Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 31986D0509

    86/509/EWG: Entscheidung der Kommission vom 21. Mai 1986 über Beihilfen der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Bayern zugunsten eines Herstellers von Polyamid- und Polyestergarnen in Deggendorf (Nur der deutsche Text ist verbindlich)

    ABl. L 300 vom 24.10.1986, p. 34–40 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT)

    Legal status of the document In force

    ELI: http://data.europa.eu/eli/dec/1986/509/oj

    31986D0509

    86/509/EWG: Entscheidung der Kommission vom 21. Mai 1986 über Beihilfen der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Bayern zugunsten eines Herstellers von Polyamid- und Polyestergarnen in Deggendorf (Nur der deutsche Text ist verbindlich)

    Amtsblatt Nr. L 300 vom 24/10/1986 S. 0034 - 0040


    *****

    ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION

    vom 21. Mai 1986

    über Beihilfen der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Bayern zugunsten eines Herstellers von Polyamid- und Polyestergarnen in Deggendorf

    (Nur der deutsche Text ist verbindlich)

    (86/509/EWG)

    DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN

    GEMEINSCHAFTEN -

    gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 93 Absatz 2 erster Unterabsatz,

    nach Einholung der Äusserungen der Beteiligten gemäß dem vorgenannten Artikel und gestützt auf diese Äusserungen,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    I

    Auf wiederholte Anfragen der Kommission hatte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Kommission mit Schreiben vom 22. März bzw. vom 25. Juli 1985 verspätet davon unterrichtet, daß einem Polyamid- und Polyestergarnhersteller in Deggendorf eine finanzielle Unterstütztung gewährt worden war.

    Die Beihilfen wurden im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe und des bayerischen Regionalbeihilfeprogramms in der Zeit von 1981 bis Ende 1983 vergeben.

    Gemäß der Gemeinschaftsaufgabe wurde eine Investitionszulage in Höhe von 6,12 Millionen DM für Investitionen in Höhe von 61,2 Millionen DM gezahlt, während im Rahmen des bayerischen Regionalbeihilfeprogramms für Teile der genannten Investitionen im Wert von 35,9 Millionen DM ein Darlehen in Höhe von 11 Millionen DM zum Zinssatz von 5 % und mit einer Laufzeit von 8 Jahren gewährt wurde. Demnach machen die Beihilfen 28 % der Gesamtinvestition aus.

    Nach einer ersten Prüfung gelangte die Kommission zu der Auffassung, daß die in der Zeit von 1981 bis Ende 1983 gewährten Beihilfen, die nicht vorher bei der Kommission angemeldet worden waren, rechtswidrig seien, da die Bundesregierung ihre Verpflichtungen aus Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag nicht erfuellt hatte. Nach dem 1977 eingeführten Beihilfekodex für Synthesefasern und -garn, der den Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 19. Juli 1977 zugestellt worden war und im Bulletin der Europäischen Gemeinschaften vom Juli/August 1977 (Ziffer 1.5.3) und vom November 1977 (Ziffer 2.1.47) veröffentlicht und 1979, 1981, 1983 und 1985 verlängert wurde, sind jedwede Beihilfevorhaben zugunsten von Unternehmen der Synthesefaser- und Garnindustrie so rechtzeitig bei der Kommission anzumelden, daß diese sich hierzu äussern und gegebenenfalls gegen die beabsichtigte Maßnahme das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 einleiten kann.

    Zudem trugen nach Auffassung der Kommission die Beihilfen nicht dazu bei, die Anlage für die Polyamid- und Polyestergarnproduktion im Sinne des gemeinschaftlichen Beihilfekodexes für Synthesefasern und -garn umzustrukturieren, da die Unterstützung weder zu einem Kapazitätsabbau noch zu einer Umstellung von Synthesefasern und -garnen auf andere Erzeugnisse führte.

