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Document 62011CJ0175
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
Rechtssache C-175/11
H. I. D.
und
B. A.
gegen
Refugee Applications Commissioner u. a.
(Vorabentscheidungsersuchen des High Court [Irland])
„Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames europäisches Asylsystem — Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft — Richtlinie 2005/85/EG — Art. 23 — Möglichkeit einer vorrangigen Bearbeitung von Asylanträgen — Nationales Verfahren, das für die Prüfung von Anträgen, die von Personen gestellt wurden, die einer nach der Staatsangehörigkeit oder dem Herkunftsland bestimmten Gruppe von Personen angehören, ein vorrangiges Verfahren vorsieht — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Art. 39 der Richtlinie 2005/85 — Begriff ‚Gericht‘ oder ‚Tribunal‘ im Sinne dieser Vorschrift“
Leitsätze ‐ Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 31. Januar 2013
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Asylpolitik – Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft – Richtlinie 2005/85 – Nationale Regelung, nach der ein Asylantrag einem vorrangigen oder beschleunigten Verfahren unterworfen werden kann – Zulässigkeit – Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot – Fehlen
(Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 8 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 3 und 4)
EU-Recht – Grundsätze – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Verankerung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 39)
Vorabentscheidungsverfahren – Anrufung des Gerichtshofs – Nationales Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV – Begriff – „Refugee Appeals Tribunal“ (Berufungsinstanz für Entscheidungen der für die Prüfung von Asylanträgen zuständigen irischen Behörde) – Einbeziehung
(Art. 267 AEUV)
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Asylpolitik – Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft – Richtlinie 2005/85 – Anspruch auf Gewährung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes – Nationale Regelung, nach der ein Asylbewerber bei einer Rechtsmittelinstanz wie dem Refugee Appeals Tribunal gegen die Entscheidung der zuständigen Behörde Rechtsmittel einlegen kann – Gericht, dessen Entscheidung, falls mit ihr der Antrag zurückgewiesen wird, dem Minister ein Restermessen lässt – Möglichkeit des Asylbewerbers, gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts vor einem höheren nationalen Gericht Rechtsmittel einzulegen und dort unmittelbar die Gültigkeit der von der zuständigen Behörde erlassenen Entscheidung anzufechten – Möglichkeit, gegen Entscheidungen des höheren Gerichts Rechtsmittel einzulegen – Zulässigkeit der nationalen Regelung, deren Wirksamkeit vom Verwaltungs- und Justizsystem jedes Mitgliedstaats abhängt, das in seiner Gesamtheit zu betrachten ist
(Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 39)
Art. 23 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2005/85 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, die Prüfung bestimmter Kategorien von Asylanträgen, die nach der Staatsangehörigkeit oder dem Herkunftsland des Asylbewerbers festgelegt sind, unter Beachtung der in Kapitel II dieser Richtlinie genannten Grundsätze und Garantien in einem beschleunigten oder vorrangigen Verfahren durchzuführen.
Die Mitgliedstaaten verfügen nämlich bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/85 hinsichtlich der Durchführung des Verfahrens zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Berücksichtigung der Besonderheiten ihres nationalen Rechts über ein Ermessen. Zum einen können sie gemäß Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie jede Prüfung vorrangig oder beschleunigt bearbeiten, u. a. in Fällen, in denen der Antrag wahrscheinlich wohlbegründet ist oder in denen der Asylbewerber besondere Bedürfnisse hat. Zum anderen können sie gemäß Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie das vorrangige oder beschleunigte Prüfungsverfahren gestützt auf einen der 15 spezifischen Gründe anwenden, die die Durchführung eines solchen Verfahrens rechtfertigen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Liste der Anträge, die einer vorrangigen oder beschleunigten Prüfung unterzogen werden können, lediglich Hinweischarakter hat und nicht abschließend ist. Die Mitgliedstaaten können also eine vorrangige oder beschleunigte Prüfung von Anträgen beschließen, die unter keine der in Art. 23 Abs. 4 genannten Kategorien fallen, soweit sie die in Kapitel II dieser Richtlinie genannten Grundsätze und Garantien beachten.
