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Document 62007CJ0303

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Steuerrecht – Körperschaftsteuer – Besteuerung von Dividenden

    (Art. 43 EG und 48 EG; Richtlinie 90/435 des Rates, Art. 2 Buchst. a)

    Leitsätze

    Die Art. 43 EG und 48 EG sind dahin auszulegen, dass sie den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die die von einer in diesem Staat ansässigen Tochtergesellschaft an eine Aktiengesellschaft mit Sitz in diesem Staat ausgeschütteten Dividenden von der Quellensteuer befreien, aber ähnliche Dividenden dieser Quellensteuer unterwerfen, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft in der Form einer „société d’investissement à capital variable“ (SICAV) gezahlt werden, deren Rechtsform im Recht des erstgenannten Staates unbekannt ist und nicht in der Liste der Gesellschaften, die unter Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 90/435 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der Fassung der Richtlinie 2003/123 fallen, genannt wird und die nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats von der Einkommensteuer befreit ist.

    Eine solche steuerliche Ungleichbehandlung der Dividenden je nach dem Ort des Sitzes der Muttergesellschaften kann eine grundsätzlich durch die Art. 43 EG und 48 EG verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen, da sie die Ausübung der Niederlassungsfreiheit für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften weniger attraktiv macht, so dass diese Gesellschaften von dem Erwerb, der Gründung oder der Aufrechterhaltung einer Tochtergesellschaft in dem Mitgliedstaat, der eine derartige unterschiedliche Behandlung vornimmt, absehen könnten.

    Zwar befinden sich Dividenden beziehende gebietsansässige Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Vermeidung oder Abschwächung der mehrfachen Belastung oder der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer Situation, die der von begünstigten Anteilseignern vergleichbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Sobald ein Mitgliedstaat jedoch nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Anteilseigner derjenigen der gebietsansässigen Anteilseigner an. Hat folglich ein Mitgliedstaat die gebietsansässigen Muttergesellschaften vor einer mehrfachen Belastung der von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne bewahren wollen, muss er diese Maßnahme auf die gebietsfremden Muttergesellschaften ausdehnen, die sich deshalb in einer vergleichbaren Lage befinden, weil sich eine entsprechende diese gebietsfremden Gesellschaften treffende Besteuerung aus der Ausübung seiner Steuerhoheit über die Letztgenannten ergibt.

    Der Umstand, dass es im nationalen Recht einen Gesellschaftstypus mit einer Rechtsform, die mit der einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen SICAV übereinstimmt, nicht gibt, kann an sich keine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, weil eine solche Behandlung, da das Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene nicht vollkommen harmonisiert ist, der Niederlassungsfreiheit jede praktische Wirksamkeit nähme. Ferner begründet das Fehlen einer Besteuerung der Einkünfte einer SICAV in dem Mitgliedstaat, in dem sie ansässig ist, keinen Unterschied zwischen dieser Gesellschaft und einer gebietsansässigen Aktiengesellschaft, der eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf die Quellenbesteuerung der von diesen beiden Arten von Gesellschaften bezogenen Dividenden rechtfertigen würde, da der Mitgliedstaat der die Dividende ausschüttenden Gesellschaft sich dafür entschieden hat, von seiner Besteuerungszuständigkeit für derartige Einkünfte keinen Gebrauch zu machen, wenn sie von gebietsansässigen Gesellschaften erzielt werden. Im Übrigen vermag auch das Argument nicht durchzudringen, dass aufgrund der Nichtbesteuerung der Einkünfte einer SICAV in einem Mitgliedstaat die mehrfache Belastung nicht auf der Ebene der Gesellschaft, sondern vielmehr auf der Ebene der Gesellschafter erfolge und von dem Mitgliedstaat vermieden werden müsse, in dem Letztere ansässig seien, da es der betroffene Mitgliedstaat ist, der die Einkünfte, die bereits auf der Ebene der ausschüttenden Gesellschaft besteuert worden sind, durch den Steuerabzug an der Quelle einer mehrfachen Belastung unterwirft, die er für die an die gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden vermeiden wollte. Unter diesen Voraussetzungen reichen die Unterschiede zwischen einer ausländischen SICAV und einer Aktiengesellschaft inländischen Rechts nicht aus, um einen objektiven Unterschied im Hinblick auf die Befreiung der bezogenen Dividenden von der Quellensteuer zu begründen.

    Eine derartige Steuerregelung lässt sich nicht mit der Verhütung von Steuerumgehungen rechtfertigen, da sie nicht spezifisch gegen rein künstliche Konstruktionen gerichtet ist, die jeder wirtschaftlichen Realität entbehren und zu dem alleinigen Zweck errichtet wurden, die Steuer zu umgehen, die normalerweise auf die durch Tätigkeiten im Inland erzielten Gewinne zu zahlen ist. Was das Argument der ausgewogenen Aufteilung der Steuerhoheit angeht, kann sich ein Mitgliedstaat, der sich dafür entschieden hat, die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Empfängergesellschaften im Hinblick auf derartige Einkünfte nicht zu besteuern, nicht auf die Notwendigkeit berufen, eine ausgewogene Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen, um die Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Empfängergesellschaften zu rechtfertigen. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die fragliche Regelung lässt sich auch nicht mit der Notwendigkeit der Wahrung der Kohärenz des Steuersystems rechtfertigen. Da die Befreiung der Dividenden von der Quellensteuer nämlich nicht davon abhängt, dass die von einer Aktiengesellschaft bezogenen Dividenden von dieser wieder ausgeschüttet werden und dass ihre Besteuerung bei den Anteilseignern der genannten Gesellschaft einen Ausgleich für die Befreiung von der Quellensteuer ermöglicht, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Befreiung von der Quellensteuer und der Besteuerung der genannten Dividenden als Einkünfte der Anteilseigner der Aktiengesellschaft.

    (vgl. Randnrn. 41-44, 50-51, 54-56, 65-67, 73-76 und Tenor)

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