    Ausserdem war die Kommission der Ansicht, daß die Investition, die von der Bundesregierung als eine grundlegende Rationalisierung bezeichnet worden war, eine blosse Modernisierung in der Produktions- und Verarbeitungsanlage für Synthesegarn betraf, um diese weiterzubetreiben und ihr Tätigkeitsniveau zumindest aufrechtzuerhalten - wenn nicht gar beträchtlich auszuweiten-, ohne eine wesentliche Änderung zu bewirken. Annähernd die Hälfte der durch die beiden Beihilfen geförderten Gesamtinvestitionen betraf unmittelbar die Garnproduktion und die Spinnphase. Da jedoch die übrigen Investitionsanteile, die an das Texturieren, Zwirnen, Färben und Wirken des so hergestellten Garns gebunden sind, folgerichtig nicht von der eigentlichen Garnproduktion getrennt werden können - in den meisten Betrieben sind dies voll integrierte Produktionsabschnitte -, hätte die Gesamtinvestition unter Einsatz der eigenen Finanzmittel des Unternehmens und ohne staatliche Beihilfe getätigt werden müssen.

    Schließlich hielt die Kommission dafür, daß in einer Situation, in der die anderen Synthesefasern- und Synthesefasergarnhersteller nach wie vor grosse Anstrengungen machten, um sich durch einen erheblichen Kapazitätsabbau der derzeitigen Marktlage anzupassen, die fraglichen Beihilfen nicht zu einer Entwicklung beitrugen, die die damit verbundenen handelsverzerrenden Auswirkungen aus der Sicht der Gemeinschaft wieder ausglich, und daß sie vielmehr durch die Begünstigung des betreffenden Unternehmens in einem Sektor, in dem lebhafter Handel und ein scharfer Wettbewerb herrschen, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet und infolgedessen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar waren.

    Die Kommission war daher der Ansicht, daß die Beihilfen nicht die Voraussetzungen für die Anwendung einer der Ausnahmeregelungen nach Artikel 92 EWG-Vertrag erfuellten, und eröffnete das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 erster Unterabsatz EWG-Vertrag.

    Mit Schreiben vom 23. September 1985 forderte sie die Bundesregierung zur Äusserung auf. Die anderen Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten wurden am 17. Oktober 1985 bzw. am 29. Oktober 1985 unterrichtet.

    II

    In ihren im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag mit Schreiben vom 30. Dezember 1985 übermittelten Bemerkungen wies die Bundesregierung darauf hin, daß die Investition motwendig gewesen sei, da Garne der gewünschten Qualität auf dem Weltmarkt nicht in genügender Menge angeboten würden. Überdies sei im Rahmen des Investitionsvorhabens eine grundlegende Rationalisierung erfolgt, die zu einem voll integrierten und modernen Produktionsprozeß geführt und die 1 400 bestehenden und 110 zusätzlich geschaffenen Arbeitsplätze gesichert habe.

    Die Bundesregierung erklärte ferner, daß die Beihilfen im Rahmen der beiden in Frage stehenden Beihilferegelungen zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile gewährt worden seien, von denen die Zonenrandgebiete betroffen seien, zu denen die Region Deggendorf gehöre, so daß die Voraussetzungen des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c) EWG-Vertrag erfuellt seien; sie seien zudem vergeben worden, um die Entwicklung des in Rede stehenden Gebiets zu fördern, in dem die Lebenshaltung aussergewöhnlich niedrig und die Unterbeschäftigung beträchtlich seien, so daß zusätzlich Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a) EWG-Vertrag eingreife.

    Die Bundesregierung zog daraus den Schluß, daß die Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar seien.

    In ihren im Laufe des Verfahrens abgegebenen Stellungnahmen stimmten drei andere Mitgliedstaaten und vier Unternehmensvereinigungen der einschlägigen Branche den Schlußfolgerungen der Kommission zu und äusserten starke Bedenken gegenüber den Fördermaßnahmen. Sie betonten, daß die Lage der Polyamid- und Polyestergarnindustrie nach wie vor durch gravierende Überkapazitäten und niedrige Preise gekennzeichnet sei und Beihilfen, die für die Modernisierung oder gar Kapazitätserweiterung gewährt würden, den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerrten, indem sie den Begünstigungen ungerechtfertigte Vorteile verschafften.

    Schließlich wurde darauf hingewiesen, daß die gewährten Beihilfen im Widerspruch zum Synthesefaser- und Synthesegarn-Beihilfenkodex stuenden.

    III

    Die finanzielle Unterstützung, die dem Unternehmen in Deggendorf gemäß der Gemeinschaftsaufgabe und dem bayerischen Regionalbeihilfeprogramm gewährt wurde, ist eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 EWG-Vertrag.

