EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52007AE0805

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts KOM(2006) 708 endg.

OJ C 175, 27.7.2007, p. 65–73 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/65


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“

KOM(2006) 708 endg.

(2007/C 175/17)

Der Kommission beschloss am 22. November 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen „Grünbuch — Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 2. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 30. Mai) mit 140 gegen 82 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Das Grünbuch zur Modernisierung des Arbeitsrechts soll dazu dienen:

die zentralen Probleme zu ermitteln, die eine klare Diskrepanz zwischen dem derzeitigen Rechtsrahmen und der Arbeitsvertragssituation und den Gegebenheiten der Arbeitswelt erkennen lassen; dabei soll die Betonung eher auf den personenbezogenen Aspekten des Arbeitsrechts als auf tarifrechtlichen Fragen liegen;

eine Diskussion darüber einzuleiten, wie das Arbeitsrecht zur Förderung der Flexibilität in Verbindung mit Beschäftigungssicherheit, unabhängig von der Form des Arbeitsvertrags, sowie zu mehr Beschäftigung und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beitragen könnte;

die Diskussion darüber anzuregen, wie durch unterschiedliche Arten vertraglicher Beziehungen bei gleichen Arbeitsrechten für alle Arbeitnehmer und durch Vereinfachung des Eintritts in den Arbeitsmarkt sowie durch Unterstützung des lebenslangen Lernens und Förderung der Kreativität aller Arbeitskräfte sowohl den Arbeitnehmern als auch den Unternehmen geholfen werden kann;

einen Beitrag zur Agenda für bessere Rechtsetzung zu leisten durch Förderung der Modernisierung des Arbeitsrechts unter Berücksichtigung der Gesamtvorteile und Gesamtkosten und insbesondere der Probleme der kleinen und mittleren Unternehmen.

1.2

Das bedeutet, dass mit dem Grünbuch richtigerweise so unterschiedliche Bereiche wie dreiseitige Arbeitsverhältnisse, der Fall der selbständig, aber de facto wirtschaftlich vom Arbeitgeber abhängigen Erwerbstätigen, aber auch die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie sowie das schwerwiegende Problem der Schwarzarbeit angesprochen werden sollen.

1.3

Bei den möglichen Leitlinien zur Modernisierung des Arbeitsrechts, bei denen die EU die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzen kann, wird im Grünbuch davon ausgegangen, dass sich der Standardvertrag (unbefristeter Vollzeitvertrag) und die damit einhergehenden Schutzmechanismen für viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer als ungeeignet erweisen könnten, da sie die schnelle Anpassung der Unternehmen und die Entwicklung des Marktes erschweren, weshalb sie ein Hindernis für die Schaffung neuer Arbeitsplätze darstellen könnten und überarbeitet werden sollten.

1.4

Die Kommission kündigt an, dass mit dem Grünbuch — abgesehen von der Behandlung der Frage des individuellen Arbeitsrechts — eine Diskussion vorbereitet wird, die zu einer Mitteilung zur Flexicurity beitragen soll. Diese Mitteilung soll im Juni 2007 veröffentlicht werden und der Ausarbeitung dieses in mehreren Mitgliedstaaten bestehenden Begriffs dienen. Der Begriff „Flexicurity“ verknüpft anscheinend externe und interne Flexibilität der Arbeitnehmer mit einer Sicherheit, deren Umfang und Finanzierung bisher noch nicht besonders klar dargelegt sind. Die Diskussion soll also im zweiten Halbjahr über eine breitere Thematik fortgesetzt werden, wobei sicherlich die bereits per Gesetz oder Tarifvereinbarung eingeführten Elemente der Flexibilität sowie die Finanzierung dieser Flexicurity angesprochen werden sollten, ohne sich auf das eine oder andere Modell zu konzentrieren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Ausschuss nimmt mit Interesse die von der Kommission ergriffene Initiative zur Kenntnis, Überlegungen dazu anzustellen, inwiefern das Arbeitsrecht den Zielen der Lissabon-Strategie gerecht wird, die — abgesehen von sozialem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung — auf beständiges Wachstum sowie mehr und bessere Arbeitsplätze ausgerichtet sind. Er bedauert allerdings, dass diese Befassung in einem so engen Zeitrahmen erfolgt und verschiedene vorbereitende Arbeiten fehlen.

2.2

Im Kok-Bericht von November 2003 wurde Folgendes betont: „Die Flexibilität in Kombination mit der Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt sollte gefördert werden; dabei sollten vor allem sowohl Standard- als auch Nicht-Standardarbeitsverträge — für die Arbeitnehmer wie für die Arbeitgeber — attraktiv gemacht werden, um die Entstehung eines doppelten Arbeitsmarkts zu vermeiden. Der Begriff der Arbeitsplatzsicherheit sollte dahingehend modernisiert und ausgeweitet werden, dass er nicht allein die Sicherheit des Arbeitsplatzes umschließt, sondern auch die Mobilisierung der Fähigkeiten der Arbeitnehmer, damit sie im Arbeitsprozess bleiben und am Arbeitsplatz vorankommen können. Es ist wichtig, möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Produktivität zu steigern, indem Hindernisse für Unternehmensgründungen abgebaut und Umstrukturierungen besser vorweggenommen und gemeistert werden.“

2.3

Es ist sinnvoll, all diese verschiedenen Elemente der vom Rat gebilligten Schlussfolgerungen der Task-Force in Erinnerung zu rufen, da sie einen umfassenderen Überblick über die als Reaktion auf die überarbeitete Lissabon-Strategie vorgesehenen Arbeitsmarktreformen geben als das Grünbuch der Kommission, das sich auf begrenzte Bereiche des individuellen Arbeitsrechts konzentriert. Denn im Grünbuch werden die von Kok angestrebten Elemente nur teilweise aufgegriffen und wird die in der Sozialpolitischen Agenda angesprochene Frage des „sichereren Umfelds“ nicht thematisiert.

2.4

Durch einen verkürzten Ansatz bestünde die Gefahr eines Vertrauensverlusts der europäischen Bürger, deren Skepsis gegenüber dem europäischen Sozialprojekt sowieso schon immer größer wird. Die Kommission hält es für sinnvoll, die Anpassung des in Standardverträgen (unbefristeter Vollzeitvertrag) vorgesehenen Ausmaßes an Flexibilität bezüglich Kündigungsfristen, Kosten und Verfahren bei Einzel- oder Massenentlassungen oder auch der Definition von „ungerechtfertigter Kündigung“ in Betracht zu ziehen, obwohl es sich dabei doch um den historischen Dreh- und Angelpunkt der beruflichen Absicherung der Arbeitnehmer handelt.

2.5

Der Ausschuss ist besorgt über die implizite Feststellung, dass das Arbeitsrecht derzeit mit der überarbeiteten Lissabon-Strategie nicht zu vereinbaren wäre, ihr als Beschäftigungshemmnis entgegenstünde und in seiner jetzigen Form keine ausreichende Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und der Arbeitnehmer garantieren könne.

