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Document 52007AE0616

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs

    ABl. C 168 vom 20.7.2007, p. 86–90 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    20.7.2007   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 168/86


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“

    (2007/C 168/18)

    In einem Schreiben vom 7. November 2006 ersuchte das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss im Rahmen des deutschen EU-Ratsvorsitzes gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zu folgendem Thema: „Förderung des grenzüberschreitenden Radverkehrs“.

    Am 21. November 2006 beschloss der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, die Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft mit der Vorbereitung der Arbeiten zu beauftragen.

    Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten bestellte der Ausschuss auf seiner 435. Plenartagung am 25./26. April 2007 (Sitzung vom 25. April) Herrn SIMONS zum Hauptberichterstatter und verabschiedete mit 128 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Zusammenfassung und Schlussfolgerung

    1.1

    Noch gibt es zwar keine europäische Radverkehrspolitik, doch unterstützt die Europäische Kommission über Finanzhilfen die Forschung, Entwicklung und Durchführung von Projekten im Rahmen einer Politik für nachhaltige Mobilität und eine nachhaltige Energienutzung.

    1.2

    Der EWSA empfiehlt, das Fahrrad als Verkehrsmittel in der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik im Allgemeinen und insbesondere im künftigen Grünbuch zum städtischen Nahverkehr umfassend zu berücksichtigen.

    1.3

    In Europa müssen alle Züge — auch die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge — mit einem Raum für die Mitnahme von u.a. Fahrrädern ausgestattet werden.

    1.4

    Mindestanforderungen an die Qualität der Radverkehrsinfrastruktur, die mit Hilfe von EU-Finanzhilfen angelegt wird, sind erforderlich.

    1.5

    Der EWSA empfiehlt, auch Haushaltsmittel für EU-Finanzhilfen für die Anlage und Instandhaltung von Radverkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Ihre Zweckmäßigkeit hat diese Infrastruktur in der Praxis in europäischen Städten und Ländern schon bewiesen.

    1.6

    Die Europäische Kommission muss den Austausch von Wissen, bewährten Verfahren und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Radfahren auch weiterhin bzw. künftig finanziell fördern und die Aufnahme der Radverkehrspolitik (z.B. durch die Intermodalität von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln) in allen von der Europäischen Kommission geförderten Projekte im Verkehrsbereich verbindlich vorschreiben.

    1.7

    Die Aufstellung und Durchsetzung geeigneter Sicherheitsvorschriften für Radfahrer und ihr Verkehrsmittel sowie für die Radverkehrsinfrastruktur und den sonstigen Verkehr muss auch auf europäischer Ebene angeregt werden.

    1.8

    Bei der Weiterentwicklung der europäischen Politik in den Bereichen Raumordnung (darunter auch die Städtebaupolitik), Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung und Bildung sollte die Radverkehrspolitik auch berücksichtigt werden.

    1.9

    Die Europäische Kommission sollte das Monitoring und die Datenerhebung im Zusammenhang mit dem Radverkehr in Europa gut organisieren und eine Harmonisierung der Erhebungsmethoden anregen.

    1.10

    Die Europäische Kommission muss den weiteren Ausbau der EuroVelo-Routen auch weiterhin finanziell unterstützen, damit ein vollständiges europäisches Radwegenetz, ein TEN (transeuropäisches Netz) für den Radverkehr, entsteht.

    1.11

    Die Verwaltung und das Sekretariat des EuroVelo-Netzes sollte einer von der Europäischen Kommission unterstützten europäischen Organisation übertragen werden, die von zentraler Stelle aus dafür sorgt, dass bei den einzelnen EuroVelo-Routen nach Projektabschluss die Infrastruktur und die Information der Radfahrer weiter unterhalten werden.

    2.   Einleitung

    2.1

    Das deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) hat den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) im Rahmen des deutschen EU-Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum grenzüberschreitenden Radverkehr ersucht. Das BMVBS stellte drei Fragen.

