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Document 32014H0135

2014/135/EU: Empfehlung der Kommission vom 12. März 2014 für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen Text von Bedeutung für den EWR

OJ L 74, 14.3.2014, p. 65–70 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

Legal status of the document In force

ELI: http://data.europa.eu/eli/reco/2014/135/oj

14.3.2014   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 74/65


EMPFEHLUNG DER KOMMISSION

vom 12. März 2014

für einen neuen Ansatz im Umgang mit unternehmerischem Scheitern und Unternehmensinsolvenzen

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2014/135/EU)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Ziel dieser Empfehlung ist es, zu gewährleisten, dass in finanziellen Schwierigkeiten befindliche wirtschaftlich bestandsfähige Unternehmen ungeachtet ihres Niederlassungsortes in der Union Zugang zu nationalen Insolvenzrahmen haben, die ihnen ermöglichen, frühzeitig eine Restrukturierung vorzunehmen, um eine Insolvenz zu verhindern und dadurch für Gläubiger, Beschäftigte, Anteilseigner und die Wirtschaft insgesamt ein Höchstmaß an Wert sicherzustellen. Darüber hinaus soll mit der Empfehlung redlichen Unternehmern, die von einem Konkurs betroffen sind, eine zweite Chance in der Union geboten werden.

(2)

Die nationalen Insolvenzrechtsvorschriften unterscheiden sich deutlich im Hinblick auf die Bandbreite an Verfahren, die Schuldnern in finanziellen Schwierigkeiten zur Restrukturierung ihres Unternehmens zur Verfügung stehen. In einigen Mitgliedstaaten ist das Spektrum der Verfahren insofern begrenzt, als die Unternehmen erst relativ spät im Rahmen eines formalen Insolvenzverfahrens eine Restrukturierung vornehmen können. In anderen Mitgliedstaaten ist eine Restrukturierung in einer früheren Phase möglich, doch sind die verfügbaren Verfahren insbesondere im Hinblick auf die Inanspruchnahme außergerichtlicher Verfahren nicht effizient genug oder weisen unterschiedliche Formerfordernisse auf.

(3)

Auch bei den nationalen Vorschriften, die Unternehmern eine zweite Chance bieten, indem ihnen insbesondere die im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit aufgelaufenen Schulden erlassen werden, bestehen große Unterschiede hinsichtlich der Dauer der Entschuldungsfrist und der Bedingungen für die Gewährung einer Entschuldung.

(4)

Die Diskrepanzen zwischen den nationalen Restrukturierungsrahmen und zwischen den nationalen Vorschriften, die redlichen Unternehmern eine zweite Chance ermöglichen, ziehen erhöhte Kosten und Unsicherheit bei der Bewertung von Investitionsrisiken in einem anderen Mitgliedstaat nach sich, fragmentieren die Bedingungen für den Zugang zu Krediten und führen zu unterschiedlichen Rückzahlungsquoten für die Gläubiger. Sie erschweren die Konzipierung und Annahme kohärenter Restrukturierungspläne für grenzüberschreitend tätige Unternehmensgruppen. Ganz allgemein können diese Diskrepanzen abschreckend auf Unternehmen wirken, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen wollen.

(5)

Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates (1) behandelt lediglich Fragen der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung, das anwendbare Recht und die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren. Mit dem Vorschlag der Kommission zur Änderung dieser Verordnung (2) soll der Anwendungsbereich der Verordnung auf Präventionsverfahren, die die Rettung eines wirtschaftlich bestandsfähigen Schuldners begünstigen, erweitert und Unternehmern eine zweite Chance gegeben werden. Die Diskrepanzen zwischen den im nationalen Recht verankerten Verfahren sind jedoch nicht Gegenstand der vorgeschlagenen Änderungen.

