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Document 52009AE0868

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt (Sondierungsstellungnahme)

OJ C 277, 17.11.2009, p. 20–24 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

17.11.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 277/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt“

(Sondierungsstellungnahme)

(2009/C 277/04)

Berichterstatterin: Anna BREDIMA

Mit Schreiben vom 3. November 2008 ersuchte die Europäische Kommission den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema:

Eine umweltfreundliche See- und Binnenschifffahrt.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. April 2009 an. Berichterstatterin war Anna BREDIMA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 13. Mai) mit 182 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   In dieser Sondierungsstellungnahme wird der Frage nachgegangen, wie im Einklang mit der Lissabon-Strategie der Umweltzustand der Meere und Binnengewässer verbessert werden kann, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsindustrie zu beeinträchtigen. Dieses Ziel kann durch ein ganzheitliches Konzept zur Förderung „grüner“ Investitionen und zur Schaffung „grüner“ Arbeitsplätze erreicht werden. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hält eine „grüne Wirtschaft“ nicht für einen Luxus, und befürwortet daher einen derartigen Ansatz.

1.2.   Der Seeverkehr ist das Rückgrat der Globalisierung, werden doch 90 % des Welthandels und 45 % des innergemeinschaftlichen Handels (in Bezug auf den Transportumfang) über ihn abgewickelt. Die Binnenschifffahrt ist für den innereuropäischen Transport von großer Bedeutung, da 5,3 % des gesamten Binnenverkehrs in der EU auf die Binnenschifffahrt entfallen. Beide Verkehrsträger sind wettbewerbsfähig, nachhaltig und umweltfreundlich.

1.3.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, in künftigen Befassungen differenzierter zu verfahren und die Binnenschifffahrt als Landverkehrsträger einzustufen.

1.4.   Nach Meinung des Ausschusses sollte die Umweltleistung der See- und Binnenschifffahrt im Vergleich zur Umweltleistung des Landverkehrs und der Verschmutzung durch landseitige Quellen bewertet werden. Er bekräftigt seine Forderung, dass EU-Umweltschutzmaßnahmen für Freizeitschiffe und nach Möglichkeit auch für Marineschiffe gelten sollten. Derartige Maßnahmen sollten auf alle Schiffe (ungeachtet der Flagge, unter der sie fahren) Anwendung finden, so praxistauglich und kosteneffizient wie möglich sein und auf einer zuverlässigen ökologischen, technischen und sozioökonomischen Folgenabschätzung beruhen.

1.5.   Im Europäischen Jahr der Kreativität und Innovation (2009) sollte die europäische Industrie zum Vorreiter innovativer Forschung für Schiffs- und Hafentechnologie und -betrieb werden. Die Europäische Kommission sollte die Vermarktungsmöglichkeiten für die in Europa entwickelten grünen Technologien in anderen Teilen der Welt untersuchen. Diese Initiative wird außerdem zur Schaffung neuer („grüner“) Arbeitsplätze in der EU beitragen. Intelligente Investitionen in umweltfreundlichere Systeme für Schiffe und Häfen sowie zur Verbesserung der Energieeffizienz werden den Konjunkturaufschwung nach der weltweiten Wirtschaftskrise beschleunigen.

1.6.   Nach Meinung des Ausschusses können durch eine ausgewogene Mischung aus Rechtsvorschriften und Industrieinitiativen bessere Ergebnisse erzielt werden. Er fordert die Europäische Kommission auf, die Frage aufzugreifen, wie bewährte Verfahren auf EU-Ebene zielführend genutzt werden können. Der Umstieg auf ein ökologisches Konzept zum Schutz der Umwelt lohnt sich und kann neue Arbeitsplätze schaffen. Außerdem steht eine nachhaltige See- und Binnenschifffahrt nicht im Widerspruch zu Rentabilität.

1.7.   Der Ausschuss könnte als offizieller Multiplikator für diese neuen umweltfreundlichen Maßnahmen zur Schaffung einer echten „grünen Kultur“ in der organisierten Zivilgesellschaft in Europa auftreten. Er kann als europäisches Forum zur Stärkung des Umweltbewusstseins in der organisierten Zivilgesellschaft dienen. Umweltfreundliche Schiffe, Kraftstoffe und Häfen sind noch Zukunftsmusik, doch sollten wir bereits jetzt umdenken und unsere Verhaltensweisen im Alltag anpassen und umweltbewusster handeln.

