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Document 52005AE0136

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Finanzierung von Natura 2000“(KOM(2004) 431 endg.)

    ABl. C 221 vom 8.9.2005, p. 108–112 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

    8.9.2005   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 221/108


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Finanzierung von Natura 2000“

    (KOM(2004) 431 endg.)

    (2005/C 221/19)

    Die Kommission beschloss am 15. Juli 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem obenerwähnten Vorschlag.

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Januar 2005 an. Berichterstatter war Herr RIBBE.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 414. Plenartagung am 9./10. Februar 2005 (Sitzung vom 10. Februar 2005) einstimmig folgende Stellungnahme:

    1.   Vorbemerkung

    1.1

    In der mit dieser Stellungnahme zu bewertenden Kommissionsmitteilung an den Rat und das Europäische Parlament zum Thema „Finanzierung von Natura 2000“

    wird die nach wie vor unbefriedigende Situation des Naturschutzes in Europa beschrieben;

    wird auf die vielen politischen Beschlüsse, u.a. die der EU-Staats- und Regierungschefs, zur Erhaltung der Biodiversität in Europa verwiesen;

    werden die einschlägigen europäischen Naturschutzgesetzgebungen und die daraus resultierenden Verpflichtungen der EU, aber auch die der Mitgliedstaaten besonders in Bezug auf die Etablierung des Naturschutznetzwerkes NATURA 2000 dargestellt;

    werden abermals die Gründe für das notwendige Engagement im Naturschutz benannt, die nicht nur im rein naturschützerischen/kulturellen Bereich, sondern durchaus auch im ökonomischen und gesellschaftlichen Sektor zu suchen sind; und

    werden Vorschläge zur möglichen Kofinanzierung von NATURA-2000-Maßnahmen seitens der EU gemacht.

    1.2

    Die Kommission beschreibt in der Mitteilung die gegenwärtige, sich vornehmlich aus Artikel 8 der FFH-Richtlinie (1) ableitende Praxis bei der Kofinanzierung durch die EU, die sich bislang nicht als adäquat zur Lösung der Probleme erwiesen hat.

    1.3

    Der Finanzbedarf, der sich aus der Etablierung, Umsetzung und Erhaltung des Netzes NATURA 2000 ergibt, wird ermittelt. Die Kommission weist allerdings darauf hin, dass eine endgültige, genaue Kalkulation derzeit noch nicht vorliegt. In der von der Kommission derzeit als „zuverlässigst“ geltenden Schätzung werden die jährlichen Kosten mit 6,1 Milliarden € (für die EU-25) (2) angegeben. Es wird betont, dass diese „noch verfeinert werden kann und sollte“. Hierzu werden besonders die Mitgliedstaaten aufgefordert, in deren Zuständigkeit letztlich auch die Beantragung von Kofinanzierungsmitteln fällt.

    1.4

    Aus dem Kommissionsdokument wird deutlich, dass innerhalb der EU keine Diskussion mehr darüber geführt wird, ob Gemeinschaftsmittel in den Aufbau und die Erhaltung des Netzes NATURA 2000 gesteckt werden, sondern lediglich, wie dies am besten geschehen kann.

    1.5

    Dazu werden drei Möglichkeiten erörtert:

    Rückgriff auf bestehende EU-Fonds (insbesondere auf den Fonds für die ländliche Entwicklung aus der EAGFL-Garantie, die Strukturfonds (wie EFRE, ESF, FIAF, EAGFL-Ausrichtung), den Kohäsionsfonds sowie LIFE-Natur),

    Aufstockung und Verbesserung von LIFE-Natur, um als primäres Realisierungsinstrument zu dienen bzw.

    Schaffung eines neuen Finanzierungsinstruments eigens für Natura 2000.

    1.6

    In ihrer Abwägung kommt die Kommission u.a. nach Konsultation der betroffenen Mitgliedstaaten zum Ergebnis, die erste Option zu wählen, d.h. auf bestehende EU-Fonds zurückzugreifen.

