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Document 62018CJ0349

Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 7. November 2019.
Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS) gegen Mbutuku Kanyeba u. a.
Vorabentscheidungsersuchen des Vredegerecht te Antwerpen.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Rechte und Pflichten der Fahrgäste – Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 – Art. 3 Nr. 8 – Beförderungsvertrag – Begriff – Fahrgast, der beim Einstieg in den Zug keine Fahrkarte hat – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Richtlinie 93/13/EWG – Art. 1 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 – Allgemeine Beförderungsbedingungen eines Eisenbahnunternehmens – Bindende Rechtsvorschriften – Vertragsstrafeklausel – Befugnisse des nationalen Gerichts.
Verbundene Rechtssachen C-349/18 bis C-351/18.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:936

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

7. November 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Rechte und Pflichten der Fahrgäste – Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 – Art. 3 Nr. 8 – Beförderungsvertrag – Begriff – Fahrgast, der beim Einstieg in den Zug keine Fahrkarte hat – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Richtlinie 93/13/EWG – Art. 1 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 – Allgemeine Beförderungsbedingungen eines Eisenbahnunternehmens – Bindende Rechtsvorschriften – Vertragsstrafeklausel – Befugnisse des nationalen Gerichts“

In den verbundenen Rechtssachen C‑349/18 bis C‑351/18

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen, Belgien) mit Entscheidungen vom 25. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2018, in den Verfahren

Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS)

gegen

Mbutuku Kanyeba (C‑349/18),

Larissa Nijs (C‑350/18),

Jean-Louis Anita Dedroog (C‑351/18)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Van Lul, C. Pochet und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und P. Vanden Heede als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2019

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2007, L 315, S. 14) sowie von Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und 6 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS) (Nationale Gesellschaft der belgischen Eisenbahnen) und Herrn Mbutuku Kanyeba (Rechtssache C‑349/18), Frau Larissa Nijs (Rechtssache C‑350/18) und Herrn Jean-Louis Anita Dedroog (Rechtssache C‑351/18) über Preiszuschläge, die von ihnen verlangt wurden, weil sie Zugfahrten ohne Beförderungsausweis unternommen hatten.

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

3

Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die [Europäische Union] Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften‘ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.“

4

Art. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1)   Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

(2)   Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die [Union] – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.“

5

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/13 lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:

a)

missbräuchliche Klauseln: Vertragsklauseln, wie sie in Artikel 3 definiert sind“.

6

Art. 3 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„(1)   Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

(2)   Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im Einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im Voraus abgefasst wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluss auf ihren Inhalt nehmen konnte.

(3)   Der Anhang enthält eine als Hinweis dienende und nicht erschöpfende Liste der Klauseln, die für missbräuchlich erklärt werden können.“

7

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

8

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“

Verordnung Nr. 1371/2007

9

Die Erwägungsgründe 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1371/2007 lauten:

„(1)

Im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik ist es wichtig, die Nutzerrechte der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr zu schützen und die Qualität und Effektivität der Schienenpersonenverkehrsdienste zu verbessern, um dazu beizutragen, den Verkehrsanteil der Eisenbahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern zu erhöhen.

(2)

In der Mitteilung der Kommission ‚Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006‘ [ABl. 2002, C 137, S. 2] ist das Ziel festgelegt, gemäß Artikel 153 Absatz 2 des Vertrags ein hohes Verbraucherschutzniveau im Bereich des Verkehrs zu erreichen.

(3)

Da der Fahrgast die schwächere Partei eines Beförderungsvertrags ist, sollten seine Rechte in dieser Hinsicht geschützt werden.“

10

Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1371/2007 sieht vor:

„Diese Verordnung enthält Vorschriften für

a)

die von den Eisenbahnunternehmen bereitzustellenden Informationen, den Abschluss von Beförderungsverträgen, die Ausgabe von Fahrkarten und die Umsetzung eines rechnergestützten Informations- und Buchungssystems für den Eisenbahnverkehr“.

11

Art. 3 der Verordnung Nr. 1371/2007 enthält folgende Begriffsbestimmungen:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

2.

‚Beförderer‘ das vertragliche Eisenbahnunternehmen, mit dem der Fahrgast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, oder eine Reihe aufeinanderfolgender Eisenbahnunternehmen, die auf der Grundlage dieses Vertrags haften;

8.

‚Beförderungsvertrag‘ einen Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung zwischen einem Eisenbahnunternehmen oder einem Fahrkartenverkäufer und dem Fahrgast über die Durchführung einer oder mehrerer Beförderungsleistungen;

10.

‚Durchgangsfahrkarte‘ eine oder mehrere Fahrkarten, die einen Beförderungsvertrag für aufeinanderfolgende durch ein oder mehrere Eisenbahnunternehmen erbrachte Eisenbahnverkehrsdienste belegen;

16.

‚Allgemeine Beförderungsbedingungen‘ die in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Tarifen in jedem Mitgliedstaat rechtsgültigen Bedingungen des Beförderers, die mit Abschluss des Beförderungsvertrages dessen Bestandteil geworden sind;

…“

12

Kapitel II („Beförderungsvertrag, Informationen und Fahrkarten“) der Verordnung Nr. 1371/2007 enthält ihre Art. 4 bis 10. Art. 4 („Beförderungsvertrag“) der Verordnung sieht vor:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels unterliegen der Abschluss und die Ausführung eines Beförderungsvertrags sowie die Bereitstellung von Informationen und Fahrkarten den Bestimmungen in Anhang I Titel II und III.“

13

Art. 9 der Verordnung Nr. 1371/2007, der die Verfügbarkeit von Fahrkarten, Durchgangsfahrkarten und Buchungen betrifft, bestimmt in den Abs. 2 bis 4:

„(2)   Unbeschadet des Absatzes 4 bieten die Eisenbahnunternehmen dem Fahrgast über mindestens einen der folgenden Vertriebswege Fahrkarten an:

a)

an Fahrkartenschaltern oder Fahrkartenautomaten,

b)

über das Telefon, das Internet oder jede andere in weitem Umfang verfügbare Informationstechnik,

c)

in den Zügen.

