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Document 52009IP0332

    Lage in Bosnien und Herzegowina Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 zur Lage in Bosnien und Herzegowina

    ABl. C 184E vom 8.7.2010, p. 107–110 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    8.7.2010   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    CE 184/107


    Freitag, 24. April 2009
    Lage in Bosnien und Herzegowina

    P6_TA(2009)0332

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 24. April 2009 zur Lage in Bosnien und Herzegowina

    2010/C 184 E/22

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ vom 16. Juni 2003 zu den westlichen Balkanstaaten und die Anlage mit dem Titel „Agenda von Thessaloniki für die westlichen Balkanstaaten: Auf dem Weg zur Europäischen Integration“, die vom Europäischen Rat vom 19. und 20. Juni 2003 in Thessaloniki gebilligt wurde,

    unter Hinweis auf das am 16. Juni 2008 unterzeichnete Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Bosnien und Herzegowina andererseits,

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 23. Oktober 2008 zu dem Abschluss des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Bosnien und Herzegowina andererseits (1),

    unter Hinweis auf die Ernennung von Valentin Inzko zum neuen Sonderbeauftragten der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina am 11. März 2009 (2),

    unter Hinweis auf die gemeinsame Erklärung zur Verfassungsreform, zum Staatseigentum, zu einer Volkszählung und zum Bezirk Brčko, die am 8. November 2008 in Prud von den Spitzenpolitikern der HDZ BiH, SNSD und SDA abgegeben wurde, und ihre darauf folgenden Zusammenkünfte,

    gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

    A.

    in der Erwägung, dass die ständige Verschlechterung des politischen Klimas in Bosnien und Herzegowina dem Parlament Anlass zu großer Sorge gibt,

    B.

    in der Erwägung, dass der Staat Bosnien und Herzegowina – wie im Friedensabkommen von Dayton niedergelegt – konkreter Ausdruck des Wunsches ist, nach dem brutalen Konflikt in den 1990er Jahren eine dauerhafte Aussöhnung zwischen den verschiedenen Gemeinschaften zu erzielen,

    C.

    in der Erwägung, dass der Aussöhnungsprozess untrennbar mit den Fortschritten des Landes auf dem Weg zur europäischen Integration verbunden ist, weil er sich im Wesentlichen auf dieselben Werte stützt, auf denen die Europäische Union beruht,

    D.

    in der Erwägung, dass die Unterzeichnung des genannten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und Bosnien und Herzegowina ein deutliches Zeichen dafür ist, dass das Versprechen der EU-Mitgliedschaft für Bosnien und Herzegowina real ist und dass sie für das Land erreichbar ist, vorausgesetzt, dass es die Kopenhagener Kriterien erfüllt und die in den Prioritäten der Europäischen Partnerschaft aufgeführten erforderlichen Reformen durchführt,

    E.

    in der Erwägung, dass jeder Versuch, die territoriale Integrität von Bosnien und Herzegowina in Frage zu stellen, nicht nur einen Verstoß gegen das Friedensabkommen von Dayton darstellen würde, in dem festgelegt ist, dass keine der Gebietseinheiten das Recht hat, sich von Bosnien und Herzegowina abzuspalten, sondern auch den Grundsätzen der Toleranz und des friedlichen Zusammenlebens der ethnischen Gemeinschaften zuwiderliefe, auf denen die Stabilität des gesamten westlichen Balkans beruht,

    F.

    in der Erwägung, dass die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union daher eine Teilung von Bosnien und Herzegowina unter keinen Umständen akzeptieren oder tolerieren werden,

    1.

    ist der Auffassung, dass die europäische Integration im bestmöglichen Interesse der gesamten Bevölkerung des westlichen Balkans ist; bedauert daher, dass sich die Politiker von Bosnien und Herzegowina nicht auf eine gemeinsame politische Vision für ihr Land verständigen können und aufgrund eines kurzsichtigen Nationalismus das Ziel des Beitritts zur Europäischen Union aufgeben, ein Ziel, welches für die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina Frieden, Stabilität und Wohlstand bringen würde;