    Dies wird nicht durch die Behauptung widerlegt, daß vom Standpunkt der Firmen, die einen Standort für ihre Investition suchen, die regionale Beihilfe lediglich die Nachteile von Fördergebieten ausgleiche.

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß auch der Ausgleich für die Nachteile eines Gebiets streng genommen den Empfänger bevorteilt, da dadurch seine Kosten in diesem Gebiet gesenkt werden. Sodann ist es meist zweifelhaft, ob die Nachteile eines Gebiets hinreichend genau quantifiziert werden können, um eine Beihilfe auf einer ihnen exakt entsprechenden Höhe festzusetzen. Vor allem aber wird eine Regionalbeihilfe von den Mitgliedstaaten gewöhnlich so hoch festgesetzt, daß sie den Unternehmen neben dem Ausgleich für Nachteile einen positiven finanziellen Anreiz bieten, bestimmte Gebiete als Standort und für ihre Investitionen auszuwählen. Daß regionale Beihilfen den Empfängern einen Vorteil verschaffen, wird durch den Wortlaut von Artikel 92 Absatz 3 bestätigt, wonach Beihilfen zu Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können. Dies zeigt, daß derartige Beihilfen unter Artikel 92 Absatz 1 fallen und daß nicht geltend gemacht werden kann, regionale Beihilfen bevorteilten die Empfänger nicht, weil sie ja nur die Nachteile eines besonderen Standorts ausgeglichen. Deshalb sind diese Beihilfen gemäß Artikel 93 Absatz 3 bei der Kommission anzumelden. Ausserdem verlangt die Kommission gemäß dem Beihilfekodex für Synthesefasern und -garn die vorherige Anmeldung aller Beihilfevorhaben zugunsten von Unternehmen der Synthesefaser- und -garnindustrie. Da die Bundesregierung die fraglichen Beihilfen nicht vorher anmeldete, konnte die Kommission sich vor der Durchführung der Maßnahmen nicht dazu äussern. Mithin verstossen die Beihilfen vom Zeitpunkt ihrer Anwendung an gegen das Gemeinschaftsrecht. Die durch dieses Pflichtversäumnis entstandene Lage ist besonders schwerwiegend, da die Beihilfen den Begünstigen bereits ausgezahlt wurden. Hier haben die Beihilfen Wirkungen erzeugt, die als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar angesehen werden.

    In Fällen der Unvereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt kann die Kommission - indem sie von einer Möglichkeit Gebrauch macht, die ihr der Gerichtshof mit Urteil vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72 (1) eingeräumt hat - die Mitgliedstaaten zur Rückforderung der Beihilfen verpflichten.

    IV

    Mit einem Umsatz innerhalb der Gemeinschaft von 66 % bzw. 65 % der gesamten EG-Produktion ist das Handelsvolumen bei Synthesefasern und -garn und besonders bei Polyamid- und Polyestergarn sehr groß.

    Das in Rede stehende Unternehmen hat einen Marktanteil von 3,0 % der gesamten Polyamidkapazität in der EG und von 4,9 % bei Polyester. Es hat seine Polyamidkapazität, die 1980 noch 7 000 Tonnen betrug, 1983 auf 10 000 Tonnen gesteigert; bei Polyester betrug die Kapazität 1983 18 000 Tonnen gegenüber 7 000 Tonnen 1980. Darüber hinaus ist das Unternehmen aktiv am innergemeinschaftlichen Handel mit Garnen und Enderzeugnissen beteiligt, die durch Verwendung der Garne als Ausgangsstoff produziert werden.

    In der Gemeinschaft besteht eine erhebliche Überkapazität an Polyamidgarn, da - trotz des jüngsten Konjunkturaufschwungs, der in erster Linie auf geringere Einfuhren aus den USA infolge des Dollarkursanstiegs zurückzuführen und auch vor dem Hintergrund des sehr viel geringeren Versandvolumens der Vorjahre zu sehen ist - die Produktionsanteile sich nach wie vor geographisch zugunsten der Dritten Welt verlagern. 1984 betrug die Kapazitätsauslastungsrate bei Polyamid 79 % im Vergleich zu 65 % im Jahre 1982; sie hatte sich vor allem deshalb so stark erhöht, weil Kapazitäten von rund 66 000 Tonnen abgebaut worden waren. Für 1986 und die folgenden Jahre wurden bereits weitere Schließungen angekündigt. In den letzten vier Jahren sank die Produktion um 9 %. 1984 betrug die Kapazitätsauslastung bei Polyester 85 % im Vergleich zu 67 % 1982. Bei Polyester war der Abbau um 73 000 Tonnen in der Produktionskapazität in dieser Zeit Hauptursache für die Verbesserung. In den letzten vier Jahren gingen die Lieferungen um 3 % zurück.

