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Document 62010CJ0081
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Staatliche Beihilfen – Begriff – Steuersonderregelung für ein Unternehmen, die ihm einen Vorteil verschafft
(Art. 87 Abs. 1 EG)
2. Staatliche Beihilfen – Begriff – Steuersonderregelung für ein Unternehmen – Ausgleich eines vorteilhaften Steuergefälles in einem bestimmten Zeitraum durch eine Überbesteuerung aufgrund einer Pauschalabgabe in einem anderen Zeitraum
(Art. 87 Abs. 1 EG)
3. Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften des Art. 88 EG gewährte Beihilfe – Mögliches berechtigtes Vertrauen der Empfänger – Schutz – Voraussetzungen und Grenzen
(Art. 88 Abs. 3 EG)
4. Staatliche Beihilfen – Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe – Zehnjährige Verjährungsfrist nach Art. 15 der Verordnung Nr. 659/1999 – Beginn der Verjährungsfrist – Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe an den Empfänger
(Art. 88 Abs. 2 EG; Verordnung Nr. 659/1999 des Rates, Art. 15)
5. Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Möglichkeit für die Kommission, den nationalen Behörden die Berechnung des genauen zu erstattenden Betrags zu überlassen – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit
1. Eine Steuersonderregelung kann einem Unternehmen einen Vorteil im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG auch dann verschaffen, wenn der genaue Betrag der aufgrund dieser Regelung gewährten Beihilfen anhand bestimmter regelungsexterner Faktoren ermittelt werden muss.
Wenn die Feststellung des Vorliegens einer Beihilfe von einer bestimmten Zahl außerhalb der Steuersonderregelung liegender Umstände wie der Jährlichkeit der Gewerbesteuer und der Höhe der jedes Jahr von den Gebietskörperschaften beschlossenen Steuersätze abhängt, hindern diese Umstände keineswegs daran, dass die Steuersonderregelung bereits zum Zeitpunkt ihres Erlasses als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG eingestuft werden kann. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen einerseits dem Erlass der Beihilferegelung und andererseits der Gewährung der in ihrer genauen Höhe von bestimmten externen Faktoren abhängigen jährlichen Beihilfen an das Unternehmen auf der Grundlage dieser Regelung.
In einem solchen Fall kann das Bestehen eines Vorteils zum einen einer festen Größe geschuldet sein, die mit der Steuersonderregelung für das Unternehmen im Vergleich zur allgemeinen Regelung zusammenhängt, und zum anderen einer variablen Größe, die sich nach tatsächlichen Umständen richtet, nämlich der Lage der Räume oder Grundstücke in verschiedenen lokalen Gebietskörperschaften und dem in diesen Gebietskörperschaften geltenden Steuersatz.
(vgl. Randnrn. 21-23, 27)
2. Was den Beihilfebegriff im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EG betrifft, kann eine Maßnahme der Einstufung als Beihilfe nicht entgehen, wenn ihr Empfänger einer besonderen Belastung unterworfen ist, die eigenständig ist und in keiner Beziehung zu der fraglichen Beihilfe steht.
Die Feststellung, ob eine Überbesteuerung eines Unternehmens in einem bestimmten Zeitraum, die auf eine für es geltende Pauschalabgabe zurückgeht, das ihm in einem anderen Zeitraum zugutegekommene Steuergefälle ausgleicht, hängt von der Untersuchung der objektiven Merkmale der Pauschalabgabe und der Frage ab, ob diese als eine Belastung angesehen werden kann, die untrennbar mit dem Vorteil verbunden ist, der sich für das Unternehmen daraus ergibt, dass es der Steuersonderregelung unterliegt. Der Umstand allein, dass die Pauschalabgabe und die Steuersonderregelung beide durch dasselbe Gesetz eingeführt wurden, lässt nicht die Feststellung zu, dass die Unterwerfung des Unternehmens unter die Pauschalabgabe untrennbar mit der Einführung der Steuersonderregelung verbunden war.
(vgl. Randnrn. 43-44, 48)
3. Angesichts des zwingenden Charakters der Überwachung staatlicher Beihilfen durch die Kommission dürfen die von einer Beihilfe begünstigten Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe grundsätzlich nur dann vertrauen, wenn diese unter Einhaltung des in Art. 88 EG vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde; ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer muss regelmäßig in der Lage sein, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde. Insbesondere kann der Empfänger einer Beihilfe, die ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission durchgeführt wurde, so dass sie gemäß Art. 88 Abs. 3 EG rechtswidrig ist, damit kein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit ihrer Gewährung haben.
Außerdem ist es im Fall der unterbliebenen Anmeldung einer Beihilfe bei der Kommission ohne Belang, wenn Letztere in Bezug auf die betreffende Maßnahme nicht tätig wird.
(vgl. Randnrn. 59-60)
4. Nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] gelten die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen für eine Frist von zehn Jahren. Aus Art. 15 Abs. 2 dieser Verordnung geht hervor, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Tag beginnt, an dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger gewährt wird. Folglich ist die tatsächliche Gewährung der Beihilfe das ausschlaggebende Kriterium für die Zwecke der Bestimmung der Verjährungsfrist des Art. 15.
Aus Art. 15 Abs. 2 der Verordnung folgt auch, dass diese Bestimmung für die Festlegung des Tages, an dem die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, auf die Gewährung der Beihilfe an den Empfänger und nicht auf den Tag des Erlasses einer Beihilferegelung abstellt.
Insoweit ist die Bestimmung des Zeitpunkts der Beihilfegewährung nach Maßgabe der Natur der in Rede stehenden Beihilfe veränderlich. Im Fall einer mehrjährigen Regelung, die sich in Zahlungen oder in der regelmäßig wiederkehrenden Gewährung von Vorteilen äußert, kann zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses eines Rechtsakts, der die Rechtsgrundlage der Beihilfe bildet, und dem Zeitpunkt, zu dem die Unternehmen tatsächlich in den Genuss der Beihilfe kommen, eine erhebliche Zeit liegen. Dann gilt die Beihilfe für die Zwecke der Berechnung der Verjährungsfrist als dem Empfänger erst zu dem Zeitpunkt gewährt, zu dem sie tatsächlich an ihn vergeben wurde.
(vgl. Randnrn. 80-82)
5. Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, müssen die Rechtsvorschriften klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein, damit sich die Betroffenen bei unter das Unionsrecht fallenden Tatbeständen und Rechtsbeziehungen orientieren können.
Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen verlangt keine Bestimmung des Unionsrechts von der Kommission, bei der Anordnung der Rückzahlung einer für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfe den genauen Betrag der zu erstattenden Beihilfe festzusetzen. Es genügt, dass die Entscheidung der Kommission Angaben enthält, die es ihrem Adressaten ermöglichen, diesen Betrag ohne übermäßige Schwierigkeiten selbst zu bestimmen.
(vgl. Randnrn. 100, 102)