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Document 62010CJ0209

Leitsätze des Urteils

Rechtssache C-209/10

Post Danmark A/S

gegen

Konkurrencerådet

(Vorabentscheidungsersuchen des Højesteret)

„Art. 82 EG — Postunternehmen in beherrschender Stellung, das hinsichtlich der Beförderung bestimmter adressierter Sendungen zur Erbringung eines Universaldienstes verpflichtet ist — Anwendung von niedrigen Preisen auf bestimmte ehemalige Kunden eines Wettbewerbers — Kein Beweis für die Absicht — Preisdiskriminierung — Niedrige und selektive Preise — Tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung eines Wettbewerbers — Auswirkung auf den Wettbewerb und damit auf die Verbraucher — Objektive Rechtfertigung“

Leitsätze des Urteils

  1. Wettbewerb — Beherrschende Stellung — Missbrauch — Missbräuchliche Verdrängungspraxis — Begriff — Preisdiskriminierung — Praxis, die allein nicht den Schluss auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis zulässt

  2. Wettbewerb — Beherrschende Stellung — Missbrauch — Objektive Rechtfertigung — Voraussetzungen — Umfang der Beweislast

    (Art. 82 EG)

  3. Wettbewerb — Beherrschende Stellung — Missbrauch — Diskriminierende Preise — Niedrigpreispolitik, die ein Unternehmen gegenüber einigen wichtigen ehemaligen Kunden eines Wettbewerbers betreibt

    (Art. 82 EG)

  1.  Art. 82 EG erfasst nicht nur Verhaltensweisen, durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen. Im letztgenannten Sinne ist der Begriff „missbräuchliche Verdrängungspraxis“ zu verstehen.

    Die Feststellung, dass eine beherrschende Stellung gegeben ist, enthält für sich allein keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen. Art. 82 EG hat nämlich keineswegs zum Ziel, es zu verhindern, dass ein Unternehmen auf einem Markt aus eigener Kraft eine beherrschende Stellung einnimmt. Ebenso wenig soll diese Vorschrift gewährleisten, dass sich Wettbewerber, die weniger effizient als das Unternehmen in beherrschender Stellung sind, weiterhin auf dem Markt halten. Der Wettbewerb wird also nicht unbedingt durch jede Verdrängungswirkung verzerrt. Leistungswettbewerb kann definitionsgemäß dazu führen, dass Wettbewerber, die weniger leistungsfähig und daher für die Verbraucher im Hinblick insbesondere auf Preise, Auswahl, Qualität und Innovation weniger interessant sind, vom Markt verschwinden oder bedeutungslos werden.

    Art. 82 EG erfasst insbesondere die Verhaltensweisen eines beherrschenden Unternehmens, die zum Nachteil der Verbraucher die Aufrechterhaltung oder den Ausbau des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder die Entwicklung dieses Wettbewerbs durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines normalen Wettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Unternehmen abweichen. Art. 82 EG verbietet einem Unternehmen in beherrschender Stellung insbesondere die Anwendung von Praktiken, die für seine als ebenso effizient geltenden Wettbewerber eine Verdrängungswirkung enthalten und damit seine Stellung stärken, indem andere Mittel als diejenigen eines Leistungswettbewerbs herangezogen werden. Unter diesem Blickwinkel kann nicht jeder Preiswettbewerb als zulässig angesehen werden.

    Die Tatsache, dass die Praxis eines Unternehmens in beherrschender Stellung als Preisdiskriminierung eingestuft werden kann, d. h. die Anwendung verschiedener Preise auf verschiedene Kunden oder verschiedene Kundenkategorien für Waren oder Dienstleistungen, deren Kosten dieselben sind, oder umgekehrt die Anwendung eines einheitlichen Preises auf Kunden, bei denen die Angebotskosten variieren, lässt allein nicht den Schluss auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis zu.

