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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62017CJ0545

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 27. März 2019.
    Mariusz Pawlak gegen Prezes Kasy Rolniczego Ubezpieczenia Społecznego.
    Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Binnenmarkt der Postdienste – Richtlinien 97/67/EG und 2008/6/EG – Art. 7 Abs. 1 – Begriff ‚ausschließliche oder besondere Rechte für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten‘ – Art. 8 – Recht der Mitgliedstaaten, Regelungen für den Dienst zu treffen, der die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt – Frist für die Einreichung eines Verfahrensschriftstücks bei einem Gericht – Unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts – Schranken – Unmittelbare Wirkung, auf die sich eine Emanation eines Staates im Rahmen eines Rechtsstreits mit einem Einzelnen beruft.
    Rechtssache C-545/17.

    Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlichte Entscheidungen“

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2019:260

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    27. März 2019 ( *1 )

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Binnenmarkt der Postdienste – Richtlinien 97/67/EG und 2008/6/EG – Art. 7 Abs. 1 – Begriff ‚ausschließliche oder besondere Rechte für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten‘ – Art. 8 – Recht der Mitgliedstaaten, Regelungen für den Dienst zu treffen, der die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt – Frist für die Einreichung eines Verfahrensschriftstücks bei einem Gericht – Unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts – Schranken – Unmittelbare Wirkung, auf die sich eine Emanation eines Staates im Rahmen eines Rechtsstreits mit einem Einzelnen beruft“

    In der Rechtssache C‑545/17

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 19. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 18. September 2017, in dem Verfahren

    Mariusz Pawlak

    gegen

    Prezes Kasy Rolniczego Ubezpieczenia Społecznego

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda (Berichterstatter),

    Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

    Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2018,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, S. Żyrek und K. Rudzińska als Bevollmächtigte,

    der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Costa de Oliveira, L. Nicolae und S. L. Kalėda als Bevollmächtigte,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. November 2018

    folgendes

    Urteil

    1

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. 1998, L 15, S. 14) in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (ABl. 2008, L 52, S. 3, berichtigt in ABl. 2015, L 225, S. 49) geänderten Fassung (im Folgenden: geänderte Richtlinie) in Verbindung mit Art. 8 dieser Richtlinie und Art. 4 Abs. 3 EUV.

    2

    Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Mariusz Pawlak und dem Prezes Kasy Rolniczego Ubezpieczenia Społecznego (Präsident des Sozialversicherungsfonds für die Landwirtschaft, Polen) (im Folgenden: Präsident der KRUS) über die Entschädigung von Herrn Pawlak wegen eines bei landwirtschaftlichen Arbeiten erlittenen Unfalls.

    Rechtlicher Rahmen

    Unionsrecht

    Richtlinie 97/67

    3

    Mit der Richtlinie 97/67 wurde der Prozess einer schrittweisen Liberalisierung des Marktes für Postdienste eingeleitet. Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft (ABl. 2002, L 176, S. 21) wurde mit der Richtlinie 97/67 „ein Rechtsrahmen für den Postsektor in der Gemeinschaft geschaffen, der unter anderem Vorschriften umfasst, die einen Universaldienst garantieren, und bei den Postdiensten Höchstgrenzen für den Bereich festlegt, den die Mitgliedstaaten für ihre(n) Anbieter von Universaldienstleistungen reservieren können, um den Universaldienst aufrechtzuerhalten, und der ferner einen Zeitplan für Beschlüsse über eine weitere Öffnung des Marktes für den Wettbewerb festlegt, damit ein Binnenmarkt für Postdienste entsteht“.

    4

    In den Erwägungsgründen 16 und 20 der Richtlinie 97/67 heißt es:

    „(16)

    Die Beibehaltung bestimmter reservierbarer Dienste unter Einhaltung der Bestimmungen des Vertrags und unbeschadet der Anwendung der Wettbewerbsvorschriften erscheint gerechtfertigt, um das Funktionieren des Universaldienstes unter finanziell ausgewogenen Bedingungen zu gewährleisten. …

    (20)

    Die Mitgliedstaaten können aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein legitimes Interesse daran haben, die Aufstellung von Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen einer oder mehreren von ihren benannten Einrichtungen zu übertragen. Aus den gleichen Gründen sind sie berechtigt, die Einrichtung oder Einrichtungen zu benennen, die Postwertzeichen, aus denen das Ausgabeland hervorgeht, herausgeben dürfen, sowie die Einrichtungen, die für den Dienst zuständig sind, der im Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausführt. …“

    5

    Der in Kapitel 2 („Universaldienst“) der Richtlinie 97/67 enthaltene Art. 3 sieht in seinen Abs. 4 und 5 vor:

    „(4)   Jeder Mitgliedstaat erlässt die erforderlichen Maßnahmen, damit der Universaldienst mindestens folgendes Angebot umfasst:

    Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postsendungen bis 2 kg;

    Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Postpaketen bis 10 kg;

    die Dienste für Einschreib- und Wertsendungen.

    (5)   Die nationalen Regulierungsbehörden können die Gewichtsobergrenze für Postpakete, die unter den Universaldienst fallen, auf einen Wert anheben, der 20 kg nicht übersteigt, und Sonderregelungen für die Hauszustellung von solchen Postpaketen vorsehen.

    Ungeachtet der in einem Mitgliedstaat geltenden Gewichtsobergrenzen für Postpakete, die unter den Universaldienst fallen, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Postpakete aus anderen Mitgliedstaaten, deren Gewicht höchstens 20 kg beträgt, in ihrem Hoheitsgebiet zugestellt werden.“

    6

    Kapitel 3 der Richtlinie 97/67, das die Überschrift „Harmonisierung der reservierbaren Dienste“ trug, umfasst die Art. 7 und 8 dieser Richtlinie.

    7

    Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie lautete:

    „(1)   Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, kann jeder Mitgliedstaat folgende Dienste für den (die) Anbieter von Universaldienstleistungen reservieren: Abholung, Sortieren, Transport und Zustellung von Inlandsbriefsendungen, entweder als beschleunigte Sendungen oder normale Sendungen, mit einem Gewicht von weniger als 350 g und zu einem Preis unter dem Fünffachen des öffentlichen Tarifs für eine Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der, soweit vorhanden, schnellsten Kategorie der Standardsendungen. Bei den kostenlosen Postdienstleistungen für Blinde und Sehbehinderte können Ausnahmen bezüglich Gewichts- und Preisbeschränkungen gestattet werden.

    (2)   Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, können die grenzüberschreitende Post und Direktwerbung innerhalb der Preis- und Gewichtsgrenzen des Absatzes 1 weiterhin reserviert werden.“

    8

    Art. 8 dieser Richtlinie sieht vor:

    „Artikel 7 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Regelungen zu treffen für die Aufstellung von Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen, für die Ausgabe von Postwertzeichen und für den Dienst, der in Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausführt.“

    Richtlinie 2002/39

    9

    Mit der Richtlinie 2002/39 wurde die Richtlinie 97/67 grundlegend geändert. Die Richtlinie 2002/39 verfolgte die Liberalisierung der Postdienste weiter und legte in ihren Erwägungsgründen 14 und 24 einen Zeitplan für eine schrittweise und kontrollierte Öffnung des Marktes für Briefsendungen fest, wobei als voraussichtlicher Zeitpunkt für die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste das Jahr 2009 angegeben wurde.

