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Document 52010IE0968

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Innovation im Tourismus: eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf Inseln“ (Initiativstellungnahme)

OJ C 44, 11.2.2011, p. 75–80 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

11.2.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 44/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Innovation im Tourismus: eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf Inseln“ (Initiativstellungnahme)

2011/C 44/13

Berichterstatterin: Sylvia GAUCI

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Juli 2009, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Innovation im Tourismus: eine Strategie für eine nachhaltige Entwicklung auf Inseln“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 23. Juni 2010 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 464. Plenartagung am 14./15. Juli 2010 (Sitzung vom 15. Juli) mit 153 Stimmen gegen 1 Stimme bei 13 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1   Der EWSA schlägt vor, fortlaufende Programme für lebenslanges Lernen speziell für Beschäftigte der Tourismusbranche auf Inseln zu entwickeln. Hierfür sollten eigens Mittel aus ESF und Kohäsionsfonds bereitgestellt werden. Ein angemessener Rahmen für die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern zur Gestaltung guter Arbeitsbedingungen und Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmern (Vernetzung, Vermarktung, Werbung usw.) würden zur Förderung des Inseltourismus beitragen.

1.2   So sollten kleine und mittelständische Unternehmen der (Insel-) Tourismusbranche angesichts der zunehmenden Bedeutung von Internetbuchungen bei Reisen und Tourismus entweder von der EU geförderte Fortbildungen oder einen einfacheren Zugang zu entsprechenden Dienstleistungsanbietern erhalten, damit sie eine erfolgreiche Internetpräsenz entwickeln können und nicht Gefahr laufen, „moderne“ Kunden zu verlieren.

1.3   Der EWSA schlägt vor, eine interregionale Schule auf einer strategisch günstig gelegenen Insel zu gründen, deren Konzept so etwas wie ein Erasmusprogramm für Studenten und Beschäftigte in der Tourismusbranche wäre.

1.4   Obwohl insbesondere kleine Unternehmen von weniger und besserer Rechtsetzung profitieren, sollte die Einrichtung einer speziellen Behörde innerhalb der Europäischen Kommission, z.B. eine Generaldirektion Tourismus, erwogen werden – schließlich entfallen 11-12 % des BIP der EU auf den Tourismus, auf Inseln wie Malta sogar an die 25 %. Aus Sicht des EWSA könnte eine solche Behörde in der Kommission darüber wachen, dass die Belange des (Insel-) Tourismus innerhalb der EU-Institutionen und der EU-Politik gewahrt werden. Der EWSA hat in früheren Stellungnahmen zum Thema Tourismus vorgeschlagen, eine Europäische Tourismusagentur einzurichten, und wiederholt diesen Vorschlag.

1.5   Inseln weisen im Vergleich zum Festland naturgemäß Nachteile auf: Entfernung, Erreichbarkeit und Insellage. Der EWSA ist der Ansicht, dass günstige steuerliche Bedingungen angestrebt werden sollten, bei denen die besonderen Anstrengungen zu berücksichtigen sind, die für Investitionen, die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Anpassung der Öffnungszeiträume der Unternehmen hinsichtlich der Abfederung der Saisonabhängigkeit unternommen werden.

1.6   Die in der EU angewandte Definition von Inseln ist in einer Reihe von Fällen unangebracht und steht einer Problemlösung des Öfteren im Wege. Für eine Änderung dieser Definition wurde bereits in früheren EWSA-Stellungnahmen (1) plädiert. Der EWSA wiederholt diese Empfehlung.

1.7   Die Europäische Union entwickelt ein neues Konzept von Regionalpolitik, nämlich die makroregionale Zusammenarbeit (z.B. die Ostsee- oder die Donaustrategie). Der EWSA ist überzeugt, dass dies ein interessantes Konzept ist, das sich sicherlich auch auf Gruppen von Inseln übertragen lässt. So könnte eine makroregionale Strategie für die Inseln des westlichen Mittelmeers einige ihrer Probleme in der Verkehrsanbindung lösen.

1.8   Der EWSA bewertet das CALYPSO-Programm für sozialen Tourismus positiv und unterstützt es uneingeschränkt. Nachdem 2009 mit vorbereitenden Maßnahmen begonnen wurde, sollte nun ein umfassendes Programm folgen. Der EWSA empfiehlt, das CALYPSO-Programm in eine künftige makroregionale Strategie für das westliche Mittelmeergebiet zu integrieren.

