedlicher Entwicklungsniveaus verschieden sein können, sind die meisten Unterschiede gradueller Art. Im Wesentlichen spiegeln die Muster der Urbanisierung in den neuen Mitgliedstaaten dieselben Phänomene wider, jedoch noch in einem gewissen Abstand. Die Stadterneuerung ist eines der ersten Ziele. Da das Wirtschaftswachstum zu höheren öffentlichen Ausgaben, zu mehr privaten Investitionen und höheren Einkommensniveaus führt, wird die Urbanisierung zunehmend in ganz Europa dieselben Merkmale aufweisen.

    4.7

    In politischen Dokumenten und Projektvorschlägen in Bezug auf die Urbanisierung bezieht sich die Kommission derzeit systematisch auf die Lissabon-Agenda. Die Dokumente des Rates und der Mitgliedstaaten verweisen ebenfalls immer häufiger auf dieselbe Verbindung. In den strategischen Leitlinien der Kommission wird von Städten als Motoren der regionalen Entwicklung und als Innovationszentren gesprochen, aber auch von dem Erfordernis, den inneren Zusammenhalt durch Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Kriminalität zu stärken und die Lebensqualität in benachteiligten Stadtvierteln zu erhöhen.

    4.8

    Die Lissabon-Agenda wurde als ein von oben nach unten gerichteter Prozess eingeleitet. Unterdessen sind die Kommission und der Rat zu der Überzeugung gelangt, dass auch von unten nach oben gerichtete Kräfte aktiviert werden müssen. Unter diesen Bottom-up-Kräften sind die sich entwickelnden Städte wichtige Akteure: ein entscheidender Teil der Modernisierung europäischer territorialer und sozioökonomischer Strukturen wird hauptsächlich über öffentliche und private Investitionen und konkrete Maßnahmen in Regionen und Städten abgewickelt. Städte sind gewöhnlich die beste geografische Ebene für den öffentlichen, privaten und universitären Sektor, um mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten und die für Europa erforderlichen Innovationen zu bewirken.

    4.9

    Deshalb ist der EWSA der Auffassung, dass Großstädte und Ballungsräume ihre eigene Lissabon-Agenda in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, nachhaltige Entwicklung, sozialer Zusammenhalt und Integration festlegen müssen. Eine solche Agenda sollte politischen Entscheidungsträgern und alle anderen Betroffenen auf regionaler Ebene eine zukunftsorientierte Struktur und ein langfristiges Programm bieten. Auf diese Art wird das Selbstvertrauen der Städte und städtischen Regionen gefördert und ihre Ausdrucksmöglichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene gestärkt.

    4.10

    In dichter besiedelten Gebieten muss eine langfristige regionale Agenda integriert oder ganzheitlich sein, d.h. alle Aspekte sollten miteinander verknüpft sein. Je besser die Bedingungen für private Investitionen sind, desto mehr Möglichkeiten bestehen für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für öffentliche Dienstleistungen und die Betreuung schwacher Gruppen wie (vereinsamte) ältere Menschen und geringqualifizierte Menschen (16). Eine besondere und gezielte Beachtung der Nachhaltigkeit und der allgemeinen Qualität der bebauten Umwelt werden dazu beitragen, solche Städte und Regionen für die Bevölkerung und für (internationale) Investitionen attraktiver zu gestalten. Bessere Bedingungen für den sozialen Zusammenhalt werden die Schaffung von Arbeitsplätzen erleichtern. Globale und dauerhafte Strategien werden gegenüber der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit gewinnen (17).

    4.11

    Es sollte auch bedacht werden, dass die Märkte oft infolge räumlicher Starre nicht funktionieren: Wohnungswesen, Entwicklungspolitik, Infrastruktur, Verkehr und Mobilität. Die Lösung für solche Unbeweglichkeit muss in der Regel auf Ebene der Großstadtregionen gefunden werden. Eine Integration von Märkten kann auch dazu führen, dass nationale Grenzen hinfällig werden (18).

