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Document 62009CJ0347

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Nationale Regelung, die ein Betriebsmonopol für Internet-Glücksspiele vorsieht – Strafrechtliche Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen dieses Monopol – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 49 EG)

2. Freier Dienstleistungsverkehr – Bestimmungen des Vertrags – Geltungsbereich –Glücksspieldienstleistungen, die über das Internet angeboten werden – Inanspruchnahme von Vermittlern, die in demselben Mitgliedstaat ansässig sind wie die Empfänger der Dienstleistungen des ausländischen Anbieters – Unbeachtlich

(Art. 49 EG)

3. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Nationale Regelung, die ein Betriebsmonopol für Internet-Glücksspiele vorsieht – Rechtfertigung

(Art. 49 EG und 55 EG)

4. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Nationale Regelung, die ein Betriebsmonopol für Internet-Glücksspiele vorsieht – Möglichkeit für den Inhaber dieses Monopols, eine Expansionspolitik zu verfolgen – Rechtfertigung

(Art. 49 EG)

5. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Anbieter, dem die Veranstaltung von Glücksspielen von seinem Sitzmitgliedstaat erlaubt wurde – Wegen eines bestehenden Monopols keine Möglichkeit für diesen Anbieter, solche Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat über das Internet anzubieten

(Art. 49 EG)

Leitsätze

1. Das Unionsrecht und insbesondere Art. 49 EG stehen einer Regelung, die den Verstoß gegen ein Betriebsmonopol für Glücksspiele wie das in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung vorgesehene Betriebsmonopol für Internet-Kasinospiele unter Strafe stellt, entgegen, wenn eine solche Regelung nicht mit den Bestimmungen dieses Rechts vereinbar ist.

Das Unionsrecht setzt nämlich der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Strafrechts Schranken, da Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet u. a. nicht die durch das Unionsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken dürfen. Somit kann der Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Monopolregelung nicht zu strafrechtlichen Sanktionen führen, wenn diese Regelung nicht mit Art. 49 EG vereinbar ist.

(vgl. Randnrn. 31-32, 43, Tenor 1)

2. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er auf Glücksspieldienstleistungen anwendbar ist, die im Hoheitsgebiet eines Aufnahmemitgliedstaats von einem Wirtschaftsteilnehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat über das Internet angeboten werden, obwohl dieser Wirtschaftsteilnehmer

a) sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten EDV‑Infrastruktur wie etwa einem Server ausgestattet hat und

b) EDV‑Supportleistungen eines im Aufnahmemitgliedstaat ansässigen Dienstleisters in Anspruch nimmt, um seine Dienstleistungen Verbrauchern zu erbringen, die ebenfalls in diesem Mitgliedstaat ansässig sind.

Art. 49 EG ist nämlich auf einen Glücksspielanbieter, der in einem Mitgliedstaat ansässig ist und seine Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat anbietet, auch dann anwendbar, wenn er dafür Dienste von Vermittlern in Anspruch nimmt, die in demselben Mitgliedstaat ansässig sind wie die Empfänger dieser Dienstleistungen. Diese Bestimmung findet erst recht Anwendung, wenn der Glücksspielanbieter keine Dienste von Vermittlern in Anspruch nimmt, sondern sich bloß eines Erbringers von EDV-Supportleistungen im Aufnahmemitgliedstaat bedient.

(vgl. Randnrn. 37-38, Tenor 2)

3. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der bestrebt ist, ein besonders hohes Schutzniveau für Verbraucher im Glücksspielsektor zu gewährleisten, Grund zu der Annahme haben kann, dass nur die Errichtung eines Monopols zugunsten einer einzigen Einrichtung, die von den Behörden genau überwacht wird, ihm erlaubt, die Kriminalität in diesem Sektor zu beherrschen und das Ziel, Anreize für übermäßige Spielausgaben zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, hinreichend wirksam zu verfolgen.

(vgl. Randnr. 48, 100, Tenor 3)

4. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass, um mit den Zielen der Kriminalitätsbekämpfung und der Verringerung der Spielgelegenheiten im Einklang zu stehen, eine nationale Regelung, mit der ein Glücksspielmonopol errichtet wird, das dem Inhaber des Monopols ermöglicht, eine Expansionspolitik zu verfolgen,

– auf der Feststellung beruhen muss, dass kriminelle und betrügerische Aktivitäten im Zusammenhang mit den Spielen und die Spielsucht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ein Problem darstellen, dem eine Ausweitung der zugelassenen und geregelten Tätigkeiten abhelfen könnte, und

– nur den Einsatz maßvoller Werbung zulassen darf, die eng auf das begrenzt bleibt, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken.

Um das Ziel, die Spieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken, zu erreichen, müssen die zugelassenen Anbieter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu den nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellen, was an und für sich das Anbieten einer breiten Palette von Spielen, Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken beinhalten kann.

Die vom Inhaber eines staatlichen Monopols eventuell durchgeführte Werbung muss maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken. Hingegen darf eine solche Werbung nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen.

(vgl. Randnrn. 64, 68, 100, Tenor 3)

5. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem als ein anderer Mitgliedstaat gewählt hat, keinen Einfluss auf die Beurteilung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen haben kann, die allein im Hinblick auf die von den zuständigen Stellen des betroffenen Mitgliedstaats verfolgten Ziele und das von ihnen angestrebte Schutzniveau zu beurteilen sind.

In Anbetracht der fehlenden Harmonisierung der Regelung des Glücksspielsektors auf Unionsebene und angesichts der wesentlichen Unterschiede zwischen den mit den Regelungen der verschiedenen Mitgliedstaaten verfolgten Zielen und den mit ihnen angestrebten Schutzniveaus kann der Umstand allein, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Dienstleistungen in dem Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist und in dem er grundsätzlich bereits rechtlichen Anforderungen und Kontrollen durch die zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats unterliegt, rechtmäßig anbietet, nicht als hinreichende Garantie für den Schutz der nationalen Verbraucher vor den Gefahren des Betrugs und anderer Straftaten im Aufnahmemitgliedstaat angesehen werden.

(vgl. Randnrn. 96-97, 100, Tenor 3)

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