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Dokument 61995CC0034

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 17. September 1996.
Konsumentombudsmannen (KO) gegen De Agostini (Svenska) Förlag AB (C-34/95) und TV-Shop i Sverige AB (C-35/95 und C-36/95).
Ersuchen um Vorabentscheidung: Marknadsdomstolen - Schweden.
Richtlinie 'Fernsehen ohne Grenzen' - Von einem Mitgliedstaat aus ausgestrahlte Fernsehwerbung - Verbot irreführender Werbung - Verbot von an Kinder gerichteter Werbung.
Verbundene Rechtssachen C-34/95, C-35/95 und C-36/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 I-03843

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:1996:333

61995C0034

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 17/09/1996. - Konsumentombudsmannen (KO) gegen De Agostini (Svenska) Förlag AB (C-34/95) und TV-Shop i Sverige AB (C-35/95 und C-36/95). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Marknadsdomstolen - Schweden. - Richtlinie 'Fernsehen ohne Grenzen' - Von einem Mitgliedstaat aus ausgestrahlte Fernsehwerbung - Verbot irreführender Werbung - Verbot von an Kinder gerichteter Werbung. - Verbundene Rechtssachen C-34/95, C-35/95 und C-36/95.

Sammlung der Rechtsprechung 1997 Seite I-03843


Schlußanträge des Generalanwalts


1 Die vorliegenden Rechtssachen, die vom Marknadsdomstol (Handelsgericht) Stockholm zur Vorabentscheidung vorgelegt worden sind, betreffen die Vereinbarkeit der im schwedischen Recht vorgesehenen Beschränkungen mit dem Gemeinschaftsrecht.

2 Die Ausgangsverfahren in allen Rechtssachen betreffen Anträge des Konsumentombudsman an den Marknadsdomstol auf Erlaß von Entscheidungen, mit denen den beklagten Gesellschaften im wesentlichen die Praktizierung bestimmter Formen der Werbung verboten wird.

3 Die Rechtssachen befassen sich mit Fernsehwerbung, die angeblich gegen das nach dem schwedischen Recht bestehende Verbot von Fernsehwerbung, die darauf gerichtet ist, die Aufmerksamkeit von Kindern unter 12 Jahren zu erregen (in der ersten Rechtssache), und gegen das Verbot der Vermarktung und Absatzförderung, die gegenüber Verbrauchern und Gewerbetreibenden unlauter ist (in allen Rechtssachen), verstösst. Die streitigen Werbefilme wurden von verschiedenen schwedischen Fernsehsendern gesendet, von denen einige vom Vereinigten Königreich und andere von Schweden aus ausgestrahlt wurden.

Das nationale Recht

4 § 2 des Gesetzes über die Handelspraktiken(1) bestimmt, daß einem Gewerbetreibenden, der bei der Vermarktung und Absatzförderung eines Erzeugnisses, einer Dienstleistung oder einer anderen Leistung Werbung treibt oder eine andere Handlung vornimmt, die durch Verstoß gegen lauteres Geschäftsgebaren oder auf andere Weise gegenüber dem Verbraucher oder Gewerbetreibenden unlauter ist, vom Marknadsdomstol die Fortsetzung dieser Handlung oder die Vornahme einer anderen vergleichbaren Handlung untersagt werden kann.

5 Diese Vorschrift gilt ausdrücklich für über Satellit ausgestrahlte Fernsehsendungen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums.$

6 Wenn ein Gewerbetreibender es versäumt hat, eine für den Verbraucher wichtige Information in seine Werbung aufzunehmen, kann der Marknadsdomstol gemäß § 3 des Gesetzes über die Handelspraktiken u. a. dem Gewerbetreibenden aufgeben, eine solche Information in die Werbung aufzunehmen.

7 In der Präambel zum Gesetz über die Handelspraktiken heisst es, daß das Gesetz auf alle Formen der Werbung anwendbar ist, die an die schwedische Öffentlichkeit gerichtet sind, auch wenn es sich z. B. um Werbung handelt, die im Ausland produziert wurde und von dort aus an Empfänger in Schweden gerichtet wird.

8 § 11 des Radiolag (Rundfunkgesetz)(2) bestimmt, daß eine Werbeanzeige, die in der Werbezeit im Fernsehen ausgestrahlt wird, nicht bezwecken darf, die Aufmerksamkeit von Kindern unter 12 Jahren zu erregen. Aus den Erklärungen der schwedischen Regierung ergibt sich, daß sich das Verbot auf Kabelfernsehen(3) und auf Sendungen über Satellit(4) erstreckt. Die Parteien sind übereinstimmend der Auffassung, daß das Gesetz nicht unmittelbar auf Fernsehsendungen anwendbar ist, die von ausserhalb Schwedens ausgestrahlt werden.

9 Der Marknadsdomstol hat in seinen Entscheidungen den Grundsatz aufgestellt, daß a) eine Vermarktung und Absatzförderung, die gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstösst, als unlauter im Sinne des Gesetzes über die Handelspraktiken gelten kann und daß b) irreführende Werbung normalerweise als unlauter im Sinne dieses Gesetzes gilt.

10 Der Marknadsdomstol ist aufgrund einer Reihe von besonderen Rechtsvorschriften, zu denen das Gesetz über die Handelspraktiken, nicht aber das Rundfunkgesetz gehört, für Rechtsstreitigkeiten zuständig. Ich denke, daß der Konsumentenombudsman aus diesem Grund seine Klage darauf gestützt hat, daß die Werbung deswegen unlauter im Sinne des Gesetzes über die Handelspraktiken ist, weil sie gegen das Verbot in dem Rundfunkgesetz verstösst, statt daß er unmittelbar aufgrund des Rundfunkgesetzes geklagt hat. Der Konsumentenombudsman trägt darüber hinaus vor, daß die Werbesendungen aus dem Vereinigten Königreich unlauter im Sinne dieses Gesetzes seien, obwohl Einvernehmen darüber besteht, daß das Rundfunkgesetz unmittelbar nur auf Werbesendungen aus Schweden Anwendung findet.

Sachverhalt und Vorlagefragen

11 Die erste Rechtssache betrifft eine Fernsehwerbung für eine Kinderzeitschrift über Dinosaurier. Der Konsumentenombudsman ersucht den Marknadsdomstol, es dem Herausgeber der Zeitschrift aufgrund des Gesetzes über die Handelspraktiken a) zu verbieten, sein Erzeugnis in einer Weise zu vermarkten, die darauf gerichtet ist, die Aufmerksamkeit von Kindern unter 12 Jahren zu erregen, oder hilfsweise b) ihn zu verpflichten, den Gesamtpreis der Serie von 18 Nummern in der Werbung deutlich anzugeben, und ihm zu verbieten, in seiner Werbung anzudeuten, daß vollständige Teile eines fluoreszierenden Dinosauriers zum Preis von einer Zeitschrift statt zum Preis einer ganzen Serie gesammelt werden können.

12 Die zweite Rechtssache hat eine Fernsehwerbung für Hautpflegemittel zum Gegenstand. Der Konsumentenombudsman ersucht den Marknadsdomstol, es aufgrund des Gesetzes über die Handelspraktiken a) dem Werbetreibenden zu verbieten, bei der Werbung für Hautpflegemittel: 1. Behauptungen über die Wirkung dieser Produkte auf die Haut aufzustellen, ohne diese Behauptungen während der Werbesendung beweisen zu können; 2. zu behaupten, daß die Erzeugnisse heilende oder therapeutische Wirkungen haben, wenn diese nicht als registrierte Arzneimittel anerkannt sind; 3. anzudeuten, daß die Käufer kostenlose Zusatzprodukte erhalten, wenn das Produkt normalerweise nicht zu demselben wie dem in der fraglichen Werbung angegebenen Preis verkauft wird; 4. den Preis zu vergleichen, wenn der Werbetreibende nicht dartun kann, daß Gegenstand des Vergleichs die gleichen oder gleichwertige Erzeugnisse sind, und 5. zu behaupten, daß der Verbraucher, um bestimmte Zusatzprodukte zu erhalten, seine Bestellung binnen zwanzig Minuten oder binnen einer vergleichbar kurzen Zeitspanne aufgeben muß, sowie b) den Werbetreibenden zu verpflichten, zusätzliche Kosten für Porto, Nachnahmegebühren usw. deutlich anzugeben.

13 Die dritte Rechtssache hat eine Fernsehwerbung für Reinigungsmittel zum Gegenstand. Der Konsumentenombudsman ersucht den Marknadsdomstol, es dem Werbetreibenden aufgrund des Gesetzes über die Handelspraktiken zu verbieten, a) Behauptungen über die Wirksamkeit der Produkte und deren Wirkung auf die Umwelt aufzustellen, ohne diese Behauptungen beweisen zu können, und b) unscharfe Formulierungen des Inhalts zu verwenden, daß das Produkt Vorteile für die Umwelt habe.

14 In allen Rechtssachen wurde die Fernsehwerbung vom Vereinigten Königreich aus nach Schweden über Satellit ausgestrahlt und vom Fernsehsender TV3 gezeigt. Die Werbung wurde in allen Rechtssachen zusätzlich von einem schwedischen Sender gezeigt (TV4 in der ersten Rechtssache, Kanal Homeshopping in der zweiten und dritten Rechtssache), ohne daß sie zuvor von einem anderen Mitgliedstaat aus ausgestrahlt worden wäre, obwohl der Gerichtshof nur in der ersten Rechtssache ersucht wird, die Vereinbarkeit von Beschränkungen mit dem Gemeinschaftsrecht zu prüfen, die dem Werbetreibenden in bezug auf inländische Sendungen auferlegt werden sollen.

15 TV3 ist eine Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich. Sie sendet Fernsehprogramme über Satellit nach Dänemark, Schweden und Norwegen. Aus den Erklärungen der beklagten Gesellschaft in der ersten und zweiten Rechtssache ergibt sich, daß die durch Satellit übertragenen Signale entweder direkt vom Zuschauer mit Parabolantennen (Satellitenschüsseln) oder über Kabelgesellschaften empfangen werden können, die die Signale dann an die Zuschauer über Kabel weiterleiten. Obwohl dieselben Videosignale an alle Empfängerstaaten gesendet werden, empfangen die Empfangsgeräte die Tonsignale in der Sprache des betreffenden Gebietes.

