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Document 52012AE1575

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Leitaktionen auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte II“ (Sondierungsstellungnahme)

OJ C 299, 4.10.2012, p. 165–169 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

4.10.2012   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 299/165


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Leitaktionen auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte II“ (Sondierungsstellungnahme)

2012/C 299/30

Hauptberichterstatter: Ivan VOLEŠ

Die Europäische Kommission beschloss am 27. Juni 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

"Leitaktionen auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte II"

(Sondierungsstellungnahme).

Der Präsident beauftragte die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch am 28. Juni 2012 mit den Vorarbeiten zu diesem Thema.

Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 482. Plenartagung am 11./12. Juli 2012 (Sitzung vom 12. Juli), Ivan VOLEŠ zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 176 gegen 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1   Bis Ende 2011 hatte die Kommission bereits Vorschläge für zehn der zwölf sich aus der Binnenmarktakte ergebenden Hebel vorgelegt, die verbliebenen zwei folgten im ersten Halbjahr 2012. Darüber hinaus hat die Kommission 28 der 50 weiteren, in der Binnenmarktakte angekündigten Maßnahmen zum Abschluss gebracht oder entsprechende Vorschläge vorgelegt.

1.2   Spezielle Vorschläge zur Steuerung des Binnenmarktes betrafen die Unterrichtung der Bürger und der Unternehmen über die Möglichkeiten des Binnenmarktes, die Verbesserung der Umsetzung der Binnenmarktbestimmungen durch die Mitgliedstaaten und die Sicherstellung ihrer effektiven Umsetzung. In diesem speziellen Bereich sind trotz der Tatsache, dass Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen dieses Problem als einen der wesentlichen Mängel betrachten, nur geringe Fortschritte erzielt worden.

1.3   Die Schwerpunktsetzung auf den zwölf Hebeln gab der Kommission die Möglichkeit, schnellere Fortschritte zu machen, als es anders möglich gewesen wäre. Das Europäische Parlament und der Rat wurden dazu aufgerufen, die Legislativvorschläge vor Ende 2013 zu verabschieden, so dass sie 2014 umgesetzt werden können. Die zügige, vollständige und richtige Umsetzung und Durchführung der erlassenen Rechtsvorschriften wird eine zentrale Aufgabe der Mitgliedstaaten sein.

1.4   Die Kommission wird das 20-jährige Bestehen des Binnenmarktes im Oktober 2012 mit einer Binnenmarktwoche in ganz Europa feiern. In allen 27 Mitgliedstaaten werden Veranstaltungen stattfinden. Das zweite Binnenmarktforum wird die durch die Binnenmarktakte entstandene politische Dynamik aufnehmen, die Fortschritte der Umsetzung der Binnenmarktakte sichten und künftige Prioritäten zur Ankurbelung des Wachstums und Stärkung des Vertrauens prüfen.

1.5   Angesichts dessen, dass die Mitglieder des EWSA die Vielschichtigkeit der sozialen und wirtschaftlichen Akteure widerspiegeln, die in gemeinsamer Abstimmung einen Mehrwert zu den laufenden Arbeiten liefern, hat der Vizepräsident der Europäischen Kommission Maroš ŠEFČOVIČ den EWSA mit Schreiben vom 27. Juni 2012 um seinen Beitrag zur laufenden Debatte gebeten.

2.   Allgemeine Bemerkungen und Empfehlungen

2.1   In den Vorschlägen für eine Binnenmarktakte II darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der EU eine schwierige Situation herrscht, die sich daraus ergibt, dass einige Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, ihre öffentlichen Schulden, die anhaltende Stagnation des BIP und die steigende Arbeitslosigkeit unter Kontrolle zu bekommen. Daher sollten die Vorschläge nicht nur kurzfristige Maßnahmen mit unmittelbaren Folgen für Wachstum und Beschäftigung beinhalten, sondern darüber hinaus auch mittel- und langfristige Maßnahmen, die eine nachhaltige Entwicklung sicherstellen und sich auch auf lange Sicht vorteilhaft für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger erweisen.