(3)   Unbeschadet der Absätze 4 und 5 bieten die Eisenbahnunternehmen für im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verträge geleistete Verkehrsdienste über mindestens einen der folgenden Vertriebswege Fahrkarten an:

a)

an Fahrkartenschaltern oder Fahrkartenautomaten,

b)

in den Zügen.

(4)   Die Eisenbahnunternehmen bieten die Möglichkeit an, Fahrkarten für den jeweiligen Verkehrsdienst im Zug zu erhalten, sofern dies nicht aus Gründen der Sicherheit, der Betrugsbekämpfung, der Reservierungspflicht oder aus vertretbaren kommerziellen Gründen eingeschränkt oder abgelehnt wird.“

14

Anhang I („Auszug aus den einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck [CIV]“) der Verordnung Nr. 1371/2007 besteht aus den Titeln II bis VII des Anhangs A zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980, geändert durch das Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (im Folgenden: COTIF). Anhang I enthält Titel II („Abschluss und Ausführung des Beförderungsvertrages“) des Anhangs A, der dessen Art. 6 bis 11 umfasst.

15

Art. 6 („Beförderungsvertrag“) des Anhangs A zum COTIF sieht vor:

„(1)   Durch den Beförderungsvertrag wird der Beförderer verpflichtet, den Reisenden sowie gegebenenfalls Reisegepäck und Fahrzeuge zum Bestimmungsort zu befördern und das Reisegepäck und die Fahrzeuge am Bestimmungsort auszuliefern.

(2)   Der Beförderungsvertrag ist in einem oder mehreren Beförderungsausweisen festzuhalten, die dem Reisenden auszuhändigen sind. Unbeschadet des Artikels 9 berührt jedoch das Fehlen, die Mangelhaftigkeit oder der Verlust des Beförderungsausweises weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrags, der weiterhin diesen Einheitlichen Rechtsvorschriften unterliegt.

(3)   Der Beförderungsausweis dient bis zum Beweis des Gegenteils als Nachweis für den Abschluss und den Inhalt des Beförderungsvertrages.“

16

Art. 7 („Beförderungsausweis“) des Anhangs A bestimmt in seinen Abs. 1 und 2:

„(1)   Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen bestimmen Form und Inhalt der Beförderungsausweise sowie die Sprache und die Schriftzeichen, die beim Druck und beim Ausfüllen zu verwenden sind.

(2)   In den Beförderungsausweis sind mindestens einzutragen:

c)

jede andere Angabe, die notwendig ist, Abschluss und Inhalt des Beförderungsvertrages zu beweisen, und die es dem Reisenden erlaubt, die Rechte aus diesem Vertrag geltend zu machen.“

17

Art. 8 Abs. 1 des Anhangs A regelt, dass, „[s]oweit zwischen dem Reisenden und dem Beförderer nichts anderes vereinbart ist, … der Beförderungspreis im Voraus zu zahlen [ist]“.

18

Art. 9 („Berechtigung zur Fahrt. Ausschluss von der Beförderung“) Abs. 1 des Anhangs A lautet:

„Der Reisende muss vom Beginn der Reise an mit einem gültigen Beförderungsausweis versehen sein und ihn bei der Prüfung der Beförderungsausweise vorzeigen. Die Allgemeinen Beförderungsbedingungen können vorsehen,

a)

dass ein Reisender, der keinen gültigen Beförderungsausweis vorzeigt, außer dem Beförderungspreis einen Zuschlag zu zahlen hat;

b)

dass ein Reisender, der die sofortige Zahlung des Beförderungspreises oder des Zuschlages verweigert, von der Beförderung ausgeschlossen werden kann;

c)

ob und unter welchen Bedingungen ein Zuschlag zu erstatten ist.“

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

19

Im Jahr 2015 wurde in Bezug auf Herrn Kanyeba viermal festgestellt, dass er unter Verstoß gegen die Art. 156 bis 160 der damals geltenden Beförderungsbedingungen der NMBS Zugfahrten unternommen hatte, ohne mit einem Beförderungsausweis versehen zu sein (Rechtssache C‑349/18). In den Jahren 2013 und 2015 wurden in Bezug auf Frau Nijs fünf entsprechende Feststellungen getroffen (Rechtssache C‑350/18). Desgleichen wurden in den Jahren 2014 und 2015 in Bezug auf Herrn Dedroog elf entsprechende Feststellungen getroffen (Rechtssache C‑351/18).

20

Die NMBS bot jeder dieser Personen die Möglichkeit an, ihre Situation dadurch in Einklang mit den Vorschriften zu bringen, dass sie entweder sofort den Fahrpreis zuzüglich des als „Bordtarif“ bezeichneten Aufpreises oder innerhalb von 14 Tagen nach dem festgestellten Verstoß einen Pauschalbetrag von 75 Euro oder – für die vor 2015 begangenen Verstöße – den Fahrpreis zuzüglich 60 Euro zahlt. Nach Ablauf dieser 14‑tägigen Frist hatten die Beklagten der Ausgangsverfahren noch die Möglichkeit, einen Pauschalbetrag von 225 Euro oder – für die vor 2015 begangenen Verstöße – den Fahrpreis zuzüglich 200 Euro zu zahlen.