16 Die beklagte Gesellschaft in der ersten Rechtssache, De Agostini (Svenska) Förlag AB (im folgenden: De Agostini), ist eine schwedische Gesellschaft, die zu der italienischen Gruppe Istituto Geografico De Agostini mit Gesellschaften in mehreren europäischen Ländern gehört. Die Gruppe ist hauptsächlich im Verlagsgeschäft tätig, zu dem die Herausgabe von Zeitschriften in verschiedenen europäischen Sprachen gehört. Die fragliche Kinderzeitschrift wird von De Agostini als enzyklopädische Zeitschrift über Dinosaurier dargestellt. Sie erscheint in Form von Serien, die jeweils aus mehreren Nummern bestehen. In jeder Nummer ist ein Bestandteil eines Dinosauriermodells enthalten. Wenn eine vollständige Serie erstanden ist, liegen alle Teile des Modells vor. Die Zeitschrift, die in mehreren Sprachen erscheint, ist seit ihrem Start im Jahre 1993 in zahlreichen Mitgliedstaaten auf den Markt gebracht worden, und das offensichtlich immer von einer örtlichen Tochtergesellschaft der De Agostini Gruppe. Die Ausgaben der Zeitschrift in den verschiedenen Sprachen werden sämtlich in Italien gedruckt.

17 Die Werbung in der ersten Rechtssache war, bevor sie in TV3 im September 1993 gezeigt wurde, bereits in verschiedenen Sprachen in allen damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gezeigt worden mit Ausnahme von Griechenland, wo sie bis Januar 1995 nicht ausgestrahlt wurde, aber offensichtlich inzwischen auch gezeigt worden ist. Ausser im Vereinigten Königreich gab es keinerlei Überlegungen, daß die Werbung gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften verstossen könnte. Im Vereinigten Königreich überprüfte die Independent Television Commission die Werbung und fand keinen Anlaß für Beanstandungen.

18 Die beklagte Gesellschaft in der zweiten und dritten Rechtssache, die TV-Shop i Sverige AB (im folgenden: TV-Shop), ist eine schwedische Gesellschaft, die zu einer internationalen Gruppe mit Tochtergesellschaften in ganz Europa (sowohl in Mitgliedstaaten als auch in Drittstaaten) und auch ausserhalb Europas gehört. Die Geschäftstätigkeit von TV-Shop besteht in der Fernsehwerbung und im Verkauf von importierten Waren über Telefon: Die interessierten Kunden bestellen die Produkte telefonisch, nachdem sie diese in der Werbung im Fernsehen gesehen haben, und erhalten die Waren durch die Post. Die hauptsächlich verwandte Form von Fernsehwerbung, die offensichtlich auch die streitige Form von Fernsehwerbung in den Ausgangsverfahren ist, besteht in "Infomercials", d. h. in Werbefilmen, die, manchmal unter Mitarbeit einer bekannten Persönlichkeit, von Präsentatoren dargeboten werden und zu denen die Vorstellung von Produkten, Interviews mit zufriedenen Kunden usw. gehören.

19 De Agostini und TV-Shop bringen im wesentlichen vor, daß die Verbote im schwedischen Recht gegen die Artikel 30 und 59 EG-Vertrag und gegen die Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung von Fernsehtätigkeit(5) (im folgenden: Fernsehrichtlinie) verstossen.

20 Die Vorabentscheidungsvorlagen waren ursprünglich als Anträge auf Erstellung eines Gutachtens an den EFTA-Gerichtshof gerichtet, die der Marknadsdomstol am 30. August 1994 beschlossen hatte. Diese Anträge wurden nach dem Beitritt Schwedens zur Europäischen Union am 1. Januar 1995 zurückgenommen. Mit Beschlüssen vom 7. Februar 1995 hat der Marknadsdomstol den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Frage ersucht, ob Artikel 30 oder Artikel 59 EG-Vertrag oder die Richtlinie 1. (in allen Rechtssachen) einen Mitgliedstaat daran hindern, gegen eine Fernsehwerbung vorzugehen, die ein Werbetreibender von einem anderen Mitgliedstaat aus senden lässt, oder 2. (in der ersten Rechtssache) der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die an Kinder gerichtete Werbung verbietet.

21 Es sei darauf hingewiesen, daß der EFTA-Gerichtshof in zwei verbundenen Rechtssachen Entscheidungen erlassen hat, die Norwegen betrafen, und die unter Berufung auf die Fernsehrichtlinie und die Artikel 11 und 13 des EWR-Abkommens, die den Artikeln 30 und 59 EG-Vertrag entsprechen, eingeleitet worden waren(6). Diese Rechtssachen stimmen mit der Rechtssache C-34/95, De Agostini, darin überein, daß sie sich mit einem norwegischen Verbot einer Fernsehwerbung befassen, die besonders auf Kinder abzielt. Der EFTA-Gerichtshof entschied, daß die Fernsehrichtlinie einem dem Werbetreibenden auferlegten Verbot, Werbefilme im Fernsehprogramm eines Fernsehveranstalters mit Sitz in einem anderen EWG-Staat zu zeigen, entgegensteht, wenn dieses sich als Folge eines allgemeinen, im innerstaatlichen Recht enthaltenen Verbots von Werbung erweist, die besonders auf Kinder abzielt(7). In der mündlichen Verhandlung in den vorliegenden Rechtssachen vor dem Gerichtshof hat die norwegische Regierung (die schriftliche Erklärungen gemäß Artikel 20 der EG-Satzung des Gerichtshofes abgegeben hat) erklärt, daß das norwegische Verbot seit dieser Entscheidung nicht durchgesetzt worden sei.

Die Richtlinie

22 Hauptziel der Fernsehrichtlinie (häufig bezeichnet als die Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen"), die auf der Grundlage der Artikel 57 Absatz 2 und 66 EG-Vertrag erlassen wurde, ist die Erleichterung des freien Verkehrs von Fernsehsendungen innerhalb der Gemeinschaft. Die Richtlinie versucht, dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß Mindestanforderungen aufgestellt werden, die von Fernsehveranstaltern, die der Rechtshoheit eines Mitgliedstaats unterworfen sind, eingehalten werden müssen, und daß es den Mitgliedstaaten allgemein verboten wird, Fernsehsendungen aus einem anderen Mitgliedstaat vor Empfang oder Weiterverbreitung einer zusätzlichen Kontrolle zu unterwerfen.

23 In den Begründungserwägungen heisst es:

"[Es ist] notwendig und ausreichend, daß alle Fernsehsendungen dem Recht des Mitgliedstaats entsprechen, in dem sie ihren Ursprung haben."(8)

"Im Gemeinsamen Markt müssen alle Fernsehsendungen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft haben und für den Empfang in der Gemeinschaft bestimmt sind, speziell diejenigen, welche für den Empfang in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind, dem auf die zum Empfang durch die Allgemeinheit im Ursprungsmitgliedstaat bestimmten Fernsehsendungen anwendbaren Recht dieses Mitgliedstaats ebenso wie der Richtlinie entsprechen."(9)

"Die Verpflichtung des Sendestaats, die Einhaltung des durch die Richtlinie koordinierten nationalen Rechts sicherzustellen, reicht nach dem Gemeinschaftsrecht aus, um den freien Verkehr von Fernsehsendungen zu gewährleisten, ohne daß eine zweite Kontrolle in jedem der Empfangsstaaten stattfinden muß ..."(10)

"Diese Richtlinie, die sich auf spezifisch für das Fernsehen geltende Regelungen beschränkt, lässt bestehende und künftige Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft unberührt, mit denen insbesondere zwingenden Erfordernissen zum Schutz der Verbraucher, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Wettbewerbs entsprochen werden soll."(11)

"Um sicherzustellen, daß die Interessen der Verbraucher als Zuschauer umfassend und angemessen geschützt werden, muß die Fernsehwerbung einer Reihe von Mindestnormen und Kriterien unterworfen werden; die Mitgliedstaaten müssen das Recht behalten, ausführlichere oder strengere Bestimmungen und in bestimmten Fällen unterschiedliche Bedingungen für die ihrer Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter einzuführen."(12)

"Es ist ferner notwendig, Regeln zum Schutz der körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung Minderjähriger für die Programme und die Fernsehwerbung vorzusehen."(13)

24 Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie definiert "Fernsehsendung" als "die drahtlose oder drahtgebundene, erdgebundene oder durch Satelliten vermittelte, unverschlüsselte oder verschlüsselte Erstsendung von Fernsehprogrammen, die zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist ..."

25 Artikel 1 Buchstabe b definiert "Fernsehwerbung" als

"jede Äusserung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Fernsehen von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, gegen Entgelt zu fördern.

Abgesehen von den Zwecken des Artikels 18 schließt dies nicht die direkten Angebote an die Öffentlichkeit im Hinblick auf den Verkauf, den Kauf oder die Vermietung von Erzeugnissen oder im Hinblick auf die Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt ein."(14)

26 Grundlage der mit der Richtlinie geschaffenen Regelung ist das "Sendestaatprinzip". Dieses Prinzip, das in der oben zitierten zwölften Begründungserwägung treffend zum Ausdruck gebracht wird, wird in Artikel 2 dargelegt, der, soweit hier maßgeblich, bestimmt:

"(1) Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, daß alle Fernsehsendungen, die

- von seiner Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstaltern gesendet werden ...,

dem Recht entsprechen, das auf für die Allgemeinheit bestimmte Sendungen anwendbar ist.

(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die in Bereiche fallen, die mit dieser Richtlinie koordiniert sind ..."

