EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52016IE0959

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“ (Initiativstellungnahme)

OJ C 303, 19.8.2016, p. 17–27 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/17


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 303/03)

Berichterstatterin:

Emmanuelle BUTAUD-STUBBS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Januar 2016 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 19. April 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 25. Mai) mit 188 Stimmen bei 1 Gegenstimme folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Frage der menschenwürdigen Arbeit in globalen Lieferketten, etwa in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie, Elektronikbranche, Mineralstoff- und Agrarindustrie ist für alle auf nationaler und internationaler Ebene an der Steuerung der Lieferketten beteiligten öffentlichen und privaten Akteure ein heikles Thema.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat seine internen Verfahren darauf ausgerichtet, seine Stellungnahme vor der 105. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) vorlegen zu können, die in Genf zum Thema menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten stattfindet.

Der EWSA empfiehlt:

1.3.

Die Europäische Kommission sollte eine umfassende und ehrgeizige Strategie konzipieren, um die menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten in ihren internen Politikfeldern (Zugang zum öffentlichen Auftragswesen der EU, Kennzeichnungen usw.) und in ihren auswärtigen Politikbereichen (Handels-, Entwicklungs-, Nachbarschaftspolitik usw.) zu fördern.

1.4.

Zwischen den verschiedenen Interessenträgern — der OECD, der ILO, der WTO, der Europäischen Kommission, der Weltbank und dem IWF (1) — sollten gemeinsame Ausdrucksweisen und gemeinsame Definitionen festgelegt und die statistischen Daten bewertet werden, um Missverständnisse und Fehlinterpretationen zu vermeiden, und sollte eine kohärente Politik der in diesem Bereich mit unterschiedlichen Zuständigkeiten tätigen öffentlichen Einrichtungen erarbeitet werden.

1.5.

Unter Berücksichtigung der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sollten die vorbildlichen Verfahrensweisen und Initiativen des bestehenden „Instrumentariums“ anerkannt und gefördert werden: die Leitlinien der OECD für multinationale Unternehmen, die Leitlinien der OECD für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht (Textilien und Bekleidung, Mineralien, Landwirtschaft und Finanzen), Handelshilfen, Finanzierungsprogramme zum Schadensausgleich, Verhaltenskodizes, Gütesiegel, Normen und Selbstbewertungsinstrumente. Das Ziel lautet, eine schrittweise, konsequente und nachhaltige Politik für die verantwortungsvolle Steuerung globaler Lieferketten einzuführen.

1.6.

Es sollten praktische und angemessene, risikobasierte Ansätze gefördert werden, die der Besonderheit der globalen Wertschöpfungskette und der globalen Lieferkette (linear oder modular, einfach oder komplex, kurze oder lange Organisation) Rechnung tragen.

1.7.

Ausgehend von einer Bewertung bestehender Praktiken sollte das Konzept der Multi-Stakeholder gefördert werden, das öffentliche und private Akteure, die Sozialpartner, nichtstaatliche Organisationen (NGO), Sachverständige und andere umfasst, um den besten, an den OECD-Leitlinien ausgerichteten Maßnahmenkatalog zur Ermittlung, Prävention und Eindämmung von Risiken sowie zur Kommunikation und Berichterstattung über den Aktionsplan zu entwickeln. Die Maßnahmen des Aktionsplans könnten sowohl legislative als auch nichtlegislative Maßnahmen, vorbildliche Verfahrensweisen, finanzielle Anreize, den Zugang zu Schulungen sowie den Kapazitätsaufbau für den sozialen Dialog und für die Gewerkschaften umfassen.

1.8.

Man sollte sich nachdrücklich für spezifische Überlegungen über die Art der Transparenzinstrumente einsetzen, die zur Information der Endverbraucher über die sozialen Bedingungen der Produktion eingeführt werden könnten.

1.9.

Auf der anstehenden ILO-Konferenz sollten die Möglichkeiten der ILO erwogen werden, eine aktive Rolle bei der Gewährleistung menschenwürdiger Arbeit in den globalen Lieferketten zu spielen, wobei auch die Entwicklung und künftige Annahme jeglicher relevanter und angemessener Instrumente ausgelotet werden sollten, die mit dem Engagement sämtlicher Interessenträger zu einer effektiven Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen werden.

2.   Die Frage der menschenwürdigen Arbeit in globalen Lieferketten: Definitionen, Kontext und Herausforderungen

2.1.    Definitionen

2.1.1.

Globale Wertschöpfungskette: Dieses Konzept tauchte Mitte der 90er-Jahre auf und beschreibt das komplette Spektrum an Maßnahmen, die notwendig sind, um ein Produkt von seiner Konzipierung bis zu seiner Gestaltung, seinen verwendeten Rohstoffen und Zwischenprodukten, seiner Vermarktung, seinem Vertrieb und Kundendienst zum Endverbraucher zu bringen (2).

Globale Wertschöpfungsketten sollen eine „prozessuale Aufwertung“ (der Hersteller verwendet eine bessere Technologie für mehr Effizienz) und eine „funktionale Aufwertung“ (der Hersteller kann Gestaltungs-, Branding- und Marketingkompetenzen entwickeln) fördern. Allerdings zeigt eine Reihe von Beispielen, dass dies nicht immer der Fall ist.