21

Da keiner der Beklagten der Ausgangsverfahren von diesen Möglichkeiten Gebrauch machte, verklagte die NMBS sie bei dem vorlegenden Gericht, dem Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen, Belgien), damit sie in den Rechtssachen C‑349/18 bis C‑351/18 zur Zahlung von 880,20 Euro, 1103,90 Euro bzw. 2394 Euro zuzüglich der jeweiligen Kosten des Verfahrens verurteilt werden. Im Rahmen dieser Klagen macht die NMBS geltend, die Rechtsverhältnisse zwischen ihr und jedem der Beklagten der Ausgangsverfahren seien nicht vertraglicher, sondern verwaltungsrechtlicher Natur, da sie keinen Beförderungsausweis gekauft hätten. Die Beklagten ließen sich auf die Verfahren vor dem vorlegenden Gericht nicht ein.

22

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat es in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs von Amts wegen die Anwendung der Vorschriften über missbräuchliche Klauseln zu prüfen, wenn die Dienstleistung gegenüber einem Verbraucher erbracht wird. Es führt aus, dass die bei ihm anhängigen Rechtssachen zum einen „Verbraucher“ im Sinne der Lehre von missbräuchlichen Klauseln beträfen, da sich dieser Begriff auf „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“, beziehe, und zum anderen ein „Unternehmen“ im Sinne dieser Lehre, und verweist insoweit auf ein Urteil des Hof van Cassatie (Kassationshof, Belgien). Das vorlegende Gericht meint, es müsse daher die Anwendung dieser Lehre weiter prüfen, und möchte insoweit wissen, welcher Art das Rechtsverhältnis zwischen der NMBS und den Beklagten der Ausgangsverfahren ist, und infolgedessen, ob ein Beförderungsvertrag geschlossen wurde oder nicht.

23

Insoweit stellt es fest, dass die Rechtsgrundlage der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der NMBS, die die jeweiligen Rechte und Pflichten der NMBS und der Fahrgäste bestimmten, nicht eindeutig sei. Nach einer These handele es sich um rein vertragliche Klauseln. Nach einer zweiten These handele es sich um Verordnungen im Sinne des Verwaltungsrechts. Im belgischen Recht gebe es auch eine Kontroverse über die Art des Rechtsverhältnisses zwischen der NMBS und dem Fahrgast. Nach einer These sei dieses Verhältnis immer vertraglicher Natur, selbst wenn der Fahrgast keinen gültigen Beförderungsausweis habe. Durch den bloßen Umstand, dass man sich in den Bereich begebe, in dem man einen Beförderungsausweis besitzen müsse, komme ein Beförderungsvertrag zustande, der dann ein reiner vorformulierter Standardvertrag sei. Nach der zweiten These sei das Verhältnis vertraglich, wenn sich der Fahrgast einen Beförderungsausweis besorgt habe, aber verwaltungsrechtlich, wenn ein solcher Ausweis fehle. Dann liege nämlich keine Einigung vor, da der Fahrgast nicht beabsichtige, die Beförderung zu bezahlen, und die Beförderungsgesellschaft nicht beabsichtige, die Beförderung ohne Gegenleistung durchzuführen. Diese Kontroverse sei im belgischen Recht offenbar nicht mehr aktuell, da der Grondwettelijk Hof (Verfassungsgerichtshof, Belgien) und der Hof van Cassatie (Kassationshof) entschieden hätten, dass die Lehre von missbräuchlichen Klauseln auch für ein verwaltungsrechtliches Rechtsverhältnis gelte.

24

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Lehre von missbräuchlichen Klauseln einen bestehenden Vertrag voraussetze, und ist der Auffassung, dass der Begriff des Vertrags ein Begriff des Unionsrechts sei. Es bezieht sich insoweit auf Art. 9 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1371/2007 und möchte wissen, wann der Beförderungsvertrag abgeschlossen wird: zum Zeitpunkt des Eintritts in den Bereich, in dem es grundsätzlich erforderlich ist, einen Beförderungsausweis zu besitzen, oder zum Zeitpunkt des Kaufs des Beförderungsausweises.

25

Ferner ist es der Ansicht, dass die Frage, ob ein Beförderungsvertrag zustande gekommen sei, in Zusammenhang mit Art. 2 Buchst. a und Art. 3 der Richtlinie 93/13 zu bringen sei. In den bei ihm anhängigen Rechtssachen müssten die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der NMBS unabhängig davon, ob sie vertraglicher oder verwaltungsrechtlicher Natur seien, als Bedingungen betrachtet werden, die nicht im Sinne dieser zuletzt genannten Bestimmung im Einzelnen ausgehandelt worden seien.

26

In Anbetracht dieser Erwägungen möchte es wissen, ob zwischen einer Beförderungsgesellschaft und einem Fahrgast immer ein vertragliches Rechtsverhältnis zustande kommt, auch wenn der Fahrgast die Dienste des Beförderers in Anspruch nimmt, ohne sich einen Beförderungsausweis zu besorgen. Sollte dies nicht der Fall sein, möchte es wissen, ob die Lehre von missbräuchlichen Klauseln für den Fahrgast gilt, der öffentliche Verkehrsmittel benutzt, ohne sich einen Beförderungsausweis besorgt zu haben.