2.2   Eine überarbeitete und aktualisierte Europa-2020-Strategie sollte die allgemeine Leitlinie für die Entwicklung des Binnenmarktes sein, der die wertvollste Errungenschaft der europäischen Integration und ein Werkzeug zur Erreichung der Ziele dieser Strategie ist.

2.3   Bei der Ausarbeitung der neuen Vorschläge zur Verbesserung des Binnenmarktes sollte der Standpunkt aller Interessenträger, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Sozialpartner, berücksichtigt werden.

2.4   Ergriffen werden sollten die Maßnahmen zur Erschließung des Potenzials des Binnenmarktes für Unternehmen, Verbraucher, Bürger und andere Interessenträger im Wesentlichen in den Bereichen Dienstleistungen, Zugang zu Finanzmitteln, Abbau von Verwaltungslasten für KMU, elektronischer Geschäftsverkehr, digitaler Binnenmarkt und Mobilität; sie sollten von Maßnahmen zur Festigung des Schutzes und des Vertrauens der Verbraucher einerseits und zur gebotenen Berücksichtigung der sozialen Aspekte des Binnenmarktes durch Stärkung der Sozialwirtschaft und Anerkennung der Notwendigkeit des sozialen Zusammenhalts sowie der Rechte und Interessen der Bürger andererseits flankiert werden.

2.5   In seinen vorhergehenden Stellungnahmen zur Binnenmarktakte (1) und den zwölf Hebeln (2) hat der EWSA bereits eine Reihe von Fragen angesprochen, die er immer noch für wesentlich hält:

Es ist von zentraler Bedeutung, dass den Bürgern und Unternehmen die Vorteile des Binnenmarktes dargelegt werden, und vermittelnde Institutionen wie z.B. politische Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen, die Medien und der Bereich der Bildung sind mitverantwortlich, wenn es darum geht, den Europäerinnen und Europäern bewusst zu machen, was eigentlich auf dem Spiel steht.

Die Europäische Kommission sollte unter Nutzung ihrer vielen Netze, Agenturen und anderer ihr zur Verfügung stehenden Instrumente das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für Fragen im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt schärfen (3).

2.6   Im Laufe des Jahres wird der Ausschuss eine Initiativstellungnahme zu den Maßnahmen erstellen, die in der Binnenmarktakte fehlen. Dazu gehören u.a.: Urheberrechtsabgaben (die in der Binnenmarktakte II behandelt werden), Überarbeitung der Richtlinie zum Urheberrecht, Netzneutralität, Datenschutzvorschriften, Anlegerschutz, Protokoll über den sozialen Fortschritt, Satzung der Europäischen Privatgesellschaft, elektronische Beschaffung, europäische Ratingagenturen, Gleichstellung der Geschlechter, Kleinst- und Familienunternehmen, Maßnahmen zur Förderung der Gründung neuer bzw. der Expansion bestehender Unternehmen, Kredit- und Debitkarten, elektronischer Zahlungsverkehr, Verbraucherkredit und Überschuldung, Überweisungen zwischen Banken, Jugend und Maßnahmen zur Vollendung der gemeinsamen Währung und des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA).

2.7   Der Ausschuss erwartet, im Rahmen der Binnenmarktakte II in jedes Konsultationsverfahren zu den legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen des fortlaufenden Programms der Kommission einbezogen zu werden; und er wird detaillierte Empfehlungen ausarbeiten, sobald die einzelnen Maßnahmen der Kommission zu offiziellen Vorschlägen werden.

3.   Hebel und Leitaktionen

3.1   Dienstleistungen

3.1.1   Zahlungskonten mit Basisfunktionen müssen allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen und zügig eingerichtet werden. Der Ausschuss fordert mit Blick auf die Transparenz der Gebühren und einen einfachen Kontenwechsel entsprechende Regulierungsmaßnahmen.

