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Document 52004DC0581

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Stärkung der Economic Governance und Klärung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts

/* KOM/2004/0581 endg. */

52004DC0581

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Stärkung der Economic Governance und Klärung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts /* KOM/2004/0581 endg. */


MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT - Stärkung der Economic Governance und Klärung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts

1. Auf dem Weg zu einer besseren Economic Governance und soliden öffentlichen Finanzen

Am 18. Juni 2004 nahm der Europäische Rat eine Erklärung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) an, in der bekräftigt wird, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Union und der Mitgliedstaaten auf die beiden fundamentalen Ziele ausgerichtet ist, das Wachstumspotenzial zu steigern und eine solide Haushaltslage zu gewährleisten. Mit der vorliegenden Mitteilung reagiert die Kommission auf die Feststellung des Europäischen Rates, dass die Mitgliedstaaten etwaigen Vorschlägen der Kommission zu der Frage, wie die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstärkt und klarer gestaltet werden kann, mit Interesse entgegen sehen. Die Mitteilung baut auf den in der Mitteilung ,Öffentliche Finanzen in der WWU - 2004" vom 24. Juni 2004 enthaltenen Ideen auf und informiert die Mitgliedstaaten über die Ausrichtung von Vorschlägen zur künftigen Gestaltung und Funktionsweise des finanzpolitischen Rahmens der EU.

Die bewährtermaßen wirksame Überwachung der Haushaltsdisziplin muss fortgeführt und für eine strikte Umsetzung muss gesorgt werden. In dieser Hinsicht bilden die Vertragsbestimmungen, unter anderem mit den Referenzwerten von 3 % und 60 % des BIP für das öffentliche Defizit bzw. den öffentlichen Schuldenstand, weiterhin das erforderliche tragende Gerüst des finanzpolitischen Rahmens und bleiben Anker des Systems. Übermäßige Defizite sollten vermieden und, wenn sie auftreten, umgehend korrigiert werden, damit zur Erhaltung der Preisstabilität beigetragen und die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gesichert wird. Der finanzpolitische Rahmen besteht aus gemeinsamen Regeln, die auf alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise angewandt werden müssen. In einer Europäischen Union mit 25 Mitgliedstaaten, die durch beträchtliche Heterogenität und Diversität gekennzeichnet ist und angesichts der Erfahrungen von 5 Jahren in der EWU, würde ein verbesserter gemeinsamer Rahmen mit stärkerem Gewicht auf die den Regeln zugrunde liegenden ökonomischen Überlegungen es jedoch erlauben, Unterschiede in der Wirtschaftslage innerhalb der EU besser zu berücksichtigen. Das Ziel ist daher, die ökonomischen Grundlagen des bestehenden Rahmens zu verbessern und damit die Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu stärken. Die Absicht ist nicht, die Starrheit oder Flexibilität der bestehenden Regeln zu erhöhen, sondern sie effektiver zu gestalten.

Auf dieser Grundlage geht die vorliegende Mitteilung erstens der Frage nach, wie der finanzpolitische Rahmen - und insbesondere der Stabilitäts- und Wachstumspakt - auf die bislang erlebten Unzulänglichkeiten durch mehr Gewicht auf die Konjunkturentwicklung in den Empfehlungen und stärkere Konzentration auf die Erhaltung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen reagieren könnte.

Zweitens wird in dieser Mitteilung geprüft, wie die Instrumente der Economic Governance der EU besser miteinander verknüpft werden könnten, um den Beitrag der Finanzpolitik zum Wirtschaftswachstum zu erhöhen und Fortschritte bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie zu unterstützen. Drittens enthält die Mitteilung Verbesserungsvorschläge für die Durchsetzung der Rahmenvorschriften.

Die Kommission trägt mit ihrem Ansatz den Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Juli [1] Rechnung, mit dem die jeweiligen Rollen von Kommission und Rat bei der Anwendung der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der EU geklärt wurden. Das Urteil hat auch bestätigt, dass sich mit einem auf Regeln basierenden System am besten gewährleisten lässt, dass Verpflichtungen tatsächlich eingehalten und alle Mitgliedstaaten gleich behandelt werden.

[1] Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-27/04 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Rat der Europäischen Union.

2. Neufokussierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts

Die fünfjährige Erfahrung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt hat gezeigt, dass dem Pakt bei der Koordinierung der Haushaltspolitik eine zentrale Rolle zukommt. Der SWP hat zu makroökonomischer Stabilität beigetragen, was auch dadurch belegt wird, dass die Haushaltsentwicklung in der jüngsten Abschwungphase im Vergleich zu früher, als Konjunkturabschwünge gewöhnlich mit einer deutlicheren Verschlechterung der fundamentalen Haushaltsposition einhergingen, günstiger verlaufen ist. Allerdings ist es in den letzten Jahren zu Spannungen bei der Anwendung des SWP gekommen, was zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und ,Identifizierung" (ownership) und zu institutioneller Unsicherheit geführt hat. Auch die Erfahrungen mit der Anwendung der Rahmenvorschriften haben weitere Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.

In ihrer Mitteilung vom Juni 2004 prüfte die Kommission verschiedene Möglichkeiten zur Stärkung des SWP: (i) stärkere Beachtung von Schuldenstand und langfristiger Tragfähigkeit bei der Überwachung der Haushaltspositionen; (ii) stärkere Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten bei der Definition des mittelfristigen Ziels eines ,in etwa ausgeglichenen Haushalts oder eines Haushaltsüberschusses"; (iii) Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten und Entwicklungen bei der Anwendung des Verfahrens bei übermäßigen Defiziten; (iv) Gewährleistung frühzeitigerer Maßnahmen zur Korrektur unangemessener Haushaltsentwicklungen.

Bei der Stärkung und Klärung des Rahmens muss in jedem Fall ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem bei der haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung erwachsenden größeren Ermessensspielraum und der Notwendigkeit gewährleistet werden, den auf Regeln basierenden Rahmen einfach und transparent zu halten. Er muss fair und konsistent auf alle Länder angewandt werden und für die Öffentlichkeit in der EU nachvollziehbar sein. In diesem Zusammenhang haben sich die beiden nominalen Anker - der Defizit-Referenzwert von 3 % des BIP und der Schuldenquoten-Referenzwert von 60 % des BIP - bewährt und bilden weiterhin das Kernstück der multilateralen Überwachung.

Ein verstärkter Stabilitäts- und Wachstumspakt könnte Grundsätze und allgemeine Kriterien für die haushaltspolitische Überwachung festschreiben, die die Basis für die haushaltspolitische Koordinierung darstellen würden. Außerdem könnten spezifischere ökonomische Analyseinstrumente zur Bewertung der Durchführung der haushaltspolitischen Überwachung in einem Verhaltenskodex zum überarbeiteten SWP niedergelegt werden, um eine kohärente Anwendung sicherzustellen. Die wichtigsten Komponenten dieses neuen Ansatzes lassen sich wie folgt beschreiben:

(i) Stärkere Beachtung von Schuldenstand und langfristiger Tragfähigkeit bei der Überwachung der Haushaltspositionen. Eine stärkere Beachtung der langfristigen Tragfähigkeit beinhaltet eine bessere Überwachung sowohl der laufenden Schuldenentwicklung als auch der sonstigen Faktoren, die deren mittel- und langfristige Dynamik beeinflussen könnten. Es muss jedoch betont werden, dass die stärkere Konzentration auf die Schuldenstandsentwicklung nur eine Ergänzung der weiterhin rigorosen Überwachung der Defizitentwicklung wäre.

Die stärkere Konzentration auf den öffentlichen Schuldenstand und die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen führt zu drei Änderungsvorschlägen für den SWP: Aufstellung länderspezifischer mittelfristiger Haushaltziele (siehe nachstehenden Punkt ii), die einsatzfähige Konkretisierung des im Vertrag vorgesehenen Schuldenstandskriteriums und Festlegung des Anpassungspfads beim Defizitverfahren unter anderem in Abhängigkeit von den Risiken für die langfristige Tragfähigkeit (siehe nachstehenden Punkt iii).