2.   Einleitung

2.1   Der Tourismus leistet einen wichtigen und wachsenden Beitrag zum Wirtschaftswachstum und kann in Extremfällen bis zu 70 % des BIP einer Insel ausmachen. Er bietet hervorragende Möglichkeiten zur Schaffung von Einkommen und Arbeitsplätzen. Während der Marktanteil Europas am weltweiten Tourismus langsam abnimmt, wird die Zahl der in die EU kommenden Touristen voraussichtlich weiter zunehmen. Ein weiteres Wachstum der Tourismusbranche ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, wie die Finanzkrise 2008/2009 sehr deutlich gezeigt hat.

2.2   Neue Formen von Tourismus entstehen und treten an die Stelle des klassischen, auf See und Sonne ausgerichteten Massentourismus. Hierzu gehören innovativere und spezialisierte Formen eines umweltbewussten, personalisierten und erlebnisorientierten Tourismus. Darüber hinaus beschleunigen sowohl die wachsende Nachfrage im Tourismusbereich als auch demografische Veränderungen (wie die steigende Zahl älterer Touristen) die Segmentierung der Tourismusprodukte und die Schaffung neuer Produktarten, die viele neue Dienstleistungen beinhalten.

2.3   Innovation ist in der Wirtschaftspolitik von wesentlicher Bedeutung, sowohl auf EU-Ebene mit der Lissabon- und der EU-2020-Strategie als auch auf regionaler Ebene mit zunehmenden öffentlichen Investitionen in Forschung, Aus- und Weiterbildung sowie Unterstützung der „innovativsten Wirtschaftszweige“ (z.B. Verkehr, Energie, „grüne“ Wirtschaft). Dies lässt sich auch von Dienstleistungen sagen, insbesondere von solchen, die einen Wissensstand bzw. Qualifikationen erfordern, der als typisch für die meisten Tourismusaktivitäten angesehen wird (z.B. Unterbringung, Verpflegung, Immobilien).

2.4   Heutzutage wollen Touristen die beste Qualität zum niedrigsten Preis. Ein erfolgreicher Inseltourismus setzt daher nicht nur zuallererst gut ausgebildetes Personal voraus, sondern auch die Bereitschaft der Arbeitgeber und ihrer Arbeitnehmer zu lebenslangem Lernen, um in der sich schnell ändernden Welt der kritischen und anspruchsvollen Reisenden hohe Dienstleistungsstandards aufrechtzuerhalten. Eine der Voraussetzungen für Qualitätstourismus ist gut ausgebildetes und qualifiziertes Personal.

2.5   Ein wesentlicher Aspekt des Wandels und der Innovation im Tourismus ist der Gebrauch der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Die Allgegenwärtigkeit der IKT und des Internet in der Tourismusbranche ermöglicht es den Verbrauchern, mit den Anbietern von Dienstleistungen unmittelbar zu interagieren. Für die Branche als Ganzes kann dies zu einer Verringerung der (Transaktions-) Kosten führen, wodurch wiederum die Tendenz entsteht, dass die Dienste von Vermittlern wie Reisebüros oder sogar Reiseveranstaltern nicht mehr in Anspruch genommen werden. Wichtige Neuerungen im Bereich des Massentourismus, wie das Aufkommen von Billigfluglinien, haben das Wachstum und die Weiterentwicklung der Tourismusbranche erheblich beeinflusst.

2.6   Für die Inseln bleiben jedoch einige Fragen noch offen. Im Allgemeinen hinken die Inseln der Entwicklung auf dem Festland hinterher. Außerdem werden viele dieser neuen Technologien und Verfahren von den unmittelbar betroffenen Betrieben nicht kontrolliert, produziert oder gar instandgehalten.

2.7   Die Inselbehörden untersuchen die Auswirkungen dieser neuen Branchenpraktiken auf ihre eigenen Tourismusinitiativen und -maßnahmen. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich darauf, dass die Maßnahmen und Kampagnen Innovation hervorbringen und fördern, die wiederum ihrer Tourismusindustrie neuen Schub gibt.