    10

    Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2002/39 geänderten Fassung sah vor:

    „(1)   Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, kann jeder Mitgliedstaat Dienste für Anbieter von Universaldienstleistungen reservieren. Diese Dienste beschränken sich auf die Abholung, das Sortieren, den Transport und die Zustellung von Inlandsbriefsendungen und eingehenden grenzüberschreitenden Briefsendungen, entweder als beschleunigte oder als normale Zustellung, innerhalb der beiden nachfolgend genannten Preis- und Gewichtsgrenzen. Die Gewichtsgrenze beträgt ab 1. Januar 2003 100 Gramm und ab 1. Januar 2006 50 Gramm. Die ab 1. Januar 2003 vorgesehene Gewichtsgrenze gilt nicht, wenn der Preis mindestens dem Dreifachen des öffentlichen Tarifs für eine Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der schnellsten Kategorie entspricht, und die ab 1. Januar 2006 vorgesehene Gewichtsgrenze gilt nicht, wenn der Preis mindestens dem Zweieinhalbfachen dieses Tarifs entspricht.

    Bei den kostenlosen Postdienstleistungen für Blinde und Sehbehinderte können Ausnahmen bezüglich Gewichts- und Preisbeschränkungen gestattet werden.

    Soweit es für die Sicherstellung des Universaldienstes notwendig ist, kann Direktwerbung innerhalb derselben Preis- und Gewichtsgrenzen weiterhin reserviert werden.

    Soweit es für die Sicherstellung des Universaldienstes notwendig ist – wenn beispielsweise bestimmte Sektoren der Posttätigkeit bereits liberalisiert worden sind oder weil bestimmte Besonderheiten des Postdienstes in einem Mitgliedstaat zu berücksichtigen sind –, können abgehende grenzüberschreitende Briefsendungen innerhalb derselben Preis- und Gewichtsgrenzen weiterhin reserviert werden.

    (2)   Dokumentenaustausch kann nicht reserviert werden.“

    Richtlinie 2008/6

    11

    Mit der Richtlinie 2008/6 ist die Richtlinie 97/67 erneut grundlegend geändert worden und die Liberalisierung des Binnenmarktes der Postdienste vollendet worden.

    12

    In den Erwägungsgründen 13, 16, 25, 26, 56 und 59 der Richtlinie 2008/6 heißt es:

    „(13)

    Die Prospektivstudie hat ergeben, dass die Finanzierung des Universaldienstes nicht mehr vorzugsweise durch einen reservierten Bereich gewährleistet werden sollte. Diese Bewertung berücksichtigt das Interesse der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten an der Vollendung des Binnenmarktes und seinem Potenzial für Wachstum und Beschäftigung sowie an der Gewährleistung der Verfügbarkeit eines effizienten Dienstes von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse für alle Nutzer. Daher sollte das endgültige Datum für die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste bestätigt werden.

    (16)

    Eine vollständige Marktöffnung wird zur Erweiterung des Gesamtumfangs der Postmärkte beitragen: Sie wird auch die Erhaltung dauerhafter und qualifizierter Arbeitsplätze bei den Universaldiensteanbietern und die Schaffung neuer Arbeitsplätze bei anderen Betreibern, neuen Marktteilnehmern sowie in den Wirtschaftszweigen im Umfeld des Postsektors erleichtern. …

    (25)

    Aufgrund der Ergebnisse der Studien und mit Blick auf die Erschließung des vollen Potenzials des Binnenmarktes für Postdienste sollte das Instrument des reservierten Bereichs und der besonderen Rechte zur Sicherung der Finanzierung des Universaldienstes nicht mehr zugelassen werden.

    (26)

    In einigen Mitgliedstaaten kann noch eine externe Finanzierung der restlichen Nettokosten des Universaldienstes erforderlich sein. Daher sollte genau festgelegt werden, welche Optionen für die Finanzierung des Universaldienstes möglich sind, soweit dies notwendig und angemessen gerechtfertigt ist, wobei die Entscheidung über die jeweils verwendeten Finanzierungsmechanismen den Mitgliedstaaten überlassen werden sollte. … Die Mitgliedstaaten können andere vom Gemeinschaftsrecht vorgesehene Finanzierungsmodelle festlegen, so zum Beispiel erforderlichenfalls die Möglichkeit, dass die Gewinne aus anderen Tätigkeiten des/der Universaldiensteanbieter(s) außerhalb des Universaldienstes ganz oder teilweise zur Finanzierung der Nettokosten des Universaldienstes herangezogen werden, sofern dies mit dem [EG‑]Vertrag in Einklang steht. …

    (56)

    Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste in der Gemeinschaft, die Gewährleistung eines gemeinsamen Niveaus beim Universaldienst für alle Nutzer und die Festlegung harmonisierter Grundsätze für die Regulierung der Postdienste, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher wegen des Umfangs und der Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene zu verwirklichen sind, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem in Artikel 5 [EG] niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. …

    (59)

    Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung der im [EG‑]Vertrag festgelegten Bestimmungen über den Wettbewerb und die Dienstleistungsfreiheit. Soweit Mechanismen zur Finanzierung des Universaldienstes staatliche Beihilfen oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 [EG] beinhalten, berührt diese Richtlinie nicht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen des [EG‑]Vertrags über staatliche Beihilfen.“

    13

    Art. 1 der geänderten Richtlinie lautet:

    „Diese Richtlinie enthält gemeinsame Vorschriften für

    die Bedingungen für die Erbringung von Postdiensten;

    die Bereitstellung eines Universalpostdienstes in der Gemeinschaft;

    die Finanzierung von Universaldiensten unter Bedingungen, die die dauerhafte Bereitstellung solcher Dienste gewährleisten;

    die Tarifierungsgrundsätze und die Transparenz der Rechnungslegung für die Erbringung der Universaldienstleistungen;

    die Festlegung von Qualitätsnormen für die Erbringung der Universaldienstleistungen und die Schaffung eines Systems zur Gewährleistung der Einhaltung dieser Normen;

    die Harmonisierung der technischen Normen;

    die Einrichtung unabhängiger Regulierungsbehörden in den Mitgliedstaaten.“

    14

    In Art. 2 Nrn. 1 und 6 der geänderten Richtlinie heißt es:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

    1.

    ‚Postdienste‘ die Dienste im Zusammenhang mit der Abholung, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung von Postsendungen;

    6.

    ‚Postsendung‘ eine adressierte Sendung in der endgültigen Form, in der sie von einem Postdiensteanbieter übernommen wird. Es handelt sich dabei neben Briefsendungen z. B. um Bücher, Kataloge, Zeitungen und Zeitschriften sowie um Postpakete, die Waren mit oder ohne Handelswert enthalten“.