Die Frage, wie eine nachhaltige und verantwortungsvolle Steuerung globaler Wertschöpfungsketten erreicht werden kann, steht ganz oben auf der internationalen Agenda (OECD, ILO, G7, G20, EU, UNO), da das zunehmende weltweite Handels- und Investitionsvolumen über globale Wertschöpfungsketten abgewickelt wird und die Auslagerung und grenzüberschreitende Koordinierung der weltweiten Produktion durch führende Unternehmen erhebliche soziale Auswirkungen hat. Einige davon sind positiv, z. B. besser bezahlte Arbeitsplätze, eine höhere Beschäftigungsquote von Frauen, die Schaffung von Arbeitsplätzen zugunsten des Zugangs zur Beschäftigung, die Entwicklung von Kompetenzen sowie die Verbreitung von Wissen und Technologie. Andere Auswirkungen sind besorgniserregend, etwa prekäre Beschäftigung, unwürdige Arbeitsbedingungen (auch im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz), fehlende soziale Rechte (auch fehlende Sozialversicherungsansprüche) und die Verletzung der Menschenrechte und grundlegenden Arbeitnehmerrechte.

Dies führt zur Entwicklung und Anwendung verschiedener Instrumente auf nationaler und internationaler Ebene, wie die ILO-Übereinkommen, die OECD-Leitlinien oder die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (siehe auch Ziffer 2.3.3) und Politikrahmen wie die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (3) und den begleitenden Aktionsplan von Addis Abeba über Entwicklungsfinanzierung (4) zur Unterstützung der Achtung der Arbeitsnormen und zur Förderung menschenwürdiger Arbeit sowie zum Ausbau des Handels, der Investitionen, des privaten Sektors und der Lieferketten.

2.1.2.

Globale Lieferkette: Eine globale Lieferkette besteht aus miteinander verknüpften Organisationen, Ressourcen und Prozessen, die Produkte und Dienstleistungen erzeugen und den Endverbrauchern liefern. Als solche ist sie Teil der globalen Wertschöpfungskette, in der es um Beschaffung, nicht aber um die Konzipierung oder den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen geht.

Eine allgemeine Debatte über menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten findet im Juni 2016 auf der Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz (dem höchsten Beschlussfassungsgremium der ILO) statt. Sie soll den in der ILO vertretenen Gruppen (z. B. Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer) aufzeigen, wie das Engagement in globalen Lieferketten der nationalen und lokalen Wirtschaft helfen kann, nachhaltig und integrativ zu wachsen und dadurch zur Gründung und zum Wachstum von Unternehmen sowie zur Förderung guter Arbeitsplätze und zur Achtung von Arbeitsnormen beizutragen. Die vorliegende Stellungnahme ist als Beitrag des EWSA zu dieser Debatte zu verstehen.

2.1.3.

Menschenwürdige Arbeit: Dieses von den in der ILO vertretenen Gruppen entwickelte und von der Internationalen Arbeitskonferenz in der Erklärung über soziale Gerechtigkeit für eine gerechte Globalisierung (5) angenommene Konzept umfasst nationale und lokale Programme zur Erreichung vier strategischer Ziele:

Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen, der Entwicklung von Kompetenzen und nachhaltiger Existenzgrundlagen,

Gewährleistung von Rechten am Arbeitsplatz, insbesondere für benachteiligte und arme Arbeitnehmer,

Ausdehnung des Sozialschutzes für Männer und Frauen zugunsten einer angemessenen Ausgleichszahlung im Falle eines Einkommensverlustes oder einer Einkommensverringerung sowie Zugang zur einer angemessenen Gesundheitsversorgung,

Förderung des sozialen Dialogs durch die Einbindung starker und unabhängiger Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen.

Als weltweites Normen setzendes Gremium hat die ILO eine Reihe von Übereinkommen verabschiedet, die für globale Lieferketten relevant sind. Hierzu zählen grundlegende (Kern-)Arbeitsnormen (z. B. die Förderung der Versammlungsfreiheit und des Rechts auf Tarifverhandlungen, die Förderung der Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz und das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit) sowie Übereinkommen in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Kontrollen am Arbeitsplatz und andere. Länder, die diese Übereinkommen ratifizieren, sind verpflichtet, ihre Rechtsvorschriften und Rechtspraxis damit in Einklang zu bringen. Darüber hinaus sind alle Mitgliedstaaten der ILO gemäß der ILO-Erklärung über die Grundprinzipien und Grundrechte am Arbeitsplatz (1998) (6) verpflichtet, in ihren Rechtsvorschriften und ihrer Rechtspraxis die Kernarbeitsnormen zu achten und festzuschreiben, auch wenn sie die einschlägigen Übereinkommen nicht ratifiziert haben.

2.2.    Aufbau und Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten und globaler Lieferketten im Welthandel

2.2.1.

Die Bedeutung globaler Wertschöpfungsketten im Welthandel ist rapide gestiegen und macht nach Angaben der WTO, OECD, ILO und UNCTAD aus dem Jahr 2013 (7) zwischen 60 % und 80 % des internationalen Handels und über 20 % der weltweiten Arbeitsplätze aus (8). Zu den Bereichen, in denen organisatorische Komponenten wie Konzeption, Produktion, Vertrieb und Verbrauch miteinander verzahnt sind und von multinationalen Unternehmen gesteuert werden, gehören die Landwirtschaft, die Industrie (z. B. Automobile, Luftfahrt, Textil-Bekleidung, Spielwaren, Elektronik) und Dienstleistungen (z. B. Callcenter, Informationstechnologien).

2.2.2.

Diese globalen Wertschöpfungsketten unterscheiden sich außerdem in Größe und Aufbau: einige sind eher kurz (wenige Aktivitäten), während andere länger sind und auch wirtschaftliche, soziale und finanzielle Verbindungen zwischen Unternehmen in zahlreichen und entfernten Ländern (von den USA bis hin zur EU und Asien) umfassen. Gary Gereffi (9) zufolge gibt es drei vorherrschende Steuerungsformen: käufergesteuerte und meistens auch kostengesteuerte (im Falle von globalen Wertschöpfungsketten bei Bekleidung und Schuhen) und herstellergesteuerte globale Wertschöpfungsketten mit technologischen Kompetenzen der Lieferanten in Entwicklungsländern, darunter Gestaltung und Innovation (Elektronik).