    2.

    erinnert die Spitzenpolitiker in Bosnien und Herzegowina daran, dass der EU-Beitritt bedeutet, die Werte und Regeln zu akzeptieren, auf denen die Europäische Union beruht, und zwar die Achtung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten, Solidarität, auch die Solidarität zwischen den Völkern und Gemeinschaften, Toleranz, auch Toleranz gegenüber unterschiedlichen Traditionen und Kulturen, Rechtsstaatlichkeit, unter anderem die Achtung der Unabhängigkeit der Justiz, und Demokratie einschließlich der Akzeptanz des Mehrheitsprinzips und der freien Meinungsäußerung; drängt die führenden Politiker, auf eine von Hass geprägte Politik, nationalistische Themen und Abspaltungsbestrebungen zu verzichten, und verurteilt die einseitige Abstandnahme von Reformen;

    3.

    weist auch darauf hin, dass die EU-Mitgliedschaft Bosnien und Herzegowina als einem Staat und nicht seinen Bestandteilen in Aussicht gestellt wurde und dass infolgedessen Abspaltungsdrohungen oder andere Versuche, die Souveränität des Staates zu untergraben, völlig inakzeptabel sind;

    4.

    fordert in diesem Zusammenhang alle zuständigen staatlichen Stellen und die politisch Verantwortlichen auf, sich sehr viel stärker auf die Aussöhnung, das gegenseitige Verständnis und friedensschaffende Maßnahmen zu konzentrieren, um die Stabilität des Landes und den Frieden zwischen den Volksgruppen zu fördern;

    5.

    bekräftigt, dass Bosnien und Herzegowina, wenn es ernsthaft wünscht, der Europäischen Union beizutreten, die folgenden Voraussetzungen erfüllen sollte:

    a)

    die staatlichen Organe müssen in der Lage sein, die für den EU-Beitritt erforderlichen Reformen zu beschließen und wirksam umzusetzen;

    b)

    der Staat sollte daher auf Rechtsstaatlichkeit gegründete staatliche Stellen einrichten, die zu effizienter Entscheidungsfindung in der Lage sind; diese Stellen müssen funktionell, mit Befugnissen ausgestattet und unabhängig von politischem Einfluss sein sowie über angemessene Mittel verfügen;

    6.

    vertritt die Auffassung, dass die obigen Voraussetzungen nur im Wege einer Reform der Verfassung von Bosnien und Herzegowina erfüllt werden können, die auf folgenden Kriterien beruht:

    a)

    der Staat sollte über ausreichende Befugnisse in den Bereichen Legislative, Haushalt, Exekutive und Judikative verfügen, um wie ein Mitglied der Europäischen Union zu funktionieren, einen funktionsfähigen Binnenmarkt zu errichten und aufrechtzuerhalten, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu fördern und die Interessen des Landes im Ausland zu vertreten und zu verteidigen;

    b)

    die Zahl der Verwaltungsebenen, die an der Verwaltung des Landes beteiligt sind, sollte in einem angemessenen Verhältnis zu den finanziellen Ressourcen von Bosnien und Herzegowina stehen und auf einer effizienten, kohärenten und effektiven Aufteilung der Zuständigkeiten beruhen;

    c)

    die Wahrung der existenziellen nationalen Interessen in Bosnien und Herzegowina muss mit der Handlungsfähigkeit des Landes vereinbar sein;

    d)

    alle Minderheitengemeinden müssen dieselben Rechte genießen wie die konstituierenden Volksgruppen, und dies schließt im Einklang mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den einschlägigen Stellungnahmen der Europäischen Kommission für Demokratie durch das Recht (Venedig-Kommission) des Europarates die Abschaffung der auf der ethnischen Herkunft beruhenden Beschränkungen des passiven Wahlrechts ein;

    7.

