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Document 52000IE0239
Opinion of the Economic and Social Committee on 'Hungary on the road to accession'
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union»
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union»
ABl. C 117 vom 26.4.2000, pp. 38–46
(ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema «Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union»
Amtsblatt Nr. C 117 vom 26/04/2000 S. 0038 - 0046
Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Der Beitritt Ungarns zur Europäischen Union" (2000/C 117/08) Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 29. April 1999 gemäß Artikel 23 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu erarbeiten. Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 10. Februar 2000 an. Berichterstatter war Herr Gafo Fernández, Mitberichterstatterin Frau Florio. Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 370. Plenartagung (Sitzung vom 1. März 2000) einstimmig folgende Stellungnahme. 1. Einleitung 1.1. Ungarn gehört zu den Ländern, die auf dem Gipfel von Luxemburg für den Beitritt ausgewählt wurden. 1.2. Ungarn wurde aufgrund seiner Fortschritte bei der Erfuellung der auf dem Europäischen Gipfeltreffen von Kopenhagen festgelegten politischen und wirtschaftlichen Kriterien ausgewählt. Diese Fortschritte sollen nachfolgend analysiert werden. 1.3. Die Berichterstatter für diese Stellungnahme haben darüber hinaus Kontakte zur Europäischen Kommission sowie zur ungarischen Vertretung bei der Europäischen Union aufgenommen. Die Studiengruppe traf im Rahmen eines Besuchs in Ungarn im Oktober 1999 mit Vertretern verschiedener Regierungsbehörden und sozialer Organisationen zusammen. Ferner wurden die Entschließungen des Europäischen Parlaments(1) und des Gemischten Beratenden Ausschusses EU/Ungarn(2) berücksichtigt. 2. Die wirtschaftliche und soziale Lage Ungarns 1999 2.1. Allen Informationsquellen zufolge scheint sich Ungarn in sehr erfreulicher Weise auf den Beitritt zur Europäischen Union vorzubereiten. 2.2. Auf politischer Ebene folgten auf die Reform der Verfassung im Jahr 1989 Parlamentswahlen im Mai 1998. Die daraus hervorgegangene Regierungskoalition setzt sich aus drei Parteien zusammen, die mit 213 der 386 Abgeordneten die parlamentarische Mehrheit bilden. Die Regierung unter Führung von Ministerpräsident Orban, der der Fidesz-Partei als größtem Koalitionspartner (38,3 % der Stimmen und 148 Abgeordnetensitze) angehört, verfolgt einen Mitte-Rechts-Kurs. Größte Oppositionspartei ist die sozialistische MSzP mit einem Stimmenanteil von 34,7 % und 134 Sitzen im Parlament. Der Präsident der Republik hat zwar einige Machtbefugnisse, nimmt aber in erster Linie repräsentative Aufgaben wahr. Schließlich wurde Ungarn im März 1999 Vollmitglied der NATO. Alle Berichte weisen darauf hin, daß die demokratischen Institutionen und das parlamentarische System in Ungarn einwandfrei funktionieren und das Land die Kriterien für seinen Beitritt zur Europäischen Union erfuellt. 2.3. Die Beziehungen zu den Nachbarländern haben sich in den letzten Jahren substantiell verbessert. So wurde 1996 ein Abkommen mit der Slowakei und mit Rumänien unterzeichnet. In beiden Fällen gibt es kleinere Probleme im Zusammenhang mit den ungarisch sprechenden Minderheiten und in der Slowakei mit der Nutzung der Donau. 2.4. Was die Wirtschaftslage anbelangt, so ist den für die Jahre 1997 und 1998 vorliegenden Daten zu entnehmen, daß das Wirtschaftswachstum mit einer Quote von 4,4 und 4,5 % bereits wieder deutlich angezogen hat und 1999 nach den letzten Schätzungen bei 4,2 % liegt. Die Inflationsraten sind rückläufig, auch wenn sie 1999 immer noch bei 10 % gegenüber 14,9 % im Jahr 1998 und somit weit über denen der Eurozone lagen. Das Defizit des gesamtstaatlichen Haushalts ging zwar von 4,8 % in 1997 geringfügig auf 4,5 % in 1998 und 3,9 % in 1999 zurück, konnte aber trotz der hohen Wachstumsquote nicht weiter gedrosselt werden. Schließlich sind noch zwei weitere Faktoren von Bedeutung: zum einen die Arbeitslosenquote, die 1998 bei 8 % und 1999 bei 6,5 % lag und - vor dem Hintergrund der bisherigen Wirtschaftspraxis - in einem Land, das bislang an Vollbeschäftigung gewöhnt war, zu gewissen sozialen Spannungen geführt hat, und zum anderen das Leistungsbilanzdefizit, das in den letzten 5 Jahren zwischen 2,5-3,5 % des BIP lag, aber durch einen starken Zufluß ausländischer Direktinvestitionen in Höhe von rund 21 Milliarden Euro ausgeglichen wurde. 2.5. Der Prozeß der Deregulierung und Privatisierung wichtiger Wirtschaftssektoren ist insbesondere seit dem neuen Gesetz von 1995 weit gediehen. Gleichwohl traten punktuelle Schwierigkeiten auf. Allgemein ist Ungarn als ein Land mit uneingeschränkt funktionierender freier Marktwirtschaft zu betrachten, in dem 80 % des BIP vom Privatsektor erzeugt und 64 % des Außenhandels mit Staaten der Europäischen Union abgewickelt werden. 2.6. Die Lage in den einzelnen Produktionssektoren hat sich auch im Zuge der Privatisierungen grundlegend geändert. Die Landwirtschaft hat trotz der in den letzten Jahren erfolgten Abwanderung der Arbeitskräfte in andere Produktionsbereiche immer noch einen hohen Anteil am Arbeitsmarkt (1998 9,4 % laut Eurostat und 1999 7 % nach ungarischen Quellen). Für die Zukunft ist mit einer weiteren Verlagerung dieser Arbeitskräfte in andere Produktionssektoren zu rechnen. 1998 waren in den Kleinstbetrieben (weniger als 10 Arbeitnehmer) rund 1 Million Beschäftigte, in den Kleinbetrieben (10-49 Arbeitnehmer) 360000 sowie in den mittelständischen Unternehmen (50-249 Arbeitnehmer) rund eine halbe Millionen Beschäftigte tätig. Das sind insgesamt rund 50 % der Erwerbsbevölkerung (Quelle IAO-Budapest 1998). 