3.   Der Zwang zur Innovation

3.1   Angesichts des Wandels in der Gesellschaft und des Niedergangs des Massentourismus, wie er im 20. Jahrhundert von den Reiseveranstaltern organisiert wurde, muss der Inseltourismus innovativ sein und sich einem neuem Denkmuster anpassen, um erfolgreich zu sein. Die Innovation steckt eigentlich in den Menschen, die in der Tourismusbranche arbeiten. Paradoxerweise erfordert Innovation aber auch das Ablegen alter Gewohnheiten – die Menschen stemmen sich jedoch gegen den Wandel, wenn sie keinen unmittelbaren Nutzen erkennen können.

3.2   In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmte das Angebot im Massentourismusmarkt die Nachfrage. Allerdings wurde der Markt mit dem wachsenden Angebot an Reisezielen gesättigt. Heutzutage beherrscht eine unbeständige Nachfrage einen typisch verbraucherorientierten Markt, was den Anbietern zu schaffen macht. Dies ist eine neue Herausforderung, die durch innovatives und kreatives Denken angenommen werden kann, indem eine große Bandbreite von Nischen im Tourismusbereich entwickelt wird, etwa therapeutischer Tourismus, grüner Tourismus/Ökotourismus, Ferien auf dem Bauernhof, Naturtourismus usw.

3.3   Hinzu kommt, dass sich die Lebensgewohnheiten in den vergangenen Jahren stark geändert haben. Die Tourismusbranche muss sich auf eine alternde, gesundheitsbewusstere und wohlhabendere Bevölkerung einstellen, die öfter und für kürzere Zeiträume verreist. Bei einem großen Teil der Touristen hat sich der Schwerpunkt vom niedrigsten Preis zum besten Preis-Leistungsverhältnis verlagert. Die Kundenbindung nimmt ab; Touristen suchen mehr und mehr Nachhaltigkeit und Authentizität und wenden sich vom Massentourismus ab. Der Inseltourismus muss sich unbedingt mit dem Thema Innovation beschäftigen, wenn er unter diesen Umständen überleben will.

4.   Inseltourismus und Produktinnovation

4.1   In großen Tourismusunternehmen gehört Innovation zur Routine und ist ein selbstverständlicher Bestandteil unternehmerischer Führung. Um sich nicht von unerwarteten Neuerungen überraschen zu lassen, sehen die Unternehmen heutzutage Innovation als Teil ihrer täglichen Planung. Für sie ist Innovation einfach ein zusätzlicher Produktionsfaktor.

4.2   Allerdings haben die auf bestimmte Reiseziele ausgerichteten kleineren Tourismusbetriebe nur begrenzte Möglichkeiten, um von Innovation zu profitieren. Ihnen fehlt es in erster Linie an Personal und finanziellen Mitteln. Da sich vor allem die KMU in der Tourismusbranche um die täglichen Bedürfnisse ihrer Kunden kümmern müssen, sind sie nicht in der Lage, Mittel für FuE zur Seite zu legen.

4.3   In der Tourismusbranche sind überwiegend KMU aktiv, insbesondere auf den Inseln. Um in einem zunehmend von Wettbewerbsdruck und Globalisierung geprägten Umfeld zu überleben, müssen Tourismusbetriebe, insbesondere kleinere Unternehmen, Skalenerträge und eine kritische Masse erreichen, um Transaktionskosten zu verringern, die Produktivität zu steigern und Marktmacht zu erreichen. Umstrukturierung und Formen der Kooperation helfen den Unternehmen, sich den Veränderungen anzupassen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

4.4   Eine Herausforderung für die Tourismusbranche besteht darin, neue Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Erlebnisorientierter und nachhaltiger Tourismus sowie Natur-, Kultur- und Geschichtstourismus gehören zu den Strategien, in denen viele innovative Tourismusprodukte in vielen europäischen Reisezielen ihren Ursprung haben. Inseln sollten diese Produkte stärker fördern, da sie dem Wesen ihrer „Inselidentität“ entsprechen.

4.5   Erlebnisorientierter Tourismus entsteht durch die Interaktion zwischen Touristen und Reisezielen. Der Gesamteindruck, den die Touristen erhalten, entsteht durch viele kleine Begegnungen mit der Vielfalt von Menschen, die in der Tourismusbranche tätig sind.

