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Document 62007TJ0024

Urteil des Gerichts erster Instanz (Fünfte Kammer) vom 1. Juli 2009.
ThyssenKrupp Stainless AG gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Wettbewerb - Kartelle - Flacherzeugnisse aus nichtrostendem Stahl - Entscheidung, die nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags unter Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 einen Verstoß gegen Art. 65 KS feststellt - Legierungszuschlag - Zuständigkeit der Kommission - Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung - Rechtskraft - Verteidigungsrechte - Akteneinsicht - Verjährung - Verbot der Doppelbestrafung - Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens.
Rechtssache T-24/07.

European Court Reports 2009 II-02309

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2009:236

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

1. Juli 2009 ( *1 )

„Wettbewerb — Kartelle — Flacherzeugnisse aus nichtrostendem Stahl — Entscheidung, die nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags unter Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 einen Verstoß gegen Art. 65 KS feststellt — Legierungszuschlag — Zuständigkeit der Kommission — Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung — Rechtskraft — Verteidigungsrechte — Akteneinsicht — Verjährung — Grundsatz ne bis in idem — Zusammenarbeit während des Verwaltungsverfahrens“

In der Rechtssache T-24/07

ThyssenKrupp Stainless AG mit Sitz in Duisburg (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Klusmann und S. Thomas,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Castillo de la Torre, R. Sauer und O. Weber als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen vollständiger oder teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 20. Dezember 2006 in einem Verfahren nach Art. 65 [KS] (Sache COMP/F/39.234 – Legierungszuschlag, Neuentscheidung) und hilfsweise wegen Herabsetzung der gegen ThyssenKrupp Stainless durch diese Entscheidung verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter M. Prek und V. M. Ciucă,

Kanzler: T. Weiler, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2008

folgendes

Urteil

Rechtlicher Rahmen

1. Vorschriften des EGKS-Vertrags

1

Art. 65 KS sieht vor:

„§ 1.   Verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, insbesondere

a)

die Preise festzusetzen oder zu bestimmen;

b)

die Erzeugung, die technische Entwicklung oder die Investitionen einzuschränken oder zu kontrollieren;

c)

die Märkte, Erzeugnisse, Abnehmer oder Versorgungsquellen aufzuteilen.

§ 2.   Die Kommission genehmigt jedoch für bestimmte Erzeugnisse Vereinbarungen über Spezialisierung oder über gemeinsamen Ein- oder Verkauf, wenn [bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind] …

§ 3.   Die Kommission kann sich gemäß den Bestimmungen des Artikels 47 alle zur Anwendung dieses Artikels erforderlichen Auskünfte verschaffen, und zwar durch eine besondere, an die Beteiligten gerichtete Aufforderung oder durch eine Verordnung, durch welche die Art der ihr mitzuteilenden Vereinbarungen, Beschlüsse oder Praktiken näher bezeichnet wird.

§ 4.   Nach § 1 dieses Artikels untersagte Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig; eine Berufung auf sie ist vor keinem Gericht der Mitgliedstaaten zulässig.

Vorbehaltlich der bei dem Gerichtshof zu erhebenden Klagen ist die Kommission ausschließlich zuständig, darüber zu entscheiden, ob die genannten Vereinbarungen oder Beschlüsse mit den Bestimmungen dieses Artikels in Einklang stehen.

§ 5.   Gegen Unternehmen, die eine nichtige Vereinbarung getroffen oder im Wege eines Schiedsverfahrens, einer Vertragsstrafe, des Boykotts oder irgendeines anderen Mittels eine Vereinbarung oder einen nichtigen Beschluss oder eine Vereinbarung, deren Genehmigung abgelehnt oder widerrufen worden ist, angewendet oder anzuwenden versucht haben, oder die Vergünstigung einer Genehmigung durch vorsätzlich falsche oder entstellte Auskünfte erlangen, oder zu den Bestimmungen des § 1 im Widerspruch stehende Praktiken anwenden, kann die Kommission Geldbußen und Zwangsgelder festsetzen; der Höchstbetrag dieser Geldbußen und Zwangsgelder darf das Doppelte des Umsatzes nicht überschreiten, der in den Erzeugnissen erzielt worden ist, die Gegenstand der Vereinbarung, des Beschlusses oder der Praktiken waren, die zu den Bestimmungen dieses Artikels im Widerspruch stehen; war eine Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung oder der Investitionen beabsichtigt, so wird dieser Höchstbetrag bis auf höchstens 10 v. H. des Jahresumsatzes der betreffenden Unternehmen erhöht, soweit es sich um die Geldbuße handelt, und bis auf höchstens 20 v. H. des Tagesumsatzes, soweit es sich um die Zwangsgelder handelt.“

2

Gemäß seinem Art. 97 ist der EGKS-Vertrag am 23. Juli 2002 ausgelaufen.

2. Mitteilung der Kommission über bestimmte Aspekte der Behandlung von Wettbewerbsfällen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags

3

Am 18. Juni 2002 erließ die Kommission eine Mitteilung über bestimmte Aspekte der Behandlung von Wettbewerbsfällen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags (ABl. C 152, S. 5, im Folgenden: Mitteilung vom ).

4

In Randnr. 2 der Mitteilung vom 18. Juni 2002 ist als deren Zweck angegeben:

„—

die Zusammenfassung der wichtigsten, sich aus dem Übergang zu der EG-Regelung ergebenden Änderungen in Bezug auf das geltende materielle und formelle Recht für die Wirtschaftsbeteiligten und die Mitgliedstaaten, soweit sie vom EGKS-Vertrag und seinen einschlägigen sekundären Rechtsvorschriften betroffen sind …

die Erläuterung, wie die Kommission bestimmte Fragen zu behandeln beabsichtigt, die durch den Übergang von der EGKS Regelung zu der EG-Regelung in Bezug auf das Kartellrecht, die Fusionskontrolle und die Kontrolle staatlicher Beihilfen aufgeworfen werden“

5

Randnr. 31 der Mitteilung vom 18. Juni 2002 gehört zum Abschnitt über besondere Probleme beim Übergang von der EGKS-Regelung zur EG-Regelung und lautet:

„Stellt die Kommission bei Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft auf Vereinbarungen in einem unter den EGKS-Vertrag fallenden Bereich einen Verstoß fest, so sind unabhängig vom Zeitpunkt der Anwendung die materiellen Rechtsvorschriften anwendbar, die bei Eintreten der Fakten, die den Verstoß darstellen, in Kraft waren. In jedem Fall gilt für das Verfahren nach Auslaufen des EGKS-Vertrags das EG-Recht.“

3. Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1/2003

6

Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt:

„Zur Anwendung der Artikel 81 und 82 [EG] verfügt die Kommission über die in dieser Verordnung vorgesehenen Befugnisse.“

7

Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„Stellt die Kommission auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 oder Artikel 82 [EG] fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen. Sie kann ihnen hierzu alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen verhaltensorientierter oder struktureller Art vorschreiben, die gegenüber der festgestellten Zuwiderhandlung verhältnismäßig und für eine wirksame Abstellung der Zuwiderhandlung erforderlich sind. Abhilfemaßnahmen struktureller Art können nur in Ermangelung einer verhaltensorientierten Abhilfemaßnahme von gleicher Wirksamkeit festgelegt werden, oder wenn letztere im Vergleich zu Abhilfemaßnahmen struktureller Art mit einer größeren Belastung für die beteiligten Unternehmen verbunden wäre. Soweit die Kommission ein berechtigtes Interesse hat, kann sie auch eine Zuwiderhandlung feststellen, nachdem diese beendet ist.“

8

Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a)

gegen Artikel 81 oder Artikel 82 [EG] verstoßen oder

b)

einer nach Artikel 8 erlassenen Entscheidung zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen zuwiderhandeln oder

c)

durch Entscheidung gemäß Artikel 9 für bindend erklärte Verpflichtungszusagen nicht einhalten.

Die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen oder jede beteiligte Unternehmensvereinigung darf 10% seines bzw. ihres jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen.

Steht die Zuwiderhandlung einer Unternehmensvereinigung mit der Tätigkeit ihrer Mitglieder im Zusammenhang, so darf die Geldbuße 10% der Summe der Gesamtumsätze derjenigen Mitglieder, die auf dem Markt tätig waren, auf dem sich die Zuwiderhandlung der Vereinigung auswirkte, nicht übersteigen.“

9

Art. 27 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„(1)   Vor einer Entscheidung gemäß den Artikeln 7, 8, 23 oder 24 Absatz 2 gibt die Kommission den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das von ihr betriebene Verfahren richtet, Gelegenheit, sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die sie in Betracht gezogen hat. Die Kommission stützt ihre Entscheidung nur auf die Beschwerdepunkte, zu denen sich die Parteien äußern konnten. Die Beschwerdeführer werden eng in das Verfahren einbezogen.

(2)   Die Verteidigungsrechte der Parteien müssen während des Verfahrens in vollem Umfang gewahrt werden. Die Parteien haben Recht auf Einsicht in die Akten der Kommission, vorbehaltlich des berechtigten Interesses von Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse. Von der Akteneinsicht ausgenommen sind vertrauliche Informationen sowie interne Schriftstücke der Kommission und der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten. Insbesondere ist die Korrespondenz zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten oder zwischen den Letztgenannten, einschließlich der gemäß Artikel 11 und Artikel 14 erstellten Schriftstücke, von der Akteneinsicht ausgenommen. Die Regelung dieses Absatzes steht der Offenlegung und Nutzung der für den Nachweis einer Zuwiderhandlung notwendigen Informationen durch die Kommission in keiner Weise entgegen.

…“

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

10

Die Krupp Thyssen Nirosta GmbH, eine Gesellschaft deutschen Rechts, entstand am 1. Januar 1995 aus der Zusammenlegung der Tätigkeiten der Thyssen Stahl AG (im Folgenden: Thyssen) und der Fried. Krupp AG Hoesch-Krupp im Bereich „nichtrostende säure- und hochtemperaturbeständige Flachstahlerzeugnisse“. Aus Krupp Thyssen Nirosta wurde nach mehreren Änderungen der Firmenbezeichnung die ThyssenKrupp Stainless AG (im Folgenden: Klägerin oder TKS).

11

Rostfreier Stahl ist ein Edelstahl, dessen Haupteigenschaft seine Korrosionsbeständigkeit ist. Diese Eigenschaft wird durch die Verwendung verschiedener Legierungselemente (Chrom, Nickel, Molybdän) während des Herstellungsprozesses erzielt. Rostfreier Stahl wird für Flacherzeugnisse (Bleche oder Rollen; warm- oder kaltgewalzt) oder für Langerzeugnisse (Stäbe, Walzdraht, Profile; warmgewalzt oder fertig bearbeitet) eingesetzt. Die meisten dieser Erzeugnisse sind EGKS-Erzeugnisse im Sinne von Art. 81 KS.

12

Aufgrund von Informationen in der Fachpresse und von Klagen einiger Verbraucher ersuchte die Kommission am 16. März 1995 gemäß Art.47 KS eine Reihe von Herstellern von rostfreiem Stahl, ihr verschiedene Informationen über den von ihnen berechneten gemeinsamen Aufpreis zu übermitteln, der unter der Bezeichnung „Legierungszuschlag“ bekannt ist.

13

Der Legierungszuschlag ist ein Aufpreis, der entsprechend den Kursen der Legierungselemente berechnet wird und um den sich der Grundpreis für rostfreien Stahl erhöht. Die Kosten der von den Herstellern von rostfreiem Stahl eingesetzten Legierungselemente (Nickel, Chrom und Molybdän) machen einen sehr hohen Anteil der gesamten Herstellungskosten aus. Die Kurse dieser Rohstoffe unterliegen außerordentlichen Schwankungen.

14

Aufgrund der eingegangenen Informationen sandte die Kommission am 19. Dezember 1995 an 19 Unternehmen eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.

15

Nachdem die Kommission eine Reihe von Überprüfungen vor Ort durchgeführt hatte, teilten ihr die Rechtsanwälte oder Vertreter einiger Unternehmen im Dezember 1996 und Januar 1997 ihren Wunsch nach Zusammenarbeit mit. Am 17. Dezember 1996 übersandte TKS der Kommission dazu eine Erklärung.

16

Am 24. April 1997 übermittelte die Kommission den betroffenen Unternehmen eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte, die diejenige vom ersetzte. TKS und Thyssen erhielten jeweils eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, und jedes dieser Unternehmen beantwortete sie getrennt mit Schreiben seines Vertreters vom .

17

Mit Schreiben an die Kommission vom 23. Juli 1997 (im Folgenden: Erklärung vom ) erklärte TKS Folgendes:

„[I]m Zusammenhang mit dem im Betreff genannten Verfahren [Sache IV/35.824 – TKS] haben Sie gegenüber dem Rechtsvertreter der Thyssen … um eine ausdrückliche Bestätigung der [TKS] gebeten, dass diese infolge der Übertragung des Geschäftsbereichs Rostfrei-Flach der Thyssen … die Verantwortung für etwaige Verhaltensweisen der Thyssen … übernimmt, soweit Rostfrei Flachprodukte, die Gegenstand des genannten Verfahrens sind, und zwar auch, soweit sie bis ins Jahr 1993 zurückreichen, betroffen sind. Dies bestätigen wir Ihnen hiermit ausdrücklich.“

18

Am 21. Januar 1998 erließ die Kommission die Entscheidung 98/247/EGKS in einem Verfahren nach Artikel 65 EGKS-Vertrag (Sache IV/35.814 – Legierungszuschlag) (ABl. L 100, S. 55).

19

Dieser Entscheidung zufolge vereinbarte die Mehrheit der Hersteller von Flacherzeugnissen aus rostfreiem Stahl bei einer Zusammenkunft in Madrid am 16. Dezember 1993, ihre Preise in abgestimmter Weise durch eine Änderung der Berechnungsparameter für den Legierungszuschlag anzuheben. Zu diesem Zweck beschlossen sie, vom an einen Legierungszuschlag nach der letztmals 1991 benutzten Formel anzuwenden und wählten für alle Hersteller als Referenzwerte für die Legierungen die vom September 1993, als der Nickelkurs auf einen historischen Tiefstand gefallen war.

20

Die Kommission war der Ansicht, dass die betroffenen Unternehmen damit durch abgestimmte Änderung der Referenzwerte der Formel zur Berechnung des Legierungszuschlags und durch Anwendung dieser Änderung gegen Art. 65 § 1 KS verstoßen hätten, wobei diese Handlungsweise die Beschränkung und Verfälschung des normalen Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt sowohl zum Ziel als auch zur Folge gehabt habe.

21

Die Entscheidung 98/247 wurde TKS, nicht aber Thyssen mitgeteilt.

22

Aus dem 102. Erwägungsgrund und den Art. 1 und 2 der Entscheidung 98/247 geht hervor, dass die Kommission TKS aufgrund der Erklärung vom 23. Juli 1997 als für das Verhalten von Thyssen verantwortlich ansah und gegen sie daher auch wegen des Sachverhalts, der Thyssen zur Last gelegt wurde, ein Bußgeld verhängte. Hierzu vertrat die Kommission im 78. Erwägungsgrund der Entscheidung 98/247 die Auffassung, die Thyssen zur Last gelegte Zuwiderhandlung habe sich von Dezember 1993, dem Zeitpunkt der Zusammenkunft von Madrid, mit der die Abstimmung zwischen den Herstellern von Flacherzeugnissen aus rostfreiem Stahl begonnen habe, bis , dem Zeitpunkt, zu dem Thyssen ihre Tätigkeit in diesem Bereich eingestellt habe, erstreckt.

23

Am 11. März erhob TKS Klage u. a. auf Nichtigerklärung der Entscheidung 98/247.

24

Mit Urteil vom 13. Dezember 2001, Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission (T-45/98 und T-47/98, Slg. 2001, II-3757), erklärte das Gericht Art. 1 der Entscheidung 98/247 für nichtig, soweit TKS die Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung gegen Art. 65 KS auferlegt wurde.

25

Nach Ansicht des Gerichts hatte die Kommission TKS im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit gegeben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der Thyssen zur Last gelegten Handlungen Stellung zu nehmen, so dass TKS ihre Verteidigungsrechte insoweit nicht habe ausüben können. Daher habe die Kommission TKS weder die Verantwortung für die Thyssen zur Last gelegten Handlungen noch als Folge davon eine Geldbuße für diese Handlungen auferlegen dürfen, da die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu diesem Vorwurf nur an Thyssen gerichtet gewesen sei (Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnrn. 66 und 67).

26

Das Gericht setzte infolgedessen die Geldbuße gegen TKS um den Betrag herab, der aufgrund der von Thyssen begangenen Zuwiderhandlung gegen sie verhängt worden war, und setzte die Höhe der gegen TKS endgültig verhängten Geldbuße auf 4032000 Euro fest.

27

Mit Urteil vom 14. Juli 2005, ThyssenKrupp/Kommission (C-65/02 P und C-73/02 P, Slg. 2005, I-6773), wies der Gerichtshof die Rechtsmittel von TKS und Kommission gegen das oben in Randnr. 24 angeführte Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission zurück.

28

Nachdem die Kommission die Leitung der Thyssen Krupp AG-Gruppe mit Schreiben vom 29. November 2005 um verschiedene Informationen gebeten und mit Schreiben vom ein Auskunftsersuchen an Thyssen gerichtet hatte, um deren Umsatz zu erfahren, übersandte sie TKS am eine Mitteilung der Beschwerdepunkte.

29

Mit Schreiben vom 17. Mai 2006 beantwortete die Klägerin die Mitteilung der Beschwerdepunkte; eine öffentliche Anhörung fand am statt.

30

Am 20. Dezember 2006 erließ die Kommission die Entscheidung in einem Verfahren nach Art. 65 [EGKS] (Sache COMP/F/39.234 – Legierungszuschlag, Neuentscheidung) (im Folgenden: Entscheidung).

31

Die Präambel der Entscheidung lautet wie folgt:

„gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, insbesondere auf Artikel 65,

gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft,

gestützt auf die Verordnung … Nr. 1/2003 …,

gestützt auf die Entscheidung der Kommission vom 5. April 2006 [,] das Verfahren im gegenständlichen Fall teilweise wieder aufzunehmen,

gestützt auf die der Kommission vorliegenden Informationen und die gemäß Artikel 47 des [EGKS] erfolgten Nachprüfungen,

gestützt auf die schriftlichen Stellungnahmen gemäß Artikel 36 [EGKS],

gestützt auf die Auskunftsersuchen gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003,

nach Aufforderung des beteiligten Unternehmens zur Stellungnahme zu den von der Kommission mitgeteilten Beschwerdepunkten gemäß Artikel 27 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 und der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] durch die Kommission,

nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für Kartell- und Monopolfragen,

…“

32

Der verfügende Teil der Entscheidung enthält folgende Bestimmungen:

„Artikel 1

Die Thyssen … hat zwischen 16. Dezember 1993 und durch abgestimmte Änderung der Referenzwerte der Formel zur Berechnung des Legierungszuschlags und durch Anwendung dieser Änderung gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßen, wobei diese Handlungsweise die Beschränkung und Verfälschung des normalen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt sowohl zum Ziel als auch zur Folge hatte.

Artikel 2

1.   Wegen der in Artikel 1 genannten Verstöße wird eine Geldbuße in Höhe von 3168000 EUR festgesetzt.

2.   Da die juristische Person [TKS] mit [Erklärung] vom 23. Juli 1997 die Verantwortung für das Verhalten der juristischen Person Thyssen … übernommen hat, wird die Geldbuße der [TKS] auferlegt.“

Verfahren und Anträge der Parteien

33

Mit Klageschrift, die am 6. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

34

Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung des Gerichts die Kommission aufgefordert, schriftlich eine Frage zur Zusammensetzung der Akten des Verwaltungsverfahrens, das zum Erlass der Entscheidung geführt hat, zu beantworten. Die Kommission ist dieser Aufforderung am 3. Dezember 2008 nachgekommen.

35

Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 hat die Kommission Anmerkungen zum Sitzungsbericht eingereicht, die der Klägerin zugestellt worden sind. Diese hat mit Schreiben vom beantragt, diese Anmerkungen nicht zu den Akten zu nehmen, da sie eine Änderung der Wiedergabe der von der Kommission vorgetragenen Argumente zur Folge hätten und eine zusätzliche und verspätete inhaltliche Stellungnahme enthielten.

36

Das Gericht hat den Antrag der Klägerin als gegenstandslos zurückgewiesen, da das Schreiben der Kommission vom 3. Dezember 2008 bereits zu den Akten genommen worden sei, und darauf hingewiesen, dass im Urteil geprüft werde, ob ein neues Vorbringen der Kommission vorliege und ob es zulässig sei.

37

Die Parteien haben in der Sitzung vom 11. Dezember 2008 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

38

In der Sitzung hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie die Erklärung vom 23. Juli 1997 widerrufe. Auf Frage des Präsidenten hat sie vorgetragen, dass sie einen solchen Widerruf im Verwaltungsverfahren nicht erklärt habe und dass dieser nur bezwecke, den in ihren Schriftsätzen vertretenen Standpunkt zu veranschaulichen, dass die Erklärung vom lediglich eine widerrufliche private Erklärung sei, auf deren Grundlage sie nicht für das Verhalten von Thyssen verantwortlich gemacht werden könne. Der Widerruf und die vorstehend wiedergegebenen Erklärungen der Klägerin sind in das Protokoll der Sitzung aufgenommen worden.