2.7. Der gewerbliche Sektor ist dual strukturiert. Einerseits eine beschränkte Anzahl an Unternehmen, die durch ausländische Investitionen unterstützt werden und eine relativ hohe Produktivität aufweisen, und andererseits eine Vielzahl anderer auf den einheimischen Markt konzentrierter Unternehmen mit niedriger Produktivität und vor allem unzureichenden Technologien, was ihre sofortige Einbeziehung in ein offenes und wettbewerbsorientiertes System erschwert. Besondere Wichtigkeit kann den Aufgaben im Umweltbereich zukommen. 2.8. Der Dienstleistungsbereich scheint sich sehr viel schneller zu entwickeln als die gewerbliche Wirtschaft. Dies liegt vielfach daran, daß es sich um völlig neue Tätigkeiten handelt, die somit keinen Umstrukturierungsprozessen unterworfen sind. Auf jeden Fall muß die Modernisierung dieses Sektors weiter vorangetrieben werden. 2.9. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den ungarischen Sozialpartnern (Anhang 1) 2.9.1. Die in den 90er Jahren erfolgte Umstrukturierung der Arbeitswelt zog eine Zersplitterung der Repräsentativität der Gewerkschaftsverbände und Arbeitgeberorganisationen nach sich. 2.9.2. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft wurde ein pluralistisches Modell der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen eingeführt. Vier der wichtigsten Gewerkschaftsverbände sind aus dem ehemaligen ungarischen Verband (SZOT) hervorgegangen und wurden umstrukturiert (MSZOSZ, Autonomous, SZEF, ESZT), zwei Verbände (LIGA und MOSZ) wurden neu ins Leben gerufen. Von den zahlreichen branchenspezifischen Gewerkschaftsvereinigungen gehören die meisten den sechs repräsentativsten Verbänden an. Der Zersplitterung der Repräsentativität wurde auch durch das Gesetz zur freien gewerkschaftlichen Vereinigung Vorschub geleistet. Dieses besagt, daß sich eine Gruppe von 10 Arbeitnehmern als Betriebsgewerkschaft eintragen lassen kann (1989, Vereinigungsgesetz). Es gab zahlreiche Versuche des Zusammenschlusses und der Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, doch handelte es sich stets nur um erste Ansätze und unzureichende Versuche(3). 2.9.3. Die sechs repräsentativsten Gewerkschaftsorganisationen haben sich dem EGB (Europäischer Gewerkschaftsbund) angeschlossen. Mit Unterstützung durch den EGB wurde im Rahmen des Phare-Programms in Ungarn ebenso wie in den übrigen MOEL ein Nationaler Gewerkschaftsausschuß für die Integration (CNSI) gegründet. Dieses Büro soll den Gewerkschaften als Informationsstelle für europäische Angelegenheiten und Fragen der Erweiterung dienen. Alle Gewerkschaftsorganisationen werden ferner über die Probleme im Zusammenhang mit den Beitrittsverhandlungen informiert und konsultiert. Der ungarische Koordinator des CNSI sitzt als vollberechtigtes Mitglied in der von der Regierung eingesetzten strategischen Arbeitsgruppe zur Integration. 2.9.4. Bereits Ende 1988 wurde ein Dreiparteien-Forum geschaffen, aus dem schließlich der Interessenschlichtungsrat (ET) hervorging. Ziel war es, Konflikten vorzubeugen und den Vertretern der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Regierung ein System für die gegenseitige Information und Konsultation und für das Aushandeln von Vereinbarungen zwischen den Parteien zu bieten. Die Zersplitterung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung hat sich natürlich auch in vielerlei Hinsicht auf die Arbeit und Effizienz der im Rat getroffenen Entscheidungen ausgewirkt. 2.9.5. Der Rat hat sich mit Themen wie Mindestgehalt und Lohnsteigerungen in Sektoren, die dem Wettbewerb ausgesetzt sind, befaßt, und es wurden einige nationale Vereinbarungen geschlossen. Gewidmet hat sich dieses Gremium ferner juristischen und sozioökonomischen Fragen. Laut den Bestimmungen für die Arbeitsweise des Rates hatten die Sozialpartner Anspruch auf Informationen über alle Themen, die die spezifischen Interessen der Arbeitswelt berühren. Sie hatten ferner das Recht, aktiv an der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften mitzuwirken. Die Regierung mußte somit erst bestimmte Konsultationen durchführen, bevor sie Gesetze verabschieden konnte(4). Laut Hinweis des Interessenschlichtungsrates wurde das Arbeitsgesetz in einigen Punkten überarbeitet. Dies gilt insbesondere für den Schutz der Arbeitnehmer, die nicht durch Arbeitstarifverträge geschützt sind. 2.9.6. Seit März 1999 wurde eine weitere Konsultationsrunde über die Änderung des Arbeitsgesetzes und das neue, von der Regierung vorgeschlagene Strukturkonzept für den sozialen Dialog aufgenommen. Der Schlichtungsrat wurde ohne vorherige Absprache mit den Unternehmerverbänden und Gewerkschaftsorganisationen ebenso abgeschafft wie die Ausschüsse für die Verwaltung der sozialen Sicherheit. Was die Kollektivverhandlungen anbelangt, so sehen die dem Parlament von der Regierung vorgelegten Vorschläge vor, daß die Arbeitnehmerräte direkt in den Unternehmen verhandeln können, und zwar auch in jenen, in denen es keine Gewerkschaftsvertretung gibt. 2.9.7. Das neue Konzept der ungarischen Regierung sieht den Abbau der sozialen Dialogstruktur vor, die durch ein System von getrennten Foren (siehe Anhang) ersetzt werden soll. Dieses soll einem breiten Teilnehmerkreis offen stehen, hat aber wenig Entscheidungs- oder Beratungsmöglichkeiten. Zwei Arten von Foren wurden gegründet: die Foren für Arbeit und die für wirtschaftliche und soziale Konsultation. Die Foren für Arbeit sind auf drei Parteien (Regierung, Unternehmer und Gewerkschaften) beschränkt. Die anderen zwei bedeutenden Diskussionsgremien (der Wirtschaftsrat und der Sozialrat) sollen zwei Mal pro Jahr zusammentreten. Einbezogen werden sollen ferner die ungarische Zentralbank, der Börsenverband, die Vertreter der multinationalen Unternehmen sowie verschiedene Handelskammern. Im Sozialrat dürfte die Regierung ausschließlich mit den Vertretern von behinderten oder benachteiligten Menschen, Nichtregierungsorganisationen und unterschiedlichen Vereinigungen zusammentreffen, ohne Einbeziehung der Sozialpartner. 