    1.7

    Die Kommission stellt allerdings auch jene Limitierungen dar, die bei dieser Option bestehen und zu lösen sind. U.a. wird deutlich gemacht, dass ein Teil der derzeit bestehenden Fonds ja nicht flächendeckend zur Anwendung kommen, bestimmte Regionen, in denen sich NATURA-2000-Gebiete befinden können, also praktisch von einer Förderung ausgeschlossen wären. Bekanntlich greift beispielsweise der EFRE nicht flächendeckend, und auch die Gelder aus den Kohäsionsfonds kommen nur bestimmten Mitgliedstaaten zugute. Die Kommission verspricht, hier mit der Neugestaltung der Strukturfonds Abhilfe zu schaffen.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1

    Der EWSA begrüßt die Vorlage der Kommissionsmitteilung, die insgesamt eine ausgezeichnete Beratungsgrundlage darstellt. Die darin geführte Diskussion ist überfällig, denn trotz der vielfältigen politischen Bekundungen hat sich an der z.T. dramatischen Situation für den Naturschutz in den vergangenen Jahren nichts Entscheidendes geändert. Die Kommission und die Mitgliedstaaten weisen immer wieder auf die sich weiter verschlechternde Situation im Naturschutz hin. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ging es der europäischen Gesellschaft materiell nie so gut und dem Naturschutz so schlecht wie derzeit.

    2.2

    Der EWSA verweist in diesem Zusammenhang auf seine Initiativstellungnahme „Die Situation der Natur und des Naturschutzes in Europa“ aus dem Jahr 2001 (3) sowie auf die „Überprüfung der Umweltpolitik 2003“  (4) der Kommission. Er begrüßt die große Übereinstimmung zwischen Kommission und EWSA bei der Beurteilung der Situation.

    2.3

    Das NATURA-2000-Netz basiert vornehmlich auf der 1992 verabschiedeten FFH-Richtlinie. Mit der Verabschiedung dieser Richtlinie haben sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU-Kommission zwei Versprechen abgegeben:

    einerseits den Aufbau eines europäischen Naturschutznetzes mit dem Namen NATURA 2000 innerhalb von 3 Jahren (5) abzuschließen und

    andererseits hierfür auch Geld zur Verfügung zu stellen, um die Lasten nicht auf den Landeigentümern bzw. -nutzern abzuladen.

    2.4

    Beide Versprechen wurden noch nicht eingelöst. Sowohl die Kommission als auch die Mitgliedstaaten sind somit gefordert, nicht nur wohlklingende Beschlüsse zu fassen, sondern diese auch mit aller Konsequenz umzusetzen.

    2.5

    Das NATURA-2000-Netz ist von entscheidender Bedeutung für die Sicherung der europäischen Biodiversität. Deren dramatischen Rückgang zu stoppen, haben sich die Staats- und Regierungschefs mehrfach öffentlich verpflichtet. Der EWSA erinnert zusätzlich an die Verpflichtungen, die die EU und die Mitgliedstaaten im Rahmen der Biodiversitätskonvention eingegangen sind. Natur- und Artenschutz ist zudem notwendig, um wichtige genetische und biotische Ressourcen zu sichern.

    2.6

    Es ist eindeutig, dass sich an der Frage der Finanzierung von NATURA 2000 nicht nur der Naturschutz an sich, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Naturschutzes wie auch die umweltpolitische Glaubwürdigkeit der Kommission und der Mitgliedstaaten entscheiden wird.

    2.7

    Der EWSA stellt fest, dass es bei der Ausweisung der NATURA-2000-Gebiete zu extremen zeitlichen Verzögerungen gekommen ist; das Netz ist auch 12 Jahre nach Verabschiedung der FFH-Richtlinie noch nicht etabliert. Landeigentümer und –nutzer empfinden es bislang häufig als Nachteil, in NATURA-2000-Gebieten zu liegen bzw. zu wirtschaften. Dies hat u.a. damit zu tun, dass die finanziellen Konsequenzen nicht endgültig geklärt sind.

