EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62008CJ0014

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 25. Juni 2009.
Roda Golf & Beach Resort SL.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Juzgado de Primera Instancia e Instrucción nº 5 de San Javier - Spanien.
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen - Vorabentscheidungsersuchen - Zuständigkeit des Gerichtshofs - Begriff des Rechtsstreits - Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 - Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens - Notarielle Urkunde.
Rechtssache C-14/08.

European Court Reports 2009 I-05439

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2009:395

Rechtssache C‑14/08

Roda Golf & Beach Resort SL

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de Primera Instancia e Instrucción nº 5 de San Javier)

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Vorabentscheidungsersuchen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Begriff des Rechtsstreits – Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 – Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens – Notarielle Urkunde“

Leitsätze des Urteils

1.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Auf der Grundlage des Titels IV des Dritten Teils des Vertrages erlassener Rechtsakt – Verordnung Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten

(Art. 68 EG)

2.        Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Auf der Grundlage des Titels IV des Dritten Teils des Vertrages erlassener Rechtsakt – Verordnung Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten

(Art. 68 EG; Verordnung Nr. 1348/2000 des Rates)

3.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke – Verordnung Nr. 1348/2000 – Außergerichtliche Schriftstücke

(Verordnung Nr. 1348/2000 des Rates, Art. 16)

4.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke – Verordnung Nr. 1348/2000 – Geltungsbereich

(Art. 65 EG; Verordnung Nr. 1348/2000 des Rates, Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 14)

1.        Wenn der Gerichtshof mit einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 68 EG befasst ist, ist es nicht seine Sache, einen Streit über die Befugnis zu entscheiden, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen, die das vorlegende Gericht zu erlassen haben wird, sofern das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angegeben hat, dass die Entscheidung, die es im Ausgangsverfahren zu erlassen haben werde, letztinstanzlich ergehen werde.

(vgl. Randnrn. 24, 28-29)

2.        Während beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eines Gerichts eines Mitgliedstaats, der mit einem Antrag auf Zustellung gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke gemäß der Verordnung Nr. 1348/2000 befasst ist, angenommen werden kann, dass er als Verwaltungsbehörde handelt, ohne gleichzeitig einen Rechsstreit entscheiden zu müssen, gilt dies nicht für das Gericht, das über den Widerspruch gegen die Weigerung dieses Urkundsbeamten zu befinden hat, die beantragte Zustellung vorzunehmen. Der Gegenstand eines solchen Widerspruchs ist nämlich die Aufhebung dieser ablehnenden Entscheidung, von der geltend gemacht wird, dass sie ein Recht des Widerspruchsführers verletzt, nämlich sein Recht, bestimmte Schriftstücke auf den in der Verordnung Nr. 1348/2000 vorgesehenen Wegen zustellen zu lassen. Somit ist beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit anhängig, und es übt daher eine Rechtsprechungstätigkeit aus.

Dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in die Organisationsstruktur des vorlegenden Gerichts eingegliedert ist, stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Dieser Umstand ändert nämlich nichts am Rechtsprechungscharakter der Aufgabe, die das vorlegende Gericht im Rahmen des Verfahrens im Ausgangsrechtsstreit ausübt, da das betreffende Verfahren die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, von dem geltend gemacht wird, dass er ein Recht des Antragstellers verletzt.

(vgl. Randnrn. 37-40)

3.        Bei dem Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten handelt es sich um einen Begriff des Gemeinschaftsrechts. Das Ziel des Vertrags von Amsterdam, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit zu schaffen, und die Verlagerung der Regelung, die den Erlass von in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit fallenden Maßnahmen in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen ermöglicht, aus dem EU‑Vertrag in den EG-Vertrag belegen nämlich den Willen der Mitgliedstaaten, solche Maßnahmen in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu verankern und damit den Grundsatz der autonomen Auslegung dieser Maßnahmen festzulegen.