    15

    Kapitel 3 der geänderten Richtlinie trägt die Überschrift „Finanzierung der Universaldienste“.

    16

    Art. 7 der geänderten Richtlinie bestimmt:

    „(1)   Die Mitgliedstaaten gewähren für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten keine ausschließlichen oder besonderen Rechte mehr und erhalten diese auch nicht mehr aufrecht. Die Mitgliedstaaten können die Bereitstellung der Universaldienste unter Anwendung eines oder mehrerer der in den Absätzen 2, 3 und 4 genannten Verfahren oder anderer, mit dem [EG‑]Vertrag in Einklang stehender Verfahren finanzieren.

    (2)   Die Mitgliedstaaten können die Bereitstellung der Universaldienste nach den für das öffentliche Beschaffungswesen geltenden Vorschriften sicherstellen, einschließlich des wettbewerblichen Dialogs und des Verhandlungsverfahrens mit oder ohne vorherige Bekanntmachung gemäß der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge [(ABl. 2004, L 134, S. 114)].

    (3)   Stellt ein Mitgliedstaat fest, dass die Universaldienstverpflichtungen aufgrund dieser Richtlinie mit Nettokosten verbunden sind, die unter Berücksichtigung von Anhang I berechnet werden, und eine unverhältnismäßige finanzielle Belastung für den/die Universaldiensteanbieter darstellen, so kann er Folgendes einführen:

    a)

    einen Ausgleichsmechanismus, um das/die betroffene(n) Unternehmen mit öffentlichen Mitteln zu entschädigen; oder

    b)

    einen Mechanismus für die Aufteilung der Nettokosten der Universaldienstverpflichtungen auf die Anbieter der Dienstleistungen und/oder Nutzer.

    (4)   Werden die Nettokosten gemäß Absatz 3 Buchstabe b aufgeteilt, so können die Mitgliedstaaten einen Ausgleichsfonds einrichten, in den Beiträge von Diensteanbietern und/oder Nutzern fließen und der von einer vom/von den Begünstigten unabhängigen Stelle verwaltet wird. Die Mitgliedstaaten können die Erteilung von Genehmigungen an Diensteanbieter gemäß Artikel 9 Absatz 2 mit der Verpflichtung verknüpfen, einen finanziellen Beitrag zu dem Fonds zu leisten oder Universaldienstverpflichtungen zu erfüllen. Die in Artikel 3 genannten Universaldienstverpflichtungen des/der Universaldiensteanbieter(s) können auf diese Weise finanziert werden.

    (5)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit bei der Einrichtung des Ausgleichsfonds und der Festlegung der Höhe der finanziellen Beiträge gemäß den Absätzen 3 und 4 eingehalten werden. Entscheidungen gemäß den Absätzen 3 und 4 müssen auf objektiven und nachprüfbaren Kriterien beruhen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“

    Polnisches Recht

    17

    Art. 165 § 2 der Ustawa – Kodeks postępowania cywilnego (Zivilprozessordnung) vom 17. November 1964 (Dz. U. Nr. 43, Pos. 296) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZPO) bestimmt:

    „Die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer polnischen Postfiliale eines im Sinne der Ustawa – Prawo pocztowe [(Postgesetz)] vom 23. November 2012 [(Dz. U. 2012, Pos. 1529)] benannten Anbieters oder in einer Postfiliale eines Anbieters von postalischen Universaldiensten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist mit seiner Einreichung bei Gericht gleichzusetzen.“

    18

    Laut Vorlageentscheidung bestimmt Art. 3 Nr. 13 des Postgesetzes, dass der „benannte Anbieter“ der Postdiensteanbieter ist, der zur Erbringung des postalischen Universaldienstes „verpflichtet“ ist. Die übrigen Anbieter hingegen sind zur Erbringung von Postdiensten in dem von ihnen bestimmten Umfang „berechtigt“, aber nicht dazu verpflichtet.

    19

    Aufgrund einer Entscheidung des Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej (Präsident des Amtes für elektronische Kommunikation, Polen) vom 30. Juni 2015 ist die Poczta Polska S.A. für die Dauer von zehn Jahren gemäß Postgesetz die benannte Anbieterin für die Bereitstellung des postalischen Universaldienstes.

    Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    20

    Herr Pawlak, der in der Landwirtschaft tätig ist, erlitt einen Arbeitsunfall, für den er eine Entschädigung von der Kasa Rolniczego Ubezpieczenia Społecznego (Sozialversicherungsfonds für die Landwirtschaft, Polen) beanspruchte. Da Herr Pawlak mit der Entscheidung des Präsidenten der KRUS über seinen Antrag nicht einverstanden war, focht er diese beim Sąd Rejonowy w Poznań-Grundwald (Rayongericht Posen-Grundwald, Polen) an, das seiner Klage stattgab.

    21

    Der Präsident der KRUS legte gegen das Urteil des Rayongerichts Berufung zum Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen, Polen) ein, der diese mit der Begründung als unzulässig zurückwies, dass sie dort am 22. Juni 2016 eingegangen sei, die Frist für ihre Einlegung aber am 20. Juni 2016 abgelaufen sei.

    22

    Nach Ansicht des Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen) war irrelevant, dass der Poststempel der Sendung, die bei einem anderen als dem benannten Anbieter aufgegeben worden war, als Datum den 20. Juni 2016 auswies, den letzten Tag der Frist für die Einlegung der Berufung, da nach Art. 165 § 2 ZPO ausschließlich die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks beim benannten Anbieter, auch als einfacher Brief, als mit der Einreichung dieses Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht gleichbedeutend sei.

    23

    Der Präsident der KRUS legte gegen das Urteil des Sąd Okręgowy w Poznaniu (Bezirksgericht Posen) beim Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) Revision ein. Er war der Auffassung, dass das Berufungsgericht gegen Art. 165 § 2 ZPO verstoßen habe, und machte geltend, die dort eingelegte Berufung fristgerecht in der Postfiliale eines Postdiensteanbieters aufgegeben zu haben.

    24

    Der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) weist darauf hin, dass seine Rechtsprechung zu Art. 165 § 2 ZPO uneinheitlich sei und an der Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem Unionsrecht Zweifel bestünden.

    25

    Es gebe zwei sich widersprechende Strömungen in der Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen der Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer polnischen Postfiliale eines Postdiensteanbieters, der nicht der benannte Anbieter sei. Nach der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung werde ein Verfahrensschriftstück, das unter diesen Umständen aufgegeben worden sei, als verspätet eingereicht angesehen, wenn es nach dem Ablauf der gesetzlichen Frist, in der es habe eingereicht werden müssen, bei dem betreffenden Gericht eingegangen sei. Nach der Mindermeinung stehe es der Einreichung des Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht gleich, wenn das Verfahrensschriftstück innerhalb der gesetzlichen Frist in einer polnischen Postfiliale aufgegeben werde, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich um die Filiale des benannten Anbieters oder irgendeines anderen Postdiensteanbieters handele.