    4.12

    Es seien folgende miteinander verknüpfte Aspekte einer Agenda für den Zusammenhalt qualitativ hochwertiger verstädterter Gebiete und für nachhaltige Städte der Zukunft genannt:

    Schaffung von Bedingungen für eine moderne wirtschaftliche Entwicklung, für KMU, internationale Investitionen und Firmensitze durch Förderung von Wirtschaftsclustern;

    korrekte Durchführung des Gemeinschaftsrechts und Vereinfachung regionaler und lokaler Vorschriften;

    Beschäftigungspolitik und sozialer Dialog auf regionaler Ebene;

    allgemeine und berufliche Bildung auf allen Ebenen für alle Kategorien, darunter lebenslanges Lernen, Vereinbarung von Arbeit und Bildung sowie e-Learning;

    familienfreundliche Lebensbedingungen wie etwa erschwingliche Kinderbetreuung;

    Forschung und Entwicklung, d.h. Forschungseinrichtungen, Technologie- und Wissenschaftsparks, Innovationen;

    materielle Infrastruktur:

    Beteiligung an transeuropäischen Netzen

    Mobilitätsmanagement (19)

    multimodale öffentliche Verkehrssysteme

    öffentlich-private Partnerschaften, auch mit privater Finanzierung;

    immaterielle Infrastruktur:

    Telekommunikationen

    IKT als grundlegende Anforderung, Verbreitung von Breitbandanschlüssen und Interkonnektivität;

    nachhaltige Entwicklung:

    Durchführung der Umweltpolitik

    Vermeidung negativer Aspekte der Zersiedelung, Begünstigung städtischer Verdichtung

    spezifische Bereiche wie Abfall- und Wasserbewirtschaftung und Energieeffizienz, z.B. im Bau- und Wohnungswesen und (öffentlichen) Verkehr, Straßengebührensysteme usw.

    sozialer Zusammenhalt (20):

    nachhaltige Stadtplanung und Architektur

    sozialer Wohnungsbau für sozial schwache Gruppen

    gleiche Dienstleistungen von öffentlichem Interesse (Gesundheitsfürsorge, Bildung, Sicherheit) in der Region

    öffentliche Verkehrsnetze in der gesamten Region, einschließlich Verbindungen zu strukturschwachen Gebieten

    gezielte Aufmerksamkeit für ethnische und kulturelle Vielfalt und interkulturellen Dialog

    Beseitigung von Barrieren, die das Leben von Stadtbewohnern, insbesondere älteren und behinderten Menschen, erschweren

    öffentliche Maßnahmen zur Verringerung hoher Arbeitslosenquoten unter Jugendlichen in benachteiligten Stadtgebieten: Bildung, neue Wirtschaftsmaßnahmen, Förderung von Unternehmertum, Veranstaltungen

    Kultur, kulturelle Einrichtungen, Veranstaltungen

    Sport und Freizeit

    Tourismus

    Förderung einer gemeinsam empfundenen regionalen Identität.

    4.13

    Für die moderne Stadt ist eine hochmoderne „Baukultur“ (21) ausschlaggebend, d.h. ein allgemeines architektonisches Konzept, das sich auf einen ganzheitlichen Ansatz stützt, bei dem Architekten, Planer, Designer, die Bauindustrie, Bauentwickler und Endverbraucher zusammenarbeiten, um eine bebaute Umgebung zu schaffen und zu erhalten, in der es um Qualität geht, damit Lösungen für nachhaltige Städte gefunden werden (22).

    5.   Urbanisierung und Politikgestaltung

    5.1

    Europa benötigt flexible und umweltverträgliche Städte, Stadtregionen und Ballungsgebiete, die in der Lage sind, sich international zu präsentieren.