3.1.2   Die Auslieferung von Paketen (4), insbesondere im elektronischen Geschäftsverkehr, und grenzüberschreitende Insolvenzverfahren sind weitere Bereiche, die prioritär zu behandeln sind.

3.1.3   Der EWSA schlägt vor, ebenfalls Maßnahmen zur Konsolidierung der Funktionsweise des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) aufzunehmen.

3.1.4   Der Ausschuss bekräftigt noch einmal seine Unterstützung für die Ausdehnung der Normen auf Dienstleistungen unter gleichzeitiger Berücksichtigung ihrer Besonderheiten und der Bedürfnisse des Marktes und der Gesellschaft.

3.2   Digitaler Binnenmarkt

3.2.1   Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Verwirklichung des digitalen Binnenmarkts ein wesentliches Mittel zur Wiederbelebung des Binnenmarktes sein wird. In seiner vorhergehenden Stellungnahme hat der Ausschuss zum Ausdruck gebracht, dass der elektronische Geschäftsverkehr unter der Fragmentierung des Binnenmarktes leidet, die die volle Ausschöpfung des Potenzials des grenzüberschreitenden elektronischen Handels sowohl für Anbieter als auch für Verbraucher behindert. Zur Lösung dieser Probleme sind Maßnahmen zu treffen, die die bereits von der Kommission vorbereiteten Maßnahmen ergänzen, nämlich: hoher Datenschutz, offenes Internet, Netzneutralität, Beseitigung von Hindernissen, die auf der Staatsangehörigkeit oder dem Wohnsitz beruhen, elektronische Signaturen, elektronisch abgewickelte Zahlungen, Breitbandinvestitionen, allgemeiner Zugang, Zugänglichkeit von Hard- und Software für jeden und durch eine einheitliche Verbraucherpolitik gestützte Rechtsvorschriften für Online-Dienstleistungen.

3.2.2   Der EWSA hält es für wesentlich, eine administrative Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen und elektronische Behördendienste anzubieten, die durch die allgemeine Nutzung des IMI vereinfacht werden könnten.

3.2.3   Der EWSA betont, dass die sich aus einer allgemeinen Verbreitung der elektronischen Rechnungsstellung ergebenden Vorteile besonders zu berücksichtigen sind, aber er ist der Auffassung, dass diese Art der Rechnungsstellung optional und die Rechnungsstellung als Papierfassung gleichwertig bleiben sollte, wobei jede zusätzliche Belastung für KMU vermieden werden sollte.

3.3   Netze

3.3.1   Der EWSA verfolgt aufmerksam die Entwicklungen bei den Netzinfrastrukturen (Verkehr, Energie, Kommunikation), die für die Vernetzung Europas so wichtig sind. In Sachen Schienenverkehr setzt sich der EWSA für einen Europäischen Eisenbahnraum ein, damit die Schiene mit anderen Verkehrsträgern konkurrieren kann. Er empfiehlt, über die Schaffung eines Ausgleichsfonds nach dem Vorbild der bestehenden Fonds für verschiedene netzgebundene Wirtschaftszweige nachzudenken. Der allgemeinen Umsetzung des Europäischen Eisenbahnverkehrsmanagementsystems (ERTMS) und des Europäischen Zugsicherungs- und Zugsteuerungssystems (ETCS) sollte absolute Priorität eingeräumt werden.

3.3.2   Für den Luftverkehr ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums auch für die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Luftfahrtindustrie auf dem Weltmarkt von grundlegender Bedeutung. Bei der Errichtung von SESAR (europäisches Flugverkehrsmanagementsystem der neuen Generation) müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden: a) die Gewährleistung der synchronisierten Einführung der Verbesserungen in Luft- und Bodeninfrastruktur, b) die Sicherstellung der rechtzeitigen Bereitstellung angemessener Finanzmittel für die Errichtung von SESAR und c) die Festlegung der richtigen Entscheidungsstrukturen für die Errichtung von SESAR. Auch die KMU sollten sich beteiligen können.

