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Document 62013CV0001

    Avis rendu en vertu de l'article 218, paragraphe 11, TFUE

    Gutachten 1/13

    Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV

    „Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV — Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung — Beitritt von Drittstaaten — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Ausschließliche Außenkompetenz der Europäischen Union — Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Unionsregeln und des reibungslosen Funktionierens des durch sie geschaffenen Systems“

    Leitsätze – Gutachten des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 14. Oktober 2014

    1. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs — Antrag auf Abgabe eines Gutachtens — Zulässigkeitsvoraussetzungen — Antrag, der sich auf den Abschluss einer Übereinkunft beziehen muss — Begriff der Übereinkunft — Einverständniserklärung zum Beitritt zum Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung — Einbeziehung — Voraussetzung

      (Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV; Verfahrensordnung, Art. 196 Abs. 2)

    2. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs — Antrag auf Abgabe eines Gutachtens — Zulässigkeitsvoraussetzungen — Gegenstand des Antrags — Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten

      (Art. 218 Abs. 11 AEUV; Verfahrensordnung, Art. 196 Abs. 2)

    3. Völkerrechtliche Verträge — Bedingungen für eine Beteiligung, die den Abschluss durch die Union ausschließen — Zuständigkeit der Union — Ausübung durch gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten

    4. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs — Antrag auf Abgabe eines Gutachtens — Zulässigkeitsvoraussetzungen — Geplantes Abkommen — Begriff

      (Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV)

    5. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs — Gutachtenantrag — Zulässigkeitsvoraussetzungen — Frage, die in einem Streitverfahren geprüft werden könnte — Keine Auswirkung

      (Art. 218 Abs. 11 AEUV)

    6. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Zuständigkeit der Union — Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung

      (Art. 216 Abs. 1 AEUV und Art. 218 Abs. 11 AEUV; Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates)

    7. Völkerrechtliche Verträge — Abschluss — Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zum Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung — Zuständigkeit der Union — Ausschließlichkeit — Grundlage — Beurteilungskriterium — Gefahr einer Beeinträchtigung der Verordnung Nr. 2201/2003

      (Art. 3 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates)

    1.  Die Urkunde über den Beitritt zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und die Erklärung, mit der ein solcher Beitritt angenommen wird, bringen, wenn auch mittels gesonderter Urkunden, zusammen genommen eine Willensübereinstimmung der betreffenden Staaten zum Ausdruck und stellen daher eine internationale Übereinkunft dar. Da die von einem Mitgliedstaat hinterlegte Einverständniserklärung Bestandteil einer mit einem Drittstaat geschlossenen internationalen Übereinkunft ist, fällt sie unter den Begriff „Übereinkunft“ im Sinne von Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV, sofern es sich um eine von der Union geplante Übereinkunft im Sinne dieser Bestimmungen handelt.

      (vgl. Rn. 41, 42)

    2.  Ein Gutachten des Gerichtshofs kann u. a. zu Fragen eingeholt werden, die die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten für den Abschluss eines bestimmten Abkommens mit Drittstaaten betreffen. Art. 196 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestätigt diese Auslegung.

      (vgl. Rn. 43)

    3.  Falls die Bedingungen für die Beteiligung an einer internationalen Übereinkunft ihren Abschluss durch die Union selbst ausschließen, obwohl sie in die Außenkompetenz der Union fällt, kann diese über die im Interesse der Union handelnden Mitgliedstaaten ausgeübt werden.

      (vgl. Rn. 44)

    4.  Der Gerichtshof kann nach Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV mit einem Gutachtenantrag befasst werden, wenn die Union eine Übereinkunft plant, d. h., wenn eines oder mehrere der im Rahmen des in Art. 218 AEUV vorgesehenen Verfahrens mit Befugnissen ausgestatteten Unionsorgane dies plant.

      Außerdem ist ein Gutachtenantrag insbesondere dann zulässig, wenn ein Vorschlag der Kommission für eine Übereinkunft dem Rat unterbreitet und zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichtshofs nicht zurückgenommen worden war. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Rat in diesem Stadium bereits seine Absicht zum Abschluss einer solchen Übereinkunft bekundet hatte. Unter diesen Umständen liegt dem Gutachtenantrag nämlich das berechtigte Anliegen der betreffenden Organe zugrunde, vor einer Beschlussfassung in Bezug auf die fragliche Übereinkunft Klarheit über den Umfang der jeweiligen Befugnisse der Union und der Mitgliedstaaten zu erhalten.