    5.2

    Damit wird Politikgestaltung zur obersten Priorität. Es gibt ein breites Einvernehmen über die Chancen und Probleme, es gibt einen zunehmenden Meinungsaustausch zwischen Städten, aber jenseits der unterschiedlichen Bedingungen zwischen Städten bleibt unklar, wer in welchen konkreten Situationen wofür zuständig ist:

    wünschenswert wären gemeinschaftliche Begriffsbestimmungen für Großstädte und Stadtregionen (23);

    die Verteilung der Tätigkeiten zwischen den Zentralregierungen und den Verwaltungen der Großstädte oder Ballungsgebiete und die Erwartungen an diese variieren erheblich;

    in Mitgliedstaaten, in denen mehr als ein Ministerium für städtische Fragen zuständig ist, gibt es häufig Unklarheiten und Missverständnisse;

    welche Rolle soll die Kommission spielen?

    die vorhandenen Barrieren zwischen den regionalen und lokalen Verwaltungen bei der Politikgestaltung auf lokaler und regionaler Ebene sind häufig Hindernisse für notwendige Maßnahmen;

    unbefriedigendes Regierungshandeln zwischen verschiedenen Ebenen ist häufig die Ursache für komplizierte Probleme;

    bezüglich der Art und Weise, wie Stadtverwaltungen mit den Einwohnern und anderen wichtigen Akteuren kommunizieren, d.h. bezüglich der Organisation der „partizipativen Demokratie“ gibt es erhebliche Unterschiede;

    die Rolle spezialisierter Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel für Wohnungsbau, Bildung, Minderheiten, Wirtschaft und Sonstiges ist häufig nur vage definiert und somit auch der Umfang, in dem Städte und Stadtregionen von ihnen profitieren können;

    für Partnerschaften zwischen Behörden und für öffentlich-private Partnerschaften zugunsten von städtischen Programmen, wichtigen Investitionen und kreativen Lösungen gibt es nicht immer ein kohärentes Konzept;

    für die umweltverträgliche Stadt der Zukunft sind langfristige Konzepte erforderlich;

    Transparenz und Legitimität sind unerlässliche Instrumente für langfristige Strategien.

    5.3

    Die Praxis zeigt, dass Führungsstärke, Weitsicht und Kohärenz in der Regel Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung des Wandels und für kontinuierliche Fortschritte der Städte sind.

    5.4

    Die Städte und Ballungsgebiete sind Anziehungspunkte und Lebensumfeld enorm vieler Menschen, und die Bedeutung ihres sozioökonomischen Potenzials für Europa steht außer Frage; deshalb hält der EWSA eine gründliche Diskussion ihrer Auswirkungen in ihrer Gesamtheit, also nicht nur auf einzelstaatlicher, sondern auch auf EU-Ebene, für unbedingt erforderlich.

    5.5

    Da der EG-Vertrag bis vor kurzem keine Bestimmungen über die räumliche Entwicklung aufwies und wegen der Subsidiarität blieben die Aufgaben der Kommission und des Rates unklar. Aber inzwischen führen die Generaldirektionen der Kommission in unmittelbarem Kontakt mit den Städten immer mehr und vielfältige Vorhaben in städtischen Gebieten durch. Arbeitsgebiete sind Forschung und Entwicklung, Umwelt, Beschäftigung und Verkehr (24).

    5.6

    Auch die Städte werden im Hinblick auf Brüssel zunehmend aktiver, weil die EU-Rechtsvorschriften sie unmittelbar betreffen, vor allem Themen wie Umweltrecht, öffentliches Auftragswesen, Jugendarbeitslosigkeit, öffentliche Ordnung und Sicherheit, Einwanderung und benachteiligte Gebiete.

    5.7

    Dasselbe gilt für die Agenda von Lissabon insgesamt. Die europäischen Kriterien für die verschiedenen Themenbereiche werden zunehmend mehr auf ihre regionale Anwendung hin beurteilt: Welche Auswirkungen hat die Durchführung der Vorschläge und/oder eine angenommene Rechtsvorschrift auf der städtischen oder metropolitanen Ebene? Es gibt Beispiele dafür, dass ohne Berücksichtigung der spezifischen städtischen Bedingungen die Durchführung eines Vorhabens teurer werden kann als der Nutzen durch die Zuwendungen aus den Strukturfonds.