    26

    Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts berücksichtigt die erste Strömung in der Rechtsprechung bei der Auslegung von Art. 165 § 2 ZPO nicht den unionsrechtlichen Kontext, da sie stillschweigend davon ausgehe, dass diese Vorschrift nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 97/67 falle. Die zweite Rechtsprechungsströmung stütze sich hingegen auf eine unionsrechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift. Die Entscheidungen des Obersten Gerichts, die der zweiten Strömung folgten, enthielten allerdings keine Ausführungen zur Tragweite von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie oder dazu, wie die Anwendung von Art. 165 § 2 ZPO mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen sei.

    27

    Unter diesen Umständen hat der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    1.

    Ist Art. 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 8 der geänderten Richtlinie dahin auszulegen, dass eine Regelung des nationalen Verfahrensrechts wie die in Art. 165 § 2 ZPO, wonach nur die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer nationalen Postfiliale eines benannten Anbieters, d. h. eines zur Erbringung von Universaldiensten verpflichteten Anbieters, mit der Einreichung dieses Schriftstücks bei Gericht gleichzusetzen ist, nicht aber die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer nationalen Postfiliale eines anderen Anbieters von Universalpostdiensten, der kein benannter Anbieter ist, ein besonderes Recht darstellt?

    2.

    Im Fall der Bejahung der ersten Frage: Ist Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass Vorteile, die sich für einen benannten Anbieter daraus ergeben, dass ihm unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie ein besonderes Recht zugewiesen worden ist, auf die übrigen Anbieter von Postdiensten mit der Folge auszuweiten sind, dass die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer nationalen Postfiliale eines anderen Anbieters von Universalpostdiensten, der kein benannter Anbieter ist, mit der Einreichung dieses Schriftstücks bei Gericht gleichzusetzen ist, und zwar unter Anwendung von Grundsätzen, die denen aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Juni 2007, Jonkman u. a. (C‑231/06 bis C‑233/06, EU:C:2007:373), entsprechen?

    3.

    Im Fall der Bejahung der zweiten Frage: Ist Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass sich ein Verfahrensbeteiligter, bei dem es sich um eine Emanation eines Mitgliedstaats handelt, auf die Unvereinbarkeit einer nationalen Vorschrift wie Art. 165 § 2 ZPO mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie berufen kann?

    Zu den Vorlagefragen

    Vorbemerkungen

    28

    Die polnische Regierung ist der Auffassung, dass eine Regel wie die des Art. 165 § 2 ZPO nicht in den Anwendungsbereich der geänderten Richtlinie falle, sondern zu den nationalen Verfahrensvorschriften gehöre, deren Harmonisierung nicht Ziel dieser Richtlinie sei. Die Richtlinie 97/67 sei auf der Grundlage von Art. 95 EG erlassen worden, der die Rechtsgrundlage für die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften sei, die das Funktionieren des Binnenmarktes gewährleisten sollten, während die Rechtsgrundlage für die Harmonisierung zivilprozessualer Vorschriften Art. 65 EG (nunmehr Art. 81 AEUV) gewesen wäre.

    29

    Die polnische Regierung macht außerdem geltend, dass Art. 1 der geänderten Richtlinie, der ihren Geltungsbereich regele, die Bereiche aufliste, für die diese gemeinsame Vorschriften aufstelle; der Zivilprozess befinde sich nicht darunter.

    30

    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/6 genauso wie die Richtlinie 97/67, die durch sie geändert worden ist, auf der Grundlage der Artikel des EG-Vertrags erlassen wurde, die nach Änderungen die Art. 53, 62 und 114 AEUV geworden sind und die dem Unionsgesetzgeber eine spezifische Zuständigkeit für den Erlass von Maßnahmen zur Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes einräumen sollen (Urteil vom 5. Oktober 2000, Deutschland/Parlament und Rat, C‑376/98, EU:C:2000:544, Rn. 87).

    31

    Mit der letzten Änderung der Richtlinie 97/67 durch die Richtlinie 2008/6 wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber ausweislich der Erwägungsgründe 13 und 16 der Richtlinie 2008/6 den Prozess der Liberalisierung des Marktes für Postdienste abschließen und das endgültige Datum für die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste bestätigen, indem er nicht nur die letzten Hindernisse für die vollständige Marktöffnung hinsichtlich bestimmter Universaldiensteanbieter, sondern auch alle sonstigen Hindernisse für die Erbringung von Postdiensten beseitigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2016, DHL Express [Austria], C‑2/15, EU:C:2016:880, Rn. 26). Zugleich wollte der Gemeinschaftsgesetzgeber gemäß dem 56. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/6 ein gemeinsames Niveau beim Universaldienst für alle Nutzer gewährleisten und harmonisierte Grundsätze für die Regulierung der Postdienste festlegen.

    32

    Aus der Tatsache, dass Art. 1 der geänderten Richtlinie den Zivilprozess nicht erwähnt, kann allerdings nicht abgeleitet werden, dass diese Richtlinie keine Auswirkungen auf andere Bereiche des nationalen Rechts haben dürfte. Die gegenteilige Auslegung, wie sie von der polnischen Regierung vorgeschlagen wird, würde die Erreichung des von der geänderten Richtlinie verfolgten Ziels, den Binnenmarkt für Postdienste zu vollenden, beeinträchtigen. Sie würde es den Mitgliedstaaten nämlich ermöglichen, Maßnahmen beizubehalten, die wegen ihrer Auswirkungen Wettbewerbshindernisse auf diesem Markt darstellen könnten.

    33

    Außerdem nimmt Art. 8 der geänderten Richtlinie Bezug auf den Dienst, der die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt.

    34

    Das Vorbringen der polnischen Regierung, dass eine zivilprozessuale Vorschrift wie die des Art. 165 § 2 ZPO wegen ihres Gegenstands und ungeachtet ihrer Auswirkungen auf die von der geänderten Richtlinie harmonisierten Bereiche dem Geltungsbereich dieser Richtlinie entzogen sei, ist infolgedessen zurückzuweisen.

    Zur ersten Frage

    35

    Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 8 der geänderten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer Vorschrift des nationalen Rechts wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, die nur die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer Postfiliale des für die Erbringung des Universalpostdienstes benannten Anbieters als gleichwertig mit der Einreichung eines solchen Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht ansieht.

    36

    Zur Beantwortung dieser Frage sind diese beiden Vorschriften nacheinander auszulegen.

    Zur Auslegung von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie

    37

    Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie verbietet den Mitgliedstaaten, besondere oder ausschließliche Rechte für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten zu gewähren oder aufrechtzuerhalten.

    38

    Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, die den Umfang des in ihr enthaltenen Verbots absteckt, in dem er auf die „Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten“ abstellt, ergibt sich, dass die Gewährung oder Aufrechterhaltung eines ausschließlichen oder besonderen Rechts verboten ist, soweit sich ein solches Recht auf Postdienste bezieht.