      Überdies soll das Gutachtenverfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV verhindern, dass rechtliche Komplikationen entstehen, weil die Mitgliedstaaten ohne die erforderliche Ermächtigung völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen, obwohl sie nach dem Unionsrecht nicht mehr über die nötige Rechtsetzungsbefugnis verfügen, um diesen Verpflichtungen nachzukommen.

      Schließlich setzt die Befugnis, einen Gutachtenantrag zu stellen, nicht voraus, dass die Unionsorgane ein endgültiges Einvernehmen hinsichtlich der Möglichkeit oder Zweckmäßigkeit einer Ausübung der Außenkompetenz der Union erzielt haben.

      (vgl. Rn. 45-47, 49)

    5.  Der Umstand, dass bestimmte in einem Gutachtenverfahren aufgeworfene Fragen im Rahmen etwaiger Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV behandelt werden können, steht einer Befassung des Gerichtshofs nach Art. 218 Abs. 11 AEUV nicht entgegen. Das Gutachtenverfahren soll es nämlich ermöglichen, jede Frage zu klären, die zur gerichtlichen Würdigung unterbreitet werden könnte, sofern die Fragen der Zielsetzung dieses Verfahrens entsprechen.

      (vgl. Rn. 54)

    6.  Die Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte kann nicht nur aus einer ausdrücklichen Übertragung durch die Verträge resultieren, sondern sich auch implizit aus anderen Vertragsbestimmungen sowie aus Rechtsakten ergeben, die im Rahmen dieser Bestimmungen von den Unionsorganen erlassen wurden. Insbesondere verfügt die Union immer dann, wenn das Unionsrecht ihren Organen im Hinblick auf die Verwirklichung eines bestimmten Ziels interne Zuständigkeiten verleiht, über die Befugnis, die zur Erreichung dieses Zieles erforderlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, auch wenn es insoweit keine ausdrückliche Bestimmung gibt. Der letztgenannte Fall wird auch in Art. 216 Abs. 1 AEUV angesprochen.

      Das Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung betrifft jedoch die zivilrechtliche Zusammenarbeit im Bereich grenzüberschreitender Kindesentführung und gehört damit zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug, für das die Union nach Art. 81 Abs. 3 AEUV eine interne Zuständigkeit besitzt. Die Union hat von dieser Zuständigkeit auch durch den Erlass der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Gebrauch gemacht. Unter diesen Umständen verfügt die Union über eine Außenkompetenz für den Bereich, der Gegenstand des Übereinkommens ist.

      (vgl. Rn. 67, 68)

    7.  Das Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Union.

      Da die Union nur über begrenzte Ermächtigungen verfügt, kann das Bestehen einer Außenkompetenz, zumal einer ausschließlichen, nämlich nur auf der Grundlage von Schlussfolgerungen angenommen werden, die aus einer umfassenden und konkreten Analyse des Verhältnisses zwischen der geplanten internationalen Übereinkunft und dem geltenden Unionsrecht gezogen werden. Zu berücksichtigen sind bei dieser Analyse die von den Unionsregeln und den Bestimmungen des geplanten Abkommens jeweils erfassten Bereiche, ihre voraussichtlichen Entwicklungsperspektiven sowie Art und Inhalt dieser Regeln und Bestimmungen, um zu prüfen, ob das fragliche Abkommen die einheitliche und kohärente Anwendung der Unionsregeln und das reibungslose Funktionieren des durch sie geschaffenen Systems beeinträchtigen kann.

      Zum einen erstrecken sich die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung aber zum großen Teil auf die beiden in dem genannten Übereinkommen geregelten Verfahren, nämlich das Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder und das Verfahren zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts. Somit ist das gesamte Übereinkommen als von den Unionsregeln erfasst anzusehen.

      Zum anderen besteht trotz des in Art. 60 der Verordnung Nr. 2201/2003 anerkannten Vorrangs dieser Verordnung gegenüber dem genannten Übereinkommen die Gefahr, dass die Tragweite und die Wirksamkeit der mit der Verordnung geschaffenen gemeinsamen Regeln durch eine uneinheitliche Praxis der Mitgliedstaaten bei der Annahme der Beitritte von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen beeinträchtigt werden. Wären die Mitgliedstaaten und nicht die Union für die Annahme oder Nichtannahme des Beitritts eines neuen Drittstaats zum Haager Übereinkommen zuständig, so bestünde in allen Fällen, in denen eine internationale Kindesentführung einen Drittstaat und zwei Mitgliedstaaten betrifft, von denen der eine den Beitritt dieses Drittstaats zum Übereinkommen angenommen hat, der andere aber nicht, die Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 und insbesondere der Regeln für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten.