    (vgl. Randnrn. 20-22, 24, 25, 30)

  2.  Ein Unternehmen in beherrschender Stellung kann Handlungen, die möglicherweise unter das in Art. 82 EG niedergelegte Verbot fallen, rechtfertigen. Ein solches Unternehmen kann dazu insbesondere den Nachweis erbringen, dass entweder sein Verhalten objektiv notwendig ist oder dass die dadurch hervorgerufene Verdrängungswirkung durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden kann, die auch dem Verbraucher zugutekommen.

    In letzterer Hinsicht hat das Unternehmen in beherrschender Stellung nachzuweisen, dass die durch das betreffende Verhalten möglicherweise eintretenden Effizienzvorteile wahrscheinlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Interessen der Verbraucher auf den betroffenen Märkten ausgleichen, dass diese Effizienzvorteile durch das genannte Verhalten erzielt worden sind oder erzielt werden können und dass dieses Verhalten für das Erreichen der Effizienzvorteile notwendig ist und einen wirksamen Wettbewerb nicht ausschaltet, indem es alle oder die meisten bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen bringt.

    (vgl. Randnrn. 40-42)

  3.  Art. 82 EG ist dahin auszulegen, dass eine Niedrigpreispolitik, die ein Unternehmen in beherrschender Stellung gegenüber einigen wichtigen ehemaligen Kunden eines Wettbewerbers betreibt, nicht allein deshalb als eine missbräuchliche Verdrängungspraxis anzusehen ist, weil der von diesem Unternehmen gegenüber einem dieser Kunden angewandte Preis zwar unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, jedoch über den durchschnittlichen inkrementellen Kosten der fraglichen Tätigkeit liegt, bei denen es sich definitionsgemäß um Kosten handelt, die kurz- oder mittelfristig entfallen, wenn das Unternehmen die fragliche Tätigkeit einstellt. Um zu entscheiden, ob unter derartigen Umständen wettbewerbswidrige Auswirkungen vorliegen, ist zu prüfen, ob diese Preispolitik ohne eine objektive Rechtfertigung zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung dieses Wettbewerbers zum Schaden des Wettbewerbs und damit der Verbraucherinteressen führt.

    (vgl. Randnrn. 31, 44 und Tenor)

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Rechtssache C-209/10

Post Danmark A/S

gegen

Konkurrencerådet

(Vorabentscheidungsersuchen des Højesteret)

„Art. 82 EG — Postunternehmen in beherrschender Stellung, das hinsichtlich der Beförderung bestimmter adressierter Sendungen zur Erbringung eines Universaldienstes verpflichtet ist — Anwendung von niedrigen Preisen auf bestimmte ehemalige Kunden eines Wettbewerbers — Kein Beweis für die Absicht — Preisdiskriminierung — Niedrige und selektive Preise — Tatsächliche oder wahrscheinliche Verdrängung eines Wettbewerbers — Auswirkung auf den Wettbewerb und damit auf die Verbraucher — Objektive Rechtfertigung“

Leitsätze des Urteils

  1. Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Missbräuchliche Verdrängungspraxis – Begriff – Preisdiskriminierung – Praxis, die allein nicht den Schluss auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis zulässt

  2. Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Objektive Rechtfertigung – Voraussetzungen – Umfang der Beweislast

    (Art. 82 EG)

  3. Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Missbrauch – Diskriminierende Preise – Niedrigpreispolitik, die ein Unternehmen gegenüber einigen wichtigen ehemaligen Kunden eines Wettbewerbers betreibt

    (Art. 82 EG)

  1.  Art. 82 EG erfasst nicht nur Verhaltensweisen, durch die den Verbrauchern ein unmittelbarer Schaden erwachsen kann, sondern auch solche, die sie durch die Beeinträchtigung des Wettbewerbs schädigen. Im letztgenannten Sinne ist der Begriff „missbräuchliche Verdrängungspraxis“ zu verstehen.