2.6

Der Ausschuss stellt fest, dass nicht alle Ziele der 2000 festgelegten Strategie erreicht wurden, hält es aber für erforderlich, bei der Analyse der Gründe für diese Situation vorsichtig vorzugehen und sich nicht ausschließlich auf das Arbeitsrecht zu konzentrieren. Die überarbeitete Lissabon-Strategie muss darauf ausgerichtet sein, Europa wettbewerbsfähiger zu machen, aber auch zu befähigen, wieder Vollbeschäftigung in einer Gesellschaft zu erreichen, die mehr auf die Wahrung des Gleichgewichts zwischen Familie und Arbeit ausgerichtet und den Karriereentscheidungen der Menschen besser angepasst ist, indem in die Anpassungsfähigkeit der Menschen investiert und die soziale Ausgrenzung bekämpft wird. Die Modernisierung des Arbeitsrechts darf nur ein Element unter anderen sein, um diese Ziele zu erreichen.

2.7

Deshalb beabsichtigt der Ausschuss, bevor er sich zur Ausrichtung einer Modernisierung des Arbeitsrechts in Europa ausspricht, verschiedene Erwägungen und Initiativen der Kommission selbst wieder aufzugreifen. Dazu gehören der bei Professor Supiot in Auftrag gegebene Bericht, von dem in diesem Zusammenhang zu wenig gesprochen wird, oder z.B. die Schlussfolgerungen des Rates „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz“ vom 30.11./1.12.2006 zu „einer menschenwürdigen Arbeit für alle“. Mit dem Supiot-Bericht sollte eine konstruktive Längsschnittuntersuchung über die Zukunft von Beschäftigung und Arbeitsrecht in einem interkulturellen und interdisziplinären Gemeinschaftsrahmen durchgeführt werden, aber das Grünbuch scheint nicht hinreichend daran anzuknüpfen.

2.8

Welches Bild ergibt sich bzw. welche Bilanz lässt sich aus den öffentlichen Statistiken und den Erfolgen des durch das Arbeitsrecht bestehenden Schutzrahmens im Hinblick auf das Ziel „mehr und bessere Arbeitsplätze“ ziehen?

2.9

Im Schlussbericht der Supiot-Gruppe wurden verschiedene Themen aufgegriffen, die die richtigen Fragen zur Entwicklung des Arbeitsverhältnisses bündeln: Globalisierung des Wettbewerbs und der Wirtschaftstätigkeit, Auswirkungen der Konsumhaltungen und -gewohnheiten, Liberalisierung der Märkte, technologische Veränderungen, die Veränderung der Arbeitnehmer selbst hin zu mehr Bildung, Qualifikationen, Selbständigkeit, Mobilität und Individualismus, ohne die neuen Unternehmenspraktiken bei der Humanressourcenverwaltung, der Entlohnung der Arbeitnehmer und den Anforderungen in punkto Vielseitigkeit oder Arbeitszeitflexibilität zu vergessen. In dem Bericht wurden die Frage der Flexibilität und der Sicherheit sowie das sehr wichtige Thema „beruflicher Richtungswechsel“ unter Ankündigung des „Endes der linearen Berufslaufbahn“ behandelt.

2.10

Von den spezifischen demokratischen Forderungen, die durch das Arbeitsrecht im sozialwirtschaftlichen Bereich geschaffen wurden, hat die Supiot-Gruppe vier herausgegriffen, die in der durch das Grünbuch eingeleiteten Diskussion nichts an Aktualität verloren haben (1):

die Forderung nach Gleichheit, einschließlich der Problematik der Gleichstellung der Geschlechter und ganz allgemein der Nichtdiskriminierung, ist nach wie vor ein aktueller Ansatz, da dadurch die Lösung der Probleme der Prekarität und des doppelten Arbeitsmarkts besser angegangen werden kann;

die Forderung nach Freiheit, die den Schutz des Erwerbstätigen vor Abhängigkeit impliziert, ist nach wie vor eine Lösung für die Probleme des verdeckten Arbeitsverhältnisses, der Scheinselbständigkeit und der Schwarzarbeit;

die Forderung nach individueller Sicherheit stellt weiterhin eine Lösung für das Problem der sozialen Unsicherheit im weitesten Sinne dar, die die Arbeitnehmer bzw. Sozialhilfeempfänger empfinden;

die Forderung nach kollektiven Rechten, die sich in der Mitwirkung der Arbeitnehmer am Sinn und Zweck der Arbeit sowie an der Wirtschaftsentwicklung konkretisieren.

2.11

Nach Meinung des Ausschusses sollte sich die Kommission bei der Diskussion um die Modernisierung des Arbeitsrechts und die normalerweise mit einem Arbeitsvertrag einhergehenden Schutzmechanismen wie Gesundheitsschutz und Sicherheit, Arbeitsunfälle, Arbeitszeitgestaltung oder bezahlter Urlaub von den vorgenannten Forderungen leiten lassen.

2.12

Im Grünbuch wird die in den meisten Ländern bestehende Kluft zwischen den existierenden rechtlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen und der derzeitigen Realität der Arbeitswelt hervorgehoben, die in einem relativ kurzen Zeitraum, seit Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, entstanden ist. Zu keinem Zeitpunkt aber wird die historische Schutz- und Emanzipationsfunktion des Arbeitsrechts im weiteren Sinne, einschließlich des aus den Tarifverhandlungen hervorgegangenen Arbeitsrechts, mit seinen Besonderheiten angesprochen, die durch die kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und juristischen Ansätze der verschiedenen Mitgliedstaaten bedingt sind.

2.13

Die Wahrung eines gewissen Gleichgewichts zwischen den Parteien wird nicht nur durch das Arbeitsrecht, sondern auch durch den sozialen Dialog gewährleistet.

2.14

Jede Argumentation, die ein Arbeitsrecht mit Schutzmechanismen als Hindernis für Wachstum und Beschäftigung ansieht, wäre eine verkürzte Sichtweise, bei der das Arbeitsrecht auf ein schlichtes arbeitsmarktpolitisches Instrument bzw. eine wirtschaftliche Variable reduziert würde.

2.15

Da die Arbeitnehmer immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Arbeitgebern stehen, sollte die im Wesentlichen auf Schutz und Emanzipation ausgerichtete Funktion des Arbeitsrechts bekräftigt werden. Seine Anwendung sollte unter Berücksichtigung der neuen Herausforderungen von Globalisierung und Überalterung der Bevölkerung besser gewährleistet werden, um Druck auf die Arbeitnehmer zu vermeiden. Dabei kommt der Europäischen Union gewiss eine Rolle gegenüber den Mitgliedstaaten zu.

2.16

Im Jahr 2000 wurde von der Kommission eine Initiative gestartet, die auf eine Debatte über das Erfordernis, die wesentlichen Elemente des Rechtssystems und der Tarifvereinbarungen zu bewerten, hinauslaufen sollte, um sich zu vergewissern, dass sie einer modernen Organisation, aber auch einer Verbesserung der Arbeitsbeziehungen entsprachen.

2.17

Diese Verbesserungsinitiative wurde nicht fortgesetzt, obwohl es offensichtlich erscheint, dass sie hätte abgeschlossen werden müssen, um das Ziel einer Modernisierung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erreichen; Jahre später wurde dieses Thema von der derzeitigen Kommission wieder aufgegriffen, aber unter einem anderen Blickwinkel.

