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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62020CJ0144

    Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 9. September 2021.
    AS „LatRailNet” und „Latvijas dzelzceļš” VAS gegen Valsts dzelzceļa administrācija.
    Vorabentscheidungsersuchen des Administratīvā rajona tiesa.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2012/34/EU – Art. 32 und 56 – Erhebung von Wegeentgelten im Schienenverkehr – Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers – Aufgaben der Regulierungsstelle – Begriff der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – Ausschließliches Recht in einem Eisenbahnsegment – Betreiber öffentlicher Dienstleistungen.
    Rechtssache C-144/20.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2021:717

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

    9. September 2021 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2012/34/EU – Art. 32 und 56 – Erhebung von Wegeentgelten im Schienenverkehr – Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers – Aufgaben der Regulierungsstelle – Begriff der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – Ausschließliches Recht in einem Eisenbahnsegment – Betreiber öffentlicher Dienstleistungen“

    In der Rechtssache C‑144/20

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 26. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 27. März 2020, in dem Verfahren

    AS „LatRailNet“,

    VAS „Latvijas dzelzceļš“

    gegen

    Valsts dzelzceļa administrācija

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der VAS „Latvijas dzelzceļš“, vertreten durch D. Driče, advokāte,

    der Valsts dzelzceļa administrācija, vertreten durch J. Zālītis, J. Zicāns und J. Iesalnieks,

    der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Sclafani, avvocato dello Stato,

    der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch I. Naglis, W. Mölls und C. Vrignon, dann durch C. Vrignon als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. März 2021

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. 2012, L 343, S. 32).

    2

    Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der AS „LatRailNet“ und der VAS „Latvijas dzelzceļš“ (im Folgenden: LD) einerseits und der Valsts dzelzceļa administrācija (Nationale Eisenbahnverwaltung, Lettland) andererseits wegen der Anfechtung zweier Rechtsakte, die von dieser am 27. Juni 2018 bzw. am 7. November 2018 erlassen wurden.

    Rechtlicher Rahmen

    Richtlinie 2012/34

    3

    Die Erwägungsgründe 19 und 76 der Richtlinie 2012/34 lauten:

    „(19)

    Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße [und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1)] sieht die Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten und lokale Gebietskörperschaften öffentliche Dienstleistungsaufträge vergeben, die ausschließliche Rechte zur Durchführung bestimmter Dienste umfassen können. Es ist daher erforderlich, die Kohärenz zwischen den Bestimmungen der genannten Verordnung und dem Grundsatz der Öffnung grenzüberschreitender Personenverkehrsdienste für den Wettbewerb zu gewährleisten.

    (76)

    Die effiziente Verwaltung und gerechte und nichtdiskriminierende Nutzung der Eisenbahninfrastruktur erfordern die Einrichtung einer Regulierungsstelle, die über die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie wacht und als Beschwerdestelle fungiert, unbeschadet der Möglichkeit gerichtlicher Nachprüfung. Diese Regulierungsstelle sollte ihre Informationsanfragen und Entscheidungen mit geeigneten Sanktionen durchsetzen können.“

    4

    Art. 4 („Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen und Infrastrukturbetreiber“) Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 bestimmt:

    „Der Infrastrukturbetreiber ist unter Beachtung der Rahmenbedingungen betreffend die Entgelterhebung und die Kapazitätszuweisung und der von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelvorschriften für seine eigene Geschäftsführung, Verwaltung und interne Kontrolle verantwortlich.“

    5

    Art. 7 („Unabhängigkeit bei wesentlichen Funktionen der Infrastrukturbetreiber“) dieser Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die wesentlichen Funktionen, die für einen gerechten und nichtdiskriminierenden Zugang zur Infrastruktur ausschlaggebend sind, Stellen oder Unternehmen übertragen werden, die selbst keine Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen. Ungeachtet der Organisationsstrukturen ist der Nachweis zu erbringen, dass dieses Ziel erreicht worden ist.

    Bei den wesentlichen Funktionen handelt es sich um

    a)

    Entscheidungen über die Zugtrassenzuweisung, einschließlich sowohl der Bestimmung als auch der Beurteilung der Verfügbarkeit und der Zuweisung von einzelnen Zugtrassen, und

    b)

    Entscheidungen über die Wegeentgelte, einschließlich ihrer Festlegung und Erhebung unbeschadet des Artikels 29 Absatz 1.

    Die Mitgliedstaaten können jedoch Eisenbahnunternehmen oder jeder anderen Stelle die Verantwortung für die Unterstützung des Ausbaus der Eisenbahninfrastruktur übertragen, wozu beispielsweise Investitionen, Wartung und Finanzierung gehören.

