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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62019CJ0360

    Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 8. Oktober 2020.
    Crown Van Gelder BV gegen Autoriteit Consument en Markt (ACM).
    Vorabentscheidungsersuchen des College van Beroep voor het bedrijfsleven.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektrizitätsbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 37 – Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde – Außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten – Begriff ‚Betroffener, der eine Beschwerde hat‘ – Beschwerde eines Endkunden gegen den Betreiber eines Übertragungsnetzes, an das die Anlage dieses Kunden nicht unmittelbar angeschlossen ist – Störung dieses Netzes – Fehlende Vertragsbeziehung zwischen dem Endkunden und dem Netzbetreiber – Zulässigkeit der Beschwerde.
    Rechtssache C-360/19.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2020:805

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

    8. Oktober 2020 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektrizitätsbinnenmarkt – Richtlinie 2009/72/EG – Art. 37 – Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde – Außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten – Begriff ‚Betroffener, der eine Beschwerde hat‘ – Beschwerde eines Endkunden gegen den Betreiber eines Übertragungsnetzes, an das die Anlage dieses Kunden nicht unmittelbar angeschlossen ist – Störung dieses Netzes – Fehlende Vertragsbeziehung zwischen dem Endkunden und dem Netzbetreiber – Zulässigkeit der Beschwerde“

    In der Rechtssache C‑360/19

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom College van Beroep voor het bedrijfsleven (Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen, Niederlande) mit Entscheidung vom 23. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Mai 2019, in dem Verfahren

    Crown Van Gelder BV

    gegen

    Autoriteit Consument en Markt (ACM),

    Beteiligte:

    TenneT TSO BV,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis (Berichterstatter),

    Generalanwalt: G. Pitruzzella,

    Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2020,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der Crown Van Gelder BV, vertreten durch R. het Lam, advocaat,

    der TenneT TSO BV, vertreten durch L. Baljon im Beistand von I. Brinkman, advocaat,

    der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und P. Huurnink als Bevollmächtigte,

    der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Manhaeve und O. Beynet als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juni 2020

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Crown Van Gelder BV und der Autoriteit Consument en Markt (ACM) (Behörde für Verbraucher- und Marktangelegenheiten, Niederlande, im Folgenden: ACM) wegen eines Bescheids der ACM, mit dem die von Crown Van Gelder gegen die TenneT TSO BV, die Betreiberin des nationalen Hochspannungsnetzes, infolge einer Störung dieses Netzes eingelegte Beschwerde für unzulässig erklärt wurde.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    3

    In den Erwägungsgründen 37, 42, 51 und 54 der Richtlinie 2009/72 heißt es:

    „(37)

    Die Regulierungsbehörden sollten über die Befugnis verfügen, Entscheidungen zu erlassen, die für die Elektrizitätsunternehmen bindend sind, und wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen gegen Elektrizitätsunternehmen, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, entweder selbst zu verhängen oder einem zuständigen Gericht die Verhängung solcher Sanktionen gegen solche Unternehmen vorzuschlagen. … Die Regulierungsbehörden sollten ferner über die Befugnis verfügen, dazu beizutragen, hohe Standards bei der Gewährleistung der Grundversorgung und der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen in Übereinstimmung mit den Erfordernissen einer Marktöffnung, den Schutz benachteiligter Kunden und die volle Wirksamkeit der zum Schutz der Kunden ergriffenen Maßnahmen zu gewährleisten. …

    (42)

    Überall in der [Europäischen Union] sollten Industrie und Handel, einschließlich der kleinen und mittleren Unternehmen, sowie die Bürger der Union, die von den wirtschaftlichen Vorteilen des Binnenmarktes profitieren, … auch ein hohes Verbraucherschutzniveau genießen können … Darüber hinaus sollten diese Kunden ein Recht auf Wahlmöglichkeiten, Fairness, Interessenvertretung und die Inanspruchnahme eines Streitbeilegungsverfahrens haben.

    (51)

    Im Mittelpunkt dieser Richtlinie sollten die Belange der Verbraucher stehen, und die Gewährleistung der Dienstleistungsqualität sollte zentraler Bestandteil der Aufgaben von Elektrizitätsunternehmen sein. Die bestehenden Verbraucherrechte müssen gestärkt und abgesichert werden und sollten auch auf mehr Transparenz ausgerichtet sein. Durch den Verbraucherschutz sollte sichergestellt werden, dass allen Kunden im größeren Kontext der [Union] die Vorzüge eines Wettbewerbsmarktes zugutekommen. Die Rechte der Verbraucher sollten von den Mitgliedstaaten oder, sofern dies von einem Mitgliedstaat so vorgesehen ist, von den Regulierungsbehörden durchgesetzt werden.