27

Für den Fall, dass der Gerichtshof bejahen sollte, dass die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der NMBS anhand der Lehre von missbräuchlichen Klauseln zu prüfen sind, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach belgischem Recht eine missbräuchliche Klausel nichtig sei und nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Unionsrecht im Wesentlichen dem entgegenstehe, dass ein nationales Gericht, das eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für nichtig erkläre, diesen Vertrag durch eine Änderung des Inhalts dieser Klausel ergänze. Die belgische Lehre habe jedoch kritisiert, dass dieses Verbot einer ergänzenden Wirkung des allgemeinen Rechts unzureichend differenziert sei. Das vorlegende Gericht möchte daher wissen, ob es Umstände geben kann, unter denen der Gewerbetreibende ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer Klausel hat, der Verbraucher jedoch ein Interesse daran hat, dass ihre Tragweite durch das Gericht gemäßigt wird, und ob in einem solchen Fall diese Umstände abstrakt definiert werden können.

28

Unter diesen Umständen hat das Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen) beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen, die in allen verbundenen Rechtssachen den gleichen Wortlaut haben, zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 9 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1371/2007 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. a und Art. 3 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen, dass immer ein vertragliches Rechtsverhältnis zwischen der Beförderungsgesellschaft und dem Fahrgast zustande kommt, selbst wenn dieser die Dienstleistung des Beförderers ohne Beförderungsausweis in Anspruch nimmt?

2.

Wenn die vorgenannte Frage zu verneinen ist, erstreckt sich dann der Schutz durch die Lehre von missbräuchlichen Klauseln auch auf einen Fahrgast, der sich ohne Beförderungsausweis eines öffentlichen Verkehrsmittels bedient und durch diese Vorgehensweise nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beförderers, die aufgrund ihres normativen Charakters oder durch ihre Bekanntmachung in einer amtlichen Veröffentlichung des Staates als allgemein verbindlich angesehen werden, zur Zahlung eines Zuschlags zum Fahrpreis verpflichtet ist?

3.

Steht Art. 6 der Richtlinie 93/13 – der Folgendes bestimmt: „Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann“ – in allen Fällen dem entgegen, dass das Gericht die als missbräuchlich eingestufte Klausel mäßigt oder an ihrer Stelle das allgemeine Recht anwendet?

4.

Wenn die vorgenannte Frage zu verneinen ist, unter welchen Umständen kann das nationale Gericht dann eine Mäßigung der als missbräuchlich eingestuften Klausel vornehmen oder sie durch das allgemeine Recht ersetzen?

5.

Wenn die vorgenannten Fragen nicht abstrakt beantwortet werden können, stellt sich die Frage, ob in dem Fall, dass die nationale Eisenbahngesellschaft einen Schwarzfahrer nach Ertappung zivilrechtlich durch einen Zuschlag, gegebenenfalls zuzüglich zum Fahrpreis, sanktioniert und das Gericht zu dem Schluss kommt, dass der geforderte Zuschlag missbräuchlich im Sinne von Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 3 der Richtlinie 93/13 ist, Art. 6 der Richtlinie 93/13 dem entgegensteht, dass das Gericht die Klausel für nichtig erklärt und das allgemeine Haftungsrecht zur Ersetzung des von der nationalen Eisenbahngesellschaft erlittenen Schadens anwendet?

Verfahren vor dem Gerichtshof

29

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. Juli 2018 sind die Rechtssachen C‑349/18 bis C‑351/18 zu gemeinsamem schriftlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

30

Zunächst ist zum einen festzustellen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage um Auslegung von Art. 9 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1371/2007 im Licht der Richtlinie 93/13 ersucht. Diese Verordnung enthält jedoch keine Bezugnahme auf die Richtlinie 93/13. Zudem ergibt sich aus einem Vergleich ihres jeweiligen Art. 1, dass diese Verordnung und diese Richtlinie verschiedene Zwecke bzw. Gegenstände haben. Folglich können die Bestimmungen der Richtlinie 93/13 nicht für die Auslegung der Verordnung Nr. 1371/2007 einschlägig sein (vgl. entsprechend Urteile vom9. September 2004, Meiland Azewijn, C‑292/02, EU:C:2004:499, Rn. 40, vom 15. Dezember 2011, Møller, C‑585/10, EU:C:2011:847, Rn. 37 und 38, und vom 11. September 2014, Kommission/Deutschland, C‑525/12, EU:C:2014:2202, Rn. 40).

31

Zum anderen ist, soweit das vorlegende Gericht mit der ersten Frage auf eine Auslegung von Art. 9 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1371/2007 abzielt, festzustellen, dass diese Bestimmung die Möglichkeit betrifft, Fahrkarten für den jeweiligen Verkehrsdienst im Zug zu erhalten, die Eisenbahnunternehmen grundsätzlich anzubieten haben. Aus den Vorlageentscheidungen geht jedoch hervor, dass es in den Ausgangsverfahren nicht so sehr um diese Möglichkeit geht, sondern um die Frage, ob bei einem Fahrgast, der mit dem Zug fährt, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben, aufgrund seines Einstiegs in den Zug davon ausgegangen werden muss, dass er ein Vertragsverhältnis mit dem Eisenbahnunternehmen im Sinne der Verordnung eingegangen ist. Daher ist es nicht Art. 9 Abs. 4 als solcher, der für die Zwecke der Ausgangsrechtsstreitigkeiten auszulegen ist.

