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Document 61992TO0087(02)

Beschluss des Gerichts erster Instanz (Erste Kammer) vom 8. Dezember 1993 (27292).
BVBA Kruidvat gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Streithilfe.
Rechtssache T-87/92.

European Court Reports 1993 II-01363

ECLI identifier: ECLI:EU:T:1993:113

61992B0087(02)

BESCHLUSS DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (ERSTE KAMMER) VOM 8. DEZEMBER 1993 (27292). - KRUIDVAT BVBA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STREITHILFE. - RECHTSSACHE T-87/92.

Sammlung der Rechtsprechung 1993 Seite II-01363


Entscheidungsgründe
Kostenentscheidung
Tenor

Schlüsselwörter


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Verfahren ° Streithilfe ° Personen mit berechtigtem Interesse ° Rechtsstreit betreffend die Gültigkeit einer Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln ° Nichtigkeitsklage gegen eine Entscheidung, mit der eine Freistellung für ein selektives Vertriebssystem für Kosmetika der Luxusklasse gewährt wird ° Vereinigung, die Unternehmen vertritt, die selektiven Vertriebsnetzen von der Art des den Gegenstand der Entscheidung bildenden Vertriebsnetzes angehören

(EWG-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 37 Absatz 2; Verfahrensordnung des Gerichts, Artikel 115)

Entscheidungsgründe


1 Mit Antragsschrift, die am 22. März 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Yves Saint Laurent Parfums SA, Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Neuilly-sur-Seine (Frankreich), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dominique Voillemot und Arnaud Michel, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Jacques Lösch, 11, rü Goethe, Luxemburg, beantragt, in der Rechtssache T-87/92 als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden.

2 Der Streithilfeantrag ist gemäß Artikel 115 der Verfahrensordnung des Gerichts eingereicht worden und stützt sich auf Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes, der nach Artikel 46 Absatz 1 dieser Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht entsprechend anwendbar ist.

3 Der Präsident der Ersten Kammer hat die Entscheidung über den Streithilfeantrag gemäß Artikel 116 § 1 Absatz 3 der Verfahrensordnung der Kammer übertragen.

4 Die Antragstellerin macht in ihrem Streithilfeantrag im wesentlichen geltend, sie habe ein mit dem System von Parfums Givenchy SA vergleichbares selektives Vertriebssystem eingeführt, für das eine Freistellung gemäß Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag gewährt worden sei (Entscheidung 92/33/EWG der Kommission vom 16. Dezember 1991 in einem Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags, IV/33.242 ° Yves Saint Laurent Parfums, ABl. 1992, L 12, S. 24); diese Freistellung sei vergleichbar mit der Freistellung, die die Kommission mit der im vorliegenden Verfahren beanstandeten Entscheidung, die Gegenstand einer vom Groupement Galec beim Gericht erhobenen Klage (Rechtssache T-19/92) sei, gewährt habe. Die Argumente der Klägerin im vorliegenden Fall unterschieden sich u. a. dadurch von dem Vorbringen von Galec, daß sie sich nicht nur gegen die Einzelfreistellung, sondern bereits gegen den Grundsatz des selektiven Vertriebssystems für Parfums und Kosmetika der Luxusklasse richteten. Für den Fall, daß das Gericht dem Vorbringen der Klägerin folge, berühre das zu erlassende Urteil auch die Tragweite der Entscheidung Yves Saint Laurent Parfums und habe dadurch erhebliche Auswirkungen für die Durchführung der fraglichen Verträge. Die Antragstellerin habe daher ein berechtigtes Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits.

5 Der Streithilfeantrag ist den Parteien gemäß Artikel 116 § 1 der Verfahrensordnung zugestellt worden.

6 Die Kommission hat mit Schriftsatz, der am 2. April 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Zweifel daran geäussert, daß die Antragstellerin ein berechtigtes Interesse daran habe, im vorliegenden Verfahren als Streithelferin zugelassen zu werden. Die Antragstellerin sei schon in der Rechtssache T-19/92, die ihr eigenes Vertriebssystem betreffe, als Streithelferin zugelassen worden; zudem stuenden die Antragstellerin und Parfums Givenchy im Wettbewerb miteinander, so daß sich Probleme hinsichtlich der Vertraulichkeit von Unterlagen ergeben könnten.