    (54)

    Ein besserer Verbraucherschutz ist gewährleistet, wenn für alle Verbraucher ein Zugang zu wirksamen Streitbeilegungsverfahren besteht. Die Mitgliedstaaten sollten Verfahren zur schnellen und wirksamen Behandlung von Beschwerden einrichten.“

    4

    Art. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

    „Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung, ‑übertragung, ‑verteilung und ‑versorgung sowie Vorschriften im Bereich des Verbraucherschutzes erlassen, um in der [Union] für die Verbesserung und Integration von durch Wettbewerb geprägte Strommärkte zu sorgen. … Darüber hinaus werden in der Richtlinie die Verpflichtungen zur Gewährleistung der Grundversorgung und die Rechte der Stromverbraucher festgelegt und die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften klargestellt.“

    5

    Art. 2 der Richtlinie enthält folgende Definitionen:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

    3.

    ‚Übertragung‘ den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zwecke der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung;

    4.

    ‚Übertragungsnetzbetreiber‘ eine natürliche oder juristische Person, die verantwortlich ist für den Betrieb, die Wartung sowie erforderlichenfalls den Ausbau des Übertragungsnetzes in einem bestimmten Gebiet und gegebenenfalls der Verbindungsleitungen zu anderen Netzen sowie für die Sicherstellung der langfristigen Fähigkeit des Netzes, eine angemessene Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu decken;

    9.

    ‚Endkunden‘ einen Kunden, der Elektrizität für den eigenen Verbrauch kauft;

    …“

    6

    Art. 3 („Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen und Schutz der Kunden“) sieht in Abs. 7 der Richtlinie 2009/72 vor:

    „Die Mitgliedstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht. … Die Mitgliedstaaten gewährleisten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und Streitbeilegungsverfahren. …“

    7

    In Art. 12 („Aufgaben der Übertragungsnetzbetreiber“) dieser Richtlinie heißt es:

    „Jeder Übertragungsnetzbetreiber ist dafür verantwortlich,

    a)

    auf lange Sicht die Fähigkeit des Netzes sicherzustellen, eine angemessene Nachfrage nach Übertragung von Elektrizität zu befriedigen, unter wirtschaftlichen Bedingungen und unter gebührender Beachtung des Umweltschutzes sichere, zuverlässige und leistungsfähige Übertragungsnetze zu betreiben, zu warten und auszubauen;

    b)

    zu gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Dienstleistungsverpflichtungen erforderlichen Mittel vorhanden sind;

    c)

    durch entsprechende Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Netzes zur Versorgungssicherheit beizutragen;

    d)

    die Übertragung von Elektrizität durch das Netz unter Berücksichtigung des Austauschs mit anderen Verbundnetzen zu regeln. Daher ist es Sache des Übertragungsnetzbetreibers, ein sicheres, zuverlässiges und effizientes Elektrizitätsnetz zu unterhalten und in diesem Zusammenhang die Bereitstellung aller notwendigen Hilfsdienste – einschließlich jener, die zur Befriedigung der Nachfrage geleistet werden – zu gewährleisten, sofern diese Bereitstellung unabhängig von jedwedem anderen Übertragungsnetz ist, mit dem das Netz einen Verbund bildet;

    …“

    8

    Art. 32 („Zugang Dritter“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 2:

    „Der Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber kann den Netzzugang verweigern, wenn er nicht über die nötige Kapazität verfügt. … Die Mitgliedstaaten oder, wenn die Mitgliedstaaten dies vorsehen, die Regulierungsbehörden gewährleisten, dass diese Kriterien einheitlich Anwendung finden und die Netzbenutzer, denen der Netzzugang verweigert wurde, ein Streitbeilegungsverfahren in Anspruch nehmen können. …“

    9

    Art. 36 („Allgemeine Ziele der Regulierungsbehörde“) der Richtlinie 2009/72 sieht vor:

    „Bei der Wahrnehmung der in dieser Richtlinie genannten Regulierungsaufgaben trifft die Regulierungsbehörde alle angemessenen Maßnahmen zur Erreichung folgender Ziele im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse gemäß Artikel 37, gegebenenfalls in engem Benehmen mit anderen einschlägigen nationalen Behörden, einschließlich der Wettbewerbsbehörden, und unbeschadet deren Zuständigkeiten:

    g)