39

Die Klägerin beantragt,

die Entscheidung für nichtig zu erklären,

hilfsweise, Art. 2 der Entscheidung für nichtig zu erklären,

weiter hilfsweise, die Höhe der verhängten Geldbuße in einem angemessenen Verhältnis herabzusetzen,

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

40

Die Kommission beantragt,

die Klage abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

1. Zu der Frage, ob ein neues verspätetes Vorbringen der Kommission vorliegt

41

Nachdem die Kommission Anmerkungen zum Sitzungsbericht eingereicht hatte, hat die Klägerin geltend gemacht, dass diese Anmerkungen das Vorbringen der Argumente der Kommission veränderten und eine zusätzliche und verspätete inhaltliche Stellungnahme enthielten.

42

Es ist festzustellen, dass diese Behauptung der Klägerin durch keinen konkreten, auf bestimmte Punkte der Anmerkungen bezogenen Nachweis untermauert wird. Vielmehr enthalten die genannten Anmerkungen lediglich Präzisierungen zur Tragweite bestimmter Argumente, die die Kommission in ihren Schriftsätzen dargelegt hat, und den Hinweis auf Teile der Argumentation, die im Sitzungsbericht, der zwangsläufig eine Zusammenfassung darstellt, nicht enthalten sind.

43

Daraus ergibt sich, dass die Klägerin den Beweis für das Vorliegen neuen Vorbringens der Kommission, das unter Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung fallen würde, nicht erbracht hat.

2. Zur Zuständigkeit der Kommission

44

Die ersten beiden Nichtigkeitsgründe, mit denen zum einen ein Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege, zum anderen die Rechtswidrigkeit der Anwendung der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 65 KS geltend gemacht wird und die eindeutig die Frage nach der Befugnis der Kommission zum Erlass der Entscheidung und damit die Frage, ob diese auf einer wirksamen Rechtsgrundlage beruht, aufwerfen, sind gemeinsam zu untersuchen.

Vorbringen der Parteien

45

Zunächst trägt die Klägerin vor, die Entscheidung sei rechtswidrig, weil die Kommission das Bußgeld gegen sie ohne wirksame Ermächtigungsgrundlage verhängt habe. Dies verstoße gegen den Grundsatz nulla poena sine lege.

46

Der EGKS-Vertrag sei am 23. Juli 2002 außer Kraft getreten. Damit sei die Sanktionsbefugnis der Kommission hinsichtlich von Verstößen gegen Art. 65 KS entfallen. Aus Art. 70 der Wiener Vertragskonvention vom , der eine gewohnheitsrechtlich geltende allgemeine Regel des Völkerrechts verkörpere, die auf den EGKS-Vertrag anwendbar sei, ergebe sich, dass aus einem Vertrag nach dessen Außerkrafttreten keine Vertragspflichten und auch keine Befugnisse mehr hergeleitet werden könnten.

47

Nach Ansicht der Klägerin wäre Art. 65 KS nur rückwirkend anwendbar, wenn eine Übergangsregelung für die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags bestanden hätte. Eine solche fehle jedoch, während die Mitgliedstaaten oder der Rat in anderen Bereichen Übergangsregelungen in Form von Protokollen, Entscheidungen oder Verordnungen erlassen hätten, um die Folgen des Außerkrafttretens des EGKS-Vertrags zu regeln.

48

Wenn die Kommission Art. 65 KS anwenden wolle, müsse sie hierzu ermächtigt sein. Weder der EGKS-Vertrag noch der EG-Vertrag, ebenso wenig wie das Sekundärrecht, insbesondere die Verordnung Nr. 1/2003, enthielten eine Vorschrift, die eine solche rückwirkende Anwendung erlauben würde.

49

Die Kommission könne ihre Befugnis zur Anwendung von Art. 65 KS schließlich auch nicht unter Bezugnahme auf das vermeintlich einheitliche Verbotsregime aus der „Einheitlichkeit“ der europäischen Rechtsordnung herleiten. Der EGKS-Vertrag und der EG-Vertrag seien zwar in organisatorischer Hinsicht durch den Fusionsvertrag miteinander verbunden gewesen. Sie hätten aber immer zwei separate Vertragsrechtsordnungen mit eigenständig geregelten Zuständigkeiten und Befugnissen dargestellt.

50

Es gebe keine „Allzuständigkeit“ der Kommission. Nach dem Grundsatz der Einzelermächtigung aus Art. 5 EG könnten sich die Organe der Gemeinschaft keine eigenen Befugnisse schaffen. Befugnisse der Kommission zur Vollziehung der Verträge innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung bestünden nur in dem Umfang, in dem sie der Kommission konkret durch die jeweiligen Verträge übertragen worden seien. Ende ein Vertrag, wie im vorliegenden Fall der EGKS-Vertrag am 23. Juli 2002, ende auch die Befugnis der ehemals zuständigen Organe, das betreffende Vertragsrecht anzuwenden.

51

Die Gegenthesen der Kommission, Art. 81 EG sei eine „subsidiäre Auffangregelung“ für Art. 65 KS und letzterer könne „in Anbetracht des allgemeinen Rechtsprinzips der Normennachfolge von lex generalis zu lex specialis“ noch angewendet werden, überzeugten nicht.

52

Art. 65 KS sei keine lex specialis im Verhältnis zu Art. 81 EG in dem von der Kommission zugrunde gelegten Verständnis. Eine lex specialis sei ein Tatbestand, der sämtliche Merkmale einer lex generalis enthalte, nebst mindestens einem weiteren speziellen Merkmal. Das sei im Verhältnis zwischen Art. 65 KS und Art. 81 EG nicht der Fall, weil Art. 65 KS nicht sämtliche Merkmale des Art. 81 EG enthalte, insbesondere nicht das tatsächliche Erfordernis der Handelsbeeinträchtigung. Zur Anwendbarkeit außer Kraft getretenen Rechts lasse sich aus dem Spezialitätsgrundsatz nichts ableiten.

53

Die Anwendung von Art. 65 KS könne auch nicht auf die Mitteilung vom 18. Juni 2002 gestützt werden. Diese stelle kein bindendes Recht dar, und die Kommission sei jedenfalls nicht befugt, rechtsbegründende Regelungen zur Behandlung von Altfällen zu schaffen, auch nicht, um gemäß der Entscheidung einen „harmonischen Übergang“ zwischen den Vorschriften des EGKS-Vertrags und des EG-Vertrags sicherzustellen.

54

Art. 65 KS sei hier auch nicht nach dem Grundsatz der lex mitior einschlägig. Der lex-mitior-Grundsatz begründe nicht die rückwirkende Anwendbarkeit eines „Strafgesetzes“, sondern setze sie gerade voraus.

55

Ferner vertritt die Klägerin die Auffassung, die Entscheidung sei rechtswidrig, weil sie die Verordnung Nr. 1/2003, insbesondere Art. 23, in Verbindung mit Art. 65 KS anwende. Diese Normenkombination sei keine gültige Sanktionsgrundlage des Gemeinschaftsrechts und führe darüber hinaus zu schwerwiegenden Verfahrensfehlern. Daher sei die Entscheidung ein „Nichtakt“ im Sinne des Urteils des Gerichtshofs vom 26. Februar 1987, Consorzio Cooperative d’Abruzzo/Kommission (15/85, Slg. 1987, 1005).

56

Erstens ergebe sich aus den Erwägungsgründen der nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags in Kraft getretenen Verordnung Nr. 1/2003 und aus dem Wortlaut ihres Art. 23, dass dieser der Kommission die Befugnis verleihe, ein Bußgeld für Verstöße gegen die Art. 81 und 82 EG zu verhängen, aber nicht für Verstöße gegen Art. 65 KS, der in Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht genannt sei. Dadurch, dass die Kommission ihr Bußgeld für einen Verstoß gegen Art. 65 KS auf Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 stütze, begehe sie einen klaren Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege.

57

Die Kommission könne sich nicht mit Erfolg auf die im 70. Erwägungsgrund der Entscheidung zitierte Rechtsprechung berufen. Nach dieser Rechtsprechung seien die materiell-rechtlichen Vorschriften nicht rückwirkend. Denn Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003, der die eigentliche Sanktionsgrundlage enthalte, d. h., der Kommission die Befugnis zur Verhängung eines Bußgeldes verleihe, sei dem materiellen Sanktionsrecht zuzuordnen und stelle das Äquivalent zu Art. 65 § 5 KS dar.

58

Selbst wenn Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 als Verfahrensvorschrift angesehen werden könnte, bliebe seine Anwendung rechtswidrig, da die Verordnung Nr. 1/2003 hinsichtlich Art. 65 KS bereits sachlich nicht greife.

59

Zweitens sei das Verfahren durch die Anwendung der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 65 KS insgesamt fehlerhaft. Hätte die Kommission während der Geltungsdauer von Art. 65 KS ein Bußgeld auf Art. 65 KS in Verbindung mit der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. Nr. 13, S. 204), gestützt, wäre eine solche Entscheidung ebenfalls offensichtlich rechtswidrig gewesen und hätte aufgehoben werden müssen. Nicht anders könne es sich verhalten, wenn Art. 65 nun nicht mehr gelte. Die Verordnung Nr. 1/2003 sei sowohl sachlich als auch zeitlich auf Verstöße gegen Art. 65 KS unanwendbar.

60

Es treffe entgegen den Ausführungen der Kommission nicht zu, dass die Verweisung des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 auf Art. 81 EG zugleich auch eine weitere „ quasi unsichtbare“ Verweisung auf Art. 65 KS enthalte. Nachdem auch im Bußgeldrecht der Gemeinschaft geltenden sanktionsrechtlichen Analogieverbot stelle die Anwendung des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 auf eine nicht genannte Norm eine unzulässige Analogie dar.

61

Rechtsgrundlage für die Verordnung Nr. 1/2003 sei Art. 83 EG, der den Rat und die Kommission zum Erlass zweckdienlicher Verordnungen zur Verwirklichung der „in den Artikeln 81 und 82 niedergelegten Grundsätze“ ermächtige, ohne dass Art. 65 KS genannt wäre. Die fehlende Nennung letzterer Vorschrift könne ohnehin nicht als Redaktionsversehen des Gemeinschaftsgesetzgebers angesehen werden, das Voraussetzung für eine analoge Anwendung zur Beseitigung einer planwidrigen Regelungslücke wäre. Gemäß dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung des Art. 5 Abs. 1 EG hätte der Kommission für eine Vollziehung des Art. 65 KS keine Befugnis auf Grundlage des EG-Vertrags übertragen werden können, auch nicht subsidiär oder sonst wie implizit. Die Verordnung Nr. 1/2003 könne sich bereits kompetenzmäßig nur auf Art. 81 EG beziehen.

62

Nach Ansicht der Kommission sind die ersten beiden von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe als nicht stichhaltig zurückzuweisen.

Würdigung durch das Gericht

Zur Rechtsgrundlage der Entscheidung

63

Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Gemeinschaftsverträge eine neue Rechtsordnung geschaffen haben, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind (Gutachten des Gerichtshofs 1/91 vom 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I-6079, Randnr. 21).

64

Innerhalb dieser Gemeinschaftsrechtsordnung verfügen die Organe nur über begrenzte Einzelermächtigungen (Gutachten des Gerichtshofs 2/00 vom 6. Dezember 2001, Slg. 2001, I-9713, Randnr. 5; Urteil des Gerichtshofs vom , Parlament/Rat, C-93/00, Slg. 2001, I-10119, Randnr. 39). Deshalb wird in der Präambel von Gemeinschaftsrechtsakten die Rechtsgrundlage genannt, die das betreffende Organ ermächtigt, im jeweiligen Bereich tätig zu werden. Die Wahl der geeigneten Rechtsgrundlage hat verfassungsrechtliche Bedeutung (Gutachten des Gerichtshofs 2/00, Randnr. 5).

65

Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, dass die Präambel der Entscheidung Verweisungen auf Bestimmungen des EGKS-Vertrags enthält, nämlich auf die Art. 36 KS, 47 KS und 65 KS; sie nennt aber auch den EG-Vertrag, die Verordnung Nr. 1/2003 – genauer: deren Art. 18 und 27 Abs. 1 – und die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] durch die Kommission (ABl. L 123, S. 18).

66

Zweitens führt die Kommission im 70. Erwägungsgrund der Entscheidung Folgendes aus:

„…Die vorliegende Entscheidung ist … gemäß den Verfahrensregeln des EG-Vertrages angenommen worden, insbesondere gemäß Verordnung (EG) Nr.1/2003. Artikel 7 Absatz 1 dieser Verordnung gibt der Kommission gemäß Artikel 85 EG-Vertrag die Befugnis, Zuwiderhandlungen von Unternehmen gegen das Wettbewerbsrecht festzustellen. Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ermächtigt sie, Sanktionen im Falle der Zuwiderhandlungen aufzuerlegen.“

67

Im 73. Erwägungsgrund der Entscheidung legt die Kommission dar, aus dem Umstand, dass Art. 81 EG ab dem Auslaufen des EGKS-Vertrags als lex generalis an die Stelle von Art. 65 KS als lex specialis getreten sei, ergebe sich, „dass die Kommission gemäß Artikel 7 Absatz 1 und Artikel 23 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 ebenfalls dafür zuständig ist, ein Verfahren gemäß Artikel 65 KS einzuleiten, um einen Verstoß gegen diesen Artikel festzustellen, um diesen somit festgestellten Verstoß abzustellen und um zur Sanktionierung dieses Verstoßes eine Geldbuße zu verhängen“.

68

Im 163. Erwägungsgrund der Entscheidung wird ausgeführt, dass die Kommission gemäß Art. 65 § 5 KS Geldbußen gegen Unternehmen festsetzen „konnte“, die bestimmte wettbewerbswidrige Handlungen vorgenommen hätten und dass ihr „[e]ine äquivalente Befugnis … durch Artikel 23 der Verordnung … Nr. 1/2003 eingeräumt worden [ist], welche [sie] in diesem Fall anwendet“.

69

Wie sich ebenfalls aus der Begründung der Entscheidung ergibt, betrifft die Bezugnahme auf Art. 65 KS in der Präambel dessen § 1, d. h. die materielle Vorschrift, die sich an Unternehmen und Verbände von Unternehmen richtet und bestimmte wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verbietet, sowie § 5, soweit dieser die Möglichkeit vorsieht, Geldbußen zu verhängen, deren Höchstbetrag das Doppelte des Umsatzes nicht überschreiten darf, der in den Erzeugnissen erzielt wurde, die Gegenstand der wettbewerbswidrigen Vereinbarung sind. Der Verweis auf die Anwendbarkeit von Art. 65 § 5 KS bezieht sich auf die Diskussion um den lex-mitior-Grundsatz und bezweckt, für die Berechnung der Höhe der Geldbuße im vorliegenden Fall die Anwendung dieser Vorschrift anstelle des Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu rechtfertigen (vgl. Erwägungsgründe 162 bis 168 und 178 der Entscheidung).

70

Unter diesen Umständen findet die Entscheidung, mit der die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 § 1 KS festgestellt und eine Geldbuße gegen die Klägerin verhängt hat, ihre Rechtsgrundlage hinsichtlich der Feststellung der Zuwiderhandlung in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 und hinsichtlich der Festsetzung der Geldbuße in Art 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003.

71

Daher ist in diesem Stadium festzustellen, dass die Argumentation der Klägerin, der lex-mitior-Grundsatz und die Mitteilung vom 18. Juni 2002 könnten keine wirksame Rechtsgrundlage für die Entscheidung darstellen, völlig ins Leere geht, da sich die Zuständigkeit der Kommission im vorliegenden Fall weder auf diesen Grundsatz noch auf die Mitteilung, sondern auf die oben genannten Vorschriften der Verordnung Nr. 1/2003 stützt.

Zur Befugnis der Kommission, eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 § 1 KS nach Auslaufen des EGKS-Vertrags auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003 festzustellen und zu ahnden

72

Im Rahmen ihrer ersten beiden Nichtigkeitsgründe macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die Befugnis der Kommission, Sanktionen für Verstöße gegen Art. 65 KS zu verhängen, mit Auslaufen des EGKS-Vertrags am 23. Juli 2002 entfallen sei und dass es weder Übergangs- noch zeitlich unbegrenzte, weder primär- noch sekundärrechtliche Vorschriften gebe, die die Kommission ermächtigten, Art. 65 KS anzuwenden. Die Anwendung des Art. 65 KS in Verbindung mit der Verordnung Nr. 1/2003 in der Entscheidung begründe für diese jedenfalls keine wirksame Rechtsgrundlage, da die genannte Verordnung der Kommission nur Befugnisse zur Umsetzung der Art. 81 EG und 82 EG einräume.

73

Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

74

Erstens ist daran zu erinnern, dass die Vorschrift, die die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts bildet und das Gemeinschaftsorgan zu seinem Erlass ermächtigt, bei Erlass des Rechtsakts in Kraft sein muss (Urteil des Gerichtshofs vom 4. April 2000, Kommission/Rat, C-269/97, Slg. 2000, I-2257, Randnr. 45), was auf Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, die die Rechtsgrundlage der Entscheidung bilden, unbestreitbar zutrifft.

75

Zweitens wurde mit den Gemeinschaftsverträgen eine einheitliche Rechtsordnung eingeführt (vgl. in diesem Sinne Gutachten des Gerichtshofs 1/91, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 21; Urteil des Gerichts vom 27. Juni 1991, Stahlwerke Peine-Salzgitter/Kommission, T-120/89, Slg. 1991, II-279, Randnr. 78), in deren Rahmen der EGKS-Vertrag – wie sich an Art. 305 Abs. 1 EG zeigt – eine spezifische, von den allgemeinen Regelungen des EG-Vertrags abweichende Regelung darstellte.

76

Der EGKS-Vertrag war gemäß Art. 305 Absatz 1 EG eine lex specialis, die vom EG-Vertrag als lex generalis abwich (Urteil des Gerichtshofs vom 24. Oktober 1985, Gerlach, 239/84, Slg. 1985, 3507, Randnrn. 9 bis 11; Gutachten des Gerichtshofs 1/94 vom , Slg. 1994, I-5267, Randnrn. 25 bis 27, und Urteil des Gerichts vom , ESF Elbe-Stahlwerke Feralpi/Kommission, T-6/99, Slg. 2001, II-1523, Randnr. 102).

77

Hieraus ergibt sich für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes, dass die Bestimmungen des EGKS-Vertrags und alle zu seiner Durchführung erlassenen Bestimmungen trotz des Inkrafttretens des EG-Vertrags in Kraft geblieben sind (Urteile des Gerichtshofs Gerlach, oben in Randnr. 76 angeführt, Randnr. 9, und vom 24. September 2002, Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, C-74/00 P und C-75/00 P, Slg. 2002, I-7869, Randnr. 100).

78

Soweit jedoch eine Frage nicht Gegenstand von Bestimmungen des EGKS-Vertrags oder auf seiner Grundlage erlassener Regelungen war, konnten der EG-Vertrag und die zu seiner Durchführung ergangenen Vorschriften selbst vor Auslaufen des EGKS-Vertrags auf Erzeugnisse anwendbar sein, die unter den EGKS-Vertrag fielen (Urteile des Gerichtshofs vom 15. Dezember 1987, Deutsche Babcock, 328/85, Slg. 1987, 5119, Randnr. 10, und Falck und Acciaierie di Bolzano/Kommission, oben in Randnr. 77 angeführt, Randnr. 100; vgl. in diesem Sinne auch Gutachten 1/94, oben in Randnr. 76 angeführt, Randnr. 27).

79

Der EGKS-Vertrag ist gemäß seinem Art. 97 am 23. Juli 2002 ausgelaufen. Daher wurde der Geltungsbereich der allgemeinen Regelung des EG-Vertrags am auf die Bereiche ausgedehnt, die ursprünglich durch den EGKS-Vertrag geregelt waren.

80

Obwohl dadurch, dass der rechtliche Rahmen des EG-Vertrags an die Stelle des rechtlichen Rahmens des EGKS-Vertrags getreten ist, ab dem 24. Juli 2002 eine Änderung der anwendbaren Rechtsgrundlagen, Verfahren und materiell-rechtlichen Vorschriften bewirkt wurde, ist diese Änderung – wie die Kommission in den Erwägungsgründen 65 bis 67 der Entscheidung zu Recht hervorhebt – im Zusammenhang mit der Einheit und der Kontinuität der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und ihrer Ziele zu sehen (Urteil des Gerichts vom , González y Díez/Kommission, T-25/04, Slg. 2007, I-3121, Randnr. 55; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom , Lucchini, C-119/05, Slg. 2007, I-6199, Randnr. 41).

81

Die Errichtung und die Erhaltung eines Systems des freien Wettbewerbs, bei dem die normalen Wettbewerbsbedingungen gewährleistet sind und das den Regeln über staatliche Beihilfen und Unternehmenskartelle zugrunde liegt, stellt eines der Hauptziele sowohl des EG-Vertrags (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juni 2006, SGL Carbon/Kommission, C-308/04 P, Slg. 2006, I-5977, Randnr. 31) als auch des EGKS-Vertrags (vgl. in diesem Sinne Gutachten des Gerichtshofs 1/61 vom , Slg. 1961, 505, 519; Urteil des Gerichtshofs vom , Moccia Irme u. a./Kommission, C-280/99 P bis C-282/99 P, Slg. 2001, I-4717, Randnr. 33; Urteil des Gerichts vom , Thyssen Stahl/Kommission, T-141/94, Slg. 2007, II-347, Randnrn. 265, 299 bis 304) dar.