    Die Folge ist, daß zwischen den Polyamid- und Polyestergarn-Herstellern in der Gemeinschaft ein scharfer Wettbewerb herrscht. Für die meisten von ihnen ist die Polyamidherstellung ein Verlustgeschäft, da die Preise noch immer dem Stand von 1974 entsprechen und die Polyesterpreise auf 70 % des Standes von 1974 gesunken sind.

    Beide Garnarten gehören zu der Gruppe von Produkten, die Gegenstand von Industrievereinbarungen über den Abbau von Kapazitäten sind.

    Im vorliegenden Fall verfälschen die streitigen Beihilfen den Wettbewerb, weil sie den Investitionsertrag des Empfängers berechenbar verbessern und dadurch seine finanzielle Position gegenüber nicht in dieser Weise begünstigten Wettbewerbern stärken. Diese Wettbewerbsverfälschung ist auch spürbar, denn die Beihilfe beträgt 10,85 % Nettosubventionsäquivalent und eine Investitionskostensenkung in dieser Höhe bietet dem begünstigten Unternehmen gegenüber seinen nicht beihilfebegünstigten Wettbewerbern einen beträchtlichen Vorteil.

    Wird aber die Position eines Unternehmens im innergemeinschaftlichen Handel durch staatliche Finanzhilfen gegenüber seinen Wettbewerbern gestärkt, so müssen letztere als durch diese Beihilfe beeinträchtigt angesehen werden. Im vorliegenden Fall sind die Beihilfen, durch die die Investitionskosten, für die das Deggendorfer Unternehmen normalerweise aufkommen müsste, gesenkt wurden, geeignet, durch Begünstigung des betreffenden Unternehmens im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EWG-Vertrag den Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zwischen Mitgliedstaaten zu verfälschen bzw. drohen, diesen zu verfälschen. Nach Artikel 92 Absatz 1 sind Beihilfen, die die dort genannten Merkmale aufweisen, grundsätzlich mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.

    Die in Artikel 92 Absatz 2 Buchstaben a) und b) genannten Ausnahmen von der Unvereinbarkeit sind im vorliegenden Fall wegen der Art der Beihilfen, die zudem nicht für diese Zwecke bestimmt waren, nicht anwendbar.

    Artikel 92 Absatz 3 regelt, welche Beihilfen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden können. Um das ordnungsgemässe Funktionieren des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten, sind bei der Prüfung einer Beihilferegelung oder eines Einzelanwendungsfalls die in Artikel 92 Absatz 3 genannten Ausnahmen von dem Grundsatz des Artikels 92 Absatz 1 unter Berücksichtigung der Grundsätze des Artikels 3 Buchstabe f) EWG-Vertrag eng auszulegen.

    Sie können insbesondere nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Kommission die Überzeugung gewinnt, daß ohne Beihilfen die Marktkräfte allein nicht ausreichen würden, das begünstigte Unternehmen zu einem Verhalten zu bewegen, das zur Erreichung eines der in den Ausnahmebestimmungen genannten Ziele beizutragen geeignet ist.

    Diese Ausnahmevorschriften auf Fälle anzuwenden, in denen eine Beihilfe zur Verwirklichung jener Ziele nicht erforderlich ist, liefe darauf hinaus, daß Industriezweige oder Unternehmen in bestimmten Mitgliedstaaten ungerechtfertigte Vorteile erlangen, indem ihre finanzielle Lage verbessert würde, und daß Beeinträchtigungen des Handels zwischen Mitgliedstaaten und Verfälschungen des Wettbewerbs hingenommen würden, ohne daß dies in irgendeiner Weise durch das Gemeinschaftsinteresse in Artikel 92 Absatz 3 gerechtfertigt wäre. Weder hat die Bundesregierung eine Rechtfertigung für die Inanspruchnahme einer der Ausnahmeregelungen nach Artikel 92 Absatz 3 EWG-Vertrag gegeben, noch hat die Kommission eine solche finden können.

