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Document 62020CC0181

Schlussanträge der Generalanwältin J. Kokott vom 15. Juli 2021.
VYSOČINA WIND a.s. gegen Česká republika – Ministerstvo životního prostředí.
Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší soud.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Umwelt – Richtlinie 2012/19/EU – Elektro- und Elektronik-Altgeräte – Verpflichtung zur Finanzierung der Kosten für die Bewirtschaftung von Abfällen aus Photovoltaikmodulen – Rückwirkung – Grundsatz der Rechtssicherheit – Nicht ordnungsgemäße Umsetzung einer Richtlinie – Haftung des Mitgliedstaats.
Rechtssache C-181/20.

; Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2021:619

 SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 15. Juli 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑181/20

VYSOČINA WIND a.s.

gegen

Tschechische Republik

(Vorabentscheidungsersuchen des Nejvyšší soud [Oberstes Gericht, Tschechische Republik])

„Vorabentscheidungsersuchen – Richtlinie 2012/19/EU – Abfälle – Elektro- und Elektronik-Altgeräte – Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Photovoltaikmodulen – Herstellerverantwortung – Falsche Umsetzung einer Richtlinie – Haftung eines Mitgliedstaats – Verursacherprinzip – Rückwirkungsverbot“

I. Einleitung

1.

Im Ausgangsrechtsstreit fordert Vysočina Wind Schadensersatz vom tschechischen Staat, weil dieser die Konkretisierung des Verursacherprinzips durch die Richtlinie 2012/19/EU ( 2 ) im Hinblick auf Photovoltaikmodule falsch umgesetzt habe.

2.

Der unionsrechtliche Haftungsanspruch beruht auf dem Urteil Francovich ( 3 ) und setzt u. a. eine qualifizierte Verletzung des Unionsrechts voraus. ( 4 ) Diese könnte in einer falschen Umsetzung der Richtlinie 2012/19 liegen, wäre aber ausgeschlossen, wenn die betreffende Regelung der Richtlinie gegen höherrangiges Unionsrecht, insbesondere das Rückwirkungsverbot, verstößt.

3.

Die Tschechische Republik zweifelt an der Vereinbarkeit der im Jahr 2012 veröffentlichten Richtlinie 2012/19 mit dem Unionsrecht, soweit danach die Hersteller von Photovoltaikmodulen die Kosten für die Entsorgung aller Module tragen sollen, die sie bereits seit dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht haben. Daher erließ dieser Mitgliedstaat eine Regelung, die diese Kosten den Nutzern der Module auferlegt, falls diese bis zum 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden. Vysočina Wind betreibt ein Solarkraftwerk und musste aufgrund dieser Regelung Kosten übernehmen, deren Ersatz sie nunmehr verlangt.

4.

Daher ist zu klären, inwieweit die Einführung der Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsregelungen über die Entsorgung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten

1.   Richtlinie 2012/19

5.

Der Gegenstand der Richtlinie 2012/19 wird in Art. 1 festgelegt:

„Mit dieser Richtlinie werden Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der menschlichen Gesundheit festgelegt, mit denen in Übereinstimmung mit den Art. 1 und 4 der [Abfallrichtlinie ( 5 )] die schädlichen Auswirkungen der Entstehung und Bewirtschaftung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten vermieden oder verringert, die Gesamtauswirkungen der Ressourcennutzung reduziert und die Effizienz der Ressourcennutzung verbessert werden sollen, wodurch zur nachhaltigen Entwicklung beigetragen wird.“

6.

Der Geltungsbereich der Richtlinie 2012/19 ergibt sich insbesondere aus Art. 2 Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt wie folgt für Elektro- und Elektronikgeräte:

a)

ab dem 13. August 2012 bis zum 14. August 2018 (Übergangsfrist) vorbehaltlich Absatz 3 für Elektro- und Elektronikgeräte, die unter die Gerätekategorien des Anhangs I fallen. Anhang II enthält eine nicht abschließende Liste mit Elektro- und Elektronikgeräten, die unter die Gerätekategorien des Anhangs I fallen;

b)

ab dem 15. August 2018 vorbehaltlich der Abs. 3 und 4 für sämtliche Elektro- und Elektronikgeräte. Sämtliche Elektro- und Elektronikgeräte sind in die Gerätekategorien des Anhangs III einzustufen. Anhang IV enthält eine nicht abschließende Liste mit Elektro- und Elektronikgeräten, die unter die Gerätekategorien des Anhangs III fallen (offener Anwendungsbereich).“

7.

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 definiert verschiedene Begriffe:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Elektro- und Elektronikgeräte‘ Geräte, die zu ihrem ordnungsgemäßen Betrieb von elektrischen Strömen oder elektromagnetischen Feldern abhängig sind, und Geräte zur Erzeugung, Übertragung und Messung solcher Ströme und Felder, die für den Betrieb mit Wechselstrom von höchstens 1000 Volt bzw. Gleichstrom von höchstens 1500 Volt ausgelegt sind;

e)

‚Elektro- und Elektronik-Altgeräte‘ Elektro- und Elektronikgeräte, die im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der [Abfallrichtlinie] als Abfall gelten, einschließlich aller Bauteile, Unterbaugruppen und Verbrauchsmaterialien, die zum Zeitpunkt der Entledigung Teil des Produkts sind“.

8.

Anhang I der Richtlinie 2012/19 führt die von der Richtlinie während der Übergangsfrist gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a erfassten Kategorien von Elektro- und Elektronikgeräten auf. Nr. 4 nennt Geräte der Unterhaltungselektronik und Photovoltaikmodule.

9.

Photovoltaikmodule werden darüber hinaus in Nr. 4 der nicht abschließenden Liste mit Elektro- und Elektronikgeräten des Anhangs II der Richtlinie 2012/19 genannt, die unter die Gerätekategorien des Anhangs I fallen.

10.

Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 regelt die Herstellerverantwortung für die Entsorgungskosten gewerblich genutzter Geräte:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten anderer Nutzer als privater Haushalte aus Produkten, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht werden, von den Herstellern finanziert werden.

Bei historischen Altgeräten, die durch neue gleichwertige Produkte oder durch neue Produkte ersetzt werden, die dieselben Funktionen erfüllen, werden die Kosten von den Herstellern dieser Produkte finanziert, wenn sie diese liefern. Die Mitgliedstaaten können alternativ dazu vorsehen, dass andere Nutzer als private Haushalte ebenfalls teilweise oder vollständig zur Finanzierung herangezogen werden.

Bei anderen historischen Altgeräten werden die Kosten von den Nutzern finanziert, sofern es sich nicht um private Haushalte handelt.“

11.

Im Übrigen ergibt sich aus Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2012/19, dass „Elektro- und Elektronik-Altgeräte aus Produkten, die am oder vor dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden“, als „historische Altgeräte“ anzusehen sind.

12.

Die gleichen Regelungen waren bereits in Art. 9 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2002/96/EG über Elektro- und Elektronik-Altgeräte ( 6 ) vorgesehen. Allerdings galt die frühere Richtlinie noch nicht für Photovoltaikmodule. Diese wurden erst durch die Richtlinie 2012/19 erfasst.

13.