3.3.3   Der Ausschuss plädiert für eine rasche Überarbeitung der Verordnung (EG) 261/2004 (5) zur Verbesserung der Fluggastrechte bei Überbuchung, Verspätungen und Pauschalreisen.

3.3.4   Die europäische Hafenpolitik sollte auf folgende Themen abzielen:

a)

Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung von Häfen und deren Kapazitäten;

b)

Schaffung eines klaren und transparenten Rahmens für die Finanzierung von Hafeninvestitionen;

c)

Präzisierung der Marktzugangsverfahren für Hafendienste;

d)

Beseitigung operationeller Engpässe, die die Hafeneffizienz beeinträchtigen;

e)

Förderung guter und sicherer Arbeitsbedingungen sowie konstruktiver Arbeitsbeziehungen in den Häfen;

f)

Förderung der allgemeinen Wettbewerbsfähigkeit und einer positiven Wahrnehmung der Häfen.

3.3.5   Eine europäische Hafenpolitik impliziert nicht unweigerlich die Ausarbeitung neuer Rechtsvorschriften. Insbesondere unverbindliches Recht ("soft law") könnte eine sinnvolle Alternative sowohl zur Rechtsetzung als auch zu einer fallbezogenen Vorgehensweise darstellen.

3.3.6   Bezüglich der Energienetze unterstützt der Ausschuss die jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission zum Ausbau des Verbunds und zur Vollendung des Energiebinnenmarkts.

3.3.7   Der EWSA unterstützt grundsätzlich die Schaffung einer Europäischen Energiegemeinschaft (EEG) und stimmt auch den dazu erforderlichen Zwischenschritten zu, vor allem den regionalen europäischen Energienetzen, dem Fonds für die Entwicklung erneuerbarer Energieträger und der Einkaufsallianz für Erdgas.

3.3.8   Nach Auffassung des Ausschusses ist die Zeit für eine kritische Bilanz der Liberalisierung der Energiemärkte gekommen, die weder Bürgern noch Unternehmen die erwarteten niedrigeren Preise gebracht hat.

3.4   Zugang zu Finanzmitteln

3.4.1   Durch die Finanzkrise hat sich in vielen Mitgliedstaaten die Kreditaufnahme für die Unternehmen erschwert; besonders betroffen sind die KMU, deren Unternehmenstätigkeit darunter zu leiden hat. Der private Sektor, insbesondere die KMU und die sozialen Unternehmen, brauchen unbedingt Zugang zu Kapital, um Wachstum und Beschäftigung generieren können. Allerdings halten sich die Banken bei der Kreditvergabe an Unternehmen immer stärker zurück. Betroffen sind vor allem innovative Unternehmen und Jungunternehmen, die das größte Risiko, aber auch das größte Wachstumspotenzial aufweisen.

3.4.2   Daher ruft der EWSA die Kommission insbesondere dazu auf, die KMU darin zu unterstützen, direkt auf den Markt für Fremdkapital zugreifen und einen KMU-spezifischen Zugang zum Anleihenmarkt entwickeln zu können sowie Möglichkeiten auszuloten, Mezzanine-Finanzierungen zu verbessern, und neue Mezzanine-Produkte wie Sicherheiten für Mezzanine-Kredite zu prüfen. Die Kommission sollte allen Interessenträgern Beratung darüber anbieten, wie Finanzinstrumente unterschiedlicher Quellen erfolgreich miteinander kombiniert und unter Nutzung von Hebeleffekten eingesetzt werden können.

3.4.3   Der EWSA empfiehlt, bei den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über die künftigen Strukturfonds zu berücksichtigen, dass Finanzinstrumente gebraucht werden, die KMU-Darlehen mit absichern helfen.