    Hinsichtlich der Ausnahmebestimmungen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b) bestand offensichtlich nicht die Absicht, mit den in Rede stehenden Beihilfen ein wichtiges Vorhaben im gemeinschaftlichen europäischen Interesse zu fördern oder eine beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben zu beheben. Beihilfen für ein Unternehmen der Synthesefaser- und -garndindustrie sind nicht geeignet, um in Situationen der in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b) beschriebenen Art Abhilfe zu schaffen.

    Zu der in Absatz 3 Buchstabe c) vorgesehenen Ausnahme zugunsten einer »Beihilfe zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftstätigkeiten" ist zu bemerken, daß der Handel zwischen den Mitgliedstaaten bei Synthesefasern und -garnen generell und besonders bei Polyamid- und Polyestergarn sehr intensiv ist und infolge der - wie erwähnt - anhaltenden und unbestrittenen Überkapazitäten und niedrigen Preise ein sehr scharfer Wettbewerb herrscht. Daher auch gilt für Synthesefasern und -garne einschließlich Polyamid und Polyester die Synthesefaserdisziplin.

    In ihrem Schreiben vom 11. August 1981, mit dem sie das System der Beihilfekontrolle für weitere zwei Jahre bis zum 19. Juli 1983 verlängere - also für den hier relevanten Zeitraum - wies die Kommission die Mitgliedstaaten darauf hin, daß sie zu den geplanten sektoralen, regionalen oder allgemeinen Beihilfen, die eine Erhöhung der Nettokapazität der Unternehmen dieses Sektors bewirken, von vornherein eine ablehnende Stellungnahme abgeben werde. Sie erinnert die Mitgliedstaaten ausserdem daran, daß sie Vorschläge für Beihilfegewährungen zum Zweck der Beschleunigung oder Erleichterung des Umstellungsprozesses von Chemiefasern auf andere Tätigkeiten oder die Umstrukturierung mit dem Ergebnis von Kapazitätsverringerungen weiterhin wohlwollend prüfen werde.

    In diesem Schreiben machte die Kommission die Mitgliedstaaten erneut darauf aufmerksam, daß Beihilfevorhaben aller Art zugunsten von Unternehmen der Synthesegarn- und -faserindustrie vorher bei ihr anzumelden sind.

    Alle Beihilfen für den Synthesefasersektor müssen nicht nur den Erfordernissen der Synthesefaserregelung, sondern auch den Richtlinien der Kommission für Beihilfen an die Textilindustrie aus den Jahren 1971 und 1977 entsprechen, wonach die Vergabe von Investitionsbeihilfen im Gegensatz zur Gewährung für die blosse Modernisierung der Produktionsanlage an die Erreichung klarer Umstrukturierungsziele geknüpft sein muß.

    Die hier in Frage stehende Investition, die von der Bundesregierung als grundlegende Rationalisierung beschrieben wird, betrifft jedoch lediglich die Modernisierung einer Produktions- und Verarbeitungsanlage für Synthesegarn, um sie in Betrieb zu halten, ohne eine durchgreifende Änderung zu bewirken. Die an das Texturieren und Zwirnen, Färben und Wirken von Garne gebundene Investition lässt sich logisch nicht von der eigentlichen Garnproduktion trennen, für welche annähernd 50 % der Investitionen gebraucht wurden, denn erst im Anschluß an diese Verarbeitungsstufen - die in den meisten Unternehmen, einschließlich des begünstigten Unternehmens, voll integrierte Produktionsstufen sind - werden die Garne weiterverarbeitet oder am Markt angeboten. Da die »Kontinü"-Technik vor einigen Jahren das alte Verfahren ersetzt hat und von den meisten Polyamid- und Polyesterherstellern bereits angewandt wird, stellte die betreffende Investition nur eine gewöhnliche Modernisierung einer veralteten Anlage dar, um diese wettbewerbsfähig zu erhalten. Sie kann nicht als Umstrukturierungsmaßnahme bezeichnet werden und sollte deshalb mit eigenen Finanzmitteln des Unternehmens ohne Einsatz staatlicher Beihilfen durchgeführt werden.