    2.2

    In dieser Sondierungsstellungnahme wird zunächst auf den aktuellen Stand der Radverkehrspolitik in der EU eingegangen (Frage 3 des BMVBS), wobei der Schwerpunkt auf dem Fahrrad als Verkehrsmittel im Alltag liegen soll. Anschließend werden Möglichkeiten erörtert, wie die grenzüberschreitende Radverkehrsinfrastruktur verbessert (Frage 2 des BMVBS) und der europäischen Zusammenarbeit beim Ausbau des Routennetzes Gestalt gegeben werden kann (Frage 1 des BMVBS). Im Mittelpunkt der letztgenannten zwei Fragen steht der Fahrradtourismus.

    3.   Aktueller Stand der Radverkehrspolitik in der EU

    3.1

    Die Radverkehrspolitik ist für die EU bislang kaum ein eigenständiges Thema gewesen. Das Fahrrad kam in der Vergangenheit auf europäischer Ebene vor allem im Rahmen der Umweltproblematik zur Sprache, nachdem vor allem aus den Reihen der Umweltbewegung aufgrund der Nachteile des zunehmenden Autoverkehrs zu einer besseren Radverkehrspolitik aufgerufen worden war. So forderte das für Umwelt zuständige Kommissionsmitglied Ritt Bjerregaard in einem 12-Punkte-Programm (1) die lokalen Gebietskörperschaften in Europa zu einer fahrradfreundlichen Politik auf.

    3.2

    Im Verkehrsweißbuch von 2001 und seiner Zwischenbilanz aus dem Jahr 2006 liegt der Schwerpunkt auf anderen Verkehrsträgern. Die Reaktion des Europäischen Parlaments (2) auf das Weißbuch enthält jedoch den Aufruf an die Europäische Kommission, mehr in Fahrradmitnahmemöglichkeiten in öffentlichen Verkehrsmitteln zu investieren.

    3.3

    Das heutige für Verkehr zuständige Kommissionsmitglied Jacques Barrot betonte in seiner Rede auf der Euro-Velo-city-Konferenz 2005 in Dublin, dass die EU trotz des Subsidiaritätsprinzips bei der Förderung des Fahrradfahrens in Europa eine Rolle spielen müsse. Das Fahrrad kann auf dem Weg hin zu der angestrebten Ausgewogenheit zwischen den Verkehrsträgern eine größere Rolle übernehmen. Die Rolle der Europäischen Kommission besteht für Herrn Barrot in Folgendem: Finanzhilfen, Verbesserung der Verkehrssicherheit und der Information der Entscheidungsträger sowie Zusammenarbeit.

    3.4

    Die Europäische Kommission unterstützt im Rahmen von Forschung und Entwicklung die CIVITAS (CIty VITAlity Sustainability) Initiative. Bislang wurden in 36 Städten in 17 Ländern auf einen nachhaltigen städtischen Nahverkehr ausgerichtete Maßnahmen umgesetzt. Eine der acht für integrierte Lösungen aufgestellten Kategorien bezieht sich auf die Förderung einer Lebensweise, bei der die Kraftfahrzeugnutzung u.a. durch eine stärkere Nutzung des Fahrrads verringert wird (3). Im Rahmen des „Programms intelligente Energie für Europa“ unterstützt die Europäische Kommission STEER-Projekte, die eine nachhaltige Energienutzung in Transport und Verkehr fördern sollen. Zwei dieser Projekte sind auf den Wissensaustausch im Bereich der Radverkehrspolitik ausgerichtet (4).