32

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof jedoch Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Aus diesem Blickwinkel obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, die ihm gestellten Fragen umzuformulieren. Der Umstand, dass ein nationales Gericht eine Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, hindert den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung über die bei ihm anhängige Rechtssache von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei der Formulierung seiner Fragen darauf Bezug genommen hat oder nicht. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten vom einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania, C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen und der Begründung der Vorabentscheidungsersuchen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Situation, in der ein Fahrgast in einen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben, unter den Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

34

Gemäß Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 erfasst der Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Verordnung „einen Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung zwischen einem Eisenbahnunternehmen oder einem Fahrkartenverkäufer und dem Fahrgast über die Durchführung einer oder mehrerer Beförderungsleistungen“.

35

Es ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der sie gehört (Urteile vom 7. Juni 2005, VEMW u. a., C‑17/03, EU:C:2005:362, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. November 2012, Westbahn Management, C‑136/11, EU:C:2012:740, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

In Bezug auf den Wortlaut von Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 ist zum einen darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Vertrag“ in seiner allgemeinen Bedeutung eine Übereinstimmung deckungsgleicher Willen bezeichnet, die Rechtswirkungen entfalten soll. Zum anderen besteht die entsprechende Wirkung im Rahmen des Geltungsbereichs dieser Verordnung und unter Berücksichtigung des Wortlauts dieser Bestimmung hauptsächlich in der Pflicht des Eisenbahnunternehmens, dem Fahrgast eine oder mehrere Beförderungsleistungen zu erbringen, und in der Pflicht des Fahrgasts, den Preis zu zahlen, es sei denn, die Beförderungsleistung wird kostenlos erbracht.

37

Aus den Feststellungen in der vorstehenden Randnummer ergibt sich somit, dass sowohl das Eisenbahnunternehmen – durch die Gewährung des freien Zugangs zu seinem Zug – als auch der Fahrgast – durch den Einstieg in den Zug, um eine Fahrt zu unternehmen – ihre deckungsgleichen Willen bekunden, ein Vertragsverhältnis einzugehen, so dass die erforderlichen Voraussetzungen für den Nachweis des Bestehens eines Beförderungsvertrags grundsätzlich erfüllt sind. Anhand des Wortlauts von Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 lässt sich jedoch nicht feststellen, ob der Besitz einer Fahrkarte durch den Fahrgast eine unerlässliche Voraussetzung für die Annahme ist, dass ein „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Bestimmung besteht.

38

In Bezug auf den Zusammenhang, in dem Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 steht, ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Beförderungsvertrag“ in mehreren anderen Bestimmungen der Verordnung enthalten ist.

39

So definiert Art. 3 Nr. 10 der Verordnung den Begriff der Durchgangsfahrkarte als „eine oder mehrere Fahrkarten, die einen Beförderungsvertrag für aufeinanderfolgende durch ein oder mehrere Eisenbahnunternehmen erbrachte Eisenbahnverkehrsdienste belegen“.

40

Art. 4 der Verordnung, der speziell den „Beförderungsvertrag“ betrifft, sieht vor, dass „[v]orbehaltlich der Bestimmungen [des Kapitels II der Verordnung Nr. 1371/2007]... der Abschluss und die Ausführung eines Beförderungsvertrags sowie die Bereitstellung von Informationen und Fahrkarten den Bestimmungen in Anhang I Titel II und III [dieser Verordnung unterliegen]“.

41

Insoweit wird in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 u. a. Titel II des Anhangs A zum COTIF wiedergegeben, der den Abschluss und die Ausführung des Beförderungsvertrags betrifft. Gemäß Art. 6 Abs. 1 dieses Anhangs wird „[d]urch den Beförderungsvertrag … der Beförderer verpflichtet, den Reisenden sowie gegebenenfalls Reisegepäck und Fahrzeuge zum Bestimmungsort zu befördern und das Reisegepäck und die Fahrzeuge am Bestimmungsort auszuliefern“, und in Art. 6 Abs. 2 ist festgelegt, dass der Beförderungsvertrag in einem oder mehreren Beförderungsausweisen festzuhalten ist, die dem Reisenden auszuhändigen sind, und dass unbeschadet des Art. 9 des Anhangs A das Fehlen, die Mangelhaftigkeit oder der Verlust des Beförderungsausweises weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrags berühren, der weiterhin den durch das COTIF festgelegten Einheitlichen Rechtsvorschriften unterliegt. Art. 6 Abs. 3 des Anhangs A regelt ferner, dass der Beförderungsausweis bis zum Beweis des Gegenteils als Nachweis für den Abschluss und den Inhalt des Beförderungsvertrags dient.

42

Des Weiteren sieht Art. 7 des Anhangs A zum COTIF in Abs. 1 vor, dass die Allgemeinen Beförderungsbedingungen insbesondere Form und Inhalt der Beförderungsausweise bestimmen, und in Abs. 2 Buchst. c, dass insbesondere jede andere Angabe, die notwendig ist, Abschluss und Inhalt des Beförderungsvertrags zu beweisen, und die es dem Reisenden erlaubt, die Rechte aus diesem Vertrag geltend zu machen, in den Beförderungsausweis einzutragen ist.

43

Insoweit ist auch hervorzuheben, dass sich aus Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1371/2007 ergibt, dass die Eisenbahnunternehmen unbeschadet von Art. 9 Abs. 4 verpflichtet sind, dem Fahrgast über mindestens einen von drei – oder zwei, wenn es sich um Fahrkarten für im Rahmen gemeinwirtschaftlicher Verträge geleistete Verkehrsdienste handelt – der in diesen Bestimmungen aufgeführten Vertriebskanäle, zu denen das Angebot in den Zügen gehört, Fahrkarten anzubieten.