3.5   Steuerwesen

3.5.1   Der Ausschuss fordert Maßnahmen gegen die divergierenden steuerlichen Regelungen und verwaltungstechnischen Komplikationen, die zu den größten Hindernissen für die KMU zählen und ihre Expansion auf dem Binnenmarkt hemmen.

3.5.2   Auch ohne eine Harmonisierung der Steuern könnten viele Hemmnisse dieser Art aus dem Weg geräumt werden. Die Rede ist hier unter anderem von der Doppelbesteuerung, die ein ernstes Hindernis für grenzübergreifende Tätigkeiten ist und nicht ohne Folgen für Investitionen und Beschäftigung bleibt. Die derzeitigen, komplizierten Systeme der Mehrwertsteuererstattung für grenzübergreifenden Handel und Dienstleistungen leisten der Steuerhinterziehung und dem Betrug Vorschub; diese müssen effizienter bekämpft werden. Eine EU-weit einheitliche Mehrwertsteuererklärung würde zu einer verwaltungstechnischen Vereinfachung beitragen.

3.5.3   Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die Besteuerung in den Mitgliedstaaten nicht zum Entstehen von Steueroasen und dadurch zu negativen Folgen für die Wirtschaft und die öffentlichen Haushalte führen darf.

3.5.4   Aufmerksamkeit sollte auch der Mehrwertsteuerregelung für Finanzdienstleistungen gelten; zumal bei den Erwägungen, eine neue Steuer im Finanzsektor auf der Grundlage von Cashflow oder ähnlichen Faktoren einzuführen, sollte die Kommission prüfen, welche Vorteile es böte, diese im Rahmen der Mehrwertsteuer anzusiedeln.

3.5.5   Der EWSA fordert auch die Einführung allgemeiner Regeln für die Erhebung von Mehrwertsteuer, die erst beim Begleichen einer Rechnung durch den Kunden fällig werden sollte. Bei diesem System, das unter der Bezeichnung "Kassenprinzip" bereits in einigen Mitgliedstaaten für Kleinunternehmen angewendet wird, wird vermieden, dass Mehrwertsteuer auf Verkäufe erhoben wird, für die der Kunde noch nicht bezahlt hat. In der derzeitigen schlechten Wirtschaftslage könnten dadurch Insolvenzen, insbesondere von KMU, verhindert werden.

3.6   Regulierungsumfeld der Unternehmen

3.6.1   Der EWSA unterstreicht, dass besonders solche Probleme unter die Lupe zu nehmen sind, die im Rahmen der EU-Rechtsetzung und der Förderprogramme keine ausreichende Beachtung finden, wie etwa die Problematik der Selbstständigen.

3.6.2   Der Ausschuss betont, dass unnötige Verwaltungslasten weiter abgebaut werden müssen, und erwartet, dass die Kommission die Ziele nach 2012 vorschlagen wird, wenn der Verwaltungsaufwand um 25 % gesunken sein soll. Der Ausschuss stellt fest, dass ein Abbau unnötigen Aufwands stets wünschenswert ist, unabhängig davon, ob es sich um Unternehmen, Verbraucher oder öffentliche Stellen handelt, dass jedoch eine gründliche Prüfung erfolgen muss, um sicherzustellen, dass der ursprüngliche Zweck der Rechtsvorschrift auch tatsächlich in vollem Umfang erreicht wird.

3.7   Soziales Unternehmertum

3.7.1   Die Initiative für soziales Unternehmertum wird 2014 überarbeitet. In enger Zusammenarbeit mit der Sachverständigengruppe für soziales Unternehmertum wird die Kommission eine Bestandsaufnahme der Ergebnisse dieser Initiative durchführen und festlegen, was noch zu tun bleibt. Der EWSA empfiehlt die gebührende Berücksichtigung der Empfehlungen, die er in seinen unlängst verabschiedeten Stellungnahmen zu der Thematik soziales Unternehmertum vorgelegt hat (6).