      (vgl. Rn. 74, 83, 88-90, Tenor)

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    Gutachten 1/13

    Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV

    „Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV — Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung — Beitritt von Drittstaaten — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Ausschließliche Außenkompetenz der Europäischen Union — Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Unionsregeln und des reibungslosen Funktionierens des durch sie geschaffenen Systems“

    Leitsätze – Gutachten des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 14. Oktober 2014

    1. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs – Antrag auf Abgabe eines Gutachtens – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Antrag, der sich auf den Abschluss einer Übereinkunft beziehen muss – Begriff der Übereinkunft – Einverständniserklärung zum Beitritt zum Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung – Einbeziehung – Voraussetzung

      (Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV; Verfahrensordnung, Art. 196 Abs. 2)

    2. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs – Antrag auf Abgabe eines Gutachtens – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Gegenstand des Antrags – Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten

      (Art. 218 Abs. 11 AEUV; Verfahrensordnung, Art. 196 Abs. 2)

    3. Völkerrechtliche Verträge – Bedingungen für eine Beteiligung, die den Abschluss durch die Union ausschließen – Zuständigkeit der Union – Ausübung durch gemeinsames Handeln der Mitgliedstaaten

    4. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs – Antrag auf Abgabe eines Gutachtens – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Geplantes Abkommen – Begriff

      (Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV)

    5. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Vorheriges Gutachten des Gerichtshofs – Gutachtenantrag – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Frage, die in einem Streitverfahren geprüft werden könnte – Keine Auswirkung

      (Art. 218 Abs. 11 AEUV)

    6. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Zuständigkeit der Union – Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung

      (Art. 216 Abs. 1 AEUV und Art. 218 Abs. 11 AEUV; Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates)

    7. Völkerrechtliche Verträge – Abschluss – Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zum Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung – Zuständigkeit der Union – Ausschließlichkeit – Grundlage – Beurteilungskriterium – Gefahr einer Beeinträchtigung der Verordnung Nr. 2201/2003

      (Art. 3 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates)

    1.  Die Urkunde über den Beitritt zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und die Erklärung, mit der ein solcher Beitritt angenommen wird, bringen, wenn auch mittels gesonderter Urkunden, zusammen genommen eine Willensübereinstimmung der betreffenden Staaten zum Ausdruck und stellen daher eine internationale Übereinkunft dar. Da die von einem Mitgliedstaat hinterlegte Einverständniserklärung Bestandteil einer mit einem Drittstaat geschlossenen internationalen Übereinkunft ist, fällt sie unter den Begriff „Übereinkunft“ im Sinne von Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV, sofern es sich um eine von der Union geplante Übereinkunft im Sinne dieser Bestimmungen handelt.

      (vgl. Rn. 41, 42)

    2.  Ein Gutachten des Gerichtshofs kann u. a. zu Fragen eingeholt werden, die die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten für den Abschluss eines bestimmten Abkommens mit Drittstaaten betreffen. Art. 196 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestätigt diese Auslegung.

      (vgl. Rn. 43)

    3.  Falls die Bedingungen für die Beteiligung an einer internationalen Übereinkunft ihren Abschluss durch die Union selbst ausschließen, obwohl sie in die Außenkompetenz der Union fällt, kann diese über die im Interesse der Union handelnden Mitgliedstaaten ausgeübt werden.

      (vgl. Rn. 44)

    4.  Der Gerichtshof kann nach Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV mit einem Gutachtenantrag befasst werden, wenn die Union eine Übereinkunft plant, d. h., wenn eines oder mehrere der im Rahmen des in Art. 218 AEUV vorgesehenen Verfahrens mit Befugnissen ausgestatteten Unionsorgane dies plant.

      Außerdem ist ein Gutachtenantrag insbesondere dann zulässig, wenn ein Vorschlag der Kommission für eine Übereinkunft dem Rat unterbreitet und zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichtshofs nicht zurückgenommen worden war. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Rat in diesem Stadium bereits seine Absicht zum Abschluss einer solchen Übereinkunft bekundet hatte. Unter diesen Umständen liegt dem Gutachtenantrag nämlich das berechtigte Anliegen der betreffenden Organe zugrunde, vor einer Beschlussfassung in Bezug auf die fragliche Übereinkunft Klarheit über den Umfang der jeweiligen Befugnisse der Union und der Mitgliedstaaten zu erhalten.

      Überdies soll das Gutachtenverfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV verhindern, dass rechtliche Komplikationen entstehen, weil die Mitgliedstaaten ohne die erforderliche Ermächtigung völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen, obwohl sie nach dem Unionsrecht nicht mehr über die nötige Rechtsetzungsbefugnis verfügen, um diesen Verpflichtungen nachzukommen.