Die Herstellerverantwortung wird im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/19 angesprochen:

„… Um dem Konzept der Herstellerverantwortung einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu verleihen, sollte jeder Hersteller für die Finanzierung der Entsorgung des durch seine eigenen Produkte anfallenden Abfalls verantwortlich sein. Der Hersteller sollte diese Verpflichtung wahlweise individuell oder durch die Beteiligung an einem kollektiven System erfüllen können. Jeder Hersteller sollte beim Inverkehrbringen eines Produkts eine finanzielle Garantie stellen, um zu verhindern, dass die Kosten für die Entsorgung der Elektro- und Elektronik-Altgeräte aus Waisen-Produkten auf die Gesellschaft oder die übrigen Hersteller abgewälzt werden. Die Verantwortung für die Finanzierung der Entsorgung von historischen Altgeräten sollte von allen existierenden Herstellern über kollektive Finanzierungssysteme getragen werden, zu denen alle Hersteller, die sich zum Zeitpunkt der Kostenentstehung am Markt befinden, anteilsmäßig beitragen. Kollektive Finanzierungssysteme sollten nicht dazu führen, dass Hersteller von Nischenprodukten und Kleinserienhersteller, Importeure und neue Marktteilnehmer ausgeschlossen werden. Kollektive Systeme könnten in Abhängigkeit davon, wie leicht sich Produkte und die darin enthaltenen wertvollen Sekundärrohstoffe rezyklieren lassen, differenzierte Gebühren vorsehen. Im Fall von Produkten mit einem langen Lebenszyklus, die nunmehr unter diese Richtlinie fallen, wie beispielsweise Photovoltaikmodule, sollten bestehende Strukturen für Sammlung und Verwertung möglichst gut genutzt werden, unter der Voraussetzung, dass die Anforderungen dieser Richtlinie eingehalten werden.“

14.

Die Richtlinie 2012/19 wurde am 24. Juli 2012 veröffentlicht und war nach Art. 24 Abs. 1 bis zum 14. Februar 2014 umzusetzen.

2.   Abfallrichtlinie

15.

Außerdem ist auf die Regelungen der jeweils geltenden Abfallrichtlinie zur Verantwortung für Abfälle hinzuweisen.

16.

Art. 15 der Abfallrichtlinien 75/442 ( 7 ) (dort ursprünglich Art. 11) und 2006/12 ( 8 ) sah jeweils vor:

„Gemäß dem Verursacherprinzip sind die Kosten für die Beseitigung der Abfälle zu tragen von

… dem Abfallbesitzer, der seine Abfälle einem Sammelunternehmen oder einem Unternehmen im Sinne des Artikels 9 übergibt, und/oder

… den früheren Besitzern oder dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfälle herrühren.“

17.

Art. 14 der nunmehr geltenden Abfallrichtlinie 2008/98 enthält eine ähnliche Regelung:

„(1)   Gemäß dem Verursacherprinzip sind die Kosten der Abfallbewirtschaftung von dem Abfallersterzeuger oder von dem derzeitigen Abfallbesitzer oder den früheren Abfallbesitzern zu tragen.

(2)   Die Mitgliedstaaten können beschließen, dass die Kosten der Abfallbewirtschaftung teilweise oder vollständig von dem Hersteller des Erzeugnisses, dem der Abfall entstammt, zu tragen sind … und dass die Vertreiber eines derartigen Erzeugnisses sich an diesen Kosten beteiligen.“

B. Tschechisches Recht

18.

Die Tschechische Republik hat ihre Verpflichtungen aus der ursprünglichen Richtlinie 2002/96 durch den Erlass des Abfallgesetzes umgesetzt. Am 30. Mai 2012, noch vor dem Erlass der Richtlinie 2012/19, wurde in dieses Gesetz der neue § 37p eingefügt, der eine Modalität zur Finanzierung der Bewirtschaftung von Abfällen aus Photovoltaikmodulen einführte. Nach dieser Bestimmung trifft die Verpflichtung zur Finanzierung der Bewirtschaftung von Abfällen aus Photovoltaikmodulen, die vor dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden, den Betreiber des Solarkraftwerks, und zwar mittels paritätischer Teilzahlungen der Recycling-Beiträge. Zu diesem Zweck wurde die Verpflichtung vorgesehen, bis spätestens 30. Juni 2013 einen Vertrag mit einer Person abzuschließen, die ein gemeinsames Finanzierungssystem sicherstellt, und zwar so, dass diese Finanzierung spätestens zum 1. Januar 2019 gewährleistet ist. Für Photovoltaikmodule, die nach dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden, trifft diese Verpflichtung deren Hersteller.

III. Sachverhalt und Vorabentscheidungsersuchen

19.

Vysočina Wind ist Betreiberin des Solarkraftwerks „Vranovská ves II“. Dieses Kraftwerk wurde 2009 in Betrieb genommen, und zwar unter Verwendung von Photovoltaikmodulen, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden. Nach der Einführung des neuen § 37p des tschechischen Abfallgesetzes schloss Vysočina Wind daher mit entsprechenden Personen Verträge ab, auf deren Grundlage sie ihnen in den Jahren 2015 und 2016 in drei Teilzahlungen einen Beitrag zum zukünftigen Recycling von Elektroabfall aus Photovoltaikmodulen in Höhe von insgesamt 1613773,24 CZK (ca. 65000 Euro) zahlte.

20.

Vysočina Wind erhob gegen die Tschechische Republik Klage auf Ersatz dieses Betrags. Vor den innerstaatlichen Gerichten vertrat sie die Ansicht, dass die Tschechische Republik die Richtlinie 2012/19 fehlerhaft umgesetzt hat. Nach Art. 13 treffe die Verpflichtung zur Finanzierung der Entsorgung von Abfällen aus Photovoltaikmodulen, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht worden seien, den Hersteller und nicht den Nutzer. Infolgedessen entstehe Vysočina Wind insoweit ein Schaden, als sie nach § 37p des weiterhin geltenden Abfallgesetzes auch nach dem 14. Februar 2014 (Ablauf der Umsetzungsfrist) den Recycling-Beitrag zu entrichten habe, der nach dem Unionsrecht vom Hersteller zu tragen sei.

21.

Die Tschechische Republik hielt dem entgegen, dass die Verpflichtung der Hersteller zur Finanzierung der Entsorgung entgegen dem Wortlaut der Richtlinie 2012/19 nur für Photovoltaikmodule gelten könne, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Verkehr gebracht worden seien, da die rückwirkende Auferlegung der Verpflichtung eine unzulässige Rückwirkung und damit zusammenhängend einen Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit darstellen würde. Weiterhin wendete sie ein, dass zahlreiche Hersteller, die Photovoltaikmodule zwischen 2005 und 2013 in Verkehr gebracht hätten, gar nicht mehr existierten und ihnen daher keine Verpflichtung zur Finanzierung der Abfallbewirtschaftung auferlegt werden könne.

22.

Vysočina Wind war mit ihrer Klage in zwei Instanzen erfolgreich. Nunmehr ist die Sache beim Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) anhängig, das die folgenden Fragen an den Gerichtshof richtet:

1)

Ist Art. 13 der Richtlinie 2012/19 dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, die Verpflichtung zur Finanzierung der Kosten für die Sammlung, Bearbeitung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten aus Photovoltaikmodulen, die vor dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden, deren Nutzern und nicht den Herstellern aufzuerlegen?

2)

Falls die erste Frage bejaht wird: Hat auf die Beurteilung der Voraussetzungen der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die Einzelnen durch die Verletzung des Unionsrechts entstanden sind, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Tatsache Einfluss, dass der Mitgliedstaat die Art der Finanzierung von Abfällen aus Photovoltaikmodulen bereits vor dem Erlass der Richtlinie, die Photovoltaikmodule neu in den Geltungsbereich der unionsrechtlichen Regelung einbezogen und den Herstellern die Verpflichtung zur Finanzierung der Kosten auferlegt hat, selbst geregelt hatte, und zwar auch in Bezug auf Module, die vor Ablauf der Umsetzungsfrist (und selbst dem Erlass der Regelung auf Unionsebene) in Verkehr gebracht wurden?