Was das Schuldenstandskriterium angeht, so könnte der Stabilitäts- und Wachstumspakt klarstellen, wie die im Vertrag enthaltene Formulierung ,rasch genug' in Bezug auf die Rückführung der Schuldenquote zu verstehen ist. Bei der Entscheidung darüber, wo die erforderliche Schuldenabbaurate angesetzt werden soll, muss berücksichtigt werden, dass die Schuldenquoten auf ein sicheres Niveau gesenkt werden müssen, bevor die Auswirkungen der Bevölkerungsalterung in vollem Umfang zum Tragen kommen, und dass dem Ausgangsschuldenstand und dem Potenzialwachstum der einzelnen Länder Rechnung zu tragen ist. Letzteres sollte gegebenenfalls durch eine Bewertung zusätzlicher alterungsbezogener Faktoren und Eventualverbindlichkeiten ergänzt werden.

Eine wichtige Rolle spielt die Entscheidung darüber, welches Schuldenabbautempo als ,rasch genug" definiert wird, um die Herstellung sicherer Schuldenquoten innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne zu gewährleisten. Die alljährliche Bewertung der Schuldenstandsentwicklung könnte anhand dieser Referenzrate erfolgen, wobei jedoch die aktuellen Wachstumsbedingungen des jeweiligen Landes berücksichtigt würden. In der Praxis wäre bei einem hinter dem Potenzial zurückbleibenden Wachstum ein langsamerer Schuldenabbau mit den Anforderungen dieses Rahmens vereinbar, während bei einem über dem Potenzial liegenden Wachstum das Gegenteil gälte.

Auch über die Anwendung des Defizitverfahrens hinaus sind weitere Erkenntnisse darüber vonnöten, welche Faktoren sich, wie etwa Rentenverbindlichkeiten, Eventualverbindlichkeiten und -vermögenswerte, auf die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen auswirken. Bessere Erkenntnisse über diese Entwicklungen werden deren Integration in den finanzpolitischen Rahmen erleichtern. Ein klareres Verständnis der Diskrepanzen zwischen Schuldenstands- und Defizitzahlen würde auch eine bessere Bewertung der Haushaltsentwicklungen ermöglichen.

(ii) Stärkere Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten bei der Definition des mittelfristigen Ziels eines ,nahezu ausgeglichenen Haushalts oder eines Haushaltsüberschusses". Die den Vertrag ergänzenden mittelfristigen Ziele dienen einem zweifachen Zweck. Erstens soll genügend Spielraum geschaffen werden, damit das Haushaltsdefizit den Referenzwert von 3 % des BIP bei einer Konjunkturverlangsamung ohne Rückgriff auf eine prozyklische Fiskalpolitik nicht überschreitet. Zweitens ermöglicht das Festhalten an dem mittelfristigen Ziel eine Senkung des öffentlichen Schuldenstands im Verhältnis zum BIP und trägt somit auch zur Vorbereitung auf die budgetären Folgen der Bevölkerungsalterung bei. Das Ziel eines ,nahezu ausgeglichenen Haushalts oder eines Haushaltsüberschusses" wird im SWP nicht konkretisiert und in der Praxis wird bei den meisten Mitgliedstaaten eine alljährlich ausgeglichene konjunkturbereinigte Haushaltsposition über den Konjunkturzyklus hinweg verlangt. Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Diversifizierung in einer EU mit 25 Mitgliedstaaten scheinen Einheitsziele für alle Länder weder geeignet noch ökonomisch sinnvoll.

Zusätzlich zu dem Ziel, eine Überschreitung des Defizit-Referenzwerts zu vermeiden, könnte das mittelfristige Haushaltsziel auch vom aktuellen Schuldenstand ausgehen und dessen mittel- und langfristige Entwicklung berücksichtigen. In der Praxis würde das mittelfristige Ziel umso stringenter gesetzt (nahe null oder Überschuss), je höher der Schuldenstand wäre. Mit den vorgeschriebenen Haushaltspositionen sollte sichergestellt sein, dass die 3 %-Marke unter normalen Umständen nicht überschritten wird. Allerdings würde bei Ländern, denen ein geringes Defizit gestattet wäre, die Gefahr steigen, dass der Defizit-Referenzwert von 3 % bei einer Konjunkturverlangsamung überschritten würde.