2.2.3.

Die globale Lieferkette basiert als Teil der globalen Wertschöpfungskette auf den Beziehungen zwischen Käufern und Lieferanten und potenziellen Unterauftragnehmern. Diese „Kette“ kann verschiedene Formen annehmen: vertikal integrierte, verschlossene Kette, modulare Kettensteuerung (die großen Lieferanten sind imstande, unabhängig von dem führenden Unternehmen zu agieren) oder Marktketten für die Grundstoffmärkte.

2.3.    Steuerung globaler Lieferkette in der Strategie für soziale Verantwortung der Unternehmen: zentrale Akteure und Instrumente

2.3.1.

In der Definition der EU wird die soziale Verantwortung der Unternehmen (SVU) als „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ (10) gesehen.

2.3.2.

Aufgrund einiger Probleme, die in den letzten 20 Jahren insbesondere in Sektoren wie Elektronik, Sportwaren und Bekleidung auftraten, wurden namentlich von der OECD folgende Aspekte ermittelt, die für die nachhaltige Steuerung ihrer globalen Wertschöpfungskette und globalen Lieferkette durch ein multinationales Unternehmen als führende Firma entscheidend sind:

a)

Ermittlung der Gefahr größerer Verstöße gegen Menschen- und Arbeitsrechte, Umweltschäden und Korruption;

b)

Prävention solcher Gefahren durch ein Konzept der Sorgfaltspflicht und die Umsetzung einer nachhaltigen Steuerung durch eine Bewertung des Risikoprofils des Landes und des individuellen Bewertungsrisikos des Lieferanten (11);

c)

Minderung der Risiken durch kohärente, solide und langfristige SVU-Maßnahmen für die Lieferkette: Wahl des Lieferanten, Anforderungen an und Vertrag mit bestehenden Lieferanten, Sozialaudits und Verbesserungskriterien zur Bewertung der erzielten Fortschritte;

d)

Berichterstattung und Kommunikation gegenüber verschiedenen Interessenträgern innerhalb des Unternehmens (z. B. Gewerkschaften) und außerhalb des Unternehmens (z. B. NGO oder zuständige Arbeitsschutz-Behörde oder für die Umsetzung der ILO-Übereinkommen über die Verbesserung der nachhaltigen Steuerung von globalen Lieferketten zuständige Behörden).

2.3.3.

Ein breites Spektrum an Akteuren: Zahlreiche öffentliche und private, nationale, europäische und internationale Organisationen und Gremien beschäftigen sich momentan mit diesen Fragen, insbesondere nach dem Drama von Rana Plaza (Bangladesch), bei dem 2013 über 1 100 Beschäftigte ums Leben kamen:

a)

Auf nationaler Ebene entwickeln Regierung und Parlament zusätzlich zu den Legislativmaßnahmen in von menschenwürdiger Arbeit und Menschenrechten abgedeckten Bereichen (z. B. im Vereinigten Königreich das Gesetz von 2015 über moderne Sklaverei mit Bestimmungen über die Transparenz von Lieferketten) (12) mit Unterstützung durch die Sozialpartner, interessierte Kreise wie NGO sowie durch die nationalen Kontaktstellen der OECD verschiedene Initiativen und setzen diese um (z. B. nationale Aktionspläne zu Wirtschaft und Menschenrechte oder zur SVU und andere, wie jüngste Initiativen in Frankreich oder Deutschland über die Sorgfaltspflicht).

b)

Auf EU-Ebene wurden im Rahmen verschiedener interner und externer Politikbereiche Maßnahmen im Zusammenhang mit breiter angelegten Partnerschaften mit Drittländern und mittels sektorspezifischer Initiativen ergriffen. Beispielsweise umfassen Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung in den unlängst ausgehandelten und umgesetzten Handels- und Investitionsabkommen der EU die bindende Verpflichtung der Parteien, die Kernarbeitsnormen zu achten (und auch Fortschritte hin zur Ratifizierung der grundlegenden ILO-Übereinkommen zu erzielen und ein höheres inländisches Arbeitsschutzniveau anzustreben), die ratifizierten ILO-Übereinkommen wirksam umzusetzen und menschenwürdige Arbeit sowie gerechte Handels- und SVU-Praktiken zu fördern. Außerdem wird darin die Einführung eines zivilgesellschaftlichen Überwachungsmechanismus (zusätzlich zu dem zwischenstaatlichen Gremium) erwogen, dem auch die Sozialpartner angehören sollen und der die Umsetzung dieser Bestimmungen überwachen und die Parteien über Fragen — unter anderem zu Handel und Arbeit — beraten soll. Im Rahmen der durch das GSP+-System gewährten Zollpräferenzen für Entwicklungsländer wird gefährdeten Ländern, die sich bindend zur Ratifizierung und wirksamen Umsetzung von 27 zentralen internationalen Übereinkommen, darunter die acht grundlegenden ILO-Übereinkommen, verpflichten, eine vollständige Abschaffung der Zölle auf über 66 % der Zolltarifpositionen gewährt (13). Darüber hinaus hat die EU folgende Maßnahmen entwickelt und umgesetzt: eine SVU-Strategie, die Überprüfung der Richtlinie 2013/34/EU über nichtfinanzielle Berichterstattung (Umwelt- und Sozialfragen, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung, Vielfalt in Unternehmensvorständen usw.), den Nachhaltigkeitspakt für Bangladesch (eine internationale Initiative unter der Führung der EU zur Verbesserung der Achtung der Arbeitnehmerrechte, des Arbeitsschutzes und der Gebäudesicherheitsnormen im Konfektionskleidungssektor des Landes (14), eine neue Handels- und Investitionsstrategie der EU, einschließlich der verantwortungsvollen Steuerung der globalen Lieferketten (15); außerdem liegt ein Schwerpunkt des amtierenden (niederländischen) EU-Ratsvorsitzes auf der verantwortungsvollen Steuerung globaler Lieferketten.