23.

Vysočina Wind, die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Kommission haben sich nach Art. 23 der Satzung schriftlich geäußert. Darüber hinaus haben das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union auf Anfrage des Gerichtshofs schriftliche Stellungnahmen abgegeben. Auf eine mündliche Verhandlung hat der Gerichtshof verzichtet.

IV. Rechtliche Würdigung

24.

Mit dem Vorabentscheidungsersuchen sollen Voraussetzungen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs geklärt werden. Daher fragt das vorlegende Gericht, ob Art. 13 der Richtlinie 2012/19 einem Mitgliedstaat verwehrt, die Verpflichtung zur Finanzierung der Kosten für die Entsorgung von Photovoltaikmodulen, die vor dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden, deren Nutzern und nicht den Herstellern aufzuerlegen (dazu unter A). Aus dem Sachverhalt des innerstaatlichen Verfahrens ist zu schließen, dass es dabei nur um Module geht, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden.

25.

Für den Fall, dass die Mitgliedstaaten den Nutzern solcher Module diese Kosten nicht auferlegen dürfen, fragt das Oberste Gericht außerdem, welche Bedeutung für die Haftung des Mitgliedstaats dem Umstand zukommt, dass der Mitgliedstaat die Verantwortung für Abfälle aus diesen Modulen vor Erlass der Unionsregelung selbst geregelt hat (dazu unter B).

A. Erste Frage – Beginn der Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule

26.

Zur Beantwortung der ersten Frage werde ich zunächst darlegen, dass nach Art. 13 der Richtlinie 2012/19 die Kosten für die Entsorgung von Photovoltaikmodulen, die seit dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden, den Herstellern aufzuerlegen sind (dazu unter 1). Anschließend werde ich erörtern, ob diese Regelung mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist (dazu unter 2).

1.   Regelungsinhalt von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19

27.

Aus der Richtlinie 2012/19 ergibt sich deutlich, dass die Kosten für die Entsorgung von Photovoltaikmodulen, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden, nicht den Nutzern auferlegt werden können. Nach Art. 13 Abs. 1 müssen die Mitgliedstaaten nämlich sicherstellen, dass die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten anderer Nutzer als privater Haushalte aus Produkten, die nach dem genannten Zeitpunkt in Verkehr gebracht wurden, von den Herstellern finanziert werden.

28.

Photovoltaikmodule sind nach der Richtlinie 2012/19 Elektro- und Elektronikgeräte.

29.

Die Richtlinie 2012/19 gilt gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a seit dem 13. August 2012 für Elektro- und Elektronikgeräte, die unter die Gerätekategorien des Anhangs I fallen. Die nicht abschließende Liste mit Elektro- und Elektronikgeräten in Anhang II konkretisiert diese Kategorien. Photovoltaikmodule werden sowohl in Anhang I Nr. 4 als auch in Anhang II Nr. 4 ausdrücklich genannt. Der Gesetzgeber geht somit offensichtlich davon aus, dass diese Module Elektro- und Elektronikgeräte im Sinne der Definition des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2012/19 sind, und wollte die Geltung der Richtlinie bei der Neufassung auf sie ausdehnen.

30.

Wenn sich die Besitzer von Photovoltaikmodulen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Abfallrichtlinie der Module entledigen, entledigen wollen oder entledigen müssen, werden die Module zu Abfall und damit zu Elektro- und Elektronik-Altgeräten nach der Definition des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2012/19.

31.

Für solche Module sieht Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 vor, dass die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von den Herstellern finanziert werden sollen.

32.

Zwar wurde die Richtlinie 2012/19 erst im Juli 2012 angenommen und veröffentlicht. Für Photovoltaikmodule galt sie nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a sogar erst ab dem 13. August 2012. Ihre Umsetzungsfrist endete nach Art. 24 Abs. 1 erst am 14. Februar 2014. Gleichwohl sieht Art. 13 Abs. 1 unmissverständlich vor, dass die Herstellerverantwortung für alle Geräte gilt, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden. Für Photovoltaikmodule muss dies daher ebenfalls gelten. Die Kommission legt außerdem dar, dass es im Unterschied zu anderen Bestimmungen keine Übergangsregelung zur Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule gebe.

33.

Die Umsetzungsfrist und das Datum für die Geltung der Richtlinie 2012/19 mögen maßgeblich dafür sein, ab welchem Zeitpunkt von den Herstellern von Photovoltaikmodulen die Übernahme der fraglichen Kosten verlangt werden kann.

34.

Insbesondere die Kommission erörtert die Frage, ob die Hersteller die Kosten für Module tragen müssen, die vor den genannten Daten zu Abfall wurden. Doch um solche Module geht es im vorliegenden Verfahren nicht, denn Vysočina Wind verlangt die Erstattung von Zahlungen, die sie für den Fall geleistet hat, dass ihre Module erst in der Zukunft zu Abfall werden, also nach Ablauf der Umsetzungsfrist.

35.

Solche Module, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden, aber erst später zu Abfall werden, fallen nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 zweifelsohne in die Herstellerverantwortung.

36.

Mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 wäre es nicht vereinbar, die Hersteller von ihrer Verantwortung freizustellen und stattdessen den Nutzern von Photovoltaikmodulen die Kosten für deren Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung aufzuerlegen. Inwieweit die Nutzer herangezogen werden können, wenn die Hersteller die Kosten nicht übernehmen können, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

37.

Als Zwischenergebnis bleibt somit festzuhalten, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Photovoltaikmodulen anderer Nutzer als privater Haushalte aus Produkten, die nach dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden, den Herstellern auferlegen müssen.

2.   Das Rückwirkungsverbot

38.

Eine Anwendung der Herstellerverantwortung auf Photovoltaikmodule, die nach dem 13. August 2005, aber vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2012/19 in Verkehr gebracht wurden, wäre jedoch nach der Tschechischen Republik und Deutschland als unzulässige Rückwirkung anzusehen.

39.

Diese beiden Mitgliedstaaten schlagen dem Gerichtshof daher eine einschränkende Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 vor. Diese Bestimmung stehe mitgliedstaatlichen Regelungen nicht entgegen, die die Herstellerverantwortung nur für Photovoltaikmodule vorsähen, die erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist in Verkehr gebracht wurden.

40.

Dieses Ergebnis wäre jedoch contra legem und kann daher nicht durch eine Auslegung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 erreicht werden. ( 9 ) Denn diese Bestimmung lässt die Herstellerverantwortung unmissverständlich mit der Vermarktung ab dem 13. August 2005 beginnen. Soweit diese Regelung mit dem Rückwirkungsverbot unvereinbar ist, wäre sie daher ungültig.

41.

Zwar zieht das Vorabentscheidungsersuchen die Gültigkeit von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 nicht in Zweifel, doch der Gerichtshof prüft die Gültigkeit von Regelungen des Unionsrechts ausnahmsweise von Amts wegen, wenn dies notwendig ist, um dem vorlegenden Gericht eine vollständige Antwort zu geben. ( 10 )

a)   Die Rückwirkung der Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule

42.