    2.8

    Der EWSA hat mehrfach darauf hingewiesen, dass für die Erhaltung des einmaligen europäischen Naturerbes eine echte Partnerschaft zwischen Naturschutz und Landwirtschaft entwickelt werden muss; und dass dabei Landwirte, die entsprechende Naturschutzvorgaben berücksichtigen und umsetzen, von den Behörden und den Naturschützern vor Ort eben auch als echte Partner behandelt werden. Die Klärung finanzieller Fragen ist dabei von entscheidender Bedeutung.

    2.9

    Die Vorlage der Kommissionsmitteilung ist somit überfällig. Dem EWSA ist nicht entgangen, dass es innerhalb der Kommission bei der Erarbeitung der Mitteilung erhebliche Abstimmungsprobleme gab, die wieder und wieder zu Verzögerungen der Vorlage geführt haben.

    2.10

    In seiner Initiativstellungnahme hatte der EWSA auf zwei zentrale Punkte hingewiesen, die von der Kommission nun ebenfalls als besonders bedeutsam dargestellt werden. Dass nämlich

    Europa nicht nur über überragende kulturelle Werte verfügt, sondern dass die unterschiedlichen Kultur- und Naturlandschaften ein herausragendes und ein an sich erhaltenswertes Naturerbe darstellen. Die hohe Vielfalt an unterschiedlichen Landschaftstypen und daraus resultierend an Tier- und Pflanzenarten machen den Reiz und die Faszination des Kontinents aus, und deren Erhalt ist eine gemeinsame und wichtige Aufgabe für Politik, Verwaltung und Bürger auf allen politischen und verwaltungstechnischen Ebenen geworden, damit auch zukünftige Generationen daran teilhaben können;

    Naturschutz aber nicht nur Selbstzweck ist, sondern dass die Natur eine unverzichtbare Lebens- und Wirtschaftsgrundlage darstellt. Sie dient als wichtige Ressource für wirtschaftliche Tätigkeiten und ist außerdem Voraussetzung für eine Vielzahl von Sport-, Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten, für die Gesundheitsfürsorge und im Einzelfall auch die medizinische Therapie.

    2.11

    Der EWSA begrüßt, dass die Kommission in ihrer Mitteilung gerade auch die wirtschaftliche Komponente aufgegriffen hat. Ihre Erklärung, dass der Schutz der biologischen Vielfalt nicht einfach „Option, sondern vielmehr eine entscheidende Komponente der Nachhaltigen Entwicklung ist“, wird vom EWSA nachdrücklich unterstützt.

    2.12

    Es muss allerdings gesehen werden, dass die u.a. in Ziffer 2.2.3 der Mitteilung beschriebene regionalwirtschaftliche Bedeutung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteile, wie auch die gesellschaftlichen Vorteile, die sich daraus ergeben werden, nur viel zu selten in der Diskussion um den Naturschutz und um NATURA 2000 gewürdigt werden bzw. Beachtung finden.

    2.13

    Häufig wird der Naturschutz (und entsprechend die Ausweisung von NATURA-2000-Gebieten) vielmehr zu Unrecht als Kostenfaktor, als Belastung, als Benachteiligung bzw. Bedrohung empfunden, was ein entscheidender Grund dafür ist, dass sich so häufig Widerstände formulieren und die Umsetzung der oft mustergültigen Naturschutzgesetzgebung nach wie vor auf extreme Probleme stößt.

    2.14

    Diesem wichtigen Sachverhalt hat der EWSA in seiner bereits erwähnten Stellungnahme große Aufmerksamkeit gewidmet. Er stellt fest, dass sich an diesem Umstand in den letzten Jahren nur sehr wenig geändert hat. Er fordert die Kommission auf, gemeinsam mit den EU-Institutionen, aber auch allen anderen „stakeholdern“ auf EU- und Mitgliedstaatenebene, hier eine breite Bewusstseinskampagne zu starten.