    …“

    6

    Abschnitt 2 („Wege- und Dienstleistungsentgelte“) des Kapitels IV der Richtlinie 2012/34 umfasst die Art. 29 bis 37 dieser Richtlinie.

    7

    Art. 29 („Festsetzung, Berechnung und Erhebung von Entgelten“) der Richtlinie sieht vor:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten schaffen eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 zu wahren ist.

    Vorbehaltlich dieser Bedingung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Infrastrukturbetreiber.

    Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Schienennetz-Nutzungsbedingungen die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung enthalten oder auf eine Website verweisen, auf der die Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung veröffentlicht sind.

    Der Infrastrukturbetreiber nimmt die Berechnung und Erhebung des Wegeentgeltes gemäß den geltenden Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung vor.

    Unbeschadet der Unabhängigkeit der Geschäftsführung gemäß Artikel 4 und unter der Voraussetzung, dass das Recht mindestens vor dem 15. Dezember 2010, unmittelbar durch Verfassungsrecht gewährt wurde, kann das nationale Parlament das Recht haben, die Höhe der vom Infrastrukturbetreiber festgelegten Entgelte zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Bei jeder Änderung ist sicherzustellen, dass die Entgelte mit dieser Richtlinie und mit den geltenden Rahmenbedingungen und Vorschriften für die Entgelterhebung in Einklang stehen.

    (2)   Außer im Fall besonderer Maßnahmen gemäß Artikel 32 Absatz 3 tragen die Infrastrukturbetreiber dafür Sorge, dass die Entgeltregelung in ihrem gesamten Netz auf denselben Grundsätzen beruht.

    …“

    8

    Art. 31 („Entgeltgrundsätze“) Abs. 5 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bestimmt:

    „Gestützt auf die Erfahrungen der Infrastrukturbetreiber, der Eisenbahnunternehmen, der Regulierungsstellen und der zuständigen Behörden und in Anerkennung bestehender Regelungen über lärmabhängige Wegeentgelte erlässt die Kommission Durchführungsmaßnahmen mit Modalitäten für die Anwendung der Anlastung der Kosten von Lärmauswirkungen einschließlich der Anwendungsdauer und mit Bestimmungen, die es gestatten, dass bei der Differenzierung der Wegeentgelte gegebenenfalls die Schutzwürdigkeit des betreffenden Gebiets berücksichtigt wird, insbesondere hinsichtlich des Umfangs der betroffenen Bevölkerung und der Zugzusammensetzung und ihrer Auswirkung auf die Lärmemissionen. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem Prüfverfahren nach Artikel 62 Absatz 3 erlassen. Sie dürfen weder zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zwischen den Eisenbahnunternehmen führen noch die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahnsektors beeinträchtigen.“

    9

    Art. 32 („Ausnahmen von den Entgeltgrundsätzen“) Abs. 1 und 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2012/34 bestimmt:

    „(1)   Um eine volle Deckung der dem Infrastrukturbetreiber entstehenden Kosten zu erhalten, kann ein Mitgliedstaat, sofern der Markt dies tragen kann, Aufschläge auf der Grundlage effizienter, transparenter und nichtdiskriminierender Grundsätze erheben, wobei die bestmögliche Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes zu gewährleisten ist. Die Entgeltregelung muss dem von den Eisenbahnunternehmen erzielten Produktivitätszuwachs Rechnung tragen.

    Die Höhe der Entgelte darf jedoch nicht die Nutzung der Fahrwege durch Marktsegmente ausschließen, die mindestens die Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen, sowie eine Rendite, die der Markt tragen kann, erbringen können.

    Bevor die Mitgliedstaaten solche Aufschläge genehmigen, stellen sie sicher, dass die Infrastrukturbetreiber prüfen, inwieweit die Aufschläge für bestimmte Marktsegmente relevant sind; dabei ziehen sie mindestens die in Anhang VI Nummer 1 genannten Verkehrsdienst-Paare in Betracht und wählen die zutreffenden aus. Die Liste der von den Infrastrukturbetreibern festgelegten Marktsegmente umfasst mindestens die drei folgenden Segmente: Güterverkehrsdienste, Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und andere Personenverkehrsdienste.

    Die Infrastrukturbetreiber können Marktsegmente je nach Art der Güter- oder Personenbeförderung weiter untergliedern.

    Marktsegmente, in denen Eisenbahnunternehmen gegenwärtig nicht tätig sind, in denen sie aber möglicherweise während der Laufzeit der Entgeltregelung Leistungen erbringen, werden ebenfalls festgelegt. Die Infrastrukturbetreiber nehmen in die Entgeltregelung für diese Marktsegmente keine Aufschläge auf.