44

Zweitens ist festzustellen, dass aus Art. 8 Abs. 1 des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 aufgeführten Anhangs A zum COTIF hervorgeht, dass der Beförderungspreis nur dann im Voraus zu zahlen ist, wenn zwischen dem Reisenden und dem Beförderer nichts anderes vereinbart ist.

45

Im Übrigen trifft es zwar zu, dass Art. 9 des Anhangs A – vorbehaltlich dessen Art. 6 des Anhangs A anwendbar ist – in Abs. 1 Satz 1 vorsieht, dass der Reisende vom Beginn der Reise an mit einem gültigen Beförderungsausweis versehen sein und ihn bei der Prüfung der Beförderungsausweise vorzeigen muss. Allerdings bestimmt Art. 9 in Satz 2 Buchst. a bzw. b, dass die Allgemeinen Beförderungsbedingungen vorsehen können, dass ein Reisender, der keinen gültigen Beförderungsausweis vorzeigt, außer dem Beförderungspreis einen Zuschlag zu zahlen hat, und dass ein Reisender, der die sofortige Zahlung des Beförderungspreises oder des Zuschlags verweigert, von der Beförderung ausgeschlossen werden kann.

46

Nach Art. 3 Nr. 16 der Verordnung Nr. 1371/2007 erfasst der Begriff „Allgemeine Beförderungsbedingungen“ im Sinne dieser Verordnung aber „die in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Tarifen in jedem Mitgliedstaat rechtsgültigen Bedingungen des Beförderers, die mit Abschluss des Beförderungsvertrages dessen Bestandteil geworden sind“, wobei der „Beförderer“ in Art. 3 Nr. 2 der Verordnung als „das vertragliche Eisenbahnunternehmen, mit dem der Fahrgast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, oder eine Reihe aufeinanderfolgender Eisenbahnunternehmen, die auf der Grundlage dieses Vertrags haften“, definiert ist.

47

Da einem Fahrgast, der keinen gültigen Beförderungsausweis vorweist oder die sofortige Bezahlung des Beförderungsausweises verweigert, somit gemäß Art. 9 des in Anhang I der Verordnung Nr. 1371/2007 aufgeführten Anhangs A zum COTIF die Allgemeinen Beförderungsbedingungen entgegengehalten werden können und da diese nach Art. 3 Nr. 16 der Verordnung in Verbindung mit ihrem Art. 3 Nr. 2 für die Zwecke dieser Verordnung durch den Abschluss des Beförderungsvertrags zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Fahrgast dessen Bestandteil werden, ergibt sich daraus, dass ein solches Unternehmen, das freien Zugang zu seinen Zügen gewährt, und ein Fahrgast, der in einen solchen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, als Parteien eines Beförderungsvertrags im Sinne dieser Verordnung anzusehen sind, sobald sich dieser Fahrgast an Bord des Zuges befindet. Andernfalls könnten nämlich dem Fahrgast diese Allgemeinen Beförderungsbedingungen nicht auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1371/2007 entgegengehalten werden.

48

Aus diesen den Zusammenhang bildenden Umständen ergibt sich somit eindeutig, dass die Fahrkarte, die in Anhang A auch als „Beförderungsausweis“ bezeichnet wird, nur das Instrument ist, das den Beförderungsvertrag im Sinne der Verordnung Nr. 1371/2007 verkörpert.

49

Der Wortlaut von Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 und der Zusammenhang, in dem diese Bestimmung steht, führen daher zu dem Schluss, dass der Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Bestimmung für die Zwecke dieser Verordnung als unabhängig vom Besitz einer Fahrkarte durch den Fahrgast anzusehen und dahin zu verstehen ist, dass er eine Situation umfasst, in der ein Fahrgast in einen frei zugänglichen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben.

50

Diese Auslegung wird durch die mit der Verordnung Nr. 1371/2007 verfolgten Ziele bestätigt. Zum einen soll die Verordnung gemäß ihrem Art. 1 Buchst. a u. a. Vorschriften für den Abschluss von Beförderungsverträgen festlegen. Zum anderen wird im ersten Erwägungsgrund der Verordnung insbesondere betont, dass es im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik wichtig ist, die Nutzerrechte der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr zu schützen. Zudem geht aus dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung hervor, dass im Bereich des Verkehrs ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht werden muss, und nach ihrem dritten Erwägungsgrund sollten die Rechte des Fahrgasts in dieser Hinsicht geschützt werden, da er die schwächere Partei des Beförderungsvertrags ist.

51

Es liefe diesen Zielen zuwider, wenn man annähme, dass der Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne der Verordnung Nr. 1371/2007 dahin auszulegen ist, dass er nicht die Situation einschließt, in der ein Fahrgast in einen frei zugänglichen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben. Wenn nämlich die Annahme zulässig wäre, dass ein solcher Fahrgast nur deshalb, weil er beim Einstieg in den Zug keine Fahrkarte hat, nicht als Partei eines Vertragsverhältnisses mit dem Eisenbahnunternehmen, das freien Zugang zu seinen Zügen gewährt hat, angesehen werden könnte, dann könnte er aus ihm nicht zurechenbaren Umständen der Rechte beraubt werden, die diese Verordnung mit dem Abschluss eines Beförderungsvertrags verbindet, was dem mit dieser Verordnung verfolgten und in ihren Erwägungsgründen 1 bis 3 genannten Ziel des Schutzes der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr zuwiderlaufen würde.