7 Die Klägerin hat mit am 15. April 1993 eingegangenem Schriftsatz beantragt, den Streithilfeantrag zurückzuweisen oder, falls ihm stattgegeben werde, gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung der Antragstellerin ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

8 Die Klägerin macht im wesentlichen geltend, die Antragstellerin sei nicht Adressatin der Entscheidung Parfums Givenchy. Ferner sei die Gültigkeit ihres Vertriebssystems von der Entscheidung Yves Saint Laurent Parfums und nicht von der Entscheidung Parfums Givenchy abhängig. Der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Schicksal der Entscheidung Yves Saint Laurent Parfums. Im übrigen ergebe sich aus dem Streithilfeantrag, daß es der Antragstellerin nicht um den Tenor, sondern um die Gründe des zu erlassenden Urteils gehe. Die Klägerin verweist insoweit auf die Beschlüsse des Gerichtshofes vom 12. April 1978 in den Rechtssachen 116/77, 124/77 und 143/77 (Amylum u. a./Rat und Kommission, Slg. 1978, 893, Randnrn. 7 und 10), vom 25. November 1964 in der Rechtssache 111/63 (Lemmerz-Werke/Hohe Behörde, Slg. 1965, 941, 942) und vom 10. Juni 1965 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64 (Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 450, 452), nach denen das vom Streithelfer verlangte Interesse hinsichtlich der Anträge der Parteien und nicht hinsichtlich der vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel bestehen müsse und der Antragsteller ein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran glaubhaft machen müsse, daß diesen Anträgen stattgegeben werde. Selbst für den Fall, daß das in bezug auf die Entscheidung Parfums Givenchy zu erlassende Urteil die Kommission veranlassen sollte, die Entscheidung Yves Saint Laurent Parfums zu widerrufen, könnte die Antragstellerin ihre Argumente noch in diesem Stadium im Rahmen einer gegen die Widerrufsentscheidung gerichteten Klage beim Gericht vorbringen.

9 Gemäß Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes steht das Recht, einem vor dem Gericht anhängigen Rechtsstreit beizutreten, jedem zu, der ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft machen kann.

10 Vorab weist das Gericht darauf hin, daß der Gerichtshof in seinen Beschlüssen Lemmerz-Werke/Hohe Behörde (a. a. O.) und Amylum u. a./Rat und Kommission (a. a. O.) einen Streithilfeantrag mit der Begründung zurückgewiesen hat, daß die Antragstellerin kein unmittelbares und gegenwärtiges Interesse daran habe, daß den Klageanträgen entsprochen werde; die einzigen Interessen, die sie geltend mache, bezögen sich auf den Erfolg gewisser Rechtsausführungen der Klägerin. Jedoch hat der Gerichtshof in seinem Beschluß vom 15. Juli 1981 in der Rechtssache 45/81 (Moksel/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen eine Verordnung der Kommission zur vorübergehenden Aussetzung der Vorausfestsetzung der Ausfuhrerstattungen für bestimmte landwirtschaftliche Produkte einem Streithilfeantrag mit der Begründung stattgegeben, daß die Antragstellerin, auch wenn sie kein unmittelbares Interesse am Ergebnis des zu erlassenden Urteils glaubhaft machen könne, doch ein Interesse am Ausgang des Rechtsstreits zumindest im Hinblick auf die das Urteil tragenden Gründe haben könne.

11 Angesichts dieser beiden unterschiedlichen Auffassungen, die in anderen Rechtssachen mit unterschiedlichem Kontext vertreten wurden, sind gemäß der früheren Rechtsprechung des Gerichts (Beschluß vom 15. Juni 1993 in den Rechtssachen T-97/92 und T-111/92, Rijnoudt und Hocken/Kommission, Slg. 1993, II-587, Randnr. 16) die Grundsätze festzulegen, die in einem Kontext wie dem vorliegenden anzuwenden sind, in dem der Streithilfeantrag von einer Gesellschaft gestellt wird, deren Interesse darin besteht, ihre eigene Stellung im Rahmen einer anderen Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 EWG-Vertrag zu verteidigen, deren Adressat sie ist und die sich, obwohl sie mit der im vorliegenden Fall streitigen Entscheidung vergleichbar ist, doch von dieser unterscheidet.