    39

    Der Begriff „Postdienste“ wird in Art. 2 Nr. 1 der geänderten Richtlinie definiert und bezeichnet die Dienste im Zusammenhang mit der Abholung, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung von Postsendungen. Der Begriff „Postsendung“ wiederum wird in Art. 2 Nr. 6 der geänderten Richtlinie definiert; er bezeichnet eine adressierte Sendung in der endgültigen Form, in der sie von einem Postdiensteanbieter übernommen wird und umfasst neben Briefsendungen z. B. Bücher, Kataloge, Zeitungen und Zeitschriften sowie Postpakete, die Waren mit oder ohne Handelswert enthalten.

    40

    Der postalische Versand von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte stellt eindeutig eine Postsendung im Sinne von Art. 2 Nr. 6 der geänderten Richtlinie dar, und folglich fällt die damit zusammenhängende Dienstleistung unter den Begriff „Postdienste“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie. Diese Erwägung wird dadurch bestätigt, dass auf diese Dienstleistung in Art. 8 der geänderten Richtlinie und im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 ausdrücklich Bezug genommen wird, in denen von dem Dienst, der die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt, die Rede ist. Die Gewährung eines ausschließlichen oder besonderen Rechts für den Dienst der postalischen Zustellung von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte fällt folglich unter das Verbot des Art. 7 Abs. 1 der geänderten Richtlinie.

    41

    Für den Ausdruck „ausschließliche oder besondere Rechte“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der geänderten Richtlinie findet sich weder in dieser Vorschrift noch in irgendeiner anderen ihrer Vorschriften eine Definition.

    42

    Dieser Ausdruck stimmt jedoch mit dem identischen Ausdruck überein, der in Art. 106 Abs. 1 AEUV verwendet wird, wonach „[d]ie Mitgliedstaaten … in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine diesem Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 18 und 101 bis 109 widersprechende Maßnahmen treffen oder beibehalten [werden]“.

    43

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine staatliche Maßnahme dahin aufgefasst werden, dass sie ein besonderes oder ausschließliches Recht im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV verleiht, wenn sie einer begrenzten Zahl von Unternehmen einen Schutz gewährt und geeignet ist, die Fähigkeit anderer Unternehmen, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich zu beeinträchtigen (Urteil vom 12. Dezember 2013, SOA Nazionale Costruttori, C‑327/12, EU:C:2013:827, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    44

    Art. 106 Abs. 1 AEUV, der keine eigenständige Bedeutung hat, untersagt den Mitgliedstaaten durch die von ihm vorgenommene Verweisung auf andere Artikel des AEU-Vertrags, u. a. in Bezug auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, eine innerstaatliche Regelung, die namentlich den Art. 49 und 59 AEUV sowie den Wettbewerbsregelungen des AEU-Vertrags widerspricht, einzuführen oder beizubehalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a., C‑250/06, EU:C:2007:783, Rn. 14, 15 und 17 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C‑347/06, EU:C:2008:416, Rn. 61).

    45

    Die Zielsetzungen von Art. 106 Abs. 1 AEUV und die von der Richtlinie 2008/6 verfolgten Ziele, die in Rn. 31 des vorliegenden Urteils dargestellt sind, insbesondere die Ziele, den Postsektor, der Gemeinwohlverpflichtungen unterliegt, den vom AEU-Vertrag vorgesehenen Wettbewerbsregeln zu unterwerfen und die Hindernisse für die Verwirklichung des Binnenmarktes für Postdienste zu beseitigen, stimmen daher weitgehend überein. Folglich lässt sich die Definition des Begriffs „ausschließliches oder besonderes Recht“ im Sinne der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs auf den speziellen Kontext der Richtlinie 97/67 übertragen.

    46

    Zwar verbietet Art. 106 Abs. 1 AEUV nicht als solches die Gewährung oder Beibehaltung eines ausschließlichen oder besonderen Rechts zugunsten eines Unternehmens, sondern verlangt, dass bei seiner Gewährung oder Beibehaltung die übrigen materiellen Vorschriften des AEU-Vertrags eingehalten werden, während Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie verbietet, ein ausschließliches oder besonderes Recht für die Erbringung von Postdiensten zugunsten eines Unternehmens zu gewähren oder aufrechtzuerhalten.

    47

    Ein solcher Unterschied hinsichtlich der Folgen, die aus der Feststellung des Bestehens eines ausschließlichen oder besonderen Rechts aufgrund dieser beiden Vorschriften abzuleiten sind, stellt jedoch kein Hindernis dafür dar, dass der Begriff „ausschließliches oder besonderes Recht“ im Sinne der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in den Kontext der geänderten Richtlinie übertragen wird. Wie die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, führt dieser Unterschied lediglich dazu, dass die Einhaltung von Art. 7 Abs. 1 der geänderten Richtlinie unabhängig von der Einhaltung von Art. 106 Abs. 1 AEUV geprüft wird, wenn ein Mitgliedstaat einem Unternehmen ein ausschließliches oder besonderes Recht gewährt hat. Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch aus dem 59. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/6, dem zufolge diese Richtlinie die Anwendung der im Vertrag festgelegten Bestimmungen über den Wettbewerb und die Dienstleistungsfreiheit nicht berührt.

    48

    In Bezug auf die Reichweite des in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie enthaltenen Verbots, ausschließliche oder besondere Rechte zu gewähren oder aufrechtzuerhalten, geht aus dem Wortlaut dieser Vorschrift hervor, dass dieses Verbot grundsätzlich allgemein gilt.

    49

    Bestätigt wird dies durch den Zweck und die Entstehungsgeschichte von Art. 7 der geänderten Richtlinie. So dürfen die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 dieser Richtlinie die Erbringung von Universaldienstleistungen unter Anwendung der in seinen Abs. 2 bis 4 genannten Verfahren oder anderer, mit dem Vertrag in Einklang stehender Verfahren finanzieren.

    50

    Insoweit geht aus den Erwägungsgründen 25 und 26 der Richtlinie 2008/6 hervor, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit Art. 7 der geänderten Richtlinie das Instrument des reservierten Bereichs und der besonderen Rechte zur Sicherung der Finanzierung des Universaldienstes nicht mehr zulassen, gleichzeitig aber den Mitgliedstaaten ermöglichen wollte, andere Wege zur externen Finanzierung des Universaldienstes festzulegen, die den Wettbewerb weniger beeinträchtigen.

    51

    Wie nämlich aus Art. 7 der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2002/39 geänderten Fassung und aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 hervorgeht, konnte jeder Mitgliedstaat, soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes unter finanziell ausgewogenen Bedingungen notwendig war, verschiedene Dienste, deren Umfang in dem genannten Art. 7 festgelegt war, für einen oder mehrere Anbieter von Universaldienstleistungen reservieren. Für nicht nach dem genannten Art. 7 reservierte Dienste war hingegen in der Richtlinie 2002/39 keine solche Möglichkeit vorgesehen, ohne dass es darauf ankam, ob diese Dienste dem Universaldienst zuzurechnen waren oder nicht.