1.8.   Die See- und Binnenschifffahrt sind anerkanntermaßen die Verkehrsträger im gewerblichen Verkehr mit dem geringsten CO2-Ausstoß. Die Förderung der Binnenschifffahrt kann zur Verwirklichung der wichtigsten ökologischen Ziele der EU-Politik beitragen. Eine stärkere Nutzung der Binnenschifffahrt ist ein wichtiger Faktor für die Verringerung der CO2-Emissionen des Verkehrssektors insgesamt.

1.9.   Das Seeverkehrsvolumen wird in absehbarer Zukunft weiter steigen, um einen wachsenden Welthandel zu bedienen; folglich werden auch mehr Emissionen verursacht, was wiederum einen Anstieg der Gesamtemissionen bedingt. Der CO2-Ausstoß kann durch eine Vielzahl technischer und operationeller Maßnahmen erheblich gesenkt werden.

1.10.   Eine etwaige Anwendung eines Emissionshandelssystems (ETS) auf den Seeverkehr darf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt auf dem Weltmarkt nicht beeinträchtigen. Eine Senkung der CO2-Emissionen der internationalen Schifffahrt könnte wirksamer in einem internationalen System als auf europäischer oder regionaler Ebene erreicht werden.

1.11.   Die Anwendung eines derartigen Systems auf den Seeverkehr, insbesondere bei Trampdiensten, ist jedoch weitaus komplexer als auf die Luftfahrt. Eine Kohlenstoffsteuer (Bunkeröl) bzw. eine andere Art von Abgabe könnte hier genauso „wirksam“ und weitaus einfacher zu handhaben sein, sofern sie weltweit eingeführt wird.

1.12.   Die Standardisierung von Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepten für die Besatzung von Binnenschiffen, vergleichbar mit den Standards im Seeverkehr, ist sinnvoll, vor allem im Zusammenhang mit dem Transport gefährlicher Güter.

2.   Empfehlungen

2.1.   Obwohl See- und Binnenschifffahrt wettbewerbsfähige, nachhaltige und umweltfreundliche Verkehrsträger sind, sollte die Europäische Kommission Möglichkeiten für weitere Verbesserungen durch Synergien zwischen Regelungsmaßnahmen und Industrieinitiativen unter die Lupe nehmen.

2.2.   Die Hafen- und Kanalinfrastruktur muss verbessert werden, um größere Schiffe aufzunehmen, eine Überlastung der Häfen zu vermeiden und einen zügigen Hafenumschlag zu ermöglichen.

2.3.   Die Mitgliedstaaten sollten jeder für sich, aber auch gemeinsam angemessene Vorkehrungen in Bezug auf Einsatzbereitschaft, Mittel und Ausrüstungen treffen, um im Bedarfsfall eingreifen und eine Verschmutzung europäischer Gewässer bekämpfen und ihre Folgen eindämmen zu können.

2.4.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, Initiativen des Industriesektors und sonstige Umweltinitiativen im Hinblick darauf zu prüfen, wie die am besten bewährten Verfahren nutzbringend zur Verringerung der Schiffsschadstoffemissionen auf EU-Ebene eingesetzt werden können.

2.5.   Zur Verwirklichung einer „grünen Schifffahrt“ und zum Aufbau „grüner Häfen“ sollte die Europäische Kommission die europäische Industrie in ihren Bemühungen unterstützen, in der Erforschung innovativer Schiffs- und Hafentechnologie eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

2.6.   Der Ausschuss fordert die Europäische Kommission auf, sich mit der Vermarktung der in Europa entwickelten grünen Technologien in anderen Teilen der Welt zu befassen. Diese Initiative wird außerdem zur Schaffung neuer („grüner“) Arbeitsplätze in der EU beitragen.

2.7.   Der Ausschuss schlägt eine effizientere Logistik vor, d.h. kürzere Routen, weniger Leerfahrten (Ballastfahrten) und Anpassungen für optimierte Ankunftszeiten als Mittel zur Senkung der Schiffsemissionen.

2.8.   Die EU muss die Bemühungen der IMO unterstützen, weltweite Regelungen für die internationale Schifffahrt zu konzipieren und den Kapazitätenaufbau zur Sicherstellung der Erfüllung der Flaggenstaatenpflichten anzugehen.