(6)

Am 15. November 2011 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung zu Insolvenzverfahren (3). Sie umfasste Empfehlungen für die Harmonisierung spezifischer Aspekte der nationalen Insolvenzordnungen, darunter die Bedingungen für die Erstellung von Restrukturierungsplänen, ihre Wirkungen und ihr Inhalt.

(7)

In ihrer Mitteilung über die Binnenmarktakte II vom 3. Oktober 2012 (4) führte die Kommission die Modernisierung des EU-Insolvenzrechts, um das Überleben von Unternehmen zu erleichtern und Unternehmern eine zweite Chance zu bieten, als eine Leitaktion auf. Die Kommission kündigte vor diesem Hintergrund an, sie werde analysieren, wie die Effizienz des nationalen Insolvenzrechts weiter gesteigert werden kann, um einheitliche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen, Unternehmer und natürliche Personen im Binnenmarkt zu schaffen.

(8)

Die Mitteilung der Kommission „Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen“ (5) vom 12. Dezember 2012 zeigt Bereiche auf, in denen die Unterschiede im Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten möglicherweise einem wirksamen Rechtsrahmen für Insolvenzverfahren im Binnenmarkt entgegenstehen. In der Mitteilung wird darauf hingewiesen, dass die Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen in diesen Bereichen dazu führen müsste, dass das Vertrauen von Unternehmen, Unternehmern und Privatpersonen in die Systeme anderer Mitgliedstaaten wächst und dadurch die Kreditbeschaffung und die Investitionstätigkeit gefördert werden.

(9)

Am 9. Januar 2013 nahm die Kommission den Aktionsplan Unternehmertum 2020 (6) an, in dem die Mitgliedstaaten unter anderem dazu aufgefordert werden, bis 2013 die Tilgungs- und Entschuldungsfrist für ehrliche Unternehmer nach Möglichkeit auf drei Jahre nach einer Insolvenz zu begrenzen und Unterstützungsdienste für frühe Restrukturierungen, Beratung zur Vermeidung von Insolvenzen und Unterstützung der KMU bei der Restrukturierung und Neugründung von Unternehmen zur Verfügung zu stellen.

(10)

Mehrere Mitgliedstaaten überprüfen derzeit ihre nationalen Insolvenzvorschriften mit Blick auf eine Verbesserung des Rahmens für Unternehmenssanierungen und die zweite Chance für Unternehmer. Infolgedessen ist es angezeigt, die Kohärenz dieser und künftiger Initiativen auf nationaler Ebene zu fördern, um das Funktionieren des Binnenmarkts zu stärken.

(11)

Die Kohärenz zwischen den nationalen Insolvenzrahmen muss verbessert werden, damit die Abweichungen und Ineffizienzen, die der frühzeitigen Restrukturierung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten und der Möglichkeit einer zweiten Chance für redliche Unternehmer im Wege stehen, abgebaut werden und auf diese Weise die Kosten einer Restrukturierung für Schuldner und Gläubiger gesenkt werden. Kohärentere und effizientere nationale Insolvenzregelungen würden die Rendite für alle Arten von Gläubigern und Investoren maximieren und grenzüberschreitende Investitionen fördern. Mehr Kohärenz würde außerdem die Restrukturierung von Unternehmensgruppen erleichtern, ungeachtet des Niederlassungsortes der Mitglieder der Gruppe in der Union.

(12)

Darüber hinaus trägt die Beseitigung von Hindernissen für die wirksame Restrukturierung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten dazu bei, Arbeitsplätze zu erhalten, und kommt der Wirtschaft insgesamt zugute. Auch ließe sich der Anteil der selbständigen Erwerbstätigkeit in den Mitgliedstaaten steigern, wenn den Unternehmern bessere Möglichkeiten geboten würden, eine zweite Chance zu ergreifen. Des Weiteren würden effiziente Insolvenzrahmen eine bessere Bewertung der mit Kreditvergabe- und Kreditaufnahmeentscheidungen verbundenen Risiken und eine reibungslose Anpassung für überschuldete Firmen ermöglichen, wodurch sich die wirtschaftlichen und sozialen Kosten beim Verschuldungsabbau minimieren ließen.

