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Document 52004XC0427(05)

    Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben) (Text von Bedeutung für den EWR)

    ABl. C 101 vom 27.4.2004, p. 78–80 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    Dieses Dokument wurde in einer Sonderausgabe veröffentlicht. (BG, RO, HR)

    52004XC0427(05)

    Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben) (Text von Bedeutung für den EWR)

    Amtsblatt Nr. C 101 vom 27/04/2004 S. 0078 - 0080


    Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben)

    (2004/C 101/06)

    (Text von Bedeutung für den EWR)

    I. VERORDNUNG (EG) Nr. 1/2003

    1. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(1) ist ein neues System zur Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages eingeführt worden. Die Verordnung ist darauf ausgerichtet, das Hauptaugenmerk auf die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu lenken, gleichzeitig schafft sie jedoch auch Rechtssicherheit, indem Vereinbarungen(2), die zwar unter Artikel 81 Absatz 1 des Vertrages fallen, aber die Voraussetzungen des Artikels 81 Absatz 3 des Vertrages erfuellen, rechtsgültig und vollstreckbar sind, ohne dass es hierzu der Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde bedarf (Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003).

    2. Zwar sind im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 neben der Kommission nun auch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und die einzelstaatlichen Gerichte befugt, Artikel 81 und 82 des Vertrages in vollem Umfang anzuwenden. Die Verordnung enthält jedoch eine Reihe von Maßnahmen, die das Risiko ihrer uneinheitlichen Anwendung beschränken und dadurch den Unternehmen den in der Rechtsprechung des Gerichtshofes als vorrangig angesehenen Aspekt der Rechtssicherheit gewährleisten.

    3. Unternehmen sind in der Regel gut in der Lage, die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens zu beurteilen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob und in welcher Form sie eine Vereinbarung oder ein Verhalten aufnehmen oder fortsetzen wollen. Sie haben eine genaue Kenntnis des Sachverhalts und können sich auf die Gruppenfreistellungsverordnungen, die Rechtsprechung und Entscheidungspraxis sowie auf umfassende Ausführungen der Kommission in ihren Leitlinien und Bekanntmachungen stützen(3).

    4. Parallel zur Reform der Durchführungsvorschriften zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages in Gestalt der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 hat die Kommission ihre Gruppenfreistellungsverordnungen, Leitlinien und Bekanntmachungen überprüft, um den Unternehmen die Beurteilung ihres eigenen Falles weiter zu erleichtern. Darüber hinaus hat die Kommission Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages ausgearbeitet(4). Dies erlaubt es den Unternehmen in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle, die Vereinbarkeit ihrer Vereinbarungen mit Artikel 81 des Vertrages zuverlässig zu prüfen. Zudem verhängt die Kommission über symbolische Beträge(5) hinausgehende Geldbußen nur dann, wenn es sich aus allgemeinen Texten, der Rechtsprechung oder der Entscheidungspraxis ergibt, dass ein bestimmtes Verhalten eine Zuwiderhandlung darstellt.

    5. In Fällen, in denen dennoch ernsthafte Rechtsunsicherheit entsteht, weil neue oder ungelöste Fragen in Bezug auf die Anwendung der Artikel 81 und 82 auftauchen, können einzelne Unternehmen den Wunsch haben, mit der Bitte um informelle Beratung an die Kommission heranzutreten(6). Soweit sie dies für angebracht hält und es sich mit ihren Prioritäten bei der Durchsetzung des EG-Wettbewerbsrechts vereinbaren lässt, kann sich die Kommission zu neuartigen Fragen, die sich bei der Auslegung der Artikel 81 und/oder 82 des Vertrages stellen, schriftlich äußern (Beratungsschreiben). Die vorliegende Bekanntmachung behandelt Einzelheiten zu diesem Instrument.

    II. ZUR EINSCHÄTZUNG DER FRAGE, OB EIN BERATUNGSSCHREIBEN ERGEHEN SOLL

    6. Aufgrund der ihr durch die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 übertragenen Befugnisse kann die Kommission Zuwiderhandlungen gegen die Artikel 81 und 82 des Vertrages wirksam verfolgen und ahnden(7). Ein wesentliches Ziel der Verordnung ist es, für eine wirksame Durchsetzung der EG-Wettbewerbsregeln zu sorgen, indem sie durch die Abschaffung des Anmeldesystems der Kommission ermöglicht, sich auf die Verfolgung der schwerwiegendsten Verstöße zu konzentrieren(8).

    7. Zwar lässt die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 das Recht der Kommission unberührt, einzelnen Unternehmen informelle Beratung zu leisten(9), wie in dieser Bekanntmachung ausgeführt, jedoch darf dadurch das Hauptziel der Verordnung, die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu gewährleisten, nicht beeinträchtigt werden. Die Kommission darf daher einzelnen Unternehmen nur insoweit informelle Beratung leisten, wie dies mit ihren Prioritäten bei der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln vereinbar ist.