    Die Liste der Marktsegmente wird in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen veröffentlicht und mindestens alle fünf Jahre überprüft. Die Regulierungsstelle nach Artikel 55 überwacht diese Liste gemäß Artikel 56.

    (4)   …

    Die Kommission erlässt vor dem 16. Juni 2015 und nach einer Folgenabschätzung Maßnahmen mit den Modalitäten, die bei der Anwendung der Differenzierung der Wegeentgelte zu befolgen sind, in einem Zeitrahmen, der mit dem im Rahmen der Entscheidung 2009/561/EG [der Kommission vom 22. Juli 2009 zur Änderung der Entscheidung 2006/679/EG hinsichtlich der Umsetzung der technischen Spezifikation für die Interoperabilität (TSI) des Teilsystems Zugsteuerung/Zugsicherung und Signalgebung des konventionellen transeuropäischen Eisenbahnsystems (ABl. 2009, L 194, S. 60)] aufgestellten [Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystem (ERTMS)‑]Bereitstellungsplan im Einklang steht, und stellt dabei sicher, dass dies die Erlöse des Infrastrukturbetreibers insgesamt nicht verändert. Mit diesen Durchführungsmaßnahmen werden die Modalitäten der Differenzierung für Züge angepasst, die unter Nutzung eines begrenzten Abschnitts der in der Entscheidung 2009/561/EG angegebenen Eisenbahnkorridore lokale und regionale Dienste erbringen. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem Prüfverfahren nach Artikel 62 Absatz 3 erlassen. Sie dürfen weder zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zwischen den Eisenbahnunternehmen führen noch die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahnsektors beeinträchtigen.“

    10

    In Art. 56 („Aufgaben der Regulierungsstelle“) der Richtlinie 2012/34 heißt es:

    „(1)   Ist ein Antragsteller der Auffassung, ungerecht behandelt, diskriminiert oder auf andere Weise in seinen Rechten verletzt worden zu sein, so hat er unbeschadet des Artikels 46 Absatz 6 das Recht, die Regulierungsstelle zu befassen, und zwar insbesondere gegen Entscheidungen des Infrastrukturbetreibers oder gegebenenfalls des Eisenbahnunternehmens oder des Betreibers einer Serviceeinrichtung betreffend:

    a)

    den Entwurf und die Endfassung der Schienennetz-Nutzungsbedingungen;

    b)

    die darin festgelegten Kriterien;

    c)

    das Zuweisungsverfahren und dessen Ergebnis;

    d)

    die Entgeltregelung;

    e)

    die Höhe oder Struktur der Wegeentgelte, die er zu zahlen hat oder hätte;

    f)

    die Zugangsregelungen gemäß Artikel 10 bis 13;

    g)

    den Zugang zu Leistungen gemäß Artikel 13 und die dafür erhobenen Entgelte.

    (2)   Unbeschadet der Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörden für die Sicherstellung des Wettbewerbs in den Schienenverkehrsmärkten ist die Regulierungsstelle berechtigt, die Wettbewerbssituation in den Schienenverkehrsmärkten zu überwachen; sie prüft insbesondere von sich aus die in Absatz 1 Buchstaben a bis g genannten Punkte, um der Diskriminierung von Antragstellern vorzubeugen. Sie prüft insbesondere, ob die Schienennetz-Nutzungsbedingungen diskriminierende Bestimmungen enthalten oder den Infrastrukturbetreibern einen Ermessensspielraum geben, der die Diskriminierung von Antragstellern ermöglicht.

    (6)   Die Regulierungsstelle gewährleistet, dass die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte dem Kapitel IV Abschnitt 2 entsprechen und nichtdiskriminierend sind. Verhandlungen zwischen Antragstellern und einem Infrastrukturbetreiber über die Höhe von Wegeentgelten sind nur zulässig, sofern sie unter Aufsicht der Regulierungsstelle erfolgen. Die Regulierungsstelle hat einzugreifen, wenn bei den Verhandlungen ein Verstoß gegen die Bestimmungen dieses Kapitels droht.