(13)

Kleine und mittlere Unternehmen würden von einem kohärenteren Ansatz auf Unionsebene profitieren, da sie nicht über die erforderlichen Ressourcen verfügen, um hohe Restrukturierungskosten zu schultern und um die in einigen Mitgliedstaaten effizienteren Restrukturierungsverfahren zu nutzen.

(14)

Auch die Steuerbehörden haben ein Interesse an einem effizienten Restrukturierungsrahmen für wirtschaftlich bestandsfähige Unternehmen. Durch die Umsetzung dieser Empfehlung sollten die Mitgliedstaaten in der Lage sein, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Erhebung und Beitreibung von Steuern unter Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der Steuergerechtigkeit sicherzustellen und bei Steuerhinterziehung, Steuervermeidung oder -missbrauch effiziente Maßnahmen einzuleiten.

(15)

Es ist angemessen, Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Wertpapierfirmen sowie Organismen für gemeinsame Anlagen, zentrale Gegenparteien, Zentralverwahrer und andere Finanzinstitute, für die spezielle Vorschriften für die Wiederherstellung und Abwicklung gelten, bei denen die nationalen Aufsichtsbehörden weitreichende Eingriffsbefugnisse haben, vom Anwendungsbereich dieser Empfehlung auszuschließen. Die Aspekte Überschuldung von Verbrauchern und Verbraucherinsolvenz fallen zwar nicht in den Anwendungsbereich dieser Empfehlung, doch sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, Möglichkeiten auszuloten, die Empfehlungen auch auf Verbraucher anzuwenden, da einige der dieser Empfehlung zugrunde liegenden Prinzipien auch für Verbraucher maßgeblich sein könnten.

(16)

Ein Restrukturierungsrahmen würde Schuldnern ermöglichen, ihre finanziellen Schwierigkeiten in einer frühen Phase anzugehen, in der ihre Insolvenz noch verhindert und die Fortführung ihres Unternehmens gesichert werden kann. Um potenzielle Risiken eines Missbrauchs des Verfahrens zu vermeiden, muss gewährleistet sein, dass die finanziellen Schwierigkeiten des Schuldners wahrscheinlich zu einer Insolvenz führen, und der Restrukturierungsplan muss die Insolvenz des Schuldners verhindern und die Bestandsfähigkeit des Unternehmens sichern können.

(17)

Damit die Effizienz gefördert und die Verzögerungen und Kosten verringert werden, sollten die nationalen präventiven Restrukturierungsrahmen flexible Verfahren beinhalten, die die gerichtlichen Formalitäten auf das notwendige und das im Hinblick auf den Schutz der Interessen der Gläubiger und anderer interessierter Parteien, die von dem Restrukturierungsplan betroffen sein dürften, verhältnismäßige Maß begrenzen. Um beispielsweise unnötige Kosten zu vermeiden und einem frühen Rückgriff auf das Verfahren Rechnung zu tragen, sollten die Schuldner grundsätzlich die Kontrolle über ihre Vermögenswerte behalten, und die Bestellung eines Mediators oder Beauftragten sollte nicht obligatorisch sein, sondern auf Einzelfallbasis erfolgen.

(18)

Ein Schuldner sollte bei Gericht eine Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen und die Aussetzung eines auf Antrag der Gläubiger eingeleiteten Insolvenzverfahrens beantragen können, wenn derartige Maßnahmen die Verhandlungen beeinträchtigen und die Aussichten auf eine Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners mindern könnten. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit den jüngsten Reformen in den Mitgliedstaaten und um ein Gleichgewicht zwischen den Rechten des Schuldners und der Gläubiger sicherzustellen, sollte die Aussetzung jedoch zunächst für höchstens vier Monate gewährt werden.

