EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52007AE0405

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Überalterung der Bevölkerung: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Haushalte

OJ C 161, 13.7.2007, p. 1–8 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
OJ C 161, 13.7.2007, p. 1–1 (MT)

13.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 161/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Überalterung der Bevölkerung: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Haushalte“

(2007/C 161/01)

Die Europäische Kommission beschloss am 16. Mai 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen: „Überalterung der Bevölkerung: Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Haushalte“

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 23. Februar 2007 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 434. Plenartagung am 14./15. März 2007 (Sitzung vom 14. März) mit 109 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) beantwortet das Schreiben der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Margot Wallström, mit der Vorlage dieser Sondierungsstellungnahme, berücksichtigt jedoch auch die Stellungnahmen der letzten Jahre, in denen die einschlägigen Überlegungen, Analysen und Vorschläge des EWSA formuliert wurden.

Arbeitsmarkt

1.2

Nach Ansicht des EWSA müssen die Lissabon-Ziele hinsichtlich der Bevölkerungspolitik weiterhin verfolgt werden; daher erfordert der rasche demografische Wandel auf dem Arbeitsmarkt dringend Maßnahmen zur Lösung der damit verbundenen Probleme:

Nach Möglichkeit Erhöhung der Beschäftigungsquote der über 50-jährigen Arbeitnehmer in abhängiger wie in selbständiger Beschäftigung;

Förderung von Instrumenten zur Wiedereingliederung und Umschulung älterer Arbeitsloser, um ihnen eine menschenwürdige Rente zu garantieren;

Stopp der Verdrängung über 50-jähriger Arbeitnehmer, die berufstätig bleiben wollen, vom Arbeitsmarkt.

1.3

Der Verdrängung älterer Arbeitnehmer von ihrem Arbeitsplatz ist entgegenzuwirken; stattdessen gebührt der Eingliederung älterer Arbeitnehmer in den Produktionszyklus mehr Aufmerksamkeit.

1.4

Der Arbeitsplatz sollte der Ausbildung und Berufserfahrung des Einzelnen entsprechen, wobei keinerlei Diskriminierung zwischen den Generationen stattfinden darf. Daher fordert der EWSA sämtliche Mitgliedstaaten auf, so schnell wie möglich die Richtlinie zur „Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ (2000/78/EG) umzusetzen und anzuwenden.

1.5

Eine bessere Arbeitsorganisation erfordert eine Bewertung der Art der ausgeübten Tätigkeit (gefährliche, verschleißende oder repetitive Arbeiten).

Lebenslanges Lernen

1.6

Programme für lebenslanges Lernen sind der Schlüssel zur größeren Wertschätzung der über 50-jährigen Arbeitnehmer innerhalb wie auch außerhalb der Unternehmen. Daher müssen gute Praxisbeispiele — entsprechend den jährlichen Folgeberichten der europäischen Sozialpartner — verbreitet und begleitet werden.

1.7

Eine Politik für anspruchsvolle Arbeitsplätze bietet Generationen von Bürgern während ihrer gesamten Erwerbstätigkeit Orientierungshilfe und Weiterbildung. Dies setzt den Einsatz der Sozialpartner und aller relevanten wirtschaftlichen und sozialen Akteure auf lokaler, einzelstaatlicher und europäischer Ebene voraus.

Für einen Pakt zwischen den Generationen

1.8

Forschung und Innovation sind eine grundlegende Investition sowohl für die künftigen Generationen als auch für die heutigen Bürger Europas. Erforderlich sind daher Anreize für junge Menschen, sich in naturwissenschaftliche und technische Studiengänge einzuschreiben, sowie adäquate Beschäftigungsbedingungen in Forschung und Technologie.

Die Europäische Union muss die Kluft zu anderen Ländern wie China und Indien überwinden, die in den letzten Jahren enorme Fortschritte in diesen Bereichen erzielt haben.

1.9

Investitionen in benachteiligte Gebiete helfen junge Menschen dabei, diesen nicht den Rücken kehren, sondern zu einem Instrument für die Entwicklung und Aufwertung dieser Gebiete zu werden.

1.10

Der Schwerpunkt des Jahres 2007, dem Jahr der Gleichstellung, sollte auf Analysen zur Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben liegen, damit eine Entscheidung für die Mutter- und Vaterschaft nicht zu prekären und belastenden Lebenssituationen führt und die Familie, die mit der Geburt eines Kindes verbundenen Kosten — nicht nur wirtschaftlicher Art — nicht allein tragen muss.

Frauen und Arbeitsmarkt in der Europäischen Union

1.11

Nach Ansicht des EWSA müssen Anreize geschaffen werden, wichtige Richtlinien wie die zur Elternzeit zu nutzen; es sind Betreuungsdienste für Kinder sowie Pflege- und Hilfsdienste für ältere Menschen zu gewährleisten; die Gehaltskluft zwischen Männern und Frauen ist rasch zu überbrücken, und Prekarität und instabile Arbeitsverhältnisse — Ursache der Armut vieler Europäerinnen — sind zu bekämpfen. Ferner müssen Anreize für Männer ausgebaut werden, mehr familiäre Pflichten zu übernehmen. Mutterschaft und Frauenbeschäftigung dürfen keine Gegensätze bilden: Daher bedarf es jeglicher Instrumente, die Müttern die Vereinbarung von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit ermöglichen.