    5.8

    Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA die Absicht der Kommission, in Kürze ein Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt vorzulegen. Eine Diskussion zu diesem Grünbuch bietet auch die Möglichkeit, die Debatte über die Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt zu vertiefen.

    5.9

    Die unter Ziffer 4.12 genannte Agenda ist ziemlich ehrgeizig. Gewöhnlich sind die Situationen sehr kompliziert. Bislang wurde eine kohärente strategische Sicht auf die Großstädte und die Stadtregionen nur in wenigen Fällen entwickelt. In vielen Fällen hingegen lässt sich keine klare Ausrichtung erkennen, was zum Teil durch die zwiespältige Standpunkte der Regierungen und unterschiedliche Ansichten in den einzelstaatlichen Verwaltungen wie auch auf der metropolitanen Ebene bedingt ist.

    5.10

    Andererseits ist eine langfristige Sicht und Kohärenz auf der metropolitanen Ebene für ein stärkeres Engagement der bestehenden und u.U. auch neuen Kommunen, für Beteiligte aus dem privaten Sektor und für die Schaffung von zweckmäßigen Allianzen innerhalb der organisierten Zivilgesellschaft unerlässlich. Gegenwärtig sieht dies noch sehr schwierig aus, weil das Konzept der Ballungsgebiete ein ziemlich neues Phänomen ist, das allerdings in Europa eine fruchtbare Debatte darüber umso wünschenswerter macht (25).

    5.11

    Dies heißt nicht, dass alle Fälle gleich sind, vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Abgesehen von den demographischen und sozioökonomischen Unterschieden in Europa gibt es eine breite Palette von unterschiedlichen administrativen und kulturellen Traditionen zwischen Ländern und Regionen. Konkrete Situationen, Lebensstile und die Einstellungen zum Thema Organisation weichen erheblich voneinander ab. In manchen Fällen war eine einzige Leitidee oder -vision entscheidend für die Zukunft. Allgemeiner betrachtet kann die Agenda von Lissabon hilfreich dafür sein, eine gemeinsame Grundlage für Diskussionen und Konzepte zu entwickeln.

    5.12

    Häufig lässt die Zentralregierung den Städten nicht genügend Spielraum für die Gestaltung ihrer eigenen Geschicke. Politik ist in erster Linie eine Bewegung von oben nach unten und das gleiche gilt für Verwaltungsverfahren. Hingegen könnte die Förderung der Selbstbestimmung geeignete Voraussetzungen für die Durchführung von passenden und wünschenswerten Strategien und Maßnahmen schaffen. Durch eine Neudefinition der Stellung der Großstädte und Stadtregionen oder Ballungsräume könnten diese zu echten „eigenverantwortlichen Kommunen“ gemacht werden.

    5.13

    Selbstbestimmung und gegenseitige Achtung zwischen Städten und Landkreisen werden die Eigenverantwortung und Verantwortungsbereitschaft der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften stärken und zu einer wünschenswerten engagierten Haltung der Zivilgesellschaft und des privaten Sektors führen.

    5.14

    Um effektiv sein zu könnnen, müssen in vielen Fällen die vorhandenen lokalen und regionalen Gebietsverwaltungen (Gemeinden u.a.) und ihre Zuständigkeiten neu geregelt werden.

    5.15

    Die Bevölkerung der europäischen Städte dürfte sich noch weiter ausdifferenzieren, sei es in Bezug auf Beschäftigung und Einkommen wie auch kulturell. Potenziell sind alle Voraussetzungen vorhanden, um eine reichere Stadtkultur zu schaffen, aber wenn die Prozesse nicht gut gesteuert werden, werden die in ihnen steckenden Möglichkeiten nicht entfaltet und kann der Zusammenhalt der Gesellschaft in Gefahr geraten.

    5.16

    Zielgerichtete Diskussionen, Festlegung der Prioritäten und wirksame Überwachung auf europäischer Ebene können äußerst hilfreich für die Festlegung einer konsequenten Ausrichtung auf regionaler Ebene sein. Eine solche Kohärenz ist nicht nur bei den staatlichen Akteuren nötig, sondern auch unerlässlich, um andere (halb-)öffentliche und private Beteiligte und Akteure anzuregen, sich zu engagieren.