    …“

    Verordnung Nr. 1370/2007

    11

    Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1370/2007 bestimmt:

    „Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

    e)

    ‚gemeinwirtschaftliche Verpflichtung‘ eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten, die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte;

    f)

    ‚ausschließliches Recht‘ ein Recht, das einen Betreiber eines öffentlichen Dienstes berechtigt, bestimmte öffentliche Personenverkehrsdienste auf einer bestimmten Strecke oder in einem bestimmten Streckennetz oder Gebiet unter Ausschluss aller anderen solchen Betreiber zu erbringen;

    …“

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    12

    Am 30. Juni 2017 genehmigte LatRailNet als mit den wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur beauftragte Stelle im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 die Entgeltregelung für das Marktsegment der Personenverkehrsdienste, die im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags erbracht werden, und wandte auf sie ein Kriterium mit einem festgelegten Wert 1, d. h. den maximalen Aufschlagindex, an, während das auf die anderen Segmente anwendbare Kriterium auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens festgelegt wurde.

    13

    Am 27. Juni 2018 erließ die Nationale Eisenbahnverwaltung als Regulierungsstelle im Sinne von Art. 55 der Richtlinie 2012/34 einen Bescheid, mit dem sie LatRailNet verpflichtete, die auf die Personenverkehrsdienste anwendbare Entgeltregelung im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags zu ändern (im Folgenden: erster streitiger Bescheid).

    14

    Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass nach der Richtlinie 2012/34 Aufschläge nur dann Anwendung fänden, wenn der Markt dies tragen könne, und Wegeentgelte die Nutzung öffentlicher Eisenbahninfrastrukturen durch Marktsegmente, die zumindest die unmittelbaren Kosten decken könnten, nicht verhindern dürften. Nach Ansicht der Nationalen Eisenbahnverwaltung bedeutet dies, dass die Anwendung des Aufschlags und die Festsetzung seiner Höhe Gegenstand einer Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit und der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Marktsegments sind.

    15

    Im verfügenden Teil des ersten streitigen Bescheids heißt es, dass mit der Entgeltregelung Kriterien für die Bewertung der Aufschläge festgelegt werden sollen, die für das Marktsegment der Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags anwendbar sind, mit Ausnahme der bereits vorgesehenen und vom Staatshaushalt oder dem Haushalt der lokalen Gebietskörperschaften gedeckten Ausgaben, die die Personenverkehrsunternehmen nicht aus ihren eigenen Einnahmen aus dem Personenverkehr decken können.

    16

    Am 26. Juli 2018 erhob LatRailNet beim Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) Klage auf Aufhebung dieses Bescheids.

    17

    Zur Stützung ihrer Klage machte LatRailNet geltend, dass die Nationale Eisenbahnverwaltung ihre Befugnisse als Regulierungsstelle überschritten habe, da sie eine Änderung der Entgeltregelung angeordnet und den genauen darin aufzunehmenden Inhalt angeführt habe, obwohl nur die mit den wesentlichen Funktionen des Betreibers der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur beauftragte Stelle über eine solche Zuständigkeit verfüge.

    18

    Am 21. August 2018 änderte LatRailNet die Entgeltregelung, indem sie vorsah, dass der Satz des Aufschlags im Segment der Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags auch auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens festgesetzt werde.

    19

    Am 20. September 2018 legte LD als Betreiber der Infrastruktur bei der Nationalen Eisenbahnverwaltung einen Rechtsbehelf gegen die Änderungen der Entgeltregelung ein, der mit Entscheidung vom 7. November 2018 (im Folgenden: zweiter streitiger Bescheid) zurückgewiesen wurde.

    20

    LD erhob bei der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) Klage gegen den zweiten streitigen Bescheid. Das Gericht verband das Verfahren auf Aufhebung des ersten streitigen Bescheids und das Verfahren über den zweiten streitigen Bescheid.

    21

    LD machte im Wesentlichen geltend, dass die Nationale Eisenbahnverwaltung als Regulierungsstelle für die Änderung der Entgeltregelung nicht zuständig sei, da ihre Zuständigkeit an das Vorliegen einer Diskriminierung im Zusammenhang mit der Entgeltregelung geknüpft sei.

    22

    Ein solcher Fall liege im Ausgangsverfahren nicht vor, da dem betreffenden Eisenbahnunternehmen bis zum 30. Juni 2031 das ausschließliche Recht, öffentliche Verkehrsdienste auf regionalen Schienenstrecken anzubieten, gewährt worden sei und Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34, der eine optimale Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten solle, auf Marktsegmente, auf denen kein Wettbewerb herrsche, nicht anwendbar sei.

    23

    Die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) betont, dass Art. 56 der Richtlinie 2012/34 vorsehe, dass die Regulierungsstelle von sich aus tätig werde, um der Diskriminierung von Antragstellern vorzubeugen, was im Übrigen in ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt worden sei.