1.12

Auch in der Unternehmenswelt müssen Maßnahmen ergriffen werden, die den Frauen Chancengleichheit gewährleisten und den Zugang zu Führungspositionen ermöglichen.

Rolle und Gewicht der Einwanderung angesichts des demografischen Wandels

1.13

Die Einwanderung ist eine der notwendigen Antworten auf die Herausforderungen der Überalterung der Bevölkerung. Systematische Maßnahmen für Integration und Beschäftigung können ein Wachstums- und Entwicklungsmotor sein. Die Kompetenzen, Berufserfahrungen und Schulabschlüsse der Migranten müssen ausgeschöpft werden.

Nachhaltigkeit der Sozialversicherungssysteme in der Europäischen Union

1.14

Die Nachhaltigkeit der Sozialversicherungssysteme ist mit einer Reihe von Maßnahmen zu gewährleisten, die nicht deren letztlichem Ziel — entsprechend der Definition der EU-Verträge (Artikel 2) — zuwiderlaufen. Daher ist zum einen deren Nachhaltigkeit zu gewährleisten und sind zum anderen die dem europäischen Sozialmodell eigenen Ziele Universalität und Gerechtigkeit zu verfolgen.

1.15

Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse müssen wie die sozialwirtschaftlichen Akteure aufgrund ihrer Funktion gewährleistet und gefördert werden. Gemeinnützige Einrichtungen, in denen sich ältere Menschen engagieren, haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion, die unterstützt und stärker anerkannt werden muss

Zukunftsfähigkeit der Rentensysteme

1.16

Das Ziel der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten sollte sein, den künftigen Generationen ein sorgenfreies Alter in Würde und folglich angemessene Rentensysteme zu gewährleisten. Zusatzrentensysteme müssen — falls notwendig — verlässlich, sicher und gegen unvorhersehbare Schwankungen der Finanzmärkte geschützt sein.

1.17

Arbeitsplätze sicher zu machen, bedeutet auch, dass junge Arbeitnehmer ebenfalls angemessene Rentenansprüche erwerben; des Weiteren muss der Eintritt ins Erwerbsleben beschleunigt werden.

1.18

Die Zukunftsfähigkeit der Rentensysteme ist zu analysieren, wobei eine Reihe komplexer Aspekte zu berücksichtigen ist, die sich nicht allein auf die Überalterung der Bevölkerung reduzieren lassen.

1.19

In einigen EU-Staaten muss die entschlossene Bekämpfung der Steuer- und Beitragshinterziehung ein grundlegendes Ziel für die Gewährleistung zukunftsfähiger Rentensysteme sein.

Auswirkungen der Überalterung der Bevölkerung auf das Gesundheitswesen

1.20

Im Gesundheitswesen erfordert die Überalterung der Bevölkerung künftig insbesondere Investitionen in die Prävention, in hochwertige Pflegedienste und in die Forschung, vor allem über Krankheiten, die häufiger bei älteren Menschen auftreten, — ein notwendiger Schwerpunkt der Bemühungen und Studien.

1.21

In Zusammenhang mit der Überalterung der Bevölkerung werden die Themen Gesundheit und Sicherheit auch in der Arbeitswelt andere Bedeutungen erhalten und einen Wandel erfahren, der aufmerksam analysiert und evaluiert werden muss.

1.22

Nach Ansicht des EWSA müssen die EU-Mitgliedstaaten in Absprache mit den Sozialpartnern gemeinsame Programme zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten — vor allem in Zusammenhang mit dem Alter der Arbeitnehmer — konzipieren. Hierbei sind Begleitung und Informationsaustausch wichtige Instrumente.

1.23

Älteren Arbeitnehmern muss die freie Wahl gewährt werden, ob sie länger erwerbstätig bleiben wollen oder nicht; hierbei ist die Art der Arbeit zu berücksichtigen und zu bewerten, wie gefährlich, repetitiv und anstrengend ihr Beruf ist.

1.24

Der EWSA ist bestrebt, seine vertiefende und bewertende Arbeit zum demografischen Wandel fortzuführen und weitere Vorschläge dazu zu unterbreiten, wobei ihm die Komplexität dieses Themas sehr wohl bewusst ist, die in den kommenden Jahren die Mitwirkung sämtlicher institutioneller, wirtschaftlicher und sozialer Akteure erfordert, um die neuen Herausforderungen anzugehen. Der Ausschuss verpflichtet sich, entsprechend der Geschäftsordnung die in dieser Stellungnahme behandelten Themen weiter zu vertiefen.

2.   Vorbemerkungen

2.1

Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Margot WALLSTRÖM, hat den Wirtschafts- und Sozialausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zu dem Bericht über die Auswirkungen der Überalterung der Bevölkerung auf die Wirtschaft und die Haushalte in allen Staaten der Europäischen Union ersucht, den die Kommission unlängst gemeinsam mit dem Ausschuss für Wirtschaftspolitik veröffentlicht hat.

2.2

Angesichts der breiten Thematik und der vielfältigen betroffenen Politikbereiche hat Frau WALLSTRÖM den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in ihrem Ersuchen gebeten, sich zu den Fragen zu äußern, die direkt oder indirekt mit der Arbeitswelt und mit verwandten Aspekten wie Gesundheitswesen, Rentensystemen und lebenslangem Lernen zusammenhängen.

