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Document 51997AC0770

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union - Jahresbericht 1996"

OJ C 296, 29.9.1997, p. 24–30 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

51997AC0770

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union - Jahresbericht 1996"

Amtsblatt Nr. C 296 vom 29/09/1997 S. 0024


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union - Jahresbericht 1996" (97/C 296/06)

Die Kommission beschloß am 13. Februar 1997, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 26. Juni 1997 an. Berichterstatterin war Frau Drijfhout-Zweijtzer.

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß verabschiedete auf seiner 347. Plenartagung (Sitzung vom 9. Juli 1997) mit 113 gegen 2 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Im Vierten Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Europäischen Union (1996-2000) wurde zum ersten Mal die Herausgabe eines Jahresberichts über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern vorgeschlagen. Der WSA befürwortete diese Initiative in seiner Stellungnahme von 22. November 1995. Am 12. Februar 1997 nahm die Kommission ihren ersten Jahresbericht 1996 an.

1.2. Dem Vorwort zufolge verfolgt die Kommission mit der Veröffentlichung dieses ersten Berichts drei Hauptziele: Die Gleichbehandlungspolitik soll publik gemacht werden (Evidenz); die Debatte über die zu erreichenden Fortschritte und die zu entwickelnde Politik soll gefördert werden (Strategie); der Kommission, den Mitgliedstaaten und den Beitrittsanwärtern soll ein Bezugspunkt an die Hand gegeben werden (Konvergenz).

1.3. Ferner beabsichtigt die Kommission mit diesem Bericht, die Fortschritte und Tendenzen auf europäischer und nationaler Ebene auf ausgewogene Weise wiederzugeben. Insofern dient der Bericht auch als Instrument zur Überprüfung der Fortschritte auf dem Gebiet der Chancengleichheit. Der erste Teil des Berichts orientiert sich weitgehend an dem Vierten Aktionsprogramm. Im zweiten Teil wird ein spezifisches Thema aus der Debatte über die Chancengleichheit behandelt.

2. Allgemeine Bemerkungen

2.1. In der Vergangenheit spielte die Kommission eine sehr wichtige Rolle, wenn es darum ging, einer Gemeinschaftspolitik zur Förderung der Chancengleichheit für Frauen und Männer Gestalt zu geben. Insbesondere legte sie Gesetzgebungsvorschläge vor, die zur Annahme der Richtlinien über die Gleichbehandlung führten, und stellte die verschiedenen fünfjährigen Aktionsprogramme auf. Diese Aktionsprogramme haben immer wieder Anstöße zu neuen, eingehenden Diskussionen über die Stellung der Frau geführt. Diese Politik hat dazu beigetragen, daß das Thema "Gleichbehandlung von Frauen und Männern" mehr Aufmerksamkeit erhielt und in den Mitgliedstaaten tatsächlich Fortschritte verzeichnet werden konnten, was zum Teil der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu verdanken ist. Die Annahme dieses ersten umfassenden Berichts über die Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union stellt nicht nur eine willkommene Ergänzung der bisherigen Gemeinschaftspolitik dar, sondern ist darüber hinaus ein neuer, konstruktiver Schritt zur Entwicklung einer allgemeinen und kohärenten Chancengleichheitspolitik der EU. Der WSA ist daher von dieser mehr als lobenswerten Initiative besonders angetan. Das Dokument verdient eine möglichst weite Verbreitung.

2.2. Wie jedoch anläßlich der Vorlage des Vierten Aktionsprogramms bereits gesagt wurde, bleibt noch ein langer Weg zurückzulegen. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Aussage des Berichts, der zufolge "Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit ... einen ehrgeizigen Ansatz (erfordern)", wobei "die Bemühungen nicht auf die Einführung spezifischer Maßnahmen zur Förderung der Frauen beschränkt werden können, sondern ... alle allgemeinen Maßnahmen und Strategien gezielt zugunsten der Chancengleichheit mobilisiert werden müssen" (Seite 10).

Daß die bisherige Politik im großen und ganzen (noch) nicht den gewünschten Erfolg und nicht immer zufriedenstellende Ergebnisse brachte, ist auch aus der Vielzahl an konkreten und sehr aktuellen statistischen Daten ersichtlich, die der Jahresbericht über die vielen Aspekte der Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt und ihrer Beteiligung an der Beschlußfassung liefert. Einzeln betrachtet liefern die dargelegten Fakten nicht viel Neues; doch die Bündelung all dieser Informationen in einem einzigen Dokument ist sicher sehr aufschlußreich, vor allem für diejenigen, die nicht unmittelbar für die Chancengleichheitspolitik verantwortlich sind, in der Praxis aber sehr wohl damit in Berührung kommen können. Daß die Kommission so großen Wert auf eine Bestandsaufnahme legt und die Informationen häufig weit in die Vergangenheit zurückreichen, gibt Anlaß zu der Frage, ob dieses Kommissionsdokument noch unter der Rubrik "Jahresbericht" geführt werden kann. Im übrigen ist für einen ersten Bericht dieser Ansatz noch verständlich, für die Zukunft würde der WSA jedoch ein anderes Konzept vorziehen. Auf diese Fragen wird in Kapitel 4 "Vorschläge und Empfehlungen" noch näher eingegangen.