2.18

Der Ausschuss sieht sich verpflichtet, auf verschiedene, erhebliche Lücken hinzuweisen, die die im Grünbuch geführte Argumentation und die dort dargelegten Perspektiven außerordentlich schwächen. Folglich hebt er verschiedene Punkte hervor, die bedauerlicherweise nicht vertieft oder herausgestellt wurden:

das Bemühen um ein wettbewerbsfähiges Wirtschaftswachstum steht nicht im Widerspruch zur sozialen Dimension der europäischen Integration und ihrer Entwicklung;

das Arbeitsrecht beschränkt sich nicht auf den individuellen Arbeitsvertrag, sondern umfasst auch das kollektive Arbeitsrecht;

der Begriff „menschenwürdige Arbeit“, der in den Verpflichtungen zur Zusammenarbeit zwischen EU und Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) festgeschrieben ist, und die positiven Bemühungen der Mitgliedstaaten und Kandidatenländer der EU im Juni 2006 anlässlich der Annahme der Empfehlung Nr. 198 der ILO müssen in der Praxis zum Tragen kommen. Die ILO-Empfehlung enthält sinnvolle Definitionen und operative Grundsätze, um die Unsicherheiten bezüglich des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zu beseitigen und so einen fairen Wettbewerb und den tatsächlichen Schutz der Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis zu gewährleisten; (2)

die Sozialpartner haben sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene durch ihre Abkommen und Tarifvereinbarungen bereits zur Sicherung der neuen, auch atypischen Vertragsformen beigetragen und so ihre Fähigkeit bewiesen, das Arbeitsverhältnis an neue Gegebenheiten anzupassen und flexible Formen mit angemessenen Garantien ins Auge zu fassen;

der soziale Dialog ist ein Instrument zur Koregulierung, das es von nun an zu fördern und effektiver und effizienter zu gestalten gilt, damit die Flexibilität des Arbeitsvertrags besser flankiert werden kann;

Sicherheit im Arbeitsverhältnis ist Voraussetzung für die Steigerung der Produktivität, denn materielle Unsicherheit schafft keine neuen Arbeitsplätze. Mobilität und Flexibilität können zu einer Steigerung der Produktivität und Sicherheit führen, aber die Änderungen dürfen nicht zur Zunahme der Working Poor (unter der Armutsgrenze lebende Erwerbstätige) führen;

die Lösung liegt nicht in einer Argumentation, die die Arbeitnehmer zu Gegnern macht und ihnen die Verantwortung zuschiebt, eine Lösung für die Arbeitslosigkeit sowie das Missverhältnis zwischen Ausbildung und geforderten Kompetenzen zu finden;

dieser neue flexible Standardvertrag, mit dem vorgeblich der Konflikt zwischen innerhalb und außerhalb des Systems befindlichen Arbeitnehmern gelöst werden soll, kann ihnen nicht die Verantwortung für die Entscheidungen zur Überwindung des doppelten Arbeitsmarktes aufbürden; dieser Vertrag würde zudem, wenn er zustande käme, die eigentlichen Beschäftigungshemmnisse nicht beseitigen.

2.19

Nach Ansicht des Ausschusses ist die Zeit reif, um eine vollständige und ernsthafte Analyse hauptsächlich zu folgenden Aspekten durchzuführen:

zu einer Bilanz der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten bezüglich der bestehenden Schutzmechanismen, ihren Zielen, ihrer Wirksamkeit sowie des Zugangs zu gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktbeilegungsgremien und -verfahren;

zum Beitrag des sozialen Dialogs zum Ansatz für die Modernisierung und Verbesserung des Arbeitsrechts und für menschenwürdige Arbeit sowie zur Bekämpfung der Schwarzarbeit; zur Frage des Funktionierens des Arbeitsmarkts und der Arbeitsorganisation in Unternehmen auf geeigneter Ebene (EU, Mitgliedstaaten, Regionen, Unternehmen oder Gruppen sowie auch grenzübergreifend);

zur Berücksichtigung der öffentlichen Dienste und der aktiven Rolle, die effiziente und hochwertige öffentliche Dienste für Beschäftigung und Wachstum spielen;

zur Berücksichtigung der Unternehmensführung, der Einbindung der Arbeitnehmer sowie der Kontroll- und Warnmechanismen der Arbeitnehmervertretungen (insbesondere innerhalb der Betriebsräte) bei der Anpassung an den Wandel und im Hinblick auf Umstrukturierungen;

zu dem Platz, der den wirklich Selbständigen zugestanden wird, die — auch in der Sozialwirtschaft — eine entscheidende Rolle für die Förderung des Unternehmergeists und die Gründung von KMU spielen, und zur Einführung geeigneter Schutzmechanismen für wirtschaftlich abhängige Erwerbstätige, wobei die besonderen Umstände für bestimmte selbständige Berufe (z.B. im Bereich Direktvertrieb) zu berücksichtigen sind;

zur Propagierung der ILO-Empfehlung von 2006 betreffend das Arbeitsverhältnis (Nr. 198);

zu den Auswirkungen der Schwarzarbeit und zur Frage eines sozialen Europols auf der Grundlage der Instrumente zur Ahndung der Schwarzarbeit durch eine bessere Koordinierung der zuständigen Verwaltungen auf europäischer Ebene;

zu den Auswirkungen der Migrationsbewegungen, die es besser zu koordinieren gilt;

zu den Lösungen, von denen alle profitieren, d.h. zu einer sinnvollen Nutzung der Flexibilität angesichts der Bedürfnisse der Unternehmen sowie der Bedürfnisse und Forderungen der Arbeitnehmer, die so wieder selbst über ihren Lebensplan bestimmen können;

zu den Überlegungen und Initiativen zu Bildung, Erstausbildung und Weiterbildung beispielsweise von aktiven, durch Umstrukturierungen bedrohten oder nach einer Laufbahnunterbrechung aus persönlichen Gründen auf den Arbeitsmarkt zurückkehrenden Arbeitnehmern sowie zu einer Absicherung der Berufslaufbahnen, statt auf bestimmte Vorschläge eines hypothetischen „Einheitsvertrags“ zu setzen.

2.20

Die Agenda der deutschen Präsidentschaft, das Wiederaufgreifen der „Qualität“ der Arbeit anlässlich des informellen Treffens der für Beschäftigung und Sozialpolitik zuständigen Minister im Januar 2007 sowie das kürzlich von 9 Arbeitsministern verfasste Schreiben für „neuen Schwung für das soziale Europa“, einschließlich insbesondere der im Anhang aufgezeigten Ansätze zu Beschäftigungspolitik und Flexicurity, haben Perspektiven für die vom Ausschuss gewünschte detaillierte Analyse und für die Neubelebung der sozialen Komponente der europäischen Integration eröffnet.