c)

Auf internationaler Ebene finden Beratungen und Arbeiten in der OECD (z. B. Erarbeitung von Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie (16), Leitlinien für multinationale Unternehmen (17), Einführung der Leitlinien für verantwortungsvolle landwirtschaftliche Lieferketten (18)), in der UNO (z. B. Globaler Pakt und die Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte (19)) und in der ILO statt (Überarbeitung der Dreigliedrigen Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik und Vorbereitung der Debatte, die im Juni 2016 auf der Internationalen Arbeitskonferenz zum Thema menschenwürdige Arbeit in globalen Lieferketten stattfindet).

Es wurden verschiedene — ständige bzw. zeitweilige — Privatinitiativen ins Leben gerufen, beispielsweise zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in den Textilfabriken in Bangladesch als Reaktion auf die Katastrophe von Rana Plaza (Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch) (20).

2.3.4.

All diese öffentlichen und privaten Akteure engagieren sich für die Entwicklung und Umsetzung verschiedener Instrumente zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Rechte am Arbeitsplatz:

Regulierung, Gesetze, Übereinkommen,

Verhaltenskodizes,

sozialer Dialog, auch im grenzüberschreitenden Kontext (21),

Zertifizierungen in SVU und soziale Rechenschaftspflicht,

Finanzierungsprogramme zur Entschädigung der Opfer,

andere Multistakeholder-Initiativen,

Hilfs- und Entwicklungsprogramme, einschließlich Kapazitätsaufbau (Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, sozialer Dialog, Umsetzung der ILO-Übereinkommen usw.).

3.   Bewertung bewährter Verfahrensweisen in zwei Wirtschaftszweigen

3.1.    Globale Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie

3.1.1.

Zu den globalen Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie gehören unterschiedliche Akteure und Produktionsprozesse. Aus der Region Asien-Pazifik kamen weltweite Bekleidungs-, Textilien- und Schuhexporte im Wert von 601 Mrd. USD, was 60 % des gesamten Welthandels entspricht. Der Löwenanteil entfällt dabei auf China. Länder wie Bangladesch oder Kambodscha haben sich stärker auf die Herstellung und Ausfuhr von Kleidung und Schuhen spezialisiert (entsprechend 89,2 % und 77,4 % des Gesamtwarenexports im Jahr 2014 (22)). Dies ist insbesondere auf den starken Anstieg der Löhne in der chinesischen Bekleidungs- und Textilindustrie zurückzuführen, infolge dessen internationale Abnehmer nach neuen Lieferanten in Asien suchen.

Nach Angaben der ILO (23) lag das Durchschnittseinkommen 2014 in den meisten Ländern bei weniger als 200 USD im Monat. Mindestlöhne für ungelernte Arbeitnehmer in der Bekleidungsindustrie sind in folgenden Ländern festgelegt: China (bis 297 USD), Philippinen, Malaysia, Indonesien (247 USD), Thailand, Vietnam (145 USD), Indien (136 USD), Kambodscha (128 USD), Pakistan (119 USD), Bangladesch (71 USD) und Sri Lanka (66 USD).

Die größten Gefahren sind dabei das Fehlen eines existenzsichernden Einkommens, Zwangs- bzw. Kinderarbeit, schlechte Arbeitsbeziehungen aufgrund von schwachem Schutz der Vereinigungsfreiheit und beschränkter Tarifautonomie, unzureichender Arbeitsschutz, unzureichende Arbeitsaufsicht, unterentwickelte Versorgungssysteme bei Arbeitsunfällen, Wasserverschmutzung, Exposition gegenüber Chemikalien und Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen.

3.1.2.

Am 24. April 2013 kamen beim Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch, in dem Textilfabriken untergebracht waren, 1 136 Beschäftigte ums Leben, die meisten von ihnen Frauen. Das Ausmaß dieses Unfalls, das auf den sehr schlechten Reparaturzustand des Gebäudes und auf das Fehlen von Notausgängen zurückzuführen war, führte zu einer außergewöhnlichen Mobilisierung von Regierungen (EU und Mitgliedstaaten, USA, Kanada, Norwegen), internationalen Organisationen (ILO, OECD und Weltbank) und internationalen und lokalen Interessenträgern, die einen ehrgeizigen Handlungsplan zur Förderung von nationalen kurzfristigen Maßnahmen (Entschädigung an die Angehörigen der Opfer, Inspektion von Textilfabriken und Abhilfemaßnahmen, neue Prüfungsmethoden, Überarbeitung des Arbeitsrechts), nationalen mittelfristigen Maßnahmen (z. B. Aufbau unabhängiger Gewerkschaften und Stärkung der Arbeitsaufsicht) und systematischen Maßnahmen zur Stärkung des verantwortungsvollen Managements in globalen Lieferketten auf den Weg gebracht haben.

Beispiel: Bewertung der Fortschritte im Konfektionskleidungssektor in Bangladesch seit dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes (Stand: Januar 2016)

Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, unterzeichnet von 220 Abnehmern der Bekleidungsindustrie.

Bündnis für die Sicherheit der Arbeitnehmer in Bangladesch, gegründet im Mai 2013 von 26 hauptsächlich nordamerikanischen Marken.