(vgl. Randnrn. 48, 50)

4.        Die Zustellung einer notariellen Urkunde außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens fällt in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen. Da das System der innergemeinschaftlichen Zustellung das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zum Ziel hat, kann die justizielle Zusammenarbeit, von der in Art. 65 EG und in der Verordnung Nr. 1348/2000 die Rede ist, nicht auf gerichtliche Verfahren beschränkt werden, sondern sie kann sich auch außerhalb des Rahmens eines gerichtlichen Verfahrens manifestieren, soweit sie grenzüberschreitende Bezüge hat und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

Diese weite Verständnis des Begriffs des außergerichtlichen Schriftstücks läuft auch nicht Gefahr, die Ressourcen der nationalen Gerichte zu überfordern, da zum einen gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1348/2000 die Mitgliedstaaten als Übermittlungs‑ oder Empfangsstellen für die Zustellung auch andere Stellen als die nationalen Gerichte benennen können und zum anderen Art. 14 dieser Verordnung jedem Mitgliedstaat freistellt, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Nach Art. 16 der Verordnung gelten diese beiden Bestimmungen auch für die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke.

(vgl. Randnrn. 55-56, 59-61)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

25. Juni 2009(*)

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Vorabentscheidungsersuchen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Begriff des Rechtsstreits – Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 – Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens – Notarielle Urkunde“

In der Rechtssache C‑14/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 68 EG, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia e Instrucción n° 5 de San Javier (Spanien) mit Entscheidung vom 3. Januar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Januar 2008, in dem Verfahren

Roda Golf & Beach Resort SL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter J. Klučka und U. Lõhmus, der Richterin P. Lindh sowie des Richters A. Arabadjiev (Berichterstatter),

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,

Kanzler: R. Grass,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Roda Golf & Beach Resort SL, vertreten durch E. López Ayuso, abogada,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Bascones als Bevollmächtigten,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch R. Adam als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

–        der lettischen Regierung, vertreten durch E. Balode-Buraka und E. Eihmane als Bevollmächtigte,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch G. Iván als Bevollmächtigten,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der slowakischen Regierung, vertreten durch J. Čorba als Bevollmächtigten,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Joris und F. Jimeno Fernández als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. März 2009

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (ABl. L 160, S. 37).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Widerspruchs der Roda Golf & Beach Resort SL (im Folgenden: Roda Golf) beim Juzgado de Primera Instancia e Instrucción n° 5 de San Javier (erstinstanzliches und Ermittlungsgericht Nr. 5 von San Javier) wegen der Weigerung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle dieses Gerichts, Empfängern im Vereinigten Königreich und in Irland außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eine notarielle Urkunde über eine Zustellung und Aufforderung zu übermitteln, in der Roda Golf die einseitige Auflösung von 16 Grundstückskaufverträgen erklärte, die sie mit jedem dieser Empfänger geschlossen hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschafts‑ und Völkerrecht

3        Mit Rechtsakt vom 26. Mai 1997 (ABl. C 261, S. 1) arbeitete der Rat der Europäischen Union auf der Grundlage von Art. K.3 des Vertrags über die Europäische Union (die Art. K bis K.9 des Vertrags über die Europäische Union sind durch die Art. 29 EU bis 42 EU ersetzt worden) das Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aus.

4        Dieses Übereinkommen ist nicht in Kraft getreten. Soweit sich der Wortlaut der Verordnung Nr. 1348/2000 an den Wortlaut des Übereinkommens anlehnt, ist im Rahmen der Erwägungsgründe dieser Verordnung der Erläuternde Bericht zum Übereinkommen (ABl. 1997, C 261, S. 26) herangezogen worden.

5        Die Verordnung Nr. 1348/2000 regelt die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten.

6        Der zweite Erwägungsgrund dieser Verordnung lautet:

„Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts muss die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und beschleunigt werden.“

7        In ihrem sechsten Erwägungsgrund heißt es:

„Die Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren in Zivilsachen setzt voraus, dass die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke unmittelbar und auf schnellstmöglichem Wege zwischen den von den Mitgliedstaaten benannten örtlichen Stellen erfolgt. …“

8        Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1348/2000 benennt jeder „Mitgliedstaat … die Behörden, Amtspersonen oder sonstigen Personen, die für die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke, die in einem anderen Mitgliedstaat zuzustellen sind, zuständig sind, im folgenden ‚Übermittlungsstellen‘ genannt“. Gemäß Art. 23 Abs. 1 teilen die Mitgliedstaaten diese Angaben der Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit, die sie im Amtsblatt veröffentlicht.

9        Aus den Mitteilungen des Königreichs Spanien gemäß Art. 23 (ABl. 2001, C 151, S. 4, und C 202, S. 10) geht hervor, dass in Spanien die Urkundsbeamten (Secretarios Judiciales) der Einzelrichter (Juzgados) und der Kollegialgerichte (Tribunales) Übermittlungsstellen sind.