    8. Wenn die Kommission um ein Beratungsschreiben ersucht wird, erwägt sie unter Beachtung der unter Rdnr. 7 genannten Vorgaben, ob es angebracht ist, dem Ersuchen Folge zu leisten. Ein Beratungsschreiben kommt nur dann in Betracht, wenn alle folgenden Voraussetzungen zusammentreffen:

    a) Die materiellrechtliche Beurteilung einer Vereinbarung oder einer Verhaltensweise auf der Grundlage von Artikel 81 und/oder 82 des Vertrages wirft eine Frage der Rechtsanwendung auf, die weder durch den bestehenden EG-Rechtsrahmen einschließlich der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte noch durch allgemein verfügbare Orientierungshilfen, die Entscheidungspraxis oder frühere Beratungsschreiben geklärt ist.

    b) Eine prima facie Bewertung des Sachverhalts und der Hintergründe legt nahe, dass eine Klärung im Wege eines Beratungsschreibens zweckmäßig ist; dabei sind die nachstehenden Anhaltspunkte zu berücksichtigen:

    - die wirtschaftliche Bedeutung der von der Vereinbarung oder der Verhaltensweise betroffenen Waren oder Dienstleistungen aus der Sicht der Verbraucher und/oder

    - das Ausmaß, in dem die Vereinbarung oder Verhaltensweise einer im Markt verbreiteten Gepflogenheit entspricht oder dies vorherzusehen ist, und/oder

    - der Umfang der mit der Transaktion einhergehenden Investitionen im Verhältnis zur Größe der beteiligten Unternehmen und die Verbindung der Transaktion mit einem strukturellen Vorgang wie der Gründung eines Teilfunktions-Gemeinschaftsunternehmens.

    c) Das Beratungsschreiben kann anhand der vorgelegten Angaben erstellt werden, d. h. eine weitere Tatsachenfeststellung ist nicht erforderlich.

    9. In den folgenden Fällen wird die Kommission ein Beratungsschreiben nicht in Betracht ziehen:

    - Im Ersuchen werden Fragen aufgeworfen, die in dieser oder ähnlicher Art bereits in anhängigen Verfahren vor dem Gericht erster Instanz oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aufgeworfen worden sind.

    - Die Vereinbarung oder Verhaltensweise, auf die sich das Ersuchen bezieht, ist bereits Gegenstand eines Verfahrens bei der Kommission oder bei einem Gericht oder einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats.

    10. Hypothetische Fragen wird die Kommission nicht behandeln. Ebenso wird sie keine Beratungsschreiben erstellen zu Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die von den beteiligten Unternehmen nicht mehr praktiziert werden. Unternehmen können die Kommission allerdings um ein Beratungsschreiben zu Fragen ersuchen, die sich im Hinblick auf eine vorgesehene Vereinbarung oder Verhaltensweise stellen, bevor sie diese umsetzen. In diesem Fall muss die Transaktion ausreichend fortgeschritten sein, damit ein Beratungsschreiben in Betracht kommt.

    11. Ein Ersuchen um ein Beratungsschreiben lässt die Befugnis der Kommission unberührt, in Bezug auf Sachverhaltsumstände, die im Ersuchen dargelegt werden, ein Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 einzuleiten.

    III. HINWEISE ZUM ERSUCHEN UM EIN BERATUNGSSCHREIBEN

    12. Ein Ersuchen um informelle Beratung kann von einem oder mehreren Unternehmen eingereicht werden, die an einer Vereinbarung oder einer Verhaltensweise, die unter Artikel 81 und/oder Artikel 82 des Vertrages fallen könnte, beteiligt sind oder sich daran beteiligen wollen, in Bezug auf Auslegungsfragen, die durch die Vereinbarung oder Verhaltensweise aufgeworfen werden.

    13. Ein Ersuchen ist an folgende Anschrift zu richten: Europäische Kommission GD Wettbewerb B - 1049 Brüssel.

    14. Für ein solches Ersuchen gibt es keinen Vordruck. Ein Ersuchen sollte Angaben zu den nachfolgenden Punkten enthalten:

    - Bezeichnung und Anschrift aller beteiligten Unternehmen sowie eine einzelne Adresse zur Abwicklung der Kontakte mit der Kommission;

    - die spezifischen Fragen, zu denen eine informelle Beratung erbeten wird;

    - vollständige und umfassende Angaben zu allen Aspekten, die für eine sachkundige Beurteilung der aufgeworfenen Fragen relevant sind einschließlich einschlägiger Unterlagen;

    - eine ausführliche Begründung mit Bezug auf Rdnr. 8 Buchstabe a) dieser Bekanntmachung, inwiefern das Ersuchen eine oder mehrere neuartige Fragen betrifft;

    - alle weiteren Informationen, die eine Einschätzung des Ersuchens im Hinblick auf die Rdnr. 8 bis 10 dieser Bekanntmachung ermöglichen, einschließlich einer Erklärung, dass die im Ersuchen bezeichnete Vereinbarung oder Verhaltensweise nicht Gegenstand eines Verfahrens vor einem Gericht oder einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats ist;

    - falls das Ersuchen Angaben enthält, die als Geschäftsgeheimnisse angesehen werden, sind diese Angaben eindeutig zu kennzeichnen;

    - alle sonstigen für den fraglichen Vorgang relevanten Angaben oder Unterlagen.