Was das Verbot einer Diskriminierung angeht, spielen im Rahmen der durch die Richtlinie 2005/85 eingeführten Regelung das Herkunftsland und die Staatsangehörigkeit des Antragstellers eine entscheidende Rolle. Aus Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie folgt nämlich, dass das Herkunftsland des Antragstellers einen Einfluss auf die Entscheidung der Asylbehörde hat, weil diese verpflichtet ist, sich über die allgemeine Situation in diesem Land zu informieren, um festzustellen, ob für den Asylbewerber eine Gefahr besteht und ob er gegebenenfalls eines internationalen Schutzes bedarf.
Um jedoch zu vermeiden, dass Asylbewerber aus einem bestimmten Drittstaat, deren Asylanträge vorrangig geprüft werden, gegenüber Staatsangehörigen anderer Drittstaaten, deren Asylanträge im normalen Verfahren geprüft werden, diskriminiert werden, darf dieses vorrangige Verfahren Antragstellern der erstgenannten Kategorie die nach Art. 23 der Richtlinie 2005/85 zu beachtenden Garantien, die für jede Art von Verfahren gelten, nicht vorenthalten.
(vgl. Randnrn. 63, 64, 67, 69-71, 73, 74, 77, Tenor 1)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnr. 80)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnrn. 83, 88, 95-97, 105)
Art. 39 der Richtlinie 2005/85 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die einem Asylbewerber die Möglichkeit bietet, entweder gegen die Entscheidung der Asylbehörde ein Rechtsmittel bei einem Gericht oder Tribunal wie dem Refugee Appeals Tribunal einzulegen und gegen dessen Entscheidung ein Rechtsmittel bei einem höheren Gericht einzulegen oder die Gültigkeit der Entscheidung der Asylbehörde vor diesem höheren Gericht anzufechten, gegen dessen Urteile ein Rechtsmittel zum höchsten Gericht des betreffenden Mitgliedstaats möglich ist.
(vgl. Randnrn. 98, 105, Tenor 2)
Rechtssache C-175/11
H. I. D.
und
B. A.
gegen
Refugee Applications Commissioner u. a.
(Vorabentscheidungsersuchen des High Court [Irland])
„Vorabentscheidungsersuchen — Gemeinsames europäisches Asylsystem — Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft — Richtlinie 2005/85/EG — Art. 23 — Möglichkeit einer vorrangigen Bearbeitung von Asylanträgen — Nationales Verfahren, das für die Prüfung von Anträgen, die von Personen gestellt wurden, die einer nach der Staatsangehörigkeit oder dem Herkunftsland bestimmten Gruppe von Personen angehören, ein vorrangiges Verfahren vorsieht — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Art. 39 der Richtlinie 2005/85 — Begriff ‚Gericht‘ oder ‚Tribunal‘ im Sinne dieser Vorschrift“
Leitsätze ‐ Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 31. Januar 2013
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung — Asylpolitik — Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft — Richtlinie 2005/85 — Nationale Regelung, nach der ein Asylantrag einem vorrangigen oder beschleunigten Verfahren unterworfen werden kann — Zulässigkeit — Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot — Fehlen
(Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 8 Abs. 2 und Art. 23 Abs. 3 und 4)
EU-Recht — Grundsätze — Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz — Verankerung in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 39)
Vorabentscheidungsverfahren — Anrufung des Gerichtshofs — Nationales Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV — Begriff — „Refugee Appeals Tribunal“ (Berufungsinstanz für Entscheidungen der für die Prüfung von Asylanträgen zuständigen irischen Behörde) — Einbeziehung
(Art. 267 AEUV)
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung — Asylpolitik — Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft — Richtlinie 2005/85 — Anspruch auf Gewährung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes — Nationale Regelung, nach der ein Asylbewerber bei einer Rechtsmittelinstanz wie dem Refugee Appeals Tribunal gegen die Entscheidung der zuständigen Behörde Rechtsmittel einlegen kann — Gericht, dessen Entscheidung, falls mit ihr der Antrag zurückgewiesen wird, dem Minister ein Restermessen lässt — Möglichkeit des Asylbewerbers, gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts vor einem höheren nationalen Gericht Rechtsmittel einzulegen und dort unmittelbar die Gültigkeit der von der zuständigen Behörde erlassenen Entscheidung anzufechten — Möglichkeit, gegen Entscheidungen des höheren Gerichts Rechtsmittel einzulegen — Zulässigkeit der nationalen Regelung, deren Wirksamkeit vom Verwaltungs- und Justizsystem jedes Mitgliedstaats abhängt, das in seiner Gesamtheit zu betrachten ist
(Richtlinie 2005/85 des Rates, Art. 39)
Art. 23 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2005/85 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, die Prüfung bestimmter Kategorien von Asylanträgen, die nach der Staatsangehörigkeit oder dem Herkunftsland des Asylbewerbers festgelegt sind, unter Beachtung der in Kapitel II dieser Richtlinie genannten Grundsätze und Garantien in einem beschleunigten oder vorrangigen Verfahren durchzuführen.