2.9.8. Seit 1968 wurde das ungarische System der Planwirtschaft bis zu einem gewissen Grad dezentralisiert, wodurch die Festsetzung der Löhne von den nationalen Verbänden auf die Arbeitgebervertretungen in den einzelnen Betrieben übertragen wurde(5). 2.9.9. Das 1992 vorgeschlagene Arbeitsgesetz wurde in den letzten Jahren mehrfach geändert, um das ungarische Modell der Arbeitsbeziehungen dem deutschen anzugleichen. So sollten die Betriebsräte unternehmensspezifische Vereinbarungen schließen können, während die nationalen Branchenverbände für die zwischenbetrieblichen Vereinbarungen zuständig sein sollten. 2.9.10. Die Gewerkschaften dürfen derzeit Unternehmensvereinbarungen nur dann unterzeichnen, wenn sie in den letzten beiden Wahlen des Arbeitnehmerrates 50 % der Stimmen auf sich vereinigen konnten. 2.9.11. Die Gruppe der Unternehmer wird von neun nationalen Arbeitgeberverbänden vertreten, die mittlerweile zu einem einzigen Verband zusammengeschlossen sind. Der im Januar 1999 gegründete Verband der ungarischen Arbeitgeberorganisationen für die internationale Zusammenarbeit (MMNSZ) ist als einzige Mitglied der UNICE. Die privaten Unternehmervereinigungen sind seitens ihrer angeschlossenen Unternehmen nicht ermächtigt, Tarifvereinbarungen zu unterzeichnen oder ihnen gegenüber Verpflichtungen einzugehen. Die Hauptfunktion der Unternehmervereinigungen scheint vielmehr in einer wirtschaftlichen und handelsspezifischen Interessenvertretung gegenüber der Regierung zu liegen. Dies erklärt auch zum Teil, warum die Verhandlungen nach Abschluß einer ganzen Reihe von Tarifvereinbarungen in den Jahren 1991 und 1992 ziemlich eingeschlafen sind. 2.9.12. Der Übergang zur Marktwirtschaft hat für viele Bereiche der ungarischen Gesellschaft schwerwiegende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen mit sich gebracht. 1993 erreichte die Arbeitslosenquote eine besorgniserregende Rekordhöhe von 11,3 %. In dieser Zeit nahm auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen erheblich zu. Ende 1999 ging dem Kommissionsbericht (Oktober 1999) zufolge die Arbeitslosenquote auf 7,8 % zurück - bei zum Teil beträchtlichen regionalen Schwankungen und einer ausgesprochen hohen Jugendarbeitslosigkeit(6). 2.9.13. Im Zuge der durch die neue Regierung veranlaßten Umstrukturierung der staatlichen Verwaltung wurde ein neues Ministerium für Sozial- und Familienangelegenheiten geschaffen, während die Zuständigkeiten des 1990 gegründeten und 1998 abgeschafften Ministeriums für Arbeit auf das Wirtschaftsministerium und das Bildungsministerium verteilt wurden. 2.9.14. Zwischen dem nationalen Dienst für die öffentliche Gesundheit, der zum Zwecke des Gesundheitsschutzes und der Krankheitsprävention eingerichtet wurde, und der Arbeitsaufsichtsbehörde mit ihrem Aufgabenschwerpunkt der Überwachung und Kontrolle der Gesundheit am Arbeitsplatz, läßt die Koordination häufig sehr zu wünschen übrig, bzw. beide Stellen verfügen nicht über die erforderlichen Mittel, um den Bedürfnissen der Bürger und der Unfallverhütung am Arbeitsplatz gerecht zu werden. 2.9.15. Auf territorialer Ebene ist - sofern Strukturen für die Grafschaften und Regionen überhaupt geschaffen wurden - die Dezentralisierung der Verwaltung noch nicht abgeschlossen. Den Regionen stehen weiterhin nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung, die auf die neun zuständigen Ministerien verteilt werden und mit denen auch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit finanziert werden müssen(7). Für letztere wurden staatliche Arbeitsämter eingerichtet. Zurückgegriffen hat man auch auf Nichtregierungsorganisationen (NRO), die Umschulungs- oder berufliche Wiedereingliederungsprogramme für Arbeitnehmer erarbeitet haben. Diese Vereinigungen haben ihre Aktivitäten und somit auch ihre politische Einflußnahme in den letzten Jahren erheblich ausgebaut(8). 2.9.16. Was die Kosten des sozialen Sicherheitssystems insgesamt anbelangt (rund 24 % des BIP), so bereitet die ungarische Regierung derzeit eine grundlegende Reform des Rentensystems vor. So soll ein rechtliches Regelwerk geschaffen werden, das 1.) die Errichtung und das Funktionieren von privaten Rentenfonds auf der Grundlage von Pflichtbeiträgen, 2.) ein freiwilliges Zusatzsystem [Gesetz LXXXII von 1997) und 3.] ein obligatorisches staatliches Rentensystem gewährleisten soll(9). 2.9.17. Die Regierung schuf eine Abteilung für Chancengleichheit, die eine Politik der Gleichbehandlung von Männern und Frauen fördern soll. Darüber hinaus bemüht sich eine Reihe von Vereinigungen und NRO um die Unterstützung von Frauen in der Arbeitswelt. 2.9.18. Der Sturz des Regimes 1989 zog einen regelrechten Boom bei der Gründung von Nichtregierungsorganisationen nach sich. Gegenwärtig gibt es rund 60000 eingetragene NRO, die mehr als 47000 Personen beschäftigen und ungefähr 1,5 % de BIP erwirtschaften. Natürlich handelt es sich hierbei um einen Schätzwert, da nicht alle Stiftungen, Vereinigungen und lokale Organisationen immer voll aktiv sind. Im Amt des Ministerpräsidenten wurde eine Abteilung eingerichtet, deren Aufgabe es ist, die Rolle der Vereinigungen und der Freiwilligenarbeit in Ungarn zu unterstützen und zu fördern. 2.9.19. So lobenswert die Arbeit der freiwilligen Vereinigungen auch ist, so hegt der Wirtschafts- und Sozialausschuß doch gewisse Zweifel an der Struktur und der Rolle des Vereinigungswesens, das auf keinen Fall die Kernaufgaben der Regierungsstellen und die legitime Vertretung und Mitwirkung der Sozialpartner übernehmen darf. 2.10. Trotz des anhaltenden starken Entwicklungsgefälles zwischen den einzelnen Regionen bleiben die Unterschiede innerhalb der Schwankungsbreiten, die in anderen EU-Mitgliedstaaten verzeichnet werden. 