(19)

Der Restrukturierungsplan muss gerichtlich bestätigt werden, damit sichergestellt ist, dass die Einschränkung der Rechte der Gläubiger in einem angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen der Restrukturierung steht und die Gläubiger im Einklang mit der unternehmerischen Freiheit und dem Eigentumsrecht, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf haben. Das Gericht sollte daher einen Plan ablehnen, wenn die betreffende Restrukturierung die Rechte von Gläubigern, die mit dem Restrukturierungsplan nicht einverstanden sind, derart reduzieren dürfte, dass sich dadurch die Ansprüche, die ihnen ohne eine Restrukturierung des Unternehmens des Schuldners erwartungsgemäß zustünden, verringern würden.

(20)

Die Auswirkungen eines Konkurses, insbesondere das soziale Stigma, die rechtlichen Folgen und die dauerhafte Unfähigkeit, Schulden zu bedienen, stellen bedeutende Negativanreize für Unternehmer dar, die ein Unternehmen gründen oder eine zweite Chance erhalten wollen, obwohl erwiesen ist, dass Unternehmer, die Konkurs erlitten haben, beim zweiten Versuch mehr Chancen auf Erfolg haben. Daher sollten Schritte unternommen werden, um die negativen Auswirkungen eines Konkurses für Unternehmer zu verringern, indem nach einer maximalen Zeitspanne ein vollständiger Schuldenerlass vorgesehen wird —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

I.   ZIEL UND GEGENSTAND

1.

Diese Empfehlung zielt darauf ab, die Mitgliedstaaten zu ermutigen, einen Rahmen einzurichten, der die effiziente Restrukturierung wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten ermöglicht und redlichen Unternehmern eine zweite Chance einräumt, um auf diese Weise die unternehmerische Initiative, Investitionen und Beschäftigung zu fördern und dazu beizutragen, dass Hindernisse abgebaut werden, die dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes entgegenstehen.

2.

Mit dem Abbau dieser Hindernisse stellt die Empfehlung insbesondere auf Folgendes ab:

a)

Senkung der Kosten für die Bewertung von mit Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat verbundenen Risiken,

b)

Steigerung der Rückzahlungsquoten für Gläubiger und

c)

Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Restrukturierung von grenzüberschreitend tätigen Unternehmensgruppen.

3.

Diese Empfehlung sieht Mindeststandards für

a)

präventive Restrukturierungsrahmen und

b)

den Schuldenerlass für von einem Konkurs betroffene Unternehmer vor.

4.

Bei der Umsetzung dieser Empfehlung sollten die Mitgliedstaaten angemessene und effiziente Maßnahmen ergreifen können, um die Beitreibung von Steuern sicherzustellen, insbesondere in Fällen von Steuerhinterziehung, Steuervermeidung oder -missbrauch.

II.   BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

5.

Für die Zwecke dieser Empfehlung bezeichnet der Ausdruck

a)

„Schuldner“ eine natürliche oder juristische Person in finanziellen Schwierigkeiten, bei der die Möglichkeit einer Insolvenz besteht;

b)

„Restrukturierung“ die Änderung der Zusammensetzung, Bedingungen oder Struktur der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten von Schuldnern oder eine Kombination dieser Elemente, mit dem Ziel, die Fortführung der Tätigkeit der Schuldner in vollem Umfang oder teilweise zu ermöglichen;

c)

„Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen“ eine gerichtlich angeordnete Aussetzung des Rechts, einen Gläubigeranspruch gegen einen Schuldner durchzusetzen;

d)

„Gericht“ eine Einrichtung mit Kompetenzen in Angelegenheiten im Zusammenhang mit Präventionsverfahren, der die Mitgliedstaaten die Rolle eines Gerichts übertragen haben und deren Entscheidungen Gegenstand eines Rechtsmittels oder einer Nachprüfung durch eine Justizbehörde sein können.

III.   PRÄVENTIVER RESTRUKTURIERUNGSRAHMEN

A.   Verfügbarkeit eines präventiven Restrukturierungsrahmens

6.

