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Document 52008AR0337

Stellungnahme des Ausschusses der Regionen eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts

OJ C 200, 25.8.2009, p. 37–40 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.8.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 200/37


Stellungnahme des Ausschusses der Regionen „eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“

(2009/C 200/08)

EMPFEHLUNGEN DES AUSSCHUSSES DER REGIONEN

begrüßt die Form, in der die Sozialagenda die sozialpolitische Arbeit der Kommission zusammenfasst. Bei der erneuerten Sozialagenda und den in ihr vorgeschlagenen Maßnahmen handelt es sich weitgehend um praktische Vorbereitungsaktionen, die die Kommission bereits in Angriff genommen hat. Somit enthält die Agenda nur wenige neue Initiativen, die die Sichtbarkeit oder den wesentlichen Inhalt der Sozialpolitik der Union verbessern könnten;

betont die Bedeutung des sozialen und regionalen Zusammenhalts für das Erreichen aller Ziele der erneuerten Lissabon-Strategie und erinnert an die besondere Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Förderung dieser Strategie;

erinnert daran, dass wirtschaftliche und soziale Maßnahmen einander nicht automatisch flankieren und ergänzen, sondern dass zwischen ihren Zielen und Mitteln kontinuierlich ein tatsächlicher und gegenseitiger Ausgleich hergestellt werden muss. Dies ist gerade in der heutigen Zeit von besonderer Wichtigkeit, in der der schnelle Wandel in der Weltwirtschaft bei den Bürgern das Gefühl der Unsicherheit verstärkt;

betont, dass die sozialen Auswirkungen der EU-Politik in den einzelnen Bereichen systematisch berücksichtigt werden müssen. So hatte beispielsweise der Binnenmarkt mitunter unvorhergesehene soziale Auswirkungen, die nicht immer in ausreichendem Maße antizipiert werden konnten;

ersucht die Kommission, vergleichbare und multidimensionale Forschungserkenntnisse über die Stärkung der Funktionsfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung zusammenzustellen, wobei insbesondere die Handlungsvoraussetzungen für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die wichtige Erbringer von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen sind, zu beleuchten sind.

Berichterstatter

:

Veikko Kumpumäki (FI/SPE), Mitglied des Regionalrates von Lappland

Referenzdokument

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Eine erneuerte Sozialagenda: Chancen, Zugangsmöglichkeiten und Solidarität im Europa des 21. Jahrhunderts“

KOM(2008) 412 endg.

I.   POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER AUSSCHUSS DER REGIONEN

1.

begrüßt die Form, in der die Sozialagenda die sozialpolitische Arbeit der Kommission zusammenfasst. Bei der erneuerten Sozialagenda und den in ihr vorgeschlagenen Maßnahmen handelt es sich weitgehend um praktische Vorbereitungsaktionen, die die Kommission bereits in Angriff genommen hat. Somit enthält die Agenda nur wenige neue Initiativen, die die Sichtbarkeit oder den wesentlichen Inhalt der Sozialpolitik der Union verbessern könnten;

2.

erinnert daran, dass die öffentliche Konsultation, die im Rahmen der Bestandsaufnahme der sozialen Wirklichkeit in der EU durchgeführt wurde, ergab, dass das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union auf die eine oder andere Weise von einer glaubwürdigen europäischen Sozialpolitik als einem wesentlichen Bestandteil des europäischen Sozialmodells abhängt. Der Aufbau dieses Vertrauens ist von zentraler Bedeutung für Fortschritt, Erneuerung und die Bereitschaft zum Wandel;

3.

betont die Bedeutung des sozialen und regionalen Zusammenhalts für das Erreichen aller Ziele der erneuerten Lissabon-Strategie und erinnert an die besondere Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Förderung dieser Strategie;

Die soziale Dimension Europas

4.

erinnert daran, dass wirtschaftliche und soziale Maßnahmen einander nicht automatisch flankieren und ergänzen, sondern dass zwischen ihren Zielen und Mitteln kontinuierlich ein tatsächlicher und gegenseitiger Ausgleich hergestellt werden muss. Dies ist gerade in der heutigen Zeit von besonderer Wichtigkeit, in der der schnelle Wandel in der Weltwirtschaft bei den Bürgern das Gefühl der Unsicherheit verstärkt;