2.11. Die Reform der Verwaltung hat deutliche Fortschritte gemacht, auch wenn es noch einiges zu tun gibt. Die Modernisierung und der Polizei scheint ein wenig hinterher zu hinken, wobei gerade die Reform der Polizei mit Blick auf das aufkeimende organisierte Verbrechen von gewisser Dringlichkeit ist. 2.12. Was das PHARE-Programm anbelangt, so besteht an den beachtlichen Fortschritten, die dank dieses Programms in Bereichen wie industrielle Umstrukturierung, Privatisierung oder institutionelle Reform und Konsolidierung in den letzten Jahren erzielt wurden, wohl kein Zweifel. Seit 1998 decken sich die Prioritäten des PHARE-Programms mit denen der Heranführungsstrategie und werden somit zu einem der Schlüsselelemente dieser Strategie. Allerdings sehen die Sozialpartner den Einsatz der PHARE-Programme recht kritisch, da der Zugang zu diesen und deren Verwaltung schwierig ist. Eines der heikelsten Probleme ist die nötige Unterstützung und Zustimmungsbedürftigkeit seitens der Regierung. 3. Zusammenfassung der Zusammenkünfte der Studiengruppe in Ungarn 3.1. Die mit der Erarbeitung der vorliegenden Stellungnahme betraute Studiengruppe hatte kurz nach der Veröffentlichung des zweiten Berichts der Kommission über Ungarns Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt Gelegenheit, nach Ungarn zu fahren. 3.2. Dabei hatte die Studiengruppe sowohl die Möglichkeit, mit verschiedenen Beamten der ungarischen Regierung, die sich mit dem Beitrittsprozeß beschäftigen, als auch mit den diesen Prozeß begleitenden Beamten der Delegation der Europäischen Union und besonders mit den repräsentativsten wirtschaftlichen und sozialen Organisationen zu sprechen. Im folgenden die aus dem genannten Besuch zu ziehenden Schlußfolgerungen: 3.3. Die erste, von allen wirtschaftlichen und sozialen Organisationen praktisch einstimmig hervorgehobene Schlußfolgerung war die Feststellung, daß der strukturierte soziale Dialog mit der ungarischen Regierung abgebrochen wurde. 3.4. Dies führte dazu, daß der ehemalige Interessenschlichtungsrat, über den sich der genannte soziale Dialog konkretisierte, durch sechs Beratungsausschüsse ersetzt wurde, wodurch die bisher von ihm erfuellten Aufgaben aufgesplittert, die auszuführenden Funktionen jedoch in einigen Fällen auch erweitert wurden. Zudem haben mehrere dieser beratenden Ausschüsse keine Geschäftsordnung oder nur ungenaue Bestimmungen darüber, wie oft oder unter welchen Bedingungen sie einberufen oder angehört werden. 3.5. Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen sind mit neun Organisationen im ersten und sechs im zweiten Fall stark aufgesplittert. Die Arbeitgeberorganisationen haben allerdings ein Organ zur Koordinierung gegründet, den Verband der ungarischen Arbeitgeber für die internationale Zusammenarbeit (CEHIC), der einen ersten Schritt zu einer allmählichen Integration darstellt. Der Studiengruppe bot sich auch die Gelegenheit, den wichtigsten Verbraucherverband zu treffen, der zwar nur über begrenzte Mittel verfügt, aber äußerst aktiv ist und in der Öffentlichkeit Anklang findet. 3.6. Die Studiengruppe hatte Gelegenheit, mit Vertretern der ungarischen NRO zusammenzukommen. In Ungarn gibt es 60000 Nichtregierungsorganisationen, von denen 30000 aktiv sind. Hinter dieser außerordentlich hohen Zahl verbergen sich jedoch in Wirklichkeit in vielen Fällen Unternehmensformen, häufig Genossenschaften, aber auch richtige Unternehmen, die diese aus ehemals kollektivistischen Strukturen hervorgegangene Form aufgrund der damit verbundenen Steuervorteile angenommen haben. 3.7. Die ungarische Regierung ist fest entschlossen, die NRO, die sie als eine Alternative zum direkten Dialog mit den traditionellen sozialen und wirtschaftlichen Organisationen ansieht, zu unterstützen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: jede natürliche Person kann 1 % ihrer jährlichen Einkommensteuer einer von ihr frei gewählten NRO zukommen lassen. Umgekehrt sind die Beiträge der Unternehmen an die Arbeitgeberorganisationen oder der Arbeitnehmer an die Gewerkschaften jedoch nicht steuerlich absetzbar. 3.8. Die Studiengruppe war angenehm überrascht über den Vorbereitungsgrad der für das Thema Beitritt zuständigen Beamten der ungarischen Verwaltung und fand mehrmals Gelegenheit diese dazu zu beglückwünschen. Hilfreich war hierbei auch die Unterstützung seitens der Europäischen Kommission. 3.9. In allen Zusammenkünften, sowohl mit den Sozialpartnern als auch mit den Regierungsbeamten traten zwei Gründe zur Besorgnis deutlich hervor. 3.9.1. Nach einhelliger Einschätzung der ungarischen Seite ist ein erstes Thema der übertriebene Nachdruck, der im Bericht der Europäischen Union auf das Problem der Volksgruppe - und nicht der Minderheit - der Roma sowie auf das Thema Korruption gelegt wird. Beide Probleme werden überbewertet. Im Fall der Volksgruppe der Roma ist das Problem zwar vorhanden, aber nicht so schwerwiegend wie in dem Bericht dargestellt. Was die Korruption angeht, so wird ein kürzlich verfaßter Bericht von Transparency International genannt, in dem die Position Ungarn besser ist als die eines der Gründerstaaten der Europäischen Union und der verschiedener anderer Mitgliedstaaten vergleichbar. 3.9.2. Das zweite, wesentlich weitreichendere Thema, das Fehlen eines festen und absehbaren Beitrittsdatums, führt zu einer gewissen Ernüchterung in der Bevölkerung und zu Zweifeln am Nutzen der für die vollkommene Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes durch Ungarn notwendigen Anstrengungen. Ein längerer Aufschub des Beitrittsdatums könnte, so wurde mehrmals erklärt, parallel eine Abschwächung der Bemühungen um Anpassung nach sich ziehen. 