2.9.   Die meisten Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Das Wohlergehen der Seeleute an Bord (Lebens- und Arbeitsbedingungen) muss unbedingt sichergestellt werden. Daher sollte alles daran gesetzt werden, eine Kultur der Sicherheit und der sozialen Verantwortung zu fördern.

2.10.   Die Qualität der Schiffskraftstoffe hat Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Nach Meinung des Ausschusses sollten die betroffenen Branchen im Rahmen der sozialen Verantwortung der Unternehmen freiwillig weiterreichende Maßnahmen für den Umweltschutz und die Verbesserung der Lebensqualität der Gesellschaft insgesamt treffen.

2.11.   Der Ausbau der weltweiten mit Flüssiggas (LNG) betriebenen Flotte bringt erhebliche Herausforderungen mit sich, da es entsprechend ausgebildeter und technisch geprüfter Schiffsoffiziere bedarf. Aufgrund des Mangels an qualifizierten Offizieren müssen verstärkt Anstrengungen in den Bereichen Anwerbung und Ausbildung unternommen werden.

2.12.   Tätigkeiten und Unfälle auf hoher See können die EU-Gewässer beeinträchtigen. Der Ausschuss schlägt die Nutzung der Dienste der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA) zur Vorsorge gegen und Bekämpfung von Verschmutzungen (Pollution Preparedness and Response), zur Bereithaltung von Schiffen für Ölauffangleistungen (Stand-by Vessel Oil Recovery) sowie zur Satellitenüberwachung und -verfolgung (Satellite Monitoring and Surveillance) vor. Diese Dienste bieten umfangreiche Kapazitäten, um Zwischenfälle zu orten und umgehend Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mit einer angemessenen Mittelausstattung könnten die Koordinierungskapazitäten der EMSA gestärkt werden.

2.13.   Es gilt, Programme zur Anwerbung, Aus-, Fort- und Weiterbildung von Seeleuten in der Binnenschifffahrt, insbesondere im Gefahrguttransport, zu konzipieren, um junge Menschen für eine Berufslaufbahn in diesem Sektor zu gewinnen und das erforderliche Fach- und Sachwissen weiterhin sicherzustellen.

3.   Allgemeine Einleitung

3.1.   Diese Sondierungsstellungnahme ist auf zwei Aspekte ausgerichtet: Wie kann der Umweltzustand der Meere und Binnengewässer verbessert werden, ohne dabei die Wettbewerbsfähigkeit der Verkehrsindustrie zu beeinträchtigen? Die Frage wird in Verbindung mit den Mitteilungen zur Ökologisierung des Verkehrs (1) und zur Strategie zur Internalisierung externer Kosten (2) erörtert. Dieses Maßnahmenpaket beinhaltet eine Strategie, mit der die tatsächlichen Kosten des Verkehrs für die Gesellschaft besser in den Preisen erkennbar sein sollen, damit die Umweltverschmutzung und die Verkehrsüberlastung schrittweise verringert und dadurch gleichzeitig die Effizienz des Verkehrs und letztlich der Wirtschaft insgesamt erhöht werden können. Diese Initiativen stehen im Einklang mit der Umweltdimension der Lissabon- und der Göteborg-Strategie und werden vom Ausschuss befürwortet.

3.2.   Für die Binnenschifffahrt wird die Internalisierung aller externen Kosten des Sektors angekündigt. Im Seeverkehr, wo es bislang noch zu keiner Internalisierung gekommen ist, hat sich die Europäische Kommission vorgenommen, 2009 tätig zu werden, falls die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) bis dahin keine konkreten Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen vereinbart hat. Die Strategie für den Seeverkehr wird auf die neue integrierte Meerespolitik der EU abgestimmt.

3.3.   Sowohl das Europäische Parlament als auch der Europäische Rat haben betont, wie wichtig eine nachhaltige Verkehrspolitik ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Klimawandels. Sie bekräftigen, dass das Verkehrswesen zur Verringerung der Klimagasemissionen beitragen muss.