    3.5

    Die Europäische Kommission ruft in ihrem Grünbuch zum Thema „Förderung gesunder Ernährung und körperlicher Bewegung: eine europäische Dimension zur Verhinderung von Übergewicht, Adipositas und chronischen Krankheiten“ (5) dazu auf, Antworten auf folgende Fragen zu geben: Welchen Beitrag können Maßnahmen auf politischer Ebene dazu leisten, dass körperliche Bewegung in die Tagesroutine „eingebaut“ wird und welche Maßnahmen sind z.B. bei der Gestaltung von Wohngebieten erforderlich, um Umfelder zu schaffen, die der körperlichen Bewegung förderlich sind.

    3.6

    Viele Antworten auf diese Fragen wurden in Radfahrkreisen bereits gefunden. Sachverständige bringen das Radfahren immer mehr mit dem Thema Gesundheit in Verbindung. Und das nicht nur, weil das Radfahren einen Beitrag zur gesunden Menge an täglicher Bewegung liefern kann. Es wird darauf hingewiesen, dass das Radfahren einerseits im Rahmen der Umweltpolitik zu einer Reduzierung des Feinstaubgehalts der Luft in städtischen Gebieten beitragen kann, während es andererseits das das schlechte Image der Luftqualität in städtischen Gebieten bedroht wird.

    3.7

    Mit der Entwicklung eines immer stärker integrierten Mobilitätsmanagements gewann auch das Fahrrad bei der Suche nach einer Lösung für die Stauproblematik an Bedeutung. Neben dem täglichen Berufsverkehr trägt auch der Freizeit- und Urlaubsverkehr in hohem Maße zu Verkehrsstauungen bei. Auch aufgrund der Nutzung von Größenvorteilen (z.B. Zusammenlegungen von Krankenhäusern, große Einkaufskomplexe auf der grünen Wiese) und den hierdurch verursachten größeren Entfernungen. Das Fahrrad wird so als Verkehrsmittel möglicherweise weniger attraktiv.

    3.8

    Ein häufig auftretendes Problem ist, dass der Neu- bzw. Ausbau von Infrastruktur für den Binnenverkehr bestehende oder geplante Fahrradwege durchkreuzt und so unüberwindbare Hindernisse für Radfahrer bildet — auch für Freizeitradler, die durch große Verkehrsinfrastrukturanlagen in ihren Stadtteilen bzw. ihrer Stadt quasi eingeschlossen sind. Dies muss berücksichtigt werden, und vor allem müssen Lösungen bei Infrastrukturprojekten für das Auto und die Eisenbahn gefunden werden. Wo immer es technisch möglich ist, sollte bei derartigen neuen Infrastrukturprojekten immer auch ein Radweg angelegt werden müssen.

    3.9

    In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass Instrumente wie Mindestqualitätsstandards für die Radweginfrastruktur, die mit EU-Beihilfen angelegt wird, erforderlich sind. Städte nutzen eine gute, komfortable und sichere Radweginfrastruktur mit Radwegen und Fahrradabstellmöglichkeiten in der Innenstadt als Attraktivitätsfaktor, um ein angenehmes Aufenthaltsklima in der Innenstadt zu schaffen.

    3.10

    Innerhalb Europas gelten die Niederlande als die Radfahrernation schlechthin und somit als Vorbild. Diese Bezeichnung verdanken die Niederlande nicht nur ihrem größten Anteil an Fahrradmobilität in Europa, sondern auch dem Fahrradmasterplan (1990-1997). Andere Länder in Europa sind dem Beispiel der Niederlande gefolgt und wurden vom öffentlichen Interesse an einer guten Radverkehrspolitik und dem (auch finanziellen) Engagement überzeugt.

    3.11

    Da der niederländische Fahrradmasterplan auf Radwege (Radrouten) ausgerichtet war, zeigte er anschaulich, dass eine gute Radverkehrspolitik nicht nur für gute (komfortable, schnelle und sichere) Radwege, sondern auch dafür sorgen muss, dass sichere und bequeme Abstellmöglichkeiten für Fahrräder an Wohngebäuden, Bahnhöfen, öffentlichen Verkehrsknotenpunkten, Bushaltestellen und dem Fahrtziel vorhanden sind.