4. Analyse des aktuellen Standes im Beitrittsprozeß 4.1. Für dieses Kapitel werden im wesentlichen drei Quellen herangezogen. Zum einen der Bericht über Ungarns Fortschritte auf dem Weg zum Beitritt, den die Europäische Kommission im Dezember 1998 und erneut im Oktober 1999 erstellt hat. Zum anderen weitere Dokumente und Berichte, insbesondere die diesbezügliche Stellungnahme des Europäischen Parlaments(10) und die Entschließungen des Gemischten Beratenden Ausschusses EU/Ungarn(11). Schließlich die Ergebnisse aus den Kontakten der Berichterstatter zur Europäischen Kommission und zur ungarischen Vertretung bei der EU, und insbesondere die Ergebnisse der Gespräche, die die mit der Erarbeitung der Stellungnahme beauftragte Studiengruppe im Oktober 1999 mit den Behörden und wirtschaftlichen und sozialen Organisationen in Ungarn führte. 4.2. Der unlängst stattgefundene Gipfel von Helsinki, auf dem günstigere Rahmenbedingungen festgelegt wurden für den Beitritt der Kandidatenländer, die die politischen und wirtschaftlichen Erfordernisse und die Voraussetzungen für die Übernahme des Besitzstandes erfuellen, festgelegt wurden, ist für Ungarn eine Bestätigung seiner Bemühungen um einen möglichst kurzfristigen Beitritt zur Europäischen Union. 4.3. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß möchte darauf hinweisen, daß der Prozeß des Beitritts eines Staates zur Europäischen Union bezüglich der Übertragung von Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen an eine supranationale Instanz zu Beginn schwierig ist. Zudem erfordert er im Fall der jetzigen Bewerberländer, wie z. B. Ungarn, sehr große Anstrengungen zur Anpassung der Produktionsstrukturen und der gesellschaftlichen Gewohnheiten an strengere Maßstäbe. 4.4. Der Ausschuß möchte jedoch auch hervorheben, daß die von den fünfzehn Mitgliedstaaten gemachte Erfahrung sehr positiv war, da die Europäische Union Europa nicht nur Frieden und gegenseitiges Vertrauen brachte, sondern auch eine neue Dimension der Solidarität und des kollektiven Fortschritts schuf, die die Verbreitung eines eigenen, als "europäisches Gesellschaftsmodell" bekannten Wirtschaftsmodells förderte, bei dem alle Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft zwar ihre eigenen Interessen verteidigen, aber dennoch mit dem Ziel des kollektiven Nutzens der Gesellschaft gemeinsam voranschreiten. 4.5. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß bekräftigt, daß der Prozeß der Integration eines Landes - in diesem Fall Ungarn - in die Europäische Union eine kollektive Belastung darstellt, die die gesamte esellschaft des Landes betrifft. Deshalb möchte er seiner Besorgnis über das Fehlen eines reibungslosen sozialen Dialogs zwischen der ungarischen Regierung und den repräsentativsten wirtschaftlichen und sozialen Organisationen des Landes Ausdruck verleihen. 4.6. Der Ausschuß sieht sich weder in der Lage, die eigentlichen Gründe, die zu dieser Situation geführt haben, noch die mögliche individuelle Verantwortlichkeit der Parteien zu beurteilen. Er möchte die ungarische Regierung und die wirtschaftlichen und sozialen Organisationen aber doch dazu aufrufen, Kompromisse zu suchen, die die Wiederaufnahme dieses Dialogs ermöglichen, ohne den der Beitrittsprozeß, wenn auch nicht unmöglich so doch wesentlich schwieriger durchzuführen und von der ungarischen Gesellschaft als Ganzes zu akzeptieren sein wird. 4.7. Bemerkungen zur politischen Lage 4.7.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß schließt sich der Diagnose der Europäischen Kommission größtenteils an. Insbesondere teilt er ihre Ansicht über die Konsolidierung des demokratischen und Regierungssystems sowie über das System der persönlichen Freiheiten. Er kann auch die verbesserte Arbeitsweise des mit mehr und besseren materiellen Mitteln ausgestatteten Rechtssystems bestätigen. 4.7.2. Im Zusammenhang mit der Korruption können nach Ansicht des Wirtschafts- und Sozialausschusses in gewissen Bereichen wie z. B. dem der Sicherheitskräfte und der Grenzkontrolle begrenzte Probleme bestehen, so daß hier im Rahmen der Reform des Verwaltungssystems des Landes prioritär gehandelt werden muß. 4.7.3. Was die Gemeinschaft der Roma betrifft, so erkennt der Wirtschafts- und Sozialausschuß das Bestehen des Problems und die Notwendigkeit dringender Gegenmaßnahmen an. Allerdings möchte er folgende Nuancierungen anbringen: 4.7.3.1. Die Gemeinschaft der Roma, die in Ungarn 600000 Menschen zählt, aber auch in anderen Bewerberländern und in vielen derzeitigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht, muß von den staatlichen Behörden ebenso wie von den Bürgern im allgemeinen respektiert werden. 4.7.3.2. Die Unterbindung der Diskriminierungen, denen die Gemeinschaft der Roma ausgesetzt ist, muß sich auf eine Reihe positiver, von der ungarischen Regierung anscheinend im Rahmen eines mittelfristigen Aktionsplans ergriffener Maßnahmen konzentrieren, insbesondere im Bildungsbereich und in einigen Fällen auf spezifische Unterstützungsprogramme, bei denen die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften eine führende Rolle spielen können, ohne daß diese Politik zu einer erzwungenen, unfreiwilligen Eingliederung der dieser Gemeinschaft angehörenden Menschen führt. 4.7.3.3. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hält eine mögliche Gleichsetzung der Situation der Gemeinschaft der Roma mit der der ungarischen Minderheit in anderen mitteleuropäischen Staaten für unzulässig, da in einigen Fällen bedeutende politische und kulturelle Unterschiede bestehen. 