3.4.   Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Seeverkehr einschl. des Kurzstreckenseeverkehrs ein Verkehrsträger ist, der in wirtschaftlicher, sozialer, technischer und nautischer Hinsicht strikt von der Binnenschifffahrt zu trennen ist. Es gibt erhebliche und grundlegende Unterschiede zwischen den Märkten, auf denen diese Verkehrsträger agieren, den Sozialvorschriften und -bedingungen, die auf sie Anwendung finden, den Vorschriften für Gewicht und Maschinen, den Beförderungskapazitäten sowie den Schiffsrouten und der Beschaffenheit der Wasserwege. Der See- und der Luftverkehr sind eindeutig weltweite Verkehrsträger, wohingegen die Binnenschifffahrt in Europa ganz allgemein als Landverkehr angesehen wird, zu dem auch der europäische Straßen- und Schienenverkehr (3) zählt. Daher fordert der Ausschuss die Europäische Kommission auf, in ihren Dokumenten und Befassungen differenzierter zu verfahren und die Binnenschifffahrt als Landverkehrsträger einzustufen.

4.   Hintergrund: Klimawandel

4.1.   Die Erderwärmung, die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Gesundheit und die begrenzten internationalen Erdölvorräte sind wesentliche Anreize für die EU, die Abhängigkeit des Verkehrssektors von fossilen Brennstoffen zu verringern. Beim Verbrauch von fossilen Brennstoffen wird Kohlendioxid (CO2), das vorherrschende Treibhausgas, freigesetzt. Daher ist die aktuelle Umweltpolitik fast ausschließlich auf die Verringerung des CO2-Ausstoßes ausgerichtet. Das wichtigste Nicht-CO2-Treibhausgas ist jedoch Methangas (CH4), das in der Viehzucht freigesetzt wird.

4.2.   Nach Meinung des Ausschusses sollte die Umweltleistung der See- und Binnenschifffahrt im Vergleich zur Umweltleistung des Landverkehrs und der Verschmutzung durch landseitige Quellen bewertet werden. Der Ausschuss bekräftigt (4), dass es eines ganzheitlichen Konzepts bedarf, in dem u.a. folgende Aspekte berücksichtigt werden: Verfügbarkeit von Technologien zur Senkung der Treibhausgasemissionen, Notwendigkeit der Innovationsförderung, wirtschaftliche Aspekte des Welthandels, Vermeidung negativer Auswirkungen eines höheren CO2-Ausstoßes im Zuge der Verringerung anderer Schadstoffemissionen usw., um unerwünschte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Maßnahmen möglichst auszuschließen.

4.3.   Die Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen in der See- und Binnenschifffahrt sollten praxistauglich und kosteneffizient sein und für alle Schiffe (ungeachtet der Flagge, unter der sie fahren) gelten, einschl. Freizeit- und nach Möglichkeit auch Marineschiffe (5). Sie müssen sich auf eine zuverlässige ökologische, technische und sozioökonomische Analyse stützen. Rechtsvorschriften, mit denen auf kostenintensive Weise lediglich eine geringe Senkung der Treibhausgasemissionen erzielt wird, könnten durchaus zu einer Verlagerung auf weniger umweltfreundliche Verkehrsträger führen. Die Folge wären umfassende negative Auswirkungen auf die Erderwärmung.

4.4.   Ein oftmals übersehener Aspekt der Maßnahmen zur Ökologisierung ist ihr wirtschaftlicher Nutzen. Eine „grüne Wirtschaft“ ist eine Möglichkeit zur Bewältigung der weltweiten Krise. Diese neu entstehende umweltgerechte Wirtschaft schafft neue Beschäftigungsmöglichkeiten (6). Kommissionsmitglied Dimas betonte, dass „grüne Investitionen“ in den nächsten zehn Jahren für 2 Millionen neue Arbeitsplätze in der EU sorgen werden. Eine „grüne Wirtschaft“ ist also kein Luxus.

4.5.   Der CO2-Ausstoß in der See- und Binnenschifffahrt kann zwar noch weiter verringert werden, jedoch nur in geringem Ausmaß, da Güter ungeachtet etwaiger zusätzlicher Kosten, die in jedem Fall den Verbrauchern angelastet werden, transportiert werden müssen.

5.   Ökologisierung des Seeverkehrs

5.1.   Die zunehmende Industrialisierung und Liberalisierung der Wirtschaft haben den Welthandel wachsen und die Nachfrage nach Verbrauchsgütern steigen lassen. In dem Aktionsplan zur integrierten Meerespolitik der EU (7) wird dem Seeverkehr als wettbewerbsfähigem, nachhaltigem, umweltfreundlichem Verkehrsträger besonderes Augenmerk beigemessen.