52

Da die Verordnung Nr. 1371/2007 insoweit keine Bestimmungen enthält, lässt diese Auslegung zudem die Gültigkeit dieses Vertrags oder die Folgen unberührt, die mit der Nichterfüllung ihrer vertraglichen Pflichten durch eine der Parteien verbunden sein können, die in Ermangelung einer einschlägigen Bestimmung in der Verordnung weiterhin dem anwendbaren nationalen Recht unterliegen.

53

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Nr. 8 der Verordnung Nr. 1371/2007 dahin auszulegen ist, dass eine Situation, in der ein Fahrgast in einen frei zugänglichen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben, unter den Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

Zur zweiten Frage:

54

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Zur den Fragen 3 und 5

55

Mit seinen Fragen 3 und 5, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er ein nationales Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher vorgesehenen Vertragsstrafeklausel feststellt, daran hindert, die Höhe der mit dieser Klausel zulasten dieses Verbrauchers auferlegten Vertragsstrafe zu mäßigen oder die Klausel durch eine Bestimmung des nationalen dispositiven Rechts zu ersetzen. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht auch wissen, ob die Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass sie das nationale Gericht unter Umständen, wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede stehen, zudem daran hindert, die Bestimmungen seines nationalen Rechts über die außervertragliche Haftung anzuwenden.

56

Insoweit ist zunächst festzustellen, dass im vorliegenden Fall nach den in den Vorabentscheidungsersuchen enthaltenen Informationen die Vertragsstrafeklausel, die das vorlegende Gericht gegebenenfalls für missbräuchlich erklären könnte, Teil der Allgemeinen Beförderungsbedingungen der NMBS ist, hinsichtlich deren das vorlegende Gericht ausführt, dass sie „aufgrund ihres normativen Charakters... als allgemein verbindlich angesehen werden“ und Gegenstand einer „amtlichen Veröffentlichung des Staates“ sind.

57

Angesichts dieser Ausführungen ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 Vertragsklauseln, die u. a. auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie unterliegen.

58

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs erstreckt sich die in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehene Ausnahme, wie aus dem 13. Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, auf Bestimmungen des nationalen Rechts, die für die Vertragsparteien unabdingbar sind, und auf Bestimmungen, die von Gesetzes wegen greifen, d. h., wenn die Parteien sie nicht abbedungen haben, sowie auf Klauseln, die auf diesen Bestimmungen beruhen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. März 2013, RWE Vertrieb, C‑92/11, EU:C:2013:180, Rn. 26, vom 30. April 2014, Barclays Bank, C‑280/13, EU:C:2014:279, Rn. 30, 31 und 42, sowie Beschluss vom 7. Dezember 2017, Woonhaven Antwerpen, C‑446/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:954, Rn. 25).

59

Diese Ausnahme ist dadurch gerechtfertigt, dass grundsätzlich die Annahme zulässig ist, dass der nationale Gesetzgeber eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Parteien bestimmter Verträge getroffen hat, die der Unionsgesetzgeber ausdrücklich bewahren wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2014, Barclays Bank, C‑280/13, EU:C:2014:279, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 7. Dezember 2017, Woonhaven Antwerpen, C‑446/17, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:954, Rn. 26).

60

Diese Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13 hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs somit vom Vorliegen zweier Voraussetzungen ab. Erstens muss die Vertragsklausel auf einer Rechtsvorschrift beruhen, und zweitens muss diese Rechtsvorschrift bindend sein (Urteile vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 78, und vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 28).

61

Des Weiteren geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Wesentlichen hervor, dass diese Ausnahme die bindenden Rechtsvorschriften erfasst, die nicht den Umfang der Befugnisse des nationalen Gerichts bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel betreffen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Barclays Bank, C‑280/13, EU:C:2014:279, Rn. 39 und 40 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 7. August 2018, Banco Santander und Escobedo Cortés, C‑96/16 und C‑94/17, EU:C:2018:643, Rn. 44).

62

Die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen fällt in jedem Einzelfall in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Mai 2013, Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 33, und vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Bei dieser Prüfung hat das nationale Gericht zu berücksichtigen, dass die in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorgesehene Ausnahme – insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie, nämlich den Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Klauseln in Verträgen zwischen ihnen und Gewerbetreibenden – eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2014, Kušionová, C‑34/13, EU:C:2014:2189, Rn. 77, und vom 20. September 2018, OTP Bank und OTP Faktoring, C‑51/17, EU:C:2018:750, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

In Anbetracht dessen hat der Gerichtshof die Fragen 3 und 5 auf der Grundlage der Prämisse, deren Richtigkeit das vorlegende Gericht zu überprüfen hat, zu prüfen, dass die Klausel, bei der dieses in Betracht zieht, sie für missbräuchlich zu erklären, nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 ihrem Anwendungsbereich entzogen ist.

65

Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sehen die Mitgliedstaaten vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.

66

Der Gerichtshof hat diese Bestimmung dahin ausgelegt, dass das nationale Gericht alle Konsequenzen ziehen muss, die sich nach nationalem Recht aus der Feststellung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klausel ergeben, um sicher sein zu können, dass diese für den Verbraucher unverbindlich ist. Der Gerichtshof hat insoweit präzisiert, dass es dem nationalen Gericht obliegt, eine Vertragsklausel, die es für missbräuchlich hält, unangewendet zu lassen, damit sie den Verbraucher nicht bindet, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Mai 2013, Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 52).