82

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die kartellrechtlichen Regelungen des EGKS-Vertrags und des EG-Vertrags zwar in gewissem Maß voneinander abweichen, die Begriffe „Vereinbarung“ und „verabredete Praktiken“ nach Art. 65 § 1 KS jedoch den Begriffen „Vereinbarung“ und „abgestimmte Verhaltensweisen“ im Sinne des Art. 81 EG entsprechen und dass diese beiden Bestimmungen vom Gemeinschaftsrichter in gleicher Weise ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Thyssen Stahl/Kommission, oben in Randnr. 81 angeführt, Randnrn. 262 bis 272 und 277). Das Streben nach einem unverfälschten Wettbewerb wird also in den Bereichen, die ursprünglich zum Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl gehörten, durch das Auslaufen des EGKS-Vertrags nicht unterbrochen, denn dieses Ziel besteht auch im Rahmen des EG-Vertrags und wird von demselben Organ verfolgt, nämlich von der Kommission als der Verwaltungsbehörde, die im allgemeinen Interesse der Gemeinschaft mit der Umsetzung und Entwicklung der Wettbewerbspolitik betraut ist (vgl. entsprechend Urteil González y Díez/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 55).

83

Die Kontinuität der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und der für ihr Funktionieren maßgeblichen Ziele erfordert daher, dass die Europäische Gemeinschaft als Nachfolgerin der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Rahmen ihrer Verfahrensvorschriften bei im Rahmen des EGKS-Vertrags entstandenen Situationen für die Einhaltung der seinerzeit sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für Einzelpersonen nach dem EGKS-Vertrag und seinen Durchführungsvorschriften geltenden Rechte und Pflichten Sorge trägt. Dies ist umso mehr deshalb geboten, weil die Wirkungen einer sich aus der Nichtbeachtung der kartellrechtlichen Regelungen ergebenden Wettbewerbsverzerrung in der Zeit nach dem Auslaufen des EGKS-Vertrags unter der Geltung des EG-Vertrags weiter zum Tragen kommen könnten (vgl. entsprechend Urteil González y Díez/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 56).

84

Nach alledem sind die Verordnung Nr. 1/2003 und insbesondere ihre Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 entgegen dem Vorbringen der Klägerin dahin auszulegen, dass sie die Kommission ermächtigen, nach dem 23. Juli 2002 Kartelle in Bereichen, die sachlich und zeitlich unter den EGKS-Vertrag fielen, festzustellen und zu ahnden (vgl. entsprechend Urteil González y Díez/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 57), und dies obwohl die genannten Vorschriften der Verordnung nicht ausdrücklich Bezug auf Art. 65 KS nehmen.

85

Außerdem ist festzustellen, dass innerhalb der gemeinschaftlichen Rechtsordnung die Rechtsnachfolge durch die Regeln des EG-Vertrags in einem Bereich, der ursprünglich durch den EGKS-Vertrag geregelt war, unter Einhaltung der Grundsätze über das intertemporale Recht erfolgen muss. Nach ständiger Rechtsprechung sollen zwar die Verfahrensregeln für alle im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten gelten, doch gilt dies nicht für die materiell-rechtlichen Vorschriften. Diese sind nämlich, um die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu gewährleisten, so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (Urteile des Gerichtshofs vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 9, und vom , Bout, 21/81, Slg. 1982, 381, Randnr. 13; Urteil des Gerichts vom , Eyckeler & Malt/Kommission, T-42/96, Slg. 1998, II-401, Randnr. 55).

86

Hinsichtlich der Frage nach den materiell-rechtlichen Vorschriften, die auf einen eindeutig vor Auslaufen des EGKS-Vertrags entstandenen Sachverhalt anwendbar sind, ist es daher aus Gründen der Kontinuität der gemeinschaftlichen Rechtsordnung und wegen der Erfordernisse im Zusammenhang mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes geboten, die auf der Grundlage des EGKS-Vertrags erlassenen materiell-rechtlichen Vorschriften auf Sachverhalte anzuwenden, die sachlich und zeitlich gesehen in den Geltungsbereich des EGKS-Vertrags fallen. Der Umstand, dass der fragliche rechtliche Rahmen aufgrund des Auslaufens des EGKS-Vertrags zum Zeitpunkt der rechtlichen Würdigung nicht mehr gilt, ändert nichts an dieser Beurteilung, denn sie bezieht sich auf eine Rechtslage, die eindeutig zu einem Zeitpunkt bestand, als die auf der Grundlage des EGKS-Vertrags erlassenen materiell-rechtlichen Vorschriften anwendbar waren (Urteil González y Díez/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 59).

87

Im vorliegenden Fall wurde die Entscheidung im Anschluss an ein gemäß der Verordnung Nr. 1/2003 durchgeführtes Verfahren auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 dieser Verordnung erlassen. Die Vorschriften über die Rechtsgrundlage und das Verfahren bis zum Erlass der Entscheidung fallen unter die Verfahrensvorschriften im Sinne der vorstehend in Randnr. 85 erwähnten Rechtsprechung. Da die Entscheidung nach Auslaufen des EGKS-Vertrags erlassen wurde, hat sich die Kommission zu Recht auf die in der Verordnung Nr. 1/2003 enthaltenen Vorschriften gestützt (vgl. entsprechend Urteil González y Díez/Kommission, oben in Randnr. 80 angeführt, Randnr. 60, und, im Umkehrschluss, Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2007, SP u. a./Kommission, T-27/03, T-46/03, T-58/03, T-79/03, T-80/03, T-97/03 und T-98/03, Slg. 2007, II-4331).

88

Entgegen dem Vortrag der Klägerin stellt Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 keine materiell-rechtliche Regel auf, denn gerade im Unterschied zum genannten Art. 23, der die Kommission dazu ermächtigt, Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu verhängen, die gegen die Art. 81 und 82 EG verstoßen haben, bezweckt eine solche definitionsgemäß nicht, eine Rechtsgrundlage für das Handeln der Kommission zu schaffen.

89

Was die materiell-rechtlichen Vorschriften anbelangt, betrifft die Entscheidung einen eindeutig vor Auslaufen des EGKS-Vertrags am 23. Juli 2002 entstandenen Sachverhalt, da der Zeitraum der Zuwiderhandlung sich vom bis zum erstreckte. Da dem seit dem geltenden materiellen Wettbewerbsrecht keine Rückwirkung zukommt, stellt Art. 65 § 1 KS die anwendbare und von der Kommission in der Entscheidung tatsächlich angewandte materiell-rechtliche Regelung dar, denn gerade aus dem auf Art. 305 EG beruhenden Wesen des EG-Vertrags als lex generalis gegenüber dem EGKS-Vertrag ergibt sich, dass die spezifische, auf den EGKS-Vertrag und dessen Durchführungsbestimmungen gestützte Regelung nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali nur auf vor dem entstandene Sachverhalte anwendbar ist.

90

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die ersten beiden von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, die einen Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege und die Rechtswidrigkeit der Anwendung der Verordnung Nr. 1/2003 in Verbindung mit Art. 65 KS betreffen, zurückzuweisen sind.

3. Zur Rechtskraft und zur Wirksamkeit der Erklärung vom 23. Juli 1997

91

Im Rahmen des dritten Nichtigkeitsgrundes, mit dem ein Verstoß gegen die Rechtskraft geltend gemacht wird, berufen sich beide Parteien zu ihren Gunsten auf den Begriff der Rechtskraft, um daraus diametral entgegengesetzte Schlussfolgerungen zu ziehen.

92

Die Klägerin trägt vor, der Gerichtshof habe in Randnr. 88 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission entschieden, dass sie materiell-rechtlich nicht für das Verhalten von Thyssen hafte, was heute von der Rechtskraft der Entscheidung erfasst sei. Die Kommission meint hingegen, sie habe sich in der Entscheidung auf die im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission erfolgte, durch den Gerichtshof bestätigte Anerkennung der Wirksamkeit der Erklärung vom 23. Juli 1997 gestützt, mit der die Klägerin die Übernahme der Haftung für das Handeln von Thyssen bestätigt habe, was heute nicht mehr in Frage gestellt werden könne, da der Gemeinschaftsrichter über diese Frage rechtskräftig entschieden habe.

93

Mit ihrem vierten Klagegrund, mit dem sie die Rechtswidrigkeit der auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 gestützten Festsetzung einer Geldbuße geltend macht, stellt die Klägerin jedoch gerade den oben bezeichneten rechtlichen Gesichtspunkt in Frage und trägt vor, die genannte Erklärung könne die Auferlegung einer Haftung für das Handeln von Thyssen und die daraufhin verhängte Sanktion aufgrund ihrer tatsächlichen Tragweite und ihrer Unvereinbarkeit mit dem Kartellrecht der Gemeinschaft nicht wirksam begründen.

94

Unter diesen Umständen sind der dritte und der vierte Nichtigkeitsgrund gemeinsam zu prüfen, da die Entscheidung über den einen die Zulässigkeit des anderen bedingt. Selbst wenn sich die Kommission im Rahmen des vierten Nichtigkeitsgrundes nicht ausdrücklich auf die Unzulässigkeit wegen entgegenstehender Rechtskraft berufen hat, hat sie diese in ihren Schriftsätzen bezüglich des dritten Nichtigkeitsgrundes, der untrennbar mit dem vierten Nichtigkeitsgrund verbunden ist, geltend gemacht. Jedenfalls gehört die Frage der Rechtskraft zur öffentlichen Ordnung und ist daher vom Gericht von Amts wegen zu beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs von 1. Juni 2006, P&O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, C-442/03 P und C-471/03 P, Slg. 2006, I-4845, Randnr. 45).

Vorbringen der Parteien

95

Im Rahmen des dritten Nichtigkeitsgrundes trägt die Klägerin vor, der Gerichtshof habe in Randnr. 88 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission rechtskräftig entschieden, dass sie materiell-rechtlich nicht für das Verhalten von Thyssen hafte, so dass es sich insoweit nunmehr um eine res iudicata handele und damit ein absolutes Verfolgungshindernis für die Kommission begründet werde.

96

Der Gerichtshof habe dieses Ergebnis zum einen auf die Feststellung gestützt, dass keine wirtschaftliche Nachfolge und keine Handlungseinheit vorliege, zum anderen darauf, dass weder die Erklärung vom 23. Juli 1997 noch die anderen im Verfahren abgegebenen Erklärungen es erlaubten, TKS die Haftung für die Zuwiderhandlung von Thyssen aufzuerlegen.

97

Das Argument der Kommission, wonach in Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission eine materielle Haftung von TKS nicht ausgeschlossen worden sein könne, weil sich diese Randnummer auf das Anschlussrechtsmittel der Kommission beziehe und dieses den Haftungsübergang auf TKS nicht angegriffen habe, gehe fehl.

98

Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, dass eine Äußerung zur Frage der Haftungsübernahme im Rahmen der Prüfung des Anschlussrechtsmittels der Kommission nicht erforderlich gewesen sei, würde daraus nach Ansicht der Klägerin nicht folgen, dass Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission damit unbeachtlich wäre. Es stehe dem Gerichtshof frei, im Rahmen seiner Urteilsbegründung festzustellen, dass eine materiell-rechtliche Haftungsnachfolge nicht bestehe, selbst wenn die Kommission diesen Punkt in ihrem Rechtsmittel nicht unmittelbar angegriffen habe. An diese Feststellung seien die Parteien gebunden.

99

Der Gerichtshof habe das Gericht in den Randnrn. 82 bis 87 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission darin bestätigt, dass die Entscheidung der Kommission wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben sei, und dann in Randnr. 88 ein zusätzliches Argument entwickelt, weshalb die Entscheidung der Kommission rechtswidrig sei, indem er klargestellt habe, dass TKS unabhängig von diesem Verfahrensfehler materiell-rechtlich nicht für die Handlungen von Thyssen hafte.

100

In Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission führe der Gerichtshof aus, dass es die in den Randnrn. 85 und 86 genannten Erklärungen, die die Kommission im Verwaltungsverfahren abgegeben habe, nicht erlaubten, ihr die Verantwortung für das Verhalten von Thyssen aufzuerlegen. Außerdem sei die Erklärung vom 23. Juli 1997 in Randnr. 85 des Urteils ausdrücklich genannt. Auch die vom Gerichtshof gewählte Terminologie sei eindeutig. Hätte er in Randnr. 88 – wie die Kommission annehme – lediglich auf den Verfahrensfehler rekurrieren wollen, hätte er nicht davon gesprochen, dass es der Kommission verwehrt sei, der Klägerin die „Verantwortung aufzuerlegen“, so die vom Gerichtshof verwendete Formulierung.

101

Wenn sich die Ausführungen in Randnr. 88 des oben in Randnr. 18 angeführten Urteils KruppThyssen/Kommission nur auf Verfahrensfehler bezögen, ergäben sie zudem keinen Sinn, weil dieser Punkt in den Randnrn. 85 bis 87 schon abschließend entschieden worden sei. Hätte der Gerichtshof sich in Randnr. 88 einer Aussage zum materiellen Haftungsübergang enthalten wollen, hätte er in den ersten beiden Sätzen nicht die Feststellung getroffen, dass das Unternehmen Thyssen fortbestehe und daher eine Zurechnung der Verantwortlichkeit gegenüber TKS nach der auf dem Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni (C-49/92 P, Slg. 1999, I-4125), basierenden Rechtsprechung nicht möglich sei. Da bereits ein Verfahrensfehler vorgelegen habe, der zur Nichtigkeit der Entscheidung der Kommission geführt habe, könne die Tatsache, dass der Gerichtshof dennoch in den ersten beiden Sätzen der Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission zur Frage des Haftungsübergangs Stellung nehme, nur bedeuten, dass er dadurch eine ergänzende Begründung für die Zurückweisung des Anschlussrechtsmittels der Kommission habe schaffen wollen. Die mit den ersten beiden Sätzen eingeleitete ergänzende Begründung des Gerichtshofs wäre also unvollständig, wenn sich der dritte Satz nicht auch auf die Frage des materiellen Haftungsübergangs bezöge, da diese Frage in Bezug auf die Erklärung vom andernfalls offen geblieben wäre.

102

Ferner sei die italienische Fassung des oben in Randnr. 27 genannten Urteils ThyssenKrupp/Kommission, auf das die Kommission ihre Auslegung der Randnr. 88 stütze, irrelevant, da die Verfahrenssprache Deutsch sei und diese Auslegung ohnehin sprachlich falsch sei.

103

Unabhängig von der Interpretation der Randnr. 88 des oben in Randnr. 18 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission sei der Ausschluss eines Haftungsübergangs auch materiell-rechtlich richtig. Nach der Rechtsprechung könne der Rechtsnachfolger nicht für Wettbewerbsverstöße eines Rechtsvorgängers verantwortlich gemacht werden, solange der Rechtsvorgänger noch existiere, was hinsichtlich Thyssen der Fall sei. In ihren Schriftsätzen erkenne die Kommission dies mittlerweile an.

104

Schließlich sei der dritte Klagegrund entgegen der Ansicht der Kommission nicht unzulässig, da ihm die Rechtskraft des oben in Randnr. 24 genannten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission nicht entgegenstehe, das sich allein auf die Entscheidung 98/247 bezogen habe, die nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sei. Da über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung insgesamt noch kein Gericht entschieden habe, sei diese nicht rechtskräftig, so dass auch der gegen sie gerichtete dritte Klagegrund nicht wegen bestehender Rechtskraft unzulässig sein könne.

105

Im Rahmen ihres vierten Nichtigkeitsgrundes macht die Klägerin geltend, sie habe in ihrer Erklärung vom 23. Juli 1997 zum Ausdruck bringen wollen, dass sie damit einverstanden sei, „wenn die Kommission das Verfahren in Ansehung des gesamten Verstoßes nur noch gegen [sie] fortführt und nicht parallel dazu auch noch gegen Thyssen“. Diese Erklärung begründe aber nicht die Verantwortlichkeit von TKS und die Übertragung der materiell-rechtlichen Bußgeldverantwortlichkeit.

106

Sie habe bereits im Altverfahren, erst recht aber im Verfahren, das zum Erlass der Entscheidung geführt habe, unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Erklärung vom 23. Juli 1997 nicht als bußgeldrechtliche Haftungsübernahme verstanden werden dürfe. Der gegenteiligen Auffassung der Kommission zu folgen, würde den zum Zeitpunkt der Entscheidung eindeutig erklärten Parteiwillen in sein Gegenteil verkehren.

107

Selbst wenn die Erklärung vom 23. Juli 1997 als „Haftungsübernahme“ interpretiert werden könnte, würde dies nicht dazu führen, dass TKS zur Zahlung der von Thyssen geschuldeten Geldbuße verurteilt werden könnte, da diese private Erklärung nur deklaratorisch, aber nicht rechtsbegründend wirken könne. Eine solche Erklärung könne die Adressatenstellung, die sich aus dem Primärrecht unmittelbar ergebe, nicht modifizieren und entfalte weder materielle noch verfahrensrechtliche Wirkung, da sie mit dem Kartellbußgeldrecht nicht zu vereinbaren sei. Dieses gehöre unstreitig dem öffentlichen Recht, insbesondere dem Straf- und Sanktionsrecht an. Privatautonom abgegebene Erklärungen von privaten Rechtssubjekten könnten die gesetzlichen Rechtsfolgen des öffentlichen Rechts, zumal des Straf- und Sanktionsrechts, nicht modifizieren. Dieser Grundsatz habe bereits im römischen Recht gegolten (ius publicum privatorum pactis mutari non potest) und gelte in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Er stelle damit eine gemeinsame Rechtstradition der Mitgliedstaaten dar, die von der Kommission nicht durchbrochen werden könne.

108

Dies gelte auch, wenn die Kommission eine Haftungsübernahmeerklärung billige, da sie nicht die Befugnis besitze, abweichend vom materiellen Kartellbußgeldrecht den Adressaten einer Bußgeldentscheidung zu bestimmen. In ihrer Entscheidung vom 19. Januar 2005, MCAA (Sache COMP/E – 1/C.37773) habe die Kommission selbst die Auffassung vertreten, eine private Haftungsübernahmeerklärung führe nicht zum Übergang der kartellbußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit. Nach Ansicht der Klägerin verbleibt „die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit beim Adressaten, auch wenn die Kommission einen anderen Adressaten bebußen will als den, der nach dem primären und sekundären Gemeinschaftsrecht verantwortlich ist“. Das gelte selbst dann, wenn Unternehmen den Wunsch der Kommission teilen sollten, die Sanktion lieber einen anderen Adressaten als dem eigentlich Verantwortlichen aufzuerlegen. Ein diesbezügliches Ermessen der Kommission sei jedenfalls abzulehnen, da es an Willkür grenze.

109

Die Kommission trägt vor, der Zulässigkeit des dritten Klagegrundes stehe entgegen, dass die Feststellung des Gerichts im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, wonach es möglich sei, eine Sanktion auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 zu stützen, bereits Rechtskraft erlangt habe. Jedenfalls fehle der Klägerin ein Rechtsschutzinteresse dafür, diese Sanktionsmöglichkeit, der sie bisher nicht widersprochen habe, nunmehr in Frage zu stellen. Wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses sei auch der vierte Nichtigkeitsgrund unzulässig, mit dem die Rechtswidrigkeit der Verhängung einer Geldbuße aufgrund der Erklärung vom geltend gemacht werde; jedenfalls sei er nicht stichhaltig.

Würdigung durch das Gericht

110

Einleitend ist festzuhalten, dass die Klägerin unbestreitbar ein Rechtsschutzinteresse dafür hat, gegen die Entscheidung vorzugehen, mit der eine Geldbuße in Höhe von 3168000 Euro gegen sie verhängt wurde, und dass der dritte Nichtigkeitsgrund, mit dem ein Verstoß gegen die Rechtskraft gerügt wird, nicht mit der Begründung allein für unzulässig erklärt werden kann, die Klägerin habe sich in dem Verfahren, das zum Erlass des oben in Randnr. 24 angeführten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission geführt hat, lediglich gegen eine Auslegung der Erklärung vom 23. Juli 1997 gewandt, der zufolge diese einen Verzicht auf ihr Anhörungsrecht enthalte.

111

Daher ist das Vorbringen der Klägerin auf seine Begründetheit zu prüfen.

112

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof die Bedeutung anerkannt hat, die der Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Gemeinschaftsrechtsordnung als auch in den nationalen Rechtsordnungen hat. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nämlich nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können (Urteile des Gerichtshofs vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, Slg. 2003, I-10239, Randnr. 38, und vom , Kapferer, C-234/04, Slg. 2006, I-2585, Randnr. 20).

113

Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die Rechtskraft lediglich auf diejenigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichen Entscheidung waren (Urteil des Gerichtshofs vom 19. Februar 1991, Italien/Kommission, C-281/89, Slg. 1991, I-347, Randnr. 14; Beschluss des Gerichtshofs vom , Lenz/Kommission, C-277/95 P, Slg. 1996, I-6109, Randnr. 50, und Urteil des Gerichtshofs vom , Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P, C-247/99 P, C-250/99 P bis C-252/99 P und C-254/99 P, Slg. 2002, I-8375, Randnr. 44).