Bei der Bewertung der Abweichung vom mittelfristigen Ziel oder vom Pfad zu dessen Erreichung könnten andere Faktoren, wie Potenzialwachstum, Inflation, bestehende rechnerische Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der Bevölkerungsalterung, Auswirkungen von Strukturreformen oder weiterer Nettoinvestitionsbedarf, berücksichtigt werden.

Selbstverständlich besteht ein Zielkonflikt zwischen der ökonomischen Eignung und der Komplexität der Definition. Bei der Vorgabe von Leitlinien für die Festlegung mittelfristiger Ziele und die Bewertung etwaiger Abweichungen davon muss dieser Zielkonflikt hinreichend bedacht werden.

(iii) Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten und Entwicklungen bei der Anwendung des Verfahrens bei übermäßigen Defiziten. Dies könnte hauptsächlich im Rahmen von zwei Verfahrenspunkten getan werden:

- Nutzung der Klausel über ,besondere Umstände" für langwierige Wachstumsschwächen. Der derzeitige finanzpolitische Rahmen der EU trägt der Möglichkeit eines langsamen, aber dennoch positiven Wachstums nicht hinreichend Rechnung. Hier könnte Abhilfe geschaffen werden, indem die Festlegung des Anpassungspfads im Falle einer Überschreitung des Defizit-Referenzwerts von 3 % überdacht (siehe unten) und/oder die Klausel über ,besondere Umstände' neu definiert würde. Im derzeitigen Rahmen wäre eine langwierige Wachstumsschwäche, die zu einer erheblichen kumulierten Produktionseinbuße führt aber zu Defiziten über 3% des Defizits führt, kein ,besonderer Umstand", der die Mitgliedstaaten vor der Einleitung des Defizitverfahrens bewahrt.

Der Vertrag sieht einige Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz vor, dass Länder, deren Defizit oder Schuldenstand über dem Referenzwert liegen, als Länder mit übermäßigem Defizit zu betrachten sind. Damit die Ausnahme wirksam wird, müssen mehrere Voraussetzungen zusammenkommen (der Referenzwert darf nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten werden und die Defizitquote muss in der Nähe des Referenzwerts bleiben). Die Verordnung Nr. 1467/97 klärt diese Ausnahmeregelungen in Bezug auf das Defizit, indem sie recht restriktive Voraussetzungen festschreibt, unter denen ,besondere Umstände' geltend gemacht werden können. So kann die entsprechende Klausel gemäß der Verordnung nur bei einem erheblichen Negativwachstum (-2 %) in Anspruch genommen werden, das überdies von den betroffenen Ländern nachgewiesen werden muss. Verbesserungsmöglichkeiten bestuenden hier in einer Neudefinition des Begriffs ,schwerwiegender Wirtschaftsabschwung", um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Wachstum zwar noch positiv, aber über längere Zeit unerwartet sehr niedrig sein kann, wobei außerdem geklärt werden könnte, was unter einem ,jähen Abschwung" und einem ,gegenüber den vorangegangenen Trends insgesamt sehr starken Rückgang der Produktion" zu verstehen ist. Die anderen beiden Voraussetzungen (vorübergehend und in der Nähe des Referenzwerts) würden ihre Gültigkeit behalten.

Änderungen an der Definition dieser Klausel sollten im Zusammenhang mit Änderungen beim Anpassungspfad (Punkt iii) geprüft werden, die ebenfalls der Möglichkeit langwieriger Wachstumsschwächen Rechnung tragen würden. Der Hauptunterschied zwischen einer Ausweitung der Definition der ,besonderen Umstände' und einer Änderung des Anpassungspfades zwecks Berücksichtigung langwieriger Wachstumsschwächen besteht darin, dass bei einem Land, das den Referenzwert von 3 % überschreitet, im ersten Fall nicht das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit und damit auch nicht die damit verbundene verschärfte Überwachung in Gang gesetzt würde, was das Risiko, das Momentum für die notwendige Überwachung im richtigen Augenblick zu verlieren, bedeuten könnte.