    3.12

    Die Europäische Verkehrsministerkonferenz (ECMT) hat vor einigen Jahren eine Übersicht über die Verkehrspolitik der Mitgliedstaaten der ECMT erstellen lassen (6). Aus dieser Übersicht geht hervor, dass nur wenige Länder keine nationale Radverkehrspolitik verfolgen (7). Natürlich bestehen in Bezug auf den Umfang, den Status und die Auswirkungen der nationalen Politik in den einzelnen Ländern Unterschiede. Die ECMT nennt als Durchschnittsanteil des Fahrrads an den Verkehrsbewegungen in Europa einen Prozentsatz von 5 %. Länder wie Dänemark (18 %) und die Niederlande (27 %) beweisen jedoch, dass ein sehr viel höherer Anteil möglich ist (8).

    3.13

    Diese Unterschiede auf Ebene der einzelnen Länder — zu denen auch noch lokale Unterschiede kommen — zeigen, dass die Fahrradnutzung durch staatliche Maßnahmen beeinflusst werden kann. Das Wachstumspotenzial besteht insbesondere bei Strecken zwischen 5 und 8 Kilometern vom Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf das Fahrrad. Der Anteil der Kraftfahrzeugnutzung bei diesen kurzen Strecken liegt in Europa bei über 50 %. Selbst bei Strecken von weniger als 2 Kilometern liegt die Kraftfahrzeugnutzung noch bei 30 % (9).

    3.14

    Die Radverkehrspolitik ist vor allem auf den Umstieg auf das Fahrrad für diese kurzen Entfernungen ausgerichtet. Doch werden mittlerweile auch größere Entfernungen ins Visier genommen; nachgedacht wird über schnelle, direkte Radrouten über größere Entfernungen in den großstädtischen Gebieten.

    3.15

    Das Wachstumspotenzial der Fahrradnutzung für kurze Entfernungen ist die Berechnungsgrundlage für den potenziellen Beitrag einer guten Radverkehrspolitik zur Bekämpfung des Klimawandels. Jüngeren Berechnungen zufolge liegt beispielsweise in den Niederlanden der Anteil kurzer Fahrten mit dem Auto (< 7,5 km) im Verhältnis zum Gesamtausstoß des Autoverkehrs bei ca. 6 % (10).

    3.16

    Ein eigenes, geliehenes oder gemietetes Fahrrad kann zu einer stärkeren Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel beitragen. Denn das Fahrrad vergrößert den Aktionsradius um den Aufenthaltsort, den Bahnhof und die Bushaltestelle, innerhalb dessen ein Verkehrsmittelbenutzer den Bahnhof oder die Haltestelle innerhalb weniger Minuten ohne Auto erreichen kann.

    3.17

    Die Unterschiede zwischen den einzelnen europäischen Ländern in Bezug auf den Anteil des Fahrrads an der Anzahl der Verkehrsbewegungen lassen sich nicht nur durch rein soziale, klimatologische, geografische und kulturelle Gegebenheiten erklären, obgleich diese natürlich auch eine Rolle spielen (11). Ein bedeutsamer Faktor in Radfahrnationen ist das große Engagement und Interesse von Verbänden, die sich für eine gute Radverkehrspolitik einsetzen. Häufig gehen die Initiativen, die zur Aufstellung eines nationalen Masterplans führen, von ihnen aus.

    3.18

    Eine Kontrolle und Auswertung der Radverkehrspolitik auf europäischer Ebene wird leider durch den Mangel an brauchbaren und zugänglichen statistischen Daten verhindert. Nicht nur die Verbände, sondern auch die ECMT fordern eine bessere Datensammlung in Bezug auf die Radverkehrspolitik und die Fahrradnutzung (12) (Fußnote 9). Dass wichtige Statistiken zur Fahrradnutzung nicht mehr in das statistische Taschenbuch „EU ENERGY & TRANSPORT IN FIGURES“ aufgenommen werden, hat großes Unverständnis hervorgerufen.