Zur Tragweite des Urteils des Gerichts Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission

114

Aus den Randnrn. 51, 52 und 55 bis 68 des oben in Randnr. 24 angeführten Urteils Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission ergibt sich Folgendes:

Die Klägerin stellte die Übernahme der Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung selbst als feststehende Tatsache dar, ohne eine Einschränkung oder einen Vorbehalt hinsichtlich der Bedeutung der Erklärung vom 23. Juli 1997 zum Ausdruck zu bringen;

das Gericht wies ausdrücklich darauf hin, dass TKS nicht bestritten hat, dass die Kommission ihr die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten von Thyssen auferlegen kann;

das Gericht erkannte eindeutig an, dass die Kommission aufgrund der Erklärung vom 23. Juli 1997 berechtigt war, TKS die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten von Thyssen für die Zeit von Dezember 1993 bis aufzuerlegen;

Art. 1 der Entscheidung 98/247 wurde, soweit darin TKS die Thyssen vorgeworfene Zuwiderhandlung zugerechnet wurde, nur deshalb für nichtig erklärt, weil die Erklärung vom 23. Juli 1997 nicht so verstanden werden konnte, dass das Unternehmen damit auch auf sein Recht verzichtet hätte, zu den Thyssen vorgeworfenen Handlungen gehört zu werden, und diese fehlerhafte Auslegung der Erklärung durch die Kommission zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte von TKS geführt hatte;

die Feststellung der Wirksamkeit der Erklärung vom 23. Juli 1997, mit der TKS bestätigt hatte, die Verantwortung für die Handlungen von Thyssen zu übernehmen, war notwendige Voraussetzung dafür, dass sich das Gericht mit der Frage einer Verletzung der Verteidigungsrechte von TKS auseinandersetzte und eine solche Verletzung schließlich bejahte.

115

Im Tenor des oben in Randnr. 24 angeführten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission erklärte das Gericht Art. 1 der Entscheidung 98/247 für nichtig, soweit TKS die Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung gegen Art. 65 KS auferlegt wurde, setzte die gegen TKS verhängte Geldbuße um den wegen der von Thyssen begangenen Zuwiderhandlung gegen TKS festgesetzten Betrag herab indem es diese Geldbuße letztlich auf 4032000 Euro festsetzte; im Übrigen wies es die Klage ab.

Zur Tragweite des Urteils des Gerichtshofs ThyssenKrupp/Kommission

116

Die Klägerin legte ein Rechtsmittel gegen das oben in Randnr. 24 angeführte Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission ein und beantragte im Wesentlichen,

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es ihre Klage abweist;

die in Art. 1 der Entscheidung 98/247 für sie getroffene Feststellung zum Zeitraum des Verstoßes zu berichtigen;

das ihr gegenüber in Art. 2 der Entscheidung 98/247 verhängte Bußgeld angemessen herabzusetzen;

hilfsweise hinsichtlich der beiden letztgenannten Anträge den Rechtsstreit an das Gericht zurückzuverweisen.

117

TKS stützte ihr Rechtsmittel auf drei Gründe:

rechtsfehlerhafte Feststellung der Dauer der Zuwiderhandlung;

unzutreffende Berechnung der pauschalierten Geldbuße;

Rechtsfehler hinsichtlich der Folgen ihrer Mitwirkung im Ermittlungsverfahren für die Herabsetzung der Geldbuße.

118

Nach alledem bezog sich das Rechtsmittel der Klägerin nicht auf die vom Gericht vorgenommene Beurteilung des Haftungsübergangs von Thyssen auf TKS.

119

Die Kommission legte ein Anschlussrechtsmittel gegen das oben in Randnr. 24 angeführte Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission ein und beantragte im Wesentlichen,

das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen;

hilfsweise für den Fall, dass das angefochtene Urteil aufgehoben werden sollte, den Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße zurückzuweisen;

das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das Gericht

i)

Art. 1 der Entscheidung 98/247, mit dem TKS die Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung auferlegt worden ist, für nichtig erklärt hat;

ii)

die gegen TKS in Art. 2 der Entscheidung 98/247 festgesetzte Geldbuße auf weniger als 7596000 Euro festgesetzt hat;

iii)

angeordnet hat, dass die Kommission ihre eigenen Kosten trägt.

120

Die Kommission stützte ihr Anschlussrechtsmittel auf drei Gründe:

Verfälschung bestimmter Beweisunterlagen und Rechtsfehler bei der Beurteilung des Übergangs der Verantwortlichkeit von Thyssen auf TKS;

Verkennung der Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs;

unzutreffende Feststellung einer Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte.

121

Die Parteien streiten darum, wie die Antwort des Gerichtshofs auf den ersten Anschlussrechtsmittelgrund, insbesondere Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission, auszulegen ist; diese Auslegung hängt notwendig mit der Tragweite des genannten Rechtsmittelgrundes und dem genauen Wortlaut der von der Kommission zu seiner Stützung entwickelten Argumentation zusammen.

122

Hierzu ergibt sich aus den Randnrn. 73 bis 79 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission, dass die Kommission mit dem ersten Grund ihres Anschlussrechtsmittels nicht die Feststellung des Gerichts in Frage stellen wollte, nach der sie aufgrund der Erklärung vom 23. Juli 1997 berechtigt war, TKS die Verantwortung für das Thyssen vorgeworfene rechtswidrige Verhalten aufzuerlegen, sondern lediglich seine anschließende Schlussfolgerung, nach der die genannte Erklärung nicht so verstanden werden konnte, dass TKS damit auch auf ihr Recht verzichtet hätte, zu den Thyssen vorgeworfenen Handlungen gehört zu werden.

123

Zur Bedeutung der Antwort des Gerichtshofs auf den ersten Grund des Anschlussrechtsmittels der Kommission trägt die Klägerin vor, in den Randnrn. 82 bis 87 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission habe der Gerichtshof das Gericht zunächst darin bestätigt, dass die Entscheidung der Kommission wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben sei, und dann in Randnr. 88 ein zusätzliches Argument entwickelt, weshalb die Entscheidung der Kommission rechtswidrig sei. Er habe dort ausgeführt, dass TKS, unabhängig von diesem Verfahrensfehler, auch materiell-rechtlich nicht für das Verhalten von Thyssen haften könne.

124

Die Klägerin macht erstens geltend, dass der Gerichtshof, hätte er sich in Randnr. 88 einer Aussage zum materiellen Haftungsübergang enthalten wollen, in den ersten beiden Sätzen nicht die Feststellung getroffen hätte, dass das Unternehmen Thyssen fortbestehe und daher eine Zurechnung der Verantwortung für dessen Verhalten gegenüber TKS nach der auf dem oben in Randnr. 101 angeführten Urteil des Gerichtshofs Kommission/Anic Partecipazioni basierenden Rechtsprechung nicht möglich sei. Die mit den ersten beiden Sätzen eingeleitete ergänzende Begründung des Gerichtshofs wäre unvollständig, wenn sich der dritte Satz nicht auch auf die Frage des materiellen Haftungsübergangs bezöge, da diese Frage in Bezug auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 andernfalls offen geblieben wäre.

125

Nach Ansicht des Gerichts verkennt dieses erste Argument offensichtlich die Struktur der Prüfung des ersten Anschlussrechtsmittelgrundes durch den Gerichtshof, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Antwort des Gerichtshofs den Argumenten der Kommission genau entspricht.

126

In einem ersten Schritt überprüfte der Gerichtshof in den Randnrn. 80 bis 87 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils, ob die Schlussfolgerung des Gerichts, die Erklärung vom 23. Juli 1997 enthalte keinen Verzicht von TKS auf ihr Anhörungsrecht, aufgrund einer Verfälschung der Erklärung vom selbst oder anderer in den Randnrn. 76 und 77 des Urteils genannter Unterlagen – nämlich der Stellungnahmen von TKS zu den beiden Mitteilungen der Beschwerdepunkte und ihr Schreiben vom  – mit einem Rechtsfehler behaftet ist.

127

In den Randnrn. 81 und 82 seines oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission wies der Gerichtshof auf die oben genannte Schlussfolgerung des Gerichts bezüglich des Inhalts der Erklärung vom 23. Juli 1997 hin und bestätigte sie. Sodann prüfte er das Argument der Kommission, das Gericht habe andere Beweismittel im Zusammenhang mit dieser Erklärung außer Acht gelassen und damit verfälscht, und wies es zurück (Randnrn. 83 bis 86).

128

Mit dem Ergebnis, dass das Gericht weder die Erklärung vom 23. Juli 1997 noch andere Beweismittel verfälscht hat (Urteil ThyssenKrupp/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 87), beendete der Gerichtshof seine Prüfung des ersten Grundes, auf den die Kommission ihr Anschlussrechtsmittel stützte, jedoch nicht.

129

Denn in einem zweiten Schritt prüfte und verwarf er ein weiteres Argument der Kommission, das sich auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bezog, die nach Ansicht der Kommission darin bestanden, dass TKS angeblich die wirtschaftliche Nachfolgerin von Thyssen sei, eine offensichtliche Handlungseinheit zwischen den beiden Wirtschaftsteilnehmern bestanden habe und TKS im Verwaltungsverfahren Erklärungen im Namen von Thyssen abgegeben habe. Nur um diese Frage ging es in Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission, auf die unmittelbar die Zurückweisung des ersten Anschlussrechtsmittelgrundes folgte.

130

Zweitens macht die Klägerin geltend, dass der Gerichtshof in Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission in eindeutigen Worten ausgeführt habe, die in den Randnrn. 85 und 86 dieses Urteils erwähnten „Erklärungen“ von TKS im Verwaltungsverfahren erlaubten es nicht, „[ihr] die Verantwortung für die Handlungen von Thyssen … aufzuerlegen“, und dass in Randnr. 85 des genannten Urteils außerdem ausdrücklich auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 Bezug genommen werde.

131

Bereits aus dem Wortlaut des dritten Satzes der Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission ergibt sich jedoch, dass darin lediglich auf das Ergebnis der in den Randnrn. 85 und 86 des Urteils vorgenommenen Prüfung verwiesen wird und dass die darin genannten Erklärungen diejenigen sind, die der Gerichtshof bereits gewürdigt hatte, nämlich die Stellungnahmen von TKS zu den beiden Mitteilungen der Beschwerdepunkte und ihr Schreiben vom 17. Dezember 1996.

132

Zwar ist die Erklärung vom 23. Juli 1997 in Randnr. 85 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission genannt, der Wortlaut des letzten Satzes dieser Randnummer macht jedoch deutlich, dass der Gerichtshof darin für seine Argumentation gerade zwischen den Erklärungen von TKS zu bestimmten Geschäftstätigkeiten von Thyssen vor dem Erwerb des Unternehmens im Jahr 1995 und der Erklärung von unterscheidet. So lässt sich nach Ansicht des Gerichtshofs, auch wenn die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die erste Mitteilung der Beschwerdepunkte und in ihrem Schreiben vom auch zu bestimmten Geschäftstätigkeiten von Thyssen vor dem Erwerb des Unternehmens im Jahr 1995 Stellung nahm, aus der Erklärung vom nicht herauslesen, dass TKS ihre Verteidigung hinsichtlich der Frage der Zurechenbarkeit der Handlungen von Thyssen für umfassend und ausreichend hielt, so dass die Kommission gegen sie ohne eine erneute Anhörung eine Geldbuße wegen dieser Handlungen hätte festsetzen können.

133

Darüber hinaus nennt der Gerichtshof im dritten Satz der Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission die Erklärungen, die TKS im Verwaltungsverfahren „zu den Geschäftstätigkeiten von Thyssen“ abgegeben hat. Diese Formulierung erlaubt es, sie von der Erklärung vom 23. Juli 1997 zu unterscheiden, mit der TKS die Übernahme der Verantwortung für die Handlungen von Thyssen bestätigte, und verweist auf die Formulierung in Randnr. 85 des Urteils, die sich auf die Stellungnahme von TKS zu „bestimmten Geschäftstätigkeiten von Thyssen vor dem Erwerb des Unternehmens im Jahr 1995“ bezieht.

134

Was die im oben genannten dritten Satz enthaltene Formulierung betrifft, nach der die Erklärungen von TKS im Verwaltungsverfahren bezüglich der Geschäftstätigkeiten von Thyssen es nicht erlauben, „der TKS die Verantwortung für die Handlungen von Thyssen vor [1995] aufzuerlegen“, so ist sie im Licht des sehr genau gefassten Gegenstands des ersten Anschlussrechtsmittelgrundes sowie der Tatsache zu lesen, dass die fragliche Passage lediglich auf das Ergebnis der vom Gerichtshof in den Randnrn. 85 und 86 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission vorgenommenen Prüfung verweist, und zwar aufgrund einer teilweisen Parallelität der von der Kommission zur Stützung des ersten Grundes ihres Anschlussrechtsmittels geltend gemachten Argumente.

135

Der dritte Satz der Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission ist daher als Hinweis des Gerichtshofs darauf zu verstehen, dass die von TKS im Verwaltungsverfahren abgegebenen Erklärungen bezüglich der Geschäftstätigkeiten von Thyssen – nämlich ihre Erwiderungen auf die beiden Mitteilungen der Beschwerdepunkte und ihr Schreiben vom 17. Dezember 1996 – es nicht erlauben, die Erklärung vom auch als Verzicht auf das Anhörungsrecht von TKS zu deuten und dieser daraufhin aufgrund eines Verfahrensfehlers, der auf einer Verletzung ihrer Verteidigungsrechte beruht, die Verantwortung für die Handlungen von Thyssen vor 1995 aufzuerlegen.

136

Die von der Klägerin vertretene gegenteilige Auslegung der Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission liefe auf die Annahme hinaus, der Gerichtshof hätte eine Feststellung zur Verletzung des Anhörungsrechts ohne Begründung und durch einen einfachen Verweis in eine Schlussfolgerung hinsichtlich des Haftungsübergangs umgeändert, wovon nicht ausgegangen werden kann.

137

Wäre Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission so auszulegen, wie die Klägerin dies tut, nämlich dahin, dass TKS nach Auffassung des Gerichtshofs unabhängig von dem Verfahrensfehler nicht für die Handlungen von Thyssen verantwortlich erklärt werden könne, hätte für den Gerichtshof kein Anlass bestanden, sich noch zum zweiten und zum dritten Grund des Anschlussrechtsmittels zu äußern, mit denen das Vorliegen einer Verletzung der Verteidigungsrechte bestritten wurde. Dies hat er jedoch in den Randnrn. 90 bis 97 des Urteils getan und die genannten Gründe zurückgewiesen.

138

Der dritte Klagegrund, wonach die Kommission dadurch gegen die Rechtskraft des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission, nach dem TKS nicht für das Verhalten von Thyssen verantwortlich habe erklärt werden können, verstoßen habe, dass sie gegen die Klägerin eine Geldbuße wegen des rechtswidrigen Verhaltens von Thyssen verhängt habe, ist demnach zurückzuweisen, da er auf einer unzutreffenden Auslegung der Randnr. 88 des genannten Urteils beruht.

Zu den Wirkungen der Rechtskraft

139

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Gemeinschaftsrichter der Ansicht war, dass die Kommission wegen der Erklärung vom 23. Juli 1997 ausnahmsweise berechtigt war, TKS die Verantwortung für das Verhalten von Thyssen aufzuerlegen, das dieser für die Zeit vom bis zum Übergang ihrer Geschäftstätigkeiten auf TKS am zur Last gelegt wurde, dass sie TKS aber keine Gelegenheit gegeben hatte, zu diesem Verhalten Stellung zu nehmen, und dass TKS daher ihre Verteidigungsrechte in dieser Hinsicht nicht ausüben konnte. Dies führte zur teilweisen Nichtigerklärung der Entscheidung 98/247.

140

Es ist davon auszugehen, dass diese Rechtsfrage tatsächlich Gegenstand der Entscheidung des Gemeinschaftsrichters im Sinne der oben in Randnr. 113 erwähnten Rechtsprechung war und daher von der Rechtskraft erfasst ist, wobei daran erinnert sei, dass die Rechtskraft nicht nur den Tenor gerichtlicher Entscheidungen umfasst, mit denen ein Rechtsakt für nichtig erklärt wird. Sie umfasst auch die Gründe, die den Tenor tragen und daher von diesem nicht zu trennen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil P&O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, oben in Randnr. 94 angeführt, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

141

Mit dem oben in Randnr. 24 angeführten und durch das oben in Randnr. 27 angeführte Urteil ThyssenKrupp/Kommission bestätigten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission wurde die Kommission nur gemäß Art. 233 EG – wonach das Organ, dem ein für nichtig erklärtes Handeln zur Last fällt, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergebenden Maßnahmen zu ergreifen hat – verpflichtet, die tatsächlich festgestellte Rechtswidrigkeit in dem Akt zu beseitigen, der an die Stelle des für nichtig erklärten Aktes treten soll (vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 48).

142

Genau das hat die Kommission in der Entscheidung getan. Deren Erlass war am 5. April 2006 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an TKS vorausgegangen, die das Unternehmen am beantwortete. Der Klägerin wurde somit Gelegenheit gegeben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der Thyssen zur Last gelegten Handlungen Stellung zu nehmen.

143

Im Rahmen der vorliegenden Klage ist das Gericht aufgefordert, sich zur Rechtmäßigkeit des Aktes zu äußern, der an die Stelle der Entscheidung 98/247 getreten ist und mit dem die Kommission, gestützt auf die Ausführungen zur Erklärung vom 23. Juli 1997 im oben in Randnr. 24 angeführten und durch das oben in Randnr. 27 angeführte Urteil ThyssenKrupp/Kommission bestätigten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, wegen des Verhaltens von Thyssen eine Geldbuße in Höhe von 3168000 Euro gegen die Klägerin festgesetzt hat.

144

Dessen ungeachtet, dass die vorliegende Klage einen Akt betrifft, der formal von der Entscheidung 98/247 zu unterscheiden ist, ist festzustellen, dass die im Rahmen dieser Klage kontrovers diskutierte Rechtsfrage der Wirksamkeit der Erklärung vom 23. Juli 1997 als rechtliche Grundlage dafür, der Klägerin die Handlungen von Thyssen zuzurechnen und daraufhin eine Sanktion gegen sie zu verhängen, vom Gemeinschaftsrichter schon endgültig entschieden worden ist und daher von der Rechtskraft erfasst wird.

145

Die Rechtskraft steht dem entgegen, dass diese Rechtsfrage erneut dem Gericht unterbreitet und von diesem geprüft wird.

146

Das Argument der Klägerin, ihr könne im vorliegenden Fall keine Rechtskraft entgegengehalten werden, da das oben in Randnr. 24 angeführte Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission ausschließlich die Entscheidung 98/247 betreffe, die nicht Gegenstand der vorliegenden Klage sei, ist unter diesen Umständen unerheblich und ist zu verwerfen.

147

Aus alledem ergibt sich, dass der vierte Nichtigkeitsgrund, mit dem die Rechtswidrigkeit der Verhängung einer Geldbuße auf der Grundlage der Erklärung vom 23. Juli 1997 geltend gemacht wird, als unzulässig zurückzuweisen ist. Hierdurch verliert der Widerruf dieser Erklärung, den die Klägerin in der Sitzung erklärt hat und der lediglich der Veranschaulichung ihrer Argumentation zur Tragweite der Erklärung dienen sollte, jegliche Bedeutung.

4. Zum Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“

Vorbringen der Parteien

148

Im Rahmen des fünften Klagegrundes trägt die Klägerin vor, die Entscheidung verstoße gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“, weil die Kommission weder die angewendete Sanktionsgrundlage noch das Konzept einer „Haftungsübernahme durch private Erklärung“ hinreichend klar umrissen habe.

149

Sie macht erstens geltend, die Kommission wolle die gegen TKS verhängte Geldbuße auf eine zumindest aus Art. 65 KS und Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 bestehende Normenkombination stützen, die unbestimmt sei, da eine Bußgeldverhängung auf dieser Grundlage nicht „für alle Betroffenen vorhersehbar“ sei, wie es die Rechtsprechung verlange. Die widersprüchlichen Ausführungen der Kommission in der Klagebeantwortung zeigten, dass diese nicht einmal wisse, wie diese Kombination „eigentlich aussehen soll“.

150

Die mangelnde Bestimmtheit der Kombination von Rechtsgrundlagen werde daraus deutlich, dass sich aus ihr z. B. nicht ergebe, ob die einmonatige Klagefrist des EGKS-Vertrags oder die zweimonatige Klagefrist des EG-Vertrags gelte. In diesen von der Kommission erzeugten Rechtsunsicherheiten liege eine Verletzung der Verteidigungsrechte von TKS begründet.

151

Zweitens habe die Kommission mit dem Konzept der „Haftungsübernahme durch private Erklärung“ (125. und 127. Erwägungsgrund der Entscheidung) einen Rechtsnachfolgetatbestand sui generis konstruiert, der in seinen Anwendungsvoraussetzungen und in seiner Reichweite unschlüssig, undefiniert und damit eklatant rechtswidrig sei.

152

Dieses neue Konzept ergebe sich weder aus dem primären oder sekundären Gemeinschaftsrecht noch aus der Rechtsprechung, wie sich aus der gegenteiligen Entscheidung im oben in Randnr. 101 angeführten Urteil Kommission/Anic Partecipazioni ergebe. Der Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ zeige sich auch darin, dass die Kommission in ihrer Entscheidung vom 19. Januar 2005, MCAA, sogar ausdrücklich die gegenteilige Ansicht vertreten habe, wonach eine privatautonome Erklärung gerade nicht zum Haftungsübergang führe. Darüber hinaus habe die Kommission nicht einmal in den Beschwerdepunkten das nunmehr im Bereich des Kartellrechts angewendete Sanktionskonzept erwähnt.