- Berücksichtigung länderspezifischer Faktoren bei der Korrektur übermäßiger Defizite (Anpassungspfad). Nach den gegenwärtigen Regeln muss ein Mitgliedstaat, der den Defizit-Referenzwert von 3 % des BIP überschreitet, die ,Korrektur in dem Jahr (erreichen), das auf die Feststellung eines übermäßigen Defizits folgt, sofern keine besonderen Umstände vorliegen" (RV 1467/97, Art. 3 Abs. 4). In der Verordnung werden weitere Fristen festgelegte, namentlich für die Ergreifung wirksamer Maßnahmen (vier Monate nach Einleitung des Verfahrens) und für Sanktionen, falls ein Mitgliedstaat den Beschlüssen des Rates nicht Folge leistet (zehn Monate nach Einleitung des Verfahrens).

Einheitsfristen für die Korrektur übermäßiger Defizite sind naturgemäß nur eingeschränkt sinnvoll, da sie keine Unterscheidung zwischen Ländern mit unterschiedlicher Konjunkturentwicklung und unterschiedlichem Schuldenstand ermöglichen. Dies kann dazu führen, dass einem Land die falsche Politik (z.B. eine allzu rigorose prozyklische Anpassung) angeraten wird oder Anreize entstehen, auf einmalige Maßnahmen zurückzugreifen, nur um die Fristen einzuhalten.

Bei der Bestimmung eines geeigneten Anpassungspfads sollte der SWP der Konjunkturlage und den Fundamentalfaktoren eines Mitgliedstaats, der die 3 %-Hürde reißt, besser Rechnung tragen. Dies bedeutet, dass bei einem Land, das den Referenzwert überschreitet, nach wie vor das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eingeleitet und eine rasche Korrektur erwartet würde. Das Tempo der Korrektur könnte jedoch von Land zu Land unterschiedlich sein, wobei der Anpassungspfad aufgrund der jeweiligen Konjunkturlage und des jeweiligen Schuldenstands festgelegt würde. Bei der Bewertung der Gesamtlage sollten die Ursachen des übermäßigen Defizits und die Angemessenheit der Politik berücksichtigt werden. In der Praxis sind im Rahmen des SWP verschiedene Herangehensweisen denkbar. Eine erste Möglichkeit bestuende darin, die Frist ,ein Jahr nach Feststellung" als Grundregel für die erforderliche Korrektur beizubehalten, während durch eine entsprechende Definition der Klausel über ,besondere Umstände' auch längere Anpassungspfade eingeräumt werden könnten. Alternativ könnten länderspezifische Fristen zur Regel gemacht werden. Wichtig wäre dabei, dass stets eine Maximalfrist für die Korrektur des übermäßigen Defizits festgelegt würde, wobei keine Zugeständnisse an eine schlechte Politik gemacht werden dürfen.

Auch der Zeitplan für die haushaltspolitische Überwachung sollte überdacht werden, um ihn besser auf das einzelstaatliche Haushaltsverfahren abzustimmen. Die Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sollte ein zentrales Moment bei der Evaluierung von Haushaltsentwicklungen und Politikmaßnahmen) werden. Während Länder, für die das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eingeleitet wurde, grundsätzlich weiterhin einer verschärften Überwachung unterliegen sollten, sollte dem Anpassungspfad in der alljährlichen Bewertung der Programme mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, was auch zur Vereinfachung der gegenwärtigen Verfahren beitragen könnte.

Die stärkere Konzentration auf den Schuldenstand dürfte auch den Anreiz erhöhen, in guten Zeiten eine vorsichtige Politik zu verfolgen, wodurch sich der Schuldenabbau beschleunigen dürfte. Indem die Schulden bei der Festlegung eines geeigneten Anpassungspfads berücksichtigt wird, werden Länder, die ihren Schuldenstand auf vorsichtige Werte gesenkt haben, durch mehr Spielraum in schlechten Zeiten belohnt.