    2.15

    Es muss gelingen, tatsächlich bewusst zu machen, dass — wie die Kommission schreibt — ein „Natura-2000-Gebiet zu einem Motor für die nachhaltige lokale Wirtschaftsentwicklung werden kann und damit einen Beitrag zum Erhalt lokaler ländlicher Gemeinschaften leistet. Die aktive Einbeziehung dieser Fragen in den Dialog mit allen relevanten Betroffenen ist für den erfolgreichen Aufbau des Natura-2000-Netzes und seine Einbeziehung in das größere sozioökonomische Umfeld der erweiterten Europäischen Union von ausschlaggebender Bedeutung“. Der EWSA glaubt, dass eine solche Bewusstseinsbildung für den Erfolg des Naturschutzes in Europa von ebenso hoher Bedeutung ist wie die anstehende notwendige Klärung der Finanzierungsfrage.

    2.16

    Es ist bisher erst in wenigen Einzelfällen gelungen, den wirtschaftlichen Wert von Gebieten mit hoher Biodiversität für die regionale Entwicklung (Tourismus, Regionalprodukte etc.), aber auch den allgemeinen Wert von Naturschutzarealen, z.B. für den Klimaschutz (6) oder für den Hochwasserschutz, ins allgemeine Bewusstsein zu rücken. Daran ändern bisher auch Studien wie die in Anlage 1 zum Kommissionsdokument erwähnte wenig, die deutlich machen, dass „der rein finanzielle Nutzen der Erhaltung der biologischen Vielfalt … bei weitem die Kosten übersteigt“.

    2.17

    In diesem Zusammenhang kann der EWSA nur mit Erstaunen feststellen, dass es einfacher zu sein scheint, EU-Mittel für die Beseitigung von Naturkatastrophen, die teilweise aus der Übernutzung der Ressource Natur und Landschaft — und somit aus unterlassenem Naturschutz — resultieren, bereitzustellen, als für die letztlich billigere Variante der Vorbeugung und Verhütung entsprechender Katastrophen.

    2.18

    Der EWSA erinnert daran, dass in Artikel III-184 des Verfassungsentwurfs der Grundsatz aufgenommen ist, wonach „die Union … die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten (fördert), um zu erreichen, dass die Systeme zur Prävention von Naturkatastrophen oder von vom Menschen verursachten Katastrophen und zum Schutz vor solchen Katastrophen wirksamer werden“. NATURA-2000-Gebiete sind vielfach in der Lage, eine solche Funktion zu übernehmen.

    2.19

    Doch während beispielsweise nach den verheerenden Flutkatastrophen an der Elbe im Jahr 2002 ein entsprechender EU-Katastrophenfonds schnell geschaffen war, ist die Durchsetzung und Finanzierung beispielsweise von Maßnahmen eines integrierten ökologischen Hochwasserschutzes an Flüssen und Auen, die nachweislich stromabwärts die Hochwassergefahr reduzieren können (7) und so potenzielle Schäden vermeidbar machen, extrem schwierig. Ähnlich sieht es bei der Prävention von Waldbränden speziell in Südeuropa aus. Dies muss sich ändern. Vorsorge statt Nachsorge sollte das Motto der EU-Politik lauten, und der Naturschutz kann hier entscheidende Beiträge liefern.