153

Schließlich trägt die Klägerin vor, die fehlende Festlegung der Kommission hinsichtlich einer definitiven Sanktionsgrundlage ermögliche es ihr zwar nur, Vermutungen über diese Grundlage anzustellen. Dies könne aber – anders als die Kommission meine – nicht zur Unzulässigkeit des vorliegenden Klagegrundes führen, sondern nur zur Nichtigkeit der Entscheidung.

154

Die Kommission macht geltend, die Ausführungen der Klägerin zu angeblich „von der Kommission erzeugten Rechtsunsicherheiten“ seien derart vage, dass der Klagegrund bereits aufgrund mangelnder Bestimmtheit als unzulässig zurückzuweisen sei. Zumindest müsse er als unbegründet zurückgewiesen werden.

Würdigung durch das Gericht

Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

155

Die Kommission macht geltend, der fünfte Klagegrund sei unzulässig, da er unbestimmt sei.

156

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Klageschrift gemäß Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss. Die betreffenden Angaben müssen so klar und genau sein, dass der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, über die Klage entscheiden kann. In der Klageschrift ist deshalb darzulegen, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloß abstrakte Nennung den Erfordernissen der Verfahrensordnung nicht entspricht (Urteile des Gerichts vom 12. Januar 1995, Viho/Kommission, T-102/92, Slg. 1995, II-17, Randnr. 68, und vom , Mo och Domsjö/Kommission, T-352/94, Slg. 1998, II-1989, Randnr. 333).

157

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Schriftsätzen der Klägerin bezüglich des Klagegrundes, der den Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ betrifft, dass die Klägerin in Wirklichkeit den Grundsatz der Rechtssicherheit meint, gegen den die Kommission durch die Unbestimmtheit von Rechtsgrundlage und Haftungszurechnung verstoßen haben soll.

158

Es ist festzustellen, dass die Klägerin damit ausreichend klare und genaue Angaben gemacht hat, da diese die Kommission nicht daran gehindert haben, zu den vorgebrachten Argumenten bereits im Stadium der Klagebeantwortung Stellung zu nehmen, und es dem Gericht erlauben, seine rechtliche Kontrolle auszuüben.

159

Dieser Klagegrund ist daher für zulässig zu erklären und auf seine Begründetheit zu prüfen.

Zur Begründetheit

160

Nach ständiger Rechtsprechung, auf die die Klägerin in ihren Schriftsätzen Bezug nimmt, müssen die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften klar und ihre Anwendung für alle Betroffenen vorhersehbar sein. Dieses Gebot der Rechtssicherheit verlangt, dass jede Maßnahme, die rechtliche Wirkungen erzeugen soll, ihre Bindungswirkung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts entnimmt, die ausdrücklich als Rechtsgrundlage bezeichnet sein muss und die Rechtsform vorschreibt, in der die Maßnahme zu erlassen ist. (Urteil des Gerichtshofs vom 16. Juni 1993, Frankreich/Kommission, C-325/91, Slg. 1993, I-3283, Randnr. 26). Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass eine Sanktion, selbst wenn sie keinen strafrechtlichen Charakter besitzt, nur dann verhängt werden darf, wenn sie auf einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage beruht (Urteil des Gerichtshofs vom , Könecke, 117/83, Slg. 1984, 3291, Randnr. 11).

161

Was erstens die behauptete Unbestimmtheit der Rechtsgrundlage der Entscheidung betrifft, trägt die Klägerin vor, die Entscheidung sei auf eine zumindest aus Art. 65 KS und Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 bestehende „Normenkombination“ gestützt, die unbestimmt sei. Neben Ausführungen zu angeblichen Ungenauigkeiten der Klagebeantwortung, die völlig ins Leere gehen, macht sie geltend, dass diese Kombination unbestimmt sei, da die verhängte Geldbuße nicht „für alle Betroffenen vorhersehbar“ sei, und dass die Unbestimmtheit des „Rechtsgrundlagenmixes“ für prozessuale Rechtsunsicherheiten ursächlich sei, die zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte geführt hätten.

162

Diese Argumentation der Klägerin beruht auf einer unzutreffenden Prämisse und ist zurückzuweisen.

163

Aus der Entscheidung geht klar hervor, dass allein Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 ohne Art. 65 KS ihre Rechtsgrundlage bilden, d. h., die Kommission ermächtigen, im betreffenden Bereich tätig zu werden. Die Bezugnahme in der Entscheidung auf Art. 65 KS betrifft § 1, d. h. die materielle Rechtsvorschrift, die sich an Unternehmen und Unternehmensverbände richtet und bestimmte wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verbietet, und § 5, soweit dieser die Möglichkeit vorsieht, Geldbußen in Höhe des Doppelten des Umsatzes zu verhängen, der mit den Erzeugnissen erzielt worden ist, die Gegenstand der wettbewerbswidrigen Vereinbarung sind. Der Verweis auf die Anwendbarkeit von Art. 65 § 5 KS bezieht sich auf die Diskussion um den lex-mitior-Grundsatz und bezweckt, für die Berechnung der Höhe der Geldbuße im vorliegenden Fall die Anwendung dieser Vorschrift anstelle des Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu rechtfertigen (vgl. Erwägungsgründe 162 bis 168 und 178 der Entscheidung).

164

Der Inhalt der oben geprüften ersten beiden Nichtigkeitsgründe zeigt, dass für die Klägerin hinsichtlich der Rechtsgrundlage der Entscheidung keine wirkliche Unsicherheit bestand.

165

Über die ausdrückliche Bezugnahme auf Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 hinaus erinnerte die Kommission im 70. Erwägungsgrund der Entscheidung an die ständige Rechtsprechung, nach der bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass sie für alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten gelten, anders als die materiell-rechtlichen Vorschriften, die gewöhnlich so ausgelegt werden, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nicht gelten (Urteil Meridionale Industria Salumi u. a., oben in Randnr. 85 angeführt, Randnr. 9). Darüber hinaus wird in Art. 4 der Entscheidung ausdrücklich erwähnt, dass es sich bei dieser um einen vollstreckbaren Titel „gemäß Art. 256 [EG]“ handelt. Die Entscheidung wurde der Klägerin mit einem Schreiben bekannt gegeben, in dem festgestellt wurde, dass diese Bekanntgabe „gemäß Art. 254 [EG]“ erfolgte.

166

Unter diesen Umständen bestand kein Zweifel daran, dass bei Erhebung der Klage gegen die Entscheidung, die vier Jahre nach Auslaufen des EGKS-Vertrags erlassen worden war, die Vorschriften des Art. 230 EG und der Verfahrensordnung einzuhalten waren und dass keinesfalls Art. 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofs Anwendung finden konnte.

167

Außerdem gibt die Klägerin keinerlei Erklärung zur Stützung der dahin gehenden Rüge, dass die Rechtsgrundlage unbestimmt sei, weil die Bußgeldverhängung nicht „für alle Betroffenen vorhersehbar“ sei, und beruft sich jedenfalls weder auf die Rechtswidrigkeit des Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Straftatbestände und der Strafen, der aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, noch auch nur auf eine unzureichende Begründung der Entscheidung.

168

Es ist daran zu erinnern, dass die Entscheidung, mit der die Kommission einen Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS festgestellt und eine Sanktion gegen die Klägerin verhängt hat, unter Einhaltung der Grundsätze über das intertemporale Recht erlassen worden ist und dass die Kommission zu Recht Art. 65 § 1 KS als materiell-rechtliche Regelung sowie die Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen, die sich aus der Verordnung Nr. 1/2003 ergeben, angewandt hat, darunter deren Art. 23 Abs. 2, der ausdrücklich vorsieht, dass die Kommission eine Geldbuße gegen Unternehmen verhängen kann, die sich wettbewerbswidrig verhalten haben.

169

Soweit die Klägerin die Wirksamkeit der Entscheidung durch den Hinweis auf einen „Rechtsgrundlagenmix, der weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur anerkannt ist“, in Frage stellen will, genügt der Hinweis darauf, dass bereits festgestellt worden ist, dass die angewandte Rechtsgrundlage der Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung die Befugnis verlieh, einen Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS festzustellen und zu ahnden.

170

Was zweitens die Behauptung anbelangt, die Haftungszurechnung sei im vorliegenden Fall unbestimmt, genügt die Feststellung, dass sich die Verantwortlichkeit der Klägerin für das Verhalten von Thyssen ausdrücklich und ausschließlich auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 stützt, wie aus den Erwägungsgründen 112 bis 117, 125, 127, 128 und 149 der Entscheidung sehr deutlich hervorgeht. Die Durchsicht der Schriftsätze der Klägerin zeigt im Übrigen, dass über diesen Punkt keinerlei Unsicherheit bestand.

171

In Wirklichkeit zielt die von der Klägerin zur Stützung des fünften Nichtigkeitsgrundes entwickelte Argumentation offenbar darauf ab, erneut die Rechtswidrigkeit dieser Grundlage nachzuweisen. Dieser Einwand ist unzulässig, da der Gemeinschaftsrichter über diesen rechtlichen Gesichtspunkt bereits endgültig und damit rechtskräftig im Sinne der Wirksamkeit der genannten Grundlage entschieden hat (vgl. oben, Randnrn. 139 bis 147).

172

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass der Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ gerügt wird, zurückzuweisen ist.

5. Zum Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung

Vorbringen der Parteien

173

Im Rahmen ihres sechsten Klagegrundes trägt die Klägerin vor, das Konzept der „Haftungsübernahme durch private Erklärung“ verstoße gegen das Doppelbestrafungsverbot, das auch bei der „Wiederholung eines Bußgeldverfahrens“ beachtet werden müsse.

174

Im vorliegenden Fall handele es sich um eine unzulässige Doppelbuße. Gegen TKS sei bereits rechtskräftig eine Geldbuße für die von ihr begangene Zuwiderhandlung verhängt worden, und die Kommission habe ihr zusätzlich eine neue Verantwortung für den von Thyssen begangenen Verstoß auferlegt, was bedeute, dass sie ein zweites Mal für die bereits abgeurteilte identische prozessuale Tat sanktioniert worden sei.

175

In Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission habe der Gerichtshof festgestellt, dass materiell-rechtlich kein Haftungsübergang stattfinden könne. Die Kommission verhänge hier also ein weiteres Mal eine Geldbuße gegen sie, obwohl es sich um eine res iudicata handle. Aufgrund dieser Entscheidung des Gerichtshofs sei der Umstand irrelevant, dass es sich bei dem aufgehobenen Teil der Entscheidung 98/247 um den Anteil des Bußgeldes handle, der gedanklich wegen des Thyssen zugerechneten Verstoßes auferlegt worden sei.

176

Darüber hinaus nehme die Kommission nach ihrem neuen Konzept einer „Haftungsübernahme kraft privater Erklärung“ die Zurechnung einer fremden bußgeldrechtlichen Haftung vor. Sie betone selbst, dass es sich nicht um eine originäre Haftung von TKS handle und auch keine Rechtsnachfolgehaftung vorliege. Wenn dies aber richtig sei, verhänge sie eine neue, zweite Geldbuße und korrigiere nicht lediglich einen früheren Verfahrensfehler. Die Sanktionierung für den Verstoß von Thyssen wäre nach Ansicht der Klägerin daher nur dann zulässig, wenn TKS nicht bereits für den von ihr begangenen Verstoß mit einer Geldbuße belegt worden wäre. Da aber die bereits 1998 gegen TKS festgesetzte Geldbuße Rechtskraft erlangt habe, sei hinsichtlich des gesamten Tatkomplexes mittlerweile Strafklageverbrauch eingetreten.

177

Die Kommission ist der Auffassung, dass dieser Klagegrund zurückzuweisen sei.

Würdigung durch das Gericht

178

Es ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz ne bis in idem, bei dem es sich um einen auch in Art. 4 Abs. 1 des am 4. November 1959 in Rom unterzeichneten Protokolls Nr. 7 zur Europäischen Konvention über die Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verankerten tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts handelt, im Bereich des Wettbewerbsrechts verbietet, dass ein Unternehmen wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, in Bezug auf das es in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, erneut verurteilt oder verfolgt wird (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 59).

179

Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hängt von der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C-204/00 P, C-205/00 P, C-211/00 P, C-213/00 P, C-217/00 P und C-219/00 P, Slg. 2004, I-123, Randnr. 338).

180

Im vorliegenden Fall meint die Klägerin, gegen sie sei eine unzulässige Doppelsanktion verhängt worden. Sie sei bereits in der Entscheidung 98/247 rechtskräftig wegen der von ihr begangenen Zuwiderhandlung sanktioniert worden. Die Kommission habe sie dadurch, dass sie ihr in der Entscheidung die Verantwortung für den von Thyssen begangenen Verstoß auferlegt habe, ein zweites Mal wegen der „identischen prozessualen Tat“ mit einer Sanktion belegt.

181

Zur Stützung dieses Vorbringens beruft sich die Klägerin erneut auf die Rechtswidrigkeit der Auferlegung der Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung auf der Grundlage der Erklärung vom 23. Juli 1997. Hierzu weist sie zum einen auf ihre Argumentation hin, nach der der Gerichtshof in Randnr. 88 des oben in Randnr. 27 angeführten Urteils ThyssenKrupp/Kommission entschieden habe, dass TKS materiell-rechtlich nicht für das rechtswidrige Verhalten von Thyssen hafte, und trägt zum anderen vor, die Kommission habe ihr in der Entscheidung eine fremde Haftung zugerechnet.

182

Die Klägerin zieht aus dieser behaupteten Rechtswidrigkeit den Schluss, dass die in der Entscheidung verhängte Geldbuße nur den Zweck haben könne, sie ein zweites Mal für die von ihr begangene Zuwiderhandlung zu sanktionieren, was einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot darstelle.

183

Nach Auffassung des Gerichts beruht diese Argumentation auf einer unzutreffenden Prämisse.

184

Denn wie bereits ausgeführt, hat der Gemeinschaftsrichter entschieden, dass die Kommission aufgrund der Erklärung vom 23. Juli 1997 ausnahmsweise berechtigt war, TKS die Verantwortung für das Thyssen vorgeworfene rechtswidrige Verhalten aufzuerlegen.

185

Nachdem das Gericht auf das Vorliegen eines zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin führenden Verfahrensfehlers hingewiesen hatte, erklärte es Art. 1 der Entscheidung 98/247 im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission für nichtig, soweit TKS die Verantwortung für den von Thyssen begangenen Verstoß gegen Art. 65 KS auferlegt wurde. Infolgedessen setzte es die Geldbuße gegen TKS um den Betrag herab, der aufgrund der von Thyssen begangenen Zuwiderhandlung gegen TKS verhängt worden war, und setzte die Geldbuße, die gegen TKS wegen ihres eigenen wettbewerbswidrigen Verhaltens letztlich verhängt wurde, auf 4032000 Euro fest.

186

Der Gerichtshof bestätigte dieses Urteil in seinem oben in Randnr. 27 angeführten Urteil ThyssenKrupp/Kommission. Es sei daran erinnert, dass die von der Klägerin vertretene Auslegung der Randnr. 88 des letztgenannten Urteils des Gerichtshofs bereits zurückgewiesen worden ist.

187

Gemäß Art. 233 EG war die Kommission verpflichtet, die vom Gemeinschaftsrichter festgestellte Rechtswidrigkeit zu beseitigen. Dies hat sie im Rahmen des zum Erlass der Entscheidung führenden Verfahrens getan. Ausschließlicher Gegenstand dieser Entscheidung war es, der Klägerin nach Behebung des Verfahrensfehlers auf der Grundlage der Erklärung vom 23. Juli 1997 die Verantwortung für den von Thyssen begangenen Verstoß gegen Art. 65 KS aufzuerlegen und infolgedessen eine Geldbuße in Höhe von 3168000 Euro gegen sie festzusetzen.

188

Die Entscheidung stellt damit keinesfalls eine zweite Sanktionierung des durch die Entscheidung 98/247 bereits rechtskräftig geahndeten rechtswidrigen Verhaltens von TKS dar. Außerdem führt, wie die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, die Haftungsübernahme durch die Erklärung vom 23. Juli 1997 nicht dazu, dass aus den beiden von TKS und von Thyssen begangenen Zuwiderhandlungen eine einzige wird.

189

Zudem verstößt die Entscheidung, da sie sich erneut und ausschließlich gegen die wettbewerbswidrigen Handlungen von Thyssen richtet, auch nicht gegen das Doppelbestrafungsverbot.

190

Es ist daran zu erinnern, dass das Doppelbestrafungsverbot einer Wiederaufnahme von Verfolgungsmaßnahmen, die das gleiche wettbewerbswidrige Verhalten betreffen, nicht entgegensteht, wenn eine erste Entscheidung aus formalen Gründen ohne materielle Beurteilung des zur Last gelegten Sachverhalts für nichtig erklärt wurde; die Nichtigerklärung stellt dann keinen „Freispruch“ im strafrechtlichen Sinne dar. In einem solchen Fall kommen die in der neuen Entscheidung verhängten Sanktionen nicht zu denen in der für nichtig erklärten Entscheidung hinzu, sondern ersetzen diese (oben in Randnr. 113 angeführtes Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 62).

191

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt anwendbar, da die Sanktion, die in der Entscheidung gegen die Klägerin wegen ihrer Verantwortlichkeit für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung verhängt wurde, die in der Entscheidung 98/247 aus demselben Grund verhängte Sanktion ersetzt und ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot somit ausgeschlossen ist.

192

Aus alledem folgt, dass der Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot geltend gemacht wird, zurückzuweisen ist.

6. Zur Verjährung

Vorbringen der Parteien

193

Im Rahmen des siebten Klagegrundes trägt die Klägerin vor, für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung gelte gemäß der Entscheidung Nr. 715/78/EGKS der Kommission vom 6. April 1978 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Geltungsbereich des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (ABl. L 94, S. 22) die fünfjährige Verjährung, die im Jahr 1999 oder, wenn man auf die Beendigung des Verstoßes durch die anderen Teilnehmer abstelle, spätestens im Jahr 2003 eingetreten sei.

194

Die Verjährung sei weder gemäß Art. 2 der Entscheidung Nr. 715/78 unterbrochen gewesen noch habe sie geruht, da Thyssen nicht Partei des Rechtsstreits gewesen sei, der zum Erlass des oben in Randnr. 24 angeführten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission geführt habe. Zu demselben Ergebnis käme man, wenn man auf die Verjährungsregeln des Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 oder auf die Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319. S. 1) abstellte.

195

Für die Verjährung komme es im vorliegenden Fall nicht – wie die Kommission meine – auf den von TKS begangenen Verstoß an, da mit der in der Entscheidung festgesetzten Geldbuße ein originärer Verstoß von Thyssen sanktioniert werde. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, SCA Holding/Kommission (C-297/98 P, Slg. 2000, I-10101), macht die Klägerin geltend, dass es sich bei dem ihr zugerechneten Verstoß um einen solchen von Thyssen handle und eine Sanktion ihr gegenüber daher nur insoweit verhängt werden könne, wie dies gegenüber der Rechtsvorgängerin, d. h. gegenüber Thyssen, möglich gewesen wäre. Da der Verstoß gegenüber Thyssen verjährt sei, sei er dies auch gegenüber der Klägerin als ihrer vermeintlichen „Stellvertreterin im Bußgeldverfahren“.

196

Auf die Argumentation der Kommission, nach der es sich nicht um einen Fall der Rechtsnachfolge handle, weil Thyssen noch existiere und ihre Verfolgungsbefugnis allein und unmittelbar aus der vermeintlichen Haftungsübernahmeerklärung resultiere, erwidert die Klägerin, dass der Begriff der Rechtsnachfolge nicht voraussetze, dass der Rechtsvorgänger erlösche. Eine Rechtsnachfolge liege immer dann vor, wenn sich die Rechtszuständigkeit ändere, auch wenn der Rechtsvorgänger noch existiere. Wie man diesen Haftungsübergang deklariere, ob als „Rechtsnachfolge“ oder als „Verfolgungsbefugnis“ kraft der Erklärung vom 23. Juli 1997, sei zudem unerheblich, da es stets um die Zurechnung einer völlig fremden Verantwortlichkeit gehe.

197

Die Kommission wende gegen die Verjährung auch ein, dass für die Entscheidung gegen TKS ein „Feststellungsinteresse“ bestehe und für eine feststellende Entscheidung keine Verjährungsfristen gälten. Diese Argumentation greife nicht durch, da nicht ersichtlich sei, worauf die Kommission hier ein besonderes „Feststellungsinteresse“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 habe stützen wollen, und es hier nicht um eine deklaratorische Entscheidung, sondern um eine Bußgeldentscheidung gehe. Daran, dass die Zuwiderhandlung verjährt sei, könne auch ein eventuelles „Feststellungsinteresse“ nichts ändern. Jedenfalls würde eine nicht an die Verjährung gebundene „Feststellungsentscheidung“ die Verteidigungsrechte von TKS verletzen, weil hiervon in den Beschwerdepunkten niemals die Rede gewesen sei.

198

Nach Ansicht der Kommission ist der siebte Klagegrund zurückzuweisen.

Würdigung durch das Gericht

199

Nach Auffassung des Gerichts greift dieser Klagegrund nicht durch, da er auf der unzutreffenden Prämisse beruht, die Sanktion, die zunächst in der Entscheidung 98/247 und dann in der Entscheidung gegen die Klägerin verhängt wurde, beziehe sich auf eine „völlig fremde Verantwortlichkeit“.