10      Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000, der sich in ihrem Kapitel III („Außergerichtliche Schriftstücke“) befindet, bestimmt:

„Außergerichtliche Schriftstücke können zum Zweck der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat nach Maßgabe dieser Verordnung übermittelt werden.“

11      Art. 17 Buchst. b der Verordnung sieht die Erstellung eines Glossars über die Schriftstücke vor, die nach Maßgabe dieser Verordnung zugestellt werden können.

12      Dieses Glossar bildet Anhang II der Entscheidung 2001/781/EG der Kommission vom 25. September 2001 zur Erstellung eines Handbuchs über die Empfangsstellen und eines Glossars über die Schriftstücke, die nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 zugestellt werden können (ABl. L 298, S. 1, sowie – Berichtigungen – ABl. 2002, L 31, S. 88, und ABl. 2003, L 60, S. 3), in der durch die Entscheidung 2007/500/EG der Kommission vom 16. Juli 2007 (ABl. L 185, S. 24) geänderten Fassung. Es enthält die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 17 Buchst. b der Verordnung Nr. 1348/2000 übermittelten Angaben. In Bezug auf Spanien heißt es u. a.: „Bei den zustellbaren außergerichtlichen Schriftstücken handelt es sich um nichtgerichtliche Dokumente von Behörden, die nach spanischem Recht zustellungsbefugt sind.“

13      Die Verordnung Nr. 1348/2000 ist durch die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. L 324, S. 79) ersetzt worden, die ab dem 13. November 2008 in allen ihren Bestimmungen gilt.

14      Das Haager Übereinkommen vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen schafft einen Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen, der die Zustellung eines Schriftstücks über eine zentrale Behörde ermöglicht. Art. 17 des Übereinkommens ist der Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke gewidmet.

15      Nach ihrem Art. 20 Abs. 1 hat die Verordnung Nr. 1348/2000 Vorrang vor den Bestimmungen des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965.

 Nationales Recht

16      Das Gesetz 1/2000 über den Zivilprozess (Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575, im Folgenden: LEC) regelt in seinen Art. 223 und 224 die Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in Zivilsachen wie folgt:

„Art. 223. Organisationsmaßnahmen

1.      Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle erlässt die Organisationsmaßnahmen, durch die das Verfahren den im Gesetz vorgesehenen Gang nimmt.

2.      Organisationsmaßnahmen enthalten lediglich den Tenor, den Namen des erlassenden Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, das Datum sowie dessen Unterschrift.

Art. 224. Überprüfung von Organisationsmaßnahmen

1.      Organisationsmaßnahmen, durch die über Fragen entschieden wird, über die nach dem Gesetz durch richterliche Verfügung, Beschluss oder Urteil  entschieden werden muss, sind nichtig.

2.      Unbeschadet der im vorstehenden Absatz geregelten Fälle können Organisationsmaßnahmen auf Antrag der beschwerten Partei für nichtig erklärt werden, wenn sie gegen eine gesetzliche Bestimmung verstoßen oder wenn durch sie über eine Frage entschieden wird, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes der richterlichen Verfügung vorbehalten ist.

3.      Die Anfechtung im Sinne des vorstehenden Absatzes richtet sich nach den Bestimmungen über den Widerspruch.“

17      Zum Widerspruch, auf den Art. 224 LEC verweist, bestimmt Art. 454 LEC:

„Unanfechtbarkeit des Beschlusses über den Widerspruch

Außer in den Fällen, in denen die Beschwerde zulässig ist, findet gegen den Beschluss, mit dem über einen Widerspruch entschieden wird, kein Rechtsbehelf statt, unbeschadet der Möglichkeit, die den Gegenstand des Widerspruchs bildende Frage im Rahmen der Anfechtung der endgültigen Entscheidung erneut aufzuwerfen.“

18      Gemäß Art. 455 LEC ist gegen die Beschlüsse der Juzgados de Primera Instancia das Rechtsmittel der Berufung gegeben, sofern sie „endgültig“ sind oder „das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19      Am 2. November 2007 beantragte die Gesellschaft spanischen Rechts Roda Golf beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des vorlegenden Gerichts, gemäß der Verordnung Nr. 1348/2000 den zuständigen Empfangsstellen des Vereinigten Königreich Großbritanniens und Nordirland und Irlands 16 Schreiben zu übermitteln, die an Empfänger in diesen beiden Mitgliedstaaten gerichtet waren. Gegenstand der Schreiben war die einseitige Auflösung von Grundstückskaufverträgen, die Roda Golf mit diesen Empfängern geschlossen hatte. Ihr Inhalt stehe nicht in einem Bezug zu einem laufenden Gerichtsverfahren.