2.3

Die Dubliner Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hat zahlreiche Studien erstellt, in denen das Problem der Überalterung der Bevölkerung behandelt wird und dessen Auswirkungen auf die europäischen Bürger und insbesondere Arbeitnehmer analysiert werden.

2.4

Zahlreiche Faktoren bestimmen die Überalterung der Bevölkerung: die sinkende Geburtenrate, die weiter steigende Lebenserwartung sowie das schrittweise Ausscheiden der Nachkriegsgeneration und künftig der Babyboom-Generation der 60er Jahre aus dem Erwerbsleben (1), das sich jetzt und in Zukunft direkt auf die erwerbsfähige Bevölkerung auswirkt.

2.5

Prognosen von Eurostat zufolge dürfte die Zahl der über 65-Jährigen in der EU der 25 von 75 Millionen im Jahr 2005 auf etwa 135 Millionen im Jahr 2050 steigen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung der 25 Mitgliedstaaten wird auf 30 % vorhergesagt, wobei die höchsten Werte in Spanien (36 %) und Italien (35 %) und die niedrigsten Werte in Luxemburg (22 %) und den Niederlanden (23 %) erreicht werden.

2.6

Die Überalterung der Bevölkerung hat starke Auswirkungen auf die soziale und wirtschaftliche Lage der Länder und erfordert eine Modernisierung der Haushalts- und Sozialpolitik.

2.7

Die gesamte Wirtschaft eines Landes bekommt die Folgen der Überalterung zu spüren: Arbeitsmarkt, Produktivität, technologische Innovation und Wirtschaftswachstum, denn die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Bevölkerung wandeln sich zwangsläufig.

3.   Überalterung und Arbeitsmarkt

3.1

In der Lissabon-Strategie wird die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer berücksichtigt: Das ursprüngliche — noch nicht verwirklichte — Ziel war, bis 2010 eine Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer von über 50 % zu erreichen.

3.2

Die Überalterung der Bevölkerung steigert zum einen das Durchschnittsalter, und zum anderen verringert sie die Gesamtzahl der Bürger im erwerbsfähigen Alter, denn die älteren Generationen werden nicht von genügend jungen Menschen abgelöst. Im Übrigen treten junge Menschen immer später in das Erwerbsleben ein (2).

3.3

Somit wird der Arbeitsmarkt erheblich durch das Phänomen der Überalterung der Bevölkerung beeinflusst und verändert. Daher müssen unverzüglich Maßnahmen zur Problemlösung ergriffen werden, wie etwa:

Erhöhung der Beschäftigungsquote der über 50-jährigen Arbeitnehmer in abhängiger Beschäftigung und keinerlei Hemmnisse für deren selbständige Tätigkeit;

Förderung von Instrumenten zur Wiedereingliederung (inklusive Umschulung) älterer Arbeitsloser, um ihnen eine menschenwürdige Rente zu garantieren;

Stopp der Verdrängung über 50-jähriger Arbeitnehmer, die berufstätig bleiben wollen, vom Arbeitsmarkt;

Förderung der Berufstätigkeit junger Menschen durch reguläre Arbeitsverträge, die zur Kontinuität und Verbesserung des Berufslebens beitragen.

3.4

Die Auswirkungen der Überalterung der Bevölkerung betreffen nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Unternehmer. Hinsichtlich der Reproduktion der Generationen sind Instrumente vorzusehen, die die Übergabe von Unternehmen, vor allem KMU, erleichtern. Tatsächlich lässt sich auch bei den Unternehmern ein stetig steigendes Durchschnittsalter feststellen, das sich direkt und indirekt auf die Innovation, den Kapitalmarkt und generell auf die europäische Industriestruktur auswirkt. „Ältere Unternehmer“ bedeutet, dass ein Großteil von ihnen sich bereits aus dem aktiven Erwerbsleben zurückgezogen hat oder dies in Kürze beabsichtigt, ohne von neuen Generationen junger Unternehmer ersetzt zu werden. Ein Rückgang der Zahl der Unternehmer bedeutet weniger Unternehmen und infolgedessen weniger Arbeitsplätze.

3.5

Die Verdrängung älterer Arbeitnehmer ist ein immer besorgniserregenderes Phänomen, nicht nur in der Industrie, sondern auch im Dienstleistungssektor. Die Schwierigkeit, sich in ein neues berufliches Umfeld zu integrieren, die gewöhnlich an einem oder einigen wenigen Arbeitsplätzen erworbene Berufserfahrung und die Diskriminierung, die ältere Arbeitnehmer zweifellos bei der Stellensuche erfahren, betreffen alle europäischen Arbeitnehmer.

3.6

Mehr Aufmerksamkeit gebührt der Eingliederung älterer Arbeitnehmer in den Produktionszyklus: In einigen Sektoren bildet ihre Erfahrung die Grundlage für eine qualitativ höhere Produktivität; auch für die Unternehmer gilt, dass von einem bloßen Urteil über ihr Alter zu einer Beurteilung ihrer konkreten Kompetenzen überzugehen ist. In diesem Fall müssen die europäischen Richtlinien zur Vermeidung jeglicher Form von Diskriminierung (2000/43/EG und 2000/78/EG) angewandt und muss ihre Einhaltung kontrolliert werden.