2.3. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, welche Ziele mit einem solchen Jahresbericht verfolgt werden. Im Vorwort wird davon eine ganze Reihe aufgezählt, und es stellt sich die Frage, ob diese Ziele nicht zu weit gesteckt und zu ehrgeizig sind. In verschiedener Hinsicht kann nämlich festgestellt werden, daß der Bericht nicht immer so ganz die Erwartungen erfuellt, die die genannten Zielsetzungen wecken.

2.4. Obwohl sich der WSA darüber bewußt ist, daß dies damit zu tun haben kann, daß die Gemeinschaft auf bestimmten Gebieten keine Befugnisse besitzt, muß doch festgestellt werden, daß die angestrebte Ausgewogenheit nicht immer erkennbar ist, ganz gewiß nicht in der Beschreibung der europäischen und nationalen Entwicklungen auf bestimmten Gebieten; so wird mal den nationalen politischen Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den gemeinschaftlichen (insbesondere in Kapitel 2 Ziffer 2.2 über die Beschäftigungsstrategien) oder umgekehrt (z. B. in Kapitel 5, in dem ausschließlich gemeinschaftliche Entwicklungen skizziert werden). Unausgewogen ist auch die Art und Weise, wie die einzelnen Themen/Kapitel (oder Teile davon) behandelt werden. So werden bestimmte Aspekte kaum beleuchtet (z. B. Kapitel 5 "Wahrnehmung der Rechte").

2.5. Die Kommission ist der Ansicht, daß der Bericht als "Meßinstrument für die Chancengleichheit" dienen sollte. Offenbar meint sie damit die Möglichkeit zu prüfen, wie sich die Gemeinschaftspolitik in den Mitgliedstaaten ausgewirkt hat. In bezug auf einige Bereiche ist die Kommission dieser Frage tatsächlich nachgegangen, und vor allem im Hinblick auf die Strukturpolitik der EG und die Durchführung der Strukturfonds ist dieser Versuch geglückt, während auf anderen Gebieten Verbesserungen möglich wären (z. B. "Kinderbetreuung" und "Ausübung der Rechte"). Vielleicht liegt es an Art und Aufbau des Berichts, daß die (eigene) Politik nur in begrenztem Maße (kritisch) unter die Lupe genommen wird. Die vom WSA gewünschte geänderte Berichtsform bietet dafür künftig mehr Möglichkeiten (siehe Ziffer 4.1).

Auf einem anderen Blatt steht die Frage, wie die Gemeinschaft die Prioritäten ihrer Politik festlegt, zumal jetzt die Mittelausstattung des Vierten Aktionsprogramms zusammengestrichen wurde.

2.6. Unabhängig von den obigen Überlegungen wäre zu bemerken, daß der Bericht sich zu einseitig auf die Chancengleichheit konzentriert, weil dadurch der Eindruck erweckt wird, daß die Gleichstellung der Frau in bezug auf ihre Rechte bereits verwirklicht wäre. Beide Aspekte sind von herausragender Bedeutung; das Fundament ist die Gleichberechtigung, die Chancengleichheit ist erst der zweite Schritt. Infolge der Konzentration auf die Chancengleichheit und die Idee von Partnerschaft und "Mainstreaming" könnte nämlich leicht vergessen werden, daß die Garantie für gleiche Rechte ein ständiges Anliegen bleiben muß. Daß diese Gefahr nicht aus der Luft gegriffen ist, beweist schon die Tatsache, daß der Bericht der Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien in den Mitgliedstaaten zu wenig Beachtung schenkt und sich auch nicht ernsthaft mit den Problemen auseinandersetzt, auf die Frauen stoßen, wenn sie die Rechte geltend machen wollen, die ihnen nach den (gemeinschaftlichen und nationalen) Bestimmungen in Sachen Gleichbehandlung zustehen. Dieser Eindruck wird durch die Tatsache bestätigt, daß man in dem Bericht vergebens nach Hinweisen auf die derzeit laufende Diskussion über die Aufnahme eines allgemeinen Grundsatzes der Gleichbehandlung in den EG-Vertrag sucht (siehe dazu auch die Kalanke-Stellungnahme des WSA) (). Daß ein solcher Passus fehlt, fällt um so mehr auf, als jetzt in Kapitel 4 des Jahresberichts der Text der Charta von Rom "Frauen für die Erneuerung von Politik und Gesellschaft" vom 18. Mai 1996 wiedergegeben ist, in der es heißt: "Wir [d.h. die weiblichen Minister der Mitgliedstaaten der Europäischen Union] vertreten den Standpunkt, daß die Gleichheit von Frauen und Männern in dem neuen EU-Vertrag festgelegt werden muß." Sowohl in der Stellungnahme zum Vierten Aktionsprogramm () als auch in der Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG () hat sich der WSA dafür ausgesprochen.

2.7. Zum Schluß sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß die Gemeinschaft immer mehr auf allerlei nichtbindende Instrumente zurückweicht, um der Gemeinschaftspolitik Gestalt zu verleihen. Anscheinend geht die Kommission davon aus, daß z. B. Empfehlungen ebenfalls Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten beinhalten (siehe Seite 97), wenn schon nicht unmittelbar, so doch über die in Artikel 5 EGV verankerte "Treueklausel". Überdies stellt sich die Frage, auf welche Weise diese Instrumente/Dokumente zu den Stellen gelangen, die sie anzuwenden hätten (z. B. den Verhaltenskodex für gleiches Arbeitsentgelt) und wie deren Einhaltung überwacht wird. Darüber enthält der Bericht keinerlei Information.