    Maßnahmen, die bewirken, dass die Kunden Vorteile aus dem effizienten Funktionieren des nationalen Marktes ziehen, Förderung eines effektiven Wettbewerbs und Beiträge zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes;

    …“

    10

    In Art. 37 („Aufgaben und Befugnisse der Regulierungsbehörde“) dieser Richtlinie heißt es:

    „(1)   Die Regulierungsbehörde hat folgende Aufgaben:

    b)

    sie gewährleistet, dass Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber – gegebenenfalls auch Netzeigentümer – sowie Elektrizitätsunternehmen ihren aus dieser Richtlinie und anderen einschlägigen … Rechtsvorschriften [der Union] erwachsenden Verpflichtungen nachkommen, auch in Bezug auf grenzüberschreitende Aspekte;

    h)

    sie beobachtet die Einhaltung der Anforderungen und überprüft die bisherige Qualität in Bezug auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Netzes, legt für die Dienstleistungs- und Versorgungsqualität geltende Normen und Anforderungen fest oder genehmigt sie oder leistet hierzu gemeinsam mit anderen zuständigen Behörden einen Beitrag;

    m)

    sie verfolgt, wie viel Zeit die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber für die Herstellung von Anschlüssen und für Reparaturen benötigen;

    n)

    sie trägt zusammen mit anderen einschlägigen Behörden dazu bei, dass Maßnahmen zum Verbraucherschutz, einschließlich der in Anhang I festgelegten Maßnahmen, wirksam sind und durchgesetzt werden;

    (4)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Regulierungsbehörden mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet werden, die es ihnen ermöglichen, die in den Absätzen 1, 3 und 6 genannten Aufgaben effizient und schnell zu erfüllen. Hierzu muss die Regulierungsbehörde unter anderem über folgende Befugnisse verfügen:

    a)

    Erlass von Entscheidungen, die für Elektrizitätsunternehmen bindend sind;

    d)

    Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen gegen Elektrizitätsunternehmen, die ihren aus dieser Richtlinie oder allen einschlägigen rechtsverbindlichen Entscheidungen der Regulierungsbehörde oder der Agentur erwachsenden Verpflichtungen nicht nachkommen, oder Vorschlag der Verhängung solcher Sanktionen bei einem zuständigen Gericht, derartige Sanktionen zu verhängen. Hierzu zählt auch die Befugnis, bei Nichteinhaltung der jeweiligen Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie gegen den Übertragungsnetzbetreiber bzw. das vertikal integrierte Unternehmen Sanktionen in Höhe von bis zu 10 % des Jahresumsatzes des Übertragungsnetzbetreibers bzw. des vertikal integrierten Unternehmens zu verhängen oder vorzuschlagen; und

    e)

    ausreichende Untersuchungsrechte und entsprechende Anweisungsbefugnisse zur Streitbeilegung gemäß den Absätzen 11 und 12.

    (11)   Jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber hat, kann damit die Regulierungsbehörde befassen, die als Streitbeilegungsstelle innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung trifft. Diese Frist kann um zwei Monate verlängert werden, wenn die Regulierungsbehörde zusätzliche Informationen anfordert. Mit Zustimmung des Beschwerdeführers ist eine weitere Verlängerung dieser Frist möglich. Die Entscheidung der Regulierungsbehörde ist verbindlich, bis sie gegebenenfalls aufgrund eines Rechtsbehelfs aufgehoben wird.

    …“

    Niederländisches Recht

    11

    Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 wurde durch Art. 51 Abs. 1 der Wet houdende regels met betrekking tot de productie, het transport en de levering van elektriciteit (Elektriciteitswet 1998) (Gesetz zur Regelung der Erzeugung, der Übertragung und der Lieferung von Elektrizität [Elektrizitätsgesetz 1998]) vom 2. Juli 1998 (Stb. 1998, Nr. 427) in niederländisches Recht umgesetzt. Nach diesem Art. 51 Abs. 1 kann „[e]ine Partei einer Streitigkeit mit einem Netzbetreiber über die Art und Weise, wie dieser seine Aufgaben und Befugnisse nach diesem Gesetz ausübt bzw. seine Verpflichtungen aus diesem Gesetz erfüllt, … eine Beschwerde bei der [ACM] einlegen“.

    Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

    12

    Am 27. März 2015 bewirkte eine allgemeine Störung im 380‑kV-Hochspannungsumschaltwerk Diemen (Niederlande), das zum von TenneT TSO betriebenen Hochspannungsnetz gehört, dass ein großer Teil der Provinz Noord-Holland (Nordholland) und ein kleiner Teil der Provinz Flevoland mehrere Stunden lang keine Elektrizität hatten.

    13

    Aufgrund dieser Störung war die Übertragung von Elektrizität zur Papierfabrik von Crown Van Gelder in Velsen-Noord (Niederlande) für mehrere Stunden unterbrochen. Die Fabrik ist an das von der Liander NV betriebene Verteilungsnetz angeschlossen, das aus dem von TenneT TSO betriebenen Hochspannungsnetz gespeist wird.

    14

    Crown Van Gelder machte geltend, durch diesen Umstand einen Schaden erlitten zu haben, und legte bei der ACM Beschwerde ein, um feststellen zu lassen, dass TenneT TSO nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um eine Unterbrechung des Elektrizitätsübertragungsdienstes zu verhindern, und dass die Netzstruktur des Umschaltwerks Diemen nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge.

    15

    Mit Bescheid vom 30. April 2018 erklärte die ACM diese Beschwerde für unzulässig, da Crown Van Gelder keine unmittelbare Beziehung zu TenneT TSO habe und daher nicht als eine „Partei einer Streitigkeit mit einem Netzbetreiber“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 des Elektrizitätsgesetzes 1998 angesehen werden könne. Die Fabrik von Crown Van Gelder sei nicht an das Netz von TenneT TSO angeschlossen, Crown Van Gelder habe keinen Vertrag mit TenneT TSO geschlossen und erhalte von dieser auch keine Rechnungen.

    16

    Crown Van Gelder erhob gegen diesen Bescheid Klage beim vorlegenden Gericht, dem College van Beroep voor het bedrijfsleven (Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen, Niederlande).

    17

    Dieses Gericht führt aus, dass die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits über die Auslegung des Begriffs „jeder Betroffene, der eine Beschwerde hat“ im Sinne von Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 stritten. Es habe insbesondere über die Frage zu entscheiden, ob eine Beschwerde von einer juristischen Person eingelegt werden könne, die ein an das regionale Netz angeschlossenes Unternehmen betreibe, dessen Elektrizitätsversorgung durch eine Störung des nationalen Netzes, das dieses regionale Netz speise, unterbrochen worden sei. Die Tragweite dieser Bestimmung sei nicht so klar, dass kein vernünftiger Zweifel an ihrer Auslegung bestehe.

    18

    Unter diesen Umständen hat das College van Beroep voor het bedrijfsleven (Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    Ist Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen, dass diese Vorschrift das Recht auf Beschwerde gegen den Betreiber des nationalen Netzes (Übertragungsnetzbetreiber) auch einem Betroffenen einräumt, der über keinen Anschluss an das Netz dieses Netzbetreibers (Übertragungsnetzbetreiber) verfügt, sondern ausschließlich an ein regionales Netz (Verteilernetz) angeschlossen ist, in dem der Transport von Elektrizität aufgrund einer Unterbrechung im nationalen Netz (Übertragungsnetz), das das regionale Netz (Verteilernetz) speist, stockt?

    Zur Vorlagefrage

    19

    Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass die Regulierungsbehörde eine Beschwerde, die ein Endkunde gegen den Betreiber eines Übertragungsnetzes infolge einer Störung dieses Netzes eingelegt hat, mit der Begründung zurückweisen kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.

    20

    Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 sieht vor, dass jeder Betroffene, der in Bezug auf die von einem Betreiber im Rahmen dieser Richtlinie eingegangenen Verpflichtungen eine Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber hat, damit die Regulierungsbehörde befassen kann, die als Streitbeilegungsstelle innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach Eingang der Beschwerde eine Entscheidung trifft. Für die Beantwortung der Vorlagefrage ist daher der Begriff „Betroffener, der eine Beschwerde hat“ auszulegen.

    21

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Bestimmung, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu erfolgen hat (Urteil vom 19. Dezember 2019, GRDF, C‑236/18, EU:C:2019:1120, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    22

    Im vorliegenden Fall ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut von Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Befugnis der Regulierungsbehörde ausdrücklich von zwei Voraussetzungen abhängt. Zum einen muss sich die Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber richten. Zum anderen muss sich die in dieser Beschwerde erhobene Rüge auf Verpflichtungen des Netzbetreibers aus dieser Richtlinie beziehen.