12 In einem solchen Kontext ist analog zu dem Beschluß Rijnoudt und Hocken/Kommission (a. a. O.) unter einem berechtigten Interesse am Ausgang des Rechtsstreits im Sinne von Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein berechtigtes Interesse am Schicksal der spezifischen Anträge zu verstehen, die sich auf eine spezifische Handlung beziehen, deren Nichtigerklärung beantragt wird. Somit ist, wie es der Gerichtshof im Beschluß Lemmerz-Werke/Hohe Behörde (a. a. O.) getan hat, streng zu unterscheiden zwischen Antragstellern, die ein unmittelbares Interesse am Schicksal der spezifischen Handlung, deren Nichtigerklärung beantragt wird, glaubhaft machen, und Antragstellern, die nur ein mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen ihrer Situation und der einer Partei glaubhaft machen.

13 Im vorliegenden Fall gehört die Antragstellerin der letztgenannten Gruppe an und kann daher kein ausreichendes Interesse am Ausgang des Rechtstreits glaubhaft machen. Zur Begründung ihres Streithilfeantrags beruft sich die Antragstellerin nämlich auf die angeblichen Auswirkungen des zu erlassenden Urteils auf eine andere ° sie betreffende ° Entscheidung der Kommission, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Das im vorliegenden Fall zu erlassende Urteil berührt die Rechtmässigkeit dieser Entscheidung nicht, die im übrigen Gegenstand der Rechtssache T-19/92 ist, in der die Antragstellerin bereits als Streithelferin zugelassen worden ist. Ausserdem wäre es schwierig, ja unmöglich, eine klare Unterscheidung zwischen Antragstellern, die ein berechtigtes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits glaubhaft machen, und Antragstellern, bei denen dies nicht gegeben ist, zu treffen, wenn jeder Wirtschaftsteilnehmer als Streithelfer in jedem Rechtsstreit zugelassen werden müsste, in dem einer seiner Konkurrenten Partei ist und in dem ein Urteil ergehen kann, dessen Gründe Einfluß darauf haben könnten, wie die Kommission seine eigene, im übrigen unterschiedliche Situation behandelt.

14 Auch die Praxis des Gerichtshofes und des Gerichts, bestimmte Unternehmensvereinigungen in Verfahren wie dem vorliegenden als Streithelferinnen zuzulassen, kann nicht zur Stützung eines individuellen Streithilfeantrags wie des vorliegenden herangezogen werden. Aus dieser Praxis ergibt sich nämlich, daß eine solche Vereinigung, wenn sie an dem vorgeschalteten Verwaltungsverfahren nicht teilgenommen hat, als Streithelferin zugelassen werden kann, wenn i) sie eine beträchtliche Anzahl in dem betreffenden Bereich tätiger Unternehmen vertritt, ii) ihre Ziele den Schutz der Interessen ihrer Mitglieder einschließen, iii) die Rechtssache Grundsatzfragen aufwerfen kann, die das Funktionieren des betreffenden Sektors berühren, und damit iv) die Interessen ihrer Mitglieder durch das zu erlassende Urteil in erheblichem Masse beeinträchtigt werden können. Eine solche weite Auslegung im Hinblick auf Vereinigungen ° die die genannten Voraussetzungen erfuellen °, die es ermöglichen kann, den Rahmen dieser Rechtssachen besser zu beurteilen und zugleich eine Vielzahl individueller Streitbeitritte, die die Wirksamkeit und den ordnungsgemässen Ablauf des Verfahrens beeinträchtigen könnten, zu vermeiden, lässt sich auf den Streitbeitritt individuell handelnder Wirtschaftsteilnehmer nicht übertragen.

15 Nach alledem ist der Streithilfeantrag zurückzuweisen.

Kostenentscheidung


Kosten

16 Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission keinen Kostenantrag gestellt hat und die Klägerin nur beantragt hat, daß der Antragstellerin, wenn ihrem Streithilfeantrag stattgegeben wird, ihre eigenen Kosten aufzuerlegen sind, ist zu beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.

Tenor


Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

beschlossen:

1) Der Streithilfeantrag wird zurückgewiesen.

2) Die Antragstellerin und jede Partei tragen ihre im Zusammenhang mit dem Streithilfeantrag entstandenen Kosten.

Luxemburg, den 8. Dezember 1993

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