3. Besondere Bemerkungen

3.1. Kapitel 1: Partnerschaften in einer sich verändernden Gesellschaft

3.1.1. Das globale und integrierte Konzept der neuen Chancengleichheitspolitik, das vor allem in der Einführung des "Mainstreaming"-Grundsatzes zum Ausdruck kommt, wird positiv beurteilt. "Mainstreaming" wird in dem Jahresbericht definiert als "die systematische Berücksichtigung der unterschiedlichen Prioritäten und Bedürfnisse von Frauen und Männern in allen Politikbereichen und Maßnahmen". Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Rechtsmittel, die Finanzmittel und die analytische und organisatorische Kapazität der Gemeinschaft für die Anwendung des Mainstreaming-Grundsatzes gleichzeitig mobilisiert werden müssen. Ferner wird die Notwendigkeit einer zuverlässigen statistischen Analyse, auf die sich die Chancengleichheitspolitik stützen kann, hervorgehoben. Die Entwicklung der Chancengleichheitspolitik ist jedoch so kompliziert und verläuft darüber hinaus so langsam, daß neben dem Mainstreaming zugleich spezifische Maßnahmen erforderlich bleiben, und zwar vor allem die Aktionen, die die Möglichkeiten für eine Berufstätigkeit und finanzielle Unabhängigkeit verbessern.

Leider beschränkt sich der Bericht auf den Hinweis, wie komplex die Anwendung des Mainstreaming-Grundsatzes in der Praxis ist und auf welche Probleme man dabei stoßen wird. Zwar gibt er eine kurze Übersicht über die möglichen Mainstreaming-Strategien auf den verschiedenen politischen Ebenen, doch sie wird nicht weiter ausgearbeitet, und man sucht vergeblich nach Maßnahmen, die die Gemeinschaft ergriffen oder ins Auge gefaßt hat, um den Mainstreaming-Grundsatz konkret umzusetzen. Abgesehen von den Niederlanden enthält der Bericht auch keinerlei Angaben darüber, wie der Grundsatz des Mainstreaming in den Mitgliedstaaten angewandt wird (ganz gleich, ob dies aufgrund der Einführung dieses Grundsatzes durch die Gemeinschaft oder unabhängig davon geschah).

Die im Jahresbericht skizzierte Lage in den Niederlanden enthält außerdem zwei interessante Elemente, mit denen man sich auf EG-Ebene näher befassen sollte. Es handelt sich zum einen um die sogenannte "Emancipatie Effectrapportage", mit der jede geplante Politik im voraus einer Prüfung unterzogen wird. Vielleicht könnte ein solches Instrument auch zur Bewertung der Gemeinschaftspolitik entwickelt werden, wobei im übrigen auch den Instrumenten, die in anderen Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet bestehen, Beachtung geschenkt werden sollte. Zum anderen zeigt die jüngere Entwicklung in den Niederlanden, daß die Mainstreaming-Politik auch Gefahren bergen kann, beispielsweise wenn sie dazu führt, daß besondere Emanzipations-Beratungsorgane abgeschafft werden (wie dies in den Niederlanden mit dem "Emanzipationsrat" geschehen ist), noch bevor geklärt ist, wie die Fragen der Emanzipation und der Chancengleichheit in andere (Beratungs-)Organe integriert und von diesen mitgetragen werden.

Gemäß der Mitteilung der Kommission mit dem Titel "Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft" sollten im Laufe des Jahres 1996 in bezug auf die Einführung bzw. Anwendung des Mainstreaming-Grundsatzes erhebliche Fortschritte erzielt werden. Insbesondere hätten Maßnahmen getroffen werden müssen, die eine ständige Überwachung und Bewertung der laufenden Aktionen ermöglichen, und im Hinblick darauf hätten probate analytische Indikatoren und Verfahren festgelegt werden müssen. Außerdem war vorgesehen, daß die Politik und die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie die auf EG-Ebene in diesem Bereich unternommenen Schritte in dem ersten Jahresbericht vorgestellt würden. Die Tatsache, daß in dem Bericht von alledem nichts auftaucht, läßt vermuten, daß in den Mitgliedstaaten - bedauerlicherweise - noch keine ausreichenden Fortschritte zu verzeichnen sind.

3.1.2. Daß der Grundsatz der Chancengleichheit in die gemeinschaftliche Strukturpolitik und - als Folge davon - in (nunmehr) alle Strukturfonds eingezogen ist und sich dies positiv vor allem auf den Einsatz der verfügbaren Mittel zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit von Frauen ausgewirkt hat, ist eine ermutigende Entwicklung. Trotz dieser Verbesserung besteht jedoch der Eindruck fort, daß immer noch ein zu geringer Teil der Strukturfonds-Mittel den Frauen zugute kommt. Dies gilt im übrigen auch für Projekte, die im Rahmen von Programmen wie SOKRATES oder LEONARDO finanziert werden. Sollen die Fonds und Programme die Chancengleichheit fördern, so bedarf es einer ständigen Überwachung und Bewertung aus einer geschlechterspezifischen Perspektive heraus. Dies gilt für alle Bereiche, in denen der Förderung der Chancengleichheit Hindernisse im Wege stehen.