    Im übrigen war die Kommission von jeher grundsätzlich gegen Betriebsbeihilfen, weil nach ihrer Auffassung gerade im Textil-, Bekleidungs-, Synthesefaser- und -garnsektor Investitionen eines Unternehmens zur Erhaltung seiner Geschäftstätigkeit oder zur Beibehaltung seines Tätigkeitsniveaus ohne grundlegende Veränderungen nicht für eine Unterstützung in Frage kommen. Diesen Standpunkt hat die Bundesregierung übrigens bei früheren Anlässen vollauf geteilt.

    Im vorliegenden Fall zeigt sich jedoch an der Produktionskapazität des Unternehmens vor und nach der fraglichen Investition, daß diese eine erhebliche Steigerung der Nettoproduktionskapazität bei Polyamidgarn wie auch bei Polyestergarn bewirkt hat. Übrigens können nur diese Kapazitätssteigerungen erklären, warum das Unternehmen seine Produktion, wie behauptet, rationalisieren konnte, während zugleich 110 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden.

    Demnach verstossen die für diese Investition gegebenen Beihilfen gegen den Synthesefaser- und -garnbeihilfekodex und weist die in Frage stehende Investition keine besonderen Merkmale auf, die es rechtfertigen würden, daß die Kommission die geplanten Beihilfen von den im Beihilfekodex aufgestellten Regeln, nach denen solche Beihilfen zu vermeiden sind, ausnimmt; denn jegliche Schaffung von Kapazität mit staatlicher Hilfe ist dem gemeinschaftlichen Interesse, das auf einen Kapazitätsabbau gerichtet ist, abträglich und verschlechtert die Lage anderer Unternehmen, die alle einen Kapazitätsüberhang verzeichnen.

    Selbst im vorliegenden Fall, in dem der Ertrag des geförderten Unternehmens hauptsächlich im Unternehmen selbst verwendet wird, ist der Schaden für Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft nicht geringer, denn angesichts der zusätzliche Kapazität und der Verbrauchergewohnheiten mussten und müssen sie die Kapazität weiter abbauen, um die neue Kapazität in Deggendorf wettzumachen.

    Die Bundesregierung macht in ihren Bemerkungen im Rahmen des Verfahrens geltend, daß die Arten des in Deggendorf hergestellten Garns, insbesondere POY (pre-oriented yarn) nicht in genügender Menge und Qualität verfügbar seien. Hierzu ist festzustellen, daß dieses Erzeugnis zu den Fasern und Garnen im Überschuß in der EG insgesamt gehört und daß POY von zahlreichen Unternehmen in der Gemeinschaft in hochwertiger Qualität hergestellt werden kann und wird.

    Ausserdem ist das Deggendorfer Unternehmen Tochter einer viel grösseren Muttergesellschaft, das in der Synthesegarn-, Textil- und Bekleidungsproduktion tätig und dessen Kapitalkraft beträchtlich war und ist, so daß die Marktkräfte an sich ausgereicht hätten, um ohne staatliche Maßnahmen eine normale Entwicklung und die betreffende Investition sicherzustellen.

    In den letzten Jahren hat die Kommission es den Mitgliedstaaten stets untersagt, Synthesefaser- oder Synthesefasergarnherstellern in ähnlichen oder gar gleichartigen Situationen, d. h. wenn das betreffende Unternehmen nur die Herstellung modernisieren oder rationalisieren wollte, ohne daß davon Änderungen betroffen waren, die nach der Beihilferegelung für Synthesefasern vorgenommen werden mussten, finanzielle Hilfe zu gewähren.