    Brüssel, den 17. September 2008

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  „Leipzig-Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt“ und „Territoriale Agenda der Europäischen Union: Für ein wettbewerbsfähigeres nachhaltiges Europa der vielfältigen Regionen“, angenommen auf dem informellen Ministertreffen zur Stadtentwicklung und zum territorialen Zusammenhalt in Leipzig am 24./25. Mai 2007.

    (2)  Bezüglich des Inhalts dieser Agenda könnte als Leitlinie dienen, was Herr FALCO, französischer Staatssekretär für Raumplanung, am 16. Juli 2008 vor dem REGI-Ausschuss des Europäischen Parlaments sagte: „Wir möchten in Partnerschaft mit den lokalen Entscheidungsträgern einen gemeinsamen Bezugsrahmen für eine nachhaltige und solidarische Stadt entwickeln. Konkret geht es darum, einen gemeinsamen Prozess für die Ausarbeitung von gemeinsamen Kriterien und Indikatoren ins Leben zu rufen, mit denen die Empfehlungen der Charta von Leizig einen maßnahmenorientierten Inhalt bekommen“.

    (3)  Nomenklatur der Gebietseinheiten zu statistischen Zwecken, erstellt von EUROSTAT. NUTS 2: 800 000 bis 3 000 000 Einwohner; NUTS 3: 150 000 bis 800 000 Einwohner.

    (4)  TNO, ein niederländisches Forschungsinstitut, hat ein Monitorsystem zu einer breiten Palette von Variablen auf Großstadtebene entwickelt: Demografie, Wirtschaft (Mehrwert und Arbeitsproduktivität), Arbeitsmarkt (Arbeitslosigkeit, Bildung, Erwerbsbevölkerung), Umwelt (Luftqualität), Infrastruktur, Büromarkt, Tourismus etc. Die Daten von Eurostat sind mit denen der OECD kompatibel. Sie werden jährlich erneuert. Auch andere städtische Ballungsräume könnten beobachtet werden.

    (5)  Europäisches Raumbeobachtungsnetzwerk.

    (6)  Siehe Abschnitt 5 „Urbanisierung und Politikgestaltung“.

    (7)  In dieser Hinsicht ist die gezielte Entwicklung von BILBAO in den letzten zwanzig Jahren ein eindrucksvolles und überzeugendes Beispiel.

    (8)  URBACT II (2007) ist Teil der Kommissionsinitiative „Regionen für den wirtschaftlichen Wandel“ zur Umsetzung der Strategien von Lissabon und Göteborg. JEREMIE oder Gemeinsame europäische Ressourcen für kleinste bis mittlere Unternehmen ist eine gemeinsame Initiative der Kommission, der Europäischen Investitionsbank und des Europäischen Investitionsfonds. JESSICA oder Gemeinsame europäische Unterstützung für nachhaltige Investitionen in städtische Gebiete (2006) ist eine gemeinsame Initiative der Kommission, der Europäischen Investitionsbank und der Entwicklungsbank des Europarats.

    (9)  Siehe auch den Leitfaden „Die städtische Dimension der Gemeinschaftspolitik im Zeitraum 2007-2013“ der dienststellenübergreifenden Fachgruppe zur Stadtentwicklung.

    (10)  KOM(97) 197 endg., ABl. C 226, 20.7.1998, S. 36.

    (11)  Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang ein Projekt der dänischen Zweigstelle des „European Knowledge Network on Cities“ (Europäisches Städtepolitisches Wissensnetzwerk), dem Nicis Institute, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten bezüglich verwaltungsmäßiger, rechtlicher und finanzieller Instrumente zur Förderung nachhaltiger Städte. Das Projekt wird im Rahmen des französischen Ratsvorsitzes auf Ersuchen der „Délégation Interministérielle de la Ville“ durchgeführt. An dem Netz „Knowledge Network on Cities“ beteiligen sich 16 Mitgliedstaaten.