Die Schuldner sollten Zugang zu einem Rahmen haben, der ihnen ermöglicht, ihr Unternehmen mit dem Ziel zu restrukturieren, eine Insolvenz abzuwenden. Der Rahmen sollte Folgendes vorsehen:

a)

der Schuldner sollte in der Lage sein, eine Restrukturierung in einer frühen Phase vorzunehmen, sobald offensichtlich ist, dass die Möglichkeit einer Insolvenz besteht;

b)

der Schuldner sollte die Kontrolle über den täglichen Betrieb seines Unternehmens behalten;

c)

der Schuldner sollte eine zeitweise Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen beantragen können;

d)

ein von der Mehrheit gemäß den nationalen Rechtsvorschriften angenommener Restrukturierungsplan sollte für alle Gläubiger verbindlich sein, vorausgesetzt, der Plan wird gerichtlich bestätigt;

e)

neue Finanzierungsmöglichkeiten, die für die Umsetzung eines Restrukturierungsplans erforderlich sind, sollten nicht als anfechtbare, nichtige oder relativ unwirksame Rechtshandlung erklärt werden, die der Gesamtheit der Gläubiger schadet.

7.

Das Restrukturierungsverfahren sollte weder langwierig noch kostenaufwändig sein und so flexibel gestaltet werden, dass weitere außergerichtliche Schritte ergriffen werden können. Die Einbeziehung des Gerichts sollte auf das erforderliche Maß begrenzt und im Hinblick auf den Schutz der Rechte der Gläubiger und anderer interessierter Parteien, die von dem Restrukturierungsplan betroffen sind, verhältnismäßig sein.

B.   Erleichterung der Verhandlungen über Restrukturierungspläne

Bestellung eines Mediators oder Beauftragten

8.

Die Schuldner sollten eine Restrukturierung ihres Unternehmens einleiten können, ohne dass formal ein gerichtliches Verfahren eröffnet werden muss.

9.

Die Bestellung eines Mediators oder eines Beauftragten durch das Gericht sollte nicht obligatorisch sein, sondern auf Einzelfallbasis erfolgen, wenn das Gericht eine solche Bestellung für erforderlich hält:

a)

Im Falle eines Mediators erfolgt die Bestellung zur Unterstützung des Schuldners und der Gläubiger, damit erfolgreiche Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan geführt werden können.

b)

Im Falle eines Beauftragten erfolgt die Bestellung zur Beaufsichtigung der Tätigkeiten des Schuldners und der Gläubiger und zur Ergreifung der Maßnahmen, die notwendig sind, um die legitimen Interessen eines oder mehrerer Gläubiger oder einer anderen interessierten Partei zu wahren.

Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen und von Insolvenzverfahren

10.

Die Schuldner sollten das Recht haben, bei einem Gericht die zeitweise Aussetzung einzelner Durchsetzungsmaßnahmen (im Folgenden: „Aussetzung“) zu beantragen, die von Gläubigern, einschließlich besicherten und bevorrechtigten Gläubigern, angemeldet wurden und die die Aussichten für einen Restrukturierungsplan andernfalls mindern würden. Die Aussetzung sollte nicht die Durchführung laufender Verträge behindern.

11.

In Mitgliedstaaten, die die Gewährung einer Aussetzung an bestimmte Bedingungen knüpfen, sollte Schuldnern auf jeden Fall eine Aussetzung gewährt werden können, wenn

a)

die Gläubiger, auf die ein signifikanter Anteil der Forderungen entfällt und die voraussichtlich von dem Restrukturierungsplan betroffen sein werden, die Verhandlungen über die Annahme eines Restrukturierungsplans befürworten und

b)

für einen Restrukturierungsplan eine realistische Aussicht besteht, dass er umgesetzt wird und die Insolvenz des Schuldners abwendet.

12.