Bis Januar 2016 entstanden im Konfektionskleidungssektor in Bangladesch 341 neue Gewerkschaften (2014: 132).

Bis Januar 2016 wurden 3 734 exportorientierte Konfektionskleidungsfabriken in Bezug auf die strukturelle und elektrische Sicherheit und den Brandschutz inspiziert.

235 neue Inspektoren wurden eingestellt  (24).

Programm für bessere Arbeitsbedingungen in Bangladesch: 38 Bekleidungsfabriken, die 17 Marken und Vertriebsketten beliefern.

Entschädigung für die Opfer: Entschädigungsleistungen in Höhe von 24,1 Mio. USD für 3 490 eingereichte Forderungen.

3.1.3.

Die OECD arbeitet derzeit an Leitlinien für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Schuh- und Bekleidungsindustrie.

3.1.4.

In Zusammenarbeit mit internationalen Gebern, Regierungen, Arbeitnehmern und Arbeitgebern führt die ILO Projekte im Textilsektor durch (u. a. in Asien), die auf die Verbesserung des Zugangs zu Informationen über Löhne und Gehälter, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen abzielen, um dadurch die Qualität des sozialen Dialogs über Arbeitsnormen zu verbessern, die Kapazitäten der Sozialpartner und die Tarifverhandlungsmechanismen zu stärken und die Einhaltung von Arbeitsnormen auf Fabrikebene zu gewährleisten (25).

3.1.5.

Die Europäische Kommission arbeitet an einer Leitinitiative für nachhaltige Zulieferketten in der Bekleidungsindustrie, die gemeinsame Planung, koordinierte Finanzierung, gemeinsame Umsetzung von Programmen, Sensibilisierungsmaßnahmen für die Verbraucher usw. umfasst.

3.1.6.

Europäische Sozialpartner der Textil- und Bekleidungsindustrie haben eine gemeinsame Initiative auf den Weg gebracht, die von der Europäischen Kommission unterstützt wird und ein SVU-Risikobewertungsinstrument umfasst, das für globale Lieferketten von Bedeutung ist. Es wird zurzeit fertiggestellt und für die Verbreitung unter den KMU und anderen Interessenträgern vorbereitet.

3.1.7.

Der niederländische EU-Ratsvorsitz will die Möglichkeiten zur Stärkung der Synergien zwischen den entwicklungs- und den handelspolitischen Maßnahmen der EU prüfen, um zur Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungsketten beizutragen.

3.1.8.

Der deutsche Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, hat ein spezifisches Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen, dem wichtige Partner angehören. Auf dem letzten G7-Treffen fasste er die Lage sehr konkret zusammen: „Einen Euro würde es kosten, Verantwortung zu übernehmen, einen einzigen Euro, pro Kleid, pro Sakko oder pro Hose, damit harte Arbeit in Bangladesch, Kambodscha oder in Afrika auch Lebenschancen für die Kinder und für die Näherinnen bedeutet“ (26).

3.1.9.

Bei zahlreichen privaten Initiativen wurden Erfahrungen gesammelt und bewährte Verfahrensweisen ausgetauscht. Dazu gehören ICS (Initiative Clause Sociale), an der 22 große Handelsketten wie Monoprix, Carrefour oder Casino mit einem Umsatz von mehr als 243 Mrd. EUR beteiligt sind, die auf ähnliche Methoden zur Durchführung von Sozialaudits zurückgreifen, und BSCI (Business Social Compliance Initiative), die 2003 von der in Brüssel ansässigen Foreign Trade Association (FTA) ins Leben gerufen wurde und mehr als 1 700 Einzelhändler und Importeure aus 36 Ländern umfasst, die Geschäftsbeziehungen zu 30 000 Fabriken unterhalten.

3.2.    Globale Wertschöpfungs- und Lieferketten im Elektronikbereich

3.2.1.

Laut der von Sturgeon und Kawakami durchgeführten Studie zu globalen Wertschöpfungsketten (27) scheinen Vorleistungen für die Bekleidungsindustrie in Bezug auf den Wert des Handels mit Zwischenerzeugnissen weitaus weniger wichtig zu sein als für die Elektronik- und die Pkw-Industrie.

3.2.2.

Die globale Wertschöpfungskette im Elektronikbereich gehört zu den wichtigsten Ketten im Gütersektor. Auf sie entfielen über 17 % der Gesamtmenge an Zwischenerzeugnissen im Jahr 2006 (Chemikalien und Kunststoffe: 2,7 %; Flugzeugteile: 1,9 %). Die zwei führenden Länder beim Export von Elektronikteilprodukten sind China/Hongkong und die USA.

3.2.3.

Die drei wichtigsten Akteure der „Modularität der Wertschöpfungskette“ sind:

Unternehmen am „Kopf“ der Lieferkette (hauptsächlich in den Industrieländern),

Unterauftragnehmer, zuständig für Komponentenkauf, Leiterplattenbestückung, Montage und Erprobung, hauptsächlich in China, Taiwan und Vietnam,

führende Unternehmen der Plattformen, d. h. Unternehmen, die ihre Technologien (in Form von Software, Hardware oder beidem) erfolgreich zum festen Bestandteil der Erzeugnisse anderer Unternehmen gemacht haben.

Die Modularität dieser spezifischen Wertschöpfungskette liegt in der Kodifizierung und Standardisierung der wichtigsten Betriebsprozesse wie computergestütztes Design, Produktionsplanung, Bestand und logistische Steuerung.

3.2.4.