5.2.   Die Umweltleistung der Schifffahrt hat sich seit vielen Jahren stetig verbessert. Die betriebsbedingte Verschmutzung durch Schiffe konnte auf ein unbedeutendes Ausmaß zurückgeschraubt werden. Dank erheblicher Verbesserungen in Bezug auf Motoreffizienz und Hüllenbauweise konnten die Emissionen gesenkt und die Kraftstoffeffizienz erhöht werden. Gemessen an dem auf Schiffen beförderten Gütervolumen ist der Anteil des Seeverkehrs am weltweiten CO2-Ausstoß gering (2,7 %) (8).

5.3.   Der Schwund der arktischen Eiskappe öffnet schrittweise neue Möglichkeiten für die Schifffahrt, Passagen durch den Arktischen Ozean zu nutzen (9). Durch die Nutzung dieser kürzeren Routen von Europa zum Pazifik können Energieeinsparungen erzielt und die Emissionen verringert werden. Der Ausschuss hat die Bedeutung der arktischen Schiffsroute in seiner Stellungnahme zur integrierten Meerespolitik für die Europäische Union (10) betont. Gleichzeitig muss die Meeresumwelt der Arktis in Abstimmung mit ihrer Bevölkerung geschützt und erhalten und ihre multilaterale Governance verbessert werden. Bis zur Vorlage einer ökologischen Folgenabschätzung durch die Vereinten Nationen sollte die Erschließung neuer Wasserstraßen durch diese Region mit großer Vorsicht angegangen werden. Der Ausschuss schlägt vor, die Arktis kurz- und mittelfristig als Naturschutzgebiet einzustufen. Daher wäre es zweckdienlich, auf EU- und UN-Ebene die verschiedenen Parameter des arktischen Seewegs sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Die Ausweitung des Panamakanals, die 2015 abgeschlossen sein soll, sollte sich ebenfalls positiv auswirken.

5.4.   Der Seeverkehr ist ein durch mehr als 25 wichtige internationale Übereinkommen und Kodizes streng geregelter Bereich. Das MARPOL-Übereinkommen 73/78 ist das wichtigste internationale Übereinkommen zur Verhütung der betriebs- oder unfallbedingten Meeresverschmutzung durch Schiffe (11). Außerdem bestehen auch auf EU-Ebene umfassende Rechtsvorschriften, insbesondere die Maßnahmenpakete ERIKA I und ERIKA II sowie das dritte Maßnahmenpaket für die Sicherheit im Seeverkehr (2009). All diese Vorschriften haben die Sicherheit im Seeverkehr, die Überwachung der Umweltverschmutzung und - wo erforderlich - das Eingreifen zur Verhütung oder Begrenzung von Unfallfolgen erheblich verbessert.

5.5.   In dem vor Kurzem überarbeiteten Anhang VI des MARPOL-Übereinkommens zur Verhütung der Luftverunreinigung durch Schiffe wurden strengere Grenzwerte für Schadstoffemissionen festgelegt, und zwar für Schwefeloxide (SOx), Partikelmasse (PM) und Stickoxide (NOx). Der CO2-Ausstoß von Schiffen kann durch eine Vielzahl technischer und operationeller Maßnahmen verringert werden, wobei einiger dieser Maßnahme nur auf freiwilliger Grundlage Anwendung finden können. Das Drosseln der Fahrgeschwindigkeit („slow steaming“) ist die effizienteste Maßnahme, die unmittelbar deutliche Wirkung zeigt. Allerdings unterliegt die Durchführung dieser Maßnahme den Handelserfordernissen.

5.6.   Nach Überzeugung des Ausschusses können durch eine ausgewogene Mischung aus Rechtsvorschriften und Industrieinitiativen bessere Ergebnisse erzielt werden; zu diesen Initiativen zählen beispielsweise die wegweisenden Ziele der griechischen Vereinigung zum Schutz der Meeresumwelt HELMEPA (12), der Intertanko für die Vergabe des „Poseidon Challenge Award“ (13), der „Floating Forest“-Organisation (14) und der „Green Award“-Stiftung (15).