    IV. BEARBEITUNG DES ERSUCHENS

    15. Die Kommission bewertet das Ersuchen im Prinzip anhand der vorgelegten Informationen. Sie kann ungeachtet der Rdnr. 8 c) zusätzliche Informationen heranziehen, die ihr aus öffentlichen Quellen, früheren Verfahren oder sonstigen Quellen zur Verfügung stehen, und das bzw. die um Beratung ersuchende(n) Unternehmen um zusätzliche Informationen bitten. Die von den Unternehmen vorgelegten Informationen unterliegen den üblichen Regeln über das Berufsgeheimnis.

    16. Die Kommission kann die ihr vorgelegten Informationen den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zukommen lassen und von diesen Informationen entgegennehmen. Sie kann das Ersuchen inhaltlich mit den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten erörtern, bevor sie ein Beratungsschreiben erteilt.

    17. Wird kein Beratungsschreiben erstellt, teilt die Kommission dies den betroffenen Unternehmen mit.

    18. Unternehmen können ein Ersuchen jederzeit zurückziehen. Die im Zusammenhang mit einem Beratungssersuchen vorgelegten Informationen verbleiben in jedem Fall bei der Kommission und können in späteren Verfahren auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verwendet werden (vgl. Rdnr. 11).

    V. BERATUNGSSCHREIBEN

    19. Ein Beratungsschreiben besteht aus folgenden Teilen:

    - einer Zusammenfassung des dem Schreiben zugrunde liegenden Sachverhalts;

    - den wichtigsten rechtlichen Argumenten, auf die die Kommission ihre Einschätzung der aufgeworfenen neuartigen Fragen zur Anwendung der Artikel 81 und/oder 82 des Vertrages stützt.

    20. Ein Beratungsschreiben kann sich auf einen Teil der im Ersuchen aufgeworfenen Fragen beschränken. Es kann auch zusätzliche Aspekte aufgreifen.

    21. Beratungsschreiben werden auf der Website der Kommission unter Beachtung der berechtigten Interessen der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht. Bevor das Beratungsschreiben ergeht, verständigt sich die Kommission mit den betreffenden Unternehmen über die zur Veröffentlichung bestimmte Fassung.

    VI. WIRKUNGEN EINES BERATUNGSSCHREIBENS

    22. Beratungsschreiben der Kommission dienen in erster Linie dazu, den Unternehmen zu helfen, selbst eine sachkundige Beurteilung ihrer Vereinbarungen und Verhaltensweisen vorzunehmen.

    23. Ein Beratungsschreiben kann der Würdigung derselben Frage durch die Gemeinschaftsgerichte nicht vorgreifen.

    24. Ein Beratungsschreiben hindert die Kommission nicht daran, Vereinbarungen oder Verhaltensweisen, die die materielle Grundlage eines Beratungsschreibens bildeten, später in einem Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zu prüfen, insbesondere als Folge einer Beschwerde. Die Kommission wird in diesem Fall einem früheren Beratungsschreiben Rechnung tragen, unter Berücksichtigung etwaiger Änderungen des zugrunde liegenden Sachverhalts, in einer Beschwerde vorgebrachter neuer Gesichtspunkte, neuer Entwicklungen in der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte sowie allgemeiner Änderungen in der Politik der Kommission.

    25. Beratungsschreiben sind keine Entscheidungen der Kommission. Die Wettbewerbsbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten, die zur Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages befugt sind, sind nicht an die Beratungsschreiben der Kommission gebunden. Den Wettbewerbsbehörden und Gerichten der Mitgliedstaaten steht es allerdings frei, Beratungsschreiben der Kommission zu berücksichtigen, soweit sie dies in einem bestimmten Fall für zweckmäßig erachten.

    (1) Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1-25).

    (2) In dieser Bekanntmachung werden die Begriffe "Vereinbarungen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen" zusammenfassend als "Vereinbarungen" bezeichnet. Für das Verhalten marktbeherrschender Unternehmen wird der Ausdruck "Verhaltensweisen" verwendet. Der Ausdruck "Unternehmen" schließt Unternehmensvereinigungen ein.

    (3) Alle einschlägigen Texte können im Internet unter folgender Adresse eingesehen werden: http://europa.eu.int/comm/ competition/index_de.html

    (4) Bekanntmachung der Kommission - Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrages (S. 97).

    (5) Symbolische Geldbußen betragen in der Regel 1000 EUR; vgl. die Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. C 9 vom 14.1.1998, S. 3).

    (6) Rdnr. 38 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.

    (7) Vgl. u. a. die Artikel 7 bis 9, 12, 17 bis 24 und 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.

    (8) Vgl. insbesondere Erwägungsgrund 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.

    (9) Vgl. Erwägungsgrund 38 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003.

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