    2.20

    Ein Grund für diese Situation liegt sicherlich darin, dass von den Kosten, die der Naturschutz direkt bzw. indirekt verursacht, vielfach private Grundeigentümer und –nutzer betroffen sind, während hingegen die gesellschaftlich positiven Wirkungen quasi nur als „externe Erträge“ (im Gegensatz zu „externen Kosten“) „verbuchbar“ sind und nicht positiv in die Berechnung beispielsweise des Bruttosozialproduktes eingehen. Die neue Finanzierungsregelung muss diesen Umstand besonders berücksichtigen.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1

    Der EWSA begrüßt, dass innerhalb der Kommission keine Diskussion mehr um die Frage geführt wird, ob sie die EU-Maßnahmen in NATURA-2000-Gebieten kofinanzieren soll, sondern dass „nur“ die Frage angesprochen wird, mit welchen Instrumenten dies zu geschehen hat.

    3.2

    Die Begründung für die gewählte Finanzierungsoption, nämlich vorhandene Förderinstrumente fortzuentwickeln und entsprechend zu nutzen, kann der EWSA nachvollziehen. Der planerische, verwaltungstechnische und auch finanzielle Vollzug von NATURA 2000 muss dort stattfinden, wo sowohl die Probleme wie auch die positiven Entwicklungspotenziale existieren, nämlich vor Ort in den Mitgliedstaaten. Mit einer naturschutzgerechteren Ausgestaltung und Nutzung der bestehenden Finanzierungsfonds wie dem EFRE, dem ESF, den Kohäsionsfonds, dem EAGFL und der neu strukturierten ländlichen Entwicklung (ELER) etc. bekommen die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten flexible Handlungsmöglichkeiten an die Hand gegeben.

    3.3

    Es ist auch richtig, dass von Seiten der Kommission dargestellt wird, dass auf diese Art und Weise vermutlich am besten sichergestellt werden kann, „dass die Verwaltung der NATURA-2000-Gebiete Teil einer umfassenderen Raumordnungspolitik der EU ist“.

    3.4

    Wichtig ist dem EWSA allerdings darauf hinzuweisen, dass noch mehr Anstrengungen von Seiten der Kommission und den sonstigen verantwortlichen Behörden unternommen werden müssen, um sicherzustellen, dass zukünftig keine naturschutzabträglichen Vorhaben mehr mit EU-Mitteln kofinanziert werden, um anschließend die daraus entstandenen Schäden an Natur und Umwelt später wieder mit EU-Geldern auszugleichen.

    Die Finanzsituation in der EU und der absehbare Streit ums Geld

    3.5

    Die Diskussion um die Finanzierung der NATURA-2000-Gebiete muss vor dem Hintergrund des absehbaren Ringens um die Höhe des Gesamthaushalts der EU und die Verteilung der Mittel geführt werden (8). Es ist klar, dass es heftigen Streit ums Geld geben wird:

    Die von der Kommission vorgelegte finanzielle Vorschau der EU für die Jahre 2007-2013 sieht Ausgaben in Höhe von durchschnittlich 1,14 % des Bruttonationaleinkommens vor, die Eigenmittelobergrenze liegt bei 1,24 %. Die so genannten „Nettozahler“ beharren derzeit auf einer Obergrenze von 1 %, was im Jahr 2013 Minderausgaben in Höhe von rund 30 Milliarden € bedeuten würde, sollten sie sich letztlich mit ihrer Forderung durchsetzen.

    Mit der Erweiterung der EU wird es zwangsläufig zu Mittelverschiebungen zwischen Mitgliedstaaten und Regionen kommen, besonders im Bereich der Strukturförderung (9). Regionen, die bislang in der Förderung waren, werden — ggf. nach einer Übergangszeit — nicht mehr unter die bisherigen Förderkriterien fallen.

    3.6

    Die Diskussion um die Obergrenze ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die von der Kommission für den Naturschutz veranschlagten mindestens 6,1 Mrd. € jährlich zu den Aufgaben der zweiten Säule hinzukommen, ohne dass dafür bislang in der finanziellen Vorausschau ausreichende Mittel vorgesehen wurden. Es ist ein heftiger Disput um die Mittel zu erwarten, sowohl zwischen Regionen als auch zwischen den verschiedenen politischen Aufgabenbereichen. Solche Auseinandersetzungen sind keineswegs neu, in der Vergangenheit war allerdings der Naturschutz zu oft unterlegen.