200

Es ist daran zu erinnern, dass TKS mit der an die Kommission gerichteten Erklärung vom 23. Juli 1997 die Verantwortung für die Thyssen zur Last gelegten Handlungen für den Zeitraum beginnend ab 1993 übernommen hat, obwohl ihr die Geschäftstätigkeit von Thyssen im Bereich der betroffenen Erzeugnisse erst ab dem übertragen worden war.

201

Die Entscheidung 98/247, mit der TKS die Verantwortung für die wettbewerbswidrigen Handlungen von Thyssen auferlegt und deswegen eine Geldbuße gegen sie verhängt wurde, beruht gerade einzig und allein auf der Erklärung vom 23. Juli 1997.

202

Im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission hat das Gericht entschieden, dass die Kommission wegen der Erklärung vom 23. Juli 1997 ausnahmsweise berechtigt war, TKS die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten von Thyssen aufzuerlegen, da eine solche Erklärung dazu führt, dass die juristische Person, die die Verantwortung für die Geschäftstätigkeiten einer anderen juristischen Person übernommen hat, nach dem Ende der aus diesen Tätigkeiten resultierenden Zuwiderhandlung für diese einstehen muss, obwohl für diese grundsätzlich die natürliche oder juristische Person verantwortlich ist, die das betreffende Unternehmen zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung leitete (Randnr. 62 des Urteils).

203

Somit wird TKS rechtlich so angesehen, als habe sie die fragliche Zuwiderhandlung selbst begangen (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Metsä-Serla u. a./Kommission, C-294/98 P, Slg. 2000, I-10065, Randnr. 28).

204

Gerade dies erklärt, warum das Gericht die Kommission im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission wegen Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin sanktioniert hat.

205

Das Gericht führte zunächst aus, dass die Erklärung vom 23. Juli 1997 nicht so verstanden werden konnte, dass die Klägerin damit auch auf ihr Recht verzichtet hätte, zu den Handlungen gehört zu werden, die Thyssen zur Last gelegt worden waren. Anschließend stellte es fest, dass der Klägerin in der ihr zugestellten Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht die Verantwortlichkeit für die Thyssen vorgeworfenen Handlungen auferlegt wurde, für die sie die Verantwortung im Hinblick auf die eventuelle Festsetzung einer Geldbuße übernommen hatte, und dass sie keine Gelegenheit erhielt, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der Thyssen zur Last gelegten Handlungen Stellung zu nehmen. Daraus zog das Gericht den Schluss, dass die Klägerin ihre Verteidigungsrechte nicht ausüben konnte.

206

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass es Sache der Kommission ist, auf der Grundlage der im Zuge der Ermittlungen und der Auskunftsersuchen erlangten Beweismittel die Frage der Zurechnung der festgestellten Zuwiderhandlungen zu regeln, und dass in der wichtigen Verfahrensgarantie, die die Mitteilung der Beschwerdepunkte darstellt, ein tragender Grundsatz des Gemeinschaftsrechts zur Anwendung kommt, der die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in allen Verfahren verlangt (Urteil des Gerichtshofs vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge transports u. a./Kommission, C-395/96 P und C-396/96 P, Slg. 2000, I-1365, Randnrn. 142 und 143). In der Mitteilung der Beschwerdepunkte als der Verfahrenshandlung, die den Beginn des kontradiktorischen Verwaltungsverfahrens darstellt, gibt die Kommission die Beschwerdepunkte an und legt die Tatsachen dar, die dem Unternehmen, das Empfänger der Mitteilung ist, zur Last gelegt werden. Angesichts der Bedeutung der Mitteilung der Beschwerdepunkte muss darin eindeutig angegeben werden, gegen welche juristische Person Geldbußen festgesetzt werden könnten, und sie muss an diese gerichtet werden (Urteile des Gerichtshofs vom , ARBED/Kommission, C-176/99 P, Slg. 2003, I-10687, Randnr. 21, und ThyssenKrupp/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, Randnr. 92).

207

Nach Ansicht des Gerichts war es demnach allein TKS, die für die Zuwiderhandlung einzustehen hatte, die ihr aufgrund der Erklärung vom 23. Juli 1997 rechtlich zurechenbar war.

208

Unter diesen Umständen stellt sich für die Verjährung im vorliegenden Fall nicht die Frage, ob die in der Entscheidung gegen TKS verhängte Sanktion gegen ihre vermeintliche „Rechtsvorgängerin“ hätte verhängt werden können, sondern ob die Kommission am 20. Dezember 2006 noch berechtigt war, gegen TKS eine Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung festzusetzen, die am oder am endete, je nachdem, ob man auf den Zeitpunkt der Übernahme der Geschäftstätigkeit von Thyssen im Bereich rostfreie Flachstahlerzeugnisse durch TKS oder auf den in Art. 1 der Entscheidung 98/247 festgestellten Zeitpunkt der Beendigung der dauernden Zuwiderhandlung abstellt.

209

Hinsichtlich der einzuhaltenden Verjährungsregeln ist festzustellen, dass die Anwendung der Verordnung Nr. 2988/74 im vorliegenden Fall gemäß Art. 37 der Verordnung Nr. 1/2003 ausgeschlossen ist, da die Kommission in der Entscheidung die Zuständigkeits- und Verfahrensregeln der Verordnung Nr. 1/2003 angewandt hat. Was die Verordnung Nr. 1/2003 und die Entscheidung Nr. 715/78 angeht, so enthalten sie im Wesentlichen identische Bestimmungen.

210

Die Verordnung Nr. 1/2003 und die Entscheidung Nr. 715/78 sehen vor:

Die Befugnis der Kommission, wegen Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Wettbewerbsrechts Geldbußen festzusetzen, verjährt in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist, oder bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen an dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung beendet ist (Art. 25 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 715/78).

Die Verjährung wird durch jede auf Ermittlung oder Verfolgung der Zuwiderhandlung gerichtete Handlung der Kommission unterbrochen. Die Unterbrechung tritt mit dem Tag ein, an dem die Handlung mindestens einem an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen bekannt gegeben wird, und wirkt gegenüber allen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen. (Art. 25 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 2 Abs. 1 und 2 der Entscheidung Nr. 715/78).

Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem. Die Verjährung tritt jedoch spätestens mit dem Tag ein, an dem die doppelte Verjährungsfrist verstrichen ist, ohne dass die Kommission eine Geldbuße oder ein Zwangsgeld festgesetzt hat. Diese Frist verlängert sich um den Zeitraum, in dem die Verjährung ruht (Art. 25 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 2 Abs. 3 der Entscheidung Nr. 715/78).

Die Verfolgungsverjährung ruht, solange wegen der Entscheidung der Kommission ein Verfahren vor dem Gemeinschaftsrichter anhängig ist (Art. 25 Abs. 6, der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 3 der Entscheidung Nr. 715/78).

211

Im vorliegenden Fall erließ die Kommission auf die etwas mehr als zwei Jahre nach der Übernahme der Geschäftstätigkeit von Thyssen im Bereich rostfreie Flachstahlerzeugnisse durch TKS erfolgte Erklärung vom 23. Juli 1997 hin die Entscheidung 98/247, mit der erstmals eine Sanktion gegen TKS verhängt wurde, am und damit innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist.

212

Die Klägerin erhob am 11. März 1998 Klage gegen die Entscheidung 98/247, und das Gericht erließ am das oben in Randnr. 24 angeführte Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission. Dieses Urteil war Gegenstand eines von der Klägerin am eingelegten und vom Gerichtshof in seinem oben in Randnr. 27 angeführten Urteil ThyssenKrupp/Kommission am zurückgewiesenen Rechtsmittels.

213

Nachdem die Verjährung während des gesamten Zeitraums, in dem das Verfahren gegen die Entscheidung 98/247 anhängig war, geruht hatte, lief die Verjährungsfrist ab dem 14. Juli 2005 von neuem und wurde am durch die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die im Rahmen des zum Erlass der Entscheidung am führenden Verfahrens an TKS gerichtet wurde, erneut unterbrochen.

214

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Entscheidung unter Beachtung der Verjährungsregeln erlassen wurde, die in den oben in Randnr. 209 genannten Rechtsakten vorgesehen sind, und zwar unabhängig davon, ob man die Verjährungsfrist am 1. Januar 1995 oder am beginnen lässt. Daher ist der Klagegrund der Verfolgungsverjährung zurückzuweisen.

7. Zur Verletzung der Verteidigungsrechte

215

Die Klägerin macht eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend und trägt diese Rüge in zwei Teilen vor. Erstens sei die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht ordnungsgemäß (neunter Nichtigkeitsgrund) und zweitens liege ein Verstoß gegen das Recht auf Akteneinsicht vor (achter Nichtigkeitsgrund).

Vorbringen der Parteien

216

Die Klägerin trägt erstens vor, die Kommission vertrete in der Entscheidung erstmals die Ansicht, dass der Übergang der Verantwortlichkeit nicht aus einer Rechtsnachfolgehaftung resultiere, sondern allein auf der Erklärung vom 23. Juli 1997 beruhe und, im Zusammenhang mit der Verjährung des Verstoßes, dass sie ein „Feststellungsinteresse“ habe, ohne dass sie hierauf in den Beschwerdepunkten oder in dem alten Verfahren jemals eingegangen wäre.

217

Ferner habe die Kommission ihr anstelle einer ordnungsgemäßen Mitteilung der Beschwerdepunkte lediglich ein „Mosaik“ diverser Dokumente, u. a. der alten Beschwerdepunkte von 1997 und verschiedener Aktenverzeichnisse, zugestellt und um einige fragmentarische Rechtsausführungen ergänzt. Dem habe sich nicht entnehmen lassen, welche der ursprünglich erhobenen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Kommission in dem vorliegenden Verfahren noch habe aufrechterhalten wollen und welche Fragen sie nunmehr anders bewerte, nachdem der Gerichtshof und das Gericht die alte Entscheidung einschließlich der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 in verschiedener Hinsicht bemängelt und aufgehoben hätten.

218

Die von der Kommission angewandte Verweisungstechnik und die außerordentliche Schwammigkeit der rechtlichen Würdigung an ihren zentralen Stellen seien formal nicht ausreichend gewesen, ein geordnetes kontradiktorisches Verfahren vorzubereiten, und hätten daher den Erlass der Entscheidung nicht in angemessener Weise vorbereiten können.

219

Zweitens habe die Kommission das Recht der Klägerin auf Akteneinsicht dadurch verletzt, dass sie die Klägerin im Rahmen der Akteneinsicht in den Räumen der Kommission am 24. April 2006 mit der Begründung, einige Aktenstücke enthielten Geschäftsgeheimnisse, nicht sämtliche potenziell verteidigungsrelevanten Unterlagen habe einsehen lassen.

220

Diese Verweigerung der Akteneinsicht sei bereits deshalb nicht begründet gewesen, weil sie Unterlagen betroffen habe, die durchgehend über zehn Jahre alt gewesen seien und daher eine eventuell ursprünglich bestehende Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis gemäß Randnr. 23 der Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, Artikel 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 (ABl. 2005, C 325, S. 7) (im Folgenden: Mitteilung von 2005) mittlerweile verloren hätten, und weil die Kommission bis heute nicht aufgeklärt habe, welche vermeintlichen Geschäftsgeheimnisse die Unterlagen enthielten. Die Kommission habe auch ganz allgemein verkannt, dass sie die Erwiderungen der anderen betroffenen Unternehmen auf die Beschwerdepunkte von 1997 im „Wiederaufnahmeverfahren“ selbstverständlich hätte zugänglich machen müssen.

221

Nach Ablauf der Frist zur Erwiderung auf die letzte Mitteilung der Beschwerdepunkte am 17. Mai 2006 habe die Kommission mit Schreiben vom Teile dieser zunächst geheim gehaltenen Unterlagen zur Akteneinsicht freigegeben. Hierdurch habe der bereits vorliegende Verstoß gegen die Verteidigungsrechte von TKS aber nicht mehr geheilt werden können, da nicht sämtliche potenziell verteidigungsrelevanten Unterlagen freigegeben worden seien und da TKS den Inhalt der nachgeschobenen Aktenstücke in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdepunkte nicht mehr habe verwerten können, so dass ihre Verteidigungsrechte auch insoweit verletzt worden seien. Wegen der gleichzeitig für die mündliche Anhörung gesetzten Frist sei es der Klägerin nicht möglich gewesen, ihren Standpunkt zu den am übermittelten Unterlagen vorzutragen.

222

Ferner könne das Argument der Kommission, die vorenthaltenen Unterlagen seien wegen des Nichtbestreitens des Sachverhalts seitens der Klägerin nicht verteidigungsrelevant, nicht verfangen, da eine Verletzung der Verteidigungsrechte nicht nur dann vorliegen könne, wenn ein sich verteidigendes Unternehmen Tatsachen bestreiten wolle. Aus solchen Unterlagen könnten sich entlastende Umstände ergeben, die für die Höhe eines Bußgeldes relevant seien oder die Verfolgbarkeit eines Verstoßes unter dem Gesichtspunkt der Verjährung beträfen. Soweit die Kommission schließlich vortrage, die Klägerin hätte nähere Einzelheiten aus den ihr vorenthaltenen Unterlagen darlegen müssen, um einen Antrag auf Einsicht in diese Unterlagen hinreichend substantiiert stellen zu können, so widerlege sich dieses Argument selbst, da die genannten Unterlagen der Klägerin nicht bekannt sein könnten.

223

Nach Ansicht der Kommission ist im vorliegenden Fall keine Verletzung von Verteidigungsrechten gegeben.

Würdigung durch das Gericht

224

Einleitend ist daran zu erinnern, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte einerseits und die Akteneinsicht andererseits es den von einer Untersuchung betroffenen Unternehmen ermöglichen, von den Beweismitteln, über die die Kommission verfügt, Kenntnis zu nehmen und ihre Verteidigungsrechte wirksam auszuüben (Urteil des Gerichtshofs vom 10. Mai 2007, SGL Carbon/Kommission, C-328/05 P, Slg. 2007, I-3921, Randnr. 55).

Zum Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. April 2006

225

Nach der Rechtsprechung müssen die Beschwerdepunkte in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, dass die Betroffenen tatsächlich erkennen können, welches Verhalten ihnen die Kommission zur Last legt (Urteil Mo Och Domsjö/Kommission, oben in Randnr. 156 angeführt, Randnr. 63). In einem Verfahren, das zu Sanktionen wie der hier in Rede stehenden führen kann, erfordert es die Wahrung der Verteidigungsrechte nämlich, den betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits im Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen, Rügen und Umstände in sachdienlicher Weise Stellung zu nehmen (Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, T-25/95, T-26/95, T-30/95 bis T-32/95, T-34/95 bis T-39/95, T-42/95 bis T-46/95, T-48/95, T-50/95 bis T-65/95, T-68/95 bis T-71/95, T-87/95, T-88/95, T-103/95 und T-104/95, Slg. 2000, II-491, Randnr. 553). Dieser Voraussetzung ist Genüge getan, wenn die Entscheidung den Betroffenen keine anderen Zuwiderhandlungen zur Last legt als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten und nur Tatsachen berücksichtigt, zu denen die Betroffenen sich äußern konnten (Urteil des Gerichtshofs vom , ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661, Randnr. 94). Daher darf die Kommission nur Beschwerdepunkte berücksichtigen, zu denen die Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung hatten (Urteil des Gerichts vom , CB und Europay/Kommission, T-39/92 und T-40/92, Slg. 1994, II-49, Randnr. 47).

226

Die Klägerin meint, die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. April 2006 genüge den oben genannten Voraussetzungen in zweifacher Hinsicht nicht.

227

Erstens macht sie geltend, die Kommission habe ihr anstelle einer ordnungsgemäßen Mitteilung der Beschwerdepunkte lediglich ein „Mosaik diverser Dokumente“, u. a. der alten Beschwerdepunkte von 1997 und verschiedener Aktenverzeichnisse, zugestellt und um einige fragmentarische Rechtsausführungen ergänzt. „Dem … ließ sich nicht entnehmen, welche der ursprünglich erhobenen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Kommission in dem vorliegenden Verfahren noch aufrechterhalten wollte und welche Fragen sie nunmehr anders bewertete, nachdem der Gerichtshof und das Gericht die alte Entscheidung einschließlich der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 in verschiedener Hinsicht bemängelt und aufgehoben hatten.“

228

Die Kommission übersandte der Klägerin am 5. April 2006 unstreitig eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, der die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom und deren Anhänge sowie eine vollständige Liste der Aktenstücke des alten Verfahrens und des „Wiederaufnahmeverfahrens“ beigefügt waren. Dies kann nicht als „Mosaik diverser Dokumente“ bezeichnet werden.

229

Abgesehen davon, dass die Klägerin keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts aufzeigt, nach der die oben beschriebene Vorgehensweise der Kommission verboten wäre, erklärt diese sich durch die besonderen Umstände des vorliegenden Falles.

230

Nachdem das Gericht auf das Vorliegen eines zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin führenden Verfahrensfehlers hingewiesen hatte, erklärte es Art. 1 der Entscheidung 98/247 im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission für nichtig, soweit TKS die Verantwortung für den von Thyssen begangenen Verstoß gegen Art. 65 KS auferlegt wurde. Infolgedessen setzte es die Geldbuße gegen TKS um den Betrag herab, der aufgrund der von Thyssen begangenen Zuwiderhandlung gegen TKS verhängt worden war, und setzte die Geldbuße, die gegen TKS wegen ihres eigenen wettbewerbwidrigen Verhaltens letztlich verhängt wurde, auf 4032000 Euro fest.

231

Mit dem oben in Randnr. 24 angeführten und durch das oben in Randnr. 27 angeführte Urteil ThyssenKrupp/Kommission bestätigten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission wurde die Kommission nur gemäß Art. 233 EG verpflichtet, die tatsächlich festgestellte Rechtswidrigkeit in dem Akt zu beseitigen, der an die Stelle des für nichtig erklärten Aktes treten sollte (vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 48).

232

Gemäß der Rechtsprechung, nach der das Verfahren zur Ersetzung des für nichtig erklärten Aktes grundsätzlich genau an dem Punkt wieder aufgenommen werden muss, an dem die Rechtswidrigkeit eingetreten ist (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 73), versetzte sich die Kommission in den Zeitpunkt, in dem TKS die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten von Thyssen übernommen hat, nämlich den 23. Juli 1997, zurück und nahm das Verfahren ab diesem Zeitpunkt wieder auf.

233

Im Rahmen der Umsetzung des oben in Randnr. 24 angeführten und durch das oben in Randnr. 27 angeführte Urteil ThyssenKrupp/Kommission bestätigten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission übersandte die Kommission der Klägerin am 5. April 2006 eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte zwecks Stellungnahme zum wettbewerbswidrigen Verhalten von Thyssen. Da die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte dieses Verhaltens dieselben waren wie im ursprünglichen Verfahren, konnte die Kommission die „alten Beschwerdepunkte“ von 1997 als integralen Bestandteil in die neue Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 aufnehmen.

234

Die Kommission führte in Randnr. 16 der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 aus:

„Die schon einmal an [Thyssen] geschickten Beschwerdepunkte von 1997, inklusive der Anlagen (I-V), werden als Anhang 1 dieser Beschwerdepunkte im gescannten Original wiedergegeben und sind integraler Bestandteil dieser neuen Beschwerdepunkte.“

235

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Beachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör verlangt, dass das betroffene Unternehmen die Möglichkeit erhalten hat, in zweckdienlicher Weise seinen Standpunkt zu denjenigen Dokumenten geltend zu machen, die die Kommission bei den Überlegungen berücksichtigt hat, die ihre Entscheidung tragen (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Januar 1984, VBVB und VBBB/Kommission, 43/82 und 63/82, Slg. 1984, 19, Randnr. 25). Folglich können grundsätzlich nur Dokumente, die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte zitiert oder erwähnt worden sind, dem Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte als Beweismittel entgegengehalten werden (Urteile des Gerichts vom , Shell/Kommission, T-11/89, Slg. 1992, II-757, Randnr. 55, und ICI/Kommission, T-13/89, Slg. 1992, II-1021, Randnr. 34).

236

In der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 führte die Kommission rechtliche Erwägungen an, die sich ausdrücklich auf die Anwendbarkeit des Art. 65 KS trotz dessen Auslaufens und auf den Grundsatz der lex mitior bezogen, und stellte in Randnr. 15 Folgendes fest:

„1.   Die Beschwerdepunkte sind einzig und allein an TKS für das Verhalten von [Thyssen] adressiert. 2. Alle Angaben (z. B. die Anzahl der Mitgliedstaaten der EG) sind im historischen Kontext zu lesen. 3. Punkt 64 zur Anwendbarkeit von Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag ist in Verbindung mit Randnummer 26 ff. dieser Beschwerdepunkte zu lesen. 4. Das Datum der Beschwerdepunkte sowie das damalige Mitglied der Kommission, welches für die Kommission entschieden hat, werden mit den vorliegenden Beschwerdepunkten jeweils ersetzt.“

237

Unter diesen Umständen kann nicht – wie die Klägerin es tut, ohne ihr Vorbringen zu belegen – behauptet werden, die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 lasse nicht erkennen, welche der ursprünglich erhobenen rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen die Kommission nach den Urteilen Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, oben in Randnr. 24 angeführt, und ThyssenKrupp/Kommission, oben in Randnr. 27 angeführt, noch habe aufrechterhalten wollen. Im Übrigen nahm die Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte Stellung, ohne den darin ausgeführten Tatsachen und deren rechtlicher Einordnung zu widersprechen.

