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Document 62002CJ0385
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge – Richtlinie 93/37 – Ausnahmen von den gemeinsamen Vorschriften – Enge Auslegung – Vorliegen außergewöhnlicher Umstände – Beweislast
(Richtlinie 93/37 des Rates, Artikel 7 Absatz 3)
2. Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge – Richtlinie 93/37 – Ausnahmen von den gemeinsamen Vorschriften – Wiederholung gleichartiger Bauleistungen, die an den Unternehmer vergeben werden, der den ersten Auftrag erhalten hat – Dauer
(Richtlinie 93/37 des Rates, Artikel 7 Absatz 3 Buchstabe e)
3. Vertragsverletzungsverfahren – Objektiver Charakter – Entschuldbarer Irrtum – Unzulässigkeit
(Artikel 226 EG)
1. Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 93/37 zur Koordinierung der Verfahren für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge, der Ausnahmen von den Vorschriften zulässt, die die Wirksamkeit der durch den EG-Vertrag im Bereich der öffentlichen Bauaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, ist eng auszulegen; die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich vorliegen, obliegt demjenigen, der sich auf sie berufen will.
Aufgrund des Wortlauts von Artikel 7 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie, wonach die öffentlichen Auftraggeber Bauaufträge im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung vergeben können, „wenn die Arbeiten aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmen ausgeführt werden können“, muss ein Mitgliedstaat beweisen, dass technische Gründe es erforderlich machen, die fraglichen Aufträge an das Unternehmen zu vergeben, mit dem der ursprüngliche Vertrag geschlossen worden war.
Zwar beruht das Ziel, die Kontinuität von Arbeiten sicherzustellen, die zu komplexen Vorhaben gehören und dem wasserbaulichen Schutz einer Region dienen, auf einer technischen Überlegung von Belang. Die bloße Behauptung, dass eine Gesamtheit von Arbeiten komplex und schwierig sei, genügt jedoch nicht als Beweis dafür, dass sie nur ein und demselben Unternehmen anvertraut werden könnte, zumal wenn die Arbeiten in Lose aufgeteilt sind, deren Ausführung sich über viele Jahre erstrecken soll.
(vgl. Randnrn. 19-21)
2. Artikel 7 Absatz 3 Buchstabe e der Richtlinie 93/37 zur Koordinierung der Verfahren für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge lässt bei neuen Bauarbeiten, die in der Wiederholung gleichartiger Bauleistungen bestehen, die an den Unternehmer vergeben werden, der den ersten Auftrag erhalten hat, die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung nur „binnen drei Jahren nach Abschluss des ersten Auftrags“ zu.
Ein Vergleich der Sprachfassungen dieser Bestimmung ergibt, dass unter dem Ausdruck „Abschluss des ersten Auftrags“ der Abschluss des ersten Vertrages, nicht aber die Beendigung der Arbeiten zu verstehen ist, auf die sich der Auftrag bezieht.
Diese Auslegung wird durch den Gegenstand der fraglichen Bestimmung und ihren Platz im System der Richtlinie 93/37 bestätigt.
Zum einen ist, da es sich um eine Ausnahmebestimmung handelt, die eng auszulegen ist, die Auslegung zu wählen, die den Zeitraum, in dem die Ausnahme gilt, beschränkt, nicht aber die Auslegung, die ihn verlängert. Diesem Ziel entspricht die Auslegung, die den Fristbeginn auf den Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Vertrages, nicht aber auf den zwangsläufig späteren Zeitpunkt der Beendigung der Arbeiten legt, die Gegenstand des Vertrages sind.
Zum anderen verlangt die in Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge wünschenswerte Rechtssicherheit, dass der Fristbeginn zuverlässig und objektiv bestimmt werden kann. Der Zeitpunkt des Abschlusses eines Vertrages ist gewiss; hingegen können zahlreiche Zeitpunkte als Abschluss der Arbeiten angesehen werden und damit für entsprechende Unsicherheit sorgen. Außerdem steht der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages bereits zu Beginn endgültig fest, während sich der Zeitpunkt des Abschlusses der Arbeiten unabhängig davon, wie er zunächst bestimmt wurde, aufgrund zufälliger oder vom Willen abhängiger Faktoren während der gesamten Dauer der Ausführung des Auftrags verschieben kann.
(vgl. Randnrn. 33-34, 36-38)
3. Das Vertragsverletzungsverfahren bietet namentlich bei Meinungsverschiedenheiten über Auslegungsfragen die Möglichkeit, den genauen Umfang der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zu ermitteln, und gilt der objektiven Feststellung eines Verstoßes gegen die Verpflichtungen, die einem Mitgliedstaat nach dem EG-Vertrag oder einem sekundären Rechtsakt obliegen. Ein Mitgliedstaat kann sich daher nicht auf einen entschuldbaren Irrtum berufen, um einen Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus einer Richtlinie zu rechtfertigen.
(vgl. Randnr. 40)