    Die Feststellung, dass eine beherrschende Stellung gegeben ist, enthält für sich allein keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen. Art. 82 EG hat nämlich keineswegs zum Ziel, es zu verhindern, dass ein Unternehmen auf einem Markt aus eigener Kraft eine beherrschende Stellung einnimmt. Ebenso wenig soll diese Vorschrift gewährleisten, dass sich Wettbewerber, die weniger effizient als das Unternehmen in beherrschender Stellung sind, weiterhin auf dem Markt halten. Der Wettbewerb wird also nicht unbedingt durch jede Verdrängungswirkung verzerrt. Leistungswettbewerb kann definitionsgemäß dazu führen, dass Wettbewerber, die weniger leistungsfähig und daher für die Verbraucher im Hinblick insbesondere auf Preise, Auswahl, Qualität und Innovation weniger interessant sind, vom Markt verschwinden oder bedeutungslos werden.

    Art. 82 EG erfasst insbesondere die Verhaltensweisen eines beherrschenden Unternehmens, die zum Nachteil der Verbraucher die Aufrechterhaltung oder den Ausbau des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder die Entwicklung dieses Wettbewerbs durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines normalen Wettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Unternehmen abweichen. Art. 82 EG verbietet einem Unternehmen in beherrschender Stellung insbesondere die Anwendung von Praktiken, die für seine als ebenso effizient geltenden Wettbewerber eine Verdrängungswirkung enthalten und damit seine Stellung stärken, indem andere Mittel als diejenigen eines Leistungswettbewerbs herangezogen werden. Unter diesem Blickwinkel kann nicht jeder Preiswettbewerb als zulässig angesehen werden.

    Die Tatsache, dass die Praxis eines Unternehmens in beherrschender Stellung als Preisdiskriminierung eingestuft werden kann, d. h. die Anwendung verschiedener Preise auf verschiedene Kunden oder verschiedene Kundenkategorien für Waren oder Dienstleistungen, deren Kosten dieselben sind, oder umgekehrt die Anwendung eines einheitlichen Preises auf Kunden, bei denen die Angebotskosten variieren, lässt allein nicht den Schluss auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Verdrängungspraxis zu.

    (vgl. Randnrn. 20-22, 24, 25, 30)

  2.  Ein Unternehmen in beherrschender Stellung kann Handlungen, die möglicherweise unter das in Art. 82 EG niedergelegte Verbot fallen, rechtfertigen. Ein solches Unternehmen kann dazu insbesondere den Nachweis erbringen, dass entweder sein Verhalten objektiv notwendig ist oder dass die dadurch hervorgerufene Verdrängungswirkung durch Effizienzvorteile ausgeglichen oder sogar übertroffen werden kann, die auch dem Verbraucher zugutekommen.

    In letzterer Hinsicht hat das Unternehmen in beherrschender Stellung nachzuweisen, dass die durch das betreffende Verhalten möglicherweise eintretenden Effizienzvorteile wahrscheinlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Interessen der Verbraucher auf den betroffenen Märkten ausgleichen, dass diese Effizienzvorteile durch das genannte Verhalten erzielt worden sind oder erzielt werden können und dass dieses Verhalten für das Erreichen der Effizienzvorteile notwendig ist und einen wirksamen Wettbewerb nicht ausschaltet, indem es alle oder die meisten bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen bringt.

    (vgl. Randnrn. 40-42)

  3.  Art. 82 EG ist dahin auszulegen, dass eine Niedrigpreispolitik, die ein Unternehmen in beherrschender Stellung gegenüber einigen wichtigen ehemaligen Kunden eines Wettbewerbers betreibt, nicht allein deshalb als eine missbräuchliche Verdrängungspraxis anzusehen ist, weil der von diesem Unternehmen gegenüber einem dieser Kunden angewandte Preis zwar unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, jedoch über den durchschnittlichen inkrementellen Kosten der fraglichen Tätigkeit liegt, bei denen es sich definitionsgemäß um Kosten handelt, die kurz- oder mittelfristig entfallen, wenn das Unternehmen die fragliche Tätigkeit einstellt. Um zu entscheiden, ob unter derartigen Umständen wettbewerbswidrige Auswirkungen vorliegen, ist zu prüfen, ob diese Preispolitik ohne eine objektive Rechtfertigung zu einer tatsächlichen oder wahrscheinlichen Verdrängung dieses Wettbewerbers zum Schaden des Wettbewerbs und damit der Verbraucherinteressen führt.

    (vgl. Randnrn. 31, 44 und Tenor)

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