238

Ferner hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 nicht erkennen lasse, welche Feststellungen des Gerichtshofs die Kommission habe anerkennen wollen, und dass die Kommission, da sie behaupte, nicht sämtliche Feststellungen des Gerichtshofs seien für sie bindend, erst recht eine verständliche und einheitliche Mitteilung der Beschwerdepunkte hätte erlassen müssen. Abgesehen davon, dass auch diese Rüge unbestimmt ist, beruht sie implizit, aber notwendigerweise auf der unzutreffenden Ansicht der Klägerin, der Gerichtshof habe im oben in Randnr. 27 angeführten Urteil ThyssenKrupp/Kommission entschieden, dass TKS für das Verhalten von Thyssen materiell-rechtlich nicht verantwortlich sein könne. Wie bereits ausgeführt, rührt diese Behauptung von einer fehlerhaften Auslegung des genannten Urteils, insbesondere seiner Randnr. 88, her.

239

Die Kommission hat in keiner Weise behauptet, nicht an sämtliche Feststellungen des Gerichtshofs gebunden zu sein. In Umsetzung der Entscheidungen des Gemeinschaftsrichters übersandte sie der Klägerin eine neue Mitteilung der Beschwerdepunkte, um von dieser eine Stellungnahme zum Verhalten von Thyssen einzuholen. In dieser Mitteilung der Beschwerdepunkte brachte sie klar zum Ausdruck, dass sie der Ansicht war, die Klägerin habe mit der Erklärung vom 23. Juli 1997 die Verantwortung für das Verhalten von Thyssen übernommen.

240

Zweitens macht die Klägerin geltend, die Kommission habe in der Entscheidung „überraschend“ neue rechtliche Argumente eingeführt. So habe sie in der Entscheidung erstmals die Ansicht vertreten, dass der Übergang der Verantwortlichkeit nicht aus einer Rechtsnachfolgehaftung resultiere, sondern allein auf der Erklärung vom 23. Juli 1997 beruhe und, im Zusammenhang mit der Verjährung des Verstoßes, dass sie ein „Feststellungsinteresse“ habe, ohne dass sie hierauf in den Beschwerdepunkten von 2006 oder in dem alten Verfahren jemals eingegangen wäre.

241

Zur Bezugnahme auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 als Grundlage dafür, TKS die Verantwortung für das Verhalten von Thyssen aufzuerlegen, ist anzumerken, dass bereits in der Entscheidung 98/247 auf diese Haftungsübernahmeerklärung verwiesen wurde, worauf das Gericht in den Randnrn. 59 bis 62 des oben in Randnr. 24 angeführten Urteils Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission hingewiesen hat, und dass der Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006, insbesondere ihrer Randnrn. 5, 7, 11 und 33, keinen Raum für Zweifel über diese Frage lässt.

242

Was den Hinweis in der Entscheidung auf ein „Feststellungsinteresse“ der Kommission betrifft, gehört er mit zur Antwort der Kommission auf das in der Erwiderung der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltene Vorbringen, die zu erlassende Entscheidung sei wegen Verstoßes gegen Verjährungsregeln rechtswidrig.

243

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Entscheidung nicht notwendig ein genaues Abbild der Mitteilung der Beschwerdepunkte zu sein braucht (Urteil des Gerichtshofs vom 29. Oktober 1980, Van Landewyck u. a./Kommission, 209/78 bis 215/78 und 218/78, Slg. 1980, 3125, Randnr. 68). Die Kommission muss nämlich in ihrer Entscheidung die Stellungnahmen der betroffenen Unternehmen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte berücksichtigen können. Hierzu muss sie nicht nur die Argumente der betroffenen Unternehmen anerkennen oder verwerfen können, sondern auch eine eigene Beurteilung der von ihnen geltend gemachten Tatsachen vornehmen können, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich als nicht ausreichend begründet erwiesen haben, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen (Urteil des Gerichtshofs ACF Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr. 225 angeführt, Randnr. 92; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom , Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 437 und 438). So ist eine Verletzung von Verteidigungsrechten nur dann festzustellen, wenn die Entscheidung den betroffenen Unternehmen andere Zuwiderhandlungen zur Last legt oder andere Tatsachen berücksichtigt als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte genannten (Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr. 225 angeführt, Randnr. 94; vgl. in diesem Sinne auch Urteil CB und Europay/Kommission, oben in Randnr. 225 angeführt, Randnrn. 49 bis 52). Dies ist nicht der Fall, wenn die behaupteten Abweichungen zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der endgültigen Entscheidung wie hier keine anderen Verhaltensweisen betreffen als diejenigen, zu denen sich die betroffenen Unternehmen bereits geäußert hatten und die daher nichts mit einem neuen Beschwerdepunkt zu tun haben (vgl. in diesem Sinne Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben angeführt in Randnr. 113, Randnr. 103).

244

In Randnr. 63 der Erwiderung macht die Klägerin schließlich geltend, dass „[s]elbst die Frage der Ermächtigungsgrundlage … in den [Beschwerdepunkten] und in der erlassenen Entscheidung offen gelassen bzw. in wechselnder und uneinheitlicher Weise behandelt worden [ist]“. Diese Behauptung ist nicht nur in sich widersprüchlich, sondern ihr widersprechen auch der Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 (vgl. Randnrn. 19 ff.) und die eigenen Erklärungen der Klägerin an anderer Stelle der Erwiderung (Randnr. 27), wonach die Kommission „in den Beschwerdepunkten ([Randnr.] 19 f.) ausdrücklich erklärt hat, allein Art. 65 KS und nicht der EG-Vertrag sei die materielle Rechtsgrundlage, und in verfahrensrechtlicher Hinsicht gelte nur die [Verordnung Nr.] 1/2003“.

245

Daher ist der erste Teil des die Verletzung von Verteidigungsrechten betreffenden Klagegrundes zurückzuweisen, mit dem geltend gemacht wird, die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. April 2006 sei nicht ordnungsgemäß gewesen.

Zum Recht auf Akteneinsicht

— Zur Zulässigkeit

246

Gemäß Art. 27 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 haben die Parteien „Recht auf Einsicht in die Akten der Kommission, vorbehaltlich des berechtigten Interesses von Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse“.

247

Der Gemeinschaftsrichter hat ausgeführt, dass die Akteneinsicht es den Adressaten einer Mitteilung der Beschwerdepunkte ermöglichen soll, von den in den Akten der Kommission enthaltenen Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage zu den Schlussfolgerungen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist, Stellung nehmen können. Die Kommission ist folglich verpflichtet, den Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat, jedoch mit Ausnahme der vertraulichen Schriftstücke (Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, oben in Randnr. 24 angeführt, Randnrn. 45 und 46).

248

Somit soll durch das Recht auf die Einsicht in die Akten der Kommission die wirksame Inanspruchnahme der Verteidigungsrechte gewährleistet werden (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Hercules Chemicals/Kommission, C-51/92 P, Slg. 1999, I-4235, Randnr. 76), die zu den tragenden Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehören und auch in Art. 6 EMRK verankert sind (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij Urteil. a./Kommission, oben in Randnr. 113 angeführt, Randnr. 316).

249

Eine völlige oder teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung, mit der wegen Wettbewerbsverstößen Geldbußen gegen Unternehmen verhängt wurden, kann auf der Grundlage einer nicht ordnungsgemäßen Akteneinsicht nur vorgenommen werden, wenn festgestellt wird, dass die betroffenen Unternehmen dadurch, dass ihnen nicht ordnungsgemäß Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt wurde, daran gehindert waren, Unterlagen, die für ihre Verteidigung hätten nützlich sein können, zur Kenntnis zu nehmen, und auf diese Weise in ihren Verteidigungsrechten verletzt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 179 angeführt, Randnr. 101).

250

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin bereits in der Klageschrift vorgetragen, die Kommission habe ihr Recht auf Akteneinsicht dadurch verletzt, dass sie sie nicht sämtliche potenziell verteidigungsrelevanten Unterlagen habe einsehen lassen und es insbesondere abgelehnt habe, ihr die Erwiderungen der anderen am Kartell beteiligten Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 (im Folgenden: Alterwiderungen), die potenziell für sie verteidigungsrelevant gewesen seien, zu übermitteln.

251

Entgegen dem Vorbringen der Kommission hat die Klägerin damit den Anforderungen des Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung genügt, wonach in der Klageschrift darzulegen ist, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloß abstrakte Nennung den Erfordernissen der Verfahrensordnung nicht entspricht (Urteile Viho/Kommission, oben in Randnr. 156 angeführt, Randnr. 68, und Mo och Domsjö/Kommission, oben in Randnr. 156 angeführt, Randnr. 333).

252

Die Angaben in der Klageschrift waren ausreichend klar und bestimmt, da sie die Kommission nicht daran gehindert haben, bereits im Stadium der Klagebeantwortung auf die vorgetragenen Argumente zu erwidern, und da sie es dem Gericht erlauben, seine rechtliche Kontrolle auszuüben.

253

Die Rüge ist daher für zulässig zu erklären und auf ihre Begründetheit zu prüfen.

— Zur Begründetheit

254

Die Kommission übermittelte der Klägerin unstreitig zwischen der Einsichtnahme in die Akten durch die Klägerin in den Räumen der Kommission am 24. April 2006 und dem Erlass der Entscheidung nach und nach verschiedene Dokumente, die von Unternehmen stammten, die an dem Kartell beteiligt waren und gegen die in der Entscheidung 98/247 eine Sanktion verhängt worden war.

255

In der Sitzung haben sich die Parteien darüber geeinigt, dass die Klägerin Abschriften sämtlicher Erwiderungen der am Kartell beteiligten Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 24. April 1997 erhalten hat, mit Ausnahme der in den Randnrn. 9 und 10 der Beantwortung der an die Kommission gerichteten Frage genannten Unterlagen, die der Klägerin in ihrer nicht vertraulichen Fassung zugeleitet worden sind (Anlage S 2, die den Seiten 2260 bis 2262, 3108 bis 3318, 5824 bis 5836 und 5838 bis 5842 der Akte der Kommission zum ersten Verwaltungsverfahren, im Folgenden: Altakte, entspricht).

256

Erstens trägt die Kommission vor, sie habe der Klägerin in Übereinstimmung mit der Mitteilung von 2005 Einsicht in alle von ihrem Antrag betroffenen Aktenstücke gewährt, soweit dem nicht mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen der betroffenen Unternehmen zusammenhängende Vertraulichkeitserwägungen entgegengestanden hätten.

257

In der Mitteilung von 2005 wird festgestellt, dass die Akte der Kommission Dokumente enthalten kann, in die Einsicht gewährt werden kann, und solche, in die keine Einsicht gewährt werden kann. Unter die letztgenannten fallen u. a. Dokumente, die zwei Kategorien von Informationen enthalten, nämlich Geschäftsgeheimnisse und sonstige vertrauliche Informationen, die ganz oder teilweise vom Akteneinsichtsrecht ausgenommen werden können und die in den Randnrn. 18 und 19 dieser Mitteilung definiert sind. Randnr. 18 lautet:

„Könnte die Preisgabe einer Information über die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens Letzteres schwer beeinträchtigen, ist diese Information als Geschäftsgeheimnis zu betrachten. Beispiele für Informationen, die als Geschäftsgeheimnisse einzustufen sein können, sind etwa technische und/oder finanzielle Angaben in Bezug auf das Know-how eines Unternehmens, Kostenrechnungsmethoden, Produktionsgeheimnisse und -verfahren, Bezugsquellen, produzierte und verkaufte Mengen, Marktanteile, Kunden- und Händlerlisten, Vermarktungspläne, Kosten- und Preisstruktur oder Absatzstrategie.“

258

Die Klägerin meint, die Verweigerung der Akteneinsicht sei bereits deshalb nicht begründet gewesen, weil sie Unterlagen betroffen habe, die durchgehend über zehn Jahre alt gewesen seien und daher eine eventuell ursprünglich bestehende Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis gemäß Randnr. 23 der Mitteilung von 2005 mittlerweile verloren hätten, und weil die Kommission bis heute nicht aufgeklärt habe, welche vermeintlichen Geschäftsgeheimnisse die Unterlagen enthielten.

259

Die genannte Randnr. 23 sieht Folgendes vor:

„Informationen über ein Unternehmen, die bereits außerhalb des Unternehmens (oder im Falle einer Unternehmensgruppe außerhalb der Gruppe) oder außerhalb des Verbandes, an den sie von diesem Unternehmen übermittelt wurden, bekannt sind, können normalerweise nicht als vertraulich eingestuft werden. Informationen, die ihren geschäftlichen Wert verloren haben, beispielsweise weil sie veraltet sind, können nicht länger als vertraulich betrachtet werden. Generell geht die Kommission davon aus, dass Informationen über Umsatz, Absatz, Marktanteile der Betroffenen und ähnliche Angaben, die älter als 5 Jahre sind, nicht länger vertraulich behandelt werden müssen.“

260

Angesichts des Anhangs S 2 der Beantwortung der an die Kommission gerichteten Frage ist zu bemerken, dass die Informationen, in die in der nicht vertraulichen Fassung, die der Klägerin übermittelt wurde, keine Einsicht gewährt wurde, nicht von vorneherein in die Kategorie fallen, die im letzten Satz der Randnr. 23 der Mitteilung von 2005 definiert ist, da die Formulierungen „generell“ und „geht davon aus“ in diesem Satz jeglichen Automatismus bei der Einordnung eines über fünf Jahre alten Dokuments ausschließen.

261

Wie die Kommission vorträgt, ohne dass die Klägerin ihr darin widerspräche, wurden nur einige bezifferte Angaben zur Geschäftspolitik von Usinor-Sacilor, etwa zu Preisen und Kosten sowie Gewinnmargen, oder die Quelle bestimmter bezifferter Angaben auf den S. 3108 bis 3318 der Altakte geschwärzt. Die Klägerin hat im Übrigen nicht bestritten, dass die Akte, in die ihr am 24. April 2006 in den Räumen der Kommission Einsicht gewährt wurde, bereits die S. 5914 bis 5922 enthielt, auf denen die Erwiderung dieses Unternehmens auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 wiedergegeben war. Diese Seiten wurden der Klägerin am nochmals übermittelt (vgl. Anlage KB 8 der Klagebeantwortung, bei der es sich um das Schreiben handelt, das die Kommission am an die Klägerin sandte).

262

Auf den S. 2260 bis 2262 der Altakte, die diverse von der ALZ NV ausgestellte Rechnungen betreffen, wurden lediglich die Angaben geschwärzt, aus denen die Identität des Kunden hervorgeht. Was schließlich die S. 5824 bis 5836 und 5838 bis 5842 der Altakte betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die S. 5838 bis 5842 lediglich in der Wiedergabe einiger Passagen der S. 5824 bis 5836 bestehen. Auf letzteren wurden über die Identität einiger Kunden und das Datum des entsprechenden Schreibens hinaus nur die Angaben geschwärzt, aus denen ein von Avesta Sheffield (nunmehr Outokumpu) noch im Jahr 2006 angewandtes Tarifsystem und Ausnahmen für bestimmte Kunden zu entnehmen sind (vgl. Anlage KB 8 der Klagebeantwortung, bei der es sich um das Schreiben handelt, das die Kommission der Klägerin am 8. August 2006 sandte).

263

Um der Kommission zu ermöglichen, das Erfordernis des Schutzes der Verteidigungsrechte der Betroffenen durch eine möglichst weit reichende Akteneinsicht einerseits und das Interesse am Schutz vertraulicher Informationen anderer Beteiligter oder Dritter andererseits miteinander in Einklang zu bringen, müssen diese Betroffenen und Dritten der Kommission alle relevanten Umstände darlegen.

264

Hierzu heißt es in Randnr. 47 der Mitteilung von 2005:

„Hält ein Betroffener nach erfolgter Akteneinsicht den Einblick in bestimmte nicht einsehbare Informationen für seine Verteidigung für erforderlich, kann er die Kommission in einem mit Gründen versehenen Antrag darauf hinweisen. Sind die Dienststellen der Generaldirektion Wettbewerb nicht in der Lage, dem Antrag stattzugeben und stimmt der Betroffene ihrer Auffassung nicht zu, wird die Angelegenheit durch den Anhörungsbeauftragten gemäß dem Mandat von Anhörungsbeauftragten behandelt.“

265

Unstreitig forderte die Kommission die Klägerin, nachdem diese in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht hatte, ihre Verteidigungsrechte seien dadurch verletzt worden, dass ihr nicht sämtliche Alterwiderungen zugänglich gemacht worden seien, mit Schreiben vom 20. Juni 2006 auf, gemäß Randnr. 47 der Mitteilung von 2005 einen mit Gründen versehenen Antrag zu stellen, „der darlegt, warum die nicht einsehbaren Informationen in diesem Fall für ihre Verteidigung erforderlich sind“.

266

In ihrer Antwort vom 29. Juni 2006 teilte die Klägerin über ihren Berater mit, dass „ein neuer oder weiterer Antrag auf Akteneinsicht oder eine Begründung dazu, warum bestimmte, … bisher vorenthaltene Unterlagen zugänglich zu machen sind bzw. verteidigungsdienlich sein können, nicht erforderlich“ sei. Diese Informationen könnten bereits aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr als vertraulich angesehen werden; ihre Verteidigungsrelevanz folge daraus, dass „sich die im ursprünglichen Verfahren betroffenen Unternehmen mit diesen Eingaben gegen die jetzt [ihr] gegenüber wiederholten Vorwürfe in der Sache verteidigt haben.“ Die Klägerin behielt diesen Standpunkt in ihren Schreiben vom 5. und vom 7. Juli sowie vom bei.

267

Diese allgemeine und nicht für jedes einzelne Dokument näher ausgeführte Antwort stellt keinen mit einer Begründung versehenen Antrag dar und beantwortet nicht die Frage der Kommission, inwiefern die nicht einsehbaren Informationen für die Verteidigung der Klägerin im spezifischen Rahmen eines Verwaltungsverfahrens erheblich sein sollen, in dem sich die Klägerin als einziges Unternehmen, gegen das sich dieses Verfahren richtete, zu den wettbewerbswidrigen Handlungen von Thyssen äußern sollte.

268

Auf die Frage des Gerichts in der Sitzung, ob ein mit einer Begründung versehener Antrag nach der Einsichtnahme in die Akte gestellt wurde, hat die Klägerin auf ihr bereits oben erwähntes Schreiben vom 5. Juli 2006 und auf ein an die Anhörungsbeauftragte gerichtetes Schreiben vom verwiesen, das in der Verhandlung nicht vorgelegt worden ist und dessen mündliche Rekonstruktion den Schluss auf das Vorliegen eines mit einer Begründung versehenen Antrags im Sinne der Randnr. 47 der Mitteilung von 2005 nicht zulässt.

269

Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass der Klägerin in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung gemäß Randnr. 17 der Mitteilung von 2005 Einsicht in eine nichtvertrauliche Fassung der betreffenden Dokumente gewährt worden ist. Sie behauptet nicht und weist erst recht nicht nach, dass diese Fassung der betreffenden Dokumente in einer Weise vorgelegt worden wäre, die sie nicht in die Lage versetzt hätte, zu erkennen, ob die entfernten Angaben für ihre Verteidigung von Bedeutung waren und es ausreichende Gründe gab, bei der Kommission Zugang zu diesen Angaben zu beantragen (vgl. Randnr. 38 der Mitteilung von 2005). Darüber hinaus ergibt sich aus dem Schreiben der Kommission an die Klägerin vom 8. August 2006, in dem sie ihren Standpunkt zur Vertraulichkeit der fraglichen Dokumente im Hinblick auf das Wesen der darin enthaltenen Informationen darlegt, dass die Klägerin zwei Schreiben der Gesellschaft Arcelor vom 30. Juni und erhalten hat, in denen die Gründe mitgeteilt werden, aus denen die S. 2260 bis 2262 und 3108 bis 3318 der Altakte vertraulich bleiben müssen.

270

Unter diesen Umständen kann es nicht als unbegründet angesehen werden, dass die Kommission es aus Gründen der Vertraulichkeit abgelehnt hat, der Klägerin Einsicht in sämtliche der in Rede stehenden Dokumente zu gewähren.

271

Zweitens macht die Kommission geltend, ein Verstoß gegen die Verteidigungsrechte der Klägerin komme jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil diese kein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht habe. Denn sie habe die ihr in den Beschwerdepunkten vorgehaltenen Tatsachen und deren rechtliche Würdigung anerkannt, und die nicht zugänglich gemachten Teile der Alterwiderungen enthielten weder be- noch entlastende Beweismittel.

272

Die Klägerin erwidert hierauf, dass „eine Verletzung der Verteidigungsrechte … nicht nur dann vorliegen [kann], wenn ein sich verteidigendes Unternehmen Tatsachen bestreiten will, sondern auch dann, wenn sich entlastende Umstände, die für die Höhe eines Bußgeldes relevant sind, oder die die Verfolgbarkeit eines Verstoßes aus dem Gesichtspunkt der Verjährung betreffen, aus solchen Unterlagen ergeben können bzw. substantiieren lassen“.