3.1.3. Da sich der Jahresbericht an die breite Öffentlichkeit richtet, ist es bedauerlich, feststellen zu müssen, daß in dem Abschnitt über den sozialen Dialog und die Sozialpartner eine Chance vergeben wurde, weil der Bericht inhaltlich nicht mehr auf die im Rahmen des Sozialprotokolls von den Sozialpartnern erörterten Themen eingeht. Beispielsweise wird dem Ergebnis der ersten Phase der Beratungen auf der Grundlage des Protokolls über die Würde von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Der WSA will jedoch mit allem Nachdruck betonen, daß die Möglichkeit, die das Protokoll über die Sozialpolitik in bezug auf die Aufstellung von Regeln durch die Sozialpartner selbst geschaffen hat, die Kommission nicht von ihrer Verantwortung befreit, eigene Instrumente im Bereich der Gleichbehandlung zu entwickeln, und schon gar nicht, wenn es um "schwierige Themen" geht.

3.2. Kapitel 2: Frauen und Männer in einer sich wandelnden Wirtschaft

3.2.1. Mehr als die Hälfte dieses Kapitels ist eine Bestandsaufnahme der zahlreichen Aspekte der Stellung bzw. Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt. Eine der wichtigsten allgemeinen Feststellungen besteht darin, daß es nach wie vor eine starke Kluft zwischen den Einkommen von Männern und Frauen gibt, wobei die Konzentration der Frauen in Niedriglohnbeschäftigungen und die Arbeitsteilung auf dem Arbeitsmarkt als entscheidende Faktoren ausgemacht werden. Wie bereits erwähnt, gibt diese Information wenig spektakuläre neue Erkenntnisse her. Allerdings ist noch einmal zu betonen, daß eines der wichtigsten Ziele der Chancengleichheit das Recht auf Arbeit und finanzielle Unabhängigkeit ist. Die deutliche geschlechtliche Spaltung des Arbeitsmarktes steht einerseits der Chancengleichheit im Wege, stellt aber in einigen Bereichen auch ein Qualitätsproblem dar. Der Nutzwert dieser Information liegt möglicherweise eher in einem denkbaren Sensibilisierungseffekt bezüglich der Problematik bei den Arbeitnehmern und andern maßgeblich beteiligten Seiten. Bedauerlicherweise läßt der Bericht den Aspekt der beruflichen Anerkennung völlig außer acht. Die niedrige Einstufung von Arbeit, die zumal von Frauen verrichtet wird, bei Arbeitsbewertungs- und Entlohnungssystemen ist nämlich auch einer der Hauptgründe für die (zu) niedrige Bezahlung der Frauen.

3.2.2. Auch Veränderungen im Bildungsbereich sind für die Überwindung dieser Denkschemata sehr wichtig. In der WSA-Stellungnahme über die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen und Männern am Entscheidungsprozeß () wird hierzu u.a. ausgeführt, daß männliche Jugendliche und Männer dazu angeregt werden sollten, sich für einen traditionell eher weiblichen Beruf zu entscheiden. Im pädagogischen Bereich muß Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet werden, um Frauen eine größere Studienfreiheit und die Entwicklung eines größeren Selbstbewußtseins zu gestatten, so daß sie besseren Zugang zu einem breiteren Berufsspektrum und neuen Berufen haben und zugleich auch zur selbständigen Berufstätigkeit angeregt werden. Außerdem haben sich Systeme der Ausbildungs- und Studienbeihilfe als nützlich erwiesen, wenn es darum ging, allen Berufstätigen die Möglichkeit zu bieten, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten regelmäßig auf den neuesten Stand zu bringen.

3.2.3. Der Abschnitt über die geschlechtsabhängigen Arbeitsentgelte ist sowohl hinsichtlich seines analytischen Teils als auch bezüglich seiner Schlußfolgerungen nicht aussagekräftig genug. Den sehr spärlichen Daten von Eurostat zufolge verdienen Frauen in Europa im Schnitt etwa 20 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Das Belegmaterial für diese Prozentsatzangabe ist äußerst dünnhäutig und dürfte lediglich für Handarbeit zutreffen. Deswegen ist der WSA auch sehr gespannt auf die Ergebnisse der von der Kommission angekündigten Eurostat-Untersuchung über die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, bei der eine neue Analysesystematik zum Einsatz kommen soll und die im Juni 1997 veröffentlicht werden soll.

3.2.4. Eine zutreffende Darstellung in diesem Abschnitt ist die Aussage, daß auch die Unterschiede zwischen den Frauen untereinander zunehmen. Es ist jedoch äußerst bedauerlich, daß die Position der empfindlichsten und schwächsten "Frauengruppen", wie etwa zugewanderte Frauen, Frauen, die ethnischen Minderheiten angehören, ältere Frauen, alleinerziehende Mütter, mithelfende weibliche Familienangehörige, in den Beruf zurückkehrende und behinderte Frauen in diesem Abschnitt überhaupt nicht oder nur am Rande angesprochen wird. Es geht hier nämlich nicht allein um Frauen, die arbeiten wollen und können, sondern auch um Frauen, die durch ihre persönliche Situation nicht in der Lage sind, am Arbeitsprozeß teilzunehmen. Die Einkommenssituation dieser letztgenannten Personengruppe ist vielfach als schlecht zu bezeichnen. Die einfache Feststellung, daß die Unterschiede zwischen den Frauen zunehmen, die Situation dieser empfindlichen Personengruppen ein größeres Augenmerk und eine aktivere Haltung seitens der Gemeinschaft erforderlich macht, darf nicht nur in den Raum gestellt werden. Eurostat sollte kurzfristig mehr Datenmaterial über diese Personengruppen zusammentragen. Im übrigen bedauert der WSA feststellen zu müssen, daß auch in geographischer Hinsicht die Situation der Frauen in der Europäischen Union sehr unterschiedlich ist.