    24

    Außerdem legten die Art. 4 und 7 dieser Richtlinie die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers und seine wesentlichen Funktionen fest, was den Gerichtshof zu der Entscheidung veranlasst habe, dass ein solcher Betreiber über einen gewissen Beurteilungsspielraum verfügen müsse, der es ihm zumindest erlaube, Entscheidungen zu treffen, in denen die Faktoren, auf deren Grundlage die Berechnung vorgenommen werde, ausgewählt oder beurteilt würden.

    25

    Die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) weist ferner darauf hin, dass Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 vorsehe, dass die Anwendung der Aufschläge für bestimmte Marktsegmente, insbesondere unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieser Aufschläge auf das Marktsegment der Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und daher unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit dieses Segments zu beurteilen sei. Außerdem beziehe sich der 19. Erwägungsgrund dieser Richtlinie zwar auf Marktsegmente, die im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags erbracht würden, doch sehe die Richtlinie keine Ausnahme von der Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit für diese Art von Marktsegment vor.

    26

    Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass der Regulierungsstelle nach Art. 32 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 die Befugnis, von Amts wegen tätig zu werden, nur zustehe, um der Diskriminierung von Antragstellern vorzubeugen, und dass bei der Festsetzung der Höhe des Aufschlags für das Marktsegment der Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags u. a. die Wettbewerbsfähigkeit dieses Segments zu berücksichtigen sei.

    27

    Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel hinsichtlich dieser Auslegung.

    28

    Unter diesen Umständen hat das Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Ist Art. 56 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen, dass die Regulierungsstelle befugt ist, von Amts wegen einen Bescheid zu erlassen, der ein Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie ausübt, verpflichtet, bestimmte Änderungen der Berechnungsmodalitäten der Wegeentgelte (Entgeltregelung) vorzunehmen, die nicht im Zusammenhang mit der Diskriminierung von Antragstellern stehen?

    2.

    Falls die erste Frage bejaht wird: Ist die Regulierungsstelle befugt, mit einem solchen Bescheid die Voraussetzungen festzulegen, die diese Änderungen erfüllen müssen, z. B. indem sie vorschreibt, dass von den Kriterien für die Festsetzung der Wegeentgelte die bereits vorgesehenen und vom Staatshaushalt oder dem Haushalt der lokalen Gebietskörperschaften gedeckten Ausgaben ausgenommen werden, die die Personenverkehrsunternehmen nicht aus den Einnahmen aus dem Personenverkehr decken können?

    3.

    Ist Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen, dass die in diesem Absatz vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bei der Festlegung der Aufschläge für Wegeentgelte eine optimale Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarkts zu gewährleisten, auch für die Festsetzung von Wegeentgelten in Marktsegmenten gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., weil im betreffenden Marktsegment der Personenverkehr nur von einem einzigen Eisenbahnunternehmen durchgeführt wird, dem gemäß Art. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1370/2007 das ausschließliche Recht zur Durchführung des Personenverkehrs in diesem Marktsegment gewährt wurde?

    Zu den Vorlagefragen

    Zur ersten Frage

    29

    Obwohl die erste Frage nur die Auslegung von Art. 56 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Der Gerichtshof kann veranlasst sein, für seine sachdienliche Antwort unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 27. Januar 2021, De Ruiter, C‑361/19, EU:C:2021:71, Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    In Anwendung dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass bei der Beantwortung dieser Frage auch die anderen Funktionen der Regulierungsstelle nach Art. 56 der Richtlinie, insbesondere die Abs. 6 und 9 des Art. 56, zu berücksichtigen sind.

    31

    Folglich ist die erste Frage dahin umzuformulieren, dass mit ihr im Wesentlichen danach gefragt werden soll, ob Art. 56 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass die Regulierungsstelle befugt ist, von Amts wegen einen Bescheid zu erlassen, der ein Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie ausübt, verpflichtet, bestimmte Änderungen der Wegeentgeltregelung vorzunehmen, obwohl kein Zusammenhang mit der Diskriminierung von Antragstellern besteht.

    32

    Zum einen ist festzustellen, dass Art. 56 Abs. 6 Satz 1 der Richtlinie 2012/34 bestimmt, dass „[d]ie Regulierungsstelle gewährleistet, dass die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte dem Kapitel IV Abschnitt 2 entsprechen und nichtdiskriminierend sind“.

    33

    Kapitel IV Abschnitt 2 der Richtlinie 2012/34 enthält Regeln über die Entgelterhebung und die Entgelte.

    34

    Daher ergibt sich aus Art. 56 Abs. 6 dieser Richtlinie, dass die Regulierungsstelle für die Beurteilung zuständig ist, ob die vom Infrastrukturbetreiber festgesetzten Entgelte mit den Bestimmungen der Richtlinie im Einklang stehen, ohne dass diese Kontrolle auf die Beurteilung des möglicherweise diskriminierenden Charakters dieser Entgelte beschränkt wäre.