    3.19

    Während GPS-gestützte Navigationssysteme für das Auto inzwischen üblich geworden sind, kommt das Angebot an Navigationssystemen, die alle Radwege umfassen, schwerer in Gang, da das digitale Basiskartenmaterial die Radwege meist nicht erfasst oder wiedergibt und es daher noch inventarisiert und digitalisiert werden muss. In Radfahrnationen ist in diesem Bereich jedoch schon viel getan worden, z.B. werden Radroutenplaner im Internet angeboten (13).

    3.20

    Die europäische Fahrrad- und Fahrradzubehörbranche macht einen geschätzten Umsatz von 8 500 000 000 Euro und beschäftigt (direkt und indirekt) ca. 130 000 Menschen. Hinzu kommen noch die über 25 000 Fahrradgeschäfte, Vertragshändler und ihre Beschäftigten (14). Nicht berücksichtigt wird hierbei die Hochtechnologieforschung. Die wirtschaftliche Bedeutung des Fahrradtourismus nimmt zu, insbesondere auch in wirtschaftlich schwächeren Regionen, in denen kleine Betriebe entlang der Radfernstrecken vom Fahrradtourismus profitieren (15).

    3.21

    Bislang gibt es noch keine europäische Radverkehrspolitik. Das Grünbuch zum städtischen Nahverkehr, an dem die Europäische Kommission gerade arbeitet, wird, wie die Kommission angekündigt hat, auch das Fahrrad berücksichtigen. Dies bietet die Chance, das Fehlen einer europäischen Radverkehrspolitik und ihrer Integration in andere Politikbereiche durch die künftige Aufnahme des Radfahrens als wichtige Verkehrsart in den Städten zu kompensieren.

    3.22

    In der Sondierungsstellungnahme zum Thema „Verkehr in städtischen und großstädtischen Ballungsgebieten“ — TEN/276, CESE 273/2007 — wird neben der Förderung des Fahrrad- und Fußgängerverkehrs (Ziffer 3.3.3) auch auf die Koordinierung der Planung von Verkehrs- und Siedlungsstruktur (Ziffer 3.3.1) eingegangen. Die Radverkehrspolitik muss in diese Planung der Siedlungsstruktur einfließen.

    4.   Verbesserung der grenzüberschreitenden Infrastruktur für den Radverkehr

    4.1

    Probleme im grenzüberschreitenden Radverkehr innerhalb Europas treten vor allem auf, wenn Radfahrer das eigene Fahrrad ins Ausland mitnehmen möchten und hierfür internationale Hochgeschwindigkeitszüge nutzen wollen. Die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge sind eine wichtige Infrastruktur für Radtouristen. In Europa ist es jedoch bislang nicht möglich, das Fahrrad in solchen Zügen mitzunehmen.

    4.2

    Während der Fahrradtourismus zunimmt und von der EU sowie den staatlichen und regionalen Behörden gezielt als nachhaltige und insbesondere für wirtschaftlich schwächere Regionen wichtige Form des Tourismus gefördert wird, werden Fahrradtouristen stark eingeschränkt, wenn sie sich für die Bahn als Verkehrsmittel für die Beförderung in die Ferienregion oder in die Startregion ihres internationalen Fahrradurlaubs entscheiden. Fluggesellschaften haben keine Probleme damit, das Fahrrad eines Touristen zu befördern, auch die Mitnahmemöglichkeiten für Fahrräder auf Fähren sind gut (auch wenn die Radwege und die Beschilderung für Fahrradfahrer zu den Häfen und aus den Häfen heraus nicht immer ausreichen), während Eisenbahngesellschaften die Mitnahme von Fahrrädern in Hochgeschwindigkeitszügen verweigern.