3.   Besondere Bemerkungen: Antworten bzw. Kommentare zu den von der Europäischen Kommission gestellten Fragen

3.1   Welche Punkte sollten Ihrer Ansicht nach auf der Agenda einer sinnvollen Arbeitsrechtsreform ganz oben stehen?

3.1.1

Das Arbeitsrecht hat seine Gültigkeit als Schutzrecht für Arbeitnehmer wie für Arbeitgeber nicht verloren: Ersteren gewährleistet es eine faire Grundlage für die Festlegung eines legalen Arbeitsvertrags mit ausgewogenen Rechten und Pflichten unter Berücksichtigung des Direktions- und Weisungsrechts des Arbeitgebers, dem sie unterstehen; Letzteren bietet es eine äußerst wichtige Rechtssicherheit, insofern als die verschiedenen Standardverträge klar definiert und ihre wesentlichen Klauseln je nachdem festgelegt bzw. mit einem Rechtsrahmen versehen sind, auch bei einseitiger Vertragsauflösung; zudem sorgt das Arbeitsrecht z.B. im Bereich zivilrechtliche Haftung für Garantien und Rechtssicherheit bei Entschädigung und Anerkennung möglicher Invaliditäten des Arbeitnehmers und — wenn die Sicherheitsnormen eingehalten wurden — bei Begrenzung der Haftpflicht ohne Schuld des Arbeitgebers; Tarifverhandlungen und beratende Gremien tragen zu guten Arbeitsbeziehungen und, wenn nötig, zu geeigneten Lösungen im Streitfall bei.

3.1.2

Bei wünschenswerten vorrangigen Änderungen sollte das Arbeitsrecht unter Beachtung der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Gesetze und üblichen Verfahrensweisen einen Rahmen für die sich entwickelnden, neuen flexiblen Vertragsformen bilden, um seiner Funktion für den Schutz und die Ausgewogenheit des Arbeitsverhältnisses sowie für die Gewährleistung der Rechtssicherheit für die Parteien im Falle einer begründeten Kündigung, eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit unter neuen Bedingungen weiterhin gerecht zu werden; im Übrigen sollte das moderne Arbeitsrecht den Arbeitnehmern die Möglichkeit bieten, während ihres gesamten Erwerbslebens Rechte für ihre berufliche Laufbahn zu erlangen, um zwischen ständiger Weiterbildung und verschiedenen Vertragsformen abzuwechseln, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den individuellen Bedürfnissen, z.B. nach Abstimmung von Arbeits- und Privatleben, nach Beförderung oder Umschulung, entsprechen können. Von der Arbeit, die von zufriedenen Arbeitnehmern geleistet wird, können auch die Arbeitgeber langfristig gesehen nur profitieren.

3.1.3

Bei der Reform des Arbeitsrechts müssen positive Maßnahmen im Interesse der Menschen gefördert werden, die völlig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind. Die Arbeitsrechtsreformen müssen daher dazu genutzt werden, ohne prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, neue Wege für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, was die Förderung des Zugangs zu lebenslangem Lernen und sozialwirtschaftlicher Initiativen zur beruflichen Eingliederung einschließt.

3.1.4

Ferner sollte für dreiseitige Arbeitsverhältnisse ein besserer Rahmen geschaffen werden, um die Rechte und Pflichten aller Beteiligten, einschließlich zivil- und strafrechtlicher Haftung, zu präzisieren; auch für die wirtschaftlich von einem Hauptarbeitgeber, dem sie de facto bei der Ausführung der Arbeit unterstellt sind, abhängigen Erwerbstätigen sollte es geeignete Schutzmechanismen geben, insbesondere bezüglich Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und Sozialschutz. Eine Änderung der Normen in diesem Bereich muss jedoch mit größter Umsicht vorgenommen werden und den besonderen Umständen der verschiedenen Gruppen wirtschaftlich abhängiger Selbständiger (z.B. im Direktvertrieb) ist Rechnung zu tragen, damit diese nicht ihre Erwerbsquelle und die Möglichkeit zur Ausübung einer ihren Erwartungen entsprechenden Tätigkeit verlieren.

3.1.5

Außerdem sind die Bekämpfung von Schwarzarbeit und die rechtliche Formalisierung von Arbeitsverhältnissen unabdingbar; hierzu und ganz allgemein zur Gewährleistung der Wirksamkeit der anwendbaren Rechts- und Vertragsbestimmungen ist eine verstärkte Arbeitsaufsicht wünschenswert.

3.1.6

Die im Juni 2006 von der internationalen Arbeitskonferenz angenommene ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis bietet den Mitgliedstaaten wichtige Inspirationsquellen für die Anpassung des Arbeitsrechts an die technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen, die Produktion, Dienstleistungen und Welthandel seit mehr als zwanzig Jahren von Grund auf verändern (3).

3.2   Kann eine Anpassung des Arbeitsrechts und der Tarifverträge zur Erhöhung der Flexibilität und der Beschäftigungssicherheit sowie zur Verringerung der Segmentierung des Arbeitsmarktes beitragen? Wenn ja, wie?

3.2.1

Die Praxis zeigt, dass die Marktsegmentierung durch die Zunahme der flexiblen Verträge ohne entsprechende Regelung steigt und die Unsicherheit zunimmt, z.B. in Form geringerer Einkommen bei den am weitesten verbreiteten Verträgen (Teilzeit), weshalb Grundbedürfnisse nicht hinreichend befriedigt werden können, sowie in Form geringeren Sozialschutzes (Schwellen für den Zugang zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit, zu einer Zusatzrente oder zur Weiterbildung). Der Länge des Arbeitstages sollte ebenfalls Rechnung getragen werden, da die Arbeitnehmer bei Aufteilung der Teilzeit- oder Vollzeitarbeit auf den gesamten Tag in der Praxis die Zeit, in der sie nicht arbeiten, nicht für ihre persönlichen Tätigkeiten nutzen können.

3.2.2

Außerdem zeigt die Praxis, dass die am weitesten verbreiteten flexiblen Verträge (befristete und Teilzeitverträge) häufig Personen angeboten werden, die eher eine Vollzeitbeschäftigung vorziehen würden. Zwar können diese Verträge einen guten Startpunkt für das weitere Arbeitsleben junger Menschen und eine ausgezeichnete Möglichkeit für die Vereinbarung von Arbeit und Familienleben darstellen, sie werden aber nicht immer freiwillig eingegangen. Ältere Arbeitnehmer hingegen finden nur schwer selbst eine zeitlich befristete Beschäftigung. Die Marktsegmentierung ist nicht den Arbeitnehmern anzulasten, sie ist auf die Arbeitgeber zurückzuführen, die in letzter Instanz einseitig über die Art des angebotenen Vertrags entscheiden. Das Arbeitsrecht muss darauf abzielen, Diskriminierungen gegenüber Jugendlichen, Frauen und älteren Arbeitnehmern beim Zugang zum Arbeitsmarkt und bei der Entlohnung zu verhindern.

3.2.3

Damit die Flexibilität freiwillig und nicht diskriminierend ist, um mehr Sicherheit zu bieten und es den Arbeitnehmern zu ermöglichen, ihr Leben eigenständig zu organisieren (Jugendliche mit befristetem Vertrag, die aufgrund der zu hohen Wohnungskosten gezwungen sind, bei ihren Eltern zu leben; Alleinerziehende mit einem nicht freiwillig eingegangenen Teilzeitvertrag, die dadurch häufig zu „Armen trotz Erwerbstätigkeit“(Working Poor) werden), sollte das Arbeitsrecht vorrangig über den — je nach Land zwei- oder dreiseitigen — sozialen Dialog sowie auf geeigneter Ebene in dem in der Antwort auf die erste Frage genannten Sinn grundlegend reformiert werden.