    (12)  P6_TA-PROV(2008)0069.

    (13)  CdR 97/2007 fin.

    (14)  Délégation interministérielle à l'aménagement et à la compétitivité des territoires (ancienne DATAR) (Interministerielle Delegation für Raumordnung und Wettbewerbsfähigkeit (ehemals DATAR).

    (15)  „Imaginer les métropoles d'avenir“, Bericht von Dominique Perben, Abgeordneter des Parlaments, ehemaliger Verkehrsminister, auf Ersuchen von Präsident Sarkozy und Premierminister Fillon. Herr Perben legt eine Diagnose der Urbanisierung und Metropolisation in Europa und Frankreich vor, gefolgt von einem Papier „Herausforderungen und Maßnahmen“ für Großstädte und Stadtregionen mit mehr als 500 000 Einwohnern in Frankreich. Ferner stellt er neunzehn konkrete Vorschläge für Maßnahmen und Gesetzgebung vor. Das Thema wird auch während des französischen Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2008 behandelt werden.

    (16)  Konferenz der GD Beschäftigung, Soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit zum Thema „Unternehmergeist für lokale Beschäftigungsentwicklung“,25. April 2008.

    (17)  In Deutschland wird ein neues Konzept in Bezug auf Ballungsräume als „neue Verantwortungsgemeinschaft“ bezeichnet. Siehe Manfred Sinz, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: „From Metropolitan Regions to Communities of Responsibilities“ (Von Ballungsräumen zu Verantwortungsgemeinschaften).

    (18)  Ein Beispiel ist die Aufnahmekapazität des Finanzmarkts in London. In einem anderen Zusammenhang können Beispiele von Regionen wie Lille-Courtrai, Kopenhagen-Malmö und Wien-Bratislava genannt werden.

    (19)  Siehe auch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“, KOM(2007) 551 endg.

    (20)  Dieses Thema wird in dem französischen Bericht „Une Nouvelle Politique pour les Banlieues“ (Eine neue Politik für die Vororte), Palais de l'Elysée, 8. Februar 2008, vertieft. In dem Bericht werden zahlreiche Vorschläge zur Bekämpfung der Gefahr der Gettoisierung in Städten unterbreitet. Er stellt insbesondere staatliche und regionale bzw. lokale Initiativen zur allgemeinen und beruflichen Ausbildung, Schaffung von Arbeitsplätzen, Unternehmensgründungen in benachteiligten Stadtgebieten vor. Während des französischen Ratsvorsitzes sind mehrere EU-Konferenzen zu diesem Thema geplant.

    (21)  „Baukultur als Wachstumsimpuls. Gute Beispiele für europäische Städte“ — Eine Studie des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, veröffentlicht im April 2007.

    (22)  Konferenz des Rates der Europäischen Architekten: „Zukunft entwerfen: Architektur und Lebensqualität“, Brüssel, 10. April 2008.

    (23)  Siehe z.B. die Metropolitan Statistical Area (MSA) [großstäditsche statistische Erhebungsgebiete] in den Vereinigten Staaten, vorher, seit 1959, Standard Metropolitan Statistical Area.

    (24)  Ein anschauliches Beispiel ist der Bericht der GD Regionalpolitik über eine große Palette von Vorhaben: „Examples of Regional Innovation Projects“, März 2007. (http://ec.europa.eu/regional_policy/cooperation/interregional/ecochange/doc/proj_samples.pdf)

    (25)  Die Sozial- und Wirtschaftsräte auf einzelstaatlicher oder regionaler Ebene können ebenfalls eine konstruktive Rolle spielen. Anschauliches Beispiel dafür ist der Bericht über die Zukunft des Ballungsraumes Randstad in den Niederlanden, der im April 2008 vom niederländischen Sozial- und Wirtschaftsrat vorgelegt wurde:

    http://www.ser.nl/~/media/Files/Internet/Talen/Engels/2007/2007_04.ashx


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