      Schließlich setzt die Befugnis, einen Gutachtenantrag zu stellen, nicht voraus, dass die Unionsorgane ein endgültiges Einvernehmen hinsichtlich der Möglichkeit oder Zweckmäßigkeit einer Ausübung der Außenkompetenz der Union erzielt haben.

      (vgl. Rn. 45-47, 49)

    5.  Der Umstand, dass bestimmte in einem Gutachtenverfahren aufgeworfene Fragen im Rahmen etwaiger Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV behandelt werden können, steht einer Befassung des Gerichtshofs nach Art. 218 Abs. 11 AEUV nicht entgegen. Das Gutachtenverfahren soll es nämlich ermöglichen, jede Frage zu klären, die zur gerichtlichen Würdigung unterbreitet werden könnte, sofern die Fragen der Zielsetzung dieses Verfahrens entsprechen.

      (vgl. Rn. 54)

    6.  Die Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte kann nicht nur aus einer ausdrücklichen Übertragung durch die Verträge resultieren, sondern sich auch implizit aus anderen Vertragsbestimmungen sowie aus Rechtsakten ergeben, die im Rahmen dieser Bestimmungen von den Unionsorganen erlassen wurden. Insbesondere verfügt die Union immer dann, wenn das Unionsrecht ihren Organen im Hinblick auf die Verwirklichung eines bestimmten Ziels interne Zuständigkeiten verleiht, über die Befugnis, die zur Erreichung dieses Zieles erforderlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, auch wenn es insoweit keine ausdrückliche Bestimmung gibt. Der letztgenannte Fall wird auch in Art. 216 Abs. 1 AEUV angesprochen.

      Das Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung betrifft jedoch die zivilrechtliche Zusammenarbeit im Bereich grenzüberschreitender Kindesentführung und gehört damit zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug, für das die Union nach Art. 81 Abs. 3 AEUV eine interne Zuständigkeit besitzt. Die Union hat von dieser Zuständigkeit auch durch den Erlass der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Gebrauch gemacht. Unter diesen Umständen verfügt die Union über eine Außenkompetenz für den Bereich, der Gegenstand des Übereinkommens ist.

      (vgl. Rn. 67, 68)

    7.  Das Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zum Haager Übereinkommen von 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Union.

      Da die Union nur über begrenzte Ermächtigungen verfügt, kann das Bestehen einer Außenkompetenz, zumal einer ausschließlichen, nämlich nur auf der Grundlage von Schlussfolgerungen angenommen werden, die aus einer umfassenden und konkreten Analyse des Verhältnisses zwischen der geplanten internationalen Übereinkunft und dem geltenden Unionsrecht gezogen werden. Zu berücksichtigen sind bei dieser Analyse die von den Unionsregeln und den Bestimmungen des geplanten Abkommens jeweils erfassten Bereiche, ihre voraussichtlichen Entwicklungsperspektiven sowie Art und Inhalt dieser Regeln und Bestimmungen, um zu prüfen, ob das fragliche Abkommen die einheitliche und kohärente Anwendung der Unionsregeln und das reibungslose Funktionieren des durch sie geschaffenen Systems beeinträchtigen kann.

      Zum einen erstrecken sich die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung aber zum großen Teil auf die beiden in dem genannten Übereinkommen geregelten Verfahren, nämlich das Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder und das Verfahren zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts. Somit ist das gesamte Übereinkommen als von den Unionsregeln erfasst anzusehen.

      Zum anderen besteht trotz des in Art. 60 der Verordnung Nr. 2201/2003 anerkannten Vorrangs dieser Verordnung gegenüber dem genannten Übereinkommen die Gefahr, dass die Tragweite und die Wirksamkeit der mit der Verordnung geschaffenen gemeinsamen Regeln durch eine uneinheitliche Praxis der Mitgliedstaaten bei der Annahme der Beitritte von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen beeinträchtigt werden. Wären die Mitgliedstaaten und nicht die Union für die Annahme oder Nichtannahme des Beitritts eines neuen Drittstaats zum Haager Übereinkommen zuständig, so bestünde in allen Fällen, in denen eine internationale Kindesentführung einen Drittstaat und zwei Mitgliedstaaten betrifft, von denen der eine den Beitritt dieses Drittstaats zum Übereinkommen angenommen hat, der andere aber nicht, die Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 und insbesondere der Regeln für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten.

      (vgl. Rn. 74, 83, 88-90, Tenor)

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