5.7.   Eine etwaige Anwendung eines Emissionshandelssystems (ETS) auf den Seeverkehr darf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Schifffahrt auf dem Weltmarkt nicht beeinträchtigen, da sie sonst im Widerspruch zur Lissabon-Strategie stünde. Vor jedwedem Beschluss muss die Europäische Kommission klare Antworten auf die folgenden Fragen geben: Welchen ökologischen Nutzen hätte die Einführung eines derartigen Systems in der internationalen Schifffahrt? Wie wird dieses System in der Praxis in einem so international agierenden Industriezweig wie der Schifffahrt funktionieren? Vor diesem Hintergrund könnte die Verringerung der CO2-Emissionen der Schifffahrt möglicherweise wirksamer in einem internationalen System im Rahmen der IMO als auf europäischer oder regionaler Ebene erreicht werden.

5.8.   Der politische Druck, die Schifffahrt bis 2013 in das Emissionshandelssystem der EU aufzunehmen, ist nicht zu übersehen. Die Anwendung dieses Systems auf die Schifffahrt, insbesondere auf Trampdienste, ist jedoch weitaus komplexer als auf die Luftfahrt; aufgrund der praktischen Handhabe des weltweiten Seehandels sind ETS-Berechnungen sehr schwierig. Die internationale Schifffahrt ist in erster Linie in der Frachtbeförderung unter ständig wechselnden Handelsmustern in der ganzen Welt tätig. Die meisten Schiffe unter EU-Flagge laden bzw. löschen ihre Ladungen in Nicht-EU-Häfen, die vom Charterer festgelegt werden. Schiffe sind nicht einheitlich, daher ist Benchmarking nur sehr schwer umsetzbar. Da in der Schifffahrt zahlreiche kleine Unternehmen operieren, wäre ein ETS mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Viele Schiffe, vor allem im Trampsektor, in dem die Mehrheit der Schiffe tätig ist, laufen nur gelegentlich EU-Häfen an. Die Betankung von Schiffen während der Fahrten kann in Nicht-EU-Häfen stattfinden, und der Kraftstoffverbrauch zwischen Häfen lässt sich nur schätzen. Bei der Zuteilung von ETS-Zertifikaten müssten also mehrere Länder berücksichtigt werden, z.B. das Land des Reeders, des Schiffsbetreibers, des Charterers, des Frachteigentümers und des Frachtempfängers. Außerdem müsste ein europäisches Emissionshandelssystem für den Seeverkehr auf alle Schiffe Anwendung finden, die EU-Häfen anlaufen. Dabei besteht die reale Gefahr, dass Nicht-EU-Länder, die dem ETS nicht beitreten, Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

5.9.   Eine Kohlenstoffsteuer (Bunkeröl) bzw. eine andere Art von Abgabe könnte im Seeverkehr genauso „wirksam“ und weitaus einfacher zu handhaben sein. Außerdem könnte leichter sichergestellt werden, dass die so generierten Mittel auch wirklich für Initiativen zur Ökologisierung des Verkehrs aufgewendet werden.

5.10.   Schiffsantriebssysteme werden auch in absehbarer Zukunft in erster Linie mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Gas als Alternativkraftstoff wird erst dann stärker eingesetzt werden, wenn die entsprechende Vertriebsinfrastruktur zur Verfügung steht. In Machbarkeitsstudien für Erdgasbrennstoffzellen wurde eine erhebliche Verringerung des CO2-Ausstoßes nachgewiesen. Die IMO wird sich in künftigen Arbeiten auch mit der Verringerung der Lärmbelästigung durch Schiffe befassen.

5.11.   Es ist unwahrscheinlich, dass eine ausreichende Menge an nachhaltigem Biokraftstoff für die Schifffahrt zur Verfügung stehen wird. Ebenso wenig werden Wasserstoff und Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (CCS) in den kommenden zwanzig Jahren signifikante Auswirkungen auf die Schifffahrt haben. Windkraft wie Skysails oder Solarenergie allein werden für den Schiffsantrieb nicht ausreichen, sie können aber als Zusatzoption zu den Motoren genutzt werden. Die Nutzung von Landstromversorgung (Cold ironing) wird einen umweltfreundlichen Betrieb in den Häfen ermöglichen. Da für einen Nuklearantrieb eine spezielle Notfall-Infrastruktur erforderlich ist, ist dies keine brauchbare Alternative für Handelsschiffe.