Die Rechtsprechung zur Rückwirkung beruht auf den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit, die Teil der Unionsrechtsordnung sind. Sie müssen deshalb von den Unionsorganen, aber auch von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Unionsrichtlinien übertragen, beachtet werden. ( 11 )

43.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Unionsrechtsakts auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen. ( 12 ) Die Richtlinie 2012/19 sieht aber nicht vor, dass die Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule bereits vor ihrer Veröffentlichung am 24. Juli 2012 gilt. Im Gegenteil, die Mitgliedstaaten müssen diese Herstellerverantwortung erst zum Ablauf der Umsetzungsfrist am 14. Februar 2014 verwirklichen. Die Richtlinie verlangt somit nicht, dass die Hersteller vor dem 14. Februar 2014 die Verantwortung für Module übernahmen, die zu Abfall wurden.

44.

Eine Voraussetzung der Herstellerverantwortung konnte allerdings bereits vor der Veröffentlichung der Richtlinie 2012/19 begründet werden, denn sie erfasst Photovoltaikmodule, die seit dem 13. August 2005, also vor der Veröffentlichung der Richtlinie am 24. Juli 2012, in Verkehr gebracht wurden.

45.

Eine solche Regelungstechnik verletzt nicht zwangsläufig die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Wie die Kommission, der Rat und das Parlament betonen, gilt eine neue Vorschrift vielmehr unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist (Rückanknüpfung). ( 13 ) Der Anwendungsbereich des Grundsatzes des Vertrauensschutzes darf nämlich nicht so weit erstreckt werden, dass die Anwendung einer neuen Regelung auf die künftigen Auswirkungen von zuvor entstandenen Sachverhalten schlechthin ausgeschlossen ist. ( 14 )

46.

Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass eine neue Rechtsnorm nicht auf vor diesem Zeitpunkt entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar ist. ( 15 ) Die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Rechtsvorschriften abgeschlossenen Handlungen fallen vielmehr weiterhin unter das alte Recht. ( 16 ) Das gilt etwa für eingetragene Marken, deren Eintragung nicht durch spätere Anforderungen in Frage gestellt werden soll. ( 17 )

47.

Die entscheidende Frage ist somit, ob die Einführung der abfallrechtlichen Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule, die die Hersteller bereits in Verkehr gebracht, also in der Regel verkauft hatten, die Rechtsfolgen einer abgeschlossenen Handlung verändert oder lediglich die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts regelt, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist.

48.

Bereits bei der Herstellung von Modulen müssen die Hersteller davon ausgehen, dass diese zu einem späteren Zeitpunkt zu Abfall werden. Aus diesem Blickwinkel scheint die Einführung der Herstellerverantwortung nur die künftigen Auswirkungen einer Situation zu regeln, die zuvor entstanden ist.

49.

In diesem Sinne hat der Gerichtshof jüngst eine Erhöhung der Kosten für die Abfallbewirtschaftung beurteilt. Dabei ging es um die Verlängerung der Dauer der Nachsorgephase einer stillgelegten Deponie, die zu erhöhten Kosten führte. Diese Kosten waren den ursprünglichen Besitzern der dort in der Vergangenheit abgelagerten Abfälle aufzuerlegen, da die Verlängerung der Nachsorge nur die künftige Wirkung der Ablagerung der Abfälle betraf, für die die ursprünglichen Abfallbesitzer verantwortlich waren. ( 18 ) Ähnlich beurteilte der Gerichtshof die Berechnung von künftigen Rentenansprüchen für Beschäftigungszeiten vor Erlass der betreffenden Richtlinie ( 19 ) und die Auswirkungen neuer Regelungen auf bestehende Arbeitsverträge. ( 20 )

50.

Allerdings würde eine einfache Übertragung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall verkennen, dass die abfallrechtliche Verantwortung für die in Verkehr gebrachten Photovoltaikmodule zum Zeitpunkt der Einführung der Herstellerverantwortung bereits geregelt war und in der Regel endgültig in die Vereinbarungen zwischen den Herstellern und den Nutzern eingeflossen ist.

51.

Art. 14 bzw. 15 der jeweils geltenden Abfallrichtlinie verlangte nämlich, dass die Mitgliedstaaten regelten, wer die Kosten für die Bewirtschaftung von Abfällen trägt. Diese Bestimmung überließ den Mitgliedstaaten die Wahl, ob sie die Kosten für die Abfallbewirtschaftung dem Besitzer, bei dem das Erzeugnis zu Abfall wurde, dem Hersteller oder bestimmten anderen Personen auferlegten.

52.

Soweit der jeweilige Mitgliedstaat bereits am 13. August 2005 eine Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule vorsah, verlangte Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 keine Änderung der Rechtslage und entfaltete daher praktisch auch keine Rückwirkung. Solche Mitgliedstaaten können daher auch nicht verpflichtet sein, ihre Regelung zu ändern, wenn sich zeigen sollte, dass Art. 13 Abs. 1 im Hinblick auf Photovoltaikmodule eine unzulässige Rückwirkung entfaltet.

53.

Falls der jeweilige Mitgliedstaat die abfallrechtliche Verantwortung aber zuvor anderen Personen auferlegt hatte, würde die Umsetzung von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 in bestehende Rechtsverhältnisse eingreifen. So konnte der Mitgliedstaat die abfallrechtliche Verantwortung nach der Abfallrichtlinie dem Besitzer auferlegen, bei dem das Erzeugnis zu Abfall wurde, also dem letzten Nutzer der Module. In diesem Fall musste der Hersteller annehmen, dass er die abfallrechtliche Verantwortung mit der Übergabe der Photovoltaikmodule an den Nutzer übertragen hatte, also selbst davon befreit wurde.

54.

Es ist davon auszugehen, dass diese Rechtslage mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen einherging: Hersteller und Nutzer von Photovoltaikmodulen mussten die geltende Regelung der abfallrechtlichen Verantwortung bei den vereinbarten Preisen berücksichtigen. Bei einer Herstellerverantwortung ist von höheren Preisen für Photovoltaikmodule auszugehen als bei einer Nutzerverantwortung, denn der Hersteller muss bei seiner Kalkulation die Kosten für die spätere Entsorgung berücksichtigen.

55.

Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2012/19 illustriert dies für Elektro- und Elektronikgeräte aus privaten Haushalten. Danach soll jeder Hersteller bereits beim Inverkehrbringen eines Produkts eine Garantie stellen, aus der sich ergibt, dass die Finanzierung der Entsorgung gewährleistet ist.

56.

Soweit der betreffende Mitgliedstaat ursprünglich eine Nutzerverantwortung vorsah, präzisiert die nachträgliche Einführung der Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Produkte somit – anders als in dem erwähnten Fall der Verlängerung der Nachsorgepflichten ( 21 ) – nicht bereits bestehende Verpflichtungen. Sie begründet auch keine neuen Verpflichtungen, mit denen ein umsichtiger Marktteilnehmer rechnen musste. Vielmehr werden Verpflichtungen und die damit verbundenen Kosten nachträglich zwischen verschiedenen Marktteilnehmern verschoben. Diese Marktteilnehmer können diese Verschiebung jedoch nicht mehr bei ihren Preisen berücksichtigen, weil die jeweiligen Geschäfte bereits abgeschlossen sind. Ein Ausgleich für diese zusätzliche Belastung der Hersteller ist auch nicht vorgesehen.

57.

Folglich greift die Einführung der Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Photovoltaikmodule in vor diesem Zeitpunkt entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen bzw. abgeschlossene Handlungen ein, soweit die Herstellerverantwortung noch nicht im innerstaatlichen Recht vorgesehen war.

58.