    4.3

    Mit der großen Mehrheit, mit der das Europäische Parlament im Januar 2007 (16) für die Verpflichtung stimmte, in jedem Zug einen Mehrzweckraum für die Mitnahme von z.B. Rollstühlen, Skiern und Fahrrädern vorzusehen, zeichnet sich eine Lösung für dieses Problem im grenzüberschreitenden Radverkehr ab. In Europa sollten alle Züge — auch die internationalen Hochgeschwindigkeitszüge — mit einem Raum für die Mitnahme von Fahrrädern ausgestattet werden.

    4.4

    Die Verkehrssicherheit der Radfahrer stellt sich in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich dar. Dies liegt insbesondere daran, dass in einigen Ländern Radwege fehlen, so dass Radfahrer auf Straßen fahren müssen, die vom Auto- und Lastverkehr mit 50 km/h, 80 km/h oder noch höheren Geschwindigkeiten befahren werden. So wird die Bevölkerung vom Radfahren abgehalten. Die Aufstellung und Durchsetzung geeigneter Sicherheitsvorschriften für Radfahrer und ihr Verkehrsmittel sowie für die Radverkehrsinfrastruktur und den sonstigen Verkehr muss auch auf europäischer Ebene angeregt werden.

    4.5

    Auch unterscheidet sich die Qualität der bestehenden Radverkehrsinfrastruktur. Fahrradtouristen meiden eher Länder, die sie als unsicher empfinden, wenn sie von zu Hause eine sicherere Infrastruktur gewohnt sind. Mindestqualitätsanforderungen (z.B. für die Breite der Radwege (auch für andere Fahrräder, die in ihrer Bauweise vom Standardmodell abweichen) (17), die Beschilderung) sollten aufgestellt werden, denen die mit Hilfe von EU-Finanzhilfen angelegte Fahrradinfrastruktur entsprechen muss; außerdem sollten Budgets für Finanzhilfen für die Anlage von Radverkehrsinfrastruktur bereitgestellt werden, die ihre Zweckmäßigkeit in der Praxis in europäischen Städten und Ländern schon bewiesen hat.

    4.6

    Zwar ist der unterschiedlich große Anteil des Fahrrads an den Verkehrsbewegungen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und Städten auch eine Folge sozialer, geografischer, klimatologischer und kultureller Unterschiede, doch liegt die Hauptursache für die unterschiedlich ausgeprägte Fahrradnutzung vor allem in der unterschiedlichen Verkehrspolitik, daher ist der Austausch von Wissen, bewährten Verfahren und Sensibilisierungsmaßnahmen für das Radfahren wichtig. Die Europäische Kommission sollte diesen Austausch und Sensibilisierungsmaßnahmen auch weiterhin bzw. künftig finanziell fördern und die Aufnahme der Radverkehrspolitik (z.B. durch die Intermodalität von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln) in allen von der Europäischen Kommission geförderten Projekten im Verkehrsbereich verbindlich vorschreiben.

    4.7

    Das Fahrrad ist ein praktisches und unmittelbar verfügbares Verkehrsmittel, dem als Baustein einer gesunden und nachhaltigen Lebensweise die Aufnahme der Radverkehrspolitik auch in andere Politikbereiche als lediglich dem Verkehr nützt. Bei der Weiterentwicklung der europäischen Politik nicht nur bei der Verkehrs- und Infrastrukturpolitik, sondern auch in den Bereichen Raumordnung (darunter auch die Städtebaupolitik), Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Erziehung und Bildung sollte die Radverkehrspolitik auch berücksichtigt werden. Daher sollte die Europäische Kommission auch das Monitoring und die Datenerhebung im Zusammenhang mit dem Radverkehr in Europa gut organisieren und eine Harmonisierung der Erhebungsmethoden anregen.