    betont in diesem Zusammenhang, dass eine klare Lösung für das Staatseigentum gefunden werden muss, die mit den verfassungsmäßigen Vorrechten des Zentralstaats vereinbar ist;

    8.

    erinnert die Politiker von Bosnien und Herzegowina daran, dass es ihre Pflicht ist, eine Einigung über die oben genannten Punkte zu erzielen, und dass sie, falls sie diese Einigung nicht erreichen, zu einer Zeit, da die Finanz- und Wirtschaftskrise Bosnien und Herzegowina hart trifft und zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten führt, ihr Land und ihre Bürgerinnen und Bürger zu Stagnation und Isolation verurteilen würden;

    9.

    weist darauf hin, dass die Reform der Verfassung des Landes und seine europäische Perspektive Gegenstand einer weit reichenden und eingehenden Debatte sein sollten, in die alle Teile der Gesellschaft von Bosnien und Herzegowina einbezogen werden und die von den Spitzenpolitikern der wichtigsten Parteien und den Führern der Volksgruppen nicht monopolisiert werden sollte;

    10.

    drängt den Ministerrat und die Parlamentarische Versammlung von Bosnien und Herzegowina, intensiver und besser auf die Verabschiedung der Rechtsvorschriften hinzuwirken, die erforderlich sind, um die Erfordernisse der europäischen Integration zu erfüllen, und ermutigt die verschiedenen Stellen und Behörden von Bosnien und Herzegowina, die Koordinierung von EU-Fragen zu verbessern;

    11.

    fordert, dass der neue Leiter des Büros für Europäische Integration endgültig ernannt wird, und weist die staatlichen Stellen von Bosnien und Herzegowina darauf hin, dass die Wahl des Kandidaten unparteiisch und ausschließlich auf der Grundlage einschlägiger Berufserfahrung, nachweislicher Fähigkeiten und gründlicher Kenntnisse in europäischen Angelegenheiten erfolgen sollte;

    12.

    fordert die Staatsorgane von Bosnien und Herzegowina auf, die im Fahrplan zur Visa-Liberalisierung genannten Erfordernisse rasch zu erfüllen, um sicherzustellen, dass die derzeitige Visumpflicht bis Ende 2009 aufgehoben wird;

    13.

    äußert sich besorgt über die politische Einflussnahme auf die Medien von Bosnien und Herzegowina und die Vermischung von geschäftlichen, politischen und medialen Interessen; fordert die Staatsorgane in diesem Zusammenhang auf, die Rechte von Journalisten und die Unabhängigkeit der Medien uneingeschränkt zu achten;

    14.

    bekräftigt gleichzeitig, dass die internationale Gemeinschaft und ihr Hoher Vertreter Valentin Inzko, entschlossen und im Einklang mit dem Mandat des Hohen Vertreters gegen jeden Versuch vorgehen werden, die Grundlagen des Friedensabkommens von Dayton zu untergraben, insbesondere das friedliche Zusammenleben verschiedener ethnischer Gemeinschaften in einem einzigen Staat;

    15.

    vertritt die Auffassung, dass daher das Büro des Hohen Vertreters die Staatsorgane von Bosnien und Herzegowina bei der Verwirklichung der fünf Ziele und der Erfüllung der zwei Bedingungen, die vom Rat für die Umsetzung des Friedens festgelegt wurden, sowie bei ihrer ordnungsgemäßen Umsetzung unterstützen sollte und dass das Büro bis dahin bestehen bleiben und für die reibungslose Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton Sorge tragen sollte;

    16.

    betont, dass Fortschritte bei der Verfolgung der fünf Ziele und zwei Bedingungen, die vom Rat zur Umsetzung des Friedens festgelegt wurden, auch erforderlich sind, um mit der EU-Agenda voranzukommen;

    17.

    bedauert, dass der Rat der Verschlechterung des politischen Klimas in Bosnien und Herzegowina so geringe Aufmerksamkeit widmet und dass die Mitgliedstaaten bislang keine Entschlossenheit an den Tag legen, um die Lage in diesem Land ernsthaft und koordiniert anzugehen;