Die Mitgliedstaaten verfügen nämlich bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/85 hinsichtlich der Durchführung des Verfahrens zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Berücksichtigung der Besonderheiten ihres nationalen Rechts über ein Ermessen. Zum einen können sie gemäß Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie jede Prüfung vorrangig oder beschleunigt bearbeiten, u. a. in Fällen, in denen der Antrag wahrscheinlich wohlbegründet ist oder in denen der Asylbewerber besondere Bedürfnisse hat. Zum anderen können sie gemäß Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie das vorrangige oder beschleunigte Prüfungsverfahren gestützt auf einen der 15 spezifischen Gründe anwenden, die die Durchführung eines solchen Verfahrens rechtfertigen. Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Liste der Anträge, die einer vorrangigen oder beschleunigten Prüfung unterzogen werden können, lediglich Hinweischarakter hat und nicht abschließend ist. Die Mitgliedstaaten können also eine vorrangige oder beschleunigte Prüfung von Anträgen beschließen, die unter keine der in Art. 23 Abs. 4 genannten Kategorien fallen, soweit sie die in Kapitel II dieser Richtlinie genannten Grundsätze und Garantien beachten.
Was das Verbot einer Diskriminierung angeht, spielen im Rahmen der durch die Richtlinie 2005/85 eingeführten Regelung das Herkunftsland und die Staatsangehörigkeit des Antragstellers eine entscheidende Rolle. Aus Art. 8 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie folgt nämlich, dass das Herkunftsland des Antragstellers einen Einfluss auf die Entscheidung der Asylbehörde hat, weil diese verpflichtet ist, sich über die allgemeine Situation in diesem Land zu informieren, um festzustellen, ob für den Asylbewerber eine Gefahr besteht und ob er gegebenenfalls eines internationalen Schutzes bedarf.
Um jedoch zu vermeiden, dass Asylbewerber aus einem bestimmten Drittstaat, deren Asylanträge vorrangig geprüft werden, gegenüber Staatsangehörigen anderer Drittstaaten, deren Asylanträge im normalen Verfahren geprüft werden, diskriminiert werden, darf dieses vorrangige Verfahren Antragstellern der erstgenannten Kategorie die nach Art. 23 der Richtlinie 2005/85 zu beachtenden Garantien, die für jede Art von Verfahren gelten, nicht vorenthalten.
(vgl. Randnrn. 63, 64, 67, 69-71, 73, 74, 77, Tenor 1)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnr. 80)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnrn. 83, 88, 95-97, 105)
Art. 39 der Richtlinie 2005/85 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die einem Asylbewerber die Möglichkeit bietet, entweder gegen die Entscheidung der Asylbehörde ein Rechtsmittel bei einem Gericht oder Tribunal wie dem Refugee Appeals Tribunal einzulegen und gegen dessen Entscheidung ein Rechtsmittel bei einem höheren Gericht einzulegen oder die Gültigkeit der Entscheidung der Asylbehörde vor diesem höheren Gericht anzufechten, gegen dessen Urteile ein Rechtsmittel zum höchsten Gericht des betreffenden Mitgliedstaats möglich ist.
(vgl. Randnrn. 98, 105, Tenor 2)