4.6   Das höhere Bewusstsein der Verbraucher für Umweltfragen regt Tourismusbetriebe dazu an, innovativ zu sein und ihre Umweltleistung zu verbessern, sowohl bei der Interaktion der Touristen mit der Umwelt als auch in ihrem eigenen Handeln. So sind die wesentlichen innovativen Produkte in Nischenbereichen, wie Öko- und Abenteuertourismus, zu finden.

4.7   Kulturtourismus ist ebenfalls eine wichtige und wachsende Branche, die relativ wohlhabende und gebildete Besucher anzieht. Mehrere Inseln haben ihre Kulturdienstleistungen neu ausgerichtet und entwickeln Innovationen, die auf eine Wertsteigerung durch Kultur abzielen. Sie diversifizieren ihren Tourismus und verlängern die Aufenthaltsdauer z.B. durch eine bessere Zusammenstellung und Vermarktung der vorhandenen kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungen.

4.8   Wenn sich der Tourismus nicht harmonisch in das Inselleben einfügt und lediglich einigen wenigen Einwohnern nutzt, vielen anderen aber Unannehmlichkeiten bereitet, ist er kein nachhaltiger und harmonischer Teil der gesellschaftlichen Aktivität. Damit die Bevölkerung den Tourismusbetrieb auf ihrer Insel mitträgt, muss in der Planung ein Bottom-up-Ansatz verfolgt und die Bevölkerung eingebunden werden. Tourismus kann eine Möglichkeit sein, die Gemeinschaft der Insulaner zu fördern, indem jeder einbezogen wird und indem ein Verständnis dafür vermittelt wird, dass der Tourismus umfassende Auswirkungen auf die Verbesserung der natürlichen und städtischen Umwelt, die Bodennutzung und die Raumplanung, die Sozialdienste und die Erhaltung des kulturellen Erbes (Architektur, Handwerk, traditionelle kulinarische Spezialitäten usw.) hat.

4.9   Verschiedene Arten von Tourismus können sich als miteinander unvereinbar erweisen, insbesondere auf kleinen Inseln. So kann z.B. die Entwicklung eines Nischenmarktes wie Sommersprachkurse für Schüler und Studenten mit der Entwicklung eines Sommerangebots für Senioren kollidieren, wenn das Verhalten der Jugendlichen nach dem Unterricht und der damit einhergehende Lärm zu Spannungen mit den älteren Leuten führen, die Ruhe suchen. Auch hier bedarf es eines Bottom-up-Ansatzes bezüglich der Art(en) von Tourismus, für die sich eine Insel entscheidet, damit die entsprechende Wahl ein Erfolg wird.

4.10   Schließlich betrifft der Tourismus nicht nur unmittelbar die Angestellten von Hotels, Restaurants oder Fluggesellschaften, sondern auch viele andere Branchen, die Zulieferleistungen für den Tourismus erbringen, vom örtlichen Klempner bis zu den Bauern der Gegend.

5.   Besserer Inseltourismus durch Verfahrensinnovation

5.1   Die Tourismusbranche hat sich neue Technologien – etwa Computerreservierungssysteme – immer recht früh zunutze gemacht. Den Tourismusbetrieben stehen mit den jüngsten Errungenschaften in den Bereichen Telekommunikation, Vernetzung, Datenbanken und -verarbeitung sowie elektronisches Marketing viele neue Möglichkeiten offen, die die traditionellen Geschäftskonzepte im Fremdenverkehr erheblich beeinflussen. Die Nutzung von Breitbandinternet und Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) verbessert Tourismusdienstleistungen und -produkte und fördert die Entwicklung von Netzwerken und Clustern in der Branche. Ein Problem besteht, wenn keine Breitbandtechnik vorhanden ist und es an Spezialwissen und -kompetenz zur umfassenden Nutzung der IKT mangelt. Um diese Lücken auszugleichen, müssen entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen für die Inselbevölkerung vorgesehen werden.

5.2   Die Verbraucher sind es mehr und mehr gewöhnt, ihre Reisen mithilfe von IKT zu buchen. Europaweit organisieren derzeit zwei Drittel der Urlaubssuchenden ihre Reise über das Internet, über die Hälfte bucht sie elektronisch. Sie wollen flexible und leicht zugängliche Produkte und suchen den direkten Kontakt zu den Tourismusanbietern. Wenn sich die Unternehmer diese IKT-Revolution zunutze machen wollen, müssen sie den gesamten Vermarktungsprozess der Branche neu gestalten. Internettechnologien bieten Unternehmen und Verbrauchern gleichermaßen hervorragende Möglichkeiten für direkte elektronische Geschäftsbeziehungen.