    18.

    fordert den Rat auf, sich die in dieser Entschließung genannten Anforderungen, die von Bosnien und Herzegowina zu erfüllen sind, zu eigen zu machen und sich für die Förderung ihrer Umsetzung einzusetzen; ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass der Rat dem neuen EU-Sonderbeauftragten Folgendes gewähren sollte:

    a)

    ein starkes und klar definiertes Mandat und das erforderliche Personal, um die Annahme der in dieser Entschließung dargelegten Reformen zu erleichtern und den Dialog mit der Bürgergesellschaft über diese Themen zu fördern, unter anderem mithilfe gezielter öffentlicher Kampagnen und durch Maßnahmen zur Unterstützung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs;

    b)

    die Mittel, um alle Instrumente der Europäischen Union zum Einsatz zu bringen, einschließlich der Sanktionsbefugnisse (z.B. Aussetzung der Finanzhilfe), damit in dem Land konkrete Fortschritte erzielt werden;

    c)

    umfassende und nachhaltige politische Unterstützung und die Befugnis, für die Gesamtkoordinierung der in Bosnien und Herzegowina eingesetzten EU-Akteure und EU-Instrumente zu sorgen und damit die Konsistenz und Kohärenz aller Maßnahmen der Europäischen Union sowie die Abstimmung mit den einschlägigen internationalen Nicht-EU-Akteuren, die in Bosnien und Herzegowina tätig sind, zu gewährleisten;

    d)

    das Recht, das Politische und Sicherheitspolitische Komitee monatlich auf den neuesten Stand der Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina zu bringen und geeignete Empfehlungen über gezielte Sanktionen abzugeben;

    19.

    fordert den Hohen Vertreter der Europäischen Union für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana und das für die Erweiterung zuständige Kommissionsmitglied Olli Rehn auf, in Bosnien und Herzegowina durch regelmäßige Besuche des Landes und die wirksamere Förderung eines Dialogs mit der Bürgergesellschaft eine deutlich aktivere und sichtbarere Rolle zu spielen;

    20.

    beglückwünscht die Bürgergesellschaft von Bosnien und Herzegowina dazu, dass sie einen größeren guten Willen zeigt als ihre Spitzenpolitiker und den Wandel und die Aussöhnung des Landes positiv beeinflusst;

    21.

    vertritt ferner die Auffassung, dass die internationale Militärpräsenz in Bosnien und Herzegowina weiterhin einen beträchtlichen Umfang haben sollte und die Kräfte rasch einsetzbar sein sollten, um die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft zu demonstrieren, die Sicherheit und Integrität von Bosnien und Herzegowina zu gewährleisten;

    22.

    wiederholt seine Forderungen nach einer unverzüglichen Festnahme der vom Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien noch immer gesuchten Angeklagten und nach einem konsequenten Vorgehen der Staatsorgane von Bosnien und Herzegowina bei der Bekämpfung der kriminellen Netze, die diese Angeklagten decken;

    23.

    fordert schließlich einen verstärkten Dialog zwischen der Europäischen Union und den USA sowie mit anderen einschlägigen internationalen Akteuren, um eine breite Unterstützung für einen kohärenten Ansatz für Bosnien und Herzegowina zu erzielen und eine weitere Verschlechterung der politischen Lage in dem Land und die Destabilisierung der Region zu verhindern; unterstreicht die Notwendigkeit einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit, damit Bosnien und Herzegowina weitere Fortschritte macht;

    24.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten von Bosnien und Herzegowina und seinen Gebietseinheiten zu übermitteln.


    (1)  Angenommene Texte, P6_TA(2008)0522.

    (2)  Gemeinsame Aktion 2009/181/GASP des Rates vom 11. März 2009 zur Ernennung des Sonderbeauftragten der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina (ABl. L 67 vom 12.3.2009, S. 88).


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