    3.7

    Es muss deshalb sichergestellt werden, dass der Naturschutz, der richtigerweise als Teil der Gesamtpolitik verstanden wird, bei den Finanzierungen durch die Mitgliedstaaten nicht anderen Aufgaben untergeordnet wird und so unter die Räder kommt. Der EWSA betont abermals: Naturschutz in Europa ist kein Luxus, den man sich in wirtschaftlich guten Zeiten „leisten“ kann und auf den man verzichtet, wenn man meint, kein Geld zu haben. Naturschutz ist — wie die Staatschefs häufig betont haben — eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ein politisches Muss, dessen Finanzierung unabdingbar ist.

    3.8

    Um den Grundsatz sparsamer Haushaltsführung zu berücksichtigen, ist zu klären, welche der von der Kommission dargestellten Aufgabenbereiche von NATURA 2000 absolut unabdingbar sind bzw. welche quasi als „Kür“ angesehen werden können. Für jene Aufgaben, die unabdingbar sind (z.B. Ausgleichszahlungen bzw. Anreize an Grundbesitzer bzw. -nutzer) sind dann eindeutig Zweckbindungen vorzusehen; ansonsten kann der EWSA dem Grundsatz der Integration der Finanzierung von NATURA 2000 in die bestehenden Fonds nicht folgen und müsste sich — wie viele der im Vorfeld beteiligten Stakeholder — für einen eigenen Fördertitel aussprechen.

    Besondere Notwendigkeiten im europäischen Naturschutz

    3.9

    Tabelle 2 des Anhangs zur Kommissionsmitteilung schlüsselt die NATURA-2000-Gebiete nach Art der Landnutzung auf. Alte Weideflächen, Heide-, Busch- und Grasland machen 26,3 % der NATURA-2000-Flächen aus, Wälder (primär nicht bzw. nur extensiv genutzte) gar 28,9 %, Sumpfland und Moore bzw. Binnengewässer knapp 13 %, alte Obstplantagen bzw. die so immens artenreichen spanischen bzw. portugiesischen Dehesas (insgesamt knapp 800.000 ha) rund 2 %. Lediglich 5,6 % sind als „Landwirtschaftsfläche“ eingestuft (10).

    3.10

    Die Kommission beschreibt detailliert die für die Umsetzung des Netzes NATURA 2000 erforderlichen Maßnahmen (Teil 3 der Anlage) und errechnet die Kosten (derzeit 6,1 Mrd. €). Grob kann dabei zwischen Verwaltungs- und Planungskosten, Investitionskosten (z.B. für Landkauf, aber auch Investitionen) und laufenden Kosten, u.a. für Ausgleichszahlungen an die Grundbesitzer bzw. für Pflegemaßnahmen, unterschieden werden.

    3.10.1

    Der EWSA hält es für zwingend nötig, möglichst rasch genauere Kostenkalkulationen vorzulegen. Er hat beispielsweise Zweifel, dass die für die neuen Mitgliedstaaten angegebene Summe von 0,3 Mrd. € (für die EU (15): 5,8 Mrd. €) ausreichend sein wird. Es ist eindeutig, dass einige Länder (z.B. Polen) sicherlich noch viele Gebiete nachzumelden haben, was letztlich weiteren finanziellen Bedarf verursachen wird.