20      Wie aus den Akten hervorgeht, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof übermittelt hat, und wie die Widerspruchsführerin des Ausgangsverfahrens in ihren Erklärungen geltend gemacht hat, ließ diese bei einem Notar in San Javier eine Urkunde über eine Zustellung und Aufforderung aufnehmen, die unter Nr. 111 im Notariatsprotokollbuch eingetragen ist und den Notar verpflichtet, die betreffende Urkunde über den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle als nach der Mitteilung des Königreichs Spanien gemäß Art. 23 der Verordnung Nr. 1348/2000 zuständiger Stelle zuzustellen.

21      Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des vorlegenden Gerichts lehnte die Übermittlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urkunde mit der Begründung ab, dass ihre Zustellung nicht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens erfolge und daher nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000 falle.

22      Roda Golf legte gegen diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht Widerspruch ein. Sie machte u. a. geltend, dass außergerichtliche Schriftstücke gemäß der Verordnung Nr. 1348/2000 außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens zugestellt werden könnten.

23      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia e Instrucción n° 5 de San Javier das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Fällt die Zustellung von ausschließlich außergerichtlichen Schriftstücken zwischen Privatpersonen unter Nutzung der Sachmittel und des Personals der Gerichte der Europäischen Union und deren europäischer Regelung ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000, oder

2.      findet die Verordnung Nr. 1348/2000 nur im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und in einem laufenden gerichtlichen Verfahren Anwendung (Art. 61 Buchst. c EG, Art. 67 Abs. 1 EG und Art. 65 EG sowie sechster Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1348/2000)?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

24      Die Kommission erhebt zwei Einwände gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs hinsichtlich der Vorlagefragen. Erstens macht sie geltend, dass die Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren zu erlassen habe, ein endgültiger Beschluss sein werde, gegen den gemäß Art. 455 LEC die Berufung gegeben sei. Somit sei die Vorlage unzulässig, da nach Art. 68 EG nur diejenigen einzelstaatlichen Gerichte, deren Entscheidungen unanfechtbar seien, die Befugnis hätten, dem Gerichtshof im Rahmen des Titels IV des Dritten Teils des EG‑Vertrags Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

25      Insoweit ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 68 EG, sofern eine Frage der Auslegung von auf Titel IV des Dritten Teils des EG‑Vertrags gestützten Rechtsakten der Organe der Gemeinschaft bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt wird, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dieses Gericht dem Gerichtshof die Frage zur Entscheidung vorlegt, wenn es eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält.

26      Die im Rahmen des vorliegenden Verfahren gestellten Fragen betreffen die Auslegung der Verordnung Nr. 1348/2000. Da diese Verordnung vom Rat auf der Grundlage der Art. 61 Buchst. c EG und 67 Abs. 1 EG, die sich im Dritten Teil, Titel IV, des EG‑Vertrags befinden, erlassen worden ist, findet Art. 68 EG hier Anwendung.

27      Daher kann nur ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der Verordnung Nr. 1348/2000 zur Entscheidung vorlegen.

28      Hierzu hat der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge auf eine gewisse Heterogenität in der spanischen Rechtsprechung hingewiesen, was die Befugnis angeht, ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung einzulegen, wie sie das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren zu erlassen haben wird. Auch wenn die Kommission insoweit einige Beschlüsse anführt, denen zufolge ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, ist diese Frage doch nicht nur in der Rechtsprechung, sondern auch in der Lehre strittig, und ein Teil der Lehre schließt die Einlegung eines Rechtsmittels im Rahmen eines solchen Verfahrens ganz aus.

29      Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, diesen Streit zu entscheiden. Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angegeben, dass die Entscheidung, die es im Ausgangsverfahren zu erlassen haben werde, letztinstanzlich ergehen werde.