5.3   Viele europäische Inseln mit einer langen Fremdenverkehrstradition leiden unter Wachstums- und Produktionsproblemen. Dort steht der Tourismus unter erheblichem Wettbewerbsdruck. Auf dem liberalisierten globalen Tourismusmarkt stehen die Inseln mit neuen Reisezielen im Wettbewerb, die auf intakte bzw. sehr wenig genutzte Ressourcen zurückgreifen können und die äußerst günstige wirtschaftliche Bedingungen aufweisen, etwa niedrige Löhne und Gehälter, diverse staatliche Hilfen und eine weiche Währung.

5.4   Wie in allen Dienstleistungsbranchen hängt die Qualität des Inseltourismusangebots im Wesentlichen von der Qualität des Personals, also den Menschen ab. Gute Arbeitsbedingungen und ein hohes Dienstleistungsniveau gehen Hand in Hand.

5.5   Die vorwiegend aus KMU bestehende und von hohem Arbeitskrafteinsatz geprägte europäische Inseltourismusbranche hat aufgrund ihrer Fragmentierung ein Produktivitätsproblem. Diese geringere Produktivität macht es Inseln schwer, im Fremdenverkehr wettbewerbsfähig zu sein, was sich an den verlangten Preisen ablesen lässt.

5.6   Das Problem der Saisonabhängigkeit hat reale Folgen für die Beschäftigungsstabilität und macht die Arbeit in der Tourismusbranche wenig attraktiv. Darum sind spezielle Verträge zu fördern, die Saisonkräften eine stabile Anstellung sichern, so dass ihre Beschäftigung und ihre sozialen Rechte denen von Dauerbeschäftigten gleichwertig sind. Der EWSA hat dies bereits bei früherer Gelegenheit angesprochen (2).

5.6.1   Die Stärkung und Erneuerung des Inseltourismus erfordert die Anpassung und Modernisierung der Arbeitsbeziehungen, insbesondere in Fragen wie der Ausbildung, der Förderung des beruflichen Aufstiegs und der Laufbahnentwicklung, der beruflichen Funktionen, des Arbeitstages und der Arbeitszeiten und –bedingungen im Rahmen des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern.

5.7   Die Anreise zu Inseln erfolgt insbesondere in der heutigen, schnelllebigen Welt in erster Linie mit dem Flugzeug. Eine Anreise per Schiff kommt als Alternative nicht immer in Frage. Hierfür muss es sowohl eine gut ausgebaute landseitige Infrastruktur als auch ein zuverlässiges Netz von Schiffsverbindungen geben. Schiffsverbindungen sind von Natur aus wetterabhängig.

6.   Entwicklung von Politikinstrumenten für Innovation im Inseltourismusmarketing

6.1   Eine große Herausforderung für die für Inseltourismus zuständigen Behörden besteht darin, einen effektiven Weg zur Entwicklung und Umsetzung von Politikinstrumenten zu finden, die Innovation im Tourismus fördern, ohne die Kräfte des Marktes zu stören. Sinnvollerweise sollte der Staat die Märkte so weit wie möglich sich selbst überlassen und nur bei Marktversagen eingreifen.

6.2   Die Inseln müssen die möglicherweise gegenläufigen Interessen von wachstumsorientierten Unternehmen, von Touristen auf der Suche nach Freizeitangeboten und von Umweltschützern sorgfältig austarieren. In der Stadtplanung lautet eine wesentliche Frage, wer über die Erteilung von Baugenehmigungen entscheidet. Potenzielle Konflikte bestehen zwischen Gemeinderäten, die sich vielleicht von den Interessen der örtlichen Wirtschaft leiten lassen, und regionalen oder zentralstaatlichen Behörden, die auf das Gesamtbild achten und die einem ungehinderten Wachstum in ökologisch sensiblen Gebieten entgegenwirken wollen.