Diese Beurteilung akzeptiert die Kommission im Übrigen implizit, indem sie darlegt, Art. 13 der Richtlinie könne nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Gültigkeit von Vereinbarungen in Frage stelle, die Nutzer von Photovoltaikmodulen vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2012/19 aufgrund der damals geltenden tschechischen Regeln mit Entsorgungsunternehmen geschlossen hatten. Wenn aber darin eine Rückwirkung läge, so liegt eine solche auch darin, den Herstellern Entsorgungskosten aufzubürden, die bei der Vereinbarung der Preise für ihre Produkte noch den Nutzern oblagen.

b)   Ungleichbehandlung

59.

Im Übrigen stellte der Gesetzgeber bei der ursprünglichen Einführung einer Herstellerverantwortung für andere Elektro- und Elektronikaltgeräte in der Richtlinie 2002/96 durch den Erlass der Richtlinie 2003/108 ( 22 ) sicher, dass die Hersteller keine abfallrechtliche Verantwortung für „historische“ Altgeräte gewerblicher Nutzer tragen mussten, die vor dem 13. August 2005 in Verkehr gebracht wurden.

60.

Die Mitgliedstaaten durften vielmehr die Verantwortung für historische Altgeräte bei der Lieferung von Ersatzprodukten den Herstellern dieser neuen Produkte oder den Nutzern auferlegen. Bei der ersatzlosen Entledigung von diesen Geräten obliegen die Kosten in jedem Fall den Nutzern. Dazu hielt der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/108 fest, dass die Rücknahmeverpflichtung für Elektro- und Elektronik-Altgeräte, die in der Vergangenheit in Verkehr gebracht wurden, eine rückwirkende Verpflichtung geschaffen hätte, die nicht vorgesehen war und durch die bestimmte Hersteller wirtschaftlich ernsthaft gefährdet worden wären.

61.

Die Richtlinie 2003/108 schloss somit nicht nur die Rückwirkung aus, sondern räumte auch noch eine Übergangsfrist von etwa anderthalb Jahren ein.

62.

Im Vergleich mit diesen Herstellern anderer Elektro- und Elektronikgeräte wurden die Hersteller von Photovoltaikmodulen somit deutlich benachteiligt, denn ihre abfallrechtliche Verantwortung wurde nicht mit einer Übergangsfrist, sondern sogar rückwirkend zum13. August 2005 eingeführt. Daher werden nicht nur die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz von der Einführung einer Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Photovoltaikmodule berührt, sondern – wie Deutschland und die Tschechische Republik anmerken – auch der Grundsatz der Gleichbehandlung.

c)   Die Rechtfertigung der Rückwirkung

63.

Ausnahmsweise kann eine Rückwirkung zulässig sein, wenn das angestrebte Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist. ( 23 ) Darüber hinaus hat der Gerichtshof teilweise sogar verlangt, dass in der Begründung derartiger Entscheidungen die Umstände genannt werden, die die angestrebte Rückwirkung rechtfertigen. ( 24 )

64.

Da im vorliegenden Fall der Beginn der Regelung nicht auf einen Zeitpunkt vor Veröffentlichung der Richtlinie gelegt wurde, sind an diese Rechtfertigung keine übermäßigen Anforderungen zu stellen. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der Einführung einer Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Module und unter Berücksichtigung der damit verbundenen Ungleichbehandlung muss der Rechtfertigung jedoch ein gewisses Gewicht zukommen.

Ziele der Regelung

65.

Die Erwägungsgründe der Richtlinie 2012/19 lassen aber keine Gründe erkennen, die die Einführung der Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Photovoltaikmodule verlangen.

66.

In der Sache legt Deutschland zutreffend dar, dass die Einführung einer Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Produkte ungeeignet ist, die Hersteller gemäß dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/19 dazu zu bringen, bei der Gestaltung ihrer Produkte die Reparatur, mögliche Nachrüstung, Wiederverwendung, Zerlegung und das Recycling umfassend zu berücksichtigen und zu erleichtern. Denn die Hersteller wussten bei der Herstellung der bereits in Verkehr gebrachten Produkte noch nicht, dass ihnen später die Verantwortung für die Abfallbewirtschaftung übertragen würde. Das Vorbringen des Rates, die rückwirkende Einführung der Herstellerverantwortung sei zur Förderung der Kreislaufwirtschaft notwendig, überzeugt daher nicht. ( 25 )

67.

Auch das im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/19 niedergelegte Ziel der einheitlichen Herstellerverantwortung, eine vergleichbare wirtschaftliche Belastung sicherzustellen, würde mit der Änderung der Verantwortung für die zum Zeitpunkt der Regelung bereits in Verkehr gebrachten Produkte nicht erreicht. Vielmehr würden neue Belastungsunterschiede geschaffen, weil die Hersteller die im jeweiligen Mitgliedstaat zuvor bestehende Regelung der Verantwortung in ihren Preisen bereits berücksichtigt hatten.

68.

Die Entstehung der Richtlinie 2012/19 gibt ebenfalls keine Hinweise, warum gerade diese Regelung getroffen wurde, statt sie auf künftig in Verkehr gebrachte Module zu beschränken.

69.

Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah noch nicht vor, Photovoltaikmodule überhaupt in den Anwendungsbereich einzubeziehen, ( 26 ) und das Parlament lehnte eine Einbeziehung in der ersten Lesung noch ausdrücklich ab. ( 27 ) Auch beim Rat gab es zunächst noch Widerstand bestimmter Mitgliedstaaten, ( 28 ) doch in seinem gemeinsamen Standpunkt vertrat er schließlich die Auffassung, die Ausnahme für Photovoltaikmodule sei nicht gerechtfertigt. ( 29 ) Dies verstand die Kommission dahin gehend, dass der Rat vorschlug, den Geltungsbereich der Richtlinie ab dem Datum ihres Inkrafttretens auf Photovoltaikmodule auszudehnen. ( 30 ) Es gibt jedoch keine entsprechende Übergangsregelung, die etwa die Herstellerverantwortung auf Module begrenzen würde, die nach Inkrafttreten der Richtlinie in Verkehr gebracht wurden.

70.

Die Kommission ließ während des Gesetzgebungsverfahrens zwar eine Studie zur Einbeziehung von Photovoltaikmodulen in die Richtlinie erstellen, ( 31 ) doch diese Studie behandelt die Erstreckung der Herstellerverantwortung auf die beim Erlass der Regelung bereits in Verkehr gebrachten Module nicht.

71.

Auch haben das Parlament, der Rat und die Kommission im vorliegenden Verfahren keine überzeugenden Gründe für den Rückbezug der Herstellerverantwortung dargelegt.

72.

Zwar tragen sie vor, dass die Herstellerverantwortung aufgrund der Lebensdauer der Module von 25 Jahren nur mit sehr großer Verzögerung wirksam würde. Das Parlament verweist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit der Finanzierung der Entsorgung von Abfällen. Diese Überlegung kann es jedoch nicht rechtfertigen, rückwirkend in Vereinbarungen einzugreifen, die auf einer anderen Verteilung der Verantwortung beruhten.

73.

Anders als im bereits erwähnten Fall der Verlängerung der Nachsorgepflichten ( 32 ) ist ohne die Rückwirkung auch keine Finanzierungslücke zu befürchten. Denn für ältere Module würde die Kostenverantwortung auf den innerstaatlichen Bestimmungen zur Umsetzung der Abfallrichtlinie beruhen.

74.

Das von der Kommission angeführte Verursacherprinzip stellt das bisherige Ergebnis ebenfalls nicht in Frage. Es trifft zwar zu, dass das Verursacherprinzip die Verantwortung der Hersteller rechtfertigen kann. Aber wie Art. 14 der Abfallrichtlinie zeigt, erlaubt es auch, die derzeitigen Abfallbesitzer oder die früheren Abfallbesitzer – also insbesondere die Nutzer – heranzuziehen.