5.

betont, dass die sozialen Auswirkungen der EU-Politik in den einzelnen Bereichen systematisch berücksichtigt werden müssen. So hatte beispielsweise der Binnenmarkt mitunter unvorhergesehene soziale Auswirkungen, die nicht immer in ausreichendem Maße antizipiert werden konnten;

6.

unterstreicht die Wichtigkeit der in der Sozialagenda enthaltenen Aussage über die unveränderliche Gültigkeit der grundlegenden sozialen Ziele und das Bemühen der Union um harmonische, von Zusammenhalt und Integration geprägte Gesellschaften;

7.

weist darauf hin, dass die Sozialpolitik auch als ein Element gesehen werden muss, das die harmonische Gesellschaftsentwicklung sichert und stabilisiert — sie ist mehr als ein bloßer Faktor für Flexibilität und Wandel;

8.

anerkennt die Notwendigkeit einer umfassenderen Sozialagenda und die Bedeutung des lebenslangen Lernens als Kernbestandteil dieser Agenda. Allerdings darf Bildung nicht ausschließlich als Wettbewerbsfaktor verstanden werden — ihre große soziale Bedeutung muss ebenso gewürdigt werden. Neben der Gewährleistung der Erfolgsmöglichkeiten des Einzelnen müssen auch die soziale Sicherheit und Partizipation der weniger Erfolgreichen garantiert werden;

9.

unterstreicht die Bedeutung der Solidarität zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen und Generationen sowie zwischen den Regionen. Die Diskussionen über die sich wandelnde Altersstruktur der Bevölkerung und die Angemessenheit und Nachhaltigkeit der sozialstaatlichen Systeme müssen auf alle Alters- und Bevölkerungsgruppen ausgedehnt werden, wobei insbesondere auch auf die aktive Partizipation von Behinderten und eingeschränkt Erwerbsfähigen zu achten ist;

10.

ersucht die Kommission, vergleichbare und multidimensionale Forschungserkenntnisse über die Stärkung der Funktionsfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherung zusammenzustellen, wobei insbesondere die Handlungsvoraussetzungen für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die wichtige Erbringer von Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen sind, zu beleuchten sind;

11.

spricht sich für den Ausbau der europäischen Zusammenarbeit mit dem Ziel einer besseren Integration der Zuwanderer aus und betont, dass dabei das Fachwissen der regionalen und lokalen Ebene genutzt werden sollte;

Ziele der erneuerten Sozialagenda

12.

stellt in Bezug auf die drei ineinander greifenden Ziele Folgendes fest:

Bei dem Streben nach gleichberechtigten Chancen darf nicht die Bedeutung der Gleichheit bei den Endergebnissen der Politiken vergessen werden;

Zugangsmöglichkeiten bieten darf nicht heißen, dass die Dienstleistungen und Sozialleistungen von Bedarfsüberlegungen dominiert werden; vielmehr müssen auch die Möglichkeiten des allgemeinen Zugangs geprüft und gesichert werden;

Solidarität zeigen heißt auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Regionen bei der Ausrichtung von Gemeinschaftsmaßnahmen und -Finanzmitteln flexibel berücksichtigen;

13.

erinnert daran, dass die regionale und lokale Ebene in Bezug auf den Innovations- und Entwicklungsbedarf der EU einen großen Beitrag leisten kann. Ihr Wissen sollte im Zuge der der erneuerten Sozialagenda effizient genutzt werden;

Hauptziele der Agenda

14.

befürwortet, dass die Maßnahmen zugunsten von Kindern und Jugendlichen fortgesetzt werden, und unterstreicht dabei insbesondere die Bedeutung der Präventivmaßnahmen;

15.