(iv) Gewährleistung frühzeitiger Maßnahmen zur Korrektur unangemessener Haushaltsentwicklungen. Die Erfahrungen im Vorlauf zur jüngsten langwierigen Konjunkturverlangsamung haben die Notwendigkeit deutlich gemacht, eine vorsichtige und über den Konjunkturzyklus hinweg symmetrische Politik zu verfolgen und in guten Zeiten Überschüsse zu erzielen. Die haushaltspolitische Überwachung sollte für ausreichenden Gruppendruck (peer pressure) sorgen, um die Erreichung der mittelfristigen Ziele sicherzustellen. Aus diesem Grund sollte der SWP die Verpflichtung bekräftigen, zur Vorbereitung auf die Bevölkerungsalterung eine über den Konjunkturzyklus hinweg symmetrische Finanzpolitik zu verfolgen, genügend Spielraum für Konjunkturverlangsamungen zu schaffen und über den Konjunkturzyklus hinweg für einen angemessenen Policy-Mix zu sorgen. Eine erneute gemeinsame Verpflichtung auf diese Ziele dürfte die Akzeptanz des SWP bei den Mitgliedstaaten erhöhen.

Eine effiziente Funktionsweise des Peer-Review-Prozesses im präventiven Teil der haushaltspolitischen Überwachung ist unerlässlich, um die richtigen Politikmaßnahmen und Haushaltsergebnisse hervorzubringen und somit die im SWP vorgesehenen Sanktionen zu vermeiden.

Die Möglichkeit direkter ,Frühwarnungen" durch die Kommission (siehe nachstehenden Punkt 4) dürfte dazu beitragen, etwaigen Handlungsbedarf zur Korrektur unangemessener Haushaltentwicklungen rechtzeitig aufzuzeigen, auch in guten Zeiten, wenn sich die Defizite noch nicht unbedingt der 3 %-Marke angenähert haben.

Auch könnten die Grundzüge der Wirtschaftspolitik effektiver genutzt werden, um das Thema ,gute Politik in guten Zeiten' anzugehen. Gegebenenfalls könnten Empfehlungen zur Umsetzung der Grundzüge ausgesprochen werden, wenn die Haushaltspolitik damit unvereinbar erscheint.

Beinhaltet die Politik eines Mitgliedstaats Risiken hinsichtlich der Einhaltung der im Vertrag vorgesehenen Referenzwerte oder der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, so sollten rechtzeitig Frühwarnungen ausgesprochen werden.

3. Haushaltspolitische Koordinierung

Die haushaltspolitische Überwachung in der EU in einen breiteren Kontext zu stellen bedeutet, dass die disziplinarische Seite auf EU-Ebene zusammen mit anderen Faktoren betrachtet werden muss: Wirtschafts- und Haushaltspolitik müssen die richtigen Prioritäten setzen in Richtung auf Wirtschaftsreformen, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung von privaten Investitionen und privatem Verbrauch. Dies würde zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele der Lissabon-Strategie beitragen.

Eine engere Verknüpfung zwischen den Grundzügen der Wirtschaftspolitik, dem SWP und den einzelstaatlichen Haushaltsverfahren würde die Effizienz der wirtschaftspolitischen Koordinierung erhöhen. Der Beitrag der europäischen Überwachung zur einzelstaatlichen Politik könnte insbesondere einfacher und effizienter werden, indem der Zeitplan für die präventive Komponente des SWP - Vorlage und Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme - überdacht und besser auf die einzelstaatlichen Haushaltsverfahren abgestimmt würde.

Die Rolle der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme könnte verstärkt werden. Erstens könnte darin jeweils zu Beginn der Amtszeit einer neuen Regierung die mittelfristige Haushaltsstrategie dargelegt werden. Die Fortschreibungen der Programme könnten dann früher im Jahr zu einer echten Ex-ante-Übung werden. Auf diese Weise könnten die Grundzüge und die Stellungnahmen zu den Programmen bei der Aufstellung der einzelstaatlichen Haushalte durch die jeweilige Regierung berücksichtigt werden. Die Bewertung der Umsetzung der Grundzüge im frühen Verlauf des darauf folgenden Jahres würde den jährlichen Zyklus abschließen und die nächste Runde einläuten.