Vertrauen der Betroffenen

75.

Im Übrigen wurde auch das Vertrauen der Betroffenen nicht gebührend beachtet.

76.

Das Recht auf Vertrauensschutz steht jedem Einzelnen zu, wenn die Unionsverwaltung bei ihm begründete Erwartungen geweckt hat. Dagegen kann niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen, dem die Verwaltung keine konkreten Zusicherungen gegeben hat. Ist ferner ein umsichtiger und besonnener Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlass einer Unionsmaßnahme, die seine Interessen berühren kann, vorherzusehen, so kann er sich im Fall ihres Erlasses nicht auf den genannten Grundsatz berufen. ( 33 )

77.

Zwar ist keine spezifische Zusicherung der Unionsverwaltung ersichtlich, dass keine Herstellerverantwortung eingeführt würde. Vielmehr sah bereits Art. 13 der Richtlinie 2002/96 die Möglichkeit vor, Photovoltaikmodule in ihren Anwendungsbereich einzubeziehen.

78.

Die Hersteller durften allerdings bei der Vermarktung von Photovoltaikmodulen auf die innerstaatliche Regelung der abfallrechtlichen Verantwortung vertrauen, die ihrerseits die Abfallrichtlinie umsetzte. Diese Regelung war eine konkrete Zusicherung, die auf Vorgaben der Union beruhte.

79.

Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber dieses Vertrauen bei der Einführung der Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Photovoltaikmodule überhaupt berücksichtigt hat, von einer gebührenden Beachtung ganz zu schweigen.

80.

Auch die von den Institutionen hervorgehobene Regelung des Art. 13 der alten Richtlinie 2002/96, dass die Kommission Photovoltaikmodule in die frühere Regelung einbeziehen könne, führte nicht dazu, dass die Hersteller mit einer rückwirkenden Herstellerverantwortung rechnen mussten. Denn eine Rückwirkung ist von fundamental anderer Qualität als eine einfache Einbeziehung in das System. Das Fehlen einer erkennbaren Notwendigkeit der Rückwirkung bestätigt diese Einschätzung.

d)   Ähnliche Regelungen

81.

Die beteiligten Institutionen warnen allerdings, dass die Annahme einer unzulässigen Rückwirkung von Art. 13 der Richtlinie 2012/19 in Bezug auf Photovoltaikmodule auch andere Regelungen über die Herstellerverantwortung im Abfallrecht der Union in Frage stelle.

82.

Dieses Argument ist jedoch nicht geeignet, die bisherige Beurteilung der Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule in Zweifel zu ziehen. Im Gegenteil: Wenn es weitere Fälle unzulässiger Rückwirkung geben sollte, muss diese Regelungspraxis erst recht hinterfragt werden.

83.

Im Übrigen ist es nicht auszuschließen, dass die Rückwirkung in den anderen angeführten Fällen bei einer spezifischen Prüfung der jeweiligen Regelungen gerechtfertigt werden kann.

84.

So begründet die Richtlinie 2000/53/EG über Altfahrzeuge ( 34 ) eine Herstellerverantwortung für Altfahrzeuge, die lange vor Erlass der Richtlinie in Verkehr gebracht wurden. Jedoch hat es den Anschein, als ob die Belastung durch diese Verantwortung aufgrund des Restwerts der Fahrzeuge relativ begrenzt ist. ( 35 ) Im Übrigen sind Kraftfahrzeuge komplexe Produkte. Daher sind möglicherweise die Kenntnisse der Hersteller für die Entsorgung von besonderer Bedeutung.

85.

Für die zeitlich undifferenzierte Verantwortung der Hersteller von Batterien und Akkumulatoren nach Art. 16 Abs. 1 und 6 der Batterierichtlinie ( 36 ) kann möglicherweise das ansonsten erhöhte Risiko ins Feld geführt werden, dass diese häufig relativ kleinen Gegenstände mit dem Restmüll entsorgt werden. Darüber hinaus wäre eine individuelle Prüfung, wann sie in Verkehr gebracht wurden, aller Voraussicht nach unverhältnismäßig und in vielen Fällen vielleicht sogar unmöglich.

86.

Über all diese Fragen ist jedoch im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Folglich erübrigen sich weitere Überlegungen.

3.   Zwischenergebnis

87.

Somit ist festzuhalten, dass die Einführung der Herstellerverantwortung für bereits in Verkehr gebrachte Photovoltaikmodule durch Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 ohne ausreichende Rechtfertigung und Berücksichtigung des Vertrauens der Betroffenen in vor diesem Zeitpunkt entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen bzw. abgeschlossene Handlungen eingreift, soweit die Herstellerverantwortung noch nicht im innerstaatlichen Recht vorgesehen war.

88.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der zu schützenden Rechtspositionen ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Richtlinie, ( 37 ) in diesem Fall der 24. Juli 2012. Auf den Ablauf der Umsetzungsfrist kommt es insofern entgegen der Auffassung von Deutschland und der Tschechischen Republik nicht an, denn bereits vom Zeitpunkt der Veröffentlichung an mussten die Wirtschaftsteilnehmer damit rechnen, dass der jeweilige Mitgliedstaat die Verantwortung für die Entsorgung von Photovoltaikmodulen entsprechend der Richtlinie regeln würde.

89.

Erst mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an durften und mussten die Mitgliedstaaten daher die Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 einführen.

90.

Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 ist daher wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot ungültig, soweit er die Einführung einer zuvor im innerstaatlichen Recht nicht vorgesehenen Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule vorsieht, die die Hersteller zwischen dem 13. August 2005 und dem 24. Juli 2012 in Verkehr gebracht haben.

91.

Dagegen müssen die Mitgliedstaaten die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Photovoltaikmodulen anderer Nutzer als privater Haushalte, die nach der Veröffentlichung der Richtlinie 2012/19 am 24. Juli 2012 in Verkehr gebracht wurden, gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie den Herstellern auferlegen.

B. Zweite Frage – Auswirkung der innerstaatlichen Gesetzgebung

92.

Die zweite Frage ist darauf gerichtet, inwieweit die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden aufgrund der Verletzung des Unionsrechts davon beeinflusst wird, dass die unionsrechtswidrige innerstaatliche Regelung vor der Richtlinie erlassen wurde, aus der sich der angebliche Verstoß ergibt.

93.

Diese Frage wird nur für den Fall gestellt, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 eine Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule verlangt, die vor dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden. Aus der Beantwortung der ersten Frage ergibt sich, dass die Herstellerverantwortung zumindest für die Photovoltaikmodule eingeführt werden muss, die die Hersteller seit dem 24. Juli 2012 in Verkehr gebracht haben.

94.

Im Ausgangsfall ist zu bezweifeln, dass Module betroffen sind, die zwischen dem 24. Juli 2012 und dem 1. Januar 2013 in Verkehr gebracht wurden. Vysočina Wind hat das Solarkraftwerk nämlich schon 2009 in Betrieb genommen. Allerdings kann nicht mit letzter Gewissheit ausgeschlossen werden, dass das Unternehmen bestimmte Photovoltaikmodule des Kraftwerks erst in dem genannten Zeitraum erworben und aufgestellt hat.

95.

