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Document 61992CJ0127
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
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1. Vorabentscheidungsverfahren ° Zuständigkeit des Gerichtshofes ° Grenzen ° Ersuchen um Auslegung, das nicht offensichtlich ohne Bezug zum Gegenstand des Rechtsstreits ist ° Verpflichtung zur Entscheidung
(EWG-Vertrag, Artikel 177)
2. Sozialpolitik ° Männliche und weibliche Arbeitnehmer ° Gleiches Entgelt ° Unterschied im Entgelt zwischen zwei gleichwertigen Tätigkeiten, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird ° Beweislast für das Fehlen einer Diskriminierung
(EWG-Vertrag, Artikel 119)
3. Sozialpolitik ° Männliche und weibliche Arbeitnehmer ° Gleiches Entgelt ° Unterschied im Entgelt zwischen zwei gleichwertigen Tätigkeiten, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird ° Rechtfertigung, die auf die Festlegung der Entgelte in getrennten Tarifverhandlungen gestützt wird ° Unzulässigkeit, da es sich um eine unterschiedliche Behandlung von zwei Gruppen handelt, die denselben Arbeitgeber haben und von derselben Gewerkschaft vertreten werden
(EWG-Vertrag, Artikel 119)
4. Sozialpolitik ° Männliche und weibliche Arbeitnehmer ° Gleiches Entgelt ° Unterschied im Entgelt zwischen zwei gleichwertigen Tätigkeiten, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird ° Beurteilung durch das nationale Gericht, ob es wirtschaftliche Gründe gibt, die objektive Rechtfertigungen darstellen
(EWG-Vertrag, Artikel 119)
1. Artikel 177 des Vertrages schafft den Rahmen für eine enge Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof, die von einer Zuständigkeitsverteilung zwischen ihnen ausgeht. In diesem Rahmen ist es ausschließlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die abschließende richterliche Entscheidung trägt, unter Berücksichtigung der Einzelheiten des Rechtsstreits sowohl die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für die abschließende Entscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen.
Wenn der Gerichtshof mit einem Ersuchen um Auslegung des Gemeinschaftsrechts befasst ist, das nicht offensichtlich ohne Bezug zur Realität oder zum Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist, hat er folglich darauf zu antworten; er braucht sich nicht selbst die Frage zu stellen, ob eine Annahme begründet ist, die vom vorlegenden Gericht später nachzuprüfen sein wird, falls sich dies als erforderlich erweisen sollte.
2. Die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die grundsätzlich den Arbeitnehmer trifft, der sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen Arbeitgeber klagt, kann sich umkehren, wenn dies sich als erforderlich erweist, um den Arbeitnehmern, die Opfer einer offenkundigen Diskriminierung sind, nicht jedes wirksame Mittel zu nehmen, um die Beachtung des Grundsatzes des gleichen Entgelts zu erwirken.
Wenn aus Statistiken, die das nationale Gericht für aussagekräftig hält, ein merklicher Unterschied beim Entgelt für zwei gleichwertige Tätigkeiten hervorgeht, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird, verpflichtet Artikel 119 des Vertrages daher den Arbeitgeber, diesen Unterschied durch objektive Faktoren zu rechtfertigen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
3. Der Umstand, daß die Festlegung der Entgelte für zwei gleichwertige Tätigkeiten, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird, auf Tarifverhandlungen beruht, die für die beiden betroffenen Berufsgruppen jeweils getrennt durchgeführt wurden und die jeweils innerhalb dieser beiden Gruppen keine diskriminierende Wirkung hatten, steht der Feststellung, daß dem ersten Anschein nach eine Diskriminierung vorliegt, die dem Arbeitgeber die Beweislast dafür auferlegt, daß kein Verstoß gegen Artikel 119 des Vertrages vorliegt, dann nicht entgegen, wenn diese Verhandlungen zu einer unterschiedlichen Behandlung von zwei Gruppen geführt haben, die denselben Arbeitgeber haben und derselben Gewerkschaft angehören.
Wenn der Arbeitgeber einen Unterschied im Entgelt damit rechtfertigen könnte, daß bei jeder dieser Verhandlungen für sich genommen keine Diskriminierung vorliege, könnte er sich der Beachtung des Grundsatzes des gleichen Entgelts nämlich leicht durch getrennte Verhandlungen entziehen.
4. Es ist Sache des für die Beurteilung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichts, nötigenfalls unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit festzustellen, ob und inwieweit der Mangel an Bewerbern für eine Tätigkeit und die Notwendigkeit, ihnen durch ein höheres Gehalt einen Anreiz zu bieten, einen sachlich gerechtfertigten wirtschaftlichen Grund für den Unterschied im Entgelt zwischen zwei gleichwertigen Tätigkeiten darstellt, von denen die eine fast ausschließlich von Frauen und die andere hauptsächlich von Männern ausgeuebt wird.