3.7.2   Der Ausschuss unterstreicht, wie wichtig es ist, mehr über die Rolle und Verbreitung der sozialen Unternehmen zu wissen, um ihre tatsächlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft verbessern zu können. Dies wird zur Entwicklung einer Methode für die Messung dieser Auswirkungen beitragen. Eine solche Messung wird auch für die Einrichtung eines "Europäischen Fonds für soziales Unternehmertum" erforderlich sein.

3.7.3   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass der Vorschlag für die Europäische Stiftung und sämtliche anderen europäischen Gesellschaftsformen vor dem Hintergrund der Konsultation zur Überarbeitung des europäischen Gesellschaftsrechts bewertet werden muss.

3.8   Verbraucher

3.8.1   Der Ausschuss sieht der baldigen Vorlage eines Gesetzgebungsvorschlags betreffend Sammelklagen entgegen. Ein solcher Vorschlag muss zu einem Sammelklageinstrument führen, das sowohl national als auch grenzüberschreitend genutzt werden kann und allen Verbrauchern im Binnenmarkt offensteht. Ein solches Instrument sollte allen zur Verfügung stehen, deren Rechte im Binnenmarkt verletzt werden. Nicht nur die Rechte der Verbraucher werden von Anbietern von Gütern und Dienstleistungen durch unlautere Vertragsbedingungen und unlautere Geschäftspraktiken verletzt. Auch Arbeitnehmer, deren Rechte verletzt werden, und die Bürger im Allgemeinen, die von Diskriminierung betroffen sind, sollten die Möglichkeit der Sammelklage haben. Möglicherweise bedürfen auch KMU eines vergleichbaren Schutzes gegen unlautere Geschäftspraktiken. Bei der weiteren Ausarbeitung sollte der Standpunkt aller Interessenträger berücksichtigt werden.

3.8.2   Der EWSA fordert ordnungspolitische Maßnahmen für einen integrierten europäischen Markt für Karten-, Internet- und mobile Zahlungen.

3.8.3   Was die Produktsicherheitsregeln betrifft, fordert der Ausschuss die Anwendung zweier grundlegender Prinzipien:

das Denken in Lebenszyklen: Hiermit ist gemeint, dass sich der Aspekt der Sicherheit der Konsumgüter auf alle Verbraucher und die betroffenen Arbeitnehmer erstreckt. Die Idee des Lebenszyklus' soll alle Phasen des Produktlebens erfassen, von der Bereitstellung der Rohmaterialien bis zur Entsorgung;

die Förderung des Ansatzes "vom Entwurf bis zur Entsorgung": Es geht darum, dass die Nachhaltigkeit des Produktes ein maßgebliches Produktionskriterium sein sollte.

3.9   Mobilität der Bürger

3.9.1   Der Ausschuss erinnert abermals an die Notwendigkeit, die Mobilität der Bürger durch die Modernisierung des Systems für die Anerkennung von Berufsqualifikationen zu verbessern. Die Förderung der beruflichen und geografischen Mobilität der Arbeitnehmer könnte dazu beitragen, das Funktionieren der europäischen Arbeitsmärkte und die Bereitstellung grenzüberschreitender Dienstleistungen zu verbessern. Auf Ebene der 27 Mitgliedstaaten ist die Diskussion über die Anerkennung allerdings nicht immer zielführend. Viel eher sollte am tatsächlichen Bedarf (in grenzübergreifenden Zusammenhängen und zwischen Nachbarstaaten) angesetzt werden, wo wiederum von einer Analyse der Mobilitätsmuster ausgegangen werden sollte. Die EU sollte die regionale Zusammenarbeit in diesem Bereich sowie die gemeinsame grenzübergreifende Berufsausbildung fördern.

3.9.2   In Sachen Portabilität von Rentenansprüchen (7) stellt das Weißbuch zu stark auf die Verbesserung der individuellen Altersversorgung als dritter Säule ab. Es sind hingegen die erste und die zweite Säule, die gestärkt werden müssten, um Bürgern, die europaweit mobil sind, strukturelle Leistungen zu gewährleisten.