    52

    Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich nämlich, dass die Mitgliedstaaten nicht die Befugnis hatten, nach Belieben die Dienste zu erweitern, die für die Anbieter des postalischen Universaldienstes gemäß Art. 7 der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2002/39 geänderten Fassung reserviert sind, da eine solche Erweiterung dem Zweck der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2002/39 geänderten Fassung zuwiderliefe, mit der im Postsektor eine schrittweise und kontrollierte Liberalisierung eingeführt werden sollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia, C‑220/06, EU:C:2007:815, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    53

    Mit der Richtlinie 2008/6 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber den aktuellen Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 der geänderten Richtlinie eingefügt, ohne die bis dahin im nicht reservierten Sektor erreichte Liberalisierung rückgängig zu machen. Daraus folgt, dass sich nach dieser Änderung des genannten Art. 7 Abs. 1 ein Mitgliedstaat, wenn er einen Postdienst – gleich ob er dem Universaldienst zuzurechnen ist oder nicht – für einen oder mehrere mit dem Universaldienst beauftragte Anbieter reserviert, eines verbotenen Verfahrens zur Sicherung der Finanzierung des Universaldienstes bedient.

    54

    Folglich ist – vorbehaltlich der in Art. 8 der geänderten Richtlinie vorgesehenen Ausnahme – die Gewährung oder Beibehaltung ausschließlicher oder besonderer Rechte für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie verboten.

    55

    Bei der Anwendung dieses Verbots ist – entgegen der von der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung vertretenen Auffassung – nicht danach zu unterscheiden, ob einem Anbieter des Universaldienstes ein ausschließliches Recht für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten unter Beachtung der Grundsätze der Objektivität, Verhältnismäßigkeit, Gleichbehandlung und Transparenz gewährt wird.

    56

    Für eine solche Auslegung findet sich nicht nur kein Anhaltspunkt im Wortlaut der Richtlinie 2008/6, sondern sie würde, würde ihr gefolgt, außerdem zu einer Einschränkung des Umfangs des Verbots führen, das in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie vorgesehen ist, und infolgedessen die Verwirklichung des von dieser Richtlinie verfolgten Ziels, den Binnenmarkt für Postdienste zu vollenden, beeinträchtigen.

    57

    Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass nach Art. 165 § 2 ZPO die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer polnischen Postfiliale des benannten Anbieters im Sinne des Postgesetzes oder in einer Postfiliale eines Anbieters von postalischen Universaldiensten in einem anderen Mitgliedstaat mit der Einreichung dieses Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht gleichzusetzen ist.

    58

    In Anbetracht der Erwägungen in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ist in Bezug auf eine solche Vorschrift des nationalen Rechts, da sie die Dienstleistung des postalischen Versands von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte betrifft, davon auszugehen, dass sie sich auf die Erbringung von Postdiensten im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 2 Nrn. 1 und 6 bezieht.

    59

    Was die Frage betrifft, ob der betreffende Mitgliedstaat mit einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen „ausschließliche oder besondere Rechte“ für die Einrichtung von Postdiensten gewährt, steht erstens fest, dass diese Bestimmung, die in der Vorlageentscheidung als „Gesetz“ eingestuft wird, eine Rechtsetzungsmaßnahme im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 106 Abs. 1 AEUV darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Dezember 1991, GB‑Inno‑BM, C‑18/88, EU:C:1991:474, Rn. 20).

    60

    Was zweitens die Frage betrifft, ob eine solche Rechtsetzungsmaßnahme einer begrenzten Zahl von Unternehmen einen Schutz im Sinne der aus dem Urteil vom 12. Dezember 2013, SOA Nazionale Costruttori (C‑327/12, EU:C:2013:827, Rn. 41), hervorgegangenen Rechtsprechung gewährt, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nur dem für die Bereitstellung des Universaldienstes benannten Anbieter im Sinne des Postgesetzes die Bestimmung des Art. 165 § 2 ZPO zugutekommt, die an den über den Anbieter erfolgenden Versand eines Verfahrensschriftstücks an ein Gericht eine günstige Rechtsfolge knüpft.

    61

    Wie nämlich aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, gelten gemäß Art. 165 § 2 ZPO die gesetzlichen Fristen für die Einreichung von Verfahrensschriftstücken bei den Gerichten als eingehalten, wenn ein Verfahrensschriftstück innerhalb dieser gesetzlichen Fristen in einer Postfiliale des benannten oder eines anderen von dieser Vorschrift erfassten Anbieters aufgegeben wird. Wenn hingegen ein solcher Versand über einen anderen Anbieter von Postdiensten erfolgt, muss dem Gericht die Sendung von dem Anbieter vor Ablauf der gesetzlichen Frist ausgehändigt worden sein, damit sie als fristgerecht eingereicht gilt.

    62

    Folglich gewährt eine nationale Vorschrift wie Art. 165 § 2 ZPO einer begrenzten Zahl von Unternehmen einen Vorteil, da sie für den benannten Anbieter oder für einen anderen Anbieter von postalischen Universaldiensten in einem anderen Mitgliedstaat den Versand von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte sowie das Privileg reserviert, dass das bei einem von ihnen aufgegebene Verfahrensschriftstück als beim Gericht eingereichtes Schriftstück gilt.

    63

    Was drittens die Frage betrifft, ob eine solche Vorschrift im Sinne der aus dem Urteil vom 12. Dezember 2013, SOA Nazionale Costruttori (C‑327/12, EU:C:2013:827, Rn. 41), hervorgegangenen Rechtsprechung geeignet ist, die Fähigkeit anderer Unternehmen, die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich zu beeinträchtigen, ist in Anbetracht der Angaben im Vorabentscheidungsersuchen festzustellen, dass dies vorliegend der Fall ist.

    64

    Ein Anbieter von Postdiensten, der nicht zu den in Art. 165 § 2 ZPO genannten Anbietern gehört, kann nämlich nicht die Dienstleistung des Versands von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte in der Weise erbringen, dass ihm das Privileg zukommt, dass diese Verfahrensschriftstücke als bei den betreffenden Gerichten eingereicht gelten, wie es bei Verfahrensschriftstücken der Fall ist, die bei einem benannten oder einem anderen von dieser Vorschrift erfassten Anbieter aufgegeben werden, was zur Folge hat, dass diese Dienstleistung dem freien Wettbewerb auf dem Binnenmarkt für Postdienste entzogen ist.

    65

    Folglich gewährt – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren streitige ein ausschließliches oder besonderes Recht für die Einrichtung und die Erbringung von Postdiensten im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie.

    Zur Auslegung von Art. 8 der geänderten Richtlinie

    66

    Nach Art. 8 der geänderten Richtlinie berührt ihr Art. 7 nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Regelungen zu treffen für die Aufstellung von Postbriefkästen auf öffentlichen Wegen, für die Ausgabe von Postwertzeichen und für den Dienst, der in Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausführt.