Eine derartige Änderung am wirtschaftspolitischen Kalender hätte mehrere Vorteile. Erstens würde eine Neuausrichtung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme hin zur strategischen Planung und weg von der Beschreibung des jährlichen Haushaltsentwurfs die Fokussierung auf die mittlere Sicht verstärken. Zweitens würde ein echtes EU-Halbjahr für die Wirtschaftspolitik durch die verstärkte Interaktion zwischen der europäischen und der einzelstaatlichen Ebene, bevor ein Haushalt für das Folgejahr aufgestellt wird, die Identifizierung mit der Politikkoordinierung auf EU-Ebene durch die Mitgliedstaaten erhöhen, so dass es leichter werden dürfte, gemeinsame Orientierungen in die inländische Politikgestaltung einfließen zu lassen. Drittens könnte es durch eine solche Neuausrichtung möglich werden, die einzelstaatlichen Parlamente besser und früher an der mehrjährigen Haushaltsplanung zu beteiligen: Dies dürfte die Legitimation des finanzpolitischen Rahmens der EU erhöhen. Schließlich könnte diese Neuausrichtung eine verstärkte Bewertung der Umsetzung - sowohl der Grundzüge als auch der Programme - ermöglichen, indem die zum Jahresende erfolgende Analyse der wichtigsten Elemente des soeben verabschiedeten Haushaltsentwurfs an die in den Grundzügen enthaltenen Empfehlungen zur Qualität der öffentlichen Finanzen und die budgetären Aspekte anderer Empfehlungen anknüpfen würde.

4. Verbesserte Durchsetzung

Eine Umgestaltung der Regeln und EU-Prozesse würde die ökonomische Logik des Rahmens stärken, seine Glaubwürdigkeit und eine bessere Identifizierung durch die Mitgliedstaaten fördern. Indem weitere Fragen hinsichtlich der Funktionsweise der präventiven, abschreckenden und korrektiven Aspekte der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung und ihres Bezugs zum institutionellen Rahmen in Angriff genommen werden, könnte die Durchsetzung der gemeinsamen Regeln ebenfalls verbessert werden. Die Durchsetzung der EU-Rahmenvorschriften sowie der zugehörigen Leitlinien und Empfehlungen könnte sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf Ebene der Gemeinschaft verbessert werden, indem die jeweilige Rolle der verschiedenen Institutionen geklärt, die Effizienz der einzelstaatlichen Haushaltsverfahren verbessert und sämtliche einzelstaatlichen Akteure beteiligt würden. Gleichwohl wird die Durchsetzung im Kontext des Vertrags weiterhin von den Mitgliedstaaten und ihrem politischen Willen zur Ausübung des entsprechenden Gruppendrucks abhängen.

Die Kommission setzt sich für die Ziele der Union ein, wacht über die Einhaltung des Vertrags und die Befolgung der Ratsempfehlungen durch die Mitgliedstaaten und richtet Vorschläge bzw. Empfehlungen für geeignete Maßnahmen an den Rat. Im Rahmen des durch die Rechtsvorschriften abgesteckten Ermessensspielraums trifft der Rat dann unter Heranziehung der politischen Bewertung die endgültige Entscheidung darüber, wie die gemeinsamen politischen Leitlinien definiert werden und wie weit seine Empfehlungen gehen sollen, um die Korrektur grober Fehlentwicklungen zu bewirken. Diese Grundsätze wurden durch das EuGH-Urteil vom 13. Juli 2004 bestätigt. Die Neuregelungen der neuen Verfassung, wie die direkten ,Frühwarnungen" durch die Kommission und die Ratsbeschlüsse zur Einleitung des Defizitverfahrens aufgrund eines Vorschlags statt einer Empfehlung der Kommission, stärken das System der Economic Governance und klären die sich ergänzenden Rollen von Rat und Kommission.

Die Umsetzung des finanzpolitischen Rahmens und seine Glaubwürdigkeit hängen auch von der Qualität, pünktlichen Übermittlung und Verlässlichkeit der Finanzstatistiken und der Bewertung der öffentlichen Haushaltspositionen ab. Eine bessere Überwachung der gemeldeten Daten auf EU-Ebene wird hierzu beitragen: Entsprechend den Schlussfolgerungen des Ecofin-Rates vom 2. Juni 2004 wird die Kommission europäische Mindeststandards für den institutionellen Aufbau der Statistikbehörden aufstellen. Status und Vorrechte der nationalen statistischen Ämter müssen mit ihrer Aufgabe im Einklang stehen, verlässliche und zeitnahe Statistiken zu liefern. Vollständige Transparenz wird den Finanzmärkten die Möglichkeit geben, die Kreditwürdigkeit der verschiedenen Mitgliedstaaten besser einzuschätzen.