Die Verpflichtung des Schuldners, Insolvenz zu beantragen, und die nach der Gewährung einer Aussetzung eingereichten Anträge der Gläubiger auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen einen Schuldner sollten für die Dauer der Aussetzung ebenfalls ausgesetzt werden, sofern sie in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

13.

Die Dauer der Aussetzung sollte ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Schuldners und der Gläubiger, insbesondere der besicherten Gläubiger, sicherstellen. Daher sollte die Dauer der Aussetzung auf der Grundlage der Komplexität der geplanten Restrukturierung festgelegt werden und vier Monate nicht überschreiten. Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass der Zeitraum bei nachweislichen Fortschritten in den Verhandlungen über einen Restrukturierungsplan verlängert werden kann. Die Dauer der Aussetzung sollte zwölf Monate nicht übersteigen.

14.

Ist die Aussetzung zur Erleichterung der Annahme eines Restrukturierungsplans nicht länger erforderlich, so sollte die Aussetzung aufgehoben werden.

C.   Restrukturierungspläne

Inhalt von Restrukturierungsplänen

15.

Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Gerichte Pläne je nach Zweckmäßigkeit und grundsätzlich im schriftlichen Verfahren bestätigen. Sie sollten klare und spezifische Bestimmungen über den Inhalt von Restrukturierungsplänen niederlegen. Die Restrukturierungspläne sollten eine detaillierte Beschreibung folgender Elemente enthalten:

a)

klare und vollständige Identifizierung der Gläubiger, die der Plan beträfe;

b)

Auswirkungen der vorgeschlagenen Restrukturierung auf Einzelforderungen oder Kategorien von Forderungen;

c)

Standpunkt der betroffenen Gläubiger zum Restrukturierungsplan;

d)

gegebenenfalls die Bedingungen für neue Finanzierungsmöglichkeiten und

e)

das Potenzial des Plans, die Insolvenz des Schuldners abzuwenden und die wirtschaftliche Bestandsfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

Annahme von Restrukturierungsplänen durch Gläubiger

16.

Um die Aussichten auf eine Restrukturierung und damit die Anzahl der Sanierungen wirtschaftlich bestandsfähiger Unternehmen zu erhöhen, sollten Bestimmungen für die Annahme eines Restrukturierungsplans durch die betroffenen Gläubiger, einschließlich der besicherten und unbesicherten Gläubiger, vorgesehen werden.

17.

Gläubiger mit unterschiedlichen Interessen sollten in unterschiedlichen Klassen behandelt werden, die ihre jeweiligen Interessen widerspiegeln. Zumindest sollte zwischen der Klasse der besicherten und der unbesicherten Gläubiger unterschieden werden.

18.

Ein Restrukturierungsplan sollte von den Gläubigern, auf die der mehrheitliche Anteil der Gläubigerforderungen in jeder Klasse entfällt, gemäß den nationalen Rechtsvorschriften angenommen werden. Gibt es mehr als zwei Gläubigerklassen, so sollten die Mitgliedstaaten Bestimmungen aufrechterhalten oder einführen können, die den Gerichten die Befugnis übertragen, unter besonderer Berücksichtigung des Gewichts der Forderungen der Gläubigerklassen die von einer Mehrheit dieser Gläubigerklassen getragenen Restrukturierungspläne zu bestätigen.

19.

Für Gläubiger sollten unabhängig von ihrem Standort die gleichen Ausgangsbedingungen gelten. Ist nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ein formales Abstimmungsverfahren erforderlich, so sollte den Gläubigern grundsätzlich die Abstimmung per Fernkommunikationsmittel erlaubt sein, etwa per Einschreiben oder über sichere elektronische Technologien.

20.

Für eine wirksamere Annahme von Restrukturierungsplänen sollten die Mitgliedstaaten außerdem sicherstellen, dass Restrukturierungspläne auch von bestimmten Gläubigern oder bestimmten Arten oder Klassen von Gläubigern angenommen werden können, sofern andere Gläubiger nicht betroffen sind.

Gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans

21.

Der Rechtssicherheit halber und um zu gewährleisten, dass die Rechte der Gläubiger nicht übermäßig durch einen Restrukturierungsplan beeinträchtigt werden, sollten Restrukturierungspläne, die die Interessen von Gläubigern beeinträchtigen, die mit dem Restrukturierungsplan nicht einverstanden sind, oder Vorkehrungen für die Erschließung neuer Finanzierungsmöglichkeiten vorsehen, gerichtlich bestätigt werden, um Verbindlichkeit zu erlangen.

22.

Die Bedingungen, unter denen ein Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigt werden kann, sollten klar in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten präzisiert werden und mindestens Folgendes festlegen:

a)

Der Restrukturierungsplan wurde unter Voraussetzungen angenommen, die den Schutz der legitimen Interessen der Gläubiger sicherstellen;

b)

der Restrukturierungsplan wurde allen voraussichtlich betroffenen Gläubigern mitgeteilt;

c)

der Restrukturierungsplan schränkt die Rechte von Gläubigern, die mit dem Restrukturierungsplan nicht einverstanden sind, nicht derart ein, dass sich dadurch die Ansprüche, die ihnen ohne eine Restrukturierung im Falle der Liquidierung oder der Veräußerung des Unternehmens des Schuldners zum Unternehmenswert erwartungsgemäß zustünden, verringern würden;

d)

alle im Restrukturierungsplan vorgesehenen neuen Finanzierungsmöglichkeiten sind zur Umsetzung des Plans notwendig und schaden nicht in ungebührlicher Weise den Interessen von Gläubigern, die mit dem Restrukturierungsplan nicht einverstanden sind.

23.

Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Gerichte Restrukturierungspläne ablehnen können, die eindeutig keine Aussicht darauf haben, die Insolvenz des Schuldners abzuwenden und die wirtschaftliche Bestandsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, da beispielsweise keine neuen Finanzierungsmöglichkeiten vorgesehen sind, um die Unternehmenstätigkeit fortzuführen.

Rechte der Gläubiger

24.

Alle Gläubiger, die voraussichtlich von dem Restrukturierungsplan betroffen sind, sollten über den Inhalt des Plans in Kenntnis gesetzt werden und berechtigt sein, Einwendungen vorzubringen oder gegen den Restrukturierungsplan Rechtsmittel einzulegen. Allerdings sollten die Rechtsmittel im Interesse der Gläubiger, die den Plan unterstützen, nicht grundsätzlich die Umsetzung des Restrukturierungsplans aussetzen.

Auswirkungen eines Restrukturierungsplans

25.

Restrukturierungspläne, die von den betroffenen Gläubigern einstimmig angenommen werden, sollten für alle Gläubiger verbindlich sein.

26.

Die gerichtlich bestätigten Restrukturierungspläne sollten für alle von dem Plan betroffenen und in dem Plan genannten Gläubiger verbindlich sein.

D.   Schutz neuer Finanzierungsmöglichkeiten

27.

Neue Finanzierungsmöglichkeiten, einschließlich neuer Darlehen, Veräußerungen bestimmter Vermögenswerte durch den Schuldner und Debt-Equity-Swaps, die im Rahmen des Restrukturierungsplans vereinbart und gerichtlich bestätigt wurden, sollten nicht als anfechtbare, nichtige oder relativ unwirksame Rechtshandlung erklärt werden, die der Gesamtheit der Gläubiger schadet.

28.

Geldgeber für im Rahmen eines gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplans vorgesehene Finanzierungsmöglichkeiten sollten von der zivil- und strafrechtlichen Haftung im Zusammenhang mit dem betreffenden Restrukturierungsprozess ausgenommen sein.

29.

Ausnahmen von den Regelungen über den Schutz neuer Finanzierungsmöglichkeiten sollten vorgesehen werden, falls im Zusammenhang mit der neuen Finanzierungsmöglichkeit anschließend Betrug festgestellt wird.