30      Der erste von der Kommission erhobene Unzuständigkeitseinwand ist daher zurückzuweisen.

31      Zweitens ist die Kommission der Auffassung, dass das vorlegende Gericht nicht mit einem Rechtsstreit, sondern mit einer „nichtrichterlichen Angelegenheit“ befasst sei. Der Gerichtshof sei deshalb nicht für die Entscheidung über die Vorlagefragen zuständig, da diese in einem Fall gestellt würden, in dem das nationale Gericht als Verwaltungsbehörde handele und keine Rechtsprungsaufgaben wahrnehme.

32      Den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, ist zu entnehmen, dass die Vorlagefragen anlässlich eines Widerspruchs gegen die Weigerung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gestellt worden sind, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Urkunde zuzustellen. Im Rahmen dieses Widerspruchs ist die Widerspruchsführerin des Ausgangsverfahrens die einzige Verfahrensbeteiligte.

33      Nach Artikel 234 EG, der gemäß Art. 68 EG auf Titel IV des Dritten Teils des EG‑Vertrags anwendbar ist, hängt die Anrufung des Gerichtshofes nicht davon ab, ob das Verfahren, in dem das nationale Gericht eine Vorlagefrage abfasst, streitigen Charakter hat (vgl. Urteil vom 17. Mai 1994, Corsica Ferries, C‑18/93, Slg. 1994, I‑1783, Randnr. 12)

34      Allerdings ergibt sich aus Art. 234 EG, dass die nationalen Gerichte den Gerichtshof nur anrufen können, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (vgl. Beschlüsse vom 18. Juni 1980, Borker, 138/80, Slg. 1980, 1975, Randnr. 4, vom 5. März 1986, Greis Unterweger, 318/85, Slg. 1986, 955, Randnr. 4, sowie Urteile vom 19. Oktober 1995, Job Centre, C‑111/94, Slg. 1995, I‑3361, Randnr. 9, und vom 14. Juni 2001, Salzmann, C‑178/99, Slg. 2001, I‑4421, Randnr. 14).

35      Handelt das vorlegende Organ als Verwaltungsbehörde, ohne dass es gleichzeitig einen Rechtsstreit zu entscheiden hat, kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass es eine Rechtsprechungstätigkeit ausübt. Das ist z. B. der Fall, wenn es über den Antrag auf Eintragung einer Gesellschaft im Register in einem Verfahren entscheidet, das nicht die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, der ein Recht des Antragstellers verletzt (vgl. Urteile Job Centre, Randnr. 11, und Salzmann, Randnr. 15, sowie vom 15. Januar 2002, Lutz u. a., C‑182/00, Slg. 2002, I‑547, Randnr. 14; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 16. Dezember 2008, Cartesio, C‑210/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 57).

36      Dagegen ist bei einem Gericht, das mit einer Berufung gegen die Entscheidung eines vorinstanzlichen Gerichts befasst ist, das mit der Führung eines Registers betraut ist und einem solchen Eintragungsantrag nicht stattgeben will, ein Rechtsstreit anhängig, und es übt eine Rechtsprechungstätigkeit aus, weil diese Berufung die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, von dem geltend gemacht wird, dass er ein Recht des Antragstellers verletzt (vgl. Urteil Cartesio, Randnr. 58). Daher ist das Berufungsgericht in einem solchen Fall grundsätzlich als ein Gericht anzusehen, das gemäß Art. 234 EG zur Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens befugt ist (vgl. zu diesen Fallkonstellationen insbesondere Urteile vom 15. Mai 2003, Salzmann, C‑300/01, Slg. 2003, I‑4899, vom 13. Dezember 2005, SEVIC Systems, C‑411/03, Slg. 2005, I‑10805, vom 11. Oktober 2007, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, C‑117/06, Slg. 2007, I‑8361, und Cartesio).

37      Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Während beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, der mit einem Antrag auf Zustellung gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke gemäß der Verordnung Nr. 1348/2000 befasst ist, angenommen werden kann, dass er als Verwaltungsbehörde handelt, ohne gleichzeitig einen Rechsstreit entscheiden zu müssen, gilt dies nicht für das Gericht, das über den Widerspruch gegen die Weigerung dieses Urkundsbeamten zu befinden hat, die beantragte Zustellung vorzunehmen.

38      Der Gegenstand eines solchen Widerspruchs ist nämlich die Aufhebung dieser ablehnenden Entscheidung, von der geltend gemacht wird, dass sie ein Recht der Widerspruchsführerin verletzt, nämlich ihr Recht, bestimmte Schriftstücke auf den in der Verordnung Nr. 1348/2000 vorgesehenen Wegen zustellen zu lassen.