273

Es ist festzustellen, dass die Klägerin sich auf eine allgemeine Erklärung zur Tragweite des Begriffs der Verletzung von Verteidigungsrechten beschränkt, mit der sie zu verstehen gibt, dass die zum Teil zugänglich gemachten Dokumente für ihre Verteidigung potenziell nützlich sein könnten, da sie entlastende Beweismittel enthielten. Sie legt nicht dar und weist erst recht nicht nach, dass die Kommission ihr diese in der Entscheidung gegen sie verwendeten Dokumente im Zuge des Verwaltungsverfahrens nicht übermittelt hätte.

274

Wurde ein entlastendes Schriftstück nicht übermittelt, so muss das betroffene Unternehmen nur nachweisen, dass das Unterbleiben seiner Offenlegung den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte. Es genügt, dass das Unternehmen dartut, dass es die fraglichen entlastenden Schriftstücke zu seiner Verteidigung hätte einsetzen können, und zwar in dem Sinne, dass es, wenn es sich im Verwaltungsverfahren auf diese Schriftstücke hätte berufen können, Gesichtspunkte hätte geltend machen können, die nicht mit den in diesem Stadium von der Kommission gezogenen Schlüssen übereinstimmten und daher, in welcher Weise auch immer, die von der Kommission in ihrer Entscheidung vorgenommenen Beurteilungen zumindest in Bezug auf Schwere und Dauer des ihm zur Last gelegten Verhaltens und damit die Höhe der Geldbuße hätten beeinflussen können. Die Möglichkeit, dass ein nicht übermitteltes Schriftstück Einfluss auf den Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung der Kommission hätte haben können, kann dabei nur nach einer vorläufigen Prüfung bestimmter Beweismittel nachgewiesen werden, die zeigt, dass die nicht übermittelten Schriftstücke eine Bedeutung – für diese Beweismittel – hätten haben können, die nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen (Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 179 angeführt, Randnrn. 74 bis 76).

275

Die Klägerin trägt im vorliegenden Fall jedoch nichts konkret und präzise zu einer Verletzung ihrer Verteidigungsrechte vor, die mit den Dokumenten, in die ihr die Einsicht teilweise verweigert wurde, und der Höhe der Geldbuße oder der Frage der Verjährung in Zusammenhang stünde.

276

Dieses allgemeine Vorbringen ist nicht dazu geeignet, eine tatsächliche Verletzung der Verteidigungsrechte darzutun, die anhand der besonderen Umstände des jeweiligen Falles zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T-38/02, Slg. 2005, II-4407, Randnr. 69).

277

Darüber hinaus zeigt sich, dass die Möglichkeit, dass die von der Kommission nicht in vollem Umfang offengelegten Unterlagen Einfluss auf den Verlauf des Verfahrens und den Inhalt der Entscheidung hätten haben können, rein hypothetisch ist.

278

Um TKS in der Entscheidung die Verantwortung für die von Thyssen begangene Zuwiderhandlung aufzuerlegen und daher eine Geldbuße in Höhe von 3168000 Euro gegen sie zu verhängen, hat sich die Kommission in wirksamer Weise auf die Erklärung vom 23. Juli 1997 gestützt. Wie bereits ausgeführt, hat die Kommission damit nicht gegen Verjährungsregeln verstoßen, und die nicht zugänglich gemachten Informationen, die in bezifferten Angaben und der Bezeichnung von Unternehmen bestehen, erweisen sich hinsichtlich einer rechtlichen Frage, die allein die Situation der Klägerin betrifft, als völlig irrelevant.

279

Was die Höhe der Geldbuße und die damit in Verhältnis stehende Beurteilung von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung durch die Kommission betrifft, hat die Kommission entschieden, dass Vereinbarungen oder abgestimmte Praktiken, die eine einheitliche Erhöhung eines Preiselements zum Gegenstand hätten, einen schweren Verstoß darstellten und dass diese illegale Absprache mit der Madrider Zusammenkunft am 16. Dezember 1993 begonnen und am geendet habe, der Verstoß also über ein Jahr gedauert habe (171. und 173. Erwägungsgrund der Entscheidung).

280

Die Kommission stützte dieses Ergebnis u. a. auf die Erklärungen der am Kartell beteiligten Unternehmen, die im Zuge der im Rahmen des ersten Verwaltungsverfahrens betriebenen Ermittlungen erlangt worden waren, und auf die Erklärungen der Klägerin, die die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 dargestellten Tatsachen anerkannt hatte. Im Übrigen widersprach die Klägerin in ihrer vom 17. Mai 2006 datierenden Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom den darin dargestellten Tatsachen erneut nicht. Unter diesen Umständen kann nicht mit Erfolg vorgetragen werden, dass die nicht in vollem Umfang zugänglich gemachten Dokumente im Sinne der oben in Randnr. 274 genannten Rechtsprechung eine Bedeutung für die Beurteilung von Schwere und Dauer der betreffenden Zuwiderhandlung durch die Kommission hätten haben können, die nicht hätte unberücksichtigt bleiben dürfen.

281

Ferner erfüllt die Kommission nach ständiger Rechtsprechung ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte anführt, wie etwa Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie die Frage, ob diese vorsätzlich oder fahrlässig begangen worden ist. Damit macht sie gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, LR AF 1998/Kommission, T-23/99, Slg. 2002, II-1705, Randnr. 199; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom , Musique diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 21).

282

Folglich sind bei der Bemessung der Geldbußen die Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und Wettbewerbswidrigkeit des ihnen zur Last gelegten Sachverhalts äußern können. Außerdem verfügen die Unternehmen bezüglich der Bemessung der Geldbußen über eine zusätzliche Garantie, weil das Gericht mit Befugnis zu uneingeschränkter Nachprüfung entscheidet und u. a. die Geldbuße gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 17 aufheben oder herabsetzen kann (Urteile des Gerichts vom 6. Oktober 1994, Tetra Pak/Kommission, T-83/91, Slg. 1994, II-755, Randnr. 235, und LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 281 angeführt, Randnr. 200).

283

Die Kommission hat unbestreitbar die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 angeführt.

284

Daraus folgt, dass der zweite Teil des die Verletzung der Verteidigungsrechte betreffenden Klagegrundes, mit dem eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht geltend gemacht wird, zurückzuweisen ist.

285

Schließlich trägt die Klägerin vor, dass die Kommission Teile dieser zunächst geheim gehaltenen Unterlagen mit Schreiben vom 8. August 2006 zur Akteneinsicht freigegeben habe, dass die Klägerin den Inhalt der nachgeschobenen Aktenstücke in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdepunkte aber nicht mehr habe verwerten können, so dass ihre Verteidigungsrechte auch insoweit verletzt worden seien.

286

Es ist daran zu erinnern, dass die Kommission nach Art. 27 der Verordnung Nr. 1/2003 den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das Verfahren richtet, „[v]or einer Entscheidung gemäß den Artikeln 7, 8, 23 oder 24 Absatz 2“ Gelegenheit geben muss, sich zu den Beschwerdepunkten zu äußern, die sie in Betracht gezogen hat.

287

Um die Verteidigungsrechte der Unternehmen zu wahren, hat die Kommission den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren, bevor sie eine der oben genannten Entscheidungen trifft. Dies hat sie gegenüber der Klägerin im Rahmen des Verfahrens, das zum Erlass der Entscheidung führte, getan.

288

Unstreitig konnte die Klägerin, nachdem ihr die Mitteilung der Beschwerdepunkte am 5. April 2006 übermittelt worden war und sie die Akte der Kommission in deren Räumen eingesehen hatte, ihren Standpunkt in ihrer vom datierenden Erwiderung auf diese Mitteilung geltend machen.

289

Um dem Antrag der Klägerin auf Übermittlung sämtlicher Erwiderungen der am Kartell beteiligten Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 nachzukommen, übersandte die Kommission ihr zwar mehrmals Dokumente, nachdem sie deren Vertraulichkeit zuvor im Hinblick auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen geprüft hatte, änderte jedoch die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. April 2006 angeführten Beschwerdepunkte in keiner Weise ab. Die Klägerin hat nicht vorgetragen und erst recht nicht nachgewiesen, dass ihr in der Entscheidung eine andere als die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezeichnete Zuwiderhandlung zur Last gelegt worden wäre oder dass darin von Tatsachen ausgegangen worden wäre, zu denen sie keine Gelegenheit hatte, sich zu äußern.

290

Überdies bestreitet die Klägerin nicht, dass ihr anlässlich der Übermittlung der neuen Unterlagen am 8. August 2006 die Möglichkeit eingeräumt wurde, ihren Standpunkt schriftlich innerhalb einer Frist von einem Monat darzulegen, um gegebenenfalls ihre Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ergänzen, was sie aber nicht getan hat.

291

Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 23. August 2006, es sei ihr „nicht mehr rechtzeitig möglich, die ergänzenden Unterlagen angemessen zu prüfen und zu ihnen angemessen Stellung zu nehmen“, und zwar angesichts der erforderlichen Vorbereitung auf die bereits auf den angesetzte mündliche Anhörung.

292

Diese Behauptung wird in den Schriftsätzen der Klägerin aufgegriffen, ist jedoch angesichts der Umstände des vorliegenden Falles in keiner Weise gerechtfertigt. Es ist daran zu erinnern, dass die Übermittlung der Beschwerdepunkte bereits am 5. April 2006 erfolgte und dass sie sich auf Tatsachen stützt, die in der vorherigen Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 ausgeführt waren. Die Behauptung der Klägerin, es sei ihr nicht möglich gewesen, in den letzten fünf Wochen vor der mündlichen Anhörung (d. h. zwischen dem 8. August und ) die Anhörung, die sie im Übrigen am beantragt hatte, vorzubereiten und eine Erwiderung auf die wenigen ihr übermittelten Unterlagen auszuarbeiten, ist daher, wie die Kommission zu Recht betont hat, eine reine Schutzbehauptung.

293

Die Klägerin hat sich zudem in ihrem Schreiben vom 23. August 2006„zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen damit einverstanden [erklärt], die anberaumte Anhörung auf der Basis der bisherigen Akteneinsicht durchzuführen“. Für den Fall, dass das Verfahren nach der Anhörung weitergeführt werde, hatte sie angekündigt, „gegebenenfalls Gelegenheit zu ergänzendem schriftlichen Verteidigungsvortrag“ zu beanspruchen. Es ist festzustellen, dass sie ihre Erwiderung auf die Beschwerdepunkte selbst auf die am gewährte weitere Akteneinsicht hin nicht ergänzt hat.

294

Aus alledem ergibt sich, dass der Klagegrund, mit dem eine Verletzung der Verteidigungsrechte der Klägerin geltend gemacht wird, in vollem Umfang zurückzuweisen ist.

8. Zur Kooperation der Klägerin

Vorbringen der Parteien

295

Hilfsweise trägt die Klägerin im Rahmen des zehnten Klagegrundes vor, die Bußgeldbemessung sei rechtswidrig, da die Kommission dem Umstand, dass sie den Verstoß in vollem Umfang eingeräumt habe, keine Bedeutung beigemessen habe. Diese zweite Kooperation von TKS hätte zu einer Bußgeldermäßigung führen müssen, die über die bereits nach Abschnitt D der Mitteilung 96/C 207/04 der Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung zur Zusammenarbeit) gewährte Ermäßigung von 20% hinausgehe, da sowohl der gesamte Tatsachenstoff als auch die Bewertung dieser Tatsachen als Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS unstreitig gestellt worden seien.

296

Die Kommission lehne jede Ermäßigung mit dem Hinweis auf die Ausführungen der Klägerin zur Gültigkeit der Sanktionsgrundlage ab, was völlig fehlgehe, da die betroffenen Problemkreise voneinander unabhängig seien. Der Nachweis einer Zuwiderhandlung sei durch diese punktuellen Rechtsausführungen von TKS in keiner Weise erschwert worden.

297

Die Kommission ist der Auffassung, dass dieser Klagegrund zurückzuweisen sei.

Würdigung durch das Gericht

298

Es ist daran zu erinnern, dass der Kommission hinsichtlich der Methode für die Berechnung von Geldbußen ein weites Ermessen zusteht; sie kann insoweit eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigen, zu denen auch die Kooperationsbeiträge der betroffenen Unternehmen während der von den Dienststellen der Kommission durchgeführten Untersuchungen gehören. In diesem Zusammenhang verfügt die Kommission bei der Beurteilung von Qualität und Nützlichkeit des Kooperationsbeitrags eines Unternehmens, insbesondere im Vergleich zu den Beiträgen anderer Unternehmen, über ein weites Ermessen (Urteil SGL Carbon/Kommission, oben in Randnr. 224 angeführt, Randnrn. 81 und 88).

299

In der Mitteilung zur Zusammenarbeit hat die Kommission die Voraussetzungen näher bestimmt, unter denen Geldbußen für Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr zusammenarbeiten, entweder nicht oder niedriger festgesetzt werden können (vgl. Abschnitt A Nr. 3 der Mitteilung zur Zusammenarbeit).

300

Abschnitt D der Mitteilung zur Zusammenarbeit sieht vor:

„1.

Arbeitet ein Unternehmen mit der Kommission zusammen, ohne dass es alle Voraussetzungen erfüllt, so wird die Höhe der Geldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden wäre, um 10 bis 50% niedriger festgesetzt.

2.

Dies gilt insbesondere, wenn

ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen, Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes beitragen;

ein Unternehmen der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteilt, dass es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet.“

301

In der Entscheidung 98/247 gewährte die Kommission TKS auf der Grundlage von Abschnitt D der Mitteilung zur Zusammenarbeit eine Ermäßigung der Geldbuße um 10%, da TKS die in der Mitteilung der Beschwerdepunkte von 1997 ausgeführten Tatsachen anerkannt hatte. Während die Kommission zwei anderen am Kartell beteiligten Unternehmen eine Ermäßigung um 40% gewährte, begründete sie diese Quote von 10% damit, dass die Erklärungen und die Stellungnahme von TKS auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte keine neuen Gesichtspunkte enthielten und dass darin das Vorliegen einer Zuwiderhandlung bestritten werde.

302

Im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission wies das Gericht den ersten Teil dieser Würdigung zurück (Randnrn. 232 bis 248 des Urteils) und gewährte TKS in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung eine Ermäßigung der Geldbuße um 20%.

303

Hier weist die Kommission darauf hin, dass das vorliegende Verfahren das ursprüngliche Verfahren ab dem Punkt wiederhole, an welchem der Verfahrensfehler begangen worden sei, und dass TKS im ursprünglichen Verfahren bei der Aufklärung des Sachverhalts in Bezug auf Thyssen mitgewirkt habe, was unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichts im oben in Randnr. 24 angeführten Urteil Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission eine Herabsetzung des Betrags der Geldbuße um 20% gemäß Abschnitt D der Mitteilung zur Zusammenarbeit rechtfertige (179. und 182. Erwägungsgrund der Entscheidung).

304

Die Klägerin widerspricht dieser Bezifferung und macht geltend, in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte von 2006 habe sie den Sachverhalt und vor allem seine rechtliche Bewertung als Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS nicht bestritten. Die Faktoren, die zu einer Ermäßigung um 20% geführt hätten, gälten weiter. Hinzugekommen sei, dass sie den Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS im „Wiederaufnahmeverfahren“ nicht bestritten, sondern im Gegenteil ausdrücklich eingeräumt habe. Dies hätte die Kommission dazu veranlassen müssen, ihr eine Ermäßigung zu gewähren, die über die in der Entscheidung gewährte Ermäßigung um 20% hinausgehe.

305

Dieser Argumentation der Klägerin kann im Hinblick auf eine Gesamtbeurteilung der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 und insbesondere angesichts ihrer Randnr. 75 nicht gefolgt werden.

306

Randnr. 75 der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 lautet:

„TKS erklärt ausdrücklich, dass es die in den [Beschwerdepunkten] vorgehaltenen Tatsachen in den Jahren 1993 bis Januar 1998 nicht bestreitet und dass die nicht bestrittenen Tatsachen einen Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS dargestellt haben.“

307

Es ist festzustellen, dass es sich hierbei um eine unpersönliche, abstrakte und mehrdeutige Formulierung handelt, die es nicht erlaubt, zu bestimmen, wem gegenüber eine Zuwiderhandlung festgestellt werden kann, und ob dies zum Zeitpunkt der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 rechtlich noch möglich war. Abgesehen davon, dass die Klägerin sich nicht zum Zeitraum 1993/94 äußert, um den allein es in den genannten Beschwerdepunkten ging, erklärt sie nicht ausdrücklich und klar, dass die fraglichen Tatsachen eine Zuwiderhandlung begründen, für die sie verantwortlich ist.

308

Aus den der Randnr. 75 (vgl. oben Randnr. 306) vorangehenden Randnummern der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 geht vielmehr eindeutig hervor, dass die Klägerin jegliche Möglichkeit der Kommission bestreitet, Art. 65 § 1 KS auf den vorliegenden Fall anzuwenden und ihr das Verhalten von Thyssen zuzurechnen.

309

Um in den Genuss einer Ermäßigung aufgrund der Kooperation zu kommen, muss das Verhalten des betreffenden Unternehmens der Kommission die Wahrnehmung ihrer Aufgabe erleichtert haben, Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzustellen und zu verfolgen (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Mayr-Melnhof/Kommission, T-347/94, Slg. 1998, II-1751, Randnrn. 309 und 332). Es ist Sache der Kommission, in jedem Einzelfall zu beurteilen, ob dieses Verhalten ihr die Arbeit tatsächlich erleichtert hat (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom , Corus UK/Kommission, T-48/00, Slg. 2004, II-2325, Randnr. 193, und vom , Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T-259/02 bis T-264/02 und T-271/02, Slg. 2006, II-5169, Randnr. 559, zur Zeit mit Rechtsmittel angefochten).

310

Die Erklärung der Klägerin, „dass die nicht bestrittenen Tatsachen einen Verstoß gegen Art. 65 § 1 KS dargestellt haben“, war für die Kommission unter den Umständen des vorliegenden Falles, auf die oben in Randnr. 308 hingewiesen worden ist, ohne jeden Nutzen.

311

Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass eine niedrigere Festsetzung aufgrund der Mitteilung über Zusammenarbeit nach der Rechtsprechung nur gerechtfertigt sein kann, wenn die gelieferten Informationen und allgemeiner das Verhalten des betreffenden Unternehmens insoweit als Zeichen einer echten Zusammenarbeit des Unternehmens angesehen werden können (Urteile des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C-189/02 P, C-202/02 P, C-205/02 P bis C-208/02 P und C-213/02 P, Slg. 2005, I-5425, Randnr. 395, und vom , SGL Carbon/Kommission, oben in Randnr. 81 angeführt, Randnr. 68).

312

In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 bestritt die Klägerin zunächst nachdrücklich die Befugnis der Kommission, Art. 65 § 1 KS auf den vorliegenden Fall anzuwenden und ihr die Verantwortung für den Verstoß gegen diese Vorschrift aufzuerlegen, wobei sie der Erklärung vom 23. Juli 1997 erstmals seit der Einleitung des ursprünglichen Verfahrens jede Wirksamkeit absprach, und fügte dann am Ende eine Erklärung hinzu, die ihre Kooperationsbereitschaft zeigen sollte, tatsächlich aber in sich widersprüchlich und irreführend war.

313

Dieses Verhalten der Klägerin, das eine Strategie erkennen lässt, mit der bezweckt wird, einander widersprechende Ziele miteinander zu vereinbaren, kann nicht als Zeichen einer echten Zusammenarbeit angesehen werden.

314

Unter diesen Umständen hat die Kommission zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Erklärung der Klägerin in Randnr. 75 der Erwiderung auf die Beschwerdepunkte von 2006 keine Herabsetzung der Geldbuße über 20% hinaus rechtfertige, und zwar weder gemäß Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit noch aufgrund eines sonstigen mildernden Umstands.

315

Daher ist dieser Klagegrund zurückzuweisen.

316

Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

317

Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr dem Antrag der Kommission entsprechend die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die ThyssenKrupp Stainless AG trägt die Kosten.

 

Vilaras

Prek

Ciucă

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. Juli 2009.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis

 

Rechtlicher Rahmen

 

1. Vorschriften des EGKS-Vertrags

 

2. Mitteilung der Kommission über bestimmte Aspekte der Behandlung von Wettbewerbsfällen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags

 

3. Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 1/2003

 

Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt

 

Verfahren und Anträge der Parteien

 

Rechtliche Würdigung

 

1. Zu der Frage, ob ein neues verspätetes Vorbringen der Kommission vorliegt

 

2. Zur Zuständigkeit der Kommission

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

Zur Rechtsgrundlage der Entscheidung

 

Zur Befugnis der Kommission, eine Zuwiderhandlung gegen Art. 65 § 1 KS nach Auslaufen des EGKS-Vertrags auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1/2003 festzustellen und zu ahnden

 

3. Zur Rechtskraft und zur Wirksamkeit der Erklärung vom 23. Juli 1997

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

Zur Tragweite des Urteils des Gerichts Krupp Thyssen Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission

 

Zur Tragweite des Urteils des Gerichtshofs ThyssenKrupp/Kommission

 

Zu den Wirkungen der Rechtskraft

 

4. Zum Verstoß gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

Zur Zulässigkeit des Klagegrundes

 

Zur Begründetheit

 

5. Zum Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

6. Zur Verjährung

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

7. Zur Verletzung der Verteidigungsrechte

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

Zum Inhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 5. April 2006

 

Zum Recht auf Akteneinsicht

 

— Zur Zulässigkeit

 

— Zur Begründetheit

 

8. Zur Kooperation der Klägerin

 

Vorbringen der Parteien

 

Würdigung durch das Gericht

 

Kosten


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.

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