    35

    Zum anderen ergibt sich aus Art. 56 Abs. 9 der Richtlinie 2012/34, dass die Regulierungsstelle gegebenenfalls von sich aus über geeignete Maßnahmen zur Korrektur von Fällen der Diskriminierung von Antragstellern, Marktverzerrung und anderer unerwünschter Entwicklungen in diesen Märkten, insbesondere in Bezug auf Art. 56 Abs. 1 Buchst. a bis g, entscheidet. Da Art. 56 Abs. 1 Buchst. d gerade die Entgeltregelung betrifft, gewährt Art. 56 Abs. 9 der Regulierungsstelle folglich die Möglichkeit, im Rahmen einer solchen Entgeltregelung von Amts wegen jeden möglichen Verstoß gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2012/34 zu prüfen und nicht nur Verstöße, die mit der Diskriminierung von Antragstellern verbunden sind.

    36

    Dieses Ergebnis wird durch den 76. Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/34 bestätigt, in dem es u. a. allgemein heißt, dass die Regulierungsstelle über die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie wacht.

    37

    Im Übrigen hängt diese Befugnis der Regulierungsstelle nicht von der Erhebung einer Beschwerde oder einer Klage ab und kann somit von Amts wegen ausgeübt werden.

    38

    Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 56 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass die Regulierungsstelle befugt ist, von Amts wegen einen Bescheid zu erlassen, der ein Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie ausübt, verpflichtet, bestimmte Änderungen der Wegeentgeltregelung vorzunehmen, obwohl kein Zusammenhang mit der Diskriminierung von Antragstellern besteht.

    Zur zweiten Frage

    39

    Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass eine Regulierungsstelle, wenn sie dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, Änderungen vorschreibt, Voraussetzungen festlegen darf, die diese Änderungen erfüllen müssen, und konkret, ob sie vorschreiben darf, dass von den Kriterien für die Festsetzung der Wegeentgelte die bereits vorgesehenen und vom Staatshaushalt oder dem Haushalt der lokalen Gebietskörperschaften gedeckten Ausgaben ausgenommen werden, die die Eisenbahnunternehmen nicht aus den Einnahmen aus dem Personenverkehr decken können.

    40

    Diese Frage besteht aus zwei Teilen. Das vorlegende Gericht fragt zum einen, ob seine Entscheidung im Allgemeinen vorschreiben darf, dass die geforderte Änderung einen bestimmten Inhalt hat, und zum anderen legt es konkret eine bestimmte Maßnahme fest und fragt, ob diese Maßnahme vorgeschrieben werden darf.

    41

    Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. 2001, L 75, S. 29) Bestimmungen enthielt, die wie Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 und Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie, auf den Art. 29 Abs. 1 verweist, die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Infrastrukturbetreibers zum Ziel hatte. Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass der Betreiber der Infrastruktur, damit eine solche Unabhängigkeit gewährleistet wird, in dem von den Mitgliedstaaten definierten Rahmen der Entgelterhebung über einen gewissen Spielraum bei der Berechnung der Höhe der Entgelte verfügen muss, um hiervon als Geschäftsführungsinstrument Gebrauch machen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2013, Kommission/Tschechische Republik, C‑545/10, EU:C:2013:509, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    42

    Diese Unabhängigkeit des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur bei der Berechnung der Höhe der Entgelte ist vom Gerichtshof sowohl in den Beziehungen dieses Betreibers zu dem betreffenden Mitgliedstaat (Urteile vom 28. Februar 2013, Kommission/Spanien, C‑483/10, EU:C:2013:114, Rn. 44, und vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 45 und 46) als auch in jenen zwischen diesem Betreiber und den Eisenbahnunternehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2013, Kommission/Ungarn, C‑473/10, EU:C:2013:113, Rn. 79) anerkannt worden.

    43

    Eine solche Unabhängigkeit des Betreibers gilt zwar auch gegenüber der Regulierungsstelle, doch ist hervorzuheben, dass diese Unabhängigkeit im Licht des Gleichgewichts zu beurteilen ist, das der Unionsgesetzgeber zwischen dem Betreiber der Infrastruktur, insbesondere bei der Ausübung seiner wesentlichen Funktionen im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34, und den anderen Stellen, denen diese Richtlinie Befugnisse zuweist, herstellen wollte.