27 Die einzige Ausnahme von diesem von der Richtlinie aufgestellten Prinzip gilt für offensichtliche, ernste und schwerwiegende Verstösse gegen Artikel 22, der im wesentlichen Minderjährige vor Programmen schützen soll, die Pornographie oder grundlose Gewalttätigkeiten enthalten oder bestimmte andere beeinträchtigende Inhalte haben. Obwohl keiner von den dort bezeichneten Sachverhalten in den vorliegenden Rechtssachen gegeben ist, zeigt die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat aufgrund der Richtlinie nur unter jenen sehr spezifischen und aussergewöhnlichen Umständen die Weiterverbreitung von Sendungen aus einem anderen Mitgliedstaat unterbinden darf, die Bedeutung des Sendestaatprinzips in der Regelung der Richtlinie.

28 Nach Artikel 3 Absatz 1 (der leider in der englischen Fassung der Richtlinie unzutreffend übersetzt ist) können die Mitgliedstaaten für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere oder ausführlichere Bestimmungen in den von der Richtlinie erfassten Bereichen vorsehen. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, daß die jeweils ihrer Rechtshoheit unterworfenen Fernsehveranstalter die Bestimmungen der Richtlinie einhalten.

29 Die Richtlinie enthält in Kapitel IV ausführliche Regelungen für Fernsehwerbung und Sponsoring, von denen einige nachstehend genannt werden. Artikel 16, der sich mit dem Schutz Minderjähriger befasst, bestimmt:

"Die Fernsehwerbung darf Minderjährigen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen und unterliegt daher folgenden Kriterien zum Schutz Minderjähriger:

a) Sie soll keine direkten Kaufappelle an Minderjährige richten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen.

b) Sie soll Minderjährige nicht unmittelbar dazu auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Ware oder Dienstleistung zu bewegen.

c) Sie soll nicht das besondere Vertrauen ausnutzen, das Minderjährige zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben.

d) Sie soll Minderjährige nicht ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen."

30 Wie erinnerlich stellt das nationale Gericht in allen drei Rechtssachen die Frage, ob u. a. die Fernsehrichtlinie einen Mitgliedstaat daran hindert, gegen eine Fernsehwerbesendung aus einem anderen Mitgliedstaat vorzugehen. In der Rechtssache De Agostini stellt das Gericht darüber hinaus die Frage, ob u. a. diese Richtlinie der Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die an Kinder gerichtete Werbung verbietet. Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß sich die letztgenannte Frage insbesondere auf die Werbefernsehsendungen des inländischen Senders TV4 bezieht. Ich werde zunächst der ersten Frage nachgehen, die sich auf die Werbesendungen aus dem Vereinigten Königreich in TV3 bezieht.

31 Bevor ich mich der besonderen Streitfrage zuwende, ob Artikel 2 Absatz 2 der Fernsehrichtlinie einen Mitgliedstaat daran hindert, die Weiterverbreitung der in Frage stehenden Form von Sendungen in seinem Hoheitsgebiet zu beschränken, werde ich mich mit drei Argumenten auseinandersetzen, die von mehreren Parteien vorgebracht wurden und dahin gehen, daß die Fernsehrichtlinie nicht in jedem Fall auf den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssachen anwendbar sei.

Das Argument, daß TV3 ein schwedischer Sender sei

32 Zum einen trägt der Konsumentenombudsman vor, daß TV3 praktisch ebenso wie TV4 aus dem Grund als ein schwedischer Fernsehsender anzusehen sei, weil a) alle in Schweden gezeigten Sendungen in Schweden hergestellt seien, weil b) alle Sendungen synchronisiert und mit schwedischen Untertiteln versehen seien, weil c) die Ansager sämtlich schwedisch sprächen, und weil d) die Werbesendungen angesichts der Sprache, in der sie gehalten seien, und angesichts der Erzeugnisse, die vermarktet würden, ausschließlich für den schwedischen Markt bestimmt seien. (Es ist jedoch festzuhalten, daß diese letzte Behauptung in direktem Widerspruch zu den Erläuterungen steht, die De Agostini und TV-Shop zu ihrer Absatz- und Verkaufsstrategie gegeben haben.)

33 Soweit es für die Richtlinie erheblich ist, will der Konsumentenombudsman vermutlich darlegen, daß Schweden deshalb berechtigt sei, in bezug auf TV3 strengere Bestimmungen als diejenigen zu erlassen, die in der Richtlinie festgelegt sind, weil TV3 aus den oben angeführten Gründen unter seine Rechtshoheit im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 der Fernsehrichtlinie falle.

34 Diese Auffassung ist meiner Ansicht nach unhaltbar. Aus den Gründen, die der Gerichtshof im Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich(15) im Hinblick auf die Bedeutung desselben Ausdrucks in Artikel 2 Absatz 1 der Fernsehrichtlinie angeführt hat, bin ich der Auffassung, daß der Mitgliedstaat, dessen Rechtshoheit ein Fernsehveranstalter unterworfen ist, derjenige ist, in dem dieser Veranstalter seinen Sitz hat. Da TV3 seinen Sitz im Vereinigten Königreich hat, ist er für die Zwecke der Richtlinie der Rechtshoheit dieses Staates unterworfen. Es sei darauf hingewiesen, daß die in jener Rechtssache vom Vereinigten Königreich vertretene und vom Gerichtshof verworfene Auslegung - der Rechtshoheit eines Mitgliedstaats unterworfen seien die Fernsehveranstalter, die ihre Fernsehprogramme von Orten im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ausstrahlten - dem Konsumentenombudsman im vorliegenden Fall ohnehin nicht helfen würde, da die fragliche Fernsehwerbung vom Vereinigten Königreich aus gesendet wurde.

Das Argument, die Richtlinie gelte nicht für Werbetreibende

35 Zweitens machen der Konsumentenombudsman sowie die schwedische, die finnische und die norwegische Regierung geltend, daß die Richtlinie allgemein und das Sendestaatprinzip im besonderen nur das Verhalten der Fernsehveranstalter und nicht das der Werbetreibenden regelten, so daß die Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran hindere, wie in diesem Fall gegen einen Werbetreibenden wegen Fernsehwerbung, die aus einem anderen Mitgliedstaat gesendet werde, vorzugehen.

36 Meiner Ansicht nach ist dieses Vorbringen aus einer Reihe von Gründen unhaltbar.

37 Zweck und Wirkung des Sendestaatprinzips wären stark beeinträchtigt, wenn die Richtlinie als nicht für Werbetreibende geltend angesehen würde: Dem Empfangsstaat stuende es frei, Werbesendungen aus einem anderen Mitgliedstaat zu behindern; eben dadurch würde er entgegen Artikel 2 Absatz 2 "die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten [behindern]".

38 Zudem wäre es inkohärent, wenn die Richtlinie nicht für Werbetreibende gälte, obwohl sie zahlreiche Bestimmungen über Form und Inhalt von Fernsehwerbung enthält.

39 Schließlich könnte die Auffassung, daß die Fernsehtätigkeit ihrem Wesen nach von akzessorischen Tätigkeiten wie der Werbung verschieden sei, den Weg für die Mitgliedstaaten ebnen, ihre Rechtsvorschriften so zuzuschneiden, daß sie nur für Produzenten, Werbetreibende, Sponsoren usw. gälten, um dadurch den Fernsehtätigkeiten insgesamt Zuegel anzulegen, ohne jedoch formal gegen die Richtlinie zu verstossen. Eine solche Auslegung kann nicht mit den Zielen der Richtlinie oder den Absichten des Gesetzgebers in Einklang stehen.

Das Argument, das Urteil Van Binsbergen sei auf den vorliegenden Fall übertragbar

40 Das dritte Hauptargument, das der Konsumentenombudsman sowie die schwedische, die finnische, die norwegische und die belgische Regierung für ihre Auffassung anführen, daß die Richtlinie im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, geht dahin, daß die Richtlinie nicht für Werbung in Fernsehsendungen gelte, die in spezifischer Weise nur auf den Empfängerstaat zielten und an diesen gerichtet seien.

41 Dieses Argument beruht auf dem Urteil in der Rechtssache Van Binsbergen(16), in dem der Gerichtshof erstmals den Grundsatz aufgestellt hat, daß ein Mitgliedstaat Maßnahmen erlassen darf, um einen Dienstleister, dessen Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet dieses Staates ausgerichtet ist, daran zu hindern, die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch zu nehmen, um sich den im Bestimmungsstaat geltenden Rechtsvorschriften zu entziehen.

42 Der Gerichtshof hat diesen Grundsatz vor kurzem (allerdings zu Sachverhalten, die entstanden waren, bevor die Fernsehrichtlinie in nationales Recht umzusetzen war) in den Urteilen Veronica Omröp Organisatie(17) und TV10(18) auf den Fernsehsektor angewandt.

43 Im Urteil Veronica hat der Gerichtshof eine nationale Regelung unbeanstandet gelassen, die es inländischen Rundfunkeinrichtungen verbietet, bei der Gründung von Rundfunk- und Fernsehgesellschaften im Ausland zu dem Zweck, dort Dienstleistungen zu erbringen, die auf diesen Staat ausgerichtet sind, zu helfen; zur Begründung hat er ausgeführt, daß die Regelung im Hinblick auf die Gewährleistung der Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten die spezifische Wirkung habe, sicherzustellen, daß diese Einrichtungen sich nicht den Verpflichtungen aus der nationalen Regelung in bezug auf den pluralistischen und nichtkommerziellen Inhalt der Programme entziehen könnten(19).

44 Im Urteil TV10 entschied der Gerichtshof, daß die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr einen Mitgliedstaat nicht daran hinderten, eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegründete und in diesem Staat niedergelassene Sendeanstalt, deren Tätigkeit aber ganz oder vorwiegend auf das Gebiet des ersten Mitgliedstaats ausgerichtet sei, einer inländischen Sendeanstalt gleichzustellen, wenn diese Niederlassung erfolgt sei, um es dieser Anstalt zu ermöglichen, sich den Regelungen zu entziehen, die auf sie anwendbar wären, wenn sie im Gebiet des ersten Staates niedergelassen wäre(20).