IV.   ZWEITE CHANCE FÜR UNTERNEHMER

Entschuldungsfristen

30.

Die negativen Auswirkungen eines Konkurses auf Unternehmer sollten begrenzt werden, um ihnen eine zweite Chance einzuräumen. Unternehmer sollten spätestens drei Jahre nach dem im Folgenden aufgeführten Tag vollständig von ihren im Rahmen eines Konkurses entstandenen Schulden entlastet werden:

a)

im Falle eines Verfahrens, das mit der Liquidierung der Vermögenswerte des Schuldners endet, der Tag, an dem das Gericht über den Antrag auf Einleitung eines Konkursverfahrens entschieden hat;

b)

im Falle eines Verfahrens, das einen Plan für die Schuldenbegleichung umfasst, der Tag, ab dem der Plan für die Schuldenbegleichung umgesetzt wird.

31.

Nach Auslaufen der Entschuldungsfrist sollten den Unternehmern ihre Schulden erlassen werden, ohne dass dies grundsätzlich wieder bei einem Gericht beantragt werden müsste.

32.

Eine vollständige Entschuldung nach einem kurzen Zeitraum ist nicht unter allen Umständen angemessen. Die Mitgliedstaaten sollten daher in der Lage sein, strengere Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder einzuführen, die notwendig sind, um

a)

Unternehmer abzuhalten, die entweder vor oder nach der Einleitung des Konkursverfahrens nicht redlich oder bösgläubig gehandelt haben;

b)

Unternehmer abzuhalten, die sich nicht an einen Plan für die Schuldenbegleichung oder eine andere rechtliche Verpflichtung halten, die die Interessen der Gläubiger schützen soll oder

c)

die Existenzgrundlage des Unternehmers und seiner Familie zu schützen, indem dem Unternehmer erlaubt wird, bestimmte Vermögenswerte zu behalten.

33.

Die Mitgliedstaaten können spezifische Kategorien von Schulden, etwa Schulden infolge einer deliktischen Haftung, von der Regelung der vollständigen Entschuldung ausschließen.

V.   KONTROLLE UND BERICHTERSTATTUNG

34.

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die in dieser Empfehlung ausgeführten Grundsätze bis 14. März 2015 umzusetzen.

35.

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, verlässliche jährliche Statistiken über die Anzahl der eingeleiteten präventiven Restrukturierungsverfahren, die Dauer der Verfahren sowie Informationen über das Volumen der betroffenen Schuldner und das Ergebnis der eingeleiteten Verfahren zu erheben und diese Informationen der Kommission auf jährlicher Basis und zum ersten Mal bis 14. März 2015 zu übermitteln.

36.

Die Kommission wird die Umsetzung dieser Empfehlung durch die Mitgliedstaaten bis zum 14. September 2015 bewerten. In diesem Kontext wird die Kommission ihre Auswirkungen auf die Sanierung von Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten und die Einräumung einer zweiten Chance für redliche Unternehmer, ihr Zusammenspiel mit anderen Insolvenzverfahren in anderen Bereichen, etwa bei Entschuldungsfristen für natürliche Personen, die keine gewerbliche, geschäftliche, handwerkliche oder berufliche Tätigkeit ausüben, ihre Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts sowie auf kleine und mittlere Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in der Union prüfen. Die Kommission wird zudem bewerten, ob zusätzliche Maßnahmen vorgeschlagen werden sollten, um den in dieser Empfehlung dargelegten Ansatz zu konsolidieren und zu stärken.

Brüssel, den 12. März 2014

Für die Kommission

Viviane REDING

Vizepräsidentin


(1)  Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 1).

(2)  COM(2012) 744 final.

(3)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts, P7_TA (2011) 0484.

(4)  COM(2012) 573 final.

(5)  COM(2012) 742 final.

(6)  COM(2012) 795 final.


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