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Document 62006CJ0132

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    Steuerliche Vorschriften – Harmonisierung der Rechtsvorschriften – Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Pflichten der Steuerpflichtigen

    (Art. 10 EG; Richtlinie 77/388 des Rates, Art. 2 und 22)

    Leitsätze

    Ein Mitgliedstaat, dessen Gesetz einen allgemeinen und undifferenzierten Verzicht auf die Überprüfung der in mehreren Besteuerungszeiträumen bewirkten steuerbaren Umsätze vorsieht, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern sowie aus Art. 10 EG, soweit

    – sich ein Steuerpflichtiger, der seinen Verpflichtungen für die Besteuerungszeiträume zwischen dem ersten und dem vierten Jahr vor Erlass des genannten Gesetzes – also in bestimmten Fällen lediglich ein Jahr vor Erlass dieses Gesetzes – nicht nachgekommen ist, jeder Kontrolle bis zu einem Betrag entziehen kann, der dem Doppelten des Steuerbetrags entspricht, der in einer ergänzenden Mehrwertsteuererklärung zur Berichtigung der bereits eingereichten Erklärungen angegeben worden ist, und

    – sich ein Steuerpflichtiger, der für die Besteuerungszeiträume zwischen dem ersten und dem vierten Jahr vor Erlass des genannten Gesetzes keine Erklärung eingereicht hat, jeder Kontrolle dadurch entziehen kann, dass er einen Betrag in Höhe von 2 % der für seine Lieferung von Gegenständen und seine Dienstleistungen geschuldeten Steuer und einen Betrag von 2 % der im selben Zeitraum abgezogenen Steuer zahlt, wobei dieser Prozentsatz 1,5 % beträgt, wenn die abgezogene Steuer oder die fällige Steuer 200 000 Euro, und 1 %, wenn sie 300 000 Euro übersteigt.

    Indem Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Verpflichtungen, die sich aus den Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie für die Steuerpflichtigen ergaben, sehr kurze Zeit nach dem Ablauf der Frist für die Betroffenen zur Entrichtung der normalerweise geschuldeten Steuer durch andere Verpflichtungen ersetzten, die nicht die Zahlung dieser Beträge verlangten, haben die genannten Vorschriften den Art. 2 und 22 der Sechsten Richtlinie, die doch die Grundlage des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems bilden, jede Bedeutung genommen und rühren somit an die Struktur dieser Steuer selbst. Das erhebliche Ungleichgewicht zwischen den tatsächlich geschuldeten Beträgen und denjenigen, die die Steuerpflichtigen, die in den Genuss der fraglichen steuerlichen Amnestie kommen möchten, entrichten, führt nahezu zu einer Steuerbefreiung.

    Daraus ergibt sich, dass derartige Rechtsvorschriften das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Mehrwertsteuersystems schwerwiegend beeinträchtigen. Diese Bestimmungen verfälschen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, indem sie erhebliche Unterschiede bei der Behandlung der Steuerpflichtigen im fraglichen Hoheitsgebiet eingeführt haben. Aus dem gleichen Grund verstoßen diese Bestimmungen gegen die Verpflichtung, eine in allen Mitgliedstaaten gleichmäßige Steuererhebung sicherzustellen.

    Da, wie es im vierten Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie heißt, der Grundsatz der steuerlichen Neutralität darauf abzielt, die Verwirklichung eines Gemeinsamen Marktes zu ermöglichen, auf dem ein gesunder Wettbewerb herrscht, beeinträchtigen die genannten Rechtsvorschriften gerade das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, da im betreffenden Mitgliedstaat die Steuerpflichtigen darauf hoffen können, einen großen Teil ihrer Steuerschulden nicht begleichen zu müssen.

    Die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen ist ein Ziel, das von der Sechsten Richtlinie anerkannt und gefördert wird. So fordert Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu auf, gegebenenfalls zusätzliche Verpflichtungen zur Vermeidung der Steuerhinterziehung vorzusehen. Die genannten Rechtsvorschriften haben aber die gegenteilige Wirkung, da sie Steuerpflichtige, die sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben, begünstigen.

    Die fraglichen Rechtsvorschriften erlauben, indem sie sehr kurz nach dem Ablauf der für die Steuerpflichtigen geltenden Fristen für die Entrichtung der Mehrwertsteuer eine Amnestie eingeführt haben und die Entrichtung eines im Vergleich zur tatsächlich geschuldeten Steuer sehr geringen Betrags verlangen, den betreffenden Steuerpflichtigen, sich ihren Verpflichtungen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer endgültig zu entziehen, obwohl die nationalen Steuerbehörden wenigstens einen Teil dieser Steuerpflichtigen in den vier Jahren vor der Verjährung der normalerweise geschuldeten Steuer hätten ermitteln können. In diesem Sinne stellen die genannten Rechtsvorschriften die jeden Mitgliedstaat treffende Verantwortlichkeit in Frage, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen.

    (vgl. Randnrn. 9, 40-47, 52-53 und Tenor)

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