In der Sache ist zunächst festzustellen, dass die tschechische Regelung auf den ersten Blick dem Unionsrecht nicht widerspricht, denn sie betrifft den Zeitraum vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2012/19. Zu dieser Zeit galt für Photovoltaikmodule noch die allgemeine Regelung des Art. 14 Abs. 1 der Abfallrichtlinie, der durch die tschechische Regelung umgesetzt wurde. Art. 14 Abs. 1 sieht ausdrücklich vor, dass die Kosten der Abfallbewirtschaftung von dem Abfallersterzeuger oder von dem derzeitigen Abfallbesitzer oder den früheren Abfallbesitzern zu tragen sind. Die Einführung einer Herstellerverantwortung ist zwar in Art. 14 Abs. 2 geregelt, doch dabei handelt es sich lediglich um eine Option, die die Mitgliedstaaten wählen dürfen, aber nicht müssen.

96.

Ein Verstoß gegen das Unionsrecht könnte daher höchstens aus einer Vorwirkung der Richtlinie 2012/19 folgen. Die Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, dürfen nämlich während der Frist für deren Umsetzung keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden. ( 38 )

97.

Die tschechische Regelung wurde aber bereits am 30. Mai 2012 veröffentlicht, also fast zwei Monate vor der Veröffentlichung der Richtlinie 2012/19 am 24. Juli 2012. Die Richtlinie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft und konnte daher gegenüber der Tschechischen Republik keine Verpflichtungen begründen. ( 39 )

98.

Der vorliegende Fall zeigt jedoch, dass es nicht ausreicht, die Ziele einer Unionsregelung lediglich formal während der Umsetzungsfrist zu schützen. Denn die Richtlinie 2012/19 bringt einen politischen Kompromiss zwischen dem Rat und dem Parlament zum Ausdruck, der bereits am 21. Dezember 2011 zustande kam. ( 40 ) Der Tschechischen Republik waren somit beim Erlass der innerstaatlichen Regelung die Ziele der bald darauf in Kraft tretenden Unionsregelung bekannt. Eine solche Regelung zu umgehen und ihre Ziele ernstlich zu gefährden, wäre mit der Unionstreue unvereinbar. Gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 3 EUV unterlassen die Mitgliedstaaten nämlich alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten. ( 41 )

99.

Weil die Nutzer nach der tschechischen Regelung vorab die Kosten der Entsorgung von Photovoltaikmodulen tragen müssen, ist die Regelung auch geeignet, das in Art. 13 der Richtlinie 2012/19 niedergelegte Ziel der Herstellerverantwortung für diese Module ernstlich zu gefährden. Denn dadurch werden die Hersteller vollständig oder zumindest überwiegend von den Entsorgungskosten für die betreffenden Module entlastet.

100.

Somit kann der Umstand, dass ein Mitgliedstaat vor Erlass einer Richtlinie eine Regelung trifft, die mit der Richtlinie unvereinbar ist und ihre Ziele ernstlich gefährdet, seine Haftung für Schäden begründen, die Einzelnen deshalb entstehen. Eine solche Haftung beruht auf einer Verletzung der Loyalitätspflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie kommt in Betracht, wenn sich die am Regelungsverfahren beteiligten Unionsinstitutionen vor dem Erlass der innerstaatlichen Regelung bereits politisch auf die neue Unionsregelung geeinigt hatten und diese Einigung dem Mitgliedstaat bekannt war.

101.

Allerdings ist anzumerken, dass die Überlegungen zur Rückwirkung der Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule und zu den Loyalitätspflichten aufgrund der politischen Einigung im Regelungsverfahren Zweifel daran begründen, ob der Verstoß der tschechischen Regelung gegen die Loyalitätspflichten hinreichend qualifiziert ( 42 ) ist. Eine solche Qualifikation würde voraussetzen, dass die Tschechische Republik die Grenzen, die ihrem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. ( 43 ) Es erscheint aber nicht offenkundig, dass bei der Rückwirkung nicht – wie von der tschechischen Regierung vorgetragen – auf den Ablauf der Umsetzungsfrist, ( 44 ) sondern auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Richtlinie ( 45 ) abzustellen ist. Auch gibt es bislang noch keine einschlägige Rechtsprechung, die Loyalitätspflichten der Mitgliedstaaten vor Veröffentlichung einer Richtlinie identifiziert hätte. Abschließend muss über die Qualifikation eines etwaigen Verstoßes aber nicht entschieden werden, denn danach wird im vorliegenden Verfahren nicht gefragt und wahrscheinlich kommt es darauf auch nicht an. ( 46 )

V. Ergebnis

102.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1)

Auf die erste Frage ist zu antworten, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronik-Altgeräte es den Mitgliedstaaten verwehrt, die Kosten für die Sammlung, Behandlung, Verwertung und umweltgerechte Beseitigung von Photovoltaikmodulen anderer Nutzer als privater Haushalte, die nach der Veröffentlichung der Richtlinie am 24. Juli 2012 in Verkehr gebracht wurden, den Nutzern und nicht den Herstellern aufzuerlegen.

Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2012/19 ist dagegen ungültig, soweit er die Einführung einer zuvor im innerstaatlichen Recht nicht vorgesehenen Herstellerverantwortung für Photovoltaikmodule vorsieht, die die Hersteller zwischen dem 13. August 2005 und dem 24. Juli 2012 in Verkehr gebracht haben. Insofern können die Mitgliedstaaten die Kosten den Nutzern auferlegen.

2)

Auf die zweite Frage ist zu antworten, dass der Umstand, dass ein Mitgliedstaat vor Erlass einer Richtlinie eine Regelung trifft, die mit der Richtlinie unvereinbar ist und ihre Ziele ernstlich gefährdet, seine Haftung für Schäden begründen kann, die Einzelnen deshalb entstehen. Eine solche Haftung beruht auf einer Verletzung der Loyalitätspflicht nach Art. 4 Abs. 3 EUV. Sie kommt in Betracht, wenn sich die am Regelungsverfahren beteiligten Unionsinstitutionen vor dem Erlass der innerstaatlichen Regelung bereits politisch auf die neue Unionsregelung geeinigt hatten und diese Einigung dem Mitgliedstaat bekannt war.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte vom 4. Juli 2012 (ABl. 2012, L 197, S. 38).

( 3 ) Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428).

( 4 ) Vgl. Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 51), vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 30), und vom 25. März 2021, Balgarska Narodna Banka (C‑501/18, EU:C:2021:249, Rn. 113).

( 5 ) Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. 2008, L 312, S. 3).

( 6 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 (ABl. 2003, L 37, S. 24) in der Fassung der Richtlinie 2003/108/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Dezember 2003 (ABl. 2003, L 345, S. 106).

( 7 ) Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. 1975, L 194, S. 47) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. 2003, L 284, S. 1).

( 8 ) Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. 2006, L 114, S. 9).

( 9 ) Vgl. Urteile vom 1. Oktober 2020, Entoma (C‑526/19, EU:C:2020:769, Rn. 43), sowie vom 17. Dezember 2020, De Masi und Varoufakis/EZB (C‑342/19 P, EU:C:2020:1035, Rn. 35 und 36). Siehe zur Bedeutung des Wortlauts auch Urteile vom 24. November 2005, Deutsches Milch-Kontor (C‑136/04, EU:C:2005:716, Rn. 32), und vom 19. Dezember 2019, Puppinck u. a./Kommission (C‑418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 76).

( 10 ) Urteile vom 6. Oktober 2015, Schrems (C‑362/14, EU:C:2015:650, Rn. 67), vom 16. Juli 2020, Facebook Ireland und Schrems (C‑311/18, EU:C:2020:559, Rn. 161), und vom 17. September 2020, Compagnie des pêches de Saint-Malo (C‑212/19, EU:C:2020:726, Rn. 30).