3.3   Wirken die geltenden Regelungen, seien es Gesetze oder Tarifverträge, hemmend oder fördernd auf Unternehmen und Beschäftigte, die die Chancen zur Erhöhung der Produktivität nutzen und sich an die Einführung neuer Technologien und an die mit dem internationalen Wettbewerb verbundenen Veränderungen anpassen wollen? Wie können die für die KMU relevanten Regelungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der angestrebten Ziele verbessert werden?

3.3.1

Der Ausschuss kann nicht im Namen der 27 Mitgliedstaaten antworten, formuliert jedoch einige besondere Bemerkungen. Für den Wettbewerb gewappnet zu sein bedeutet, fast ständig Innovationen durchzuführen oder auf Qualität zu setzen.

3.3.2

Die tatsächlichen Produktivitätsfaktoren liegen in der Kompetenz der Arbeitnehmer, also in Ausbildung und Erfahrung, sowie in der Umsetzung neuer Technologien, was von den öffentlichen wie privaten Investitionen in Bildung und Ausbildung sowie in Forschung und Entwicklung abhängt (wobei es in Europa hauptsächlich an privaten Investitionen mangelt).

3.3.3

Die (rechtlichen und vertraglichen) Regelungen (wie der Handlungsrahmen der Sozialpartner zur Ausbildung) müssen also auf fortgesetzte Bildung und Ausbildung sowie Anpassung an die neuen Technologien im Rahmen der Beschäftigung bzw. der beruflichen Laufbahn ausgerichtet sein und gerecht auf die verschiedenen Arbeitnehmerkategorien angewandt werden; Unternehmen, die Kompetenzen schaffen und erhalten wollen, müssen gemeinsam mit der öffentlichen Hand oder geeigneten Einrichtungen Anstrengungen leisten. Im Gegenzug erlangen die Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil und die Arbeitnehmer eine höhere Beschäftigungsfähigkeit; die Rechtsetzung kann den Ausbau von Kompetenzen und Qualifikationen fördern, indem die Finanzierung und die Einrichtung der Ausbildungsstrukturen organisiert bzw. erleichtert sowie Ausbildungsrechte und -anreize (Bildungsurlaub, Zeitkonto) während der gesamten beruflichen Laufbahn (über aufeinander folgende Verträge und Arbeitgeber hinweg) entsprechend den bestehenden oder noch einzuführenden Gesetzen und Verfahrensweisen sowie durch Tarifverhandlungen präzisiert werden (4).

3.3.4

Mit Hilfe der Rechtsetzung und lokaler Finanzierungen, z.B. für KMU, lassen sich genossenschaftlich organisierte Anstrengungen für Qualifizierung und Ausbildung fördern, um die Kosten innerhalb eines Gebietes zu verteilen, da es für Kleinstunternehmen und Selbständige unmöglich ist, neben dem Sammeln von Erfahrungen am Arbeitsplatz selbst, Ausbildungen von einer gewissen Dauer zu organisieren und zu finanzieren.

3.3.5

Mit dem Arbeitsrecht im weiteren Sinne lässt sich jedoch nur ein kleiner Teil (Weiterbildung, Einbindung der Arbeitnehmer) der für die Beherrschung der neuen Technologien und die Anpassung an den industriellen und gesellschaftlichen Wandel unabdingbaren Aspekte abdecken; auch Hochschulbildung, Forschung, Risikokapital, Gründer- und Innovationszentren haben ihre Funktion im Rahmen einer wettbewerbsfähigen und koordinierten Industriepolitik auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene.

3.4   Wie könnte die Aufnahme befristeter oder unbefristeter Arbeitsverhältnisse arbeitsrechtlich oder tarifvertraglich erleichtert werden, sodass im Rahmen der zu Grunde liegenden Arbeitsverträge ein höherer Grad an Flexibilität ermöglicht und gleichzeitig aber auch eine angemessene Beschäftigungssicherheit und ein angemessener sozialer Schutz gewährleistet werden?

3.4.1

Ein derartiger Ansatz ist kaum akzeptabel, wenn unter Flexibilität mehr oder unsicherere Beschäftigungsformen verstanden werden; Flexicurity wird als Möglichkeit definiert, verschiedene Formen der Arbeitsmarktflexibilität und Sicherheit kombinieren zu können, um auf ausgewogene Weise eine bessere Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer und der Unternehmen sicherzustellen und diese zugleich vor Risiken zu schützen. Bei Flexicurity geht es somit um mehr als um den Ausgleich zwischen externer Flexibilität und den Systemen der sozialen Sicherheit. Je flexibler ein Vertrag ist, desto geringer ist die Beschäftigungssicherheit und desto stärker müssen die Schutzmechanismen sein (Sozialschutz, abgesicherte berufliche Laufbahn oder soziale Sicherung im beruflichen Bereich während des gesamten Erwerbslebens) (5).

3.4.2

Die Frage impliziert, dass Flexibilität Arbeitsplätze schafft, wobei diese Behauptung in keiner Weise dokumentiert oder bewiesen wird. Die Sicherheit fällt eher unter das Sozialrecht, das im Grünbuch nicht behandelt wird.

3.5   Wäre es hilfreich, über eine Kombination von flexibleren Kündigungsschutzgesetzen und gut durchdachten Unterstützungsleistungen für Arbeitslose nachzudenken, sowohl in Form von Lohnersatzleistungen (d.h. passiver Leistungen der Arbeitsmarktpolitik) als auch von aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik?

3.5.1

Eine wirklich gut konzipierte Unterstützung der Arbeitslosen muss in jedem Fall und unabhängig vom Umfang des „Schutzes“ mit ernsthaften Schulungen bzw. glaubhaften Umschulungen einhergehen. Zudem umfasst sie eine maßgeschneiderte Unterstützung für Unternehmen, die bereit sind, am Rande des Arbeitsmarkts stehende Menschen (z.B. Langzeitarbeitslose) einzustellen. Eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“ bedeutet nicht, jede angebotene, selbst weniger qualifizierte und weniger gut bezahlte Stelle annehmen zu müssen, um nicht jegliche Unterstützung zu verlieren.

3.5.2

Je nach Geschichte, sozialer Situation und Rolle der Tarifverhandlungen werden die Lösungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausfallen; der Subsidiarität kommt im Arbeitsrecht eine wichtige Rolle zu, was auch für die Umsetzung der europäischen Richtlinien gilt, unabhängig davon, ob sie einem europäischen Rahmenabkommen oder einer Gemeinschaftsinitiative entspringen; selbstverständlich muss auch die europäische Ebene ihrer Verantwortung gerecht werden, Verhandlungen fördern, in ihren Zuständigkeitsbereichen konkrete Vorschläge unterbreiten und „bessere Rechtsetzung“ nicht mit „Deregulierung“ verwechseln.

3.6   Welche Rolle könnten Gesetze und/oder von den Sozialpartnern ausgehandelte Tarifverträge spielen im Hinblick auf die Förderung des Zugangs zur Ausbildung und die Erleichterung von Übergängen zwischen verschiedenen Vertragsformen mit dem Ziel, eine zunehmend bessere Beschäftigungssituation im Laufe eines durchgehend aktiven Berufslebens zu erlangen?