3.2.5. Eine positive Entwicklung sind die Mehrjahresprogramme zur Verbesserung des Arbeitsangebots, die die Mitgliedstaaten nach der Festlegung der fünf Prioritäten des Europäischen Rates von Essen aufgelegt hatten. Bei diesen Prioritäten wird ausdrücklich gefordert, die schwierige Situation arbeitsloser Frauen zu berücksichtigen. Wenngleich die meisten Länder Maßnahmen ergriffen haben, die die Frauen begünstigen oder speziell für sie bestimmt sind, so ist es doch bedauerlich, daß der Aspekt der Chancengleichheit für Männer und Frauen insgesamt gesehen bei der Konzipierung der Mehrjahresprogramme lediglich eine Nebenrolle spielte. Auch in bezug auf die zweite Programmreihe (1996) ist festzustellen, daß außer im Falle Schwedens das allgemeine Konzept erneut keine geschlechtsspezifische Perspektive enthält.

Die beschriebene unbefriedigende Situation der arbeitenden Frauen in der EU im Verbund mit der Tatsache, daß in den Mehrjahresprogrammen zur Verbesserung des Arbeitsangebotes in den meisten Fällen die geschlechtsspezifische Dimension fehlt, obwohl diese gerade einer der wichtigsten Ansatzpunkte der derzeitigen Chancengleichheitspolitik der Gemeinschaft ist, tut ein aktives Auftreten der Gemeinschaft not. Obgleich (u.a.) gemeinschaftliche Maßnahmen für äußerst wichtig erachtet werden, kommt die Gemeinschaft offensichtlich nicht viel weiter, als politische Erklärungen zur Förderung der Chancengleichheit abzugeben (wie etwa den Bericht an den Rat von Madrid). Deswegen sind die bislang auf EG-Ebene getroffenen Maßnahmen (von den Strukturfonds abgesehen) zu allgemein und zu wenig konkret angelegt, um den Grundsatz des Mainstreaming und die Einführung einer geschlechtsspezifischen Dimension bei der ins Visier genommenen Politik in die Praxis umzusetzen.

3.3. Kapitel 3: Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben

3.3.1. Mutterschaft ist bei der Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt ein maßgeblicher Problemfaktor. Die Vereinbarung von Familien- und Berufsleben wird hierdurch nachhaltig beeinflußt. Der WSA befürchtet, daß im Rahmen von Einsparungsmaßnahmen in einigen Mitgliedstaaten die Budgets für Kinderbetreuungseinrichtungen gekürzt werden, wodurch die Chancengleichheitspolitik beeinträchtigt wird. Die unzureichende Versorgung mit familienergänzenden Einrichtungen könnte im übrigen dazu führen, daß Frauen nur noch atypische Beschäftigungsverhältnisse annehmen können, unterhalb ihrer Qualifikationen liegende Arbeiten verrichten oder gar keiner bezahlten Berufstätigkeit mehr nachgehen.

Eine weitere negative Auswirkung besteht in der gesundheitlichen Beeinträchtigung der Frauen. Die Ergebnisse von Untersuchungen, die unlängst in Schweden und Norwegen durchgeführt wurden, zeigen, daß sich die Doppelbelastung, die aus einer Vollzeitbeschäftigung und der (nicht ausgewogen verteilten) unbezahlten Hausarbeit resultiert, immer schwerwiegender auf die Gesundheit der Frauen auswirkt.

Die Vereinbarung von Berufstätigkeit und Familie kann nicht nur durch Mutterschaft, sondern auch durch die Versorgung älterer Menschen/Eltern oder eines kranken Partners erschwert werden. Diese Problematik wird im Bericht nicht ausführlicher behandelt, und deswegen bleibt gerade dieser letztgenannte Betreuungsaspekt völlig außer acht. So wird denn auch gar nicht darauf eingegangen, welche Konsequenzen die Kombination von Versorgung und Berufstätigkeit und das Fehlen einer entsprechenden sozialen Absicherung in diesem Zusammenhang hat.

Im Bericht wird in einem gewissen Maße die Situation in den Mitgliedstaaten bezüglich der vorhandenen Unterbringungsmöglichkeiten für Kinder geschildert, aber die Kommission kommt zu dem Ergebnis, daß die verfügbaren Informationen keinen Schluß darüber hergeben, ob die Kinderbetreuungsdienste den Grundsätzen genügen, die in der Empfehlung über Kinderbetreuung festgeschrieben wurden (finanzielle Zumutbarkeit, Verfügbarkeit, zuverlässige Betreuung usw.). Es fehlt ein einheitliches System für die Erhebung von Standarddaten und deren Interpretation. Der WSA ist der Auffassung, daß die Kommission Initiativen auf den Weg bringen sollte für die Schaffung eines solchen Systems.

