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Document 61998CJ0017

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1 Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Durchführung durch den Rat - Beschluß 91/482 - Halbzeitänderung - Vorgesehene Frist - Keine Auswirkung auf die Befugnis des Rates aus Artikel 136 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 187 EG)

(EG-Vertrag, Artikel 132 [jetzt Artikel 183 EG] und Artikel 136 [nach Änderung jetzt Artikel 187 EG]; Beschluß 91/482 des Rates, Artikel 240 Absatz 3)

2 Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Vertrauensschutz - Grenzen - Änderung der Vorschriften über die Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Ermessen der Organe - Angabe in einer Informationsbroschüre ohne rechtliche Verbindlichkeit - Keine Auswirkung

(Beschluß 91/482 des Rates)

3 Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Durchführung durch den Rat - Regelung der Modalitäten und des Verfahrens der Assoziierung - Erlaß verschiedener, aufeinanderfolgender Beschlüsse - Gebotene Verringerung bestimmter den assoziierten Ländern und Gebieten zuvor eingeräumter Vergünstigungen - Zulässigkeit

(EG-Vertrag, Artikel 40, 43 und 136 Absatz 2 [nach Änderung jetzt Artikel 34 EG, 37 EG und 187 EG] und Artikel 41 und 42 [jetzt Artikel 35 EG und 36 EG])

4 Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Durchführung durch den Rat - Kontingentierung durch die Ursprungskumulierung AKP/ÜLG begünstigter Zuckereinfuhren - Kein Verstoß gegen die Artikel 133 Absatz 1 und 136 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 184 Absatz 1 EG und Artikel 187 EG)

(EG-Vertrag, Artikel 133 Absatz 1 und 136 Absatz 2 [nach Änderung jetzt Artikel 184 Absatz 1 EG und Artikel 187 EG]; Beschluß 91/482 des Rates, Artikel 108b; Beschluß 97/803 des Rates)

5 Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Durchführung durch den Rat - Kontingentierung durch die Ursprungskumulierung AKP/ÜLG begünstigter Zuckereinfuhren - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - Kein Verstoß

(Beschluß 91/482 des Rates, Artikel 108b; Beschluß 97/803 des Rates)

6 Handlungen der Organe - Anwendung durch die nationalen Gerichte - Befugnis zum Erlaß einstweiliger Maßnahmen bei drohender Verletzung des Gemeinschaftsrechts - Voraussetzungen - Anordnung gegenüber einem Hoheitsträger eines überseeischen Landes oder Gebietes - Zulässigkeit

Leitsätze

1 Die Regelung in Artikel 240 Absatz 3 des Beschlusses 91/482 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG), wonach der Rat vor Ablauf des ersten Fünfjahreszeitraums gegebenenfalls Änderungen für die Assoziierung der ÜLG an die Gemeinschaft beschließt, kann dem Rat nicht seine unmittelbar aus dem EG-Vertrag fließende Befugnis nehmen, seine Rechtsakte nach Artikel 136 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 187 EG) zu ändern, um die in Artikel 132 EG-Vertrag (jetzt Artikel 183 EG) genannten Ziele vollständig zu verwirklichen. (vgl. Randnr. 33)

2 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gehört zwar zu den grundlegenden Prinzipien der Gemeinschaft, jedoch können die Wirtschaftsteilnehmer kein berechtigtes Vertrauen in die Beibehaltung einer bestehenden Situation setzen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens ändern können; das gilt insbesondere auf einem Gebiet wie dem der gemeinsamen Marktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt.

Dies gilt um so mehr, wenn die geltend gemachten Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer lediglich durch eine rechtlich unverbindliche Broschüre für die allgemeine Öffentlichkeit hervorgerufen wurden, so etwa durch eine im Oktober 1993 von der Kommission verbreitete Informationsbroschüre, in der es hieß, daß der Beschluß 91/482 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete für zehn Jahre gelte. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß die Kommission bei Erscheinen dieser Broschüre auf die zehnjährige Geltungsdauer dieses Beschlusses hinwies, ohne eigens zu erwähnen, daß der Beschluß möglicherweise später geändert werden könnte. (vgl. Randnrn. 34-35)

3 Zwar erfordert es der dynamische und allmähliche Prozeß der Assoziierung der überseeischen Länder (ÜLG) an die Gemeinschaft, daß der Rat die Ergebnisse berücksichtigt, die infolge seiner vorangegangenen Beschlüsse erzielt werden konnten. Gleichwohl muß er beim Erlaß von Maßnahmen gemäß Artikel 136 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 187 EG) nicht nur den im Vierten Teil des Vertrages niedergelegten Prinzipien, sondern auch den sonstigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen, darunter denen der gemeinsamen Agrarpolitik, Rechnung tragen.