3.6.1

Zur Gewährleistung ständiger Weiterbildung und beruflicher Richtungswechsel sind solide und beständige Normen erforderlich; der jeweilige Anteil von Normen und Tarifvereinbarungen wird je nach den in den Ländern bestehenden „Modellen“ variieren, da die dortigen rechtlichen und sozialen Bedingungen, die Stärke der Vertretungsorganisationen sowie die Traditionen und Verfahrensweisen je nach Sozialgeschichte und Möglichkeiten, von den Sozialpartnern eingegangene Kompromisse sehr langfristig einzuhalten, voneinander abweichen. Das liefe auf die Einführung eines echten Statuts zum Schutz der Arbeitnehmer hinaus.

3.6.2

Das einzuführende System betrifft die Arbeitsverträge und muss gleichzeitig durch für die Unterstützung der Übergänge und die finanzielle Unterstützung (Finanzierungsformen sind noch auszuhandeln bzw. zu diskutieren) zuständige Institutionen sowie durch öffentliche, kollektive oder genossenschaftlich organisierte Ausbildungseinrichtungen oder durch Ausbildungskonzepte im Unternehmen (lernendes Unternehmen) eine konkrete Form erhalten.

3.6.3

Hier könnte das Arbeitsrecht wirksam zur Verwirklichung der Ziele von Lissabon beitragen und zwar sowohl im Bereich der Wissensgesellschaft als auch im Bereich der Sicherheit, die es ermöglicht, sein Leben zu gestalten und Zukunftspläne zu schmieden, wodurch auch Produktivität und Qualität der Arbeit direkt gesteigert werden.

3.7   Ist bei den in den Mitgliedstaaten geltenden juristischen Definitionen von Beschäftigung und Selbstständigkeit größere Klarheit erforderlich, um „Bona-fide“-Übergänge zwischen Beschäftigung und Selbstständigkeit und umgekehrt zu erleichtern?

3.7.1

Solche Überlegungen lassen sich zwar auf der Grundlage ausreichend detaillierter Vergleichsstudien anstellen, aber diese Frage scheint weitgehend theoretischer Natur zu sein, da die Harmonisierung des Arbeitsrechts oder des Sozialschutzes nicht auf der Tagesordnung stehen; die nationalen Definitionen und die dazugehörige Rechtsprechung sind operativ, und es scheint sinnvoller zu sein, sie beizubehalten, da es hier um die oberste Einteilung zwischen Arbeitsrecht und Zivil- bzw. Handelsrecht geht.

3.8   Braucht man einen Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen aller Beschäftigten, unabhängig von der Form ihres Vertrags, regeln? Wie würden sich derartige Mindesterfordernisse Ihrer Ansicht nach auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und auf den Schutz der Beschäftigten auswirken?

3.8.1

Alles hängt davon ab, was in diesen „Grundstock an Vorschriften, welche die Beschäftigungsbedingungen regeln“ aufgenommen wird; wenn es sich um Fragen wie Arbeitszeit, Anpassung der Arbeitszeiten oder Entgelt handelt, so werden diese durch die Vertragsform und die rechtlich anwendbaren allgemeinen Bedingungen geregelt.

3.8.2

Mitwirkungsrechte, Grundfreiheiten, der Gleichheits- und der Nichtdiskriminierungsgrundsatz, das Recht auf Schutz vor Risiken (wie Unfall, Krankheit und Arbeitslosigkeit) u.a. sind ganz eindeutig von ihrer Natur als Grundrechte her vom Arbeitsvertrag unabhängig. Es ist völlig ausgeschlossen, ihre Qualifizierung als „Mindesterfordernisse“ oder ihre „Flexibilität“ ins Auge zu fassen.

3.9   Sollten Ihrer Ansicht nach die Verantwortlichkeiten der einzelnen Parteien in mehrseitigen Beschäftigungsbeziehungen eindeutiger geregelt werden, um festzulegen, wer für die Einhaltung von Beschäftigtenrechten verantwortlich ist? Wäre die Anordnung einer nachrangigen Haftung eine wirksame und praktikable Möglichkeit, um diese Verantwortlichkeiten bei der Einbeziehung von Subunternehmern sicherzustellen? Wenn nein, sehen Sie andere Möglichkeiten, einen angemessenen Schutz der Beschäftigten in „dreiseitigen Rechtsverhältnissen“ zu gewährleisten?

3.9.1

Das Arbeitsrecht beruht auf einer Sozialordnung, der alle Parteien unterliegen. Die Auftraggeber müssen über ein gewisses Kontroll- oder Überwachungsrecht über ihre Zulieferer verfügen und vorsichtshalber bestimmte Grundsätze (Einhaltung der geltenden sozialen und technischen Normen) in die Verträge aufnehmen, wenn sie nicht ungewollt an einem Verstoß gegen das Arbeitsrecht oder sonstige nationale, auf Baustellen oder Betriebe anwendbare Normen mitschuldig werden wollen.

3.9.2

Eine Solidarhaftung, die für den Auftraggeber die Möglichkeit beinhaltet, sich gegen seine ausgefallenen Zulieferer zu wenden, scheint die Lösung zu sein, die den größten Schutz für die Arbeitnehmer bietet, die große Schwierigkeiten haben können, sich selbst zu verteidigen, wenn der Zulieferer seinen Sitz in einem anderen Staat, möglicherweise einem Drittstaat, hat, während sie auf einer vom Auftraggeber geleiteten Baustelle arbeiten. Diese Solidaritätsregel für die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung sollte unabhängig davon angewendet werden, ob der Auftraggeber eine juristische Person des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts oder eine Kombination aus beiden ist.

3.9.3

Der Schutz der Arbeitnehmer, die im Ausland arbeiten, muss erhöht werden. Nicht nationale Zulieferer sollten in die Kassen oder Institutionen zum Schutz der Ansprüche der Arbeitnehmer im Falle des Ausfalls des Arbeitgebers einzahlen; zudem sollten die Mitgliedstaaten in den gesetzlichen Verpflichtungen des Auftraggebers eine Entschädigung für die eventuelle Heimreise im Falle des Ausfalls seines Zulieferers vorsehen.

3.9.4

Eines der Probleme bei dreiseitigen oder gar verschachtelten Arbeitsbeziehungen liegt im größeren Risiko für die Angestellten bzw. Arbeiter, dass ein Glied der Kette ausfällt und die Zuständigkeiten verwässert werden. Den Arbeitnehmern nicht nationaler Subunternehmen bietet nur die Solidarhaftung zwischen Auftraggeber auf der einen und allen seinen Zulieferern auf der anderen Seite, gestützt durch die gesetzlichen Regelungen, ausreichenden Schutz für die Wahrung der Rechte, die Entlohnung der geleisteten Arbeit und die Zahlung der Sozialbeiträge. Die entsprechenden nationalen Garantiesysteme auf der Grundlage der Richtlinie über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sollten wirksam genug sein und sogar auf Unternehmen in Drittstaaten ausgedehnt werden, wenn deren nationales Garantiesystem nicht genügt oder dort gar keines besteht; in diesem Fall würde die Solidarhaftung des Auftraggebers entsprechend sinken. Zusätzlich müssen die einzelstaatlichen Rechtssysteme Verfahren vorsehen, wonach ein Teil der Zahlungen der Auftraggeber an ausländische Subunternehmen als Einzahlung in einen Garantiefonds zur Deckung von ausstehenden finanziellen Verpflichtungen der Subunternehmen im Falle ihrer Zahlungsunfähigkeit geleistet wird (6).