45 Der im Urteil Van Binsbergen aufgestellte Grundsatz lässt sich als eine Ausformung des allgemeinen Grundsatzes des Verbotes mißbräuchlicher Rechtsausübung ansehen, der in den meisten Rechtsordnungen anerkannt ist. Man könnte erwarten, daß er als solcher im Fernsehsektor ungeachtet der Durchführung der Fernsehrichtlinie anwendbar bliebe, eine Ansicht, die Generalanwalt Lenz unlängst vertreten hat(21). Dieser Vorschlag sollte jedoch, wie der Generalanwalt deutlich gemacht hat, nicht als zu weit gefasst verstanden werden: Es dürfe nicht übersehen werden, daß die Möglichkeit für ein Einschreiten, die dieser Grundsatz dem Empfangsstaat einräume, als eine Ausnahme von einer der für den Binnenmarkt konstitutiven Freiheiten eng auszulegen sei(22). Im Urteil Kommission/Belgien hat der Gerichtshof zwar die Frage offengelassen, ob der Grundsatz im Fernsehsektor weitergilt, er hat jedoch entschieden, daß ein Mitgliedstaat jedenfalls nicht berechtigt sei, ein allgemeines Verbot der Erbringung bestimmter Dienstleistungen durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Marktteilnehmer zu erlassen, da dies auf die Beseitigung des freien Dienstleistungsverkehrs hinausliefe(23).

46 Ließe man die Berufung auf den Grundsatz in einem Fall wie dem vorliegenden zu, in dem die Belange, die durch die Bestimmungen geschützt werden, deren Umgehung angeblich beabsichtigt ist, in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, würde zudem das Sendestaatprinzip untergraben, das selbst der Hauptausdruck des Ziels der Richtlinie ist, die Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr im Hinblick auf die Schaffung des Binnenmarktes zu beseitigen(24). Vermutlich aus diesem Grund enthält die Richtlinie keine Bestimmung wie Artikel 16 des Europäischen Übereinkommens über das grenzueberschreitende Fernsehen vom 5. Mai 1989 (dem das Kapitel IV der Richtlinie, betreffend Fernsehwerbung und Sponsoring, weitgehend nachgebildet ist), der ausdrücklich vorsieht, daß Werbung, "die sich eigens und häufig an Zuschauer in einer einzelnen Vertragspartei ausserhalb der sendenden Vertragspartei richtet, die [in dieser Vertragspartei] für die Fernsehwerbung geltenden Vorschriften nicht umgehen [darf]". Der Ansicht der Kommission, daß diese Auslassung bewusst erfolgt sei, hat sich jüngst Generalanwalt Lenz angeschlossen, der in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich(25) darauf hinweist, daß eine Bestimmung wie Artikel 16 des Übereinkommens in einer der Verwirklichung des Binnenmarktes dienenden Regelung unangebracht gewesen wäre. Sie entspricht zudem der oben erwähnten Entscheidung des EFTA-Gerichtshofes in den norwegischen Rechtssachen(26).

47 Jedenfalls deutet im vorliegenden Fall nichts darauf hin, daß das Vereinigte Königreich tatsächlich als Sitz von TV3 gewählt worden wäre, um die schwedischen Rechtsvorschriften zu umgehen. Aus dem blossen Umstand, daß ein Veranstalter mit Sitz in einem Mitgliedstaat Sendungen ausstrahlt, die in einem anderen Mitgliedstaat empfangen werden sollen, kann nicht geschlossen werden, daß der Veranstalter die im Empfangsstaat geltenden Rechtsvorschriften umgehen will: Der Veranstalter muß mißbräuchlich(27) handeln oder sich der Regelung zu entziehen(28) beabsichtigen, damit der Grundsatz des Urteils Van Binsbergen Anwendung findet. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt, daß nach der 14. Begründungserwägung der Richtlinie selbst "alle Fernsehsendungen, die ihren Ursprung in der Gemeinschaft haben und für den Empfang in der Gemeinschaft bestimmt sind, speziell diejenigen, welche für den Empfang in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt sind, dem ... Recht [des Ursprungsmitgliedstaats] entsprechen [müssen]": Ein Mitgliedstaat kann also nicht unterstellen, daß alle Sendungen ausländischer Fernsehveranstalter, die sich besonders an das Publikum in diesem Mitgliedstaat richten, schon aus diesem Grund einen Rechtsmißbrauch darstellen würden(29). Die Beweislast für einen solchen Mißbrauch liegt zudem bei dem Mitgliedstaat, der sich auf die Ausnahme berufen will(30).

48 Ausserdem spricht der Umstand, daß die Sendungen von TV3 in den vorliegenden Fällen, wie aus den Erklärungen der Parteien hervorgeht (wenn auch mit unterschiedlichem Sprachsignal), sowohl nach Dänemark und Norwegen als auch nach Schweden ausgestrahlt wurden, dafür, daß die Anwendung des Grundsatzes - der verhindern soll, daß sich ein Dienstleister, dessen Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf den Mitgliedstaat ausgerichtet ist, der ihn geltend machen will, auf das Gemeinschaftsrecht berufen kann - unangebracht ist.

49 Schließlich wende ich mich dem Argument von TV-Shop zu, daß der Grundsatz aus dem Urteil Van Binsbergen nur dann angeführt werden könne, wenn die fraglichen Regelungen - nämlich die Regelung, deren Umgehung versucht wird, und die Regelung, der die die Umgehung versuchende Einrichtung statt dessen unterworfen ist - erheblich voneinander abwichen. Da die Vorschriften für Fernsehwerbung in Schweden und in England weitgehend ähnlich seien, sei kein Raum für die Anwendung des Grundsatzes.

50 Es liegt auf der Hand, daß dann, wenn die fraglichen Regelungen ihrem Zweck und ihrem Gegenstand nach gleich sind, in der Praxis kein Raum für die Anwendung des Grundsatzes ist, da mit der Umgehung der einen und der Unterwerfung unter die andere nichts gewonnen wird. Raum für die Anwendung des Grundsatzes besteht immer dann, wenn die Unterschiede zwischen den Regelungen so groß sind, daß sie die Niederlassung eines Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat allein zu dem Zweck rechtfertigen, diese Unterschiede auszunutzen. Ich halte es weder für wünschenswert noch für praktikabel, eine allgemeine Regel dafür aufzustellen, welcher Grad an Ähnlichkeit rechtlich erforderlich ist, um die Anwendung des Grundsatzes auszuschließen oder auszulösen.

51 Insgesamt reichen diese Gesichtspunkte nach meiner Auffassung aus, um jede Berufung auf das Urteil Van Binsbergen in den vorliegenden Fällen zurückzuweisen.

52 Ohnehin bin ich nicht davon überzeugt, daß der Grundsatz, selbst wenn er anwendbar wäre, eine Stütze für diejenigen wäre, die sich in den vorliegenden Fällen auf ihn berufen. Ein entscheidender Gesichtspunkt ist hier im Gegensatz zu den Rechtssachen Veronica und TV10, daß der Vollzug der streitigen Maßnahme nicht gegen TV3, den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer der Dienstleistung, begehrt wird, sondern gegen den Werbetreibenden, der eindeutig in Schweden niedergelassen ist. Es bedürfte einer Fortentwicklung des Grundsatzes aus dem Urteil Van Binsbergen, damit dieser unter derartigen Umständen anwendbar würde. Zudem wäre jeder Versuch, geltend zu machen, daß der Werbetreibende nur deshalb ein in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenes Unternehmen benutzt habe, um seine eigene nationale Regelung zu umgehen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt, da die streitigen Werbesendungen auch von inländischen Sendern (von TV4 in der Rechtssache De Agostini und von Homeshopping Channel in der Rechtssache TV-Shop) ausgestrahlt wurden.

53 Daher kann ich keinem der allgemeinen Argumente folgen, mit denen geltend gemacht wird, daß die Fernsehrichtlinie unter den Umständen der vorliegenden Fälle nicht anwendbar sei. Ich wende mich nun der eigentlichen Frage des vorlegenden Gerichts zu, die dahin geht, ob es diese Richtlinie einem Mitgliedstaat verwehrt, gegen die Ausstrahlung von Fernsehwerbung aus einem anderen Mitgliedstaat vorzugehen. Meiner Ansicht nach ist diese Frage in allen vorliegenden Fällen zu bejahen.

54 Der vorstehend zitierte Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie verbietet den Mitgliedstaaten, die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen zu behindern, die in Bereiche fallen, die mit dieser Richtlinie koordiniert sind. Die Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts hängt demnach davon ab, ob die Regelung von Werbesendungen der streitigen Art in diese Bereiche fallen. Die Rechtssache De Agostini betrifft im wesentlichen Werbung, die sich an Kinder richtet; darüber hinaus liegt dem Hilfsantrag des Konsumentenombudsmans die Annahme zugrunde, daß die Werbung teilweise irreführend sei und demnach dem schwedischen Gesetz über die Werbung zuwiderlaufe. In der Rechtssache TV-Shop stützt der Konsumentenombudsman den Antrag, dem Werbetreibenden zu verbieten, in seiner Werbung bestimmte Behauptungen aufzustellen oder Angaben zu machen, darauf, daß die Werbesendungen irreführend seien und somit dem Gesetz über die Handelspraktiken zuwiderliefen. Ich werde die beiden Arten von Werbung getrennt prüfen.

An Kinder gerichtete Werbung

55 Der Konsumentenombudsman sowie die schwedische, die finnische, die norwegische und die griechische Regierung versuchen, die in der Rechtssache De Agostini streitige Behinderung der Weiterverbreitung damit zu rechtfertigen, daß sie Kinder vor Fernsehwerbung schützen solle.

56 Meiner Ansicht nach fällt ein solches Ziel, wie lobenswert es auch sein mag, eindeutig in die Bereiche, die mit der Richtlinie koordiniert sind, so daß hier Artikel 2 Absatz 2 Anwendung findet und der Empfangsstaat die Weiterverbreitung von Sendungen aus anderen Mitgliedstaaten in seinem Hoheitsgebiet nicht behindern darf. Dies folgt nach meiner Auffassung aus dem System der Richtlinie und aus ihren Bestimmungen über die Werbung.