39      Somit ist beim vorlegenden Gericht ein Rechtsstreit anhängig, und es übt daher eine Rechtsprechungstätigkeit aus.

40      Dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in die Organisationsstruktur des vorlegenden Gerichts eingegliedert ist, stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Dieser Umstand ändert nämlich nichts am Rechtsprechungscharakter der Aufgabe, die das vorlegende Gericht im Rahmen des Verfahrens im Ausgangsrechtsstreit ausübt, da das betreffende Verfahren die Aufhebung eines Rechtsakts zum Gegenstand hat, von dem geltend gemacht wird, dass er ein Recht der Antragstellerin verletzt.

41      Folglich ist auch der zweite von der Kommission erhobene Unzuständigkeitseinwand zurückzuweisen.

42      Der Gerichtshof ist somit für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig.

 Zu den Vorlagefragen

43      Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke zwischen Privatpersonen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000 fällt.

 Vorbemerkung

44      Vorab ist festzustellen, ob der Begriff des „außergerichtlichen Schriftstücks“ im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000 ein Begriff des Gemeinschaftsrechts oder aber ein solcher des nationalen Rechts ist.

45      Die spanische, die tschechische, die deutsche, die griechische, die lettische, die ungarische und die polnische Regierung vertreten die Ansicht, dass der Inhalt des Begriffs des außergerichtlichen Schriftstücks nach dem Recht der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt werden müsse. Die Verordnung Nr. 1348/2000 überlasse den Mitgliedstaaten die Entscheidung, ob außergerichtliche Schriftstücke zugestellt werden könnten und, wenn ja, welche. Sie verweisen hierzu auf Art. 17 Buchst. b der Verordnung, der als Durchführungsbestimmung zu dieser Verordnung die Erstellung eines Glossars über die Schriftstücke vorsehe, die zugestellt werden könnten, und machen geltend, dass in diesem Glossar Listen solcher Schriftstücke aufgestellt würden, deren Inhalt je nach Mitgliedstaat variiere.

46      Es ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1348/2000 die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessern und beschleunigen soll. Die Verordnung geht jedoch nicht so weit, den Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks genau und einheitlich zu definieren.

47      Die Verordnung überträgt in ihrem Art. 17 Buchst. b der Kommission die Aufgabe, in Abstimmung mit dem Mitgliedstaaten ein Glossar über die Schriftstücke zu erstellen, die zugestellt werden können. In der Einleitung dieses Glossars heißt es, dass die darin von den Mitgliedstaaten mitgeteilten Informationen nur Hinweischarakter hätten. Sein Inhalt zeigt allerdings, dass die Mitgliedstaaten unter der Aufsicht der Kommission die Schriftstücke, die aus ihrer Sicht nach Maßgabe dieser Verordnung zugestellt werden können, unterschiedlich definiert haben. Ungeachtet der Existenz des betreffenden Glossars ist der Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000 gleichwohl als ein Begriff des Gemeinschaftsrechts anzusehen.

48      Das Ziel des Vertrags von Amsterdam, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Gerechtigkeit zu schaffen und damit der Gemeinschaft eine neue Dimension zu geben, und die Verlagerung der Regelung, die den Erlass von in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit fallenden Maßnahmen in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen ermöglicht, aus dem EU‑Vertrag in den EG-Vertrag belegen nämlich den Willen der Mitgliedstaaten, solche Maßnahmen in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu verankern und damit den Grundsatz der autonomen Auslegung dieser Maßnahmen festzulegen (Urteil vom 8. November 2005, Leffler, C‑443/03, Slg. 2005, I‑9611, Randnr. 45).

49      Außerdem zeigt die Wahl der Form der Verordnung statt der von der Kommission ursprünglich vorgeschlagenen Form der Richtlinie (vgl. ABl. 1999, C 247 E, S. 11), welche Bedeutung der Gemeinschaftsgesetzgeber der unmittelbaren Anwendbarkeit und der einheitlichen Anwendung der Vorschriften der Verordnung Nr. 1348/2000 beimisst (Urteil Leffler, Randnr. 46).

50      Folglich handelt es sich bei dem Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000 um einen Begriff des Gemeinschaftsrechts.

 Zum Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000

51      Zur Frage, ob die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000 fällt, machen die spanische und die slowakische Regierung geltend, damit ein Dokument als außergerichtliches Schriftstück angesehen werden könne, müsse es in einem konkreten Bezug zu einem laufenden Gerichtsverfahren oder zur Einleitung eines solchen Verfahrens stehen.