    23

    Dem Wortlaut von Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass die Befugnis der Regulierungsbehörde auf der Grundlage dieser Bestimmung vom Bestehen einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Netzbetreiber abhängt.

    24

    Eine Auslegung des Begriffs „Betroffener, der eine Beschwerde hat“ dahin, dass er eine solche Beziehung voraussetzt, würde die Tragweite dieses Begriffs einschränken, während die Verwendung des Wortes „jeder“, das dem Wort „Betroffene“ vorausgeht, im Gegenteil darauf hindeutet, dass dieser Begriff weit zu verstehen ist. Außerdem bezeichnet, wie der Generalanwalt in den Nrn. 30 bis 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das in einigen Sprachfassungen der Bestimmung verwendete Wort „Partei“ nicht zwangsläufig eine Partei eines Vertrags, sondern kann auch in der „verfahrensrechtlichen“ Bedeutung dieses Wortes als Bezugnahme auf Personen verstanden werden, die ein Interesse daran haben, die Regulierungsbehörde anzurufen. Im Übrigen werden in einigen Sprachfassungen dieser Bestimmung andere Wörter als „Partei“ verwendet, nämlich „Betroffener“ in der deutschen Fassung und „interessado“ (Betroffener) in der portugiesischen Fassung, die keine Vertragspartei bezeichnen.

    25

    Was sodann den Regelungszusammenhang von Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 betrifft, ist festzustellen, dass keine Bestimmung dieser Richtlinie darauf abzielt, die Tragweite des Begriffs „Betroffener, der eine Beschwerde hat“ einzuschränken, indem sie etwa von diesem Begriff die Personen ausnähme, die keine unmittelbare Beziehung zum betreffenden Netzbetreiber unterhalten. Vielmehr sieht Art. 32 Abs. 2 dieser Richtlinie vor, dass der Nutzer eines Netzes, zu dem der Zugang verweigert wurde, ein Streitbeilegungsverfahren einleiten können muss, auch wenn keine Vertragsbeziehung zwischen ihm und dem Netzbetreiber besteht.

    26

    Was schließlich die mit der Richtlinie 2009/72 verfolgten Ziele angeht, ergibt sich aus den Erwägungsgründen 37, 42, 51 und 54 sowie aus Art. 1 dieser Richtlinie, dass die Richtlinie den Energieregulierungsbehörden die Befugnis verleihen soll, die volle Wirksamkeit der zum Schutz der Kunden ergriffenen Maßnahmen zu gewährleisten, und dass sie dafür sorgen soll, dass überall in der Industrie und im Handel sowie allen Unionsbürgern ein hohes Verbraucherschutzniveau und Streitbeilegungsverfahren gewährleistet wird, dass die Belange der Verbraucher in den Mittelpunkt dieser Richtlinie gestellt werden, dass die Regulierungsbehörden, wenn der Mitgliedstaat ihnen diese Befugnis überträgt, die Rechte der Stromverbraucher durchsetzen, und dass für alle Verbraucher ein Zugang zu wirksamen Streitbeilegungsverfahren eingerichtet wird.

    27

    Ebenso verpflichtet Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2009/72 die Mitgliedstaaten u. a. dazu, einen hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf Streitbeilegungsverfahren, und Art. 36 Buchst. g dieser Richtlinie weist den Regulierungsbehörden das Ziel zu, zum Schutz der Verbraucher beizutragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2020, Energiavirasto, C‑578/18, EU:C:2020:35, Rn. 34 und 35).

    28

    Zur Erreichung dieser Ziele überträgt Art. 37 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2009/72 der Regulierungsbehörde die Aufgabe, zu gewährleisten, dass Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber – gegebenenfalls auch Netzeigentümer – sowie Elektrizitätsunternehmen ihren aus dieser Richtlinie und aus anderen einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsvorschriften erwachsenden Verpflichtungen nachkommen. Zu diesem Zweck verfügt die Regulierungsbehörde nach Art. 37 Abs. 4 Buchst. a, d und e dieser Richtlinie u. a. über die Befugnis, Entscheidungen zu erlassen, die für Elektrizitätsunternehmen bindend sind, wirksame Sanktionen zu verhängen oder die Verhängung solcher Sanktionen bei einem zuständigen Gericht vorzuschlagen, sowie über ausreichende Untersuchungsrechte und entsprechende Anweisungsbefugnisse zur Streitbeilegung gemäß Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie.