6.   Ökologisierung der Binnenschifffahrt

6.1.   Die Binnenschifffahrt ist für den innereuropäischen Transport von großer Bedeutung, da 5,3 % des gesamten Binnenverkehrs in der EU — in Regionen mit großen Binnenwasserstraßen manchmal sogar mehr als 40 % — auf die Binnenschifffahrt entfallen. Sie ist ein zuverlässiger, kosten- und energieeffizienter sowie sicherer Verkehrsträger. Durch die Förderung der Binnenschifffahrt können die wichtigsten Ziele der EU-Umweltpolitik erreicht werden. Eine stärkere Nutzung der Binnenschifffahrt ist ein wesentlicher Faktor für die Verringerung des CO2-Ausstoßes des Verkehrssektors. Sie spielt auch eine Rolle bei den Maßnahmen der EU zur Lösung der massiven Überlastung im Straßenverkehr.

6.2.   Die Binnenschifffahrt wird seit jeher von den Vorschriften der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR) geregelt, die strenge technische und Sicherheitsnormen festgelegt hat. Aufgrund der Mannheimer Akte erlassene Vorschriften gelten für alle Rhein-Anrainerstaaten. Diese Akte enthält Bestimmungen für Sicherheit, Haftung und Vermeidung von Umweltverschmutzung. Dank dieser hohen Normen zeichnet sich die Binnenschifffahrt durch eine sehr einheitliches Qualitäts- und Sicherheitsniveau in Bezug auf die Schiffsausrüstung und die Ausbildung der Besatzung aus. Auf der Grundlage der Bestimmungen der Mannheimer Akte nahm die EU mit der Richtlinie 2006/87/EG vor Kurzem umfassende technische und betriebliche Vorschriften für Binnenschiffe an.

6.3.   In Gemeinschaftsvorschriften (16) wurden Emissionsgrenzen für die Qualität der für Binnenschiffe gebrauchten Kraftstoffe festgesetzt. Die Europäische Kommission wollte mit ihrem Vorschlag über den Schwefelgehalt in Kraftstoffen (17) die Senkung des Schwefelgehalts in den in See- und Binnenschiffen gebrauchten Kraftstoffen erreichen. Die Binnenschifffahrt stimmte einer Senkung des Schwefelgehalts in Kraftstoffen in einem einzigen Schritt von 1 000 ppm auf 10 ppm zu. Das Europäische Parlament billigte vor Kurzem diesen Vorschlag der Binnenschifffahrt und beschloss, ab 2011 in einem einzigen Schritt einen Schwefelhöchstgehalt von 10 ppm einzuführen. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die Binnenschifffahrt von emissionsfreien Technologien wie Brennstoffzellen profitieren. Das neue Binnenschiff „CompoCaNord“, das unlängst in Deutschland fertiggestellte „Futura“-Tankschiff und der niederländische fast völlig emissionsfreie Hybrid-Wasserstoff-Hafenschlepper sind konkrete Beispiele hierfür. Die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, der Schiene oder Binnenwasserstraßen innerhalb bzw. zwischen den Mitgliedstaaten ist Gegenstand einer neuen Gemeinschaftsvorschrift (18).

6.4.   Seit der letzten Erweiterungsrunde erstreckt sich das Binnenwasserstraßennetz nunmehr von der Nordsee über Rhein und Donau bis zum Schwarzen Meer. Das europäische Binnenwasserstraßennetz bietet ein großes Potenzial für einen verlässlichen Gütertransport und schneidet im Vergleich mit anderen Verkehrsträgern, die oftmals mit Überlastungs- und Kapazitätsproblemen zu kämpfen haben, gut ab.

6.5.   Die Binnenschifffahrt kann realistischerweise nicht als eine nationale Angelegenheit angesehen werden, die durch einzelstaatliche oder regionale Gesetzgebung geregelt wird. Schiffe unter kroatischer, ukrainischer, serbischer und moldauischer Flagge fahren bereits auf Binnenwasserstraßen (Flüsse und Kanäle) in der EU; die Liberalisierung der russischen Binnenschifffahrt und der Zugang europäischer Betreiber zu den russischen Binnenwasserstraßen und umgekehrt werden die EU-Binnenschifffahrt um eine internationale Dimension bereichern.