erinnert daran, dass bei der Bewertung und der Verbesserung der Qualität der Bildungssysteme neben den Schulleistungen auch das Wohlbefinden, die Sicherheit und das Wohlfühlen der Schüler eine Rolle spielen sollten. Besonders sollte auf die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrkräfte sowie das Ziel der Gleichberechtigung auf allen Bildungsebenen geachtet werden;

16.

spricht sich dafür aus, dass die Methode der offenen Koordinierung in diesem Bereich für die Erfassung und die Entwicklung guter lokaler und regionaler Lösungen und Praktiken sowie zur Informationsverbreitung eingesetzt wird, damit diese breitere Anwendung finden können; stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Methode der offenen Koordinierung eine freiwillige Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ist;

17.

erinnert daran, dass Wachstum und Beschäftigung alleine noch nicht ausreichen, um eine sozial gerechte Gesellschaft zu schaffen; vielmehr wird auf allen Ebenen auch eine effiziente und verantwortungsvolle Sozialpolitik benötigt;

18.

betont, dass vielseitige und polyvalente Erkenntnisse gesammelt und verbreitet werden müssen, um praktikablen Flexicurity-Konzepten den Weg zu bereiten;

19.

betont, dass lebenslanges Lernen im Interesse aller Alters- und Bevölkerungsgruppen liegen und allen offen stehen sollte, dass dafür jedoch noch eine umfassende Bewusstseinsbildung der Bevölkerung erforderlich ist, und dass die Entwicklung einer hochwertigen Erwachsenenbildung umfassende Zusammenarbeit auf allen Verwaltungsebenen sowie zwischen den verschiedenen Akteuren erfordert. Bei Berufsausbildungen ist insbesondere darauf zu achten, dass diese dem Bedarf des Arbeitslebens entsprechen und das Bildungssystem im Bedarfsfall sehr rasch auf einen auftretenden Bildungsbedarf reagieren kann. Der Ausbildungsbedarf sollte nach Möglichkeit in Zusammenarbeit mit den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften prognostiziert werden;

20.

erinnert daran, dass die Gesellschaft auch Fachkräfte mit Qualifikationen im Bereich Pflege und Betreuung braucht, weshalb diese ebenfalls als Teil des in der Sozialagenda erwähnten „modernen Spektrums von Kompetenzen und Fertigkeiten“ genannt werden sollten;

21.

betont den Bedarf nach neuen Formen der Bildung, die Arbeit und Lernen miteinander vereinen und regt einen offenen Dialog über die Verantwortung von Behörden, Arbeitgebern und des Einzelnen bezüglich solcher Modelle an, die Arbeit und Lernen miteinander verbinden;

22.

betont das Ziel, gleichzeitig sowohl die Qualität des Arbeitslebens als auch die Arbeitsleistung zu verbessern und hält es für wichtig, diesbezügliche Forschungserkenntnisse und bewährte Praktiken zu verbreiten;

23.

bekundet seine Zufriedenheit darüber, dass die Kommission darauf achten will, dass es zu keinem Gegensatz zwischen den im Vertrag verankerten Grundfreiheiten und dem Schutz der Grundrechte kommt, und fordert die Kommission auf, in dieser Frage auch die Erfahrungen der regionalen und lokalen Ebene zusammenzutragen;

24.

betont, dass bei der Analyse und Entwicklung der europäischen Gesundheitssysteme deren weitere Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen, wozu auch die die Planbarkeit, die Qualität und die Verfügbarkeit der Dienstleistungen und Arbeitskräfte gehören. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften organisieren den Großteil der Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen und sind daher die zentralen Kooperationspartner bei dieser Arbeit;

25.

begrüßt ausdrücklich das Bestreben der Kommission, sicherzustellen, dass der Binnenmarkt und die Wettbewerbsbestimmungen die Entwicklung von hochwertigen, für alle verfügbaren Sozialdienstleistungen fördern. Voraussetzung dafür ist die Sicherung einer soliden Rechtsgrundlage für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und die Schaffung der notwendigen Kanäle für die offene Diskussion und Lösung von Problemen bei der Abstimmung der Sozialdienstleistungen auf die Bestimmungen des Binnenmarktes. Um ausreichende Informationen und eine umfassendere Nutzung bewährter Verfahren zu gewährleisten, sollten systematisch Daten über die Erfahrungen der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zusammengestellt werden. Diese Verpflichtung schließt jedoch keine umfangreichen Berichtspflichten der Mitgliedstaaten ein und es soll den Gebietskörperschaften dadurch kein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand erwachsen;