3.7

Sämtliche Arbeitnehmer sollten einen Arbeitsplatz haben, der so weit wie möglich ihrer Ausbildung und Erfahrung entspricht: Auf diese Weise würde die Produktivität gesteigert, die — zumindest teilweise — die negativen Folgen der Überalterung der Bevölkerung kompensieren könnte (3).

3.8

In jedem Fall müssen aktive Maßnahmen für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer der Art der geleisteten Arbeit Rechnung tragen: denn gefährliche, verschleißende und repetitive Arbeitsplätze erfordern eine gezielte Analyse und mehr Spielraum für freiwilliges Engagement der Betreffenden (4).

4.   Lebenslanges Lernen

4.1

Eines der konkreten Ziele, die zur Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer gesteckt werden sollten, ist die Verwirklichung effizienter und effektiver Programme für lebenslanges Lernen — über den Austausch guter Praxisbeispiele zwischen den 27 EU-Ländern und einen kontinuierlichen Dialog mit den Sozialpartnern entsprechend den Wünschen zahlreicher europäischer Einrichtungen (5).

4.2

Seit der Tagung des Europäischen Rates von Luxemburg (1997) werden im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie (EBS) Jahr für Jahr Leitlinien für lebenslanges Lernen festgelegt. Bei dieser Gelegenheit wurde stets betont, wie wichtig die Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer und folglich ihre berufliche Weiterbildung ist, um die Probleme der Überalterung der Bevölkerung anzugehen.

4.3

„Lebenslanges Lernen“ bezeichnet jede signifikante Lernaktivität mit dem Ziel, Fähigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen zu verbessern. Daher müssen diese Aktivitäten während des gesamten Berufslebens eingeplant werden, denn gerade für ältere Arbeitnehmer haben der Verlust der Professionalität und veraltetes Wissen die dramatischsten Folgen.

4.4

Auch der EWSA hat bereits unterstrichen, dass häufig ein Ungleichgewicht zwischen den Generationen herrscht, was Technologie-Kenntnisse und den Erwerb verschiedener Kompetenzen angeht (6).

4.5

Eines der wirksamen Instrumente zur Förderung der Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer ist die betriebliche Weiterbildung. Einige Mitgliedstaaten (Vereinigtes Königreich, Spanien, Portugal, die Niederlande, Österreich) haben in unterschiedlichem Maße diese Kurse der betrieblichen Fort- und Weiterbildung mit Steueranreizen und -befreiungen gefördert.

4.6

Mit der Lissabon-Strategie wurde betont, dass Bildungsmethoden und -systeme, die gut funktionieren und den Anforderungen des Arbeitsmarktes voll gerecht werden, ein Schlüsselelement für die Schaffung der Wissensgesellschaft — ein Ziel der Tagung des Europäischen Rates in Portugal — sind.

4.7

Der Abbau der Hemmnisse für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer bedeutet eine vorausschauende Reaktion auf die Folgen des demografischen Wandels.

5.   Für einen Pakt zwischen den Generationen

5.1

Bereits 2004 hatte der Wirtschafts- und Sozialausschuss betont, wie wichtig die Unterstützung des Pakts zwischen den Generationen ist, um den Bürgern der europäischen Staaten eine ausreichende Reproduktion der Generationen auf dem Arbeitsmarkt sowie einen an die neuen demografischen und normativen Realitäten in Europa angepassten Sozialstaat zu gewährleisten und so Beschäftigungsmaßnahmen, berufliche Umschulungen und eine Annäherung zwischen Bildungswelt und Unternehmen zu fördern (7).

5.2

In jedem Fall müssen Maßnahmen für eine „gute“ Beschäftigung auch darauf abzielen, die Eingliederung junger Menschen in die Arbeitswelt zu fördern, indem sie die Arbeitnehmer während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn begleiten (8), ohne dabei eine „digitale Kluft“ zwischen jungen und denjenigen älteren Arbeitnehmern zu schaffen, die berufstätig bleiben möchten.

5.3

Damals hat der EWSA folgende Herausforderung formuliert: „zu einer größeren Abstimmung bezüglich dieses entscheidenden Themas beizutragen, das eine koordinierte und langfristige Mitwirkung verschiedener Akteure voraussetzt. Kurzsichtige Interessen dürfen dabei nicht im Vordergrund stehen. Es erfordert die Kontinuität einer konstruktiven Absicht. Es geht um die schrittweise Ausarbeitung eines neuen Paktes zwischen den Generationen in der Europäischen Union“.

5.4

Forschung und Innovation sind Bereiche, in die auf jeden Fall investiert werden muss, wenn den künftigen Generationen Europas eine Zukunft in Wohlstand und eine zufrieden stellende, dauerhafte Lebensqualität gewährleistet werden soll. Daher ist es wichtig, auch das Durchschnittsalter der europäischen Forscher und Wissenschaftler und die Tatsache zu berücksichtigen, dass junge Menschen in diese Schlüsselbereiche eingegliedert werden müssen.

5.5

Da es an ausreichenden Forschungsinvestitionen in ganz Europa fehlt und Europa von den Zielen der Lissabon-Strategie noch weit entfernt ist, sind junge Forscher, die oftmals ausgesprochen prekäre Bedingungen akzeptieren müssen, nicht in der Lage, sich eine Zukunft und einen Werdegang in der wissenschaftlichen und technologischen Forschung aufzubauen. Ein höheres Durchschnittsalter der Wissenschaftler in Europa als in den anderen Weltmächten ist eine Gefahr für die Zukunft.