    5.   Europäische Zusammenarbeit beim Ausbau des EuroVelo-Radroutennetzes

    5.1

    Das Projekt „EuroVelo“ wurde 1995 von der europäischen Radfahrervereinigung ECF (European Cyclists Federation) mit dem Ziel initiiert, 12 Radfernrouten quer durch Europa (durch EU-Mitgliedstaaten und Nicht-EU-Länder) zu verbinden bzw. zu entwickeln (18). Die Gesamtlänge der vorgeschlagenen Routen beträgt 66 000 Kilometer. Die Routen bauen zum Großteil auf bereits bestehenden lokalen und regionalen Routen auf. Dass dieses Projekt den gesamten europäischen Kontinent überspannt, die Vision eines gesamteuropäischen Radroutennetzes, war als Perspektive für das Projekt von Beginn an sehr werbewirksam.

    5.2

    Das Projekt hat lokale und regionale Gebietskörperschaften und nationale Einrichtungen zur Zusammenarbeit bei der Schaffung internationaler Radfernrouten angeregt. Im vergangenen Jahr wurde die EuroVelo 6 „Atlantic Ocean — Black Sea“ eröffnet. INTERREG-Mittel haben beim Zustandekommen dieser Routen eine große Rolle gespielt. Dies gilt auch für den Nordseeküstenradweg, der als INTERREG-Projekt Ende 2006 endete und von der ECF als EuroVelo 12 geführt wird.

    5.3

    Das mit EuroVelo angestrebte Ziel sind die Schaffung und der Betrieb eines anerkannten transeuropäischen Radroutennetzes, vergleichbar mit dem Schienen- und Straßennetz als TEN (transeuropäisches Netz). Es liegt auf der Hand, dass dies nicht so sehr im Rahmen der europäischen Verkehrspolitik als vielmehr für den Tourismus und die Entwicklung der Regionen in Europa wünschenswert ist. Neben einer dauerhaften Verwaltung und Koordinierung der Routen sowie der Information über die Routen ist der weitere Ausbau des Netzes zweifelsohne eine große Aufgabe. Die im Jahr 2002 veröffentlichten Leitlinien für alle wichtigen Aspekte bei der Schaffung einer EuroVelo-Route haben sich als sehr wertvoll für die Vermeidung von Fehlinvestitionen erwiesen. Die Europäische Kommission sollte die Schaffung von EuroVelo-Routen auch weiterhin finanziell fördern, damit ein vollständiges europäisches Radroutennetz, ein TEN für den Radverkehr, entsteht.

    5.4

    Die Debatten unter den Partnern der North Sea Cycle Group über die Frage, wie die Kontinuität des Radwegs, dessen Vermarktung und die Zusammenarbeit zwischen den vielen Projektpartnern (ca. 70 Regionen in acht Ländern) in Zukunft sichergestellt werden kann, haben noch zu keinem Ergebnis geführt. Diese Frage spielt auch eine Rolle bei internationalen Radfernrouten, die über eine Projektfinanzierung (häufig 50 % EU-Mittel) realisiert wurden und bei denen für die Verwaltung der Zusammenarbeit und die gemeinsame Vermarktung nach einer Lösung gesucht wird.

    5.5

    Eine vieldiskutierte Lösung ist, die Verwaltung, die Routenkoordinierung und das Sekretariat einer Route nach Abschluss der Infrastrukturarbeiten und der Beschilderung einer europäischen Organisation, beispielsweise der ECF, zu übertragen, nach dem Vorbild von Organisationen auf nationaler Ebene. Der ECF zufolge ist die dauerhafte Aufrechterhaltung der Qualität der Routen nach Abschluss der Aufbauphase ein wichtiger Fragenkomplex, für den auf internationaler, sprich europäischer Ebene eine Lösung gefunden werden muss. Die Verwaltung und das Sekretariat des EuroVelo-Netzes sollte einer von der Europäischen Kommission unterstützten europäischen Organisation übertragen werden, die von zentraler Stelle aus dafür sorgt, dass bei den einzelnen EuroVelo-Routen nach Projektabschluss die Infrastruktur (einschließlich der Beschilderung) und die Information der Radfahrer (einschließlich Informationen über Hilfe bei Pannen und Unfällen) weiter unterhalten werden. Wie bei vielen europäischen Initiativen und der europäischen Zusammenarbeit bedarf dies einer finanziellen Unterstützung seitens der EU.