4.8. Bemerkungen zur makroökonomischen Lage 4.8.1. In der ungarischen Wirtschaft sind sehr zufriedenstellende Fortschritte bei der Bemühung um ein stabiles und nicht inflationäres Wachstum zu verzeichnen, wobei zudem die Senkung des Haushaltsdefizits auf ein annehmbares Niveau angestrebt wird. 4.8.2. Der Ausschuß möchte dennoch auf einige makroökonomische Schwierigkeiten hinweisen, denen sich Ungarn gegenübersehen könnte: 4.8.2.1. Als erstes zu nennen sind die Auswirkungen des vor kurzem (am 1. Januar 2000) eingeführten Systems fester Wechselkurse mit dem Euro vor dem Hintergrund einer strengeren Politik zur Inflationsbekämpfung. Zudem sind die Möglichkeiten zur Kontrolle des gesamten Finanzsystems zu verstärken. 4.8.2.2. Eng mit dem Voraufgehenden verbunden ist die Notwendigkeit, das Steuerdefizit weiter zu verringern. Hier stellen sich nach Ansicht des Ausschusses drei Probleme. Zum ersten die Notwendigkeit, die Reform der öffentlichen Verwaltung fortzusetzen und zu beschleunigen, die eine beträchtliche Erhöhung der Gehälter und auch der Zahl der sachverständigen Beamten erfordern könnte. Zum zweiten der beträchtliche Anteil der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften an den öffentlichen Ausgaben. Zum dritten die aufgrund des hohen Anteils der Schattenwirtschaft und des Systems der Steuerbefreiung unzureichende Steuerbemessungsgrundlage. Für die Lösung des Problems des Haushaltsdefizits werden koordinierte und parallel greifende, auf diese drei Faktoren ausgerichtete Maßnahmen notwendig sein. 4.8.2.3. Die Aufspaltung der Wirtschaft in wettbewerbsfähige, eindeutig außenwirtschaftlich ausgerichtete Sektoren mit einer starken Verbindung zu den in sie fließenden ausländischen Direktinvestitionen einerseits und auf den heimischen Markt ausgerichtete Produktionssektoren mit einer unter Umständen geringen Wettbewerbsfähigkeit andererseits ist besorgniserregend. Die ungarische Regierung müßte versuchen, die Transformation der Sektoren vor dem - laut dem Europaabkommen für den 31. Dezember 2000 vorgesehenen - völligen Abbau der Schutzzölle und anderer protektionistischer Maßnahmen zu beschleunigen. 4.8.2.4. Der Privatisierungsprozeß ist weit gediehen. Durch den Verkauf von unrentablen Unternehmen und die Rückführung der Staatsschulden und dem daraus folgenden Abbau des Schuldendienstes konnte das öffentliche Haushaltsdefizit reduziert werden. Konkrete Probleme traten bei der Privatisierung einer Staatsbank auf, die allerdings gelöst werden konnten. Ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden muß, ist die Tatsache, daß Ende 1998 noch 14 % der Ackerlandfläche nicht privatisiert waren. Dies kann sich nachhaltig auf die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) auswirken. Gleichwohl sollte wohl mit einer Verlangsamung der Privatisierungsbemühungen gerechnet werden, wenn die Beitrittsverhandlungen nicht in dem von den ungarischen Behörden gewünschten Tempo voranschreiten. 4.8.3. Die ungarische Wirtschaft könnte also nach Ablauf der Vorbereitungsphase in der Lage sein, dem Wettbewerbsdruck in einem globalisierten Umfeld zu widerstehen, sofern die derzeitigen hohen Produktivitätssteigerungen gehalten werden können, die Gesamteinnahmen in einem gemäßigten Tempo steigen, das mit den Zielen der Inflation, Beschäftigung und Lebensqualität vereinbar ist, und die Modernisierungsinvestitionen - sei es durch inländische Ersparnis oder ausländische Investitionen - gesteigert werden. Nach Ansicht des WSA sollte die angestrebte globale Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft und vor allem der Industrie von der Europäischen Kommission systematisch und eingehend beleuchtet werden. 4.9. Bewertungen zum Binnenmarkt und zur Lage der einzelnen Sektoren 4.9.1. Was die vier Freiheiten in einem Binnenmarkt ohne Grenzen anbelangt, so scheint Ungarn bei der Aufstellung des dem gemeinschaftlichen Besitzstand entsprechenden Rechtsrahmens voranzukommen, auch wenn es seine Mitgliedschaft in den europäischen Normenorganisationen wie CEN und CENELEC schneller vorantreiben sollte, um bis Ende 2000 den in einem jüngst erlassenen Dekret der ungarischen Regierung vorgesehenen Harmonisierungsstand von 80 % zu erreichen. Der WSA sollte im Rahmen seiner Gemischten Beratenden Ausschüsse (nach dem Vorbild der Binnenmarktbeobachtungsstelle) künftig seine Arbeiten ausdehnen, um in den beitrittswilligen Ländern etwaige Hindernisse in der Praxis ausfindig zu machen und entsprechende Lösungen vorschlagen zu können. 4.9.2. Die Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Denn die Umsetzung des vom Assoziationsrat getroffenen Abkommens in ungarisches Recht warf einige verfassungsrechtliche Probleme auf, da die ungarische Verfassung die direkte Anwendung nicht-nationaler Rechtsvorschriften nicht gestattet. Deshalb muß das ungarische Gesetz zur Umsetzung des Beschlusses des Assoziationsrats überarbeitet werden, um es verfassungskonform zu machen. Auch bei der angemessenen Verwaltung und Überwachung des staatlichen Beihilfesystems scheinen einige Schwierigkeiten zu bestehen, für deren Überwindung die ungarische Regierung eine entsprechende Aufsichtsbehörde schuf. Andererseits scheint Ungarn bei der Angleichung der Rechtsvorschriften und Verfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens rasche Fortschritte zu erzielen. 