Beispielsweise steigt die Zahl der Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer in Indien und China, so dass in den USA 60 % der Forscher und Wissenschaftler aus diesen Ländern stammen. Demgegenüber ist in vielen europäischen Ländern die Zahl der an naturwissenschaftlichen Fakultäten eingeschriebenen Studierenden in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen.

5.6

Das Problem der Überalterung der Bevölkerung wirkt sich auch unmittelbar auf den Zusammenhalt in den Regionen aus: Junge Menschen verlassen bestimmte Regionen, um eine Arbeit in Gebieten mit besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu suchen. So verschärft sich die Kluft zwischen bestimmten Regionen mit einer stärker entwickelten Wirtschaft und anderen, die rascher verarmen und überaltern.

5.7

Die Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben ist eine Säule des europäischen Sozialmodells. Der Anstieg des Durchschnittsalters der europäischen Bevölkerung wirft die Frage einer Steigerung der Geburtenrate auf. Damit ist lediglich gemeint, dass alle Paare die Möglichkeit haben sollen Kinder zu kriegen, ohne auf ein aktives Erwerbsleben verzichten oder gar den Lebensstandard der Familie erheblich senken zu müssen, der sich leider in vielen Fällen nahe der Armutsgrenze bewegt. Typisch für die jungen Menschen von heute sind prekäre Arbeitsbedingungen ohne jegliche Zukunftssicherheit mit der Folge, dass sie tendenziell weniger oder gar keine Kinder haben.

5.8

Zur Erreichung des Ziels einer schrittweisen Steigerung der Geburtenrate müssen sämtliche Sozial-, Gesundheits- und Schuldienste (Kinderkrippen, ärztliche Betreuung, Prävention, Kindergeld usw.) ausgebaut, verbessert und an die demografische Realität der EU-Länder angepasst werden.

6.   Frauenbeschäftigung und Geburtenrate

6.1

In der EU-25 belief sich die Beschäftigungsquote von Frauen im Jahr 2005 auf 56,3 %. Dieser Aspekt ist weniger ausgeprägt in den nordeuropäischen Ländern, aber weitaus ernster in den Mittelmeerländern. Doch auch die in die Arbeitswelt integrierten Frauen haben ziemliche Mühe, sich einen beruflichen Werdegang aufzubauen, im Laufe dessen sie genügend Beitragszahlungen für den Erwerb ausreichender Rentenansprüche leisten können. In der Tat werden Frauen in der Arbeitswelt mit zahlreichen Problemen konfrontiert:

die Frauen sind diejenigen, die heute am meisten unter Prekarität, ihrem unsicheren Arbeitsplatz, wirtschaftlicher Instabilität und oftmals unter Armut leiden;

die Gehaltskluft bleibt in fast allen EU-Ländern sehr besorgniserregend (bei gleicher Arbeit verdienen Frauen durchschnittlich 24 % weniger);

unzureichende Betreuungsdienste für Kinder sowie Pflege- und Hilfsdienste für ältere Menschen zwingen in fast allen EU-Ländern immer noch vor allem die Frauen zur Aufgabe ihres eigenen beruflichen Werdegangs, um der Betreuung ihrer Angehörigen mehr Zeit zu widmen;

wichtige Regelungen, wie diejenige zur Elternzeit, werden nicht genügend in Betracht gezogen, und Frauen müssen sich noch immer zwischen Mutterschaft und Berufstätigkeit entscheiden;

Frauenbeschäftigung und Mutterschaft dürfen keine Gegensätze bilden: Entsprechend müssen gute Praxisbeispiele derjenigen Länder als Beispiel dienen, deren Steuersysteme es den Frauen ermöglichen, nach der Geburt der Kinder leichter wieder auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren, ohne bei Karriere oder Gehalt Einbußen hinnehmen zu müssen. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Anreize für Männer, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, noch nicht ausreichen.

6.2

Zu Recht ist die Kommission der Ansicht, dass der Rückgang der Zahl der Bürger im erwerbsfähigen Alter teilweise durch eine Reihe von Maßnahmen ausgeglichen werden kann, wie etwa — zumindest kurzfristig — die verstärkte Teilhabe der Frauen an der Arbeitswelt. Der kulturelle Wandel, der es den Frauen in den letzten Jahrzehnten erlaubt hat, zu arbeiten und Unabhängigkeit zu erlangen, spiegelt sich in den unterschiedlichen Beschäftigungsquoten der verschiedenen Frauengenerationen wider. Tatsächlich sind die jungen Europäerinnen in der Arbeitswelt stärker vertreten als Frauen mittleren Alters.

6.3

Die wachsende Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt ist zweifellos positiv und fortschrittlich, statistischen Analysen — auch aktuellen — zufolge jedoch noch nicht ausreichend; zugleich müssen für sie auf jeden Fall dieselben Arbeits- und Entlohnungsbedingungen wie für Männer gelten und Frauen gegen Benachteiligung und Diskriminierung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft geschützt werden. Im Übrigen lassen sich Beschäftigungsunterschiede zwischen Männern und Frauen auch bei den Unternehmern erkennen: Es herrschen nämlich enorme Unterschiede zwischen der Zahl der Unternehmer und der Unternehmerinnen. Folglich müssen die Mitgliedstaaten und die Europäische Union ihre vorhandenen Instrumente stärken und neue schaffen, um die Frauenerwerbstätigkeit zu fördern und zu schützen.