    44

    So hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 29 Abs. 1 dieser Richtlinie in Bezug auf die Entgeltregelungen eine Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und dem Betreiber der Infrastruktur vornimmt. Es ist nämlich Sache der Mitgliedstaaten, eine Entgeltrahmenregelung zu schaffen, während die Berechnung und Erhebung des Entgelts grundsätzlich vom Betreiber der Infrastruktur vorgenommen wird (vgl. entsprechend Urteil vom 9. November 2017, CTL Logistics, C‑489/15, EU:C:2017:834, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    45

    Ebenso fällt, wie sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, die Rechtmäßigkeitskontrolle, die Art. 56 der Richtlinie 2012/34 der Regulierungsstelle zugewiesen hat, unter die durch diese Richtlinie vorgesehene Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dieser Regulierungsstelle und dem Betreiber der Infrastruktur. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausübung dieser Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Regulierungsstelle die durch diese Richtlinie gewährleistete Unabhängigkeit des Betreibers der Infrastruktur beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Kommission/Italien, C‑369/11, EU:C:2013:636, Rn. 46). Somit ist die Regulierungsstelle im Rahmen dieser Ausübung befugt, dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, die Änderungen anzuzeigen, die an der Entgeltregelung vorgenommen werden müssen, um die Unvereinbarkeiten dieser Regelung mit den Anforderungen der Richtlinie 2012/34 zu beseitigen.

    46

    Insoweit dürfen die Entscheidungen der Regulierungsstelle jedoch nur auf einen Verstoß gegen die Bestimmungen von Kapitel IV Abschnitt 2 der Richtlinie 2012/34 oder gegen das Diskriminierungsverbot gestützt werden. Die Regulierungsstelle ist nicht befugt, das Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, dazu zu zwingen, sich seiner Zweckmäßigkeitsbeurteilung zu fügen, da die Regulierungsstelle dadurch den Spielraum beeinträchtigen würde, über den dieser Betreiber verfügen muss, wie in Rn. 41 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist.

    47

    Daher ist auf den ersten Teil der zweiten Frage zu antworten, dass Art. 56 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass die in eine Entgeltregelung aufzunehmenden Voraussetzungen, die die Regulierungsstelle dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, vorschreiben darf, mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2012/34 begründet sein müssen, sich auf die Beseitigung von Unvereinbarkeiten beschränken müssen und keine Zweckmäßigkeitsbeurteilungen dieser Stelle enthalten dürfen, die den Spielraum dieses Betreibers beeinträchtigen.

    48

    Mit dem zweiten Teil der zweiten Frage bezieht sich das vorlegende Gericht auf einen konkreten und spezifischen Bestandteil der Entgelterhebung, den die Regulierungsstelle möglicherweise vorschreiben darf.

    49

    Das Vorabentscheidungsersuchen enthält keine Angaben über die Art der bereits vorgesehenen und vom Staatshaushalt oder dem Haushalt der lokalen Gebietskörperschaften gedeckten Ausgaben, die von den Kriterien für die Festsetzung der Wegeentgelte ausgenommen sein sollen. Jedenfalls kann die einem Eisenbahnunternehmen gewährte Ausgleichsleistung für gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen nicht als Wegeentgelt angesehen werden.

    50

    Nach Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 schaffen die Mitgliedstaaten eine Entgeltrahmenregelung, wobei die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetriebs zu wahren ist. Vorbehaltlich dieser Bedingung legen die Mitgliedstaaten auch einzelne Entgeltregeln fest oder delegieren diese Befugnisse an den Infrastrukturbetreiber.

    51

    Die dem Gerichtshof vorliegenden Akten enthalten keine Angaben darüber, dass der betreffende Mitgliedstaat solche spezifischen Entgeltregeln festgelegt hätte. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint es, dass diese Verantwortung dem Unternehmen übertragen wurde, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt.

    52

    In diesem Fall richten sich die Beziehungen zwischen der Regulierungsstelle und dem Unternehmen, das diese wesentlichen Funktionen ausübt, nach den in Rn. 47 des vorliegenden Urteils dargelegten Grundsätzen.

    53

    Unter diesen Umständen erfordert die Beantwortung des zweiten Teils der zweiten Frage keine zusätzliche Auslegung dieser Grundsätze, sondern verlangt ihre Anwendung durch das nationale Gericht.

    54

    Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass „Art. 267 AEUV auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, in deren Rahmen es dem Gerichtshof obliegt, das Unionsrecht auszulegen und dem vorlegenden Gericht, das auf diese Weise ausgelegte Recht auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anzuwenden“ (Beschluss vom 19. Dezember 2019, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld, C‑645/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1108, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    55

    Folglich braucht der Gerichtshof den zweiten Teil der zweiten Frage nicht zu beantworten.