6.3   Der Staat sollte es innovativen Unternehmen ermöglichen, Größenvorteile zu erreichen und neue Wege zu beschreiten, etwa durch strategische Allianzen und andere Formen der Vernetzung. Der bewährteste und erfolgversprechendste Weg für Innovation in der Tourismusbranche können Zusammenarbeit, Allianzen und/oder Netzwerke in Bereichen wie Technologie, Marketing, Vertrieb und gemeinsame Nutzung von Humanressourcen sein. Bisher gibt es in der Tourismusbranche nur unzureichende Ansätze zur Zusammenarbeit, insbesondere in KMU. In dieser Hinsicht sollte der Staat eine innovative Tourismuspolitik unterstützen, die Kohärenz und Synergien fördert.

6.4   Bei der Behandlung des Themas Tourismus müssen räumliche Fragen unbedingt berücksichtigt werden. Hierbei geht es in erster Linie um die Kommerzialisierung und Vermarktung von Sehenswürdigkeiten. Sie sind der Rohstoff des Tourismus und machen einen Ort erst zu einem Reiseziel. Touristen wählen das Reiseziel aus, das ihnen am nutzbringendsten erscheint und die Möglichkeiten bietet, für die sie bereit sind, Geld auszugeben. Je einzigartiger das Reiseziel ist, desto mehr auszugeben sind sie bereit. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um öffentliche Güter oder gemeinsame Ressourcen, wie Landschaftsschutzgebiete oder der Landwirtschaft vorbehaltene Gebiete, die die Inselbewohner schützen und bewirtschaften müssen, damit sie nicht abgenutzt oder zerstört werden.

6.5   Lokale Sehenswürdigkeiten und innovative Dienstleistungen verleihen einem Reiseziel eine eigene Note. Sie begrenzen gleichzeitig die Möglichkeiten zur Produktinnovation, da diese Innovationen nicht unabhängig von den Eigenschaften des Reiseziels entwickelt werden können. So kann ein Seebad nicht in einen Bergkurort umgewandelt werden. Ein Reiseland mit vielen verschiedenen Vorzügen kann sich jedoch auf dem Markt neu positionieren.

6.6   Massentourismus nach dem Motto „Sonne, Meer und Fritten“ ist langfristig gesehen nicht unbedingt die beste Form des Fremdenverkehrs auf Inseln. So beweisen Beispiele aus Schottland, dass spezialisierte, kleinformatige Arten des Inseltourismus sehr erfolgreich sein können. Hierbei geht es nicht um Tourismus von der Stange, was bei der Ausarbeitung einer Tourismusstrategie für Inseln unbedingt berücksichtigt werden muss. Was für eine kleine Mittelmeerinsel ideal ist, kann für ein britisches, irisches oder schwedisches Inselchen unpassend sein.

6.7   Die Zukunft eines Reiseziels hängt von vielen voneinander unabhängigen Größen ab. Zu diesen gehören sowohl die Lage und das Potenzial der Quellmärkte als auch die Erreichbarkeit, die sich in Transportkosten und zeitbedingten Kosten ausdrückt. Diese Variablen können durch die öffentliche Hand nur durch Mechanismen wie gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen oder Systeme für territoriale Kontinuität beeinflusst werden. Darüber hinaus sind sie in erheblichem Maße ausschlaggebend für die Art der Produktinnovationen. Die Herausforderung für die örtlichen Unternehmer besteht daher in der Vermarktung neuer Produkte, die für den Kunden einen Mehrwert haben.

6.8   In der EU wird viel Wert auf ökologische Nachhaltigkeit gelegt. Dies beinhaltet Aspekte wie die Suche nach passenden Mechanismen zur Verringerung der transportbedingten Emissionen und die ökologische Nachhaltigkeit als wesentliche Triebkraft für eine wettbewerbsfähige Tourismusbranche im Allgemeinen.

6.9   Was hält die Inselbewohner beispielsweise davon ab, den Zustand der Strände zu verbessern? Oder davon, mit ihrem Kulturerbe zu protzen? Warum gibt es nur ein paar ausgewiesene Urlaubsorte, wenn z.B. die ganze Insel eine Touristenattraktion sein kann? Warum diese Zuspitzung auf so kurze Hauptreisezeiten, wenn anderswo der Tourismus das ganze Jahr über blüht? Oft werden nur ein paar Fleckchen anstelle aller Dörfer und Städte beworben. Die Bewohner jeder Stadt und jedes Dorfes müssen lernen, stolz auf ihren Heimatort zu sein, nur dann können sie ihr Produkt und ihr Erbe schützen und vermarkten.