    Demgemäß und in Anbetracht aller vorausgehenden Überlegungen hinsichtlich der Ausnahmebestimmungen in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) EWG-Vertrag zugunsten einer »Beihilfe zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftstätigkeiten" ist festzustellen, daß die Beihilfen dadurch, daß die Kosten des betreffenden Unternehmens künstlich gesenkt wurden, die Wettbewerbsstellung anderer Hersteller in der EG geschwächt haben und somit eine weitere Verringerung der Kapazitätsauslastung und eine Preissenkung zum Nachteil von Herstellern bewirken, die bisher dank Umstrukturierung und Verbesserung von Produktion und Qualität aus eigener Kraft überleben konnten und nun möglicherweise aus dem Markt gedrängt werden. Demnach lässt sich nicht sagen, daß die Beihilfen, die dem fraglichen Unternehmen zugute kamen, dessen Marktstellung nicht mehr allein durch seine eigene Wirtschaftlichkeit, Leistungsfähigkeit und Finanzkraft bestimmt werden, die Entwicklung fördern oder zu einer Entwicklung beitragen, die vom Standpunkt der Gemeinschaft geeignet wäre, den handelsverzerrenden Folgen der Beihilfe entgegenzuwirken.

    Die in Buchstabe a) des Artikels 92 Absatz 3 vorgesehene Ausnahme gilt für Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung aussergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht. Als die Kommission das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 hinsichtlich des Zehnten Rahmenplans der Gemeinschaftsaufgabe eröffnete, vertrat sie den Standpunkt, daß die wirtschaftliche und soziale Lage in der Bundesrepublik weder auf Landes- noch auf Ortsebene eine Ausnahme im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a) rechtfertigte. Die Kommission hat diesen Standpunkt in der Anlage zu ihrem Schreiben an die Bundesregierung vom 6. November 1981 dargelegt. Durch eine weitere Untersuchung, die die Kommission vor der Eröffnung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 hinsichtlich der Regionalbeihilfesysteme von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein durchführte, wurde diese Haltung bekräftigt und in der Anlage zu dem Schreiben der Kommission an die Bundesregierung vom 10. August 1984 erneut vorgetragen. Die Kommission möchte sich ausdrücklich auf diese beiden Erklärungen beziehen.

    Die neueste Prüfung der Lage bestätigt ihren Eindruck, daß weder in der Bundesrepublik insgesamt noch in dem durch diese Entscheidung betroffenen besonderen Gebiet die Lebenshaltung aussergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, so daß die in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a) vorgesehene Ausnahme unanwendbar ist.

    Die Ausnahmevorschrift des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c) gilt für Beihilfen, die der Förderung gewisser Wirtschaftsgebiete dienen, sofern sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.

    Die sektoralen Auswirkungen von regionalen Beihilfen auf den betreffenden Gewerbezweig müssen in diesem Fall selbst für die am schlechtesten gestellten Gebiete - zu denen Deggendorf nicht einmal gehört - geprüft werden, weshalb die Kommission ihre Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Rahmen des Gemeinschaftsinteresses vornehmen muß.

    In dem Beihilfekodex für die Synthesefaser- und -garnindustrie kommt eine gemeinschaftliche Politik zum Ausdruck, die von allen Mitgliedstaaten getragen wird. Gemäß dieser Politik und angesichts der Lage, in der der betreffende Industriezweig sich gegenwärtig befindet, sind Investitionen, die zum Zwecke der Kapazitätssteigerung oder zur Modernisierung oder Rationalisierung der Produktion getätigt werden, sofern sie nicht die vom Beihilfekodex geforderten Veränderungen betreffen, der Entwicklung bestimmter Wirtschaftsgebiete nicht förderlich, da sie eine Produktionsanlage finanziell und wirtschaftlich nicht lebensfähiger machen können und die in Frage stehenden Arbeitsplätze nicht sichern würden, so daß die in Artikel 93 Absatz 3 Buchstabe c) gesetzten Ziele nicht erreicht würden.

    Deshalb haben die hier in Rede stehenden Beihilfen die wirtschaftliche Entwicklung des Raums Deggendorf nicht im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c) gefördert, da sie dem betreffenden Gebiet keine nachhaltige Einkommenssteigerung oder Besserung der Arbeitslage brachten, sondern dazu angetan waren, den Wettbewerb im innergemeinschaftlichen Handel zu verfälschen, ohne den erforderlichen Beitrag zur Regionalentwicklung zu leisten.

    In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die Kommission aus den gleichen Gründen staatliche Beihilfen an andere Synthesefaser- bzw. -garnhersteller in Regionen der Gemeinschaft untersagen musste, in denen die Arbeitslosigkeit viel höher und die Lebenshaltung viel niedriger ist als im Raum Deggendorf.

    Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrags bestimmt, daß Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind.