4.9.3. Der Agrarsektor ist angesichts seiner wirtschaftlichen Bedeutung und insbesondere seiner sozialen Auswirkungen einer der zentralen und zugleich komplexesten Elemente des Beitrittsprozesses. Der Gemischte Beratende Ausschuß EU/Ungarn hat hierzu unlängst Stellung genommen(12). Seine Empfehlungen basierten auf folgenden drei Elementen: - Annahme der auf dem Europäischen Rat von Berlin gewährten Finanzperspektiven; - Die Auswirkungen einer unangemessenen Anwendung der GAP auf die ländliche Beschäftigung und die Landflucht, was Lösungen erforderlich macht, die die Beibehaltung eines angemessenen Lebensstandards der ungarischen Landwirte ermöglichen; - Suche nach einem für beide Seiten annehmbaren Kompromiß hinsichtlich der landwirtschaftlichen Ausgleichszahlungen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß schließt sich diesen Schlußfolgerungen des Gemischten Beratenden Ausschusses an, die Bezugspunkt für Fortschritte in den Agrarverhandlungen sein müssen. Darüber hinaus hat Ungarn die Gewährung eines Übergangszeitraums von 10 Jahren für den Erwerb von landwirtschaftlichen Nutzflächen durch Bürger beantragt, die nicht die ungarische Staatsangehörigkeit besitzen, Genossenschaften oder Aktiengesellschaften. Der WSA möchte sich zu der Zweckmäßigkeit dieses Antrags an dieser Stelle nicht äußern. Gleichwohl möchte er eine denkbare Kompromißformel vorschlagen, die darin bestehen könnte, daß der unverzügliche Bodenerwerb allen physischen Personen ermöglicht wird, die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind und ihren Wohnsitz in Ungarn haben, sowie den in Ungarn eingetragenen landwirtschaftlichen Genossenschaften. 4.9.4. Im Bereich Verkehr und Kommunikation hat Ungarn die Umsetzung der neuen Rechtsvorschriften zur Angleichung an den gemeinschaftlichen Besitzstand weiter vorangetrieben, auch wenn hier noch einige Anstrengungen erforderlich sein werden. Der Ausschuß hat in seinen Stellungnahmen zur gesamteuropäischen Verkehrspolitik(13) sowie in der Entschließung des Gemischten Beratenden Ausschusses(14) auf die zentrale Bedeutung Ungarns für die Initiative TINA hingewiesen und betont, wie wichtig es sei, umfangreiche Infrastrukturprogramme für das Schienen- und vor allem das Straßennetz auszuarbeiten. Des weiteren schlug der Gemischte Beratende Ausschuß (GBA) vor, die an die internationale Dimension der ungarischen Wirtschaft gekoppelte Frage des Verkehrs zunächst losgelöst vom einheimischen Markt zu betrachten. Schließlich betonte der GBA die Notwendigkeit, die Ausbildungssysteme für Arbeitnehmer und Selbständige im Verkehrsbereich zu verbessern. 4.9.5. Im Telekommunikationssektor hat Ungarn die Beibehaltung seine Exklusivrechte im Fernsprechsektor bis zum Jahr 2002 beantragt. Der Ausschuß hält es für wünschenswert, daß - soweit technisch und wirtschaftlich machbar sowie sozial vertretbar - einige Dienste mit großem zusätzlichen Nutzen und hohen Zuwachsquoten (z. B. Datenübermittlungsnetze, Mobiltelefone) rascher liberalisiert werden, zumal sich dies in einer Produktivitätssteigerung der gesamten Wirtschaft niederschlagen wird. Dabei müßten während dieses gesamten Prozesses die Verbraucher und Arbeitnehmerschutzgesetze in diesem Sektor beachtet werden. 4.9.6. Die Umweltaspekte könnten zu den Aspekten gehören, die im Moment des Beitritts die größten Schwierigkeiten in der Praxis aufwerfen. In seiner Stellungnahme zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes in den beitrittswilligen Ländern(15) hat der Ausschuß bereits das Konzept dargelegt, an dem sich dieser Prozeß, der auf folgenden Elementen beruht, orientieren sollte: - Verstärkung der Instrumente im Rahmen der für den Beitritt in diesem Bereich bestehenden Gemeinschaftsfonds; - Festsetzung von zeitlich begrenzten Übergangszeiträumen für die Umsetzung des gemeinschaftlichen Umwelt-Besitzstandes für Bereiche, die für den Binnenmarkt kein bedeutendes Hindernis darstellen; - Die Auflage, daß für alle neuen Anlagen oder Projekte, die teilweise oder völlig durch Darlehen oder Beihilfen aus den Gemeinschaftsfonds finanziert werden, die geltenden Gemeinschaftsbestimmungen angewandt werden müssen, auch wenn diese in Ungarn bislang noch nicht offiziell umgesetzt worden sind; - Ausbau der Verwaltungsstrukturen und der technischen Messungssysteme, damit die Umweltvorschriften auch wirklich zur Anwendung gebracht werden können. Angesichts der zentralen Lage Ungarns bezüglich anderer Beitrittsanwärterstaaten muß die Umweltpolitik dieser Länder, insbesondere was die Donau und ihre Zufluesse betrifft, berücksichtigt werden. 4.9.7. Der Ausschuß begrüßt, daß Ungarn im Bereich der Verbraucherschutzgesetze deutliche Fortschritte gemacht hat und hofft, daß die Vertreter der Verbraucherschutzorganisationen aktiv in die Ausarbeitung der Rechtsvorschriften und die Aufklärung der Öffentlichkeit einbezogen werden. 5. Beitrittspartnerschaft und nationales Programm zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes 5.1. Die Beitrittspartnerschaft gemäß der Verordnung (EG) Nr. 622/98 enthält die für die einzelnen Länder zur Übernahme des Besitzstandes festgelegten Prioritäten und weist die für ihre Umsetzung zur Verfügung stehenden Finanzmittel aus. Auf dieser Grundlage hat jedes beitrittswillige Land ein Nationales Programm zur Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes ausgearbeitet. 5.2. Im Rahmen dieser Beitrittspartnerschaft hat Ungarn ein Programm mit folgenden Prioritäten vorgelegt: - Wirtschaftliche Reformen - Steigerung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsbehörden - Binnenmarkt - Justiz und Inneres - Umwelt. 5.3. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß ist der Meinung, daß Ungarn bei der Umsetzung des genannten Programms beträchtliche Fortschritte verzeichnet, wobei es seiner Ansicht nach jedoch einige Bereiche gibt, denen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist und zu denen er einige besondere Empfehlungen aussprechen möchte: 5.3.1. Was die Regionalentwicklung betrifft, so verzeichnet Ungarn nicht nur erhebliche Einkommensunterschiede, sondern ermangelt auch einer Verwaltungsstruktur, die in der Lage ist, eine Politik des regionalen Zusammenhalts zu konzipieren. Die Entwicklung einer solchen Struktur scheint notwendig und dringlich, wenn Ungarn sofort nach seinem Beitritt Mittel des EFRE in Anspruch nehmen will. Diese Politik könnte auch einen Aktionsplan für die Gemeinschaft der Roma zur Förderung ihrer Integration und des Zugangs ihrer Kinder zum Bildungswesen einschließen. 