    5.6

    Die ECF selbst hat trotz knapper Mittel ihren Einsatz für das Projekt EuroVelo intensiviert, um eine Lösung für dieses Problem zu finden und diese auch praktisch umzusetzen. Ein Bestandteil dieser Bemühungen ist die Mitarbeit an der Weiterentwicklung einer eindeutigen, aber in allen Ländern gut anwend- und anpassbaren Beschilderung innerhalb des Projekts EuroVelo 6 sowie Bemühungen um eine Anerkennung dieses Beschilderungssystems durch die UNO (19). Die ECF sollte die Anwendung des im Rahmen der Partnergruppe der EuroVelo 6 entworfenen Beschilderungssystems offiziell anerkennen und dessen weitere Anwendung fördern.

    Brüssel, den 25. April 2007.

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Europäische Kommission, GD XI: „Fahrradfreundliche Städte: vorwärts im Sattel“, Luxemburg, 1999.

    (2)  Entschließung vom 12. Februar 2003 — EP-Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr, Berichterstatter: Juan de Dios Izquierdo Collado, 9. Dezember 2002, BERICHT über das Weißbuch der Kommission „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ FINAL A5-0444/2002, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A5-2002-0444+0+DOC+XML+V0//DE

    (3)  Siehe: www.civitas-initiative.org.

    (4)  Siehe: http://ec.europa.eu/energy/intelligent/projects/steer_en.htm#policy.

    (5)  KOM(2005) 637 endg.

    (6)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, (Implementing sustainable urban travel policies: moving ahead), OECD Publications Service, 2004.

    (7)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 43.

    (8)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 20.

    (9)  ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 24.

    (10)  Siehe: http://www.fietsersbond.nl/urlsearchresults.asp?itemnumber=1.

    (11)  In den Niederlanden wurde in den vergangenen Jahren mit der Untersuchung des Phänomens begonnen, dass z.B. Einwanderer aus Marokko (auch in der zweiten Generation) das Fahrrad durchschnittlich weitaus weniger nutzen als autochthone Niederländer. Vgl. „Het fietsgebruik van allochtonen nader belicht“, Fietsberaad-publicatie nummer 11a, November 2006. Siehe: http://www.fietsberaad.nl.

    (12)  Vgl. ECMT, National Policies to Promote Cycling, S. 24.

    (13)  Für Beispiele siehe: www.radroutenplaner.nrw.de und http://www.fietsersbond.nl/fietsrouteplanner.

    (14)  Gemäß einer Schätzung für das Jahr 2003 von COLIBI (Vereinigung der europäischen Fahrradindustrie) und COLIPED (europäische Vereinigung der Zweiradteile- und Zweiradzubehörindustrie).

    (15)  Quelle: Präsentation von Les Lumsdon auf der Schlusskonferenz der North Sea Cycle Route, 9. November 2006, über Tourismus, wirtschaftliche Entwicklung und EU-Finanzhilfen, siehe: http://www.northsea-cycle.com sowie http://www.uclan.ac.uk/facs/lbs/research/institutes_and_centres/transport/docs/Northseacycleconf.doc.

    (16)  Siehe: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2007-0005+0+DOC+XML+V0//DE.

    (17)  Z.B.: Tandems, Lastendreiräder, aerodynamische Liegeräder und Kabinenfahrräder.

    (18)  Siehe: http://www.ecf.com/14_1.

    (19)  Siehe: http://www.unece.org/trans/main/welcwp1.html.


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