26.

empfiehlt die besonders starke Gewichtung der sozialen Rechte und der gemeinsamen Verantwortung bei dem Bestreben der Union, Armut und soziale Marginalisierung zu bekämpfen; es sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, ob Nahrungsmittelprogramme und Nahrungsmittelhilfe zum europäischen Sozialstaat des 21. Jahrhunderts gehören;

27.

hält die Förderung der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen, die Schließung des sog. „Gender Pay Gaps“ und das Erreichen einer tatsächlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf für wichtig;

28.

unterstützt die Betonung der neuen Priorität Nichtdiskriminierung und weist auf das bedeutende Potenzial der Europäischen Union als Vorkämpfer für die Nichtdiskriminierung hin;

Standpunkt des Ausschusses der Regionen

29.

begrüßt den umfassenden Ansatz der Sozialagenda, die Maßnahmen verschiedener Bereiche zusammenführt. Gleichwohl fordert der Ausschuss die Kommission auf, sicherzustellen, dass dadurch nicht die wichtigsten Herausforderungen für die traditionelle Sozialpolitik, sowie die notwendigen Schritte zur Bewältigung dieser Probleme ins Hintertreffen geraten, etwa die wachsende Einkommenskluft und die zunehmende Ungleichheit;

30.

hebt hervor, dass die in der Agenda vorgestellten Maßnahmen oft sehr verschiedenen Dimensionen angehören, die sich einander zuweilen widersprechen, was eingehender erörtert werden sollte. So müsste in Verbindung mit der Förderung der Mobilität auch im Auge behalten werden, dass die Abwanderung junger Menschen in einigen Gebieten eine Verzerrung der Altersstruktur mit sich bringt. Der Ausschuss der Regionen hebt hervor, dass auch für den „immobilen“ Bevölkerungsteil und in weniger attraktiven Regionen gleichberechtigte Chancen sicherzustellen sind. Auch die Umweltfolgen der wachsenden Mobilität dürfen nicht ausgeklammert werden;

31.

betont, dass die offene Koordinierung — wie auch andere Verfahren in der europäischen Sozialpolitik — ausgehend von jeweiligen sozialpolitischen Bedürfnissen der Mitgliedstaaten entwickelt werden muss, in denen wiederum die beste praktische Kenntnis auf lokaler und regionaler Ebene angesiedelt ist. Die Mitgliedstaaten und die Situationen in ihren Regionen sind sehr unterschiedlich, weshalb es nicht unproblematisch ist, mit quantitativen sozialpolitischen Zielen zu arbeiten. Die offene Koordinierung auf europäischer Ebene sollte hauptsächlich durch den Einsatz bei bestimmten zentralen Fragen optimiert werden, wie etwa für die Verbesserung der Berichterstattung und für wissenschaftliche Arbeiten sowie zur Förderung der Rolle des konkreten Fachwissens der regionalen und lokalen Ebene bei der Umsetzung und Entwicklung von Koordinierungsmethoden. So könnten die Effektivität und die Sichtbarkeit des Verfahrens und damit die Qualität der europäischen Sozialpolitik als wichtiger Bestandteil des europäischen Einigungswerks bedeutend vergrößert werden. Derzeit hat die Methode der offenen Koordinierung nur eine schwache Anknüpfung an die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften;

32.

erinnert an die Rolle und das Potenzial des sozialen Dialogs auf europäischer Ebene, wenn es um die Erarbeitung und Umsetzung von Initiativen im Rahmen der Sozialagenda auf Ebene der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften geht, und hält es für wesentlich, dass dieser Dialog weiterentwickelt wird.

Brüssel, den 22. April 2009

Der Präsident des Ausschusses der Regionen

Luc VAN DEN BRANDE


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