52      Roda Golf, die deutsche, die griechische, die italienische, die lettische, die ungarische und die polnische Regierung sowie die Kommission sind entgegengesetzter Ansicht.

53      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 61 Buchst. c EG die Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 1348/2000 ist. Nach dieser Bestimmung können zum schrittweisen Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die in Art. 65 EG erwähnten Maßnahmen erlassen werden. Diese Maßnahmen, die den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen betreffen, schließen nach Art. 65 EG die Verbesserung und Vereinfachung des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke ein, soweit es für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

54      Ebenso heißt es im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1348/2000, dass für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts die Übermittlung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, die in einem anderen Mitgliedstaat zugestellt werden sollen, zwischen den Mitgliedstaaten verbessert und beschleunigt werden muss.

55      Art. 65 EG und die Verordnung Nr. 1348/2000 sollen demnach ein System der innergemeinschaftlichen Zustellung schaffen, dessen Ziel das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts ist.

56      Im Hinblick auf dieses Ziel kann die justizielle Zusammenarbeit, von der in dem betreffenden Artikel und in der Verordnung Nr. 1348/2000 die Rede ist, nicht auf gerichtliche Verfahren beschränkt werden. Diese Zusammenarbeit kann sich nämlich sowohl im Rahmen als auch außerhalb des Rahmens eines gerichtlichen Verfahrens manifestieren, soweit sie grenzüberschreitende Bezüge hat und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

57      Anders als die spanische, die polnische und die slowakische Regierung meinen, genügt der Umstand, dass im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1348/2000 nur die Wirksamkeit und Schnelligkeit der gerichtlichen Verfahren erwähnt wird, nicht, um jedes Schriftstück, das nicht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens verfasst worden ist, dem Anwendungsbereich dieser Verordnung zu entziehen. Der betreffende Erwägungsgrund verweist nämlich nur auf eine der logischen Folgen des Hauptzwecks der Verordnung. Dass im sechsten Erwägungsgrund die außergerichtlichen Schriftstücke im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahren erwähnt werden, ist folglich dahin zu verstehen, dass die Zustellung eines solchen Schriftstücks im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens beantragt werden kann.

58      Hinzu kommt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des vorlegenden Gerichts zum Zweck der Zustellung übermittelte Urkunde, wie aus Randnr. 20 des vorliegenden Urteils hervorgeht, von einem Notar aufgenommen worden ist und als solche ein außergerichtliches Schriftstück im Sinne von Art. 16 der Verordnung Nr. 1348/2000 darstellt.

59      Zu den von der spanischen und der polnischen Regierung geäußerten Befürchtungen, dass ein weites Verständnis des Begriffs des außergerichtlichen Schriftstücks die Ressourcen der nationalen Gerichte überfordern würde, ist festzustellen, dass die sich aus der Verordnung Nr. 1348/2000 ergebenden Pflichten im Bereich der Zustellung nicht zwingend die nationalen Gerichte treffen. So fällt die Benennung der Übermittlungs‑ und Empfangsstellen, bei denen es sich gemäß Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung um „Behörden, Amtspersonen oder sonstige Personen“ handeln kann, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Diesen steht es demnach frei, als Übermittlungs‑ oder Empfangsstellen für die Zustellung gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke andere Stellen als die nationalen Gerichte zu benennen.

60      Die Zustellung mit Hilfe von Übermittlungs‑ und Empfangsstellen ist außerdem nicht der einzige in der Verordnung Nr. 1348/2000 vorgesehene Weg der Zustellung. So steht es nach ihrem Art. 14 jedem Mitgliedstaat frei, Personen, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, gerichtliche Schriftstücke unmittelbar durch die Post zustellen zu lassen. Tatsächlich akzeptieren die meisten Mitgliedstaaten diese Art der Zustellung. Außerdem schließt die betreffende Verordnung gemäß ihrem Art. 15 nicht die unmittelbare Zustellung durch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen des Empfangsmitgliedstaats aus. Nach Art. 16 der Verordnung gelten diese beiden Bestimmungen auch für die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke.

61      Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Zustellung einer notariellen Urkunde wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1348/2000 fällt.

 Kosten

62      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Zustellung einer notariellen Urkunde wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens fällt in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Spanisch.

Top