6.10   Mit steigenden Touristenzahlen auf den Inseln müssen die Behörden mehr Investitionen zum Schutz der gesundheitlichen Qualität der Reiseziele tätigen, um eine angemessene Qualität des Trinkwassers (und der Badegewässer), eine sorgsame Abfallbewirtschaftung, eine nachhaltige Energiewirtschaft und eine Versorgung mit sicheren Lebensmitteln zu gewährleisten.

6.11   Es ist sehr wichtig, den Sinn der Insulaner für Wettbewerbsfähigkeit zu schärfen, die für sie eine hohe Priorität haben muss. Dies kann nicht von staatlicher Seite allein erreicht werden, vielmehr müssen hierbei die Arbeitnehmer, die Unternehmer, das Management und die Verwaltungseinrichtungen mitwirken.

6.12   In der Praxis gibt es drei maßgebliche, entscheidende Faktoren:

erstens das staatliche Handeln im Bereich der Sicherstellung der Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit;

zweitens die privatwirtschaftliche Komponente, einschließlich Land- und Luftverkehr sowie IKT-Infrastruktur und

drittens menschlich-kulturelle Elemente der Ressourcenausstattung jedes Landes.

6.12.1   Der Staat hat auf die erste Kategorie großen Einfluss. Wenn eine Insel bei der ökologischen Nachhaltigkeit schlecht abschneidet, hat er schlicht zu wenig getan. Dies zeigt, wie richtig Umwelt- und Kulturaktivisten liegen, wenn sie mehr Aufmerksamkeit für das kulturelle Erbe der Inseln fordern und darauf hinweisen, dass dringend in dessen Schutz investiert werden muss.

6.12.2   Was die Tourismusinfrastruktur angeht, muss ebenfalls noch viel getan werden. Wer hier schlecht abschneidet, sollte dies als Anreiz zum Handeln nehmen und mehr investieren. Ein Wirtschaftsabschwung ist eine gute Gelegenheit, die Infrastruktur zu prüfen und mehr Ressourcen für deren Verbesserung bereitzustellen. Die Inseln müssen ihre Infrastruktur jetzt auf Vordermann bringen und neue Marktnischen durch neue private und öffentliche Investitionen erschließen. Der Staat muss sicherstellen, dass der Privatsektor bessere Finanzierungsmöglichkeiten erhält und dass die Kreditinstitute kleinen und mittelgroßen Betrieben stärker entgegenkommen. Sie müssen alle verfügbaren Mittel im Rahmen des europäischen Konjunkturpakets ausschöpfen. Noch wichtiger ist es, dass staatliche Stellen dem Privatsektor nicht unangemessene Regeln auferlegen, durch die den Unternehmern das für Investitionen zur Verfügung stehende Kapital entzogen wird.

6.12.3   Dann ist da die dunkle Seite des Inseltourismus, nämlich die Schattenwirtschaft, die den Inselbewohnern zwar zusätzliche Einnahmen beschert, aber auch negative Auswirkungen auf die Beschäftigung und die Arbeitsbedingungen hat. Zweitwohnsitze verteuern die Immobilienpreise für die Inselbewohner, bilden aber auch eine Einnahmequelle. Hinzu kommt die Belastung der Infrastruktur für Wasser, Abfall und Energie, die während der Hochsaison mit dem Zwanzigfachen der örtlichen Bevölkerungszahl fertigwerden muss.

6.13   Eine Folge saisonbedingter Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs ist das Aufkommen und Vorhandensein einer Schattenwirtschaft. Die illegale, ja gar missbräuchliche Beschäftigung von Schülern und Studenten oder die Inanspruchnahme illegaler Arbeitskräfte schädigt sowohl die legalen wie die illegalen Arbeitskräfte, da sich hierdurch ihr Lohnniveau verringert. Der Anteil der Schwarzarbeiter ist in der Tourismusbranche teilweise sehr hoch. In einigen Ländern liegt er bei über 50 %.