3.10   Halten Sie es für notwendig, den Beschäftigungsstatus von Leiharbeitnehmern zu klären?

3.10.1

Das Fehlen eines gemeinschaftlichen Rechtsrahmens brächte die Gefahr des Missbrauchs, wie die Umgehung der Rechtsvorschriften zur vorübergehenden Entsendung, mit sich. Es sollte alles getan werden, um im Rat zu einem Konsens über die Regelung der Tätigkeit von Zeitarbeitsfirmen auf europäischer Ebene zu kommen.

3.11   Wie könnten Mindestanforderungen im Zusammenhang mit der Organisation der Arbeitszeit so geändert werden, dass sie sowohl zu mehr Flexibilität für Arbeitgeber und für Arbeitnehmer führen, als auch zu einem höheren Schutzniveau für die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer? Mit welchen Aspekten der Arbeitszeitorganisation sollte die Gemeinschaft sich vorrangig befassen?

3.11.1

Die geltende Richtlinie von 1993 bietet, vorbehaltlich der Übernahme der Rechtsprechung des Gerichtshofs, einen Schutzrahmen, der auf nationaler Ebene und ggf. — insbesondere über Tarifverhandlungen — auf weiteren Ebenen angepasst, ergänzt oder weiterentwickelt werden kann.

3.11.2

In der Frage wird die Verbindung zwischen Arbeitszeit bzw. Länge der Arbeitszeiten und Unfall- bzw. Gesundheitsrisiken implizit anerkannt; eine solche Verbindung ist tatsächlich gegeben und die Verkürzung der tatsächlichen Arbeitszeit würde insbesondere aufgrund des geringeren Stresses und der Vermeidung permanenter Übermüdung langfristig zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands von Arbeitnehmern führen und überdies die Schaffung neuer Arbeitsplätze ermöglichen.

3.12   Wie können die Beschäftigtenrechte von Beschäftigten, die in einem grenzüberschreitenden Bezug arbeiten, insbesondere von Grenzgängern, überall in der Gemeinschaft gewährleistet werden? Besteht Ihrer Ansicht nach Bedarf an einer einheitlicheren Definition des Begriffs „Arbeitnehmer“ in den EU-Richtlinien, um sicherzustellen, dass diese Beschäftigten ihre Beschäftigungsrechte unabhängig davon wahrnehmen können, in welchem Mitgliedstaat sie arbeiten? Oder sind Sie der Ansicht, dass der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht beschränkt werden sollte?

3.12.1

Siehe Antwort zu Frage 1 und ILO-Empfehlung Nr. 198; aufgrund der derzeitigen Divergenzen sollte die Definition weiterhin unter die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen, denn sie betrifft nicht nur die Arbeitsverträge, sondern auch die Anwendung des Sozialrechts (Festlegung der Begünstigten und der Bedingungen für den Zugang zu den Leistungen).

3.12.2

Es scheint kein wirkliches Problem aufgrund der EU-Richtlinien zu geben, in denen die betreffenden Personen entsprechend der Art der Rechtsvorschriften definiert werden; bevor ggf. eine Änderung ins Auge gefasst werden könnte, wäre wahrscheinlich eine detaillierte Studie zu diesem Thema erforderlich.

3.13   Halten Sie eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden für erforderlich, um das gemeinschaftliche Arbeitsrecht wirksamer durchsetzen zu können? Können Ihrer Ansicht nach die Sozialpartner bei dieser Zusammenarbeit eine Rolle spielen?

3.13.1

Die Sozialpartner spielen im sozialen Dialog und im Sinne der Verträge und der Charta eine unabdingbare Rolle bei der Überprüfung der Umsetzung und Einhaltung des gemeinschaftlichen Arbeitsrechts.

3.14   Bedarf es Ihrer Auffassung nach auf EU-Ebene weiterer Maßnahmen, um die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit zu unterstützen?

3.14.1

Die Rolle von Eurostat sollte weiter ausgebaut werden, um die in den verschiedenen Staaten bestehenden Phänomene richtig zu verstehen; der Anteil der informellen bzw. Schwarzarbeit am Zustandekommen der nationalen BIP scheint unterschätzt zu werden; wenn die Ursachen eher in der besonderen Situation der einzelnen Staaten liegen, wie bestimmte Studien vermuten lassen, so müssten die Maßnahmen der Mitgliedstaaten selbst besonders unterstützt und gefördert werden.

3.14.2

Dennoch sollten — da es sich hier um wenig bekannte Phänomene handelt — die Verbindungen zwischen diesen Arbeitsformen und der Nachahmung, die Bedeutung krimineller Kreise für die Schwarzarbeit sowie der Zusammenhang mit der illegalen Zuwanderung geklärt werden, was eine aktive justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Union und eine stärkere Rolle der EU rechtfertigen könnte, da diese Arbeitsformen überdies Binnenmarkt und Wettbewerb betreffen.

3.14.3

Den Sozialpartnern kommt eine wichtige Rolle bei der Verhinderung der Schwarzarbeit und der Zurückdrängung der Schattenwirtschaft zu. Durch Maßnahmen auf Unionsebene sollten die Sozialpartner der Mitgliedstaaten angeregt werden, gemeinsam sowie in Zusammenarbeit mit den Behörden nationale und branchenbezogene Projekte zur Lösung dieser Probleme zu entwickeln. Auf Unionsebene könnten die Sozialpartner gemeinsam analysieren, welche Vorgehensweisen sich in den Mitgliedstaaten bewährt haben, und darüber informieren.

3.14.4

Die Bekämpfung der Schwarzarbeit setzt eine effiziente grenzübergreifende Zusammenarbeit der einzelstaatlichen Behörden, die Überwachung und die Informierung über die Strafmaßnahmen voraus, mit denen die Auftraggeber und die Ausführenden von Schwarzarbeit rechnen müssen.

Brüssel, den 30. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  „Au delà de l'emploi“, editions Flammarion 1999, Seite 294 ff.

(2)  Die Gruppe der Arbeitgeber hat die Annahme der ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis nicht unterstützt.

(3)  Die Gruppe der Arbeitgeber hat die Annahme der ILO-Empfehlung Nr. 198 betreffend das Arbeitsverhältnis nicht unterstützt.

(4)  Vgl. OECD, PISA 2003 und PISA 2006 zur Wirksamkeit der Bildungssysteme; die nordischen Staaten schneiden dort sehr gut ab und Finnland steht an der Spitze.

(5)  In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass 78 % der Arbeitsverträge in Europa unbefristete Vollzeitver-träge sind und dass 18,4 % der Arbeitnehmer über einen ebenfalls unbefristeten Teilzeitvertrag verfügen. 14,5 % der Arbeits-kräfte in der EU haben einen befristeten Arbeitsvertrag und Leiharbeit macht 2 % der Beschäftigung in der EU-27 aus; allerdings handelt es sich bei mehr als 60 % der neuen Arbeitsverträge um flexible Verträge.

(6)  Siehe Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283 vom 28.10.1980, S. 23).


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgende Änderungsanträge, die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen auf sich vereinigen konnten, wurden abgelehnt:

Die gesamte Stellungnahme durch folgenden Text ersetzen:

Europa steht heute vor wichtigen Herausforderungen wie dem Wandel einer industriellen in eine dienstleistungsorientierte und wissensbasierte Wirtschaft, Globalisierung, raschem technologischem Fortschritt, Überalterung der europäischen Bevölkerung, sinkenden Geburtenraten sowie die Veränderung der Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse.