    Zur dritten Frage

    56

    Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass er – auch in Bezug auf das Kriterium der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – auch für Segmente des Eisenbahnmarktes gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., wenn sie von einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes betrieben werden, dem aufgrund eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ein ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1370/2007 gewährt worden ist.

    57

    Wie der Generalanwalt in den Nrn. 38 bis 44 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, unterscheidet sich der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ in Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 vom Begriff „Wettbewerb“ und sind die Bestimmungen, in die sich der erstgenannte Begriff einfügt, unter Berücksichtigung dieser Besonderheit auszulegen.

    58

    Diese Unterscheidung ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen der Richtlinie 2012/34. Der Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ wird nämlich in Kapitel IV („Erhebung von Wegeentgelten und Zuweisung von Fahrwegkapazität im Schienenverkehr“) dieser Richtlinie zum einen in Art. 31 Abs. 5 Unterabs. 2 dieser Richtlinie verwendet, der vorsieht, dass die von der Kommission erlassenen Durchführungsrechtsakte mit Modalitäten für die Anwendung der Anlastung der Kosten von Lärmauswirkungen „weder zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zwischen den Eisenbahnunternehmen führen noch die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahnsektors beeinträchtigen [dürfen]“, und zum anderen in Art. 32 Abs. 4 Unterabs. 4, der vorsieht, dass die Durchführungsrechtsakte mit den Modalitäten, die bei der Anwendung der Differenzierung der Wegeentgelte zu befolgen sind, „weder zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zwischen den Eisenbahnunternehmen führen noch die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit des Eisenbahnsektors beeinträchtigen [dürfen]“.

    59

    Daher bezieht sich dieser Begriff „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht auf den Wettbewerb zwischen den Eisenbahnunternehmen, sondern auf die Wettbewerbsfähigkeit des betreffenden Eisenbahnsektors gegenüber anderen Verkehrsträgern.

    60

    Daraus folgt, dass die in Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 vorgesehene Berücksichtigung der „bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes“ auch für Marktsegmente gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., wenn das betreffende Segment von einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes betrieben wird, dem aufgrund eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ein ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1370/2007 gewährt worden ist.

    61

    Diese Auslegung wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2012/34 ausdrücklich vorsieht, dass die Liste der Marktsegmente, die von den Infrastrukturbetreibern erstellt wird, um beurteilen zu können, inwieweit die Entgeltaufschläge relevant sind, die Personenverkehrsdienste im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags berücksichtigen muss, der, wie im 19. Erwägungsgrund dieser Richtlinie erläutert wird, nach der Verordnung Nr. 1370/2007 „ausschließliche Rechte zur Durchführung bestimmter Dienste umfassen“ kann.

    62

    Wie der Generalanwalt in den Nrn. 58 bis 61 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, schließt der Umstand, dass ein Betreiber eines öffentlichen Dienstes eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung im Sinne von Art. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1370/2007 erfüllt und ihm dazu ein ausschließliches Recht in einem Eisenbahnsegment gewährt wird, nicht aus, dass der Betrieb dieses Segments einen gewissen Grad an Rentabilität erreichen kann, der so zur Anwendung von Aufschlägen führt.

    63

    Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 dahin auszulegen ist, dass er – auch in Bezug auf das Kriterium der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – auch für Segmente des Eisenbahnmarktes gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., wenn sie von einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes betrieben werden, dem aufgrund eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ein ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1370/2007 gewährt worden ist.

    Kosten

    64

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 56 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums ist dahin auszulegen, dass die Regulierungsstelle befugt ist, von Amts wegen einen Bescheid zu erlassen, der ein Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie ausübt, verpflichtet, bestimmte Änderungen der Wegeentgeltregelung vorzunehmen, obwohl kein Zusammenhang mit der Diskriminierung von Antragstellern besteht.

     

    2.

    Art. 56 der Richtlinie 2012/34 ist dahin auszulegen, dass die in eine Entgeltregelung aufzunehmenden Voraussetzungen, die die Regulierungsstelle dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, vorschreiben darf, mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2012/34 begründet sein müssen, sich auf die Beseitigung von Unvereinbarkeiten beschränken müssen und keine Zweckmäßigkeitsbeurteilungen dieser Stelle enthalten dürfen, die den Spielraum dieses Betreibers beeinträchtigen.

     

    3.

    Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 ist dahin auszulegen, dass er – auch in Bezug auf das Kriterium der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – auch für Segmente des Eisenbahnmarktes gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., wenn sie von einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes betrieben werden, dem aufgrund eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ein ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates gewährt worden ist.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.

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