57 Aus der 27. Begründungserwägung der Richtlinie geht hervor, daß diese die Fernsehwerbung zum Schutz der Verbraucherinteressen "einer Reihe von Mindestnormen und Kriterien" unterwirft. In der 29., der 30. und der 32. Begründungserwägung werden weitere Gründe für das Verbot oder die Beschränkung bestimmter Arten von Fernsehwerbung, wie etwa der für Tabak und Arzneimittel, angeführt; zu diesen Gründen gehört (32. Begründungserwägung) der Schutz der körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung Minderjähriger in Programmen und in der Fernsehwerbung.

58 Kapitel IV der Richtlinie ("Fernsehwerbung und Sponsoring") enthält allgemeine und besondere Bestimmungen zur Regelung von Werbung in Fernsehsendungen. Dieses Kapitel mit den Artikeln 10 bis 21 enthält sowohl Bestimmungen darüber, wann, wo und wie Werbung plaziert werden darf (Artikel 10, 11 und 18 bis 20), als auch Bestimmungen über den Inhalt und die Form der Werbung (Artikel 12 bis 16).

59 Gemäß Artikel 12 müssen bestimmte allgemeine ethische und im öffentlichen Interesse liegende Kriterien beachtet werden. Artikel 13 enthält ein striktes Verbot jeder Form der Fernsehwerbung für Zigaretten und andere Tabakerzeugnisse. Artikel 14 untersagt Fernsehwerbung für bestimmte Arzneimittel und ärztliche Behandlungen. Artikel 15 legt eine Reihe von Kriterien fest, denen die Fernsehwerbung für alkoholische Getränke entsprechen muß; dazu gehört, daß die Werbung nicht speziell an Minderjährige gerichtet sein und insbesondere Minderjährige nicht beim Alkoholgenuß darstellen darf. Nach Artikel 16 schließlich darf die Fernsehwerbung Minderjährigen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen und unterliegt daher bestimmten Kriterien zu deren Schutz.

60 Nach Artikel 21 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, daß im Falle von Fernsehsendungen, bei denen die Bestimmungen des Kapitels IV nicht eingehalten werden, angemessene Maßnahmen getroffen werden, um die Einhaltung dieser Vorschriften zu gewährleisten.

61 Aus meiner Sicht ergibt sich aus diesen Bestimmungen zusammengenommen eindeutig, daß die Richtlinie Mindestnormen und Kriterien für die Fernsehwerbung festlegt, darunter Kriterien zum Schutz Minderjähriger.

62 Daher komme ich zu dem Schluß, daß die hier streitige, nämlich die an Kinder gerichtete Werbung in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt und daß ein Mitgliedstaat somit nach Artikel 2 Absatz 2 deren Verbreitung in seinem Hoheitsgebiet nicht behindern darf.

63 Es sei darauf hingewiesen, daß der EFTA-Gerichtshof in den oben angeführten norwegischen Rechtssachen hinsichtlich der Wirkung von Artikel 16 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 zum selben Ergebnis gelangt ist(31).

Irreführende Werbung

64 Obwohl es sich bei der Werbung von TV-Shop um sogenanntes "Teleshopping" handelt und sie somit nicht unter den Begriff der "Fernsehwerbung" im Sinne des Kapitels IV der Fernsehrichtlinie fällt, handelt es sich doch fraglos um Fernsehsendungen im Sinne von Kapitel II der Richtlinie ("Allgemeine Bestimmungen"); somit verbietet Artikel 2 Absatz 2 die Behinderung der Weiterverbreitung aus Gründen, die in Bereiche fallen, die mit der Richtlinie koordiniert sind.

65 Der Konsumentenombudsman, die schwedische und die finnische Regierung sowie die Kommission vertreten die Auffassung, daß die Regelung irreführender Werbung nicht in den Geltungsbereich der Fernsehrichtlinie falle. Hierfür werden verschiedene Argumente angeführt.

66 Bevor ich mich diesen zuwende, möchte ich kurz auf die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung(32) (im folgenden: Richtlinie über irreführende Werbung) eingehen, da sich verschiedene Verfahrensbeteiligte auf diese Richtlinie berufen.

67 Die Richtlinie über irreführende Werbung soll den Verbraucherschutz verbessern und Verfälschungen des Wettbewerbs sowie Behinderungen des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs abstellen, die sich aus den Abweichungen zwischen den Vorschriften der Mitgliedstaaten gegen irreführende Werbung ergeben(33). Zur Erreichung dieser Ziele versucht sie, objektive Mindestkriterien dafür, ob eine Werbung irreführend ist, und Mindestanforderungen für den Schutz vor derartiger Werbung festzulegen. "Werbung" und "irreführende Werbung" werden weit definiert(34) und würden fraglos unrichtige Darstellungen, wie sie angeblich im Rahmen eines im Fernsehen gesendeten "Infomercial", erfassen.

68 Das erste Argument dafür, daß die Fernsehrichtlinie nicht für irreführende Werbung gelte, führt der Konsumentenombudsman an, der darauf hinweist, daß der ursprüngliche Kommissionsvorschlag für die Fernsehrichtlinie(35) klar vorsehe, daß die nationalen Rechtsvorschriften über die Werbung auf grenzueberschreitende Werbung anwendbar seien.

69 Da sich in dem Richtlinienvorschlag nichts dergleichen findet - er weist vielmehr auf die Behinderung des freien Verkehrs von Waren und Dienstleistungen aufgrund der Unterschiede im Bereich der Rundfunkwerbung hin(36) -, ist anzunehmen, daß sich der Konsumentenombudsman auf die von der Kommission vorgelegte Begründung für den Richtlinienvorschlag(37) bezieht.

70 Tatsächlich heisst es in dieser Begründung, daß die Anwendung einzelstaatlicher, unterschiedslos für inländische und grenzueberschreitende Sendungen geltender allgemeiner Gesetze unberührt bleiben solle, sofern diese im Allgemeininteresse notwendig seien, um zwingenden Erfordernissen - u. a. dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und dem Schutz der Verbraucher - gerecht zu werden(38). Die Begründung macht jedoch deutlich, daß diese Möglichkeit nur in Bereichen bestehen bleiben solle, die nicht harmonisiert seien(39). Da der Bereich der irreführenden Werbung durch die Richtlinie über irreführende Werbung harmonisiert worden ist, können sich die Mitgliedstaaten nicht mehr auf ihr nationales Recht in diesem Bereich berufen, um grenzueberschreitende Sendungen zu behindern.

71 Diese Auslegung entspricht nicht nur der vom Konsumentenombudsman angeführten Begründung des Kommissionsvorschlags, sondern auch den objektiven Harmonisierungszielen.

72 Der Konsumentenombudsman verweist weiter auf Artikel 11 des Europäischen Übereinkommens über das grenzueberschreitende Fernsehen, der in Absatz 2 vorsieht, daß die Werbung weder irreführend sein noch die Interessen der Verbraucher beeinträchtigen darf. Obwohl der Konsumentenombudsman hierzu nichts Näheres ausgeführt hat, scheint sein Argument dahin zu gehen, daß der Umstand, daß irreführende Werbung in dem Übereinkommen ausdrücklich behandelt, in der Richtlinie aber nicht erwähnt wird, nahelege, daß letzteres bewusst geschehen sei und somit seine Ansicht stütze, daß die Richtlinie nicht für irreführende Werbung gelte.

73 Ich halte dieses Argument für unzutreffend.

74 Das Übereinkommen über das grenzueberschreitende Fernsehen muß in seinem spezifischen Kontext gesehen werden: Im Gegensatz zur Fernsehrichtlinie wurde es nicht vor dem Hintergrund bestehender Harmonisierungsmaßnahmen erlassen. Die Autoren des Übereinkommens waren vermutlich der Ansicht, daß für Werbung die von dem Übereinkommen gewollte Freiheit des Empfangs in Anspruch genommen werden könne, wenn sie dem allgemeinen Erfordernis genüge, daß sie nicht irreführend sei und die Verbraucherinteressen nicht beeinträchtige. Da es kein bestehendes Instrument gab, das ein solches Erfordernis aufstellte, wurde es in das Übereinkommen aufgenommen. Die Autoren der Fernsehrichtlinie dagegen brauchten dies nicht zu regeln, da die fünf Jahre zuvor erlassene Richtlinie über irreführende Werbung die Mitgliedstaaten bereits verpflichtete, Rechtsvorschriften zum Schutz der Verbraucher vor irreführender Werbung zu erlassen. Der Umstand, daß das Übereinkommen Regelungen über irreführende Werbung enthält, trägt somit meiner Ansicht nach nicht das Argument, daß sich die Richtlinie nicht auf derartige Werbung erstrecke.

75 Der Konsumentenombudsman, die schwedische Regierung und die Kommission führen die 17. Begründungserwägung der Fernsehrichtlinie für ihre Auffassung an, daß diese Richtlinie Behinderungen der Weiterverbreitung auf der Grundlage von Rechtsvorschriften über irreführende Werbung nicht ausschließe. Nach dieser Begründungserwägung lässt die Richtlinie bestehende oder künftige Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft unberührt, mit denen insbesondere zwingenden Erfordernissen zum Schutz der Verbraucher, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Wettbewerbs entsprochen werden soll.

76 Die verschiedenen Ausführungen zur Bedeutung und zur Wirkung der 17. Begründungserwägung sind nicht immer leicht zu entwirren. Gemeinsam scheint aber allen der Gedanke zu sein, daß die dort erwähnten "Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft" insbesondere die Richtlinie über irreführende Werbung einschlössen und daß ein Mitgliedstaat daher weiterhin Fernsehwerbung verbieten dürfe, die irreführend im Sinne dieser Richtlinie und, wie man vermuten darf, seiner nationalen Rechtsvorschriften zur Durchführung dieser Richtlinie sei.

77 Die Begründungserwägung, nach der die Fernsehrichtlinie bestehende oder künftige Rechtsangleichungsmaßnahmen der Gemeinschaft unberührt lässt, bedeutet meiner Ansicht nach schlicht, was sie sagt: Derartige Rechtsangleichungsmaßnahmen bleiben von der Richtlinie unberührt. Die Richtlinie über irreführende Werbung bleibt dementsprechend in ihrer ursprünglichen Fassung in Kraft: Die Mitgliedstaaten sind weiter verpflichtet, sicherzustellen, daß ihr nationales Recht wenigstens den von dieser Richtlinie verlangten Mindestschutz gegen irreführende Werbung gewährt. Dagegen sehe ich keine Möglichkeit, sie so auszulegen, daß ein Bereich, der Gegenstand einer Harmonisierung war, allein deswegen nicht unter die Fernsehrichtlinie fiele.