( 11 ) Urteile vom 3. Dezember 1998, Belgocodex (C‑381/97, EU:C:1998:589, Rn. 26), vom 26. April 2005, Goed Wonen (C‑376/02, EU:C:2005:251, Rn. 32), vom 10. September 2009, Plantanol (C‑201/08, EU:C:2009:539, Rn. 43), und vom 10. Dezember 2015, Veloserviss (C‑427/14, EU:C:2015:803, Rn. 30).

( 12 ) Urteile vom 25. Januar 1979, Racke (98/78, EU:C:1979:14, Rn. 20), vom 26. April 2005, Goed Wonen (C‑376/02, EU:C:2005:251, Rn. 33), und vom 30. April 2019, Italien/Rat (Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer) (C‑611/17, EU:C:2019:332, Rn. 106).

( 13 ) Urteile vom 5. Dezember 1973, SOPAD (143/73, EU:C:1973:145, Rn. 8), vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-Meyer (C‑162/00, EU:C:2002:57, Rn. 49), und vom 6. Oktober 2015, Kommission/Andersen (C‑303/13 P, EU:C:2015:647, Rn. 49).

( 14 ) Urteile vom 16. Mai 1979, Tomadini (84/78, EU:C:1979:129, Rn. 21), vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-Meyer (C‑162/00, EU:C:2002:57, Rn. 55), und vom 6. Oktober 2015, Kommission/Andersen (C‑303/13 P, EU:C:2015:647, Rn. 49).

( 15 ) Urteile vom 16. Dezember 2010, Stichting Natuur en Milieu u. a. (C‑266/09, EU:C:2010:779, Rn. 32), vom 7. November 2013, Gemeinde Altrip u. a. (C‑72/12, EU:C:2013:712, Rn. 22), und vom 14. Mai 2020, Azienda Municipale Ambiente (C‑15/19, EU:C:2020:371, Rn. 57).

( 16 ) Urteil vom 27. Januar 2011, Flos (C‑168/09, EU:C:2011:29, Rn. 51).

( 17 ) Urteil vom 14. März 2019, Textilis (C‑21/18, EU:C:2019:199, Rn. 30 bis 32).

( 18 ) Urteil vom 14. Mai 2020, Azienda Municipale Ambiente (C‑15/19, EU:C:2020:371, Rn. 58).

( 19 ) Urteil vom 7. November 2018, O‘Brien (C‑432/17, EU:C:2018:879, Rn. 35 und 36).

( 20 ) Urteile vom 29. Januar 2002, Pokrzeptowicz-Meyer (C‑162/00, EU:C:2002:57, Rn. 52), und vom 12. September 2013, Kuso (C‑614/11, EU:C:2013:544, Rn. 31).

( 21 ) Siehe oben, Nr. 49.

( 22 ) Zitiert in Fn. 6.

( 23 ) Urteile vom 25. Januar 1979, Racke (98/78, EU:C:1979:14, Rn. 20), vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a. (212/80 bis 217/80, EU:C:1981:270, Rn. 10), vom 13. November 1990, Fédesa u. a. (C‑331/88, EU:C:1990:391, Rn. 45), und vom 28. November 2006, Parlament/Rat (C‑413/04, EU:C:2006:741, Rn. 75).

( 24 ) Urteil vom 1. April 1993, Diversinte und Iberlacta (C‑260/91 und C‑261/91, EU:C:1993:136, Rn. 10). Siehe auch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 1. Februar 1984, Ilford/Kommission (1/84 R, EU:C:1984:41, Rn. 19), die Urteile vom 11. Juli 1991, Crispoltoni (C‑368/89, EU:C:1991:307, Rn. 20), und vom 29. April 2004, Sudholz (C‑17/01, EU:C:2004:242, Rn. 36), sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in den Rechtssachen Crispoltoni (C‑368/89, EU:C:1991:125, Nr. 17) und Cargill/Kommission (C‑248/89, EU:C:1991:141, Nr. 52).

( 25 ) Ähnlich die Lage im Urteil vom 11. Juli 1991, Crispoltoni (C‑368/89, EU:C:1991:307, Rn. 18 und 19).

( 26 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (Neufassung) vom 3. Dezember 2008 (KOM[2008] 810 endgültig).

( 27 ) Zehnter Erwägungsgrund des Standpunkts des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 3. Februar 2011 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2011/…/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (Neufassung) (ABl. 2012, C 182E, S. 50).

( 28 ) Vgl. Ratsdokumente 16041/09 vom 17. November 2009, S. 2, und 17345/09 vom 14. Dezember 2009, S. 4.

( 29 ) Gemeinsamer Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (Neufassung) – vom Rat am 19. Juli 2011 festgelegt (Ratsdokument 7906/2/11).

( 30 ) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Art. 294 Abs. 6 AEUV betreffend den Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (WEEE) (KOM[2011] 478 endgültig).

( 31 ) Bio Intelligence Service, Study on Photovoltaic Panels: Supplementing the Impact Assessment for a recast of the WEEE Directive (2011).

( 32 ) Siehe oben, Nr. 49.

( 33 ) Urteile vom 11. März 1987, Van den Bergh en Jurgens und Van Dijk Food Products (Lopik)/EWG (265/85, EU:C:1987:121, Rn. 44), vom 15. Juli 2004, Di Lenardo und Dilexport (C‑37/02 und C‑38/02, EU:C:2004:443, Rn. 70), und vom 3. Dezember 2019, Tschechische Republik/Parlament und Rat (C‑482/17, EU:C:2019:1035, Rn. 153).

( 34 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September 2000 (ABl. 2000, L 269, S. 34).

( 35 ) Vgl. Commission Staff Working Document, Evaluation of Directive (EC) 2000/53 of 18 September 2000 on end-of-life vehicles, SWD(2021) 60 final vom 15. März 2021, S. 57 bis 59.

( 36 ) Richtlinie 2006/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über Batterien und Akkumulatoren sowie Altbatterien und Altakkumulatoren und zur Aufhebung der Richtlinie 91/157/EWG (ABl. 2006, L 266, S. 1).

( 37 ) Urteil vom 29. April 2004, Sudholz (C‑17/01, EU:C:2004:242, Rn. 35).

( 38 ) Urteile vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628, Rn. 45), vom 11. September 2012, Nomarchiaki Aftodioikisi Aitoloakarnanias u. a. (C‑43/10, EU:C:2012:560, Rn. 57), und vom 13. November 2019, Lietuvos Respublikos Seimo narių grupė (C‑2/18, EU:C:2019:962, Rn. 55).

( 39 ) Vgl. Urteil vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie (C‑129/96, EU:C:1997:628, Rn. 41).

( 40 ) 5. Spiegelstrich der Legislativen Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2012 zu dem Standpunkt des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Elektro- und Elektronik-Altgeräte (Neufassung) (07906/2/2011 – C7-0250/2011 – 2008/0241[COD]).

( 41 ) Vgl. Urteile vom 5. Mai 1981, Kommission/Vereinigtes Königreich (804/79, EU:C:1981:93, Rn. 28), und vom 2. Juni 2005, Kommission/Luxemburg (C‑266/03, EU:C:2005:341).

( 42 ) Vgl. Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 51), vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 30), und vom 25. März 2021, Balgarska Narodna Banka (C‑501/18, EU:C:2021:249, Rn. 113).

( 43 ) Urteile vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79, Rn. 55), und vom 4. Oktober 2018, Kantarev (C‑571/16, EU:C:2018:807, Rn. 105).

( 44 ) Vgl. Urteil vom 15. Januar 2019, E.B. (C‑258/17, EU:C:2019:17, Rn. 53).

( 45 ) Siehe oben, Nr. 88.

( 46 ) Siehe oben, Nr. 94.

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