Die Abwägung der verschiedenen Ziele des EG-Vertrags unter gleichzeitiger allgemeiner Berücksichtigung der Ergebnisse, die infolge seiner früheren Beschlüsse erreicht wurden, kann den Rat, der insoweit entsprechend der ihm in den Artikeln 40 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 34 EG), 41 und 42 EG-Vertrag (jetzt Artikel 35 EG und 36 EG), 43 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 37 EG) und 136 EG-Vertrag übertragenen politischen Verantwortung über ein weites Ermessen verfügt, erforderlichenfalls dazu veranlassen, bestimmte den ÜLG eingeräumte Vorteile zu verringern. Dies gilt besonders dann, wenn die in Frage stehenden Vorteile in Abweichung von den Regeln für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes gewährt werden. (vgl. Randnrn. 38-39, 41)

4 Daß der durch den Beschluß 97/803 eingefügte Artikel 108b des Beschlusses 91/482 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) Zuckereinfuhren, die durch die Anwendung der Ursprungskumulierung AKP/ÜLG begünstigt werden, einer Kontingentierung unterwirft, steht seiner Gültigkeit gemäß den Artikeln 133 Absatz 1 und 136 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 184 Absatz 1 EG und Artikel 187 EG) nicht entgegen.

Zum einen wurden nämlich die innergemeinschaftlichen Zölle im Zuckerhandel erst nach Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für dieses Erzeugnis abgeschafft, die die Einführung eines gemeinsamen Außenzolls und parallel die Festsetzung eines Mindestpreises für alle Mitgliedstaaten einschloß, um Wettbewerbsverzerrungen auszuschalten. Da es hingegen zwischen den ÜLG und der Gemeinschaft keinerlei gemeinsame Agrarpolitik gibt, können Maßnahmen zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen oder Störungen des Gemeinschaftsmarkts, darunter auch die Festlegung von Zollkontingenten, nicht schon wegen ihres Erlasses als Verstoß gegen Artikel 133 Absatz 1 EG-Vertrag angesehen werden.

Zum anderen hat der Rat gemäß Artikel 136 Absatz 2 EG-Vertrag Maßnahmen "aufgrund der erzielten Ergebnisse und der Grundsätze [des] Vertrags" zu treffen. Zu diesen Grundsätzen gehören auch die der gemeinsamen Agrarpolitik. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß der Rat im Rahmen der Durchführung des Artikels 136 Absatz 2 EG-Vertrag die Anforderungen der gemeinsamen Agrarpolitik berücksichtigt hat. (vgl. Randnrn. 47-50)

5 Es läuft nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwider, daß der durch den Beschluß 97/803 eingefügte Artikel 108b des Beschlusses 91/482 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) Zuckereinfuhren, die durch die Anwendung der Ursprungskumulierung AKP/ÜLG begünstigt werden, einer Kontingentierung unterwirft.

In einem Bereich wie dem der Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete, in dem die Gemeinschaftsorgane über ein weites Ermessen verfügen, kann nämlich die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn die Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet ist. Die Beschränkung der Kontrolle durch den Gerichtshof ist insbesondere dann geboten, wenn sich der Rat veranlaßt sieht, einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen und so im Rahmen der in seinem Verantwortungsbereich zu treffenden politischen Entscheidungen eine Auswahl vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, daß die Festsetzung des Kontingents im genannten Artikel 108b offensichtlich über das hinausging, was für die Verwirklichung der vom Rat verfolgten Zwecke erforderlich war. (vgl. Randnrn. 53-54, 58)

6 Ein nationales Gericht darf gegenüber einem nicht der Gemeinschaft angehörenden Hoheitsträger einstweilige Maßnahmen zur Abwendung einer drohenden Verletzung des Gemeinschaftsrechts nur erlassen, wenn

- es erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen hat, die der Hoheitsträger, gegenüber dem die einstweiligen Maßnahmen beantragt werden, vollzieht, und wenn es die Frage nach der Gültigkeit dieser Bestimmungen, sofern der Gerichtshof mit ihr noch nicht befaßt ist, diesem selbst vorlegt,

- wenn die Entscheidung dringlich ist und dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden droht und

- wenn das Gericht das Interesse der Gemeinschaft angemessen berücksichtigt.

Der Umstand, daß ein Gericht eines Mitgliedstaats solche einstweiligen Maßnahmen nach seinem nationalen Recht gegenüber einem Hoheitsträger der überseeischen Länder und Gebiete zu erlassen hätte, ist ohne Belang für die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem einzelnen, der sich auf das Gemeinschaftsrecht beruft, vor den nationalen Gerichten vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist.

(vgl. Randnr. 73, Tenor 2)

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