Die Abschreckungskomponenten der haushaltspolitischen Koordinierung, in deren Mittelpunkt der Gruppendruck als Sanktionsmechanismus und letztlich die Androhung von Geldbußen stehen, sind zentraler Bestandteil der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der EU.

Die Wirksamkeit des Gruppendrucks, der Mitgliedstaaten von Rechtsbrüchen abhalten soll, indem sie öffentlich genannt, angeprangert und erforderlichenfalls abgestraft werden, könnte verstärkt werden. Wenn die inländische Öffentlichkeit für eine unsolide Wirtschaftspolitik sensibilisiert wäre, würden die ,Reputationskosten' steigen, so dass geeignete Maßnahmen ausgelöst und somit die beispielsweise durch den Wahlzyklus bedingten Defizitverzerrungen vermindert würden. Wie die Erfahrungen der letzten Zeit gezeigt haben, schlagen sich Reputationskosten beim derzeitigen Rahmen nur begrenzt auf die öffentliche Meinung und die Finanzmärkte nieder. Wenn Abschreckung und Gruppendruck im Rat besser funktionierten, würde dies auch erheblich zur Verbesserung der haushaltspolitischen Koordinierung beitragen.

Es sollten Maßnahmen ins Auge gefasst werden, die zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten führen. Auf europäischer Ebene könnte dies zunächst durch mehr Transparenz bei der Überwachung geschehen. Die Kommission hat dahingehende Schritte bereits eingeleitet, indem sie seit dem vergangenen Jahr die meisten Informationen im Zusammenhang mit der Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme, aber auch mit der Umsetzung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit erfasst und veröffentlicht. Die Kommission kann weitere Schritte ergreifen, um die Quantität und Qualität der von ihr veröffentlichten Informationen sowie den Gruppendruck auf die Mitgliedstaaten zu erhöhen. Beispielsweise könnte die Kommission die Bewertung der Haushaltssituation regelmäßig dem Europäischen Parlament vorstellen, um die Debatte über die geplante Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten anzuregen. Auf diese Weise könnte das Europäische Parlament zur öffentlichen Aufmerksamkeit beitragen

Es gibt Grund, die Europäischen Verpflichtungen besser auf der einzelstaatlichen Ebene umzusetzen.Der EG-Vertrag erkennt die Bedeutung der einzelstaatlichen Haushaltsorgane und -verfahren für eine solide Haushaltpolitik gebührend an, indem er die Mitgliedstaaten aufruft, zu ,gewährleisten, dass die innerstaatlichen Verfahren im Haushaltsbereich sie in die Lage versetzen, ihre Verpflichtungen in diesem Bereich zu erfuellen" [2]. Die Haushaltsorgane sollten die länderspezifischen verfassungmäßigen und institutionellen Gegebenheiten widerspiegeln.

[2] Artikel 3 des EGV-Protokolls (Nr. 20) über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit.

In diesem Zusammenhang scheint die Rolle der einzelstaatlichen Stellen, die in einigen Ländern eine entsprechende Überwachungsfunktion ausüben wie die Kommission auf EU-Ebene, von großer Bedeutung. Es gibt erfolgreiche Beispiele von unabhängige nationalen Einrichtungen, die die einzelstaatliche Haushalts- und Wirtschaftspolitik überwachen und sich öffentlich zu deren Umsetzung äußern. Die Mitgliedstaaten sollten in Erwägung ziehen, wie solche Institutionen in den nationalen institutionellen Rahmen passen könnten, Außerdem könnte eine engere Einbindung der einzelstaatlichen Parlamente in den Koordinierungsprozess dazu beitragen, die Rechenschaftspflicht auf Mitgliedstaatenebene zu stärken und somit die Wirksamkeit des Gruppendrucks zu erhöhen.

In den kommenden Monaten wird die Kommission - in Absprache mit den Mitgliedstaaten - die vorstehend ausgeführten Ideen weiterentwickeln und einsatzfähig machen. Die Kommission wird dann Rechtsvorschläge zur Umsetzung der Ideen für die Stärkung der Economic Governance vorlegen, die zur Erhaltung solider öffentlicher Finanzen beitragen und das Wachstumspotenzial der EU stärken werden.

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