    67

    In Anbetracht seines Wortlauts und seines Kontexts ist Art. 8 der geänderten Richtlinie eng auszulegen, da er eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstellt, die in ihrem Art. 7 enthalten ist und nunmehr die Abschaffung der ausschließlichen und besonderen Rechte vorsieht, um den Binnenmarkt für Postdienste zu vollenden, worin das hauptsächliche Ziel besteht, das mit der Richtlinie 2008/6 verfolgt wird.

    68

    Da sich der Wortlaut von Art. 8 der geänderten Richtlinie nur insoweit auf die Regelung des Dienstes bezieht, der die Zustellung von Sendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt, als es um „Einschreibsendungen“ geht, kann die in diesem Artikel vorgesehene Ausnahme folglich nicht extensiv dahin ausgelegt werden, dass er auf den Dienst, der einfache Sendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ausführt, Anwendung findet.

    69

    Im vorliegenden Fall unterscheidet Art. 165 § 2 ZPO im Hinblick auf die Einräumung des Vorteils, den er vorsieht, nicht danach, ob das Verfahrensschriftstück einem Gericht mit einfacher Post oder per Einschreiben zugestellt wird. In Anbetracht der Erwägungen in den Rn. 67 und 68 des vorliegenden Urteils kann diese nationale Rechtsvorschrift daher nur insoweit in den Anwendungsbereich von Art. 8 der geänderten Richtlinie fallen, als sie den Dienst der Zustellung von Einschreibsendungen an die Gerichte betrifft.

    70

    Hinsichtlich der Reichweite der in Art. 8 der geänderten Richtlinie vorgesehenen Ausnahme sind das vorlegende Gericht sowie die Kommission der Auffassung, dass dieser Artikel, da er eng auszulegen sei, die Mitgliedstaaten weder dazu ermächtige, diesen Dienst für einen einzigen Anbieter zu reservieren, noch dazu, ein Privileg einzuführen, wie es sich aus der im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Vorschrift ergebe; er erlaube den Mitgliedstaaten lediglich, den Parteien eines Rechtsstreits vorzuschreiben, Verfahrensschriftstücke per Einschreiben an das Gericht zu senden.

    71

    Insoweit ist zu bemerken, dass Art. 165 § 2 ZPO nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen, denen der übrige Akteninhalt nicht widerspricht, einem Anbieter auf einem Wettbewerbsmarkt einen Vorteil verschafft, den die anderen Anbieter nicht haben, da die Aufgabe von Verfahrensschriftstücken bei dem betreffenden Anbieter der Einreichung bei einem Gericht gleichgestellt ist, was zur Folge hat, dass eine Verfahrensfrist auch dann eingehalten werden kann, wenn das Verfahrensschriftstück dem betreffenden Gericht erst nach Ablauf dieser Frist zugeht. Folglich ist die entscheidende Frage im vorliegenden Fall, ob sich ein Mitgliedstaat auf Art. 8 der geänderten Richtlinie stützen kann, um ein Privileg wie das, das sich aus der im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Vorschrift ergibt, einzuführen oder aufrechtzuerhalten.

    72

    Das Ziel von Art. 8 der geänderten Richtlinie wird im 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 genannt, dem zufolge „[d]ie Mitgliedstaaten … aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein legitimes Interesse daran haben [können], die Aufstellung von Postbriefkästen … einer oder mehreren von ihnen benannten Einrichtungen zu übertragen. Aus den gleichen Gründen sind sie berechtigt, die Einrichtung oder Einrichtungen zu benennen, die Postwertzeichen … herausgeben dürfen, sowie die Einrichtungen, die für den Dienst zuständig sind, der im Einklang mit ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ausführt.“ Daraus ergibt sich, dass der genannte Art. 8, der unbeschadet der nachfolgenden Änderungen der Richtlinie 97/67 nicht geändert wurde, dahin auszulegen ist, dass er den Mitgliedstaaten bei der Zustellung von Einschreibsendungen im Rahmen von Gerichtsverfahren ermöglicht, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und für den Fall, dass sie ein legitimes Interesse haben, von der in Art. 7 der geänderten Richtlinie vorgesehenen allgemeinen Regel abzuweichen.

    73

    Unter diesen Umständen muss Art. 8 der geänderten Richtlinie unter Berücksichtigung des 20. Erwägungsgrundes der Richtlinie 97/67 dahin ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat, wenn er von der in diesem Artikel vorgesehenen Ausnahme Gebrauch machen will, ein derartiges öffentliches Interesse belegen muss.

    74

    Diese Auslegung wird durch die Ziele bestätigt, die mit der Regelung verfolgt werden, in die sich der genannte Art. 8 einfügt. Wie sich nämlich aus den Erwägungsgründen 25 und 56 der Richtlinie 2008/6 ergibt, soll mit dieser der Binnenmarkt für Postdienste verwirklicht und das Instrument des reservierten Bereichs und der besonderen Rechte zur Sicherung der Finanzierung des Universaldienstes nicht mehr zugelassen werden. Es liefe jedoch diesen Zielen zuwider, wenn einem Mitgliedstaat erlaubt würde, ohne irgendeine sachliche Rechtfertigung ein ausschließliches oder besonderes Recht einzuräumen.

    75

    Zu Art. 165 § 2 ZPO hat die Kommission geltend gemacht, dass sich weder der Vorlageentscheidung noch den Schriftsätzen der polnischen Regierung eine sachliche Rechtfertigung für den von dieser Vorschrift gewährten Vorteil entnehmen lasse.

    76

    Hierzu hat die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass in Polen die territoriale Abdeckung, was die Zustellung von Einschreibsendungen durch die verschiedenen Anbieter betreffe, sehr uneinheitlich sei und daher ein Interesse daran bestehe, dass für alle Sendungen von Verfahrensschriftstücken an die Gerichte dasselbe Gewährleistungsniveau hinsichtlich der Sendungssicherheit und der Fristen, in denen sie den Gerichten ausgehändigt würden, gelte. Dies sei der Grund, weshalb dem landesweit tätigen Anbieter des Universaldienstes das streitige Privileg eingeräumt worden sei.

    77

    Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass ausweislich der Angaben, die dem Gerichtshof zur Kenntnis gelangt sind, die anderen Anbieter nach den polnischen Rechtsvorschriften ebenfalls für die Gerichte bestimmte Verfahrensschriftstücke befördern dürfen und daher davon ausgegangen wird, dass sie über die für diese Tätigkeit angemessenen organisatorischen und personellen Mittel verfügen. Anhand der Erläuterungen der polnischen Regierung lässt sich auch nicht nachvollziehen, inwiefern eine die Verfahrensfristen betreffende Unterscheidung zwischen den Anbietern die Rechtssicherheit sowie eine geordnete Rechtspflege, zu denen diese Fristen beitragen, begünstigen könnte. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Zulässigkeit der Klage von dem gewählten Anbieter abhängt, dürften Erwägungen der Rechtssicherheit und der geordneten Rechtspflege einer solchen Unterscheidung in Bezug auf die Verfahrensfristen sogar entgegenstehen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften, indem sie je nachdem, welcher von den auf demselben Markt miteinander konkurrierenden Anbietern gewählt wird, unterschiedliche Fristen zulassen, wirklich dem Bestreben entsprechen, ein Ziel der öffentlichen Ordnung zu erreichen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

    78

    In Anbetracht dessen kann Art. 8 der geänderten Richtlinie nicht dahin ausgelegt werden, dass er die Beibehaltung einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren streitigen erlaubt.