78 In den Begründungserwägungen der Richtlinie über irreführende Werbung heisst es zu den Zielen der Richtlinie, daß die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Durchführung von grenzueberschreitenden Werbekampagnen behinderten und so den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen beeinflussten(40): U. a. aus diesem Grund will die Richtlinie die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung angleichen. Es wäre widersinnig, wenn eine Richtlinie, die ausdrücklich den freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen durch die Erleichterung grenzueberschreitender Werbung fördern will, zum gegenteiligen Zweck benutzt werden könnte.

79 Schließlich tragen der Konsumentenombudsman, die schwedische Regierung und die Kommission vor, daß irreführende Werbung nicht in die mit der Fernsehrichtlinie koordinierten Bereiche im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 falle, so daß ein Mitgliedstaat die Weiterverbreitung von Fernsehwerbung aus einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung behindern dürfe, daß diese die Rechtsvorschriften des Empfangsstaats über irreführende Werbung verletze. Dieses Argument ist in gewissem Masse eindeutig eine Wiederholung des söben Behandelten. Die Kommission trägt jedoch als weiteren Gesichtspunkt vor, daß irreführende Werbung nicht in die koordinierten Bereiche falle, weil die Fernsehrichtlinie keine besondere Bestimmung hierüber enthalte.

80 Mit dieser Ansicht werden meines Erachtens zwei verschiedene Dinge miteinander verwechselt, und zwar die durch die Richtlinie koordinierten Bereiche und die durch sie geregelten besonderen Materien. Ausschlaggebend dafür, ob Artikel 2 Absatz 2 Anwendung findet, ist der erstgenannte Begriff.

81 Die durch die Richtlinie koordinierten Bereiche sind die Förderung der Verbreitung und Herstellung von Fernsehprogrammen (Kapitel III), Fernsehwerbung und Sponsoring (Kapitel IV), der Schutz von Minderjährigen (Kapitel V) und das Recht auf Gegendarstellung (Kapitel VI). Diese Auslegung ergibt sich für mich eindeutig aus dem System und den Zielen der Richtlinie; daß sie zutrifft, zeigen zudem die Vorarbeiten, aus denen sich ergibt, daß mit der Richtlinie die genannten Bereiche (daneben ursprünglich auch das Urheberrecht) u. a. durch die Koordinierung nationaler Rechtsvorschriften, auf die die Behinderung des Empfangs grenzueberschreitender Sendungen gestützt werden kann, koordiniert werden sollen(41). Eine enge Auslegung des Begriffes der durch die Richtlinie "koordinierten Bereiche" ist demnach nicht angebracht.

82 Diese Auffassung wird zudem durch die Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache Kommission/Belgien(42) gestützt, in denen dieser zu dem Vorbringen Stellung genommen hat, daß die Begriffe öffentliche Ordnung, gute Sitten und öffentliche Sicherheit, weil sie in der Richtlinie nicht ausdrücklich oder wenigstens vollständig erwähnt seien, nicht zu den durch die Richtlinie koordinierten Bereichen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 gehörten und daß ein Mitgliedstaat deshalb die Weiterverbreitung aus Gründen im Zusammenhang mit diesen Begriffen behindern dürfe. Generalanwalt Lenz hat dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, daß eine solche Auslegung weitgehend die Liberalisierung zunichte machen würde, die mit der Fernsehrichtlinie bezweckt sei, die auf dem fundamentalen Grundsatz gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten beruhe. Das Verbot einer zweiten "Kontrolle" von Sendungen durch den Empfangsstaat sei Ausdruck dieses Grundsatzes(43). Der Gerichtshof ist dieser Auffassung des Generalanwalts gefolgt(44).

83 Gewiß scheint Generalanwalt Lenz an früherer Stelle in seinen Schlussanträgen(45) davon auszugehen, daß die 17. Begründungserwägung bewirkt, daß die dort genannten Bereiche nicht zu den koordinierten Bereichen im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 gehören. Diese Äusserung steht jedoch im Zusammenhang mit der Zurückweisung mehrerer Argumente, die sich auf Bereiche bezogen, die eindeutig nicht zu diesen Bereichen gehören, und zwar i) eine Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach es das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht ausschließt, daß die Staaten Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen, ii) das Urheberrecht (das zwar ursprünglich im Rahmen von Kapitel V des Kommissionsvorschlags(46) als koordinierter Bereich gewollt war, dann jedoch im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens aus dem Geltungsbereich der Richtlinie herausgenommen wurde), iii) Artikel 128 Absatz 4 des Vertrages, wonach die Gemeinschaft den kulturellen Aspekten bei ihrer Tätigkeit aufgrund des Vertrages Rechnung trägt, und iv) den Grundsatz der Subsidiarität. Die Nebenbemerkung des Generalanwalts über die Wirkung der 17. Begründungserwägung sollte daher vielleicht nicht zu weit ausgelegt werden.

84 Schließlich sei darauf hingewiesen, daß die Ansicht, die Verhinderung der Weiterverbreitung von Sendungen aus einem anderen Mitgliedstaat könne auf nationale Rechtsvorschriften über irreführende Werbung gestützt werden, nicht nur das Sendestaatprinzip in schwerwiegender Weise aushöhlen, sondern auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen würde(47). Gewiß handelt es sich in den vorliegenden Rechtssachen um schwedische Werbetreibende, so daß die nach schwedischem Recht möglichen Schritte wegen irreführender Werbung ohne grundsätzliche Schwierigkeiten gegen sie unternommen werden könnten. Häufig wird jedoch in einer entsprechenden Situation der betroffene Werbetreibende in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sein. Unter solchen Umständen sind die praktischen Schwierigkeiten des Einschreitens nach dem Recht des Empfangsstaats nur zu offenkundig.

85 Der EFTA-Gerichtshof hat zwar in den bereits angeführten norwegischen Rechtssachen(48) die Auffassung vertreten, daß die Fernsehrichtlinie nicht bezwecke, einen Staat daran zu hindern, nach der Richtlinie über irreführende Werbung gegen eine Werbung vorzugehen, die nach dieser Richtlinie als irreführend angesehen werden müsse(49). Bei dieser Äusserung handelt es sich jedoch eindeutig um ein Obiter dictum; aus dem Wortlaut des Urteils und dem Sitzungsbericht in diesen Rechtssachen geht hervor, daß diese Frage vor dem EFTA-Gerichtshof von keiner der Parteien erörtert wurde. In einem Bereich, in dem die Rechtsvorschriften bereits harmonisiert sind, lassen sich kaum Gründe für die Auffassung finden, daß diese Rechtsvorschriften gegen Sendungen angeführt werden könnten, für die die Fernsehrichtlinie die Freiheit des Empfangs und der Weiterverbreitung garantiert. Zudem würde eine solche Auffassung - wie gerade die vorliegenden Fälle zeigen - zu einem sowohl unbefriedigenden wie anomalen Ergebnis führen, weil sie verlangen würde, daß die einzelne Sendung in ihre Bestandteile zerlegt würde, um zu bestimmen, welche Teile unter die Richtlinie fallen und welche nicht.

86 Meines Erachtens verwehrt es daher Artikel 2 Absatz 2 der Fernsehrichtlinie einem Mitgliedstaat, die Weiterverbreitung von Fernsehsendungen aus einem anderen Mitgliedstaat in seinem Hoheitsgebiet mit der Begründung zu behindern, daß die Sendungen gegen seine nationalen Rechtsvorschriften über irreführende Werbung verstießen.

87 Demgemäß komme ich zu dem Ergebnis, daß es die Fernsehrichtlinie einem Mitgliedstaat verwehrt, gegen Fernsehwerbung aus einem anderen Mitgliedstaat vorzugehen, die an Kinder gerichtet oder vermeintlich irreführend im Sinne der Richtlinie über irreführende Werbung ist.

88 An diesem Ergebnis würde sich auch dann nichts ändern, wenn - wie in der Rechtssache De Agostini vorgetragen wurde(50) - das Vereinigte Königreich, obwohl dort anscheinend strengere Vorschriften über an Kinder gerichtete Werbung gelten, als sie die Richtlinie verlangt(51), die Einhaltung dieser Vorschriften im Falle von ins Ausland ausgestrahlten Sendungen tatsächlich nicht überwachen sollte und damit gegen die Artikel 2 Absatz 1 und 21 der Richtlinie verstossen würde. Unter derartigen Umständen wäre das richtige Vorgehen für den damit nicht einverstandenen Empfangsstaat, ein Verfahren nach Artikel 170 des Vertrages gegen den Sendestaat anzustrengen oder die Kommission im Hinblick auf die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 169 auf den Fall aufmerksam zu machen(52).

89 Dies ist auch der geeignete Rechtsbehelf, wenn der Empfangsstaat der Auffassung ist, daß der Sendestaat entgegen Artikel 2 Absatz 1 der Fernsehrichtlinie nicht sicherstellt, daß Fernsehsendungen, die von seiner Rechtshoheit unterworfenen Veranstaltern gesendet werden, seinem eigenen Recht entsprechen, das auf für die Allgemeinheit bestimmte Sendungen anwendbar ist, wozu im Falle der Werbung in dem sehr weiten Verständnis der Richtlinie über irreführende Werbung auch seine Rechtsvorschriften über irreführende Werbung gehören.