6.6.   Eine der wichtigsten Bedingungen und Herausforderungen für die Zuverlässigkeit der Binnenschifffahrt ist die Verbesserung der Infrastruktur, d.h. der Abbau von Engpässen und die erforderliche Wartung. Der Ausschuss verweist auf seine frühere Stellungnahme (19) und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Maßnahmen im Rahmen des NAIADES-Aktionsprogramms (20) der Binnenschifffahrt neue Impulse geben und die Finanzierung von Infrastrukturvorhaben ermöglichen werden.

6.7.   Als relativ selten genutzter Verkehrsträger sollte die Binnenschifffahrt nicht als Versuchsballon für die Internalisierung der externen Kosten herhalten. Jedwede Maßnahme zur verpflichtenden Einführung einer Kohlenstoffsteuer in der Binnenschifffahrt wird auf rechtliche Schwierigkeiten treffen, da gemäß der Mannheimer Akte (1868) keinerlei Steuern für die Rheinschifffahrt erhoben werden dürfen. Derzeit werden 80 % der Binnenschifffahrt auf dem Rhein abgewickelt. Der Ausschuss hält fest, dass die Unvereinbarkeit zwischen der Mannheimer Akte für die Rhein- und dem Belgrader Übereinkommen für die Donauschifffahrt in Bezug auf die Umweltvorschriften auf der Donau problematisch ist. Er schlägt daher vor, die Bemühungen der EU zur Vereinheitlichung der (ökologischen, sozialen und technischen) Rechtsvorschriften im Interesse der Förderung der Binnenschifffahrt voranzubringen.

Brüssel, den 13. Mai 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  KOM(2008) 433 endg., SEK(2008) 2206.

(2)  KOM(2008) 435 endg.

(3)  Der Begriff „Schiffsverkehr“, der für beide Verkehrsträger angewendet werden kann, verweist nur auf das Transportmittel, macht jedoch keinerlei Unterscheidung zwischen den Verkehrsträgern und den Umweltauswirkungen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die GD TREN den Straßen- und Schienenverkehr unter dem Oberbegriff „Landverkehr“ aufgenommen hat, nicht jedoch die Binnenschifffahrt.

(4)  ABl. C 168 vom 20.7.2007, S. 50; ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

(5)  Vgl. Fußnote 4.

(6)  Siehe die Initiative „Green Job“ des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP).

(7)  SEK(2007) 1278.

(8)  Siehe aktualisierte Studie der IMO aus dem Jahr 2000 zu den durch Schiffe verursachten Treibhausgasemissionen „Updated 2000 Study on Greenhouse Gas Emissions from Ships“.

(9)  KOM(2008) 763 endg.

(10)  ABl. C 211 vom 19.8.2008, S. 31.

(11)  Die Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe wird durch die Umsetzung der in den letzten Jahren angenommenen internationalen Übereinkommen über Verbots- und Beschränkungsmaßnahmen für schädliche Bewuchsschutzsysteme von Schiffen (AFS), zur Regelung und Kontrolle von Ballastwasser und Rückständen von Schiffen (BWM), zur Wrackbeseitigung und über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Bunkerölverschmutzung („Bunkeröl-Übereinkommen“) sowie des Übereinkommens über das sichere und umweltverträgliche Recycling von Schiffen (Annahme voraussichtlich 2009) gestärkt.

(12)  Dies seit 1981 bestehende HELMEPA diente als Vorbild für die Einrichtung von CYMEPA, TURMEPA, AUSMEPA, NAMEPA, UKRMEPA, URUMEPA und INTERMEPA.

(13)  Dieser Preis wird seit 2005 vom Internationalen Verband der unabhängigen Tankschiffeigner (International Association of Independent Tanker Owners - Intertanko) vergeben.

(14)  Organisation mit Sitz im Vereinigten Königreich (info@flyingforest.org).

(15)  Organisation mit Sitz in den Niederlanden (www.greenaward.org).

(16)  Richtlinie 2004/26/EG, ABl. L 225 vom 25.6.2004, S. 3.

(17)  KOM(2007) 18 endg.

(18)  Richtlinie 2008/68/EG, ABl. L 260 vom 30.9.2008, S. 13.

(19)  ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 218.

(20)  KOM(2006) 6 endg.


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