    3.11

    Die Kommission stellt nach Auffassung des EWSA zu Recht fest, dass es im Naturschutz häufig darum geht, grundsätzlich die Fortführung jener traditionellen Bewirtschaftungsmethoden sicherzustellen, die für das Entstehen und die Bewahrung von Lebensräumen notwendig sind. Häufig sind dies Wirtschaftsweisen, die sich heute für den Betreiber als unrentabel erweisen, deren Erhalt aber gesellschafts- und naturschutzpolitisch wünschenswert sind. Ein Beispiel: Kaum eine Nutzung entspricht dem Prinzip der Nachthaltigkeit mehr als das frühere extensive Beweidungssystem in den Dehesas auf der iberischen Halbinsel, inkl. des Viehtriebs (Transhumanz) im Frühjahr auf die Sommerweiden in den Gebirgslagen über die sog. Canadas, die sich über viele Jahrzehnte hinweg zu wertvollen Naturarealen entwickeln konnten

    3.12

    Unklar bleibt für den EWSA nach der Lektüre des Kommissionsdokuments allerdings, ob tatsächlich in allen genannten Bereichen tatsächlich eine Ko-Finanzierung seitens der EU zwingend gefordert oder vorgesehen ist bzw. wo ausschließlich von den Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung von EU-Recht finanzielle Beiträge erwartet werden. Hier muss vermutlich noch mehr Klarheit geschaffen werden.

    3.13

    Da in vielen Fällen Konflikte daraus resultieren, dass den bisherigen Landnutzern bislang keine ausreichenden Ausgleichszahlungen bzw. Anreize gegeben wurden, ist diesem Bereich eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Man kann nicht vom gesellschaftlichen oder gar gesamtökonomischen Wert des Naturschutzes reden, die „Kosten“ dafür aber auf Landnutzer bzw. -besitzer abwälzen. Eine zukünftige Finanzregelung muss sicherstellen, dass zumindest den privaten Landbesitzern bzw. -nutzern eine Garantie zum Ausgleich, besser noch ein Anreiz für naturschutzkonforme Initiativen gegeben wird. In NATURA-2000-Gebieten zu leben bzw. zu wirtschaften, sollte zukünftig als „Gewinn“ betrachtet werden und nicht als Beeinträchtigung.

    3.14

    Um dies zu gewährleisten, ist es erforderlich, genau zu ermitteln, wie hoch in jedem Einzelfall der Ausgleichsanspruch ist. Eine generelle Höchstgrenze sowie zeitliche Limitierung des Ausgleichsanspruchs, wie sie derzeit besteht, ist der Gesamtidee abträglich.

    3.14.1

    Für die Zahlung entsprechender Ausgleichszahlungen dürfte — wenn keine eigene Haushaltslinie eingerichtet wird — primär die 2. Säule der Agrarpolitik in Betracht kommen, während für Investitionen wohl eher die klassischen Strukturfonds zu nutzen wären. Der EWSA weist mit großer Sorge darauf hin, dass neue Aufgaben bzw. Zahlungen, die zusätzlich zu den jetzigen Leistungen aus der 2. Säule (der zukünftigen „Ländlichen Entwicklung“) getätigt werden sollen, aus diesem Programm nicht finanziert werden können, wenn nicht andere Aufgaben reduziert oder aber zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt werden.

    3.14.2

    Das heißt konkret: Will man die Qualität der ländlichen Entwicklung erhalten und zudem zur Finanzierung von NATURA 2000 über die 2. Säule beitragen, sind eindeutig zusätzliche, zweckgebundene Mittel nötig. Der EWSA stellt allerdings fest, dass die von der Kommission vorgelegte finanzielle Vorschau, deren Höhe von den Nettozahlern nicht akzeptiert wird, eine solche Steigerung nicht vorsieht und die Gefahr extrem hoch ist, dass Einsparungen gerade im Bereich der 2. Säule vorgenommen werden sollen. Der EWSA sieht hierin nicht nur einen entscheidenden Schwachpunkt und ein hohes Konfliktpotenzial, sondern insgesamt die europäischen Naturschutzbemühungen gefährdet.