90 Es sei darauf hingewiesen, daß die Kommission vor kurzem ein Verfahren nach Artikel 169 gegen das Vereinigte Königreich angestrengt hat, in dem sie die Feststellung beantragte, daß das Vereinigte Königreich die Fernsehrichtlinie nicht korrekt umgesetzt hat(53). Eine der von der Kommission erhobenen Rügen betraf den Umstand, daß es im Vereinigten Königreich zwei unterschiedliche Regelungen für inländische und für nichtinländische Satellitendienste gibt; die für letztere geltenden Vorschriften sind weniger streng als die für erstere geltenden. (Ausserdem geht aus einem Briefwechsel mit der Independent Television Commission des Vereinigten Königreichs, der den Erklärungen von TV-Shop als Anlage beigefügt ist, hervor, daß die Einhaltung dieser Vorschriften im Vereinigten Königreich in keiner Weise überwacht wird, wenn die Sendungen nicht in Englisch gehalten sind.) Nach Ansicht der Kommission verstieß diese Unterscheidung gegen die Artikel 2 Absatz 1 und 3 Absatz 2 der Richtlinie.

91 In seinem Urteil vom 10. September 1996 in dieser Rechtssache hat der Gerichtshof diese Rüge der Kommission für begründet erklärt(54).

92 Schließlich kann ich mich im Rahmen der Rechtssache De Agostini kurz fassen bei der Behandlung der zweiten Vorlagefrage, die die Wirkung der Fernsehrichtlinie betrifft und dahin geht, ob sie die Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften über das Verbot von an Kinder gerichteter Werbung im Hinblick auf den inländischen Sender TV4 ausschließt. Meines Erachtens schließt sie die Beschränkungen bezueglich der dort ausgestrahlten Werbung eindeutig nicht aus, da es den Mitgliedstaaten nach Artikel 3 Absatz 1 freisteht, für Fernsehveranstalter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere Bestimmungen vorzusehen. Die Frage, ob dieses Verbot gegen Artikel 30 des Vertrages verstösst, wird im folgenden behandelt.

Die Vorschriften des Vertrages

93 Das vorlegende Gericht fragt zusätzlich erstens in allen drei vorgelegten Fällen, ob es Artikel 30 oder Artikel 59 des Vertrages einem Mitgliedstaat verwehrt, gegen eine Fernsehwerbung vorzugehen, die ein Werbetreibender von einem anderen Mitgliedstaat aus senden lässt, und zweitens nur im ersten Fall, ob einer dieser Artikel die Anwendung eines in einem nationalen Gesetz enthaltenen Verbotes von Werbung, die an Kinder gerichtet ist, ausschließt.

94 Die erste dieser Fragen stellt sich nicht mehr, nachdem ich zu der Auffassung gelangt bin, daß die fragliche Werbung in den Geltungsbereich der Fernsehrichtlinie fällt, deren Artikel 2 Absatz 2 einen Mitgliedstaat an einem solchen Vorgehen hindert. Demgemäß wende ich mich der zweiten Frage zu, die sich, wie bereits ausgeführt(55), dem Vorlagebeschluß zufolge speziell auf die von dem inländischen Sender TV4 ausgestrahlte Werbung bezieht. Ich erinnere dran, daß das nationale Recht jede Fernsehwerbung für Kinder verbietet, daß die in der Rechtssache De Agostini streitigen Zeitschriften in Italien gedruckt werden und daß TV4 ein schwedischer Sender ist, der für das schwedische Publikum sendet und einer schwedischen Gesellschaft Dienstleistungen (nämlich Sendezeit für Werbung) anbietet.

Artikel 30

95 De Agostini macht im wesentlichen geltend, daß die nationalen Werbebeschränkungen, die der Konsumentenombudsman gegen sie anführe, gegen Artikel 30 verstießen, der mengenmässige Einfuhrbeschränkungen und alle Maßnahmen gleicher Wirkung verbiete.

96 Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Keck und Mithouard(56) entschieden, daß nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht unter Artikel 30 fallen, sofern sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz inländischer Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren(57). Ob die hier streitigen Maßnahmen gegen Artikel 30 verstossen, hängt demnach beim gegenwärtigen Stand des Rechts davon ab, ob sie diese Anforderungen erfuellen.

97 Zum ersten Punkt, nämlich zu der Frage, ob die Maßnahmen Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, hat der Gerichtshof in der Rechtssache Leclerc-Siplec(58) entschieden, daß ein Verbot der Fernsehwerbung in einem bestimmten Sektor (Vertrieb) die Verkaufsmodalitäten betrifft, weil es eine bestimmte Form der Förderung (Fernsehwerbung) einer bestimmten Methode des Absatzes (Vertrieb) von Erzeugnissen verbietet(59). Eine Maßnahme, durch die diese Form der Verkaufsförderung in bezug auf eine bestimmte Gruppe potentieller Verbraucher oder eine bestimmte Warengruppe verboten wird, muß auf dieser Grundlage als eine Verkaufsmodalität angesehen werden, sofern andere, wirksame Formen der Verkaufsförderung für die betreffende Kategorie zur Verfügung stehen. Ob dies der Fall ist, ist eine tatsächliche Frage, die das nationale Gericht zu entscheiden hat: Es sei darauf hingewiesen, daß dies von De Agostini nachdrücklich bestritten wird.

98 Ferner fällt eine Maßnahme nach dem Urteil Keck nur dann nicht unter Artikel 30, wenn sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gilt, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und wenn sie den Absatz inländischer Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berührt.

99 Die erste Voraussetzung ist in allen vorliegenden Fällen eindeutig erfuellt. Hinsichtlich der zweiten Voraussetzung ist die Lage jedoch meines Erachtens nicht so klar: Ich teile die Sorge der Kommission, daß sich das Verbot jeglicher Fernsehwerbung für Kinder tatsächlich stärker auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten auswirken könnte. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Leclerc ausgeführt habe, stuende es nicht im Einklang mit den Vertragszielen, das Urteil Keck so auszulegen, daß ein völliges Verbot der Werbung für ein Erzeugnis, das in dem Mitgliedstaat, in dem das Verbot gilt, und in anderen Mitgliedstaaten rechtmässig verkauft werden darf, vom Geltungsbereich des Artikels 30 ausgenommen ist: Die Wirkung eines solchen Verbotes wäre, daß es Herstellern in anderen Mitgliedstaaten praktisch unmöglich gemacht würde, sich Zugang zu dem Markt zu verschaffen, auf dem das Verbot ausgesprochen worden ist; die Maßnahme käme daher einer mengenmässigen Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten gleich(60). Wie auch immer das im Urteil Keck aufgestellte Diskriminierungskriterium ausgelegt wird, man kommt kaum an der Schlußfolgerung vorbei, daß ein solches Verbot in der Praxis fast mit Sicherheit eine spürbare Auswirkung auf die Einfuhren haben wird.

100 Dieselben Bedenken bestehen erst recht gegenüber einem völligen Verbot der an eine bestimmte Verbrauchergruppe gerichteten Fernsehwerbung für ein Erzeugnis. Ich bin daher der Auffassung, daß das völlige Verbot von Werbung für Kinder grundsätzlich Artikel 30 zuwiderläuft.

101 Eine unterschiedslos anwendbare Maßnahme, die den freien Warenverkehr beschränkt, kann jedoch mit dem Vertrag vereinbar sein, wenn sie notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses gerecht zu werden, und wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck steht(61).

102 Es steht fest, daß die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Verbraucherschutz im allgemeinen zu den Zielen gehören, die Beschränkungen des freien Warenverkehrs rechtfertigen können(62). Der Schutz einer besonders verletzbaren Verbrauchergruppe wie der Kinder muß erst recht ein überragendes Allgemeininteresse darstellen, das derartige Beschränkungen rechtfertigen kann.

103 Ferner muß nachgewiesen werden, daß die Beschränkung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderlich ist. Im vorliegenden Fall hat die Kommission (im parallelen Kontext von Artikel 59) Zweifel, ob das völlige Verbot von Werbung für Kinder in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht, da dieses Ziel durch weniger drakonische Maßnahmen als ein völliges Verbot, etwa durch Vorschriften über Inhalt und Qualität oder eine Verpflichtung zur Angabe des Preises teurer Gegenstände, erreicht werden könnte. Eine andere Möglichkeit wäre es vielleicht, Waren mit erzieherischem Charakter von dem Verbot auszunehmen.

104 Für mich ist es jedoch nicht offensichtlich, daß eine solche Milderung des Verbotes eine ebenso wirksame Methode wäre, um der Besorgnis der schwedischen Regierung gerecht zu werden, daß junge Kinder nicht der Werbung ausgesetzt werden sollten, weil sie nicht zwischen Dokumentarfilm und Werbung unterscheiden können. Folglich bin ich nicht der Ansicht, daß das Verbot gegenüber den verfolgten Zielen auf jeden Fall unverhältnismässig ist. Es sei darauf hingewiesen, daß der Gerichtshof - in dem parallelen Bereich der Rechtfertigung von Maßnahmen, für die Artikel 49 gilt - anerkannt hat, daß bestimmte Arten des Verbotes von Werbung, etwa ein Verbot der Werbung für bestimmte Erzeugnisse oder an bestimmten Tagen oder Beschränkungen, durch die Zuschauer in die Lage versetzt werden sollen, zwischen Werbung und anderen Programmteilen zu unterscheiden, zulässig sein können: vgl. Urteil in der Rechtssache Collectieve Antennevoorziening Gouda(63). (Obwohl der Gerichtshof in dieser Rechtssache entschieden hat, daß die Beschränkungen tatsächlich nicht gerechtfertigt waren, weil sie den Schutz der Einnahmen der staatlichen Stiftung für Fernsehwerbung bezweckten und bewirkten.)

105 Folglich komme ich zu dem Schluß, daß Artikel 30 des Vertrages die Anwendung eines nationalen Gesetzes, das an Kinder unter zwölf Jahren gerichtete Werbung verbietet, nicht ausschließt.

Artikel 59

106 Aus früheren Entscheidungen des Gerichtshofes ergibt sich, daß Fernsehsendungen im allgemeinen und die Ausstrahlung von Fernsehwerbung im besonderen unter die Dienstleistungsbestimmungen des Vertrages fallen: vgl. insbesondere die frühe Rechtssache Sacchi(64). Obwohl diese Rechtssache nur die erdgebundene Übertragung (oder drahtlose Sendungen) und Übertragungen durch Kabelfernsehen betraf, gilt der dort aufgestellte Grundsatz ebenso für die in den vorliegenden Fällen fragliche Sendeweise, nämlich die Übertragung durch Satellit(65).