Die Produkte im Bereich der Verbraucherelektronik haben einen kurzen Lebenszyklus (zwischen drei und 18 Monaten) und erreichen schnell das Ende ihrer Vermarktbarkeit. Infolgedessen müssen die Zulieferer eine immer schnellere Markteinführung gewährleisten. Als beispielsweise das iPhone von Apple 2007 erstmalig erschien, betrug die Markteinführungszeit sechs Monate, 2012 betrug sie bereits weniger als zwei Wochen (28). Für die Hersteller und Arbeitnehmer ist dies eine Herausforderung, zu deren Bewältigung Lösungen entwickelt und umgesetzt werden müssen.

In einigen Unternehmen wurden für die Spitzenzeiten Überstunden und Schichtarbeit vereinbart, die im restlichen Jahresverlauf abgebaut bzw. kompensiert werden können. In anderen Ländern wird zunehmend auf Zeitverträge und Leiharbeiter oder Migranten zurückgegriffen (z. B. stellten 2009 die Leiharbeiter in Mexiko 60 % der Arbeitnehmerschaft in der Elektronikindustrie, während der Anteil in Spitzenzeiten 90 % betrug) (29). Dies bedeutet oft weniger Arbeitnehmerrechte, d. h. niedrigere Löhne, fehlende Sozialversicherung oder Verbot der Mitgliedschaft in Gewerkschaften. Als Lösung wären neben nationalen Rechtsvorschriften auch Vereinbarungen auf Unternehmensebene denkbar sowie eine bessere Koordinierung und ein besserer Informationsaustausch zwischen den Abnehmern und den Zulieferern, wodurch eine bessere Produktionsplanung und der Einsatz von Dauerbeschäftigten statt Leiharbeitern ermöglicht würden.

3.2.5.

Die Frage der Wahrung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte ist in der Elektronikbranche eng mit der Frage der Gewinnung von Mineralien in Konflikt- und Hochrisikogebieten, wie der Region der Großen Seen in Afrika (30), verknüpft. Nach der Verabschiedung des US-amerikanischen Dodd-Frank-Gesetzes hat die Europäische Kommission 2014 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Systems zur Selbstzertifizierung durch Einführer von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold in die EU vorgelegt, um zu gewährleisten, dass bei der Gewinnung dieser Mineralien und dem Handel mit ihnen keine lokalen bewaffneten Konflikte unterstützt werden. Die Sorgfaltspflicht und entsprechende Begleitmaßnahmen dürften indessen zu mehr Transparenz entlang der gesamten Lieferkette beitragen und positive Auswirkungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Arbeitsbedingungen in Bergwerken (zum Beispiel im Hinblick auf den Arbeitsschutz) sowie auf das Einkommensniveau haben und den Weg zur formellen Tätigkeit erleichtern. Dadurch wäre es möglich, die Mineralien weiterhin aus Afrika zu beziehen, anstatt auf andere, konfliktfreie Regionen der Welt auszuweichen (31).

3.2.6.

Die OECD hat Leitsätze zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Mineralstoffe aus Konflikt- und Hochrisikogebieten festgelegt (32).

3.3.    Globale Wertschöpfungsketten und globale Lieferketten in anderen Wirtschaftszweigen

3.3.1.

Der EWSA unterstreicht, dass auch in den globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten anderer Wirtschaftsbereiche, wie der Dienstleistungsbranche oder der Agrarwirtschaft, Probleme bei den Arbeitsbedingungen, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsschutz, vorkommen können.

3.3.2.

Bei ihrer Förderung der menschenwürdigen Arbeit in der ländlichen Wirtschaft (33) konzentriert sich die ILO auf drei prioritäre Handlungsbereiche: menschenwürdige Arbeitsbedingungen für benachteiligte, marginalisierte und schutzbedürftige ländliche Bevölkerungsgruppen, menschenwürdige Arbeitsbedingungen für ländliche Arbeiter in Lieferketten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für ländliche Arbeiter auf Plantagen.

4.   Der Beitrag des EWSA zur Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten

Mit Blick auf die 105. Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2016 in Genf will der EWSA seinen Beitrag mit verschiedenen Empfehlungen zu den wirksamsten Wegen und Mitteln zur Gewährleistung besserer Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer in Zulieferer- und Subunternehmen veröffentlichen, die an der Produktion im Rahmen einer globalen Lieferkette beteiligt sind.

4.1.    Präzisierung der Rolle der einzelnen Interessenträger

Die Bestimmungen und Zuständigkeiten der einzelnen Interessenträger sollten geklärt werden, um Missverständnisse zu vermeiden:

Staatliche Stellen sind für die Erarbeitung, Anwendung und Durchsetzung der nationalen Arbeits- und Sozialvorschriften, die Ratifizierung und wirksame Umsetzung der ILO-Übereinkommen und im Falle der EU-Mitgliedstaaten auch für die Durchführung und Umsetzung der EU-Richtlinien verantwortlich. Sie stellen auch alle erforderlichen administrativen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung (u. a. für die Arbeitsaufsicht), um die Einhaltung der Rechtsvorschriften zu gewährleisten.

Internationale Organisationen legen die Standards fest und entwickeln weltweite Initiativen zur Förderung internationaler Arbeitsnormen und des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns. In diesem Zusammenhang dienen Dokumente wie die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (Handlungsrahmen „Schützen, Respektieren, Abhelfen“) als Richtschnur für die Rollen und Verantwortlichkeiten der wichtigsten Akteure.

Die Sozialpartner sollten sich am sozialen Dialog über die Arbeitsnormen und -bedingungen in der Branche und im grenzübergreifenden Kontext beteiligen und ihn fördern. Die Staatsorgane sollten den wirksamen Schutz und die Förderung der Vereinigungsfreiheit und der Tarifverhandlungen sicherstellen.

Multinationale Unternehmen sollten sich an die Gesetze der Länder halten, in denen sie tätig sind. Sie sollten sich außerdem der sozialen Verantwortung und der Sorgfaltspflicht verschreiben.