6.13.1   Billige und mobile Arbeitskräfte aus neuen Mitgliedstaaten, z.B. aus Polen, Bulgarien und Rumänien, sind in den westlichen Reiseländern einschließlich den Inseln zunehmend zur Normalität geworden. Diese Tendenz ist aufgrund des freien Verkehrs der Arbeitkräfte unter EU-Recht nicht aufzuhalten, weshalb sich den Unternehmern und den Arbeitnehmern die Frage stellt, wie sie darauf reagieren können. Einerseits müssen die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, anderseits muss die Gleichheit gewahrt und sichergestellt werden, dass die Arbeitsbedingungen eingehalten und die Arbeitnehmer nicht ausgebeutet werden.

6.14   Darum benötigt der Inseltourismus eine angemessene Herangehensweise. Der Tourismus ist für Inselbewohner und die KMU auf den Inseln lebensnotwendig. Jetzt muss gehandelt werden. Die Inselbewohner müssen sich am Wettbewerb ausrichten. Zunächst müssen die kurzfristigen, unmittelbaren Probleme überwunden werden. Damit der Tourismus nachhaltig und als wichtiger Motor für Wirtschaftswachstum erhalten bleibt, müssen mittel- und langfristig wirksame Maßnahmen ergriffen werden.

7.   Förderung von Netzwerken für Innovation bei der Organisation von Tourismusbetrieben und Reisezielen

7.1   Mehrere Bereiche der Tourismusbranche, z.B. Fluggesellschaften, Hotelketten, Reiseveranstalter oder Autovermieter, sind durch eine hohe Konzentration gekennzeichnet und oftmals weltweit operierende Unternehmen. Andererseits machen KMU nach wie vor einen Großteil der Tourismusbranche auf Inseln aus. Um im Wettbewerb mit den globalen Unternehmen bestehen zu können, müssen Tourismusbetriebe auf den Inseln probieren, sich auf einen konstruktiven statt auf einen destruktiven Wettbewerb einzulassen. Während ersterer den verfügbaren Markt wachsen lässt, die Produktpalette vergrößert und letztendlich zu einer erfolgreichen Produktdifferenzierung und Innovation für Weltklasse-Produkte führt, würde letzterer zur Folge haben, dass die Betriebe im gleichen Markt miteinander konkurrieren, und würde somit zu Produktkonvergenz und Preiskämpfen führen. Es kommt daher darauf an, dass Tourismus-Unternehmer stärker miteinander zu kooperieren lernen, damit ein konstruktiver Wettbewerb entsteht.

7.2   Inseltourismusbetriebe, insbesondere kleine Betriebe, fürchten sich eher vor dem Wettbewerb mit ihren Partnern, als dass sie sich der Vorteile einer Zusammenarbeit bewusst sind. In der Welt des Tourismus kann zwischen geografischen Netzwerken/Clustern und tätigkeitsbezogenen Netzwerken/Clustern, wie „grüner“ Tourismus, Weinbau-Tourismus usw., unterschieden werden. Netzwerke/Cluster können eine wesentliche Rolle dabei spielen, die Fähigkeit von Reiseveranstaltern, innovativ zu sein, zu verbessern, z.B. durch niedrigere Kosten für Versuchsprojekte, größere Bekanntheit und eine verbesserte Reaktionsfähigkeit auf eine sich wandelnde Nachfrage. Wie in anderen Dienstleistungsbranchen hängt Innovation in der Tourismusbranche im Wesentlichen von Netzwerken und Kooperation ab.

7.3   Die Zusammenarbeit zwischen Politikern, Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie die Einbeziehung von in der Tourismusbranche tätigen Organen, Stiftungen und Vereinigungen ist ebenfalls ein Schlüsselfaktor für das stetige Wachstum des Inseltourismus. Während der Unternehmenssektor die Hauptrolle bei der Einrichtung von Netzwerken spielt, sind die lokalen Verwaltungen für die Entwicklung einer Infrastruktur zuständig, die eine bessere Zusammenarbeit ermöglicht und die Netzwerke auf dem Markt fördert.

Brüssel, den 15. Juli 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  „Eine bessere Integration in den Binnenmarkt als Schlüsselfaktor für Kohäsion und Wachstum auf den Inseln“, ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 123.

(2)  Siehe Stellungnahme des EWSA „Ein für alle zugänglicher und sozial nachhaltiger Tourismus“, ABl. C 32 vom 5.2.2004, S. 1.


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