107 Der Gerichtshof hat mehrfach die Vereinbarkeit von Beschränkungen der Fernsehwerbung mit Artikel 59 geprüft(66). Im Urteil Bond van Adverteerders(67) hat er die Wirkung eines Werbeverbots geprüft und ist zu dem Ergebnis gelangt, daß ein solches Verbot eine zweifache Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs enthält: Erstens hindert es die in einem Mitgliedstaat ansässigen Betreiber von Kabelnetzen daran, von Sendern mit Standort in anderen Mitgliedstaaten angebotene Fernsehprogramme (in jenem Fall über Satellit) weiterzuleiten; zweitens hindert es diese Sender daran, in ihre Programme zum Nutzen von im Empfangsstaat ansässigen Werbefirmen Mitteilungen aufzunehmen, die sich speziell an das Publikum dieses Staates wenden(68).

108 Die Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr können jedoch nicht für Tätigkeiten gelten, deren wesentliche Elemente auf einen einzigen Mitgliedstaat beschränkt sind: Ob dies der Fall ist, hängt von tatsächlichen Feststellungen ab, die das nationale Gericht zu treffen hat(69).

109 Im Falle der von TV4 gesendeten Werbung erweist sich Artikel 59 aus diesem Grund unter den Umständen des vorliegenden Falles als unanwendbar: TV4 ist ein schwedischer Sender, der für das schwedische Publikum sendet und einer schwedischen, wenn auch zu einer internationalen Gruppe mit Sitz in Italien gehörenden Gesellschaft Dienstleistungen anbietet. Offenkundig wäre dieser Artikel aber unter anderen Umständen auf das fragliche nationale Gesetz anwendbar; solche Umstände sind leicht vorstellbar: etwa, wenn es sich nicht um ausschließlich inländische Werbetreibende oder Zuschauer handelte.

110 Daher komme ich zu dem Schluß, daß bei dem in der Rechtssache De Agostini gegebenen Sachverhalt Artikel 59 des Vertrages die Anwendung des nationalen Gesetzes, das an Kinder gerichtete Werbung verbietet, nicht ausschließt.

Antrag

111 Meines Erachtens sollten daher die Fragen des Marknadsdomstol wie folgt beantwortet werden:

1. Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit verwehrt es einem Mitgliedstaat, gegen aus einem anderen Mitgliedstaat gesendete Fernsehwerbung vorzugehen.

2. Weder diese Richtlinie noch Artikel 30 des Vertrages, noch Artikel 59 des Vertrages schließen die Anwendung eines nationalen Gesetzes durch einen Mitgliedstaat, das an Kinder unter zwölf Jahren gerichtete Werbung verbietet, aus, wenn sowohl der Werbetreibende als auch der Fernsehveranstalter in diesem Staat niedergelassen sind und die Werbung von einem inländischen Fernsehsender gesendet wird, der ausschließlich von Zuschauern in diesem Staat empfangen wird.

(1) - Gesetz 1975/1418. In der mündlichen Verhandlung wurde dargelegt, daß dieses Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1996 durch ein neues Gesetz über die Handelspraktiken ersetzt worden ist, dessen einschlägige Bestimmungen inhaltsgleich sind.

(2) - Gesetz 1966/755.

(3) - Gesetz 1991/2027.

(4) - Gesetz 1992/1356.

(5) - ABl. L 298, S. 23.

(6) - Verbundene Rechtssachen E-8/94 und E-9/94, Forbrukerombudet/Mattel Scandinavia and Lego Norge, Urteil vom 16. Juni 1995.

(7) - Randnr. 57 und Tenor des Urteils.

(8) - 12. Begründungserwägung.

(9) - 14. Begründungserwägung.

(10) - 15. Begründungserwägung.

(11) - 17. Begründungserwägung.

(12) - 27. Begründungserwägung.

(13) - 32. Begründungserwägung.

(14) - Artikel 18 betrifft die zulässige Werbezeit und ist in den vorliegenden Rechtssachen nicht entscheidungserheblich.

(15) - Urteil vom 10. September 1996 in der Rechtssache C-222/94 (vgl. Randnrn. 35 bis 42 sowie die Nrn. 32 bis 75 der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz).

(16) - Rechtssache 33/74 (Slg. 1974, 1299).

(17) - Rechtssache C-148/91 (Slg. 1993, I-487).

(18) - Rechtssache C-23/93 (Slg. 1994, I-4795).

(19) - Randnr. 13.

(20) - Nr. 2 des Tenors.

FORTSETZUNG DER SCHLUSSANTRAEGE UNTER DOK.NUM: 695C0034.1

(21) - Vgl. Nr. 74 der Schlussanträge in der Rechtssache C-11/95 (Kommission/Belgien, Urteil vom 10. September 1996, Slg. 1996, I-0000).

(22) - A. a. O., Nr. 75.

(23) - Randnr. 65.

(24) - Vgl. die zweite Begründungserwägung der Richtlinie.

(25) - Zitiert in Fußnote 15, vgl. Nr. 55 der Schlussanträge.

(26) - Zitiert in Fußnote 6, Randnrn. 51 bis 53 der Entscheidung.

(27) - Urteil TV10, zitiert in Fußnote 18, Randnr. 21. Allerdings enthält die Fassung in niederländischer Sprache, der Verfahrenssprache, kein entsprechendes Adverb.

(28) - Urteil Veronica, zitiert in Fußnote 17, Randnr. 13: In der französischen Fassung heisst es "abusivement", während ein entsprechender Ausdruck im Niederländischen, der Verfahrenssprache, wiederum fehlt.

(29) - Nr. 74 der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache Kommission/Belgien, zitiert in Fußnote 21. Vgl. ferner die Ausführungen von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache TV10, zitiert in Fußnote 18 (Nrn. 62 bis 68 der Schlussanträge), zu der Frage, anhand welcher Faktoren zu bestimmen ist, ob eine juristische Person Rechtsvorschriften umgeht.

(30) - Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache Kommission/Belgien, zitiert in Fußnote 21, Nr. 75.

(31) - Zitiert in Fußnote 6; vgl. Randnrn. 31 bis 41 und den Tenor des Urteils.

(32) - ABl. 1984, L 250, S. 17.

(33) - Urteil in der Rechtssache C-373/90 (Ermittlungsverfahren gegen X, Slg. 1992, I-131, Randnr. 9).

(34) - Vgl. Artikel 2.

(35) - Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Rundfunktätigkeit, ABl. 1986, C 179, S. 4.

(36) - Vgl. 16. Begründungserwägung.

(37) - KOM(86) 146 endg.

(38) - Nr. 47.

(39) - Nr. 48.

(40) - Vierte Begründungserwägung.

(41) - Vgl. insbesondere die Nrn. 1 bis 3 und 24 bis 30 der in Fußnote 37 zitierten Begründung des Kommissionsvorschlags.

(42) - Zitiert in Fußnote 21.

(43) - Vgl. Nrn. 99 bis 101 der Schlussanträge.

(44) - Vgl. Randnrn. 88 und 92 des Urteils.

(45) - Vgl. Nr. 53.

(46) - Zitiert in Fußnote 35.

(47) - Diesen Gesichtspunkt erwähnt auch, wenn auch nur kurz, Generalanwalt Lenz in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Belgien (zitiert in Fußnote 21; vgl. Nr. 103 der Schlussanträge).

(48) - Zitiert in Fußnote 6.

(49) - Vgl. Randnrn. 54 bis 56 und 58 des Urteils.

(50) - Vgl. Nr. 90 dieser Schlussanträge.

(51) - Vgl. Randnr. 40 des Urteils des EFTA-Gerichtshofes in den norwegischen Rechtssachen, zitiert in Fußnote 6.

(52) - Vgl. Urteil Kommission/Belgien (zitiert in Fußnote 21, Randnr. 34 bis 37) und die Nrn. 50 und 51 der Schlussanträge des Generalanwalts in dieser Rechtssache. Vgl. auch das Urteil des Gerichtshofes vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94 (Hedley Lomas, Slg. 1996, I-0000, insbesondere die Randnrn. 19 und 20).

(53) - Vgl. Fußnote 15.

(54) - Vgl. Randnrn. 70 bis 75 des Urteils. Vgl. auch die Nrn. 84 und 85 der Schlussanträge von Generalanwalt Lenz.

(55) - Nr. 30.

(56) - Verbundene Rechtssachen C-267/91 und C-268/91 (Slg. 1993, I-6097).

(57) - Randnr. 16.

(58) - Rechtssache C-412/93 (Slg. 1995, I-179).

(59) - Randnr. 22.

(60) - Vgl. Nr. 50 meiner Schlussanträge.

(61) - Rechtssache 120/78 (Rewe, Slg. 1979, 649, "Cassis de Dijon").

(62) - A. a. O., Randnr. 8.

(63) - Rechtssache C-288/89 (Slg. 1991, I-4007, Randnr. 27).

(64) - Rechtssache 155/73 (Slg. 1974, 409, Randnr. 6). Vgl. auch die sechste Begründungserwägung der Fernsehrichtlinie.

(65) - Vgl. allgemein die Ausführungen von Generalanwalt Mancini in der Rechtssache 352/85 (Bond van Adverteerders, Slg. 1988, 2085) zur fortbestehenden Relevanz der im Urteil Sacchi aufgestellten Grundsätze, ungeachtet der späteren technischen Fortschritte bei den Sendemethoden.

(66) - Vgl. Urteil Sacchi, zitiert in Fußnote 64, sowie die Urteile in der Rechtssache 52/79 (Debauve, Slg. 1980, 833), Bond van Adveerders, zitiert in Fußnote 65, und Collectieve Antennenvoorziening Gouda, zitiert in Fußnote 63.

(67) - Zitiert in Fußnote 65.

(68) - Randnr. 22.

(69) - Vgl. etwa die Urteile Debauve, zitiert in Fußnote 66, Randnr. 9, und TV10, zitiert in Fußnote 18, Randnr. 14.

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