5.3.2. Eine vergleichbare Überlegung müßte zur Anwendung der Gesundheits- und Pflanzenschutznormen angestellt werden, auf die in der Europäischen Union immer mehr Wert gelegt wird. Eine unzureichende Berücksichtigung dieser Aspekte könnte die großen Möglichkeiten des ungarischen Nahrungsmittelsektors auf den Märkten der Gemeinschaft zunichte machen. 5.3.2.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß möchte insbesondere darauf hinweisen, daß die Bestimmungen des gemeinschaftlichen Besitzstandes zur Bekämpfung des Drogenhandels, des organisierten Verbrechens und der Geldwäsche dringend in die ungarischen Rechtsvorschriften übernommen werden müssen. 5.3.3. Große Fortschritte wurden auch bei der Angleichung der ungarischen Außenhandelsbeziehungen - insbesondere jener, die unter die WTO fallen - an den gemeinschaftlichen Besitzstand erzielt. Gleichwohl waren Ende 1998 noch zahlreiche multilaterale Übereinkommen, die die Europäische Union unterzeichnet hat, nicht ratifiziert. Auch müssen noch einige Übereinkommen, die nicht mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand zu vereinbaren sind, aufgehoben werden. Der Ausschuß weist darauf hin, daß Ungarn über die neuen Übereinkommen, die die Europäische Union unterzeichnen wird, in Zukunft informiert werden muß, damit es diese möglichst rasch umsetzen kann. 5.3.4. Im Zollbereich besteht noch großer Aufholbedarf gegenüber der Europäischen Union. Diesem Aspekt muß nicht nur wegen der finanziellen Auswirkungen auf die ungarischen Staatsfinanzen und den EU-Haushalt, sondern auch aufgrund der Tatsache, daß Ungarn an Nicht-EU-Staaten angrenzt, vorrangige Aufmerksamkeit gewidmet werden. 5.3.5. Obwohl sich Planung und Umsetzung des PHARE-Programms durch Ungarn im vergangenen Jahr erheblich verbessert haben, ist noch viel zu tun, um die durch das Programm eröffneten Möglichkeiten optimal auszuschöpfen. Eine ähnliche Überlegung wäre für das strukturpolitische Instrument zur Vorbereitung auf den Beitritt und das künftige SAPPARD-Programm anzustellen. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß empfiehlt, die wirtschaftlichen und sozialen Organisationen aktiver in die Festlegung der Prioritäten und der konkreten Ziele einzubeziehen. 6. Schlußfolgerungen 6.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß vertritt die Ansicht, daß Ungarn sich insgesamt sehr zufriedenstellend auf den Beitritt zur Europäischen Union vorbereitet und daß das Land diese Bemühungen mit derselben Intensität weiter vorantreiben sollte, selbst wenn die Europäische Union aus internen Gründen keinen festen Zeitplan für einen solchen Beitritt festlegen kann. Der WSA hält eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Institutionen der Europäischen Union und der ungarischen Regierung auf paritätischer Basis für erforderlich. 6.2. Der Ausschuß möchte seiner Besorgnis über die Unterbrechung des konstruktiven sozialen Dialogs zwischen der Regierung des genannten Staates und den Sozialpartnern Ausdruck verleihen und alle Parteien anregen, diesen Dialog wieder aufzunehmen, was eine schnellere und von der gesamten ungarischen Gesellschaft stärker akzeptierte Vorbereitung auf den Beitritt zur Folge hätte. 6.3. Der WSA muß künftig im Rahmen seiner Gemischten Beratenden Ausschüsse (wie der Binnenmarktbeobachtungsstelle) eine Erweiterung seiner Tätigkeit ins Auge fassen, um in den Beitrittsanwärterstaaten konkrete Hemmnisse zu überwinden und Lösungen vorzuschlagen. 6.4. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß möchte mit den Mitteln und Möglichkeiten, die ihm der Vertrag über die Europäische Union an die Hand gibt, zu diesem Prozeß beitragen und den Sozialpartnern in Ungarn direkt oder über den Gemischten Beratenden Ausschuß Europäische Union/Ungarn alle seine Mittel sowie Einfluß- und Vermittlungsmöglichkeiten gegenüber den Institutionen der Gemeinschaft sowie der Regierung und anderen Institutionen Ungarns zur Verfügung stellen. Brüssel, den 1. März 2000. Die Präsidentin des Wirtschafts- und Sozialausschusses Beatrice Rangoni Machiavelli (1) Entschließung zu dem Regelmäßigen Bericht der Kommission vom 15.4.1999. (2) Die Agrarpolitik und der Beitritt Ungarns zur EU; Die Reform der Systeme der sozialen Sicherheit der Europäischen Union und Ungarns; der soziale Dialog. (3) G. Casale: "Workers' Participation in CEECs" (OIT-1998). (4) Vgl. das von Laslo Sandor erstellte Dokument des GBA EU-Ungarn: "Die Sozialpolitik: der soziale Dialog", 26.10.1998. (5) Andras Toth: "The transformation of the Industrial Relations in Hungary" in der South East Europe Review 3-1998. (6) Vgl.: Stellungnahme des WSA "Beschäftigungsstand in den Beitrittsländern", Juli 1999. (7) G. Juhas "Threats against further integration?" Lund University, Stockholm 1998. (8) World Bank - Regional Office in Hungary: NGO stock-taking in Hungary. (9) Vgl.: Dokument des GBA EU-Ungarn, 26.10.1998. (10) Entschließung zum regelmäßigen Bericht der Kommission (Verabschiedung am 15.4.1999). (11) "Umgestaltung der Sozialschutzsysteme in der Europäischen Union und in Ungarn". - "Die Sozialpolitik: Der soziale Dialog". (12) Entschließung vom GBA EU-Ungarn am 10. Mai 1999 in Brüssel angenommen. (13) "Umsetzung der Erklärung von Helsinki" (CES 1133/98 - ABl. C 407 vom 28.12.1998) und "Umsetzung des strukturierten Dialogs in den gesamteuropäischen Verkehrskorridoren", ABl. C 329 vom 17.11.1999. (14) Gemeinsame Entschließung - Die Verkehrspolitik und der Beitritt Ungarns zur EU. (15) ABl. C 40 vom 15.2.1999. "Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuß, den Ausschuß der Regionen und die Kandidatenländer Mittel- und Osteuropas über Beitrittsstrategien für die Umwelt: die Erweiterung bewältigen mit den Kandidatenländern Mittel- und Osteuropas" (KOM(1998) 294 endg.). ANHANG zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses Übersichtstabelle zum neuen System des sozialen Dialogs >PLATZ FÜR EINE TABELLE>