Im Rahmen des zweiten und dritten Aktionsprogramms für Chancengleichheit wurde das "Netzwerk Kinderbetreuung" der Europäischen Kommission eingerichtet. Innerhalb dieses Netzes wurden eine Reihe von Problemen angegangen, die die Möglichkeiten einer Kombination von Arbeit und Familienleben beeinträchtigen, wie etwa das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen, gleiches Recht auf Arbeit für Eltern sowie der von den Männern übernommene Anteil der Kinderbetreuung. Von Anfang an wurde bei diesem Netz sehr starker Wert auf Qualität gelegt. Als das vierte Programm für Chancengleichheit verabschiedet wurde, wurde das Netzwerk aufgelöst. Die Kinderbetreuung (einschließlich des außerschulischen Bereichs) ist ein Gebiet, dem zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet wird, obwohl es die Chancengleichheit für Männer und Frauen belastet. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß wenn keine geeigneten gemeinschaftlichen Initiativen entwickelt werden, um dieses Problem zu lösen, dieses Netzwerk reaktiviert werden muß.

3.3.2. Als positiv zu werten ist die Untersuchung der Steuer- und sozialen Versicherungspolitik auf potentielle Diskriminierungseffekte, die die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt beeinträchtigen können, und in diesem Zusammenhang die zunehmende Berücksichtigung der Frage der Individualisierung der sozialen Sicherheits- und Steuersysteme. Diese Systeme müssen auf das Individuum zugeschnitten sein. Dies ist der einzig richtige Ansatz. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, inwieweit die Aufhebung abgeleiteter Rechte die finanzielle Situation der ("empfindlichsten" Kategorien von) Frauen verschlechtert, wenn nicht gleichzeitig für einen angemessenen Ausgleich (im Sinne der Begegnung der Armut) gesorgt wird. Die derzeit in den Mitgliedstaaten durchgeführten Vergleichsstudien können als Ausgangspunkt dienen für künftige Vorschläge zu diesem Bereich.

Darüber hinaus sollten auch die Konsequenzen bedacht werden, die die Privatisierung auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Stellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und für die Gleichbehandlung von Frauen und Männern haben können. So hat in den Niederlanden die Privatisierung der Krankenversicherung Auswirkungen für alle Arbeitnehmer, aber offensichtlich werden vor allem flexible Arbeitnehmer und Hausangestellte, die sich bekanntermaßen überwiegend aus Frauen rekrutieren, am stärksten getroffen (insbesondere in bezug auf den Bezug von Krankengeld). Ferner müßte das Augenmerk auch darauf gerichtet werden, daß die sozialen Sicherheitssysteme vielfach nicht zugeschnitten sind auf atypische Arbeitsformen (d.h. andere Arbeitsverhältnisse als Vollzeitarbeit auf unbegrenzte Zeit), wobei es gerade Frauen sind, die in solchen atypischen Arbeitsverhältnissen stehen. Nach Ansicht des WSA ist die Privatisierungsfrage ein Aspekt, dessen nähere Betrachtung im folgenden Bericht der Kommission sich geradezu anbietet. Besonderes Augenmerk sollte dabei den sich für Frauen ergebenden Auswirkungen gewidmet werden. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen wäre es vielleicht angezeigt, im nächsten Bericht den Fragenkomplex soziale Sicherheit in einem größeren Kontext zu betrachten, d.h. im Verbund mit den bestehenden Richtlinien (79/7, 86/78, aber auch 86/613 betreffend Selbständige) sowie dem dritten Richtlinienvorschlag zur Ergänzung der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit zu beleuchten.

3.4. Kapitel 4: Förderung der ausgewogenen Beteiligung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozeß

3.4.1. Die ausführliche Schilderung der derzeitigen Situation im Bericht unterstreicht noch einmal die diesbezügliche Benachteiligung der Frauen. Ende 1997 wird sich zeigen, inwieweit die Empfehlung des Rates vom 2. Dezember 1996 zur ausgewogenen Mitwirkung von Männern und Frauen im Entscheidungsprozeß wirklich dazu beiträgt, daß diese Kluft überbrückt wird.

Daß die Kommission dieses Ziel in ihre eigene Personalpolitik aufgenommen hat ist positiv zu werten, trägt aber leider bislang noch nicht genügend Früchte. Wenn dieses Ziel tatsächlich in der Praxis mit Leben erfuellt wird, kann diese Politik den Mitgliedstaaten, Sozialpartnern, Nichtregierungsorganisationen usw. als Vorbild dienen.

Im Rahmen einer kontinuierlichen Bewertung und Debatte kommt es allerdings darauf an, daß zur Förderung dieser Beteiligung auf geeigneter Ebene Zieldaten und Zeithorizonte festgelegt werden.

3.5. Kapitel 5: Frauen in die Lage versetzen, ihre Rechte wahrzunehmen

3.5.1. Als Vorbemerkung zu Kapitel 5 läßt sich feststellen, daß der Inhalt dieses Abschnittes seiner Überschrift nicht ganz gerecht wird. Nur ein kleiner Teil dieses Kapitels beschäftigt sich nämlich wirklich mit dem Problem der Wahrung der Rechte der Frauen aufgrund der gemeinschaftlichen (und auch einzelstaatlichen) Rechtsvorschriften über Gleichbehandlung.