    3.14.3

    Der EWSA kann folglich der geplanten Regelung nur dann zustimmen, wenn dies nicht zu Lasten anderer Maßnahmen in der ländlichen Entwicklung geht. Ohne zusätzliche Mittel wird die Kommission und werden die Mitgliedstaaten ihrem Anspruch und ihrem politisch gegebenen Versprechen nicht gerecht werden können, sowohl die ländliche Entwicklung zu fördern als auch NATURA 2000 umzusetzen. Politiker, die Europa so gestalten wollen, sollten dann zumindest den Mut haben, der Gesellschaft klipp und klar zu erklären, dass man bestimmte Aufgaben (wie z.B. den Naturschutz) politisch nicht mehr will.

    3.15

    Für den EWSA heißt dies nicht, dass man nicht auch beim Naturschutz sparsam umgehen muss. Die primäre Zielsetzung der Naturschutzregelungen der EU und somit des NATURA-2000-Netzes ist die Erhaltung der Biodiversität. Das ist quasi das „Pflichtprogramm“, und hier hat sich die EU zumindest in solchen Gebieten, die von europäischer Bedeutung sind, zu beteiligen.

    3.16

    Im Umkehrschluss heißt dies aber auch: Nicht jede kommunale Naturschutzmaßnahme ist eine Maßnahme von europäischer Bedeutung und verdient es deshalb, von der EU kofinanziert zu werden. Die Mitgliedstaaten, Regionen, Kommunen etc. dürfen nicht aus ihrer klaren politischen wie finanziellen Verantwortung entlassen werden nach dem Motto: Wenn es kein EU-Geld gibt, gibt es auch keinen Naturschutz. Ebenso wenig darf sich die EU auf den Standpunkt stellen: „Wir schaffen potenziell die Möglichkeit, aus den vorhandenen Fonds Maßnahmen zu finanzieren. Wenn die Mitgliedstaaten dies nicht tun, weil sie andere Prioritäten setzen, sind sie selber schuld.“

    3.17

    Auf der anderen Seite ist die Erschließung der dargestellten regionalwirtschaftlichen Entwicklungspotenziale der NATURA-2000-Gebiete zwar wünschenswert (weil deutlich wird, dass der Naturschutz tatsächlich auch ökonomisch etwas bewirken kann), für die Artenerhaltung allerdings sind sie nicht unbedingt relevant.

    3.18

    Das bedeutet für den EWSA somit, dass bestimmte Finanzierungsmaßnahmen im Rahmen der Umsetzung des NATURA-2000-Netzes unabdingbar sind, und hierzu sollten Gelder finanztechnisch klar gebunden (earmarked) werden. Der EWSA bittet die Mitgliedstaaten und die Kommission, entsprechende Überlegungen fortzuentwickeln.

    Brüssel, den 10. Februar 2005

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Richtlinie 92/43/EWG (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7).

    (2)  Gesamtkosten, deren Finanzierung den Mitgliedstaaten und der EU obliegt.

    (3)  ABl. C 221 vom 7.8.2001, S. 96-102.

    (4)  Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Überprüfung der Umweltpolitik 2003“, KOM(2003) 745 endg. vom 3.12.2003.

    (5)  Der Zeitraum von 3 Jahren (also bis 1995) betraf die Meldung der entsprechenden Gebiete durch die Mitgliedstaaten. Teilweise ist diese Meldung bis heute nicht endgültig abgeschlossen.

    (6)  Moore und Feuchtflächen sind beispielsweise wertvolle CO2-Senken.

    (7)  Und zwar länderübergreifend: die Niederlande profitieren eindeutig von entsprechenden Maßnahmen, die häufig gleichzeitig einen hohen Naturschutzwert aufweisen.

    (8)  Siehe Stellungnahme des EWSA zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Unsere gemeinsame Zukunft aufbauen: Politische Herausforderungen und Haushaltsmittel der erweiterten Union - 2007-2013“ KOM(2004) 101 endg., CESE 1204/2004, noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

    (9)  aus der wichtige Teile der NATURA-2000-Finanzierung stammen müssten.

    (10)  Hinzu kommen u.a. 13 % an Meeres- und 4 % an Küstengebieten, wo vornehmlich Monitoringkosten anfallen.


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