7.   Rolle und Gewicht der Einwanderung angesichts des demografischen Wandels

7.1

Die Einwanderung in die Europäische Union ist eine Realität, die immer größere Ausmaße annimmt. Der eklatante Unterschied zwischen den europäischen Volkswirtschaften und Lebensstandards und denjenigen der außereuropäischen Entwicklungsländer befördert die Migration in die reicheren europäischen Länder. Immigration soll nicht als Bedrohung angesehen werden, sondern als ein Phänomen, das mit systematischen Maßnahmen ein potenzieller Wachstums-, Entwicklungs- und Integrationsfaktor sein kann.

7.2

Angesichts der allgemeinen Überalterung der Bevölkerung sowie der Schrumpfung der erwerbstätigen Bevölkerung erledigen die eingewanderten Arbeitnehmer in der EU Aufgaben, die dem Bedarf des Aufnahmestaates in puncto Produktion, Wirtschaft und Gesellschaft voll gerecht werden. Die Arbeits- und Integrationspolitik sind so zu konzipieren, dass die verfügbaren Humanressourcen, einschließlich der Migranten, optimal eingesetzt und dabei ihre Kompetenzen, Berufserfahrungen und Schulabschlüsse anerkannt werden (9).

7.3

Auch die Kommission betont, dass die Einwanderung eine positive Rolle bei den Anpassungen des Arbeitsmarktes spielen kann. Des Weiteren tragen die eingewanderten Arbeitnehmer — sofern sie offiziell beschäftigt sind — mit ihren Steuern und Sozialabgaben zur Finanzierung des Sozialversicherungssystems bei und sind wichtige Impulsgeber für die Zukunft des europäischen Arbeitsmarktes der kommenden Jahre. Ferner ist die grundlegende wirtschaftliche Unterstützung nicht zu unterschätzen, welche die Überweisungen der Einwanderer an ihre Herkunftsfamilien — oftmals deren einzige Einkommensquelle — bedeuten. Auch deshalb ist eine bessere Integration der Migranten ein unverzichtbares Ziel der EU-Mitgliedstaaten (10).

7.4

Die notwendige Eingliederung in den Arbeitsmarkt betrifft nicht nur die eingewanderten Arbeitnehmer: Aufgrund der Überalterung der Bevölkerung müssen dringend Fragen wie die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der Prekarität behandelt werden, um die Volkswirtschaften zu sanieren und konsolidieren.

8.   Nachhaltigkeit der Sozialversicherungssysteme in der EU

8.1

Die Europäische Kommission betont in zahlreichen Dokumenten, dass eine reale Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten Maßnahmen erfordert, um die öffentliche Verschuldung erheblich, schrittweise und konstant unter Kontrolle zu halten bzw. zu verringern. Hierfür bedarf es einer effektiven Mittelzuweisung, ohne jedoch der Qualität und Universalität der öffentlichen Dienstleistungen zu schaden.

8.2

Vor allem aufgrund des demografischen Wandels, der große Besorgnisse hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Sozialstaaten hervorruft, müssen die verschiedenen Finanzierungssysteme der sozialen Sicherung der EU-Mitgliedstaaten trotz ihrer Unterschiede und Besonderheiten eine effektive, gerechte und transparente Funktionsweise im Dienste der Bürger gewährleisten.

8.3

Der EWSA unterstreicht, dass die Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse und die Akteure der Sozialwirtschaft für die Ergänzung der Förderung von Familien und älteren Menschen eine wichtige Rolle spielen. Bei der Anerkennung der Bedeutung dieser Tätigkeiten müssen diese für die Gesellschaft nützlichen Einrichtungen auf der Grundlage gemeinsamer Kriterien unterstützt werden.

8.4

Hierbei kann die Europäische Union eine wichtige Rolle spielen: Die Lissabon-Strategie (Integration zwischen Sozial-, Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik) war ein außerordentlicher innovativer Ansatz, und eines ihrer Instrumente — die Methode der offenen Koordinierung — kann als eine der interessantesten Innovationen der Gemeinschaftspolitik der letzten Jahre gelten. Leider wurde dieses Instrument allzu wenig genutzt und oftmals unterschätzt und zugleich das gemeinschaftliche Rechtsinstrument abgeschafft. Objektiv gesehen bleibt das europäische Sozialmodell ein Ziel, das noch vollständig zu erreichen ist, gewiss jedoch kein Hemmnis, das im Namen des Binnenmarktes geopfert werden müsste.

8.5

In einigen europäischen Staaten, besonders angesichts von Makrophänomenen wie dem Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung, wird die Finanzierung der Sozialversicherungs- und Rentensysteme stark von der grassierenden Steuer- und Abgabenhinterziehung bedroht. Jeder Wille zur Reform des Sozialstaates, der sozialen Sicherungssysteme, des Gesundheitswesens und der Beschäftigungspolitik lässt sich nicht von der Bekämpfung von Delikten wie Steuerhinterziehung und -umgehung — die größte Bedrohung für nachhaltige Staatshaushalte — trennen.