Für die Bewältigung dieser Herausforderungen und die Wahrung unseres europäischen Sozialmodells ist u.a. die Modernisierung des Arbeitsrechts erforderlich.

Deshalb begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) das Grünbuch der Kommission, das eine öffentliche Debatte über die Modernisierung des Arbeitsrechts anstößt. Die Beiträge zu diesem Grünbuch sollten in die geplante Mitteilung der Kommission über Flexicurity einfließen. Das Gleichgewicht zwischen Beschäftigungsflexibilität und Sicherheit sollte sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen gerecht werden.

Durch die Modernisierung des Arbeitsrechts sollten die in der Lissabon-Strategie festgeschriebenen Ziele, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, mehr und bessere Arbeitsplätze sowie soziale Integration, gefördert werden. Zur Erreichung dieser Ziele schlägt der EWSA Folgendes vor:

1.

Die bestehende Vielfalt von Arbeitsvertragsformen sollte erhalten bleiben, unter der Voraussetzung, dass ein stabiler Rechtsrahmen besteht, der sowohl die Bedürfnisse der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen, insbesondere der KMU, berücksichtigt. Bei 78 % der Arbeitsverträge handelt es sich um unbefristete Vollzeitverträge, allerdings steigt die Zahl der neuen, flexiblen Vertragsvereinbarungen überall in Europa. Flexible Arbeitsverträge, wie Teilzeitverträge und befristete Verträge, können zur Entwicklung von Fähigkeiten beitragen, die im schulischen Umfeld nicht gelernt werden, und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, einen unbefristeten Vollzeitvertrag zu bekommen. Flexible Arbeitsverträge können einen guten Startpunkt für das weitere Arbeitsleben junger Menschen und eine ausgezeichnete Möglichkeit für die Vereinbarung von Arbeit und Familienleben darstellen und so zur Schaffung eines integrativen Arbeitsmarktes beitragen. Der in den europäischen Richtlinien zu Teilzeit- und Leiharbeit auf der Grundlage von Vereinbarungen der europäischen Sozialpartner definierte Schutz gegen Diskriminierung ist für diese Arbeitnehmer wichtig.

2.

Die Modernisierung des Arbeitsrechts muss hauptsächlich auf Ebene der Mitgliedstaaten stattfinden. Da das Arbeitsrecht nur einen Teil des Flexicurity-Prinzips ausmacht, muss das richtige Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit innerhalb des jeweiligen einzelstaatlichen Rahmens festgelegt werden. Nationale Reformen sollten durch Maßnahmen auf europäischer Ebene ergänzt werden, die durch die Bestimmung vorbildlicher Verfahrensweisen und die Vereinfachung ihres Austauschs auf Sensibilisierung ausgerichtet sind.

3.

Die wichtige Rolle, die die Sozialpartner auf Ebene der Mitgliedstaaten, Sektoren und Unternehmen für die Modernisierung des Arbeitsrechts sowie die Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Flexibilität und Sicherheit spielen, ist zu fördern. Tarifverhandlungen müssen auf dem Grundsatz der Autonomie der Sozialpartner beruhen und werden je nach Geschichte und Kultur der Arbeitsbeziehungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich geführt werden .

4.

Ein flexiblerer Beschäftigungsschutz für unbefristete Arbeitsverträge sollte mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik kombiniert werden, die Arbeitnehmern, die ihre Qualifikationen entsprechend den Anforderungen des Arbeitsmarktes verbessern, maßgeschneiderte Unterstützung bietet. Der Schwerpunkt sollte eher auf Beschäftigungssicherheit liegen als auf dem Schutz einzelner Arbeitsplätze. Positive Maßnahmen von Sozialwirtschaft und Unternehmen, um die am stärksten Ausgegrenzten in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sollten unterstützt werden. Eine enge dreiseitige Partnerschaft zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und dem öffentlichen Sektor trägt dazu bei, Ausbildungserfordernisse festzustellen und die finanziellen Belastungen zu teilen. Beschäftigungsfreundliche Sozialschutzsysteme für Arbeitnehmer wie für Selbständige sollten die Übergänge zwischen verschiedenen Arbeitsformen erleichtern.

5.

Selbständigkeit fördert den Unternehmergeist, ein Aspekt, bei dem Europa im Vergleich zu seinen zahlreichen Wettbewerbern in der Welt hinterherhinkt, und ist das beste Zeichen für die Dynamik einer modernen Volkswirtschaft. Wirtschaftlich abhängige Selbständige müssen allerdings deutlich von Scheinselbständigen unterschieden werden: Scheinselbständige sollten z.B. in punkto soziale Sicherheit, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sowie Beschäftigungsschutz dasselbe Schutzniveau haben wie Arbeitnehmer.

6.

Schwarzarbeit verzerrt den Wettbewerb und zerstört die finanzielle Grundlage der nationalen Systeme für soziale Sicherheit sowie der Steuersysteme. Schwarzarbeit ist ein komplexes Phänomen, für das es mehrere Ursachen gibt. Deshalb ist für die Bekämpfung der Schwarzarbeit eine gute Mischung aus politischen Maßnahmen erforderlich, die die Anpassung des Arbeitsrechts, die Verringerung der administrativen Verpflichtungen, eine kohärente Lohnpolitik, Steueranreize, eine Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur und der öffentlichen Dienstleistungen, aber auch Kontrollen und abschreckende Sanktionen umfasst. Aus diesem Grund sollte die Europäische Kommission die Initiative ergreifen, um vorbildliche Verfahrensweisen zusammenzutragen, ihre Verbreitung unter den Mitgliedstaaten zu erleichtern und so Maßnahmen gegen die Schwarzarbeit anzuregen.

Begründung

Erfolgt mündlich.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 89

Nein-Stimmen: 126

Stimmenthaltungen: 7

Neue Ziffer 3.9.2 hinzufügen

Ein Auftraggeber hat im Allgemeinen keinerlei Einfluss darauf, ob ein Subunternehmer den Verpflichtungen, die er seinen Arbeitnehmern gegenüber hat, laufend nachkommt; weder kennt er dessen finanzielle Situation noch kann er sie beeinflussen und ist daher auch nicht in der Lage einzuschätzen, ob der Subunternehmer den Verpflichtungen, die er seinen Arbeitnehmern gegenüber hat, nachkommen kann. Somit kann das damit verbundene finanzielle Risiko nicht dem Auftraggeber aufgebürdet werden.

Begründung

Die Frage der Kommission ist im Grünbuch sehr allgemein formuliert und bezieht sich nicht nur auf grenzüberschreitende Beschäftigungsverhältnisse. Aus diesem Grunde schlage ich vor, zwischen den Ziffern 3.9.1 und 3.9.2 eine zusätzliche Ziffer allgemeinen Inhalts einzufügen. In diesem Fall könnte Ziffer 3.9.2, in der ausführlich auf die Ausnahme zu dieser allgemeinen Aussage (grenzüberschreitende Verhältnisse) eingegangen wird, unverändert bleiben.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 75

Nein-Stimmen: 122

Stimmenthaltungen: 12


Top