    79

    Infolgedessen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 8 der geänderten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer Vorschrift des nationalen Rechts entgegensteht, die nur die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer Postfiliale des für die Erbringung des Universalpostdienstes benannten Anbieters als gleichwertig mit der Einreichung eines solchen Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht ansieht, ohne dass eine auf Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gestützte sachliche Rechtfertigung gegeben ist.

    Zur zweiten und zur dritten Frage

    80

    Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen ist, dass der Vorteil, den der für die Bereitstellung des Universaldienstes benannte Anbieter aus einer Vorschrift des nationalen Rechts zieht, in dem Fall, dass sich herausstellt, dass er unter Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie gewährt worden ist, auch auf die anderen Postdiensteanbieter erstreckt werden muss, um jede Diskriminierung zu vermeiden. Außerdem möchte es wissen, ob sich eine Emanation eines Mitgliedstaats in einem Rechtsstreit mit einem Einzelnen auf die unmittelbare Wirkung der letztgenannten Bestimmung berufen kann.

    81

    Das vorlegende Gericht möchte somit hauptsächlich wissen, welche Konsequenzen im Rahmen des Ausgangsverfahrens aus einer eventuellen Unvereinbarkeit von Art. 165 § 2 ZPO mit der geänderten Richtlinie zu ziehen sind.

    82

    Erstens ist festzustellen, dass es sich bei der Auslegung, nach der Art. 165 § 2 ZPO mit Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der geänderten Richtlinie vereinbar wäre, dem vorlegenden Gericht zufolge um eine Auslegung contra legem handelt. Diese Auslegung würde außerdem eine Abweichung von den Wirkungen einer wörtlichen Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift erfordern, was bei einer Verfahrensvorschrift eine fragwürdige Praxis wäre.

    83

    Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass das nationale Gericht, das bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der in Rede stehenden Richtlinie ausrichten muss, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem System des Vertrags immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 19. Januar 2010, Kücükdeveci, C‑555/07, EU:C:2010:21, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    84

    Außerdem obliegt es den nationalen Gerichten, unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler Rechtsnormen und unter Anwendung der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift im Einklang mit der in Rede stehenden Richtlinie ausgelegt werden kann, ohne dass sie contra legem ausgelegt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2019, Cresco Investigation, C‑193/17, EU:C:2019:43, Rn. 74).

    85

    Eine solche unionsrechtskonforme Auslegung findet nämlich in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit, ihre Schranken, und zwar in dem Sinne, dass sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2009, Mono Car Styling, C‑12/08, EU:C:2009:466, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. April 2016, DI, C‑441/14, EU:C:2016:278, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    86

    Das vorlegende Gericht fragt sich, wie weit diese Schranken unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens reichen, in dem sich die Frage stellt, welche Konsequenzen es hat, wenn eine nationale Rechtsvorschrift, in der es um die Einhaltung der gesetzlichen Frist für die Erhebung einer Klage vor dem betreffenden Gericht durch eine Partei des Rechtsstreits geht, nicht unionsrechtskonform ist.

    87

    Für die Unionsrechtsordnung hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung die Bedeutung von Klagefristen, die die Rechtssicherheit gewährleisten sollen, indem sie verhindern, dass Unionshandlungen mit Rechtswirkungen zeitlich unbeschränkt in Frage gestellt werden können, sowie der Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege und der Verfahrensökonomie anerkannt (Urteil vom 14. September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, EU:C:1999:407, Rn. 61). Dieselben Erwägungen liegen dem Erfordernis der Einhaltung der Verfahrensfristen zugrunde, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

    88

    Folglich stellen sowohl der Umstand, dass eine mit der geänderten Richtlinie vereinbare Auslegung von Art. 165 § 2 ZPO eine Auslegung contra legem zur Folge hätte, als auch der Umstand, dass eine solche unionsrechtskonforme Auslegung die Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften zu Klagefristen, die die Rechtssicherheit gewährleisten sollen, beeinträchtigen könnte, im vorliegenden Fall Schranken für das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dar.

    89

    Was zweitens die Frage betrifft, ob sich eine Emanation eines Mitgliedstaats auf die geänderte Richtlinie berufen kann, um in einem Rechtsstreit mit einem Einzelnen die Anwendung einer Vorschrift dieses Mitgliedstaats auszuschließen, die im Widerspruch zu der geänderten Richtlinie steht, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass es einem Mitgliedstaat, wenn eine Emanation dieses Mitgliedstaats einem Einzelnen eine Richtlinie entgegenhalten könnte, die dieser Staat nicht ordnungsgemäß in das nationale Recht umgesetzt hat, ermöglicht würde, Nutzen aus seinem Verstoß gegen das Unionsrecht zu ziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. September 1996, Arcaro, C‑168/95, EU:C:1996:363, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 24 und 25).

    90

    Im vorliegenden Fall handelt es sich nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen bei der Partei, die sich gegenüber einem Einzelnen auf die Unvereinbarkeit von Art. 165 § 2 ZPO mit den Bestimmungen der geänderten Richtlinie beruft, um den Präsidenten der KRUS, also eine Behörde, die als „Emanation des Staates“ eingestuft wird. In Anwendung der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung kann sich eine Behörde wie der Präsident der KRUS gegenüber einem Einzelnen nicht auf die geänderte Richtlinie als solche berufen.

    91

    Folglich ist es in Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens nicht erforderlich, zu prüfen, ob der Vorteil, den der für die Bereitstellung des Universaldienstes benannte Anbieter nach Art. 165 § 2 ZPO genießt, auf die anderen Postdiensteanbieter erstreckt werden muss, falls davon auszugehen ist, dass dieser Vorteil unter Verstoß gegen die geänderte Richtlinie gewährt worden ist.

    92

    Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass sich eine Behörde, die als Emanation des Staates angesehen wird, gegenüber einem Einzelnen nicht auf die geänderte Richtlinie als solche berufen kann.

    Kosten

    93

    Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

     

    1.

    Art. 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 8 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer Vorschrift des nationalen Rechts entgegensteht, die nur die Aufgabe eines Verfahrensschriftstücks in einer Postfiliale des für die Erbringung des Universalpostdienstes benannten Anbieters als gleichwertig mit der Einreichung eines solchen Schriftstücks bei dem betreffenden Gericht ansieht, ohne dass eine auf Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gestützte sachliche Rechtfertigung gegeben ist.

     

    2.

    Eine Behörde, die als Emanation des Staates angesehen wird, kann sich gegenüber einem Einzelnen nicht auf die Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2008/6 geänderten Fassung als solche berufen.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.

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