8.6

Der EWSA möchte folglich unterstreichen, wie wichtig die Bekämpfung der Steuer- und Beitragshinterziehung bei der Suche nach Lösungen für und Anpassungen an den demografischen Wandel sowie den Rückgang der Beitragszahler ist.

9.   Rentensysteme

9.1

Der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und die steigende Zahl der Rentner — beides Folgen der gestiegenen Lebenserwartung — sind zentraler Gegenstand zahlreicher Dokumente, welche die Europäische Kommission zur Nachhaltigkeit der Rentensysteme vorgelegt hat.

9.2

In den kommenden Jahrzehnten müssen die Rentensysteme im Stande sein, den künftigen Generationen ein sorgenfreies Alter in Würde zu gewährleisten. Auch deshalb kann — als erste Analyse — das Problem dieser Auswirkungen der Überalterung auf die Rentensysteme nicht ausschließlich mit Anreizen für die Nutzung von Zusatz- oder Privatrenten gelöst werden, denn dies wäre eine gefährliche Vereinfachung; vielmehr bedarf es effektiver Instrumente, damit diese Formen von Zusatzrenten einfacher, sicherer, verlässlicher und gegen unvorhersehbare Schwankungen der Finanzmärkte geschützt werden. Des Weiteren müssen private Pensionsfonds stärker überwacht werden, damit das Kontrollsystem ausgedehnt und eine strikte Verwaltung gewährleistet wird.

9.3

In vielen EU-Ländern ist die Krise der Rentensysteme nicht nur auf die Überalterung der Bevölkerung, sondern auch auf die geringerer Beiträge — ohne anderweitigen Ausgleich wie zum Beispiel durch die Bekämpfung der Steuer- und Abgabenhinterziehung — zurückzuführen, während der Rentenbedarf der Bürger weiter steigt.

9.4

Dieses Phänomen wird noch dadurch verschärft, dass die jungen Generationen immer später und oftmals mit prekären Verträgen und schlechter Bezahlung ins Erwerbsleben eintreten, so dass sie niedrigere Rentenbeiträge als ihre Eltern im gleichen Alter zahlen.

9.5

Die Überalterung der Bevölkerung könnte eine längere Lebensarbeitszeit erfordern, aber noch dringlicher ist es — insbesondere in einigen EU-Ländern -, den Eintritt ins Erwerbsleben zu beschleunigen und genereller bessere Arbeitschancen und -bedingungen am Anfang des beruflichen Werdeganges zu gewährleisten.

9.6

Die Prognosen der Europäischen Kommission bis 2050 sehen eine Erhöhung der Rentenausgaben in sämtlichen Ländern der EU-15 außer in Österreich vor, weil dieses Land im Jahr 2000 Reformen auf den Weg gebracht hat. Nur ein leichter Anstieg der Rentenausgaben wird für Italien und Schweden vorhergesehen, da dort das jeweilige staatliche Rentensystem auf dem Beitragssystem beruht; für die anderen Länder werden substanzielle Steigerungen prognostiziert, in Portugal sogar um 9,7 %.

9.7

Das Problem der Nachhaltigkeit der Rentensysteme lässt sich folglich nicht als isoliertes Phänomen analysieren und lösen: Vielmehr müssen seine Ursachen eindeutig bestimmt werden, die sich nicht auf ein der europäischen Gesellschaft inhärentes Phänomen wie die generelle Überalterung der Bevölkerung beschränken, sondern die verschiedenen Aspekte des Arbeitsmarktes, des Wirtschaftswachstums und der sozialen Sicherungssysteme der einzelnen EU-Länder abdecken.

9.8

Zur Behandlung der Frage der Nachhaltigkeit der Rentensysteme sind Ziele festzulegen, die über die bloße Erhöhung des Renteneintrittsalters hinausgehen: Werden nämlich keine speziellen Kriterien angewandt, dann könnte sich diese Maßnahme als sinnlos und schädlich für die Lebensqualität der europäischen Bürger erweisen.

9.9

Angesichts der Unterschiede zwischen Arbeitsstellen mit mehr oder weniger verschleißenden, repetitiven und ermüdenden Tätigkeiten kann die Überalterung der Bevölkerung nicht ausschließlich mit einer Erhöhung des Renteneintrittsalters gelöst werden, denn eine längere Erwerbstätigkeit hat nicht für alle Berufe dieselbe Bedeutung, und es muss auch der Unterschied zwischen gesetzlichem und tatsächlichem Renteneintrittsalter berücksichtigt werden.

9.10

Die Bekämpfung der Prekarität, der Schwarzarbeit, die Unterstützung der Lohnpolitik, eine gerechtere Vermögensverteilung und ein stabilerer gesellschaftlicher Zusammenhalt gehen Hand in Hand mit einer unvermeidlichen, schrittweisen, gewollten Erhöhung des Renteneintrittsalters, die im Rahmen eines kontinuierlichen Dialogs mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft beschlossen und unterstützt werden soll.