In erster Linie wird der gemeinschaftliche Rechtsrahmen beschrieben und dargelegt, welche Entwicklungen sich diesbezüglich im Laufe der Zeit ergeben haben. Diese Darstellung ist jedoch aus folgenden Gründen zu knapp und unvollständig: Nur die Entwicklungen, die auf EG-Ebene eingetreten sind (in der Rechtsprechung des Gerichtshofs und in der Rechtsetzung), werden im Kommissionsdokument geschildert. Die Umsetzung und Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und die einschlägige Politik der Mitgliedstaaten bleiben völlig außen vor, obgleich es besonders interessant wäre zu vernehmen, in welchen Punkten (etwa bezüglich der Anwendung des Konzepts der indirekten Diskriminierung) hier Schwachstellen bestehen. Es hat wenig Sinn, darauf einzugehen, welche Entwicklungen im einzelnen auf Gemeinschaftsebene stattfinden, wenn deren Umsetzung und Respektierung in den Mitgliedstaaten (auf die es ja letztendlich ankommt) völlig außer Betracht gelassen wird. So mutet es auch befremdlich an, daß die Ausführungen über die Schwangerschaftsrichtlinie sich lediglich auf eine Inhaltsangabe beschränken. Die Kommission verfügt vielleicht nicht über die nötigen offiziellen Informationen der einzelstaatlichen Behörden hinsichtlich der Umsetzung dieser Richtlinie (deren Umsetzungsfrist übrigens Oktober 1994 war), aber ein Bericht des Juristischen Dienstes der Europäischen Kommission gibt sehr wohl Aufschluß darüber, in welcher Form diese Richtlinie von den Mitgliedstaaten umgesetzt worden ist.

Außerdem beschränkt sich der Bericht der Kommission in diesem Abschnitt auf die Feststellung von Entwicklungen, ohne näher darauf einzugehen. Vor diesem Hintergrund mutet es doch bedenklich an, daß in Fragen der sozialen Sicherheit der Gerichtshof in bezug auf die objektive Rechtfertigung indirekter Diskriminierungsformen (Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts, Ziel einer legitimen Sozialpolitik) eine stets großzügigere Haltung an den Tag legt.

3.5.2. Was den Umgang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Gleichbehandlung anbelangt, ist die Kommission hinsichtlich ihrer eigenen Aktivitäten nicht sehr kritisch. Es ist dem WSA bekannt, daß der Juristische Dienst wiederholt darauf hingewiesen hat, daß die Kommission die Durchführungs- und Anwendungsversäumnisse der Mitgliedstaaten stärker im Auge behalten und in diesem Zusammenhang eine Strategie im Sinne von Artikel 169 wählen sollte. Außerdem gab es in bezug auf mehrere Mitgliedstaaten konkrete Anregungen, Verfahren gemäß Artikel 169 einzuleiten. Bislang gab es jedoch lediglich elf Rechtsverletzungsverfahren.

Der Bericht der Kommission gibt auch wenig Aufschluß über die Probleme, die Frauen vorfinden, wenn sie ihre Rechte vor den einzelstaatlichen Gerichten durchsetzen wollen. Im Bericht wird lediglich in groben Zügen darauf hingewiesen, daß mit Unterstützung der Kommission eine Konferenz zu diesem Thema stattgefunden hat, während völlig unerwähnt bleibt, welche eingehenden Untersuchungen im Vorfeld zu dieser Konferenz in sämtlichen Mitgliedstaaten durchgeführt wurden. Bei diesen Untersuchungen sind allerdings eine ganze Reihe von Hindernissen zutage getreten wie fehlende einschlägige Kenntnisse, Kosten und Dauer der Gerichtsverfahren, die Beweisführung und die Beweislastaufteilung. Hinzu kommt bei Arbeitnehmern, die sich diskriminiert fühlen, die Angst, letztendlich das Opfer des von ihnen angestrengten gerichtlichen Vorgehens zu werden. Deswegen sehen viele Arbeitnehmer von einem Gerichtsverfahren gegen ihren Arbeitgeber ab. Dies zeigt, daß die Beweislast nur eines der zahlreichen Probleme ist. Der Bericht beschreibt zwar, welche Forderungen die Gemeinschaft (d.h. der Gerichtshof) festgeschrieben hat, um einen effizienteren Rechtsschutz zu gewährleisten, gibt aber keinerlei Anregungen, wie auf die festgestellten Hemmnisse durch gemeinschaftliches Handeln reagiert werden sollte. Es sieht so aus, als ob die Gemeinschaft (sprich die Kommission) in dieser Materie zu starke Zurückhaltung an den Tag legt.

3.5.3. Bezüglich der sehr detaillierten Ausführungen zu dem Kommissionsvorschlag zur Änderung der Richtlinie 76/207 möchte der WSA daran erinnern, daß er in seiner Stellungnahme vom 25. September 1996 diesen Vorschlag nicht befürwortet hat.