67

Der Gerichtshof hat ebenfalls bereits entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, wenn das nationale Gericht die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, nach der das nationale Gericht durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag anpassen kann (Urteile vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 53). Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie einem nationalen Gericht, wenn es die Missbräuchlichkeit einer Vertragsstrafeklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, erlaubt, die dem Verbraucher auferlegte Vertragsstrafe herabzusetzen, statt die Klausel dem Verbraucher gegenüber gänzlich unangewendet zu lassen (Urteile vom 30. Mai 2013, Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 59, und vom 21. Januar 2015, Unicaja Banco und Caixabank, C‑482/13, C‑484/13, C‑485/13 und C‑487/13, EU:C:2015:21, Rn. 29).

68

Der Vertrag muss somit – abgesehen von der Änderung, die sich aus dem Wegfall der missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit ein solcher Fortbestand des Vertrags nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist (Urteile vom 30. Mai 2013, Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. Januar 2015, Unicaja Banco und Caixabank, C‑482/13, C‑484/13, C‑485/13 und C‑487/13, EU:C:2015:21, Rn. 28).

69

Stünde es dem nationalen Gericht frei, den Inhalt der missbräuchlichen Klauseln in einem solchen Vertrag abzuändern, könnte eine derartige Befugnis die Verwirklichung des langfristigen Ziels gefährden, das mit Art. 7 der Richtlinie 93/13 verfolgt wird. Denn diese Befugnis trüge dazu bei, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, der für die Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben. Diese blieben nämlich versucht, die betreffenden Klauseln zu verwenden, wenn sie wüssten, dass, selbst wenn die Klauseln für unwirksam erklärt werden sollten, der Vertrag gleichwohl im erforderlichen Umfang vom nationalen Gericht angepasst werden könnte, so dass das Interesse der Gewerbetreibenden auf diese Art und Weise gewahrt würde (Urteile vom 30. Mai 2013, Asbeek Brusse und de Man Garabito, C‑488/11, EU:C:2013:341, Rn. 58, und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70

Im Übrigen trifft es zu, dass der Gerichtshof eine Ausnahme von diesem Grundsatz zugelassen hat, indem er entschieden hat, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 das nationale Gericht nicht daran hindert, die missbräuchliche Klausel in Anwendung vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive nationale Vorschrift zu ersetzen, sofern diese Ersetzung mit dem Ziel von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 in Einklang steht und es ermöglicht, ein tatsächliches Gleichgewicht der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien und so ihre Gleichheit wiederherzustellen. Allerdings hat der Gerichtshof diese Möglichkeit auf die Fälle beschränkt, in denen die Ungültigerklärung der missbräuchlichen Klausel das Gericht verpflichten würde, den Vertrag insgesamt für nichtig zu erklären, wodurch der Verbraucher besonders nachteiligen Folgen ausgesetzt würde, so dass er dadurch bestraft würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Januar 2015, Unicaja Banco und Caixabank, C‑482/13, C‑484/13, C‑485/13 und C‑487/13, EU:C:2015:21, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 26. März 2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C‑70/17 und C‑179/17, EU:C:2019:250, Rn. 56 und 57).

71

In den Ausgangsverfahren ist indessen – vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht durchzuführenden Überprüfungen – nicht ersichtlich, dass die etwaige Ungültigerklärung der betreffenden Vertragsstrafeklausel zur Nichtigerklärung der gesamten Verträge führen und somit die Verbraucher besonders nachteiligen Folgen aussetzen würde.

72

Zu der Frage, ob es dem vorlegenden Gericht unter Umständen, wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede stehen, außerdem möglich wäre, die Vorschriften seines nationalen Rechts über die außervertragliche Haftung anzuwenden, genügt die Feststellung, dass der Zweck der Richtlinie 93/13 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 in der Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern besteht und sie keine Bestimmungen über die außervertragliche Haftung enthält.

73

Folglich bestimmt sich die Frage, ob Umstände, wie sie in den Ausgangsverfahren in Rede stehen, außerdem unter das Recht der außervertraglichen Haftung fallen können, nicht anhand der Richtlinie 93/13, sondern anhand des nationalen Rechts. Daher ist sie im Rahmen der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen nicht zu prüfen.

74

Nach alledem ist auf die Fragen 3 und 5 zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass er ein nationales Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher vorgesehenen Vertragsstrafeklausel feststellt, zum einen daran hindert, die Höhe der mit dieser Klausel zulasten dieses Verbrauchers auferlegten Vertragsstrafe zu mäßigen, und zum anderen daran hindert, die missbräuchliche Klausel in Anwendung nationaler vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen, es sei denn, der betreffende Vertrag kann bei Wegfall der missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen und die Nichtigerklärung des gesamten Vertrags setzt den Verbraucher besonders nachteiligen Folgen aus.

Zur vierten Frage

75

In Anbetracht der Antwort auf die Fragen 3 und 5 ist die vierte Frage nicht zu beantworten.

Kosten

76

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ist dahin auszulegen, dass eine Situation, in der ein Fahrgast in einen frei zugänglichen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben, unter den Begriff „Beförderungsvertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

 

2.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er ein nationales Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher vorgesehenen Vertragsstrafeklausel feststellt, zum einen daran hindert, die Höhe der mit dieser Klausel zulasten dieses Verbrauchers auferlegten Vertragsstrafe zu mäßigen, und zum anderen daran hindert, die missbräuchliche Klausel in Anwendung nationaler vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen, es sei denn, der betreffende Vertrag kann bei Wegfall der missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen und die Nichtigerklärung des gesamten Vertrags setzt den Verbraucher besonders nachteiligen Folgen aus.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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