10.   Gesundheitswesen

10.1

Selbstverständlich hat der Anstieg des Durchschnittsalters der Bevölkerung höhere Gesundheitsausgaben zur Folge. Es ist jedoch äußerst schwierig, die Entwicklung der Gesundheitsausgaben und die spezifischen Sektoren mit größerem Investitionsbedarf für die kommenden Jahrzehnte vorherzusagen. Die voraussichtlichen öffentlichen Ausgaben lassen sich unmöglich nur auf der Grundlage demografischer Tendenzen berechnen. Die Gesundheitsausgaben hängen auch davon ab, welche einschlägigen Maßnahmen beschlossen werden, von den medizinischen Fortschritten, der Entwicklung der Krankheiten, dem Umweltverschmutzungsgrad sowie von den politischen und technologischen Entscheidungen zur Eindämmung dieser Erscheinungen.

10.2

Wie bereits erläutert, belegen sämtliche Analysen jedoch die Tendenz zur Verlängerung der Berufstätigkeit. Ältere Arbeitnehmer sind gerade aufgrund ihres Alters zwangsläufig stärker als ihre jüngeren Kollegen gefährdet, zu erkranken oder unter nachlassenden Kräften zu leiden. Da die Zahl der älteren Arbeitnehmer gewiss weiter steigen wird, muss unverzüglich ein Gesundheitssystem konzipiert und verwirklicht werden, im Rahmen dessen in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union wirksame Vorsorgemaßnahmen durchgesetzt werden können. Darüber hinaus werden Arbeitnehmer, die seit langem prekäre Tätigkeiten ausüben, mit Erreichen des Rentenalters in eine Notlage geraten. Für diese Menschen muss das Gemeinwesen in unterschiedlicher Form aufkommen — entsprechend den Vorkehrungen der Sozialsysteme in den Mitgliedstaaten und auch in den Bereichen Gesundheitswesen und Pflegeleistungen. Folglich wird sich die zunehmende Prekarität unmittelbar auf die Sozialversicherungskosten auswirken.

10.3

Wenn das Ziel ist, die öffentlichen Ausgaben auf einem erträglichen Niveau zu halten, dann müssen die Mitgliedstaaten und die Europäische Union ihre Anstrengungen bündeln, um Programme für Pflege, Unfallverhütung, Begleitung und Informationsaustausch zu verwirklichen, indem sie hierfür Arbeitswelt und Gesundheitswesen enger und wirksamer miteinander verknüpfen.

10.4

Nicht alle beruflichen Tätigkeiten sind gleich. Die Überalterung der Arbeitskräfte wirkt sich auch auf die Tatsache aus, dass es mehr oder weniger anstrengende, mehr oder weniger gefährliche, mehr oder weniger repetitive Arbeiten gibt: Ein höheres Alter hat je nach Beruf unterschiedliche Konsequenzen. Ein älterer Arbeitnehmer kann keine anstrengenden manuellen Tätigkeiten ausüben, während er leichter Verwaltungs- oder intellektuelle Aufgaben wahrnehmen kann.

10.5

Die Verlängerung des Erwerbslebens bringt somit größere Gesundheitsprobleme für Arbeitnehmer in anstrengenden Berufen mit sich. Dieser Faktor muss berücksichtigt werden. Wenn für die Zukunft eine kontinuierliche Erhöhung des Renteneinstiegsalters in den geeigneten Sektoren geplant ist, dann müssen erhebliche Anstrengungen im Bereich Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz unternommen werden.

Brüssel, den 14. März 2007

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Der EWSA hatte bereits Gelegenheit, den Forschungsbedarf zur Analyse des Phänomens der Überalterung in der EU zu unterstreichen; siehe die Stellungnahme zum 7. Rahmenprogramm für Forschung „Forschungsbedarf im Rahmen des demographischen WandelsLebensqualität im Alter und Technologiebedarf“, ABl. C 74 vom 23.3.2005, S. 44.

(2)  Siehe auch die unlängst vorgelegte Mitteilung der Europäischen Kommission „Die demografische Zukunft EuropasVon der Herausforderung zur Chance“, KOM(2006) 571 endg..

(3)  Vgl. in diesem Zusammenhang die unlängst vorgelegte Stellungnahme des EWSA „Qualität des Arbeitslebens, Produktivität und Beschäftigung im Kontext von Globalisierung und demographischem Wandel“, ABl. C 318 vom 23.12.2006, Seite 157.

(4)  Siehe Stellungnahme CESE 92/2007 „Menschenwürdige Arbeit für alle fördern“.

(5)  Siehe zum Beispiel das vom EGB, von UNICE und CEEP unterzeichnete Dokument „Framework of actions for the lifelong learning development of competencies and qualifications“.

(6)  Vgl. zum Beispiel die unlängst vorgelegten Stellungnahmen CESE „Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen“, ABl. C 195 vom 18.8.2006, S. 109, und „Beziehungen zwischen den Generationen“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 150.

(7)  Vgl. Stellungnahme des EWSA „Beziehungen zwischen den Generationen“, ABl. C 157 vom 28.6.2005, S. 150.

(8)  Zum Thema Arbeitsqualität siehe beispielsweise die Mitteilung der Europäischen Kommission „Die jüngsten Fortschritte in der Verbesserung der Arbeitsplatzqualität“, KOM(2003) 728 endg.

(9)  Siehe die Stellungnahme des EWSA „Einwanderung, Integration und Beschäftigung“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 92.

(10)  Siehe in diesem Zusammenhang die unlängst vorgelegte Stellungnahme des EWSA „Die Einwanderung in die EU und die Integrationspolitik: Die Zusammenarbeit zwischen den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und den Organisationen der Zivilgesellschaft“, (SOC/219), ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 128.


Top