3.6. Kapitel 6: Die Fortschritte von Peking

3.6.1. Der WSA bekräftigt noch einmal die Bedeutung der auf der Pekinger Konferenz geschaffenen Plattform, die sich mit denselben Grundfragen und Prioritäten beschäftigt wie die Europäische Union. Dies bedeutet, daß die weltweite Zusammenarbeit bei den Aktivitäten der EU im Bereich der Chancengleichheit für Männer und Frauen eine hohe Priorität erhalten muß.

Bezüglich der in diesem Kapital behandelten Thematik ist festzustellen, daß im Jahre 1996 wenig unternommen und auch wenig erreicht wurde.

4. Anregungen und Empfehlungen

4.1. Es wäre vielleicht besser, alle drei Jahre anläßlich der Bewertung des laufenden Aktionsprogramms und im Vorfeld der Konzipierung des nächsten Aktionsprogramms eine allgemeine Bilanz zu ziehen, d.h. einen Bestandsaufnahmebericht zu erstellen, bei dem vor allem anhand von Fakten und statistischen Daten untersucht wird, ob sich die Stellung der Frauen konkret verbessert hat, und danach herauszukristallisieren, inwieweit die getroffenen Maßnahmen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind. Die (kürzer zu haltenden) Jahresberichte könnten u.a. hierfür als Grundlage dienen, indem sie sich vor allem auf die spezifischen Auswirkungen konzentrieren, die eine bestimmte gemeinschaftliche oder einzelstaatliche Aktion bzw. Maßnahme zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen gezeitigt hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es zweckmäßig, daß dieser Bericht sich einerseits auf den Wirkungsgrad der gemeinschaftlichen Politik/Rechtsetzung in den Mitgliedstaaten konzentriert und zum anderen deutlich macht, welche ergänzenden/neuen gemeinschaftlichen politischen/legislativen Maßnahmen geboten erscheinen.

Das Vorwort des Jahresberichts der Kommission läßt darauf schließen, daß auch in den nächsten Jahresberichten das gleiche Konzept beibehalten werden, d.h. nach der Struktur des vierten Aktionsprogramms vorgegangen werden soll. Es stellt sich die Frage, ob dies zweckmäßig ist. Zum einen erscheint diese Gliederung nämlich ziemlich künstlich, weil einige Aspekte unter mehrere Betrachtungsfelder fallen und deswegen in mehreren Kapiteln angeschnitten werden, wodurch unnötige Wiederholungen stattfinden. Auch könnten die jüngsten Entwicklungen im Bereich der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Chancengleichheit als solche in den entsprechenden Kapiteln besser unter einen Hut gebracht werden, weil Politik und Gesetzgebung nicht völlig unabhängig voneinander betrachtet werden sollten.

Viel wichtiger ist jedoch, daß die im Bericht vermittelten Informationen gliederungsbedingt bisweilen über den Gemeinplatz nicht hinauskommen. Es wäre vielleicht empfehlenswert, bestimmte Prinzipien oder Aktionsschwerpunkte herauszugreifen und zu betrachten, wie diese auf spezifischen Gebieten eingeführt bzw. umgesetzt wurden. So könnte beispielsweise untersucht werden, inwieweit der Grundsatz des Mainstreaming auf einem bestimmten politischen Gebiet (etwa Verkehr, Landwirtschaft) zur Anwendung gekommen ist und welchen Effekt er gebracht hat.

4.2. Vor allem unter Ziffer 3 der vorliegenden Stellungnahme wurden einige Anregungen vorgetragen. Diese seien an dieser Stelle kurz zusammengefaßt und um einige zusätzliche Empfehlungen ergänzt. Die wirksamste Strategie dürfte darin bestehen, daß die Kompetenz und die Fähigkeiten der Frauen ausgebaut und verbessert werden und weiterhin Einfluß zugunsten einer positiven Einstellung gegenüber Mädchen und Frauen, die eine Familie gründen, ausgeübt wird.

- Aufnahme des Prinzips der Gleichbehandlung von Frauen und Männern in den Vertrag;

- Zielwerte und Zeithorizonte für die ausgewogene Mitwirkung von Männern und Frauen in Entscheidungsgremien;

- Informationskampagne, um dem Verhaltenskodex "gleiches Entgelt für gleiche Arbeit" größeren Bekanntheitsgrad zu verschaffen;

- Verbesserung der statistischen Untersuchungsverfahren betreffend Entlohnungsunterschiede zwischen Mann und Frau, um herauszufinden, ob die Gleichlohnpolitik Wirkung zeigt;

- Analyse des zukünftigen Arbeitsmarktes für Frauen;

- die Erforschung von Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsmarktposition der Frauen;

- Untersuchung der wirtschaftlichen Situation gesellschaftlich schwächerer Frauenkategorien;

- Einleitung gemeinschaftlicher Initiativen im Bereich der Kinderbetreuung bzw. wenn dies nicht möglich ist, Reaktivierung des Netzwerks Kinderbetreuung;

- im Interesse der Übersichtlichkeit des Berichtes sollten kleine Exkurse über die Situation oder Initiativen eines Mitgliedstaats der EU auf einem bestimmten Gebiet entweder in einem gesonderten Anhang oder aber am Ende jedes Kapitels stehen.

Brüssel, den 9. Juli 1997.

Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Tom JENKINS

() ABl. C 30 vom 30. 1. 1997; "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen".

() ABl. C 39 vom 12. 2. 1996.

() ABl. C 204 vom 15. 7. 1996.

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