3.9.3   Der EWSA bekundet außerdem seine Besorgnis über den jüngsten Beschluss des Rates zur Renationalisierung des Schengener Abkommens. Dadurch wird die Schaffung neuer Hemmnisse für die Freizügigkeit der Bürger in der Union und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen dort, wo sie bereits abgeschafft waren, ermöglicht, was in eklatantem Widerspruch zu den Grundprinzipien des Vertrages steht und die Verwirklichung des Binnenmarktes massiv erschwert.

3.10   Sozialer Zusammenhalt

3.10.1   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass ein Klärungsbedarf hinsichtlich der Durchführungsregeln und des Bezugs zu Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags von Lissabon besteht. Dort wird der Binnenmarkt nicht als Selbstzweck gesehen, sondern als ein Instrument, das dem sozialen Fortschritt und einer nachhaltigen Gesellschaft für die Bürger Europas dienen soll.

3.11   Öffentliches Beschaffungswesen

3.11.1   Das öffentliche Beschaffungswesen muss nach Regeln gestaltet werden, bei denen nicht nur der niedrigste Preis zählt. Andere Kriterien – etwa der soziale Nutzen oder die Nachhaltigkeitsauswirkungen – müssen auf gleicher Ebene gewertet werden.

3.11.2   Es stellt sich die Frage, inwieweit die europäischen Märkte für das öffentliche Beschaffungswesen dauerhaft offen bleiben können, während in Drittländern weiterhin ungleiche Bedingungen vorzufinden sind. Hier geht es darum, dass die ILO-Übereinkommen und die Menschenrechte von allen Beteiligten sowohl in den Mitgliedstaaten als auch in Drittländern respektiert werden müssen. Die EU sollte sich für die weltweite Anwendung dieses Konzepts einsetzen.

3.11.3   Erfolgversprechend ist die elektronische Beschaffung, mit der die Verwaltungsabläufe beschleunigt werden könnten.

3.12   Rechte des geistigen Eigentums

3.12.1   Für die Verbraucher ist der derzeitige Rechtsrahmen für die Rechte des geistigen Eigentums verwirrend; noch unübersichtlicher stellt sich die Situation für ganz Europa dar. Der Rechtsrahmen muss klarer gestaltet werden, rechtliche Sanktionen und rechtliche Durchsetzung müssen verhältnismäßig sein: Einzelne Verbraucher, die möglicherweise unabsichtlich und/ oder geringfügig für ihren persönlichen Gebrauch gegen Rechte des geistigen Eigentums verstoßen, müssen anders behandelt werden als Kriminelle, die derartige Aktivitäten im großen/ gewerblichen Maßstab betreiben.

3.12.2   Bei Lizenzen und Urheberrechten ist ein stärker gesamteuropäisch ausgerichteter Ansatz vonnöten.

Brüssel, den 12. Juli 2012

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  ABl. C 132 vom 3.5.2011, S. 47.

(2)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 99.

(3)  SOLVIT, Enterprise Europe Network, europäische Verbraucherzentralen, Eurozentren, usw.

(4)  In einem der Videos, die im Rahmen des von der GD MARKT durchgeführten Wettbewerbs "Erzähle uns deine Geschichte" eingereicht wurden, wird dies beispielhaft gezeigt. In der öffentlichen Anhörung der Binnenmarktbeobachtungsstelle am 1. Juni 2012 in Tallinn wird auf die Folgemaßnahmen zu den in den Videos von Bürgerinnen und Bürgern angesprochenen Punkten eingegangen.

(5)  Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91.

(6)  Siehe Stellungnahme im ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 1, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 44 und ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 55.

(7)  Weißbuch "Eine Agenda für angemessene, sichere und nachhaltige Pensionen und Renten" (COM(2012) 55 final.


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