    29

    Im Kontext des Ausgangsverfahrens ist ferner darauf hinzuweisen, dass die Regulierungsbehörde nach Art. 37 Abs. 1 Buchst. h und m der Richtlinie 2009/72 die Aufgabe hat, in Bezug auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Netzes die Einhaltung der Anforderungen zu beobachten und die bisherige Qualität zu prüfen sowie zu verfolgen, wie viel Zeit die Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber für die Herstellung von Anschlüssen und für Reparaturen benötigen.

    30

    Eine Beschränkung des Rechts, bei der Regulierungsbehörde gemäß Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 eine Beschwerde einzulegen, auf Endkunden, die eine unmittelbare Beziehung zum betreffenden Netzbetreiber unterhalten, steht jedoch nicht im Einklang mit den in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils genannten Zielen, da sie den Zugang der Verbraucher zum Streitbeilegungsverfahren und damit die Möglichkeiten der Regulierungsbehörde beschränkt, die ihr übertragenen Aufgaben, wie sie in den Rn. 28 und 29 des vorliegenden Urteils dargestellt worden sind, zu erfüllen.

    31

    Außerdem ist insbesondere in Bezug auf die Übertragungsnetzbetreiber festzustellen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die ihnen durch die Richtlinie 2009/72 auferlegten Aufgaben und Verpflichtungen nicht nur Einrichtungen betreffen, deren Anlage an ihr Netz angeschlossen ist. So verpflichtet insbesondere Art. 12 Buchst. a bis d dieser Richtlinie sie u. a. dazu, unter wirtschaftlichen Bedingungen sichere, zuverlässige und leistungsfähige Übertragungsnetze zu betreiben, zu pflegen und zu entwickeln, zu gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Dienstleistungsverpflichtungen erforderlichen Mittel vorhanden sind, durch entsprechende Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Netzes zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Übertragung von Elektrizität durch das Netz unter Berücksichtigung des Austauschs mit anderen Verbundnetzen zu regeln.

    32

    Durch eine Beschränkung des Rechts, gemäß Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 eine Beschwerde an die Regulierungsbehörde zu richten, auf Endkunden, die eine unmittelbare Beziehung zum betreffenden Übertragungsnetzbetreiber unterhalten, wird die Regulierungsbehörde daher insbesondere darin eingeschränkt, mit Hilfe einer Beschwerde die ihr u. a. übertragene Aufgabe zu erfüllen, nämlich sicherzustellen, dass die Übertragungsnetzbetreiber ihren Verpflichtungen aus dieser Richtlinie nachkommen.

    33

    Nach dem Vorstehenden kann der Begriff „Betroffener, der eine Beschwerde hat“ nicht dahin ausgelegt werden, dass er eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Übertragungsnetzbetreiber voraussetzt.

    34

    Somit erlegt Art. 37 der Richtlinie 2009/72 den Mitgliedstaaten zwar nicht die Verpflichtung auf, der Regulierungsbehörde die Befugnis zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Stromverbrauchern und Netzbetreibern zu übertragen, sondern erlaubt es ihnen, diese Befugnis einer anderen Stelle zuzuweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Januar 2020, Energiavirasto, C‑578/18, EU:C:2020:35, Rn. 36 bis 40 und 43), doch kann diese Befugnis, wenn sie der Regulierungsbehörde von einem Mitgliedstaat übertragen wird, nicht vom Bestehen einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Netzbetreiber abhängig gemacht werden.

    35

    Die Regulierungsbehörde darf folglich, wenn sie mit einer Beschwerde eines Endkunden befasst ist, mit der die Nichterfüllung der den Übertragungsnetzbetreibern durch die Richtlinie 2009/72 auferlegten Verpflichtungen geltend gemacht wird, diese Beschwerde nicht mit der Begründung zurückweisen, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.

    36

    Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72 dahin auszulegen ist, dass die Regulierungsbehörde eine Beschwerde, die ein Endkunde gegen den Betreiber eines Übertragungsnetzes infolge einer Störung dieses Netzes eingelegt hat, nicht mit der Begründung zurückweisen kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.

    Kosten

    37

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

     

    Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG ist dahin auszulegen, dass die Regulierungsbehörde eine Beschwerde, die ein Endkunde gegen den Betreiber eines Übertragungsnetzes infolge einer Störung dieses Netzes eingelegt hat, nicht mit der Begründung zurückweisen kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.

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