    Buchstabe c) von Artikel 92 Absatz 2 macht die Ausnahme von dem Beihilfeverbot des Artikels 92 Absatz 1 von genau umrissenen aussergewöhnlichen Umständen abhängig. Die Kommission ist daher verpflichtet zu prüfen, ob eine Beihilfe die Voraussetzungen des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c) erfuellt.

    Im vorliegenden Fall kann die Kommission dahingestellt sein lassen, ob die durch die Teilung ursprünglich entstandenen Nachteile durch den Zeitablauf und das Zusammenwachsen des Gemeinsamen Marktes gemindert worden sind.

    Bei einem Industriezweig wie diesem veranlassen sektorale Erwägungen, wie sie im Beihilfekodex für die Synthesefaser- und -garnindustrie zum Ausdruck kommen, wonach alle Beihilfen für derartige Investitionen untersagt sind und denen die Bundesregierung mit Schreiben vom 9. September 1981 und vom 5. September 1983 ausdrücklich zugestimmt hat, und wie sie oben näher beschrieben wurden, die Kommission zu dem Schluß, daß die geförderte Investition im vorliegenden Fall nicht geeignet war, wirtschaftliche Nachteile im Raum Deggendorf auszugleichen, da sie keine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung einleitete.

    Die Kommission war nie der Meinung, daß die Zonenrandgebiete der Bundesrepublik der Überwachung staatlicher Beihilfen zugunsten von Industriezweigen, für die ein spezifischer Beihilfekodex eingeführt wurde, um einer ernsten Krise zu begegnen, automatisch entzogen sind. Besonders in ihrem Schreiben vom 6. November 1981 über die zehnte Gemeinschaftsaufgabe (Bund/Länder) hatte sie die Bundesregierung über diese sektoralen ,proviso'-Klauseln unterrichtet. Letztere wurden von dieser nie in Frage gestellt.

    Des weiteren kam diese Politik zum Ausdruck, als die Kommission 1985 die Gewährung einer staatlichen Beihilfe an einen Synthesegarnhersteller in Neumünster (Zonenrandgebiet) untersagte; dieser hatte ebenfalls lediglich beabsichtigt, die Produktion zu modernisieren und zu rationalisieren, ohne daß dadurch irgendeine der durch die maßgebliche Regelung geforderten Veränderungen herbeigeführt wurde (1).

    Aus alledem folgt, daß das Deggendorfer Unternehmen keine Freistellung gemäß Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c) EWG-Vertrag beanspruchen kann.

    In Anbetracht des Vorstehenden sind die fraglichen Beihilfen rechtswidrig, weil die Bundesregierung ihren Pflichten aus Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag nicht nachgekommen ist. Die Voraussetzungen für die Anwendung einer der Ausnahmebestimmungen des Artikels 92 Absätze 2 und 3 EWG-Vertrag sind nicht gegeben. Die Beihilfen müssen daher wiedereingezogen werden -

    HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN:

    Artikel 1

    Die der Kommission von der Bundesregierung mit Schreiben vom 22. März und 25. Juli 1985 verspätet mitgeteilten Beihilfen, die einem Hersteller von Polyamid- und Polyestergarnen in Deggendorf in der Zeit von 1981 bis Ende 1983 in Form einer Investitionszulage von 6,12 Millionen DM nach der Gemeinschaftsaufgabe und eines Darlehens in Höhe von 11 Millionen DM zum Zinssatz von 5 % mit einer Laufzeit von 8 Jahren nach dem bayerischen Regionalbeihilfeprogramm gewährt wurden, verstossen gegen Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag und sind daher rechtswidrig. Sie sind ausserdem gemäß Artikel 92 des Vertrages mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.

    Artikel 2

    Die genannten Beihilfen sind zurückzufordern. Die Bundesrepublik Deutschland unterrichtet die Kommission binnen 2 Monaten nach der Bekanntgabe dieser Entscheidung von den Maßnahmen, die sie getroffen hat, um dieser Entscheidung nachzukommen.

    Artikel 3

    Diese Entscheidung ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.

    Brüssel, den 21. Mai 1986

    Für die Kommission

    Peter SUTHERLAND

    Mitglied der Kommission

    (1) Slg. 1973, S. 813.

    (1) ABl. Nr. L 181 vom 13. 7. 1985, S. 42.

    Top