Nichtstaatliche Organisationen ergänzen die Arbeit der sonstigen Akteure und übernehmen eine Schlüsselrolle bei der Sensibilisierung im Zusammenhang mit den Arbeitnehmerrechten sowie bei der Anprangerung von Missbrauch.

Angesichts der Komplexität und der offensichtlichen enormen Risiken in Bezug auf diese Schlüsselakteure plädiert der EWSA für strukturierte, transparente und integrative Stakeholder-Plattformen zur Behandlung solcher komplexen Fragen.

4.2.    Die Schwierigkeit der statistischen Messung der Handels- und Investitionsströme

Der EWSA hat die Absicht, die Realität der globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten in Bezug auf den Wert, das Wachstum und die Beschäftigung sowie die entsprechenden jüngsten qualitativen Entwicklungen zu messen. Dazu will er anhand der von der WTO und der OECD gesammelten Daten mit Eurostat und der GD Handel zusammenarbeiten. Dieses bessere Verständnis der neuen Struktur des internationalen Handels wird mit Sicherheit zu neuen Vorschlägen für den Einsatz der konventionellen Instrumente von Handels- und Entwicklungsvereinbarungen führen, so z. B. Zollabbau, rechtliche Konvergenz, besserer Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen, gemeinsame Ursprungsregeln, Kapazitätsaufbau und Handelshilfe.

4.3.    Förderung eines wirklich integrierten EU-Ansatzes u. a. in den Bereichen Handel, Entwicklung und Nachbarschaftspolitik

Der EWSA unterstützt den in der jüngsten Mitteilung zur EU-Handels- und Investitionspolitik geäußerten Willen der Europäischen Kommission, die gesamte Bandbreite der EU-Außenpolitik zu nutzen, um mithilfe verschiedener Instrumente die nachhaltige Entwicklung in Drittländern zu fördern, insbesondere in Entwicklungsländern wie Bangladesch, Vietnam, Myanmar (34), Kambodscha und Laos, sowie in Ländern auf anderen Kontinenten. Dazu gehören die Aufnahme von Kapiteln zu Handel und nachhaltiger Entwicklung in die derzeit verhandelten und künftigen Freihandelsabkommen, eine stärkere Verknüpfung zwischen Handelspolitik und Hilfsmaßnahmen/Kapazitätsaufbau, Förderung des verantwortungsvollen Handelns von Unternehmen in der Investitionspolitik und der Ausbau des Privatsektors, Umsetzung gezielter Projekte für eine bessere Einhaltung der Arbeitsnormen und Unterstützung nationaler Sozialpartner bei Schulungen, Informationsseminaren usw.

4.4.    Unterbreitung von Vorschlägen für realistische Verpflichtungen

Durch seine Mitwirkung an der Umsetzung und Überwachung der entsprechenden Kapitel in Freihandelsabkommen sowie die Teilnahme an einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Gremien verfügt der EWSA über eine große Sachkenntnis im Bereich der Nachhaltigkeit und kann einen fairen Ausgleich zwischen den notwendigen gesetzlichen Anforderungen bezüglich der Menschen- und Arbeitsrechte, Transparenz, Korruptionsbekämpfung und der nötigen Flexibilität multinationaler Unternehmen für eine wirksame und an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasste Organisation und Entwicklung ihrer globalen Lieferketten vorschlagen.

4.5.    Förderung wirksamer Präventivmaßnahmen

Die KMU sind weltweit immer stärker an globalen Lieferketten beteiligt, und sie verfügen in diesem Zusammenhang über ein enormes, bislang ungenutztes Potenzial. Deshalb will der EWSA einige konkrete Instrumente stärker bekannt machen, die auf dem Markt verfügbar sind und von den Unternehmen bereits erprobt und getestet wurden. Sie könnten den KMU dabei helfen, ihre globalen Lieferketten nachhaltig zu verwalten und Zulieferer ausfindig zu machen, Selbstbewertungsinstrumente zu entwickeln sowie Normen und Vorschläge für Vertragsklauseln festzulegen.

4.6.    Unterstützung bei der Entwicklung einer neuen Audit-Generation

Die ersten Sozialaudits wurden in den 1990er-Jahren durchgeführt, sind jedoch sowohl in Bezug auf technische Aspekte (u. a. Qualifikation der Prüfer, Durchführung der Audits, Art der Fragen) als auch auf grundlegende Aspekte (provisorische Prüfung eines Zulieferers, keine systematischen und schrittweisen Fortschritte, Dritte für die Verbesserung der sozialen Bedingungen zuständig usw.) bemängelt worden. Der EWSA will die Entwicklung einer neuen Generation von Audits unterstützen, bei denen nicht nur die sozialen, sondern auch die umwelt- und governancebezogenen Aspekte bewertet und ehrgeizigere Ziele gesteckt werden. Letztlich sollen die standardisierten Fragebögen durch eine auf mehreren Kriterien beruhende Beurteilung ersetzt werden, die auf die einzelnen Unternehmen einer spezifischen globalen Lieferkette zugeschnitten ist. Außerdem soll ein stabiles Follow-up-Verfahren mit Unterstützung der Sozialpartner festgelegt werden.

4.7.    Entwicklung wirksamer Transparenzinstrumente für den Verbraucher

Auf dem G7-Gipfel im Dezember 2015 wurden u. a. praktische Instrumente wie Apps für mobile Geräte begrüßt, mit deren Hilfe die Verbraucher die Sozial- und Umweltsiegel auf Produkten besser vergleichen und verstehen können.

Der EWSA unterstützt die derzeitigen Bemühungen der EU, den ökologischen Fußabdruck bestimmter Verbrauchsgüterkategorien zu messen und anzugeben, und erklärt sich bereit, die besten nationalen Verfahrensweisen im Bereich der Umweltkennzeichnung bekannt zu machen, so z. B. die auf mehreren Kriterien basierende Umweltkennzeichnung, die in den Jahren 2010-2013 versuchsweise in Frankreich eingeführt wurde.

4.8.    Unterstützung von Programmen zum Kapazitätsaufbau und anderen Initiativen zur Förderung des sozialen Dialogs und Multi-Stakeholder-Ansätzen

Die globale Wirtschaftsleistung von Unternehmen und die Wahrung der Grundsätze menschenwürdiger Arbeit hängen eng mit der Existenz unabhängiger Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, der Qualität des sozialen Dialogs sowie dem Wohl der Arbeitnehmerschaft zusammen.

Der EWSA unterstützt das von der ILO eingerichtete Programm für besseres Arbeiten (Better Work programme), mit dem lokale Sozialpartner dabei unterstützt werden sollen, sich wirksam einzubringen und Tarifverhandlungen führen zu können.

Branchenweite Initiativen, wie das Bangladescher Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit im Konfektionskleidungssektor, können Abnehmer, Hersteller und Gewerkschaften dazu bewegen, einen umfassenden und wirksamen Ansatz für die gesamte Branche zu entwickeln und umzusetzen.

Der EWSA befürwortet auch den branchenübergreifenden sozialen Dialog mit länderübergreifenden Betriebsvereinbarungen (TCA) und internationalen Rahmenabkommen (IFA). Die bestehenden TCA und IFA sind ein wichtiges Instrument zur Förderung der Arbeitnehmerrechte in globalen Lieferketten. Bei der Weiterentwicklung bzw. umfassenderen Anwendung sollte jedoch berücksichtigt werden, dass sowohl beim Inhalt als auch bei den Follow-up-Mechanismen die Flexibilität aufrechterhalten werden muss. Ausgehend von den Erfahrungen bei der Umsetzung sollten die Partner darüber hinaus eine kontinuierliche Optimierung anstreben.

Brüssel, den 25. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Internationale Arbeitsorganisation, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfonds.

(2)  www.globalvaluechains.org/concept-tools.

(3)  http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/70/1&Lang=E.

(4)  http://www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2015/08/AAAA_Outcome.pdf.

(5)  http://www.ilo.org/global/meetings-and-events/campaigns/voices-on-social-justice/WCMS_099766/lang--en/index.htm.

(6)  http://www.ilo.org/declaration/thedeclaration/textdeclaration/lang--en/index.htm.

(7)  http://unctad.org/en/PublicationsLibrary/wir2013_en.pdf.

(8)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/---publ/documents/publication/wcms_368626.pdf.

(9)  „The organisation of Buyer-Driven Global Commodity Chain: How US Retailers Shape Overseas Production Networks“, Commodity Chains and Global Capitalism, Wesport, 1994.

(10)  http://ec.europa.eu/growth/industry/corporate-social-responsibility/index_en.htm.

(11)  Beispielsweise das von Euratex und IndustriAll mit Unterstützung der Europäischen Kommission entwickelte Selbstbewertungsinstrument für Textil- und Bekleidungsunternehmen in der EU.

(12)  http://www.legislation.gov.uk/ukpga/2015/30/contents/enacted.

(13)  Der EWSA hat 2011 eine Stellungnahme zu dem System verabschiedet: ABl. C 43 vom 15.2.2012, S. 82.

(14)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/events/index.cfm?id=1433 und http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1447.

(15)  http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2015/october/tradoc_153846.pdf.

(16)  https://mneguidelines.oecd.org/responsible-supply-chains-textile-garment-sector.htm.

(17)  https://mneguidelines.oecd.org/text/.

(18)  http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/rbc-agriculture-supply-chains.htm.

(19)  http://www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf.

(20)  http://bangladeshaccord.org/.

(21)  Möglicherweise in Form länderübergreifender Betriebsvereinbarungen, auch bekannt als internationale Rahmenübereinkommen. Näheres siehe REX/443 Informationsbericht, Seite 8: http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.rex-opinions.35349.

(22)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/documents/publication/wcms_419798.pdf.

(23)  Ebenda.

(24)  „Progress in implementation, outcome of the Review meeting on the Sustainability Compact for Bangladesh“ (Fortschritte bei der Umsetzung, Ergebnisse des Treffens zur Überprüfung des Nachhaltigkeitspakts für Bangladesch), 11. Januar 2016.

(25)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/---ilo-islamabad/documents/publication/wcms_363149.pdf.

(26)  http://www.bmz.de/g7/en/Entwicklungspolitische_Schwerpunkte/Menschenwuerdige_Arbeit/index.html.

(27)  „Was the crisis a Window of Opportunity for Developing Countries?“, Timothy J. Sturgeon, Momoko Kawakami, Policy Research Paper der Weltbank.

(28)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_dialogue/---sector/documents/meetingdocument/wcms_345445.pdf.

(29)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_dialogue/---sector/documents/meetingdocument/wcms_317267.pdf.

(30)  Im Oktober 2013 hat der EWSA hat 2013 eine Stellungnahme zur Sicherstellung wichtiger Einfuhren, einschließlich Mineralien und Rohstoffen, verabschiedet: ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 47.

(31)  http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-14-157_en.htm.

(32)  http://www.oecd.org/corporate/mne/mining.htm.

(33)  http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---relconf/documents/meetingdocument/wcms_311653.pdf.

(34)  Zum Beispiel